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Benutzername: 
mapefue
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Kirchbichl

Bewertungen

Insgesamt 167 Bewertungen
Bewertung vom 08.12.2022
Der Aufstieg - In eisiger Höhe wartet der Tod
McCulloch, Amy

Der Aufstieg - In eisiger Höhe wartet der Tod


ausgezeichnet

Cecily Wong ist eine britische Reisejournalistin, die gerade ihr letztes Geld für die Reise nach Nepal ausgegeben hat, die ihre Karriere verändern könnte. Der erfolgreiche Bergsteiger Charles McVeigh hat ihr ein exklusives Interview versprochen, aber nur, wenn sie ihm auf den tödlichsten aller Achttausender, dem Manaslu bis zum Gipfel folgt. Also lässt sie alles stehen und liegen und schließt sich trotz ihrer Ängste, ihrer Selbstzweifel und vergangenen Versagen der Expedition unter Dougs Leitung von Manners Mountaineering an. Ihr berühmt-berüchtigter Blog „Dem Aufstieg nicht gewachsen“ steht für ihre Misserfolge am Berg. Trotzdem genießt sie bei ihren Lesern hohes Ansehen. Am Fuß des Berges, noch vor dem Erreichen des Basislagers, stellt sie jedoch fest, dass nicht alles so ist, wie es scheint und hinter jeder Ecke lauert das Böse. Wenn andere Bergsteiger tot „auftauchen“, muss Cecily entscheiden, ob sich die Geschichte wirklich lohnt, oder ob sie ihr Leben für ihre Karriere riskiert.

Neben Doug und Cecily vervollständigen noch Zak, Mingma, Elise und Grant, speziell ausgesuchte, charakterlich unterschiedliche Typen die Expedition. Auf den ersten zweihundert Seiten war McCulloch mit ihrer Bergsteigerexpertise, ihrem Lieblingsthema in Hochform. Die einzelnen Zwischenfälle machten mich auf das noch Kommende aufmerksam und der Roman entwickelte sich stetig mit steigender Spannung zu einem echten Thriller. Ganz große Klasse.

Amy McCulloch, eine erfahrene Bergsteigerin, die selbst den Manaslu bestiegen hat ist über jede fachunkundige Kritik erhaben. Ihre Erklärungen und Beschreibungen zum Bergsteigen am Manaslu sind authentisch und in hohem Maß nachvollziehbar. Bereits die erste Seite liest sich atemlos, wie auch der Titel der englischen Originalausgabe lautet: „Breathless“.
Keine reißerische Übersetzung, die überhaupt nicht notwendig wäre, es genügt die nackte und nüchterne Wahrheit, die reißerisch genug ist.

Das einzige, was mir nicht gefallen hat, waren Cecilys Blog-Posts. Abgesehen davon, dass die eingeschobenen Expeditionsberichte „Manaslu: Der letzte Berg“ einer professionellen Schreiberin unwürdig, letztklassig, nicht druckbar, umgangssprachlich und voll von Plattitüden sind, gehen sie nur als Schülerinnen-Erlebnisbericht durch. Mir schienen sie sehr überflüssig und sinnlos für die Geschichte.

Trotzdem, der Schreibstil und die Beschreibungen waren ausgezeichnet, selbst die Handlung war für mich etwas Besonderes und deshalb habe ich das Lesen sehr genossen.

Bewertung vom 24.11.2022
Vom Onkel
Gisler, Rebecca

Vom Onkel


ausgezeichnet

Rebecca Gislers beachtliches Debüt besticht nicht nur durch seine Geschichte, sondern ebenso durch die Sprache, ohne gekünstelte Wort- und Satzgebilde, mit ausdrucksvollen Satzkonstruktionen, was den literarischen Genuss erhöht.

Die Geschichte ist schnell erzählt und scheint simpel zu sein, skurril mit mystischen Andeutungen.

Der dicke Onkel, in einer unvorhergesehenen Wohngemeinschaft in der Bretagne, am Ende der Welt mit Nichte und Neffen. Am Meer, aber der Onkel mit einer Metallplatte in der Hüfte badet nie, obwohl er erst 53 ist, pfeift er aus allen Löchern. Beim Essen setzten sich die drei auseinander soweit es geht und der Onkel starrt auf den toten Bildschirm des Fernsehers.

Die Nichte des Onkels als Icherzählerin überwindet sich und stellt den Onkel zur Rede. Sie setzt sich mit dem Bruder, der Mutter und den Großeltern auseinander. Familiäre Retrospektive.

Des Onkels dreißig Jahre Alleinleben fordern ihren Tribut. Sein Leben ist ein Einfaches ohne echte Beschäftigung, denn es ist ein Gestrandetes, der einzige Lebenszweck sind seine Rollerfahrten zum Supermarkt. Bis ihn sein Gesundheitszustand in Alarmbereitschaft versetzt.

Der besondere Reiz des 137 Seiten starken Romanbüchleins liegt, und der wird dem Wort „stark“ gerecht, in der ausdrucksstarken Kraft der Sprache. Lange Sätze seien kompliziert verschachtelt und stoppen den Lesefluss, aber nicht hier. Es trifft genau das Gegenteil zu. Ich lebe diese Konstruktionen und sie führen zu großem Lesegenuss.

Gisler ist zweisprachig aufgewachsen. „Französisch ist meine Kindersprache, Deutsch Schulsprache“, sagt Gisler. Die französischen Erstfassung hat Gisler selbst ins Deutsche übersetzt. Doch „D’oncle“ und „Vom Onkel“ sind nicht identisch, Gisler selbst nennt den Prozess „neu schreiben“.

REBECCA GISLER, geboren 1991 in Zürich, studierte von 2011 bis 2014 am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel und absolvierte anschließend den Master-Studiengang Création littéraire an der Universität Paris 8. Sie schreibt auf Deutsch und auf Französisch; Veröffentlichungen von Lyrik und Prosa in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien; Mitorganisatorin der Reihe Teppich im Literaturhaus Zürich. Ihr Debütroman Vom Onkel, den sie auf Französisch und auf Deutsch verfasst hat, erschien im Herbst 2021 unter dem Titel D’oncle in Frankreich und wurde für mehrere Literaturpreise, u.a. für den Prix Les Inrockuptibles, nominiert. Mit einem Auszug aus der deutschen Fassung gewann sie 2020 den Open Mike in Berlin und 2022 wurde »Vom Onkel« mit einem der Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet. Rebecca Gisler lebt in Zürich und Paris.

Bewertung vom 20.11.2022
Bullet Train
Isaka, Kotaro

Bullet Train


sehr gut

Zwölf Jahre mussten vergehen seit das Original „Mariabitoru“ in Tokio erschien, zuvor musste noch der Film „Bullet Train“ gedreht werden, bevor sich Hoffman & Kampe sich „erbarmte“ und die deutsche Fassung herausbrachte.

Krimi- und vor allem Thriller Puristen werden diese Krimödie mit einem müden Lächeln abtun, aber genau das ist der Punkt. „Bullett Train“ ist Krimi-Kabarett vom Feinsten. Erst das erkannt, beziehungsweise sich damit „angefunden“ zuhaben, beginnt der Lesegenuss.

Fünf gefürchtete Killer im 500 km/h schnellen Shinkansen.

Von den richtigen Kabarettisten auf der Bühne allein oder in Doppelconférence die Dialoge von den Zitrusfrüchten - Zitrone&Mandarine orchestriert bringt das Publikum vor Lachen zum Brüllen, Tränen weinen, unablässig Schenkelklopfen und ekstatisch in Standing Ovation zu schwelgen.
Die Telefondialoge zwischen Nanao und seiner Chefin Maria, einer mysteriöse jungen Frau sind überaus köstlich, die Schwierigkeit ist nur, dass die feuchten Augen das Lesen erschweren. Sie managt ihn, einen Koffer voller Geld zu stehlen und an der ersten Haltestelle auszusteigen. Gelingt es ihm?

…“Vor Lachen die Bäuche gehalten!“ (S. 59) Wie wahr.

Achtung vor dem kleingewachsenen Jungen im Schulblazer, es könnte ihre Majestät der „The Prinz“ sein, mit größter Lust zu morden. Risiko treibt ihn an, ebenso wie eine gute philosophische Debatte und Fragen wie: Ist Töten wirklich falsch? Kimuras kleiner Sohn liegt von „The Prince“ verschuldet im Koma. Kimura hat ihn in einem Shinkansen aufgespürt, der von Tokio nach Morioka fährt, um Rache zu üben. Aber Kimura entdeckt bald, dass sie nicht die einzigen gefährlichen Passagiere an Bord sind.

Nanao, der „Marienkäfer“, der glückloseste Profi der Branche, vertieft in ein vertrauliches Vieraugengespräch mit dem Wolf, der zufällig und völlig überraschend sich das Genick bricht. Es darf getrauert werde, aber nur mit Hand vor dem Mund.

Warum sitzen sie alle im selben Zug und wer schafft es lebend bis Morioka?

Kotaro Isaka, geboren 1971, ist einer der international erfolgreichsten japanischen Krimi-Autoren der Gegenwart, der mit fünf der wichtigsten Japanischen Literatur- und Krimipreisen ausgezeichnet wurde. 14 seiner 24 Romane wurden verfilmt. Seine Bücher erscheinen in China, Korea, Thailand, Taiwan, Indonesien, Litauen, Russland, Italien und Frankreich.

Bewertung vom 12.11.2022
Glutnacht / Renée Ballard Bd.3
Connelly, Michael

Glutnacht / Renée Ballard Bd.3


ausgezeichnet

Renée Ballard #3
Endlich liegt die deutsche Übersetzung von The Night Fire vor mit einer Zeitverzögerung von fast drei Jahre. Es ist erst das zweite Mal, dass LAPD Detective Renée Ballard mit Harry Bosch zusammenarbeitet. Harry Bosch ist seit vier Jahren in Pension, Ballard in die Nachtschicht Late show verbannt und von der Mordkommission, der Robbery-Homicide Division (RHD) des Los Angeles Police Department gemieden - nachdem sie Captain Olivas der sexuellen Belästigung angeklagt hatte und von ihrem Partner verraten wurde.

John Lack Thompson, Boschs Mentor hat ihm ein Mordbuch - murder book, die gesammelte Ermittlungsdokumentation hinterlassen. Der ungeklärte Mord am jungen John Hilton in einer Durchfahrt, die für Drogengeschäfte genutzt wird vor fast zwanzig Jahren. Warum war dieses Mordbuch im Besitz von J.J. Thompson? Bosch wäre nicht Bosch, wenn das nicht herausfinden wollte, mit der Hilfe von Ballard. Je enger ihre Zusammenarbeit wird, desto beeindruckender werden die beiden als Ermittlerteam, wobei Ballard Bosch immer außen vorlassen muss, um später vor Gericht keinen Angriffspunkt zu riskieren. Zentrale Frage: Hat Thompson das Mordbuch gestohlen, um den Fall im Ruhestand zu bearbeiten, oder um sicherzustellen, dass er nie aufgeklärt wird?
Im Gerichtssaal wird gerade der Fall des ermordeten Supreme-Court-Richter Walter Montgomery verhandelt. Der Verteidiger RA Mickey Haller, Boschs Halbbruder, bittet ihn, einen Zeugen, der den Angeklagten entlasten soll zu finden und per Vorladung in den Zeugenstand zu bringen. Das Vorhaben gelingt, durch diese Zeugenaussage wird die Mordanklage fallengelassen, sehr zum Missfallen der ermittelnden Detectives, die Bosch nachrufen, „er hätte die Seiten gewechselt und einen Mörder laufen gelassen.“ Doch Bosch wäre nicht Bosch, wenn er das auf sich beruhen ließe.

Ballard wird während ihres Nachtdienstes zu einem Todesfall gerufen. Ein Obdachloser ist in seinem Zelt verbrannt, die geschmolzene Zeltplane hat sich wie eine zweite Haut um seinen Körper geschmiegt. Auf den ersten Blick wie ein Unfall, doch Ballards untrüglicher Instinkt sagt was anderes.

Unübertroffen und von immenser Spannung sind die Dialoge zwischen Ballard und Captain Olivas nach der Festnahme eines Verdächtigen (Elvin Kidd). Zwischen den beiden sprühen die Funken, Ballard lässt sich nicht unterkriegen und beweist zum wiederholten Mal, dass sie ihrem Gegenüber zumindest ebenbürtig, wenn nicht überlegen ist.
Connelly hat mit seinem Stil eine riesige Fangemeinde gegründet, was nicht zuletzt seine verkauften Bücher beweisen. Er bleibt diesem treu und das wissen seine Leser zu schätzen. Detailverliebt beschreibt er Gerichtsverfahren im Stil eines John Grisham und unterweist uns in die Struktur des LAPD, pardon Los Angeles Police Department, mit unzählig weiteren Abkürzungen – für die ein Glossar von Nutzen wäre. Feiner Humor ist das Seine.

Die gute Nachricht für alle Connelly-Fans: Die Renée Ballard-Story ist nicht zu Ende, der vierte Teil The Dark Hours sind soeben auf englisch erschienen, auf die deutsche Ausgabe heißt es noch etwas warten. Im Nachlass von John Jack Thompson gibt es noch einen weiteren Fall, den der 1982 verschwundenen Sarah Freelander. Bosch und Ballard wollen sich diesen Fall vornehmen!

Mit 60 Millionen verkauften Büchern weltweit zählt Michael Connelly zu den erfolgreichsten Autoren weltweit.

Bewertung vom 06.11.2022
Unter Strom
Kummer, Tom

Unter Strom


ausgezeichnet

Vorbemerkung. 1985, als sich der spätere Skandaljournalist Tom Kummer und die Kellnerin Nina finden, sind beide blutjung. Aus Chaos wird exzessive Liebe. 2017 hat Tom Kummer einen Roman über das Leben mit seiner 2014 früh verstorbenen Frau geschrieben - cool und traurig: „Nina & Tom“. Die Liebesgeschichte von Tom und Nina Kummer. Autobiografisch. 2020 erscheint der Roman „Von schlechten Eltern“, in dem die Vergangenheit von Nina und Tom immer präsent ist. Die Trilogie Tom Kummers emotionale Aufarbeitung von Ninas Tod endet mit „Unter Strom“. In drei Tagen auf 251 Seiten. Nicht „Die drei Tage des Condor“, sondern die „Die drei Tage der Nina“.

Es bleibt nur zu hoffen, dass Kummer mit seinem dritten Roman das Trauma um den Tod seiner Frau Nina abschließend verarbeiten kann; Doch was wissen wir als Außenstehende?

Eine fiktionale Auseinandersetzung mit Ninas Leben, bald wird offensichtlich, dass hinter dem literarischen Tom der Kummer Tom steckt, der seit Anfang zu wissen scheint, dass der Ausbruch von Nina nicht gut gehen wird. Aber nicht nur dieses; es ist ihm zumindest gleich wichtig, Ninas Freundin Sarah nach allen Regeln eines Feminismus-Gegners zu verunglimpfen. Einer der nicht akzeptieren kann, dass es keine Alternative für ein Zusammenleben mit ihm gibt, ohne auf die wahren Bedürfnisse der Frau einzugehen, mit dem einzigen Argument - auf Seite 251: „Und Tom sagt; ´Ich liebe dich! ´“

Nina reist mit einem “one-way-ticket” von Los Angeles nach Zürich, um nach sieben Jahren ihre Freundin Sarah wiederzutreffen. Was hat sich Nina eigentlich von Sarah erwartet? Oder ist die Frage doch andersrum zu stellen? „Sie machen einen Roadtrip durch die Schweiz“ (siehe Umschlagrückseite) - die paar unergiebigen Ausfahrten ergeben keinen echten „Roadtrip“. „Girls just wanna have fun“ möchte Cyndi Lauper sagen oder „Gib Gas - ich will Spaß“, viel mehr Aufmerksamkeit erregt die 1969 Norton Commando 750. Sarah liebt Ninas Körper, ihre unscheinbaren Brüste, die langen Brustwarzen, den knabenhaften Oberkörper, etwas jünger und kleiner als die dominante Sarah. Kulminationspunkt ist Sarahs Megageburtstagsparty mit Freundinnen und anderen weiblichen „Gästen“, die nicht nur nach dem bereits bekannten Motto „Girls just wanna have fun“ „hungern“, sondern nach Drugs & Sex gieren. Männer sind entbehrlich, wenn Nina und Sarah Sado-Maso-mäßig in die Vollen gehen (Offizielle Leser/innen-Empfehlung ab 17 Jahren). Es wird nicht bis zum Abwinken gefeiert, sondern bis die Schweizer Polizei für Recht und Ordnung sorgen möchte. Hat jemand das knabenhafte Mädchen Nina gesehen?

Tom Kummer ist ein Schweizer Schriftsteller und Journalist. Im Jahr 2000 wurde aufgedeckt, dass er große Teile seiner Interviews erfunden hatte, was einen Medienskandal auslöste. 2017 startete der Autor einen erfolgreichen Neuanfang.

Bewertung vom 04.11.2022
Die glücklichsten Menschen der Welt
Soyinka, Wole

Die glücklichsten Menschen der Welt


ausgezeichnet

Wole Soyinka, Nigerianer und Literaturpreisträger, 87 Jahre alt, hat uns 50 Jahre warten lassen – auf diesen Roman. Seine nigerianische Heimat spielt die geographische Hauptrolle, er thematisiert globale Probleme wie Korruption und moralische Dekadenz; Das Ergebnis eine bitterböse Politsatire und Krimi in einem. Laut einer fragwürdigen Internetumfrage soll Nigeria das Land mit den glücklichsten Menschen der Welt gewesen sein.

Es ist Vorwahlkampf um das Amt des Präsidenten. Worin besteht nun das vermeintliche Glück der Bevölkerung? Dass sie in der Müllhalde nach Verwertbaren suchen, oder ist es eher das Glück der politischen Upperclass, die auf diese hinunterschauen. Oder sind es die zelebrierten opulenten Festivitäten und immer wieder neuen skurrilen Preisverleihungen?

Die Abgesandten einer „Fleischfabrik“, die einen Handel mit Körperteilen betreiben, sprechen bei Chirurg Dr. Kighare Menka, der gerade einen Preis gewonnen hat vor und wünschen sich seine „Mitarbeit“. Sein guter Freund Duyole Pitan-Payne, ein viel geachteter Ingenieur ist für eine Stelle bei der UN in New York nominiert worden. Die Regierung ist froh, dass sie einen Kritiker los sind, andere wollen seinen Wechsel in die USA verhindern. Noch wissen wir nicht, wer diese anderen sind.
Die dritte zentrale Person ist ein amoralischer Pseudoguru, ein machthungriger religiöser Führer, Papa Davina oder auch Bischof Teribogo. Erst sehr spät wird uns seine wahre Identität offenbart.

Zwei der Hauptakteure werden durch perfide Attacken schwer getroffen. Der eine verliert, nachdem man ihn nach Salzburg zu einer Operation überführt hat sein Leben, dem anderen wird sein Haus abgefackelt. Wohin mit der Leiche. Es entsteht eine absonderlich skurrile Situation: Sein Freund möchte ihn in Nigeria begraben, DIE FAMILIE in Salzburg. Ein makabres Kräftemessen, das der Leser nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis nimmt.

Ein epochales literarisches Meisterwerk auf 614 Seiten „säuberlich“ in zwei Teile und insgesamt in 23 Kapitel gegliedert, mit angeschlossenem Glossar. Eine zum ungläubigen Staunen geleitete Darstellung der politischen, gesellschaftlichen und „verzwickten“ privaten Verhältnisse in Nigeria.

Anekdotisch legt Soyinka ein desillusioniertes Bild der nigerianischen Gesellschaft offen, mit beißender Ironie, für einen ungläubigen Leser beschreibt er Szenen, die an Direktheit nicht zu überbieten sind. Die zuweilen überlangen Sätze zwingen zum konzentrierten Lesen, doch ist der Genuss, dank der grandiosen Übersetzung überwältigend.

Bewertung vom 13.10.2022
Wilderer
Kaiser-Mühlecker, Reinhard

Wilderer


ausgezeichnet

Kaiser-Mühlecker schreibt die Geschichte um den legendären Bauern Jakob Fischer aus Oberösterreich weiter.
"Wilderer" erzählt von Jakob, der bereits als Jugendlicher früh im den vom Vater durch Landverkäufe fast zugrunde gerichteten Familien-Bauernhof schuften muss. Praktisch alleine bewirtschaftet er den Hof, mit den Kühen geht es wegen des fallenden Milchpreis zu Ende, vergeblich versucht er eine Hühnermast, die Fischzucht misslingt. Trostlos und ohne Perspektive unter der dröhnenden Autobahn, hält er sich den Revolver an die Schläfe …
Selbst das familiäre Umfeld ist trist und wenig aufbauend mit rigider Kommunikation. Der Vater, von Jakob nur „Bert“ genannt, hat, wenn er überhaupt anwesend ist, kein Interesse am Hof; die Mutter – ein stummer Haushaltsmensch, sein um 15 Jahre älterer Bruder Alexander, der einst für Jakob das große Vorbild war, ist blad, träge und lebt mit einer Stadttussi eben dort. Die zwielichtige Halbschwester Luisa, wenn sie denn unverhofft unangemeldet solo am Hof erscheint ist nichtsnutzig, ein ungeliebter dauerquasselnder Teilzeitgast auf den der geile „Bert“ spechtelt. Die Großmutter verlässt den ersten Stock nicht: Wem wird sie ihr Vermögen vermachen?

Nebenbei arbeitet er als „Schulwart“ und hilft bei anderen Bauern aus. Er sehnt sich nach der ausbleibenden Anerkennung, fühlt sich ausgebeutet. Jakob ist wortkarg, zurückhaltend, menschenscheu. Er kommt mit ein paar Stunden Schlaf aus, zur Abwechslung stöbert er in Tinder.

Diese Tristesse wird erst durchbrochen als Katja, eine Malerin und Zeichnerin aus dem Salzkammergut sich im Schulwarthäuschen für ein Stipendium einquartiert, dessen Zimmer Jakob renoviert hat. Jakob und Katja „lernen sich kennen“. Nach drei Monaten reist wieder ab, doch sie kehrt zurück und zieht auf den Hof. Mit ihr als „Anpackerin“ scheint Jakobs Landwirtschaft in Schwung zu kommen. Er hilft Fritz, einem kränklichen Nachbarn, der ewig nicht wiederkommt, bei dessen Schweinezucht. Er lernt rasch in der Hoffnung, mit dieser Tierhaltung ebenfalls Erfolg zu haben.
Jakob und Katja werden ein Paar; er ist glücklich, aber misstraut dem Glück zunächst noch. Katja entwickelt einen Plan für eine Schweinezucht, verhandelt mit Fritz einen Pachtvertrag. "Jakob schien jetzt manchmal fast alles möglich." Und dann geschieht es doch noch: die Aussöhnung Jakobs mit der Großmutter, kurz vor ihrem Tod. Sie hatte das Geld noch, wusste um Jakobs Eifer, wollte es nicht Bert vererben, daher gibt sie es Jakob. Über die im Dorf gemunkelten Vorbehalte, es sei "Judengeld", setzt er sich hinweg. Er und Katja haben jetzt nicht nur beruflich Erfolg – sie bekommen Marlon, einen Sohn. Der Hof wird sogar als "Betrieb des Jahres" ausgezeichnet; Honoratioren feiern den jungen Landwirt. „Er dachte, was er nicht oft, aber von Zeit zu Zeit dachte: Ich darf diese Frau niemals verlieren.“

Hier sollte sich der Leser nicht auf eine Fortsetzung á la Rosamunde Pilcher hoffen, denn Kaiser-Mühleckers Roman ist weder ein Bauern-, noch ein Heimatroman, schon gar kein Anti-Heimatroman. Er erzählt völlig humorlos und ohne Ironie – das Lachen kann dem Leser erst überhaupt nicht aufkommen, denn es gibt nichts zu Lachen. Eher geht es um Existenzielles. Der allwissende Insider beschreibt in be“stechenden“ Stil, weder als Kläger, noch als Beklagter und legt das Seelenleben der Mitspieler detailreich offen.
Wer sind nun die „Wilderer“? Damit sind zwei streunenden und wildernden Hofhunde gemeint. Sie gehören nicht auf einen Hof und Jakob löst das Problem auf völlig empathielose Weise; diese Empathielosigkeit ein wesentliches Merkmal Kaiser-Mühleckers Roman. Doch diese Hunde sind nicht die einzigen Wilderer im Roman und auch andere gehören nicht auf den Hof. Die Natur fordert Wildsein, das Überleben als Landwirt benötigt einen harten Willen, einen Willen zum Wildsein.

Stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2022. Dafür hat er Chancen auf den Österreichischen Buchpreis 2022.

Bewertung vom 23.09.2022
Sommernacht
Foley, Lucy

Sommernacht


sehr gut

Eine Hochzeitsfeier wird für die Gäste zu einem Katalysator persönlicher Abgründe, dem Aufbrechen aller dunklen Geheimnisse und einer tödlichen Abrechnung. Ein atmosphärischer Thriller, der mich an Agatha Christies geniales Konzept ihrer unerreichten Thriller „Tod auf dem Nil“ und „Mord im Orientexpress“ erinnert. Auf Cormorant Island vor der Westküste Irlands versammeln sich Gäste, um einer Hochzeitszeremonie beizuwohnen. Sinnbildlich für diesen Thriller steht eben der Kormoran, „in den örtlichen Mythen und Legenden als Unheilbringer, in vergangenen Zeiten stand der Vogel symbolisch für Gier, Unglück und das Böse“, S. 26. Eigenperspektivisch schildern sechs Personen den Vorabend der Hochzeit und die eigentliche Zeremonie: Aoife, die Hochzeitsplanerin, Hannah, die Begleitung und Ehefrau von Charlie, vermutlich ein Ex der Braut, Jules, die Braut, Johnno, der Trauzeuge, der vermeintliche Freund des Bräutigams, Olivia, die Brautjungfrau, Halbschwester von Jules und Ex-Geliebte des Bräutigams und viel später Will, der Bräutigam.

Noch bevor die Hochzeitstorte mit einem großen von Aoife extra scharf geschliffenen Messer angeschnitten wird braut sich ein Sturm mit Stromausfällen auf. Dieser steht wieder sinnbildlich für das Aufbrechen von feindseligen Animositäten zwischen den betrunkenen Gästen. Zwischen Williams alten Internatsfreunden und Jules engen Freunden und Verwandten gibt es viele Geheimnisse und Intrigen. Als alte Geheimnisse aufgedeckt werden, bleibt die Frage, wer es getan hat und warum?

Foley zeichnet die entsprechenden Charaktere mit derart viel Hintergrund aus, dass es schwierig war, mich festzulegen, wer denn der Mörder und das Opfer sein könnte.

Bewertung vom 08.09.2022
Wir alle sind Widerlinge
Lorenzo, Santiago

Wir alle sind Widerlinge


ausgezeichnet

Santiago Lorenzo, eigentlich Filmproduzent, hat sich zum Schreiben aus der eingebildeten Großstadt Madrid ins öde Bergland zurückgezogen – wie sein Antiheld Manuel. Auf diese Weise musste er sich mit seinem Roman eingestehen „Wir alle sind Widerlinge“ - im Original „Los Asquerosos“. Sein vierter Roman, ein vielbeachteter Bestseller.

Ein verhängnisreicher Sommer in Madrid. Der kleinwüchsige 24jährige menschenscheue Manuel wird während einer Demonstration in der Eingangshalle seines Wohnhauses von einem Polizisten brutal angegriffen. In seiner Not rammt er dem Polizisten seinen Schraubenzieher in den Hals. In dem Glauben, den Polizisten getötet zu haben und einer Mordanklage mit Gefängnis ausgesetzt zu sein, flieht er mit der Hilfe seines Onkels - dem Ich-Erzähler - aus Madrid. Manuel soll für die Behörden möglichst unauffindbar und für den Rest der Gesellschaft unsichtbar sein, deshalb „bezieht“ Manuel im öden menschenverlassenen keltiberischen Bergland eine Bruchbude, ohne Wasser und ohne Strom. Ohne menschlichen Kontakt, nur mit der monatlichen Lidl-Lieferung allen Notwendigsten, die sein Onkel organisierte. Manuel mutiert zum abgekapselten Asketen, selbstgewollt oder den Umständen geschuldet? Manuel hat nichts und braucht nichts, zumindest nichts Materielles. Nur Einsamkeit und Zeit hat er im Überfluss, den er innigst zu lieben beginnt und die Abwesenheit von Menschen. Bis zu dem Zeitpunkt als eine laut grölende neureiche madrilenische Sippe das Nachbarhaus als Wochenenddomizil bezieht. Santiago Lorenzo lässt ab jetzt seiner Antipathie gegenüber dem Konsumwahn der Gesellschaft und deren ausschweifenden Lebensgewohnheiten freien Lauf. In Manuel wächst der Widerstand gegen diese Eindringlinge und er schmiedet aus Rache einen Vertreibungsfeldzug.
„Mittelfristig prognostiziert Manuel darüber hinaus zusätzliche Unannehmlichkeiten, die zwar prosaischer Natur, einer Prävention jedoch nicht minder würdig waren“ (s. 158).
„Dennoch musste man sie sich vom Hals schaffen, da ihre Art des In-der-Welt-Seins klinisch gesehen divergent zu der seinen war“ (S. 171).
Manuel ersinnt „raffinierte Hundsföttereien“. Seine Taktiken bestachen durch „retardierende Zersetzung und aufgeschobene Wirkung“.
"Wie könnte man unbemerkt ein Haus sabotieren?“, das hat sich Lozenzo zu Beginn des Romans gefragt. In seiner unnachgiebigen Abscheu vor dem „Vulst“ kennt Lorenzo keine Grenzen.

Die zwei Übersetzer m/w Daniel Müller und Karolin Viseneber haben eine außergewöhnliche, im positivsten Sinn des Wortes eine eigenartige Übersetzung geliefert. Um die literarische Sprache von der Alltagssprache abzuheben, haben sie den Neologismus zu ihrem eigenen Stil erkoren. Diese Stolpersteine verlangen vom Leser volle Konzentration, der Duden hilft nicht immer.

Trotzdem ist das Lesen köstlich, kaum zu glauben wie komisch und mit offenen Humor Satire literarisch umgesetzt werden kann. Dass hinter dem, über jeden Lebensabschnitt Manuels bestens informierten Onkel der Autor Santiago Lorenzo steckt, ist meine starke Vermutung. Eben Filmemacher und Drehbuchschreiber.

Bewertung vom 28.08.2022
Die Spur - Er wird dich finden / Björk und Brand Bd.3
Beck, Jan

Die Spur - Er wird dich finden / Björk und Brand Bd.3


ausgezeichnet

Der Thriller beginnt in Salzburg. Eine amerikanische Touristenfamilie macht mit ihrem kleinen Sohn im „Salzburger Schnürlregen“ einen Spaziergang über den berühmten Domplatz zum Kapitelplatz.
Zur riesigen goldenen Kugel mit einer männlichen Figur darauf, der Sphaera von Bildhauer Stephan Balkenhol 2007 im Rahmen des „Kunstprojektes Salzburg“ geschaffen. Daneben auf einem verwitterten Freiluftschach sitzt einsamer Straßenkünstler, der die Spielfigur des Königs mimt; er schimmert von Kopf bis Fuß golden. Das amerikanische Bürschchen möchte mit dem König in Kontakt treten, der goldene Schachkönig kippt tot von seinem Sockel. Der Todesreigen hat begonnen. Weiter geht es in Paris, zum nächsten Mord und danach zur dritten Leiche nach Lissabon. Drei Morde in drei Städten (siehe Rückseite Buchumschlag). Jedes Opfer wurde in der Art einer Skulptur öffentlich in Szene gesetzt und mit einer großen Liebe zum Detail, aufwendig und kunstvoll anmutend präpariert.

Wiedersehen macht Freude: das ungleich Ermittlerpaar Inga Björk und Christian Brand von Europol aus Den Haag wird mit der Aufklärung der Morde beauftragt.
Die zwei Ermittler aus A und D/S, mit denen Beck in beiden Ländern seine Fans hat. Christian Brand, ehemaliges Mitglied der polizeilichen Sondereinheit COBRA, ruhig bis teilnahmslos, dafür umso geheimnisvoller, Inga Björk, IT-Nerd, Super-Recongnicer, mit leichter autistischen Tendenz und trockenem Humor bis humorlos.

„Die Spur“ war der dritte Roman von Jan Beck, den ich gelesen habe. Nachdem ich die ersten zwei Bände jeweils mit 5 Sternen beurteilt habe, habe ich mit großer Erwartung und Begeisterung den dritten Band zu lesen begonnen und wurde nicht enttäusch, ganz im Gegenteil. Ab der ersten Seite hat mich „Die Spur“ in den Bann gezogen mit Becks extravaganten Stil, die klare und unaufgeregte Sprache - köstlich, dichter Erzählung, ohne Klischees und Banalitäten. Was schätzte ich am Thriller am meisten: den Plot, nachvollziehbar und nicht übertrieben, die ausgeklügelte Struktur der Kapitel mit Personen- und Ortsbeschreibungen. Und nicht zuletzt die berührenden Kapitel der Ich-Erzählerin Amélie.