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LichtundSchatten

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Insgesamt 246 Bewertungen
Bewertung vom 09.05.2024
Überlebenskünstler
Enzensberger, Hans Magnus

Überlebenskünstler


ausgezeichnet

Hans Magnus Enzensberger als Schriftsteller ist mir von allen seinen Büchern her bekannt. Ein unbestechlicher, klarer Denker ohne Eitelkeiten. Seine Aussichten auf den Bürgerkrieg (1994!) und die Schreckensmänner sind absolut weit blickende hellsichtige Bücher!

In diesem Buch der literarischen Vignetten gelingt ihm ein spannendes Werk mit Kurzskizzen von Schriftstellern, auf jeweils wenigen Seiten, von bekannt bis weniger bekannt, die alle auf eine ganz eigene Art und Weise überlebt haben. Gegen alle Widerstände und das Vergessen. Höchst eigensinnig willig dem Schreiben ergeben.

Günter Eich war mir vom Radio ein Begriff, ich habe seine Stimme immer geschätzt, ebenso die Hörspiele.
Wir sind mit ihm tief drin im Überleben während der Nazi Zeit. Und später in seiner Art und Weise, sich nicht mehr zu sehr auf andere oder Ideologien einzulassen. Sich um niemand zu kümmern, außer um sich selbst.

Heimito Doderer schrieb „Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre“, ein Werk, das eine langweilige Stiege in Wien weltberühmt machte. Inhalt: verwirrend, schwer fassbar. Doderer sagte: „Der Schriftsteller ist ein ekelhafter Kerl.“

Genau so war er und die Strudlhofstiege versuche ich seit Jahren zu Ende zu hören. Tatsächlich hat sein Verlag ein Doderer ABC herausgegeben, Untertitel: Ein Lexikon für Hermitisten. Es ist 487 Seiten stark und hat im Personenregister 337 Namen. Es gibt noch ein zweites Buch dieses schwer Begreifbaren, von Klaus Nüchtern!, „Kontinent Doderer, eine Durchquerung“.

Lesen werde ich Iwan Bunin, 1870-1953, dem literarische Moden völlig egal waren. „Auch nach ein paar Menschenaltern wirken seine Erzählungen sonderbar frisch. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie vom. Wichtigsten im Leben, vom Unvorhergesehenen, handeln. Stilistisch war er Dostojewski…weit überlegen.“

Enszensberger schreibt auf den Punkt, jene Trigger-Punkte, die einen neugierig machen auf ein Leben und Schreiben eines Anderen. Ein großartiges, gelungenes Buch.

Bewertung vom 09.05.2024
Das Grosse Erwachen gegen den Great Reset
Dugin, Alexander

Das Grosse Erwachen gegen den Great Reset


sehr gut

Die, die alles dekonstruiert hat, die Postmoderne, soll dekonstruiert werden. Weil sie mit ihrem Vorgehen dabei ist, ihre eigene Kultur auszulöschen. So Alexander Dagin, der in diesem Buch anmahnt, dass der Westen als eine der möglichen Zivilisationen nicht das Recht habe, seine Sicht auf alle anderen Völker zu übertragen. „Die Abschaffungskultur (die LGBT+, BLM und feministische Tendenzen einschließt) ist wie ein Aufruf zur Abschaffung aller anderen Arten von Kultur. Es ist der Völkermord an der westlichen Kultur.“

So sieht Dagin den Liberalismus in seiner aktuellen Ausprägung als ein Verbrechen gegen die Menschheit - schlimmer als Faschismus und Kommunismus. Nicht also die offene Gesellschaft und ihre Feinde, sondern verschiedene Gesellschaften, die sich in einer multipolaren Welt gegenseitig respektieren, ist sein Ziel für das Funktionieren eine Vielzahl von Zivilisationen.

Russland steht auf den Füßen einer mongolisch geprägten Zentralverwaltung und den christlichen Konzepten des byzantinischen Reiches. Die Verirrung des Kommunismus habe gezeigt, dass es richtig ist, an die ehemalige Größe des russischen Reiches anzuknüpfen, ohne jedoch Größe an sich als Wert zu sehen. Man möchte in Ruhe die eigene Kultur leben, nicht vom westlich dekadenten Liberalismus überrollt werden.

Global denkende Unternehmen und Präsidenten/Kanzler wollen einen unipolare Welt, in der sich alle Menschen gleich verhalten und entsprechend mit Produkten versorgt werden können. Dugin lehnt das ab und fordert jeder Kultur, jeder Nation die Anerkennung ihrer eigenen Wahl und Traditionen. Er sieht den Versuch einer weltweiten Diktatur der liberal-kapitalistischen Eliten, gegen die sich Russland stellt.

Dugin formuliert das große Kontra gegen Antichristen und alle völlig enthemmten Spielarten des westlichen Liberalismus, er möchte wertvolle Traditionen bewahren und den wahren Reichtum der menschlichen Vielfalt wieder aufleben lassen, in Kooperation und Toleranz. Dabei sieht er Russland zunächst als ein Gebiet mit eigener Kultur und Traditionen, die sich nicht per se in den Werten des Westens wiederfinden möchte.

Viele Aspekte kann ich nachempfinden und sehe sie als ein großes Damoklesschwert am Himmel von Menschen im liberalen Westen, die auch nicht den geringsten Zweifel an ihrem Vorgehen haben. Sie meinen die Menschheit mit ihren Sichtweisen von Menschenrechten und Demokratie beglücken zu müssen und allen das westliche Wertesystem aufzuzwingen. Dies ging schon im arabischen Frühling völlig schief und wird auch in Zukunft an seine Grenzen stoßen.

Dugin meint, dass der Kapitalismus schuld war am Sklavenhandel und der Ausbeutung von Menschen. Es mag in Teilen zutreffen, nicht aber zur Gänze. Auch religiöse Einstellungen spielten eine Rolle und leider hat es Sklaven in fast allen Gesellschaften gegeben, bis zum heutigen Tag. Der liberale Westen, d.h. die englische Demokratie hat die Sklaverei für Europa angegriffen und beendet. Eine einzigartige Leistung von Freiheit und Menschenrechten.

Das Buch zu lesen, war für mich eine Art von Schock. Der liberale Mensch aus dem Westen wird darin als Faschist beschrieben, der Bürgerkrieg schürt, für soziale Ungerechtigkeit sorgt sowie Besatzung, Kolonisierung und Entmenschlichung ausübt. Gerade, weil er es gut meint, aber nicht jeder andere dieses Gute als Gut ansieht, sondern als das Gegenteil seiner Kultur.

Die politische Theorie von Dugin sieht eine Rückkehr zur Erde vor, „das heißt, die Rückkehr zu den Menschen, die Rückkehr zu den Ursprüngen, die Rückkehr zu den Quellen.“ Seiner Ansicht nach sollten die Worte von Nietzsche Wirklichkeit werden: „Meine Brüder, bleibt der Erde treu.“ Der russische Mensch war nie ein Stadtmensch, er war meist seiner Scholle, seinem Land treu.

Hier sieht Dugin eine wichtige Komponente seiner politischen Theorie, die mit der gelebten Praxis des ländlich und bäuerlich russischen Menschen für ihn heute wieder seinen Anfang nimmt. Sie sind gerichtet gegen die sogenannten finalen Riten der westlich liberalen, städtischen Welt, als da wären: Schwulenparaden, BLM-Aufstände, Gendersprache, imperialistische LGBT+Angriffe, Regenbogenflaggen an Regierungsgebäuden, Aufstände des wilden Feminismus etc.

„Unser Imperium ist 1991 gefallen. Heute sind sie (die Globalsten) an der Reihe. Und es ist unsere Pflicht, als völlig souveräne und unabhängige geopolitische Einheit in die Geschichte zurückzukehren.“ (Letzter Satz dieses vor dem Ukraine Krieg erschienenen Buches).

Bewertung vom 05.05.2024
Unerhört - Esther Vilar und der dressierte Mann
Baur, Alex

Unerhört - Esther Vilar und der dressierte Mann


ausgezeichnet

Mehr noch als ihre Bücher haben mich schon immer ihre Interviews und Reden beeindruckt. Esther Vilar ist eine Ausnahmeerscheinung und ein erstes Beispiel für Cancel Culture.

Ihr erstes Buch, „Der dressierte Mann“, wurde von vielen nicht gelesen und trotzdem negativ besprochen, der Mob hatte sich mit dem linken Zeitgeist verbündet und alles gegen Esther Vilar unternommen, von ganz oben bis hinunter in die Straßenbahn. Als sie dort 1978 geohrfeigt wurde (im Auftrag einer Frau) schrieb Alice Schwarzer: „Die Vilar soll ja mal eine Ohrfeige eingefangen haben. Das kann ich gut verstehen. Mich würd’s auch mal reizen, ihr eine zu scheuern.“

Nun, wer wissen will, wieviel Frau Schwarzer einstecken musste, der lausche gebannt dem Interview vom 6. Februar 1975, Alice Schwarzer versus Esther Vilar. Die geradezu pistolenartig vorgebrachten Vorwürfe der Schwarzer gipfeln dort in dem Faschismusvorwurf gegenüber ihrer Kontrahentin. Für mich ist dieses Video Pflicht für den Umgang mit ideologisch erstarrten Personen wie Schwarzer. Einfach unvergleichlich, wie cool und gelassen sowie höchst sachlich Esther Vilar darauf reagierte. Hier zeigt eine Hochbegabte einer Populistin ihre Grenzen.

Alex Baur gelingt mit diesem Buch ein Meisterstück, es zeichnet eine Frau in jenen psychologischen Schichten nach, die Schwarzer in ihrer holprigen Art aus Esther Vilar heraus fuchteln wollte. Tatsächlich lebte Esther Vilar ein glückliches, weit gespanntes, spannendes Leben, völlig gleichberechtigt und gegen alle Anfeindungen, auch jener Frau, die der deutschen Frauenemanzipation niemals einen Gefallen tat. In dem oben beschriebenen Interview muss man nur in die beiden Gesichter und ihre grundverschiedenen Ausstrahlungen mitfühlen. Die bei mir auftauchenden Gegensatzpaare kann ich hier nicht anführen.

Der Unterschied zwischen männlicher Frauenemanzipation und der weiblichen wird mehr als deutlich, Alice Schwarzer verkümmert zu einer Person, mit der man trauern muss. Im Interview fragte sie Esther Vilar geradezu anklagend immer wieder nach ihrem Privatleben, eine ungeheuerliche Entgleisung, auch in der Nachbetrachtung, ja, sie möchte sie anklagen, sogar gerichtlich. Wie man darauf richtig reagiert, Esther Vilar vermittelt ein Lehrbeispiel für alle Menschen, die angegriffen werden. Trotzdem gehen die üblen Samen auf und nach ihrer Flucht 1978 in die Schweiz schreibt Esther Vilar: „Ich habe die Bundesrepublik nach vielen Monaten sadistischen Psychoterrors für immer verlassen.“

Dieses Buch führt ein Stück der von mir selbst erlebten Geschichte aus den 70ern bis heute vor, ohne dass ich damals alles in der Tiefe begriffen hätte. Esther Vilar ist eine bemerkenswert kluge Person, die nur nach einem Kompass lebte: der inneren und äußeren Freiheit. Sie hatte und hat den Mut, selbst zu denken und es nicht Personen wie Alice Schwarzer zu überlassen.

Tatsächlich wurde ich auch angeregt, das gesamte Werk von Esther Vilar zu lesen, ihr Denken vergleiche ich in einem sehr weiten Sinne mit Ayn Rand, die ebenfalls weitab von Zeitgeist ihren eigenen Stil lebte und dachte, auch weil sie zwischen allen Welten sah, fühlte und vermitteln konnte.

Frau Schwarzer versucht ein billiges Machtspiel zu etablieren. Sie beginnt mit einer Beleidigung, um dann durch dauernde Unterbrechungen, plumpe Angriffe, gespielten Sarkasmus ihr Gegenüber zu untergraben. Nicht ein Mal schafft sie es, sachlich zu kontern. Frau Vilar zeigt sich als die selbstbewusste, völlig in sich ruhende Persönlichkeit, die sie heute noch ist. Sie analysiert perfekt, frei von jeder Ideologie, so dass Frau Schwarzer sich nur in kindisches Kichern, Selbstbeweihräucherung und lächerliche Analogien flüchten kann. Ein Paradebeispiel für schlechte Kommunikation, die nur der Selbstdarstellung dient und von niederen Instinkten geleitet ist.

Bewertung vom 05.05.2024
Nichts als die Wahrheit
Gänswein, Georg;Gaeta, Saverio

Nichts als die Wahrheit


ausgezeichnet

Benedikt XVI war ein bescheidener, überaus kluger, intellektueller Kopf, den ich erst verspätet wahrgenommen habe. Umso mehr war diese Biografie aus der Nähe seiner Person wichtig und lesenswert. Die Erkenntnisse aus diesem Buch sind weit, viel weiter als man es vermuten könnte, sie sind eine Art reinste Erkenntnis, die mich faszinierte.

Der Katechismus der katholischen Kirche muss für ihn als Ganzes gelesen werden, dabei gilt die Grundaussage über den Menschen: er ist nach dem Ebenbild Gottes geschaffen, ihm also ähnlich. Die Zehn Gebote sind eine andere Form der Liebe, eine Auslegung davon, sie müssen mit Jesus interpretiert werden. Dieser wesentliche Eckpfeiler des Katechismus wurde vom Kardinal Ratzinger im Auftrag von Johannes Paul II formuliert und tatsächlich als Gesamtwerk von ihm selbst als Papst am 26.6.2005 der Öffentlichkeit vorgestellt.

Benedigt XVI verurteilte es, „das Christentum zu einem Moralismus, den Moralismus zu einer Politik umzuformen, Glauben durch das Tun zu ersetzen.“ Wie eine Voraussage in unsere Zeit sagt er: „Dadurch verfällt man in partikularistische Parteilichkeit, verliert vor allem die Kriterien und Orientierungen, und am Ende wird nicht aufgebaut, sondern gespalten.“

Jesus sagte: „Ich bin nicht gekommen , den Frieden zu bringen, sondern das Schwert“. (Matthäus 10,34) Übersetzt man diesen Satz tatsächlich aus dem Aramäischen in richtiger Weise, dann heißt er: Seid nicht gutgläubig, seid wachsam! Wenn Ihr Euch mit anderen zusammensetzt, zieht das "Schwert der Worte" und streitet für Eure Sache. Meine Aufopferung, mein Selbstopfer bedeutet nicht Frieden, Erlösung als Automatismus, sie ist eher der Beginn des Kampfes um Wissen und Wahrheit.

Benedigt XVI sagte im Gleichklang dazu: „Wer glaubt, muss auch durch die finstere Schlucht gehen, durch die finsteren Schluchten der Unterscheidung und damit auch der Widrigkeiten, der Widerstände, der ideologischen Gegensätze.“

Er ist überzeugt davon, dass die größte Problematik unserer Zeit die Abkehr von Gott ist, dem biblischen Gott. Dass der Gottesbezug in der Präambel der Europäischen Verfassung gestrichen wurde, war für ihn ein großer Fehler. Jeder, auch der größte Atheist, sollte sich in seinem Denken an den Werten von Jesus und der Bibel orientieren, weil sonst neuen Ideologien Tür und Tor offen standen, die Menschen eher verwirren als voranbringen werden. „Der zum äußersten geführte Versuch, die menschlichen Dinge unter vollständigem Verzicht auf Gott zu formen, führt uns immer näher an den Rand des Abgrunds, zur gänzlichen Zur ckstellung des Menschen.“

Papst Franziskus ist ein Gegenpol zu Benedikt und mit diesem Buch versteht man, warum das so ist. Es erfasst die Grundlagen des katholischen Glaubens und vermittelt m.E. jene Elemente, die für die katholische Kirche für morgen notwendig sind. Insgesamt spannend geschrieben, höchst lesenswert die Stationen dieser Nachricht in Szene gesetzt: „Wir sind Papst.“ Für ihn war Christusnachfolge in das Feuer der Liebe mithin in die Freiheit einzutreten.

Ein Buch, das er am Ende intensiv las: Kardinal George Pell’s Erinnerungen an seinen Prozess und die Inhaftierung in Australien: „Unschuldig angeklagt und verurteilt“, 3 Bände.

Bewertung vom 05.05.2024
Selma Merbaum - Ich habe keine Zeit gehabt zuende zu schreiben
Tauschwitz, Marion

Selma Merbaum - Ich habe keine Zeit gehabt zuende zu schreiben


ausgezeichnet

Czernowitz ist mir in anderen Büchern schon mehrfach aufgefallen, vor allem als eine Stadt der Bücher - so schreibt Zvi Yavetz als Titel für sein Buch: „Erinnerungen an Czernowitz, wo Menschen und Bücher lebten. Auch Selma Merbaum stammt aus dieser leidgeprüften Stadt.

Zvi Yavetz schrieb: „Heute bin ich fest davon überzeugt, dass ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung von Czernowitz den mündlich weitergegebenen Nachrichten mehr Glauben schenkte als den offiziellen Berichten der Tageszeitungen.“ Auch bei Selma Merbaum dürfte es nicht anders gewesen sein. Und spannenderweise sehen wir uns heute einer ähnlichen Entwicklung ausgesetzt.

Czernowitz war damals eine multikulturelle Stadt mit unterschiedlichsten Religionen, Sprachen und Bevölkerungsanteilen. Es war wenig Frieden und Glück, die Kommunikation wurde im Untergrund geführt und wenige trauten den anderen über den Weg. Für ein Kind ist dies manchmal Abenteuer, meist aber ein tiefer dunkler Graben, der depressiv macht. Selma Merbaum und ihre Angehörigen werden in diesem spannenden Buch zum Leben erweckt, ihre damalige Zeit und die Verarbeitung des Erlebten durch das junge Mädchen stehen vor uns.

„Heimelig war ein Zuhause dort nicht:
(Gedicht von Selma Merbaum vom 9. Juni 1939)

„…so viele Hühner und ein kleiner weißer Hund
Und Himmel der so farbenfroh und bunt -
Der kahle Baum wirkt so gespensterhaft
Und graue Häuser, wie ohne Kraft.

…Die Luft ist leis und voll von Sehnen.“

Das Schicksal von Selma Merbaum und ihre Kraft trotz allem Leid zu schreiben, machen einen fassungslos. Der Vernichtungswillen gegen Juden war in den Nazis zu einem Maß gesteigert, der allem widerspricht was Menschsein ausmacht, der auch im Abstand immer noch erschaudern lässt. Es sind ihre Gedichte, in denen alles mitschwingt, die ihr Leiden fassbar machen, die in alle Zeiten hinaus erkennen lassen, wie sehr die lebendige Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit alles durchzieht.

„Heute tatest Du mir weh.
Rings um uns war Schweigen nur,
Schweigen nur und Schnee.
Himmel war, nicht wie Azur,
Blau jedoch und voll mit Sternen,
Windeslied erklang aus fernsten Fernen.“

Bewertung vom 03.05.2024
Erinnerungen
Schäuble, Wolfgang

Erinnerungen


ausgezeichnet

Eine schöne Einleitung mit Helmut Schmidt als Schlusspunkt und seiner Aussage, die auf Schuld und Verstrickung hinweist bzw. die Tatsache, dass jeder seine Fehler erkennen sollte und niemand frei sei von Fehlern. Mehrfach erwähnt Wolfgang Schäuble noch den Altkanzler der SPD und zeigt die einheitlichen Werte auf.

Dann der Hinweis auf den Fußball zu Beginn des Buches, Bern 54 und seine ihn prägende Fußballleidenschaft. Wenn es ihm nicht passte damals, nahm er wohl den Ball auch mal mitten im Spiel nach Hause. Hier die typische Politikeraussage: weiß nicht mehr, ob es stimmt, aber wenn es wahr wäre, ist es nahe an mir. Ergo: immer schön im Vagen bleiben, andeuten, aber nichts zugeben.

Und WS beherzigte zeitlebens die Aussage eines Fußball-Mitspielers: „Wenn Du austeilst, musst Du nicht so viel einstecken.“

Wenn ich nur diese beiden Inhalte Revue passieren lasse und mit dem abgleiche, was mir von Schäuble in Erinnerung bleibt, dann sind es zwei Dinge: 1. Die Aktentasche voller Geld und 2. Das oft mürrische Austeilen von Aussagen und nicht immer intellektuell unterlegten Mitteilungen in Richtung Öffentlichkeit. Zum Beispiel: Inzucht wäre unser Schicksal, wenn nicht mehr Menschen von außen einwandern. Darüber hinaus ist mir die Schelte eines Mitarbeiters, öffentlich, in Erinnerung, der Akten nicht rechtzeitig vorlegte.

Sein Verhalten war immer ein Ritt auf der Rasierklinge: zwischen echter Peinlichkeit und lichten, großen Momenten. Er fühlte sich von Kohl immer unter Wert geschlagen und tatsächlich hätte dieser ihm 1998 den Vortritt als Kanzlerkandidat lassen müssen. Alles wäre dann ganz anders gekommen und Merkel wäre uns allen erspart geblieben. Kohl lässt er weitgehend gut aussehen, dieser haben den Mitarbeitern stets eine lange Leine gelassen, Merkel wollte alles bestimmen.

Am Ende des Krieges geboren, 1942, wächst WS in Hornberg im Mittleren Schwarzwald, unweit von Triberg auf. Sein Vater baut sich etwas auf (Steuerberatung) und ist früh in der CDU engagiert, so auch die drei Söhne. Die Familie ist engagiert, auch in der Kirche, und bringt etwas zuwege, mit Disziplin, Ausdauer und Können.

Wolfgang Schäuble war mir weder als aufstrebender Abgeordneter noch später als Minister wirklich sympathisch. Letzten Endes konnte ich meine eher negative emotionale Einstellungen ihm gegenüber in dieser Biografie ziemlich gut orten.

Interessant zu Beginn die Definition von Konservatismus, die leider nicht über alle meist belanglosen Aussagen hinausgeht. Sie sind oft hilflos, statt selbstbewusst eine Position zu vertreten wie ich das z.B. bei einem Mann wie Dr. Dr. Zitelmann wahrnehme. Schäuble lernte Hayek in Freiburg noch kennen, er erkennt wesentliche Eckpfeiler des Wirtschaftens und Wohlstand für alle, aber er ist doch eher Jurist, Mediator und Sich-Durchsetzer im Politiker-Gewerbe.

Karl Popper und seine Gesellschaftsphilosophie ist ihm Vorbild und Maßgabe, sich immer wieder in Frage zu stellen und den offenen Diskurs zu wählen. In vielen Absätzen des Buches ahnt man, wie intensiv in Ausschüssen des Bundestages gerungen wurde, um dann Satzbandwürmer aufzuschreiben, die viel und wenig sagen.

„Willst Du etwas gelten, komme selten“, gab ihm sein Vorgänger im Wahlkreis Offenburg mit auf den Weg, na ja, da wäre ich mir nicht sicher. WS kümmert sich aber intensiv um die Kontakte ins Elsass, nach Straßburg, das war mir nicht bekannt. Nicht umsonst wird Macron auf der Rückseite des Buches erwähnt, und er fasst diesen Mann sehr gut zusammen: „Ein sehr großer Diener Deutschlands, ein großer Europäer und ein großer Freund Frankreichs.“

Merkel darf sich mit diesem Satz auf der U4 einbringen: „Als junge Ministerin war Wolfgang Schäuble mir politischer Lehrmeister.“ Ich hätte das so geschrieben: Wolfang Schäuble war mir als junge Ministerin ein guter politischer Lehrmeister. Ein kleines Adjektiv hätte ich hier doch erwartet.

„Die simple Einsicht, dass es in der Politik um Geld geht, hatte ich früh verstanden.“ (S. 101) Schäuble arbeitet sich in das komplizierte Finanzsystem ein und behält darin die Übersicht, allerdings mit einer zentralen Einsicht: „Wer glaubt, er könne volles Wissen erwerben, das die Beherrschung des Geschehens ermöglichen würde, hat kein Wissen.“

Irgendwann in den 80ern attestiert ihm Kohl wirtschaftliches Können und überlässt Schäuble die Details. Dezidiert, ordnungspolitisch, punktgenau sowie Tag und Nacht arbeitend, ich kann mir gut vorstellen, dass sich Kohl auf ihn verlassen konnte, 100%.

Eine wirklich lesenswerte Biografie und ein Stück Deutschland seit den 70ern. Viele Hintergründe waren mir nicht klar. Schäuble stellt sich nicht zu sehr in den Vordergrund, er anerkennt und ordnet ein. Er litt wohl immer etwas darunter, dass ihm das große staatsmännische und intellektuelle Charisma eines Helmut Schmidt fehlte. Er war kein Glücksfall für die deutsche Geschichte, wie Steinmeier auf der Rückseite orakelt, sondern ein beharrlicher, kluger Mann aus der 2. Reihe, die jeder Staat dringend braucht.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.04.2024
Der Scheich (eBook, ePUB)
Kemp, Wolfgang

Der Scheich (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Wer tiefe Einblicke in das Clan- und Rentenwesen in Saudi-Arabien gewinnen, wer wissen will wie der Hinweis im Koran, dass man auf der Welt keine Reichtümer anhäufen, sondern alles an die Brüder und Schwestern verteilen soll, zu interpretieren ist, der ist mit diesem Buch einer Sache auf der Spur, die einen in höchstes Erstaunen versetzt.

„Der Koran verheißt den Reichen nichts Gutes. Für eine Welt herben Mangels geschrieben, nobilitiert er Armut als Demut und Bescheidung.“ Er findet am Reichtum vor allem eines verwerflich: das Horten. Der König von Saudi Arabien orderte bei der Anreise nach Hamburg folgendes: „Vier Jahreszeiten zur Gänze (160 Zimmer), inkl. königliche Suite (400 qm), 7,5 Tonnen Handgepäck, gepanzerte Mercedes Limousinen, mehrere eingeflogene Kamele (wegen der Milch), ein goldener Thron und eine goldenen Rolltreppe (zum Verlassen des Flugzeugs).“

Im Grund sind Könige und Prinzen aus Saudi-Arabien sowie eine Mehrheit der Bevölkerung Günstlinge eines Rentensystems, das zur Maßlosigkeit tendiert, weil es nur ausgeben kann und nichts zurückinvestiveren muss. Das reichlich fließende Öl und prächtig umleitbare Gas bescheren vor allem eins: wenig Drang nachzudenken und allerlei Verirrungen des menschlichen Verhaltens. In keinem Land der Erde dürften rauschendere Parties stattfinden, bei geringen Frauenrechten und höchsten westlichen Standards.

Wer sich für das schlechte religiöse Gewissen interessiert, kann die Ergebnisse in dem Buch des Hamburger Psychotherapeuten Burkhard Hoffmann nachlesen: "Und Gott schuf die Angst.“ Er hat eine reichlich sprudelnde Geldquelle entdeckt: reiche Araber, die mit jemand über ihre Sünden reden müssen.

Dieses Buch ist an absurden Inhalten und Skandalen fast kaum zu überbieten, auch bezogen auf das Tierreich: Al Hidaya, ein Rennpferd aus dem Stall des Prinzen, wurde im November 2015 euthansasiert. Warum? Eine hochbesetzte Kommission aus Religionsgelehrten hatte dieses Urteil gesprochen, nachdem das Pferd zweimal bei Handlungen in homosexueller Absicht erwischt wurde.

Das schlechte, religiöse Gewissen der arabischen Prinzen fließt vor allem in Projekte, die den weltweiten islamistischen Terror unterstützen. In Amerika wurde immerhin am 20.3.2017 eine Sammelklage von 1500 beim Anschlag 9/11 verletzten Personen zugelassen - gegen den Staat Saudi Arabien. Ansonsten ist das Verhältnis zu diesem Ölstaat durch maximale gegenseitige Rücksichtnahme geprägt, die anerkennt, dass sich die Scheichs ihre Religion teuer kaufen müssen, um nicht weitere Anschläge wie 1979 (20. November bis zum 5. Dezember 1979, Große Moschee Mekka) zu erleben. Wolfgang Kemp bezeichnet diese Verbindung als die Internationale des Nihilismus.

Besonders spannend auch das abschließende Kapitel über Katar, bei dem einem die Worte versiegen. Vielleicht sagt der Dichter Mohammed Al Ajami etwas Treffendes: „Die Arabischen Regime und ihre Machthaber sind allesamt, ohne Ausnahme, ohne eine einzige Ausnahme schamlose Diebe. Die Frage, die dich wach hält und deren Antwort du auf keinem der offiziellen Kanäle findest: Warum, warum importieren diese Regime alles und jedes aus dem Westen, alles, nur nicht die Herrschaft des Gesetzes, alles, nur nicht die Freiheit?“

Bewertung vom 21.04.2024
Der neue Kulturkampf
Schröter, Susanne

Der neue Kulturkampf


ausgezeichnet

Woke zu sein, also erwacht, erweckt - das heißt alles zu tolerieren und so viele Kulturen wie möglich auf einem Staatsgebiet zu vereinen. Die Welt wird aber zweigeteilt in die weißen, kolonialen, kapitalistischen Täter und die nicht-weißen Opfer. Wokeness generiert immer mehr Opfer und hat ein einträgliches Geschäftsmodell entwickelt, das vermeintlich Gerechtigkeit schaffen sollen und im ersten Moment gut klingt.

Die einengenden, diskriminierenden Maßnahmen woker Ideologen bewirken aber das genaue Gegenteil. Mit der Tabuisierung gesellschaftlicher Missstände und einer Verhinderung von bswp. Kritik am Islam verhindert sie eine offene breite Auseinandersetzung im demokratischen Raum.

Susanne Schröter analysiert die Ideologie der Wokeness und skizziert, wie schleichend und schief diese quasi-religiöse Ideologie unsere Gedanken und Kulturbereiche infiltriert. Niemand ist davor mehr geschützt und das totalitäre Vorgehen spottet demokratischem Vorgehen Hohn. Nichts wird von den Säuberungsaktionen ausgenommen und schon gar nicht harmlose Kinderbücher.

Die anvisierte neue Welt zeigt sich bei näherem Hinsehen als kleinkarierte kindliche Auslese jener Dinge, die an Hochschulen gefördert und später in alle Bereiche des Lebens verbreitet werden. Der gute, fleißige Bürger kann diesen Konzepten wenig entgegen setzen, er zahlt und wundert sich.

Tatort Universität, so heißt ein länger zurückliegendes Buch. Kein Ort sei kindischer auf Vorteilsnahme bedacht als dieser! Wenige Menschen seien neidischer und voruteilsbeladener! Heute kann jeder beobachten, was herauskommt, wenn vermeintlich Wohlmeinende an der Macht sind und diese an Universitäten unterstützt werden, die ihren kulturellen Auftrag vergessen haben - zugunsten einer Verteilung von Gütern und Ideen an die ganze, weite Welt. Grenzen? Gott bewahre, das brauchen wir nicht mehr. Kommet zu uns alle, Ihr Mühseligen und Beladenen.

Das Buch von Prof. Schröter gehört zur kulturellen Basisausstattung eines jeden normalen, steuerzahlenden Bürgers, der wissen will, wie Indoktrination von links und grün funktioniert. Es läuft so ähnlich wie dies auch Religionen mit ihren Wahrheiten versprechen und durchsetzen. Das Ende der christlichen Religionen hat ein Ungeheuer entwickelt, vor dem man nicht nur Furcht haben, sondern einen aktive Abwehrhaltung entwickeln sollte.

Dabei ist die persönliche Karriere von Frau Schröter auch deshalb so interessant, weil sie sich von auch in Südostasien (Thailand, Philippinen, Malaysia) mit dem Thema Islam auseinandersetzte und dort die Übernahme einer traditionellen Scharia-Sichtweise wissenschaftlich begleitete. Sie schreibt aus einem Kern des Wissens, den viele von uns nicht für möglich halten, der aber real ist. Eine patriarchale, frauenverachtende Religion ist mitten unter uns - und wir wissen von ihr meist wenig mehr als eine geschönte Oberfläche, nicht aber ihren unversöhnlichen Kern.

Ich habe dieses Buch mit höchstem Interesse und atemloser Spannung gelesen. Damit sind mir im Grunde alle Bücher von Frau Prof. Schröter vertraut, von denen ich insbesondere empfehlen kann: Gott näher als der eigenen Halsschlagader, Fromme Muslime in Deutschland.

„Stärker noch als der Islamismus werden an den Universitäten Themen tabuisiert, die Migration oder die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft betreffen.“ Die meisten Forscher verteidigen lt. Schröter den ungebremsten Zustrom von Zuwanderern nach Deutschland und Steuerungsmaßnahmen werden als Menschenrechtsverletzungen skandalisiert. Wer Probleme trotzdem benennt, wird als Rassist verunglimpft.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.04.2024
Kickl
Bauer, Gernot;Treichler, Robert

Kickl


weniger gut

In ganz Europa wird aktuell Front gemacht gegen Rechts, wohlgemerkt nicht gegen Rechtsextreme. Noch gab es keine Biografie von Heribert Kickl, dem aktuell erfolgreichsten Politiker in Österreich mit blendender Rhetorik, die fast alle anderen Politiker überstrahlt.

Verwirrung bei fehlerhaften Angaben zu Beginn des Buches, bei den Verwandten des Politikers. Die Autoren mussten Fehler eingestehen. Gut, dass Kickl der Presse gegenüber nie zu viel verriet? Wohl schon, denn schlampig recherchierende Küchenpsychologen sind überall am Werk. Heribert Kickl machte sich lustig über dieses Buch und hatte stichhaltige Argumente genug.

Die Autoren bezeichnen Heribert Kickl als "Volkstribun mit Kontaktstörung“. Er habe nicht nur ein großes Misstrauen den Parteifreunden gegenüber, sondern auch der Presse. Warum? Siehe oben!

Die einjährige Ausbildung beim Heer bricht Kickl vorzeitig ab, ebenso sein Studium. "Ich kann zwar nichts, aber ich kann alles lernen", sagte der Studienabbrecher, als er sich bei der FPÖ begann empor zu arbeiten. Jörg Haider faszinierte ihn und er machte sich unentbehrlich. „Kickl, sozial etwas verkrampft, bewundert Haiders spielerisch leichten Umgang mit den Leuten.“

Heribert Kickl findet an der Universität einen Professor, der ihn fasziniert: Franz Ungler, Professor für Philosophie an der Universität Wien. Im Zentrum seiner Forschung und Lehre stand der MÜNDLICHE Vortrag, thematisch waren es die klassische antike Philosophie einerseits, die kantische Transzendentalphilosophie und ihre Weiterbildung in den Systemen des Deutschen Idealismus andererseits. Immerhin, jetzt weiß ich (indirekt) warum Kickl mündlich so hervorragend vorträgt.

Hinter der souveränen Fassade (immerhin!) stecke eine unfertige Persönlichkeit, beginnt das Kapitel "Der Einzelgänger". Was auch sonst, denkt man sich bei solchen Koryphäen der Küchenspsychologie.

Und natürlich: Kickl gefährde ganz Europa, behaupten die Autoren schon auf dem Titel! Ist das Ernst zu nehmen? Sollten Titel nicht etwas weniger aufbauschend daherkommen?

Bislang dachte ich, dass so hervorragende Fakten-Checker nur in Deutschland zu Haus seien. Offensichtlich gräbt Österreich hier noch eine Etage tiefer.

Bewertung vom 21.04.2024
Wir
Steinmeier, Frank-Walter

Wir


weniger gut

Das offenste deutsche Wort, das unverbindlichste, auch gefährlichste besteht aus drei Buchstaben: W, i , r . Wer soll das sein in Deutschland?

Nach Frank-Walter Steinmeier, dem 12. deutschen Bundespräsidenten, ist es die Mehrheit aller Deutschen, die demokratische Mitte. Woran erkenne ich diese? Sie setzt sich für den Staat und dessen Institutionen ein. Der Rest, also die Misstrauischen, die Kritischen, die Benachteiligten? Wie sind sie durch das Wir zu behandeln? Sollen wir für sie beten oder sind sie nicht vielmehr das Salz in der Suppe der Demokratie, die sie bewegen und weiterbringen? Ist Demokratie nicht vielmehr die Staatsform des Misstrauens von unten nach oben, die Kritik, das Hinterfragen? Keine Antwort in diesem Buch.

Sozialdemokraten reden gerne vom wir und den eigenen Erfolgen, Genossen genießen die Wärme der Wissenden, sie dürfen sich einreihen in etwas, was Enzensberger schon 1994 beschrieben hat: „In der Abenddämmerung der Sozialdemokratie hat dagegen Rousseau noch einmal gesiegt. Sie haben nicht die Produktionsmittel, sondern die Therapie verstaatlicht. Dass der Mensch von Natur aus gut sei, diese merkwürdige Idee hat in der Sozialarbeit ihr letztes Reservat. Pastorale Motive gehen dabei eine seltsame Mischung ein mit angejahrten Milieu- und Sozialisationstheorien und mit einer entkernten Version der Psychoanalyse. Solche Vormünder nehmen in ihrer grenzenlosen Gutmütigkeit den Verirrten jede Verantwortung für ihr Handeln ab.“ („Aussichten auf den Bürgerkrieg“, 1994, S. 37)

Das Lieblingswort von Sozialdemokraten ist das rundum güldene, vermeintlich alle einschließende Wir, aber es hat einen harten, ausgrenzenden Kern. Wehe, man hat auch nur geringfügige Spuren eines alten Patriotismus oder man kritisiert alle Religionen, dann ist man nach diesem neuen Knigge der Demokratie raus. Nichts findet sich in diesem Buch über den Linksterrorismus und den Islamismus.

Dieses Buch hat mich animiert, das Buch „Wir“ von Jewgeni Samjatin wieder zu lesen. In ihm wird eine dystopische Gesellschaft beschrieben, die unter umfassender Kontrolle eines Wohltäters steht, der sein Ich perfekt in das verbindliche Wir für alle übersetzt. Es ist das erste Buch, welches offiziell in der Sowjetunion verboten wurde. Unzählige „Beschützer“ wachen über das Wohl der Einwohner, deren Leben bis in kleinste Details reglementiert ist, über allen steht ein wohl meinender, mächtiger „Wohltäter“. Menschen die sich gegen diese Fürsorge wehren, werden öffentlich hingerichtet. Der Einzelne zählt nicht, nur das Kollektiv.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.