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SternchenBlau

Bewertungen

Insgesamt 160 Bewertungen
Bewertung vom 20.02.2021
Vati
Helfer, Monika

Vati


sehr gut

Mit emotionalen Erinnerung an den eigenen Vater macht Helfer eine vergangene Zeit sehr unmittelbar erfahrbar. Sehr gerne gelesen.

Eine vergangene schwere Zeit und ein vergangenes Paradies

Durch viele positive Stimmen zu „Die Baggage“, Helfers Roman vor diesem hier, wollte ich endlich mal ein Buch der österreichischen Autorin lesen. Und mir hat „Vati“ nun auch sehr gut gefallen.

Besonders sticht die wunderschöne Sprache hervor.

„…nichts besaß er. Wirklich nichts. Das ich ich mir nur schwer vorstellen:dass einer gar nichts hat, wirklich nichts. Ich höre die Leute sagen: Wir standen vor dem Nichts – und dann stellt sich heraus, die Schuhe gehörten ihnen und die Socken und der Regenschirm und die Kappe auf dem Kopf auch. Im Falle meines Vaters, damals zukünftigen Vaters, hieß nichts: Nichts. Nicht einmal der Dreck unter den Fingernägeln gehörte einem, denn den hat man aus fremden Fenstern gekratzt.“

Neben der sprachlichen Finesse ist das Buch eine sehr private Erinnerung an Helfers eigenen Vater. Hommage wäre aber eines zu viel, denn Helfer gelingt das Kunststück, dass sie ihn nicht verklärt, sondern ihn zwar liebevoll, aber eben auch mit seinen Schwächen zeigt. Obwohl es rein formal gesehen von seiner Bildung nicht zutraf, war er ein Intellektueller, ein Buchliebhaber, einer, der wie ein Städter wirkte, trotz seiner armen Herkunft. Genau darüber wird er stolpern und auch seine Familie, denn dadurch wird die Vertreibung aus dem familiären Paradies beginnen, einem „Kriegsopfererholungsheim“, dem er als Leitung vorstand.

Nach dem Tod der Mutter wird der Vater beinahe lebensunfähig, auf alle Fälle aber unfähig, sich um seine vier Kinder zu kümmern. Seltener sind die Passagen der Reflexion, meist erinnert sich die Autorin sehr unmittelbar an ihre Familie. Manchmal ist ihr Blick kindlich und dann besonders schmerzlich. Dieses Leben ging nicht ohne Schmerzen und Verluste einher.

Ich konnte mich sehr einfühlen, vieles erinnerte mich auch an Erzählungen aus meinem Familienkreis, denn Helfer ist (beinahe) die Generation meiner Eltern (Jahrgang 1942 und 1944).
Vieles davon scheint so weit entfernt, wie aus einer anderen Welt. Und bei Helfers Biografie sind dann die Veränderung dieser Welt spürbar.

Helfer ist Jahrgang 1947, die erste Nachkriegsgeneration. Sie bleibt allerdings sehr in ihren Familienerinnerungen, die großen Zusammenhänge kommen nur wenige Male vor. Das ist emotional zu lesen und auch sonst legitim. Für die 5 Sterne fehlte mir allerdings der weitere Blick, das Universelle, dass darüber hinausgeht, dass wir alle Menschen sind. Das fängt damit an, dass das I-Wort verwendet wird. Und zeigt sich für mich nicht zuletzt an der Erklärung des Titels selbst, mit der das Buch auch beginnt:

„Wir sagten Vati. Er wollte es so. Er meinte, es klinge modern.“

Da ist „Vati“ wohl einem Trugschluss aufgesessen mit der Modernität. Die Nationalsozialisten haben dieses Wort dem französisch anmutendem Papa oder Papi immer vorgezogen. Ein Gedanke dazu fehlt allerdings im Buch und ich glaube nicht, dass der Fakt so allgemein bekannt ist. Viele Themen schwingen mit, schon allein der Ort des „Kriegsopfererholungsheimes“, die Resonanzen musste ich dazu allerdings selbst suchen.

Fazit
Mit emotionalen Erinnerung an den eigenen Vater und die eigene Familie, macht Helfer eine vergangene Zeit, die noch nicht so lange vergangen ist, sehr unmittelbar erfahrbar. Ich habe ihren Roman sehr gerne gelesen und vergebe 4 von 5 Sternen.

Bewertung vom 04.02.2021
Hilfe, mein Kater kann sprechen! / Mirella Manusch Bd.1
Barns, Anne;Below, Christin-Marie

Hilfe, mein Kater kann sprechen! / Mirella Manusch Bd.1


gut

Hübsche Grundidee, tolle Illustrationen, aber die Durchführung konnte uns leider nicht abholen.

Abprallen an den Figuren

Die meisten fiktionalen Geschichten lesen mein Sohn und ich dann doch auch beim Vorlesen recht zügig. Auch bei diesem Buch sind wir zunächst flott gestartet, aber je länger wir gelesen haben, umso mehr ging uns der „Drive“ dabei verloren. War mein Sohn zunächst vom Buch noch ganz gepackt, hat er es nie zum Vorlesen herausgezogen, sondern stattdessen andere Bücher vorlesen lassen oder selbst gelesen. Das ist – wie immer – unsere ganz subjektive Meinung. Es gibt auch sehr positive Stimmen zum Buch. Uns konnte es nicht wirklich abholen und wir sind ganz froh, dass wir nun einen Haken dranmachen können.

Nachdem wir nun über zwei Jahre gemeinsam Rezensionen schreiben und selbstverständlich noch viel länger gemeinsam lesen, fand ich es total spannend, auf was mein Sohn mittlerweile alles achtet. Ich hatte noch ein paar Punkte (so fand ich einige Schilderungen nicht sehr stillfreundlich), überlasse das Wort aber meinem Sohn.

Mein 9jähriger Sohn findet:
Das einzige, was ich toll fand, waren die Illustrationen und die Grundidee.
Ansonsten fand ich das Buch nicht so toll, deswegen vergebe ich 2,5 Sterne. Es wurde alles zig Mal wiederholt, wie das mit den Zähnen ist und dem Vampirdasein, manches wurde auch zu detailliert erzählt, was mit der Zeit lahm wurde.
An die Figuren kam ich nicht wirklich ran. Das wäre wie bei Apollo 13, da haben die in der Kapsel Gewichte gebraucht, um nicht an der Atmosphäre beim Wiedereintritt abzuprallen. Beim Buch war es, als hätten sie das Gewicht nicht auf die Figuren verlagert, so prallen wir dann beim Lesen von den Figuren ab. Mirella war okay. Nur der Kater Lancelot war toll.
Was mich auch gestört hat, dass mehrmals gesagt wurde, dass Jungs nichts verstehen oder doof wären. Jungs können genauso gut nerven wie Mädchen. Aber manche Geschichten manche machen so große Unterschiede auf. Das nennt man „Gender“. Manolo, das andere Vampirkind, hätte man auch besser gestalten können, der war aber wirklich oft nervig. Eigentlich ist er eine Nebenfigur, aber dann hat zwei Mal Mirella beschützt. Das ist dann so Prinz rettet Prinzessin, und das ist ja auch lahm.

Fazit:
Hübsche Grundidee, tolle Illustrationen, aber die Durchführung konnte uns leider nicht abholen: Zu redundant, zu wenig Konflikt, zu dröge letztendlich. 2,5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 01.02.2021
Streulicht
Ohde, Deniz

Streulicht


ausgezeichnet

Wunderschöne Sprache, intensive Erinnerungen. Eindrucksvoll wie Ohde Standesdünkel, Klassismus und Rassismus vorführt.

Staubgeboren

In diesem Buch passiert scheinbar nicht viel. Und doch so viel, denn hier werden die Weichen gelegt, wie ein junger Mensch später die Welt wahrnimmt und – leider noch viel wesentlicher in unserer Welt – wie dieser von der Welt wahrgenommen wird. Diese Weichen liegen im Streulicht, vieles kann so gehen oder so. Aber es gibt ein Muster und Wahrscheinlichkeiten, nach denen die Freundin Sophie wohl einen anderen Lebensweg haben wird als das Mädchen mit dem geheimen türkischen Namen, obwohl sie den nur selten nennt. Eindrucksvoll ist an diesem Buch wie Ohde Standesdünkel, Klassismus und Rassismus vorführt.

„Es war keine Identität, die sich herausbildete, sondern eher wurde sie mir entzogen, verschwand im Keller der Schule, zwischen den bis in die Sechziger zurückreichenden Akten, weil ich die Einzige aus meinem Jahrgang war, die nicht auf eine höhere Schule wechselte und deren Akte deshalb nirgendwo hingeschickt werden musste. Sie lag oben auf einem staubigen Schrank, nachts kalt beleuchtet von den Laternen des Schulhofs.“

Kürzlich habe ich mal einen treffenden Gedanken gelesen: Wie langweilig es doch ist, immer und wieder davon zu lesen, wie sich mittelalte Männer in Büchern wehmütig an ihre eigene Jugend erinnern und sie verklären. Wie völlig entgegengesetzt das ist, wenn sich die Ohdes Protagonistin an ihre Jugend erinnert. Hier ist nichts verklärend. Wehmütig wurde mir dennoch ums Herz, weil Ohde uns ganz nah an ihre Protagonistin heranlässt.

„Ich war nicht schaumgeboren, sondern staubgeboren; rußgeboren, geboren aus dem Kochsalz in der Luft, das sich auf die Autodächer legte. Geboren aus dem sauren Gestank der Müllverbrennungsanlage, aus den Flusswiesen und den Bäumen zwischen den Strommasten, aus dem dunklen Wasser, das an die Wackersteine schlug, einem Film aus Stickstoff und Nitrat, nicht Gischt.“

Dies alles fasst Ohde in eine sehr poetische Sprache. Weil es ihre Protagonistin ist, deren Stimme wir hören, wird umso deutlicher, um wie viel Potential so viele Menschen in diesem Land durch die Strukturen gebracht werden.

CN / Content Note: Alkoholismus, Messie-Syndrom, Rassismus, schwierige Kindheit, körperliche Bestrafung der Mutter in deren Kindheit, Rassismus, Krebstod

Rassismus schlägt der Protagonistin erst in zweiter Linie entgegen, weil die türkischen Wurzeln der Mutter durch den deutschen Namen meist übertüncht werden. Doch immer wieder so Sätze der Freundin seit Kindheitstagen. Aber auch so wird oft das Gefühl vermittelt, dass sie nicht wirklich dazu gehört, schon wegen der einfachen Herkunft der Eltern. Der Vater ertränkt seine Verletzungen von früher im Alkohol, hortet Dinge an bis zum Messitum.

„Wenigstens ging er nur auf die Möbel los. Sie schätzte sich glücklich. Man konnte nicht davon ausgehen, dass es in der Welt etwas Besseres gab, man konnte es nicht einfach so einfordern. Das habe ich von ihr gelernt.“

So fein beobachtet wie schmerzhaft fand ich, wenn sich die Protagonistin mit ihren Freund:innen aus Kindheitstage vergleicht, obwohl, vielleicht mache ich das viel mehr beim Lesen selbst. Die Hochzeit der beiden bildet dann auch den Rahmen für die Erzählung. Die letzten 20, 30 Seiten versandeten für mich ein wenig vom Bogen. Das Buch als Ganzes habe ich sehr gerne gelesen.

Fazit
Sprachlich gelungen, intensive Erinnerungen. Deniz Ohde ist damit für mich sehr verdient auf der Short List des Deutschen Buchpreises gelandet. Ich empfehle das Buch sehr gerne allen, die Gefallen an ruhiger, poetischer Literatur finden. 4,5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 13.01.2021
Queenie
Carty-Williams, Candice

Queenie


ausgezeichnet

Stark Roman und tolle Heldin. Bitte Content Note beachten für diese intensive Lektüre, die intersektionalen Feminismus lebendig macht.

Am liebsten hätte ich Queenie dauernd in den Arm genommen…

…leider hätte Queenie das aber wohl nicht zugelassen. Nicht mal von ihren engsten Freundinnen und auch nicht von ihrer Familie. Dennoch oder vermutlich genau deswegen ist mir die junge, kluge Schwarze Frau aus London sehr schnell ans Herz gewachsen. Trotz vieler leichter Passagen, vor allem am Anfang, hat sie ein ganz schönes Päckchen zu tragen und über lange Zeit schlittert sie von einer toxischen Begegnung in die nächste.

Ich mag solche Vergleiche eh schon immer nicht, aber wer also nach dem Verlags-Slogan eine Schwarze Bridget Jones erwartet, den möchte ich warnen: Ja, Queenie kann zwar sehr selbstironisch sich und die Welt betrachten, aber hier wird es weitaus ernsthafter als bei Bridget.

CN / Content Note: Rassismus, Depression, sexualisierte & häusliche Gewalt, Verlust einer Schwangerschaft

Es hat mir beim Lesen immer wieder die Kehle zugeschnürt, denn Queenies Erlebnisse sind ernst. Aber da schafft Candice Carty-Williams eine ganz eigene Figur, so dass sie irgendwelche Vergleiche auch gar nicht nötig hat: Sie schafft eine feministische Heldin, die mit all dem kämpft, was Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung ausmacht. Ohne diesen Blick könnte Queenie vielleicht naiv wirken, aber sie ist gefangen in ihren Erfahrungen, so dass sie sich immer wieder in toxische Verhältnisse und selbstdestruktives Verhalten verstrickt.

So oft dachte ich mir: „Queenie, lauf weg, du brauchst diese Typen nicht!“ Und gleichzeitig habe ich sie so verstanden, warum sie so handelt. Ihr Selbstbewusstsein so zerstört, dass sie sich darauf einlässt. Und doch kommt es zu keiner Schuldumkehr, warum sie sich immer dieses Typen aussucht.

„»Ich seufzte tief. »Warum kann ich nicht einfach ein Happy End haben, Kyazike?«
»Machst du Witze, Fam?« Kyazike lachte. »Denkst du, das Leben ist ein Film? Und selbst wenn es einer wäre, Fam, wir sind schwarz. ›Egal, in welcher Schattierung‹«, ahmte sie meine Stimme nach, »wir wären die Ersten, die sterben müssen.«“

All ihre Erlebnisse sind eingebettet in Queenies Rassismus-Erfahrung, denn diese verstärkt, wie mies so von diesen Typen behandelt wird. Und als weiße Frau habe ich wieder einiges über intersektionellen Feminismus nachspüren können.

Absolut toll geschrieben war das Buch schmerzlicher als ich bei der Buch-Promo gedacht habe. Aber umso mehr ist mir diese junge Frau ans Herz gewachsen. Umso mehr war dieses Buch eine wichtige Erfahrung, die hoffentlich Frauen hilft, sich selbst aus solchen Verstrickungen befreien zu können. Dann gab es endlich Lichtblicke und es war eine Freude Queenie dabei zuzusehen, wie sie endlich wachsen konnte.

„»Ich lerne aus meinen Fehlern. Das nennt man Entwicklung.«“

Queenie, ihre Freundinnen-Runde und ihre Familie sind mir so sehr ans Herz gewachsen.

Fazit
Eine intensive, gelungene Leseerfahrung. Diese beinhaltet auch schmerzliche Elemente (bitte Content Note beachten), die das Buch für mich umso stärker gemacht haben. 5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 03.01.2021
Fake Facts
Nocun, Katharina;Lamberty, Pia

Fake Facts


ausgezeichnet

Kundige Führung durch den Kaninchenbau der Verschwörungsmythen

Flache Erde, außerirdische Echsenwesen als Mächtige der Welt, QAnon – es ist ziemlich leicht sich über Verschwörungsmythen und ihre Anhängenden lustig zu machen. Ich muss gestehen, dass ich diesem „Phänomen“ meist auch nur mit bitterem Humor und Sarkasmus begegnen kann. Damit schieben wir aber die Probleme, die ganz real und ganz gefährlich aus solchen Verschwörungsmythen entstehen, von uns weg. Stattdessen sollten wir uns alle damit auseinandersetzen, darum kann ich dieses hervorragende Buch nur empfehlen. Erst recht, da durch Corona-Leugnung Verschwörungserzählungen befeuert wurden und werden.

Katharina Nocun und Pia Lamberty schaffen dabei das Kunststück, dass sich „Fake Facts“ trotz dieses ernsten, bitteren Themas sehr angenehm und flüssig liest. Obwohl ich mich zunächst vor dem Buch gedrückt habe – ich hatte befürchtet, dass es meine Laune wegen des Themas sehr drücken wird – habe ich es recht flott gelesen.

Schon nach wenigen Seiten hatte mich das Buch am Haken, am Haken mit einem stimmigen Einstieg, der Beispiele bringt und Problemfelder aufmacht. Dann:

„Lassen Sie uns zunächst noch einmal einen Schritt zurückgehen und bei der zentralen Frage beginnen: Was genau ist eine Verschwörungserzählung?“

Nocun und Lamberty erklären und geben dem Lesenden einen Fahrplan durch die verschiedenen Bereiche der Verschwörungsmythen und -erzählungen und behandeln dabei Antisemitismus, Leugnung der Klimakrise, Angreifen der Medien, gegen Freimauern und Illuminaten, scheinbar witzige Aspekte wie flache Erde oder Echsenmenschen, rechtsextreme und faschistische, welche aus dem linken Spektrum… Viele dieser Verschwörungsmythen weisen Querverweise und unheilige Allianzen auf. Nocun und Lamberty verknüpfen sie bei ihrer Darstellung sehr gekonnt, ohne dass Redundanzen entstehen.

Die beiden Autorinnen räumen zudem mit dem Mythos auf, dass Verschwörungsmythen erst durch die digitalen Medien entstanden wären:

„Viele Fakes und Verschwörungserzählungen erreichen erst durch das Internet ein Millionenpublikum. Die Schuld für die Verbreitung allein den neuen Medien zuzuschieben wäre jedoch zu kurz gegriffen. Bereits im Jahr 1835 bescherte eine sechsteilige Serie über angebliche Entdeckungen von Leben auf dem Mond der New York The Sun eine Rekordauflage.12 Die ersten in großem Stil verbreiteten Spekulationen über eine Verschwörung rund um die Ermordung von John F. Kennedy wurden in namhaften europäischen Zeitungen abgedruckt. Trotzdem hat sich insbesondere durch das Aufkommen der großen Internetplattformen wie Google, YouTube und Facebook in den letzten Jahren einiges verändert.“

Im Buch werden auch psychologische Hintergründe behandelt, die erklären, warum Menschen ihr Heil in Verschwörungserzählungen suchen. Egal, wie absurd das zunächst erscheinen muss:

„Beim Glauben an Verschwörungserzählungen handele es sich um ein kohärentes Weltbild – die Verschwörungsmentalität. Konkret heißt das: Wer an eine Verschwörungserzählung glaubt, stimmt auch meistens weiteren Erklärungen dieser Art zu. (…) Diese Annahme trifft sogar auf Verschwörungserzählungen zu, die sich gegenseitig logisch ausschließen. Ein Forschungsteam aus Großbritannien konnte 2012 zeigen: Wer glaubt, Prinzessin Diana sei vom britischen Geheimdienst umgebracht worden, geht paradoxerweise auch eher davon aus, dass sie noch lebt.“

Am Ende gibt es noch ein Kapitel, bei denen die Lesenden bei ihren Gesprächen mit Menschen umgehen können, die Verschwörungserzählungen aufgesessen sind. Einfach ist das nicht, aber es ist Teil einer wichtigen Zivilcourage.

Fazit:
Ausgezeichnet aufbereitet informieren die beiden Autorinnen über ein wichtiges Thema. Wir alle müssen uns mit „Verschwörungsmythen“ und ihren Anhänger:innen beschäftigen, weil hier Gefahren für unsere Demokratie und Gesellschaft lauern. Bitte unbedingt lesen! 5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 02.01.2021
Das schwarze Schaf
Roeder, Annette

Das schwarze Schaf


ausgezeichnet

Lustig und spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Dazu wundervoll geschrieben und tolle Bilder. Ein Jahreshighlight 2020.

Tolle freundschaftliche Krimi-Tier-Geschichte

Hier haben wir wieder als 3-Generationen gelesen (wir lesen der Oma zur Corona-Unterhaltung vor) und waren total begeistert zum Jahresabschluss noch ein echtes Highlight gefunden zu haben.

Heute stelle ich meine Eltern-Meinung ausnahmsweise mal ganz kurz vorneweg:
Bei diesem Buch passt einfach alles. Sprachlich findet Annette Roeder eine wundervolle Form für dieses Kinderbuch. Das ist wirkliche Kinderliteratur. Und dann sind die Protagonisten einfach so wundervoll und es ist herzerwärmend, wie sich die Freundschaft zwischen Schaf Texel und Maulwurf Winnewurp entwickelt. Auch auf der tieferen Bedeutungsebene gibt es einiges zu entdecken. Dazu die tollen Ideen im Kleinen und die humorvollen Illustrationen von Stefanie Jenschke, die die Handlung pointiert zeigen. Ein echtes Highlight!

Unsere Oma sagt:
Das war lustig und spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Ich wusste erst zum Schluss hin, wer die Tat begannen hat. Da sind wir richtig auf falsche Fährten geführt worden. Es gibt so viele unterschiedliche Protagonist:innen, die alle so lustig sind und die mir schnell ans Herz gewachsen sind. Vorneweg das schwarze Schaf, das nicht schwarz ist, sondern weiß, was an sich schon zu einer ersten Irritation und dann zum Nachdenken führt. Und der Maulwurf, der fast blinde, der alle rettet am Schluss.

Mein fast 9jähriger Sohn findet:
Mir hat „Das schwarze Schaf“ gefallen, weil ich ganz nah an die Figuren, vor allem Texel (das Schaf) und Winnewurp (Maulwurf) rankam. Manche Vermutungen haben sich bei dem Buch auch als falsch herausgestellt, was mir sehr gefallen hat. Weil jede:r Detektiv:in macht Deduktion, wie die das hier nennen, und die kriegen das auch mal nicht hin, dass man beim ersten Anlauf gleich die Richtigen findet. Es war an vielen Stellen richtig, richtig, richtig, richtig, richtig spannend. Und an manchen Stellen so spannend, dass wir am Kapitelende einfach weiterlesen musste. Und am Ende wurde es nochmal richtig spannend.

Oma: Ja, ja.

Kind: … weil wir hätten das von der Spannung her nicht ausgehalten. Und es hat mir einfach gut gefallen. Die Bilder waren auch gut.

Oma: …die waren lustig!

Kind: Was mir auch gut gefallen hat, dass das Schwitzerdeutsch von Widder Waliser hinten auch nochmal übersetzt wird. Falls man das nicht verstanden hat.

Mama: Was war das denn für Euch? Ein Krimi, eine Tiergeschichte? Oder eine Freundschaftsgeschichte?

Oma: Ein freundschaftliche Krimi-Tier-Geschichte.

Kind: Ich finde alles irgendwie!

Fazit:
Wundervolles Kinderbuch. Wann gibt es eine Fortsetzung? 5 von 5 Sterne von allen 3 Generationen für diese freundschaftliche Krimi-Tier-Geschichte.

Bewertung vom 25.12.2020
Das Wunder von R.
Cavallo, Francesca

Das Wunder von R.


sehr gut

Eine spannende Weihnachtsgeschichte, die eine Stadt aus ihrem Misstrauen erweckt. Der Diversity-Aspekt ist schön gelungen.

In R. ist schon seit Jahren nichts Schlimmes mehr passiert – weil nämlich gar nichts mehr passiert, seit die Menschen sich komplett voneinander fern halten. Das ist ja keine weihnachtliche Atmosphäre, in die Familie Greco-Aiden mit ihren drei Kindern Manuel, Camilla und Shonda ankommen. Zum Glück kommt ein Brief vom Weihnachtsmann an.

Mein fast 9jähriger Sohn und ich sind der Geschichte voll Spannung gefolgt. Francesca Cavallo hat „Das Wunder von R.“ mit viele schönen Einfällen angereichert.

Das Setting hat mir sehr gut gefallen. Diese Welt, in der die Erwachsenen keinen Kontakt mehr miteinander pflegen, hat etwas dystopisches. Umso schöner, dass das aufgebrochen wird, und dort liegt dann auch die revolutionäre Komponente, die auf dem Titel angekündigt wird. Das Buch ist auf italienisch bereits letztes Jahr erschienen. Jetzt in Corona-Zeiten finde ich es gerade zu Weihnachten geboten, Abstand zu halten. Das macht die Interpretation komplexer, denn so hat die Autorin das ja nicht gemeint. Nun gut, die Menschen in R. telefonieren ja noch nicht einmal.

Toll ist beim Buch der Diversity-Aspekt. In den Bildern Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben, dazu gendergerechte Sprache, zwei Mamas, zwei Papas, Alleinerziehende, das wird den Kindern ganz nebenbei als Realität vorgeführt. Ein großes Lob an den Mentor Verlag, das sie das in ihrem Verlagsprogramm so toll umsetzen.

Und auch die Intoleranz gegen gleichgeschlechtliche Paare wird im Buch nicht unterschlagen, denn die Mamas mit ihren Kindern sind vor einer Gesetzesänderungen aus einem anderen Land geflogen, aber nicht problematisiert, so dass hier eine neue Norm gesetzt wird. In Bezug auf die Verhältnisse in R. Stellt sich mir die Fragen, ob das dann einfach Ignoranz ist, die nebenbei zu Toleranz geführt hat, oder wirkliche Akzeptanz. Als wäre es nicht ganz zu Ende gedacht…

Das ist auch bei den Protagonist:innen so, an die ich nicht wirklich rankam. Die Autorin spricht hauptsächlich über ihre Figuren, statt sich in sie einzufühlen. Dabei kommt auch die Magie etwas zu kurz, die ich von Weihnachtsgeschichten erwarten. Da wäre also Luft nach oben gewesen, denn der Plot trägt durchaus, auch, wenn mir alles zu sehr passgenau dort hingeschrieben wurde. Hindernisse werden da nicht aufgebaut.

Mein knapp 9jähriger Sohn war so auch von der Spannung gerade zum Schluss hin richtig gefesselt. Er hat für 4,5 Sterne votiert.

Fazit
Spannende Weihnachtsgeschichte mit dystopischen Zügen, die auch für Kinder gut geeignet ist. Der Diversity-Aspekt ist schön gelungen, Abstriche mache ich wegen der Distanz zu den Protagonist:innen und weil mir die Gesamtaussage etwas zu simpel bleibt. 3,5 von 5 Sternen, die wir aufrunden.

Bewertung vom 25.12.2020
Unter uns das Meer
Gaige, Amity

Unter uns das Meer


gut

Ich hätte gerne mehr von den existentiellen Sorgen auf dem Meer und in dieser Beziehung gelesen. Leider hat die Autorin zu viel reingepackt.

Bei diesem Buch habe ich erst die Leseprobe gelesen und ich war richtig angefixt: Ich mochte total, wie unterschwellig Spannung aufgebaut wird. Dazu die Progagonist:innen und das Setting mit der großen Segeltour. Das ist etwas, das ich total reizvoll finden – auch, wenn ich das selbst nie machen würden. Und dann immer wieder so wundervolle Sätze.

Beim Weiterlesen mochte ich auch die Fragen, die Buch und Protagonist:innen stellen. Amity Gaige zeigt eine Ehe in der Krise und der Segeltrip ist auch ein Versuch diese Krise zu kitten. Wenn ich dann also in den Kopf von Juliet als Ich-Erzählerin und den Tagebucheinträgen ihres Mannes Michels schlüpfen kann, dann hatte ich einige Aha-Momente. Schön geschriebene philosophische Gedanken, die die Verlorenheit der beiden Enddreißiger zeigen.

„Es ist so ermüdend, das Gewicht von nie gesagten Worten mit sich herumzutragen.“

Und auch die ersten Ansätze von politischen Diskursen, die bei der Beziehung der beiden eine Rolle spielt, habe ich noch interessant gefunden. Aber dann wollte die Autorin immer mehr und mehr ins Buch hineinpacken. Und dadurch wurde es für mich überladen und auch etwas dröge.

CN / Content Note: Depression, Tod, sexueller Übergriff auf ein Kind

Juliets Trauma in der Kindheit, was sie als 10jährige erleben musste, war mir dann definitiv eines zu viel. Es fungiert später teilweise auch als „Plot Device“ und Motivation für ihren Ehemann. Die ganze Geschichte hätte auch gut ohne auskommen können. Nicht falsch verstehen: Ich finde es sehr wichtig, dass solche Themen immer wieder behandelt werden, aber hier hatte es mit der eigentlichen Geschichte nichts zu tun. Und als ein Thema von vielen, die jetzt auch mal noch mit abgehandelt werden, ist es dann zu wichtig. Und auch die Darstellung von Juliets Depression fand ich zu offensichtlich.

Dabei hätte es ja gelingen können, das Schwanken zwischen Psychogramm, Ehedrama mit Anleihen zum Psychothriller, aber irgendwie war es dann doch von allem zu viel.

Völlig den Faden verloren hat die Autorin für mich dann beim Schluss, bei dem sie andere Textarten wie einen Appendix recht lieblos ans Ende geklatscht hat.

„Es gibt eine Art von Schwindelgefühl, die es dem Seefahrer nahezu unmöglich macht, an Land zu leben. Das Innenohr gewöhnt sich derart an die ständige Bewegung, dass Bewegungslosigkeit unerträglich macht.“

Fazit
Toller Einstieg, der für mich aber aufs ganze Buch gesehen seine Versprechen nicht erfüllt hat. Es war jetzt keine verlorene Zeit, aber das Buch hat seine Schwächen. Ich hätte gerne mehr davon gelesen: Von den existentiellen Sorgen auf dem Meer und in einer Beziehung. 3 von 5 Sternen.

Bewertung vom 25.12.2020
Wilde Hexen / Hex Files Bd.2 (eBook, ePUB)
Harper, Helen

Wilde Hexen / Hex Files Bd.2 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Meine Lieblingshexe ermittelt wieder

Mit „Hex Files“ habe ich im Sommer meinen Prototyp einer amüsanten, leichten Unterhaltung gefunden. Anders als sonst, empfand ich die nie oberflächlich und banal, sondern hier passte alles.

Umso mehr habe ich mich nun auf den 2. Band „Wilde Hexen“ gefreut. Ich hatte die letzten Wochen eine Leseflaute und eigentlich noch einige andere Bücher angefangen. Dann bekam ich den Tipp, dass mir dieses Buch aus der Flaute heraushelfen könnte. Und es hat tatsächlich geklappt. Wo andere Bücher trotz ihrer Qualität sehr schwer wirkten, hat mich dieses hier wirklich wieder durch die Seiten fliegen lassen.

„»Aber was uns gestern Nacht angegriffen hat, war ein Zombie!« Er seufzte. »Das habe ich Ihnen doch schon erklärt: Es war kein Zombie, sondern eine belebte Anomalie.« »Natürlich war das ein Zombie! Es war eine Leiche, die sich aus dem Grab gewühlt und uns angegriffen hat!«“

Ich-Erzählerin Ivy soll dieses Mal bei einer Casting-Show für Hexen ermitteln, die keine Mitglieder das Ordens sind. Ihr Verhältnis zu Raphael ist noch ziemlich in der Schwebe, so gibt es sowohl beim Fall wie bei der Love-Story einiges zu entdecken. Für mich hätte es noch etwas mehr Schlagabtausch zwischen Ivy und Raphi sein können, einmal kommt das I-Wort vor und die Welt der Ordenshexen war im 1. Band noch etwas gelungener.

Ich habe wieder sehr viel gelacht mit der „faulen Hexe des Westens“ und mir gefällt generell sehr gut, wie liebevoll sie trotz aller Schnoddrigkeit über ihre Mitmenschen denkt. Das alles macht auch diesen Band wieder zu einem sehr großen Lesevergnügen.

Fazit
Ich habe mich wieder sehr gut amüsiert. 4,5 von 5 Sternen, weil mir der 1. Band noch etwas besser gefallen hat. Ich freue mich schon mächtig auf den 3. Band.