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Raumzeitreisender
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Deutschland
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 734 Bewertungen
Bewertung vom 05.11.2023
Unendlichkeiten
Heuser, Harro

Unendlichkeiten


sehr gut

Bei dem Begriff Unendlichkeit denkt man an das Weltall oder an Mathematik. Es ist schon erstaunlich, wie sehr der Begriff von den Religionen vereinnahmt wurde und wie sehr Gelehrte früherer Jahrhunderte Fragen der Religion, der Philosophie und der Naturwissenschaft in ihre Überlegungen zur Unendlichkeit einbezogen haben. Dabei ist die Mathematik doch ein geistiges Konstrukt, ohne zwingende Entsprechungen in der Natur oder in der Religion.

In dem Buch wird auch deutlich, wie nachhaltig die Lehren von Aristoteles, einem Gegner des Aktual-Unendlichen und Befürworter des Potenzial-Unendlichen, wirken. Das Unendliche hat keine Entsprechung in der Natur, aber eine endliche Welt kann man sich auch nicht vorstellen. Georg Cantor ist in die Thematik tiefer und auch konsequenter eingestiegen als seine Vorgänger, die teilweise mit ihren Überlegungen schon nahe an einer Lösung waren. Es fehlte die letzte Konsequenz.

Der Clou an der Sache ist, dass es verschiedene Unendlichkeiten gibt, abzählbare Unendlichkeit und überabzählbare Unendlichkeit. Autor Heuser erläutert auch Paradoxa im Zusammenhang mit der Unendlichkeit, wie die Menge aller Mengen, die sich selbst nicht als Element enthält oder Hilberts Hotel. Der Fokus in diesem Buch liegt auf der Entwicklungsgeschichte der Unendlichkeit, die Heuser interdisziplinär erläutert. Auch wenn sich niemand Unendlichkeit vorstellen kann, ist sie Gegenstand der Mathematik geworden.

Bewertung vom 29.10.2023
Der Morgen einer neuen Zeit / Kingsbridge Bd.4
Follett, Ken

Der Morgen einer neuen Zeit / Kingsbridge Bd.4


sehr gut

"Kingsbridge – Der Morgen einer neuen Zeit" ist das vierte von derzeit fünf Werken aus der Buchreihe Kingsbridge. In diesem historischen Roman, der die Zeit von 997 bis 1007 beschreibt, wird King’s Bridge aus dem unbedeutenden Weiler Dreng’s Ferry gegründet. Ken Follett hat sich mit der Historie beschäftigt und auf dieser Basis eine spannende Geschichte entwickelt.

Wer andere Bücher aus dieser Reihe kennt, ist nicht überrascht, dass es auch hier kreative Baumeister, selbstbewusste hübsche Frauen, idealistische Mönche, brutale Herrscher und machthungrige Kleriker in einer von Intrigen gezeichneten Welt gibt. Follett lässt die Leser nicht im Dunkeln, wenn es darum geht, wer die Guten und wer die Bösen sind und wer zu den cleveren und wer zu den dummen Menschen zählt.

Die Charaktere sind berechenbar und deren Eigenschaften werden präzise beschrieben. Auf über tausend Seiten entwickelt Follett eine lesenswerte Geschichte, deren Handlungen zwar idealisiert sind, die aber den Geist der damaligen Zeit, insbesondere auch des einfachen Volkes, widerspiegeln. Das Buch ist leicht lesbar und macht neugierig, wenngleich manche Entwicklungen vorhersehbar erscheinen.

Bewertung vom 16.10.2023
Eine verdächtig wahre Geschichte
Laurain, Antoine

Eine verdächtig wahre Geschichte


gut

"Die Wirklichkeit hatte sich dem Buch gebeugt, das sie schreiben wollte." (203) Diese Aussage der unbekannten Autorin Camille Désencres beschreibt die Magie des Buches. Man kann diese Magie auch Zufall nennen.

In diesem Buch erläutert die Lektorin und Leiterin der Manuskriptabteilung eines Buchverlages Violaine Lepage auf zynische Art und Weise den Literaturbetrieb. Die Chancen, ein Buch veröffentlicht zu bekommen, sind astronomisch gering.

Eines Tages taucht in diesem Verlag ein Manuskript auf, welches von einem schweren Schicksal sowie einer Mordserie aus Rache handelt. Das Buch wird in die Auswahl für den größten französischen Literaturpreis aufgenommen. Dummerweise kennt niemand die Autorin.

Real geschehen Morde, die Ähnlichkeiten haben mit den fiktiven Morden in dem Manuskript. Das ruft Kommissarin Sophie Tanche und ihren Partner Alain Massard auf den Plan. Aus einer Geschichte über den Literaturbetrieb wird ein Krimi.

Die Geschichte ist kurz aber sehr komplex. Hundert Seiten mehr hätten nicht geschadet, um noch ein paar Hintergründe genauer zu beleuchten. Einige Protagonisten sind nicht das, was sie vorgeben zu sein. Sie haben eine Vergangenheit, die mit dem Manuskript zu tun hat.

Die Geschichte wirkt konstruiert und nicht alle Fragen werden beantwortet. Die Lebensläufe der Protagonisten sind markant. Und letztlich geht es nicht nur um den Literaturbetrieb und den Kriminalfall, sondern eingewoben sind auch Liebesgeschichten.

Die Kommissarin wirkt farblos. Sie bedient sich der KI (dem Zeitgeist geschuldet), um den Fall zu lösen. Der Zufall spielt eine große Rolle. Über manche Charaktere hätte mehr geschrieben werden können. Unklar ist, welchem Genre man das Buch zuordnen sollte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.10.2023
Die Mitternachtsbibliothek
Haig, Matt

Die Mitternachtsbibliothek


sehr gut

Wie wäre es, wenn man sich im Leben an verschiedenen Abzweigungen anders entschieden hätte und – inspiriert von der Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik - in Parallelwelten abtauchen könnte? Auch wenn diese Interpretation Paradoxa in der Physik auflöst, handelt es sich mangels Falsifizierbarkeit nicht um eine physikalische Theorie, sondern um Spekulation. Aber sie beflügelt die Fantasie von Autoren, denen reichlich Stoff geboten wird.

Protagonistin Nora Seed erhält nach einem Suizidversuch in der Zwischenwelt zwischen Leben und Tod die Chance, alternative Lebenswege kennen zu lernen. Aus dem unendlichen Pool der Mitternachtsbibliothek kann sie Bücher auswählen und in Rollen schlüpfen, die bei anderen Lebensentscheidungen möglich gewesen wären. Manchmal sind es auch nur kleine Dinge, die den weiteren Verlauf des Lebens wesentlich beeinflussen.

Bedauerlich nur, dass sie jeweils mit ihrer Erinnerung in neue Leben eintaucht und improvisieren muss, da sie die jeweilige parallele Vergangenheit nicht kennt. Auch handelt es sich oftmals um recht kurze Ausflüge und ganz ohne logische Ungereimtheiten funktioniert die Geschichte nicht, denn in diesen Parallelwelten müsste sie ja auch existieren unabhängig von ihrem kurzzeitigen Besuch. Aber vielleicht sollte man nicht nach Erklärungen suchen, sondern den Sinn sehen.

„Du musst das Leben nicht begreifen. Du musst es nur leben.“ (312) Es geht darum, einen Weg zu finden, um glücklich zu werden. Die Erfahrungen aus ihren Reisen helfen ihr auf ihrem Weg. Manchmal reicht schon ein Perspektivwechsel aus. Verschiedene Bücher und Filme haben sich mit diesem Thema beschäftigt, bei dem man sich auf eine Gratwanderung zwischen tiefgründiger Philosophie und Kitsch begibt. Haigs Buch ist unterhaltsam und lesenswert.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.10.2023
Cosmic Kiss
Maurer, Matthias

Cosmic Kiss


ausgezeichnet

„In 100 Jahren werden wir auf die ISS als eine unglaubliche Ingenieurleistung zurückblicken. … Aber ich denke, das bleibende Vermächtnis der Raumstation wird die internationale Zusammenarbeit sein. Die ISS ist ein Ort des Friedens.“
(Kommandant der ISS Tom Marshburn, S. 378)

Bereits das Auswahlverfahren zu Beginn des Buches, in dem aus 8500 Bewerbern in einem mehrstufigen Verfahren eine kleine Gruppe Astronauten ausgewählt werden, klingt spannend. Astronaut wird nur, wer physisch und psychisch vollkommen fit ist. Zudem sind Teamplayer gefragt und keine Einzelkämpfer.

Matthias Maurer berichtet über das Trainingsprogramm angehender Astronauten. Sie arbeiten in tiefen Höhlen, auf dem Meeresgrund,in eisigen Regionen Schwedens und führen Parabelflüge durch. In der Weltraumforschung werden politische Grenzen überschritten. Es gibt gemeinsame Übungen mit Russen und Chinesen.

Die Leser erhalten sehr detaillierte Informationen über den Alltag auf der ISS. Die vielen Untersuchungen und zeitraubenden Experimente führen dazu, dass der Tag in der Raumstation ausgefüllt ist. Es bleibt wenig Zeit für den imposanten Blick auf die Erde. Selbst beim Ausstieg für Außenarbeiten ist hohe Konzentration auf die Arbeit gefordert.

Die Leser erhalten einen Eindruck davon, wie detailliert sämtliche Maßnahmen vorbereitet werden und dass man sich in der Raumstation auf seine Kollegen verlassen kann, egal welcher Nation sie angehören. Der Krieg in der Ukraine verändert die Situation auf der Erde, aber nicht in der Raumstation.

Autor Maurer hat eine positive Einstellung zu seiner Arbeit, berichtet auch über kleine Missgeschicke und Probleme und wie diese im Team gelöst werden. Der Blick auf die Erde verändert die Menschen. Die gegenseitige Abhängigkeit wird deutlich und wer diese Perspektive erlebt hat, versteht die Konflikte der Menschen auf der Erde nicht mehr.

Raumfahrt ist ein Milliardengeschäft und so sind Geldgeber erforderlich, die als Gegenleistung die ISS besuchen wollen. Einzig bei diesem Thema hört man kritische Anmerkungen von Maurer, der einen harten Auswahlprozess hinter sich hat und nun mit Besuchern konfrontiert wird, die außer Geld keine besondere Qualifikation vorzuweisen haben.

Bewertung vom 12.09.2023
Von Viren, Fledermäusen und Menschen
Eckerle, Isabella

Von Viren, Fledermäusen und Menschen


sehr gut

Die Covid-19-Pandemie hat dazu beigetragen, dass die Arbeit der Virologen in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt ist. Isabella Eckerle ist Expertin auf diesem Gebiet. Sie hat einige Forschungsreisen unternommen und untersucht neuartige Viren an der Schnittstelle zwischen Tier und Mensch. Dabei erläutert sie auch, warum die Gefahren gestiegen sind und welche wirksamen Maßnahmen das Risiko verkleinern.

Der Begriff Zoonose zieht sich durch das gesamte Buch. Damit sind Infektionskrankheiten gemeint, die auf natürliche Weise zwischen Menschen und anderen Wirbeltieren übertragen werden können. Dazu zählen u.a. HIV, Tollwut, Ebola, Vogelgrippe, MERS-Corona, SARS-Corona und Affenpocken. Damit gibt es gute Gründe, die Übertragungswege der Viren und deren Eigenschaften zu untersuchen.

Die Autorin erläutert Epidemien der Vergangenheit und welche Lehren daraus gezogen werden können. Sie erklärt die Unterschiede zwischen SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2 und macht deutlich, wie sich diese auf die Verbreitung der Viren auswirken. Die SARS-CoV-2-Fälle sind infektiös, bevor Krankheitssymptome auftreten. Dadurch ist die Bekämpfung der Krankheit sehr schwierig geworden.

Fledermäuse und Nagetiere spielen bei der Übertragung der Viren eine große Rolle. Aber Zoonosen sind keine unausweichlichen Naturereignisse. Jede Art braucht ihren Freiraum. Die Ausrottung von den Menschen gefährdenden Tierarten ist keine Lösung, sondern Lebensräume der Arten, insbesondere Urwälder, müssen erhalten werden. Wildtiere dringen in unseren Lebensraum ein, weil wir deren Lebensräume vernichten.

Die nächste Pandemie wird kommen und mit Corona werden wir leben müssen. Aber die Forschung führt auch zu Erkenntnissen, wie wir medizinisch gegen durch Viren verursachte Krankheiten vorgehen können, wie wir vorbeugend tätig werden können und dass wir Ökosysteme erhalten müssen, nicht nur um Tiere zu schätzen, sondern um die Menschen zu schützen. Isabella Eckerle trägt mit diesem verständlichen Buch zur Aufklärung bei.

Bewertung vom 23.08.2023
Der Katalane - Bd. 7
Gordon, Noah

Der Katalane - Bd. 7


gut

Noah Gordon erzählt die Geschichte von dem katalanischen Weinbauer Josep Àlvarez, der in den 1870er Jahren in dem Dorf Santa Eulalia ein Weingut bewirtschaftet. Als zweitgeborener Sohn ist er nicht der Erbe des väterlichen Gutes, sondern erwirbt dieses 1874, nach seiner Rückkehr aus dem französischen Exil, von seinem älteren Bruder Donat, der wenig Interesse an dem Hof zeigt. Donat geht mit seiner Frau Rosa als Fabrikarbeiter nach Barcelona.

1870 wurde Josep zusammen mit anderen zweitgeborenen Söhnen des Dorfes von dem karlistischen Sergent Peña für das Militär angeworben. Nach zahlreichen Übungen kommt es zum Einsatz. Sie sollen einen Verräter verhaften. Jedoch werden die Jungen getäuscht. Der Mann wird erschossen. Es handelt sich um Juan Prim y Prato, den Präsidenten der Cortes, ein Politiker und Staatsmann. Die Mitwisser werden ermordet. Josep kann nach Frankreich fliehen, wo er auf dem Weingut von Léon Mendès arbeitet.

Josep hat in Frankreich soviel über den Weinbau gelernt, dass es ihm gelingt, das heimische Weingut erfolgreich zu führen. Er freundet sich mit der Witwe Maria del Mar an, die ebenfalls Wein in Eulalia anbaut. Die Ratenzahlungen an seinen Bruder erschweren die Arbeit. Insbesondere macht Donats Frau Rosa ihm das Leben schwer. Eines Tages taucht Peña in Eulalia auf. Josep bekommt schlaflose Nächte. Die Lage spitzt sich zu. Josep bangt um sein Leben.

Auch wenn dem Roman spannende Handlungen fehlen, ist er informativ und insbesondere verständlich erzählt. Die Leser erhalten Einblick in das Leben der Weinbauern und in die politischen Verhältnisse in Spanien vor 150 Jahren. Es ist eine liebevoll erzählte Geschichte über das Dorfleben, in der Krisen bewältigt werden müssen und Zähigkeit sich auszahlt. Das Attentat ist historisch belegt, wurde aber nie aufgeklärt. Die Verwicklung der Jungen aus Eulalia in den Mord ist frei erfunden.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.07.2023
Mehr als nur Atome
Hossenfelder, Sabine

Mehr als nur Atome


gut

Sabine Hossenfelder, theoretische Physikerin, beschäftigt sich beruflich unter anderem mit der Erforschung der Quantengravitation. In diesem Buch analysiert sie Grenzfragen der Physik und unterscheidet dabei streng – für den Leser lehrreich – zwischen wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Annahmen. Sie zeigt auf, welche Überzeugungen noch mit wissenschaftlichen Fakten in Einklang stehen.

Sie ist eine Vertreterin des ausschließlichen Reduktionismus, das gilt auch für ihre Interpretation von Emergenz. Sie vereinbart Emergenz mit dem Reduktionismus, indem sie insistiert, dass emergente Eigenschaften aus den fundamentalen Kräften und Wechselwirkungen auf unterster Ebene, also der Physik, ableitbar sind. Damit dürfte jedoch die Mathematik überfordert sein.

Wenngleich der Stufenaufbau der Wissenschaften von der Physik bis zur Soziologie plausibel klingt, dürfte es auch künftig schwierig werden, z.B. das Wedeln eines Hundeschwanzes mit ausschließlich fundamentalen Kräften und Wechselwirkungen zu erklären. Dagegen ist es plausibel, dass die physikalischen Gesetze der untersten Ebene nicht auf höherer Ebene verletzt werden können.

Die rigorose Haltung der Autorin wird auch an anderen Beispielen deutlich, wenn es um Hypothesen für die Entstehung des Universums geht oder in ihrer Einschätzung zur Viele-Welten-Theorie. Gleiches gilt für Aussagen zu jenseits der Grenzen des beobachtbaren Universums. Auch zum freien Willen positioniert sie sich eindeutig, denn nach ihrer Auffassung ist die Zukunft, abgesehen von gelegentlichen Quantenereignissen, festgelegt.

Die Frage nach dem Sinn überschreitet die Möglichkeiten der Physik. Wenn das Universum nur eine Maschinerie ist, deren zeitliche Veränderungen durch Differentialgleichungen, ausgehend von den Anfangsbedingungen, beschrieben werden können, fehlt da etwas sinnstiftendes. Es ist nicht alles auf die Physik reduzierbar. Es darf jedoch nichts der Physik widersprechen.

Bewertung vom 09.07.2023
Vernichten
Houellebecq, Michel

Vernichten


gut

Handelt es sich bei diesem Roman um einen Politthriller oder um ein Familiendrama? Spannende politische Ereignisse lassen ersteres vermuten. Jedoch erfolgt im Laufe der Geschichte ein Perspektivwechsel von der großen Politik in Richtung Familie, von terroristischen Anschlägen in Richtung persönlicher Katastrophen. Hier liegt, so mein Eindruck, auch die Quintessenz aus dieser recht langatmigen Story. Wie wichtig ist die große Politik, wenn es um das persönliche Schicksal geht? Konkret geht es insbesondere um den Spitzenbeamten des Wirtschaftsministeriums Paul Raison.

So destruktiv die Entwicklung auch ist, zeigt sich Michel Houellebecq hier einfühlsamer und weniger zynisch als gewohnt. So etwas wie Liebe ist erkennbar und auch die Akzeptanz des Unvermeidlichen. Trotzdem verursacht der Roman Irritationen, die nicht hinreichend aufgelöst werden. Die Geschichte ist zäh und ja, Liebe ist mehr als die Darstellung von Sexszenen. Bei Houellebecq dominiert die männliche Perspektive. Die Verbindung zur Politik tritt immer mehr in den Hintergrund. Die Handlungsstränge divergieren, Fragen bleiben offen. Es ist kein Roman, der in Erinnerung bleibt.

Bewertung vom 02.06.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


gut

Der Roman spielt 1966 in Wien. Der junge Marktarbeiter Robert Simon will sich beruflich verändern und er eröffnet in der Nähe des Karmelitermarktes ein Café. Die Räumlichkeiten hat er von Hauseigentümer Kostja Vavrovsky gepachtet. Simon wohnt bei der Kriegerwitwe Martha Pohl. Sein bester Freund ist der Fleischermeister von gegenüber. Damit ist der Rahmen der Geschichte abgesteckt. Die Erzählungen erfolgen überwiegend chronologisch und decken einen Zeitraum von ca. zehn Jahren ab.

Zu den Besuchern des Cafés gehören insbesondere Menschen aus dem Viertel, die ihre Lebensgeschichten mitbringen. Es sind die Sehnsüchte, Ängste, Enttäuschungen und Hoffnungen der Menschen, die Seethaler auf seine unnachahmliche minimalistische Art und Weise erzählt. Die Leser tauchen ein in die Welt der einfachen Leute, deren Erfahrungswelt Seethaler prägnant beschreibt. Der Autor verzichtet dabei auf eine politische Ausrichtung. Im Fokus stehen die Menschen mit ihren unmittelbaren Problemen.

Der Roman ist lesenswert, hat mich aber nicht so berührt wie die Lebensgeschichte von Andreas Egger in „Ein ganzes Leben“. Vielleicht liegt es daran, dass in „Das Café ohne Namen“ kapitelweise – manchmal auch übergreifend - Einzelepisoden erzählt werden, in die man nicht tiefer eintauchen kann, wenngleich der Autor es versteht, mit wenigen Worten Bilder im Kopf entstehen zu lassen, die die Atmosphäre wiedergeben. Auch fehlt den Handlungen ein politischer Rahmen für die Zeit zwanzig Jahre nach Kriegsende