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Benutzername: 
Diamondgirl
Wohnort: 
Stolberg
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 126 Bewertungen
Bewertung vom 15.09.2021
Barbara stirbt nicht
Bronsky, Alina

Barbara stirbt nicht


ausgezeichnet

Ein ganz berührendes Buch!

Dieses Buch ist ganz sicher mein bisheriges Buch-Highlight 2021!

Walter Schmidt ist seit über 50 Jahren mit Barbara verheiratet und hat in diesen Jahren nicht ein einziges Mal auch nur ein Staubtuch in der Hand gehabt, geschweige denn Kaffee gekocht oder anderen Weiber-Kram erledigt. Er war der Ernährer und ist arbeiten gegangen, womit seine Pflichten erledigt waren.
Eines Freitags ändert sich sein bequemes Leben schlagartig, als er seine Barbara gestürzt im Bad findet und sie sich außerstande sieht, das Bett länger zu verlassen und irgendeinen Handschlag zu tun im Haus. Walter muss wohl oder übel seine Komfortzone verlassen und selbst Hand anlegen...

Was für eine wundervolle Geschichte um einen besserwisserischen, nörgelnden, alten Miesepeter. Wenn ich nicht selbst so ein Haushaltswunder in der eigenen Familie gekannt hätte, würde ich Walter für total überzeichnet halten - aber solche (i.d.R. alten) Männer gibt es.
Walter ist ohnehin nicht gerade der mitfühlende Romantiker schlechthin. Er ist eher ziemlich direkt und auch ungehobelt seinen Mitmenschen gegenüber. Seine Kinder halten lieber gebührenden Abstand. Sein Sohn kann keine 3 Sätze mit ihm wechseln, ohne dass es Streit gibt. Auch sein Umfeld sieht ihn am liebsten eher aus der Ferne oder als notwendiges Übel, wenn man Barbara treffen möchte.
Mit jeder Buchseite wird die Verzweiflung Walters deutlicher. Er will auf der einen Seite überhaupt nicht wahrhaben, dass seine Barbara ernsthaft krank sein könnte, auf der anderen hat er schreckliche Angst, dass sie einfach so stirbt. Wobei er erst einmal nicht wirklich Angst um sie hat, sondern eher Angst, dass er alleine und hilflos zurück bleiben könnte. Denn das wird ihm immer klarer, wie viele seiner Mitmenschen ihn erfahren - auch wenn er das nicht wirklich immer beabsichtigt hat. Er ist halt einfach so. Er braucht seine Regeln und Ordnung und wer ihn dabei stört, der bekommt das unmittelbar zu hören.
Ich fand es sehr berührend, wie Walter sich immer mehr bemüht, alles für Barbara zu tun, was irgend möglich ist, nur damit sie wieder gesund wird. Sogar vertrackte Kochrezepte probiert er umzusetzen, solange sie wirklich jeden kleinen Schritt enthalten. Wie ein Ingenieur an einem Bauplan, der jede noch so kleine Schraube enthalten muss, wenn das Ergebnis stimmen soll. Immer mehr wird ihm klar, was er droht zu verlieren. Und das wäre nicht nur Barbara.

Die Geschichte wird zwar von einem Dritten erzählt, jedoch ausschließlich aus Walters Sicht. Man kann ihm kaum böse sein, auch wenn man ihn manches Mal einfach nur anschreien möchte. Man weiß nicht wirklich, was Barbara je an ihm gefunden hat, aber er hat vor, sein Eheversprechen zu halten, sich um sie zu kümmern. Niemand ist darüber mehr erstaunt als Barbara.
Der Schreibstil ist wunderbar! Ich habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen. Es ist nie rührselig, stattdessen mit einer guten Portion Humor gesegnet. Es bietet so einige kleine Überraschungen, die den Lesenden das Geschehen besser verstehen lassen. Das Ende ist leider etwas sehr abrupt; nach einiger Überlegung fand ich es jedoch gar nicht so verkehrt. Es ist vollkommen klar, was mit Barbara geschehen wird und muss nicht noch breitgetreten werden. Und dass Walter Schmidt auf einem guten Weg zu seiner Familie und seinen Mitmenschen ist, dessen kann man ziemlich sicher sein.

Fazit: Wer ein humorvolles aber durchaus ernsthaftes Buch lesen möchte, der ist hier goldrichtig!

Bewertung vom 10.09.2021
Das geheime Leben des Albert Entwistle
Cain, Matt

Das geheime Leben des Albert Entwistle


gut

Albert Entwistle ist Postbote in Toddington, einer englischen Kleinstadt, und steht kurz vor seiner Pensionierung - was ihn schon jetzt in Angst und Schrecken versetzt. Außer seiner Arbeit hat Albert nicht viel in seinem Leben. Er ist ausgesprochen menschenscheu und vermeidet jeden Kontakt der nicht unbedingt sein muss. Es hat durchaus den Anschein einer sozialen Störung.
Als dann auch noch seine Katze stirbt, beschließt er, sein Leben umzukrempeln und nach seiner verschwundenen Jugendliebe George zu suchen, den er 50 Jahre nicht gesehen hat.

Der Schreibstil ist wirklich ansprechend und flüssig! Ich mag den unterschwellig präsenten feinen britischen Humor. Albert war mir auf Anhieb sympathisch und zahlreiche Rückblenden in die Zeit seiner Pubertät geben Aufschluss darüber, wie vor allem junge Homosexuelle in den 70ern zu leiden hatten. Insofern war das Buch durchaus ein Gewinn.
Leider ging mir Alberts Entwicklung deutlich zu glatt. Als er sich im zarten Alter von 64 endlich outet, sind alle Bekannten hellauf begeistert und nehmen ihn in ihren Kreis auf, auch wenn sie wenige Tage zuvor noch dumme Sprüche über Schwule abgelassen haben.
Albert macht durchweg positive Erfahrungen, die so weit gehen, dass seine "Freunde" - die eigentlich bisher lediglich Kollegen, Postkunden oder Nachbarn waren - eine Party für ihn veranstalten und ihn beglückwünschen zum Outing. Als ob es plötzlich chic ist, wenn man schwule Freunde hat. Ich finde das mehr als unwahrscheinlich, zumal in der heutigen Zeit. Es gibt keine noch so kleine Stadt, in der nicht irgendwelche Spackos leben, die sich über neue Opfer freuen. Und vom web will ich gar nicht reden. Genau diese Konstellation findet hingegen gar nicht statt. Alles ist Friede, Freude, Eierkuchen. Auch sämtliche Probleme anderer Protagonisten lösen sich in Happy-End-Wohlgefallen auf. Ein Buch das Mut machen will, okay - aber dann bitte nicht so weltfremd und rosarot!

Trotzdem bekommt das Buch von mir noch 3 gute Sterne, denn es liest sich wirklich wunderbar vom Schreibstil her. Schade, dass Matt Cain seine Begabung nicht etwas besser eingesetzt hat.

Fazit: Ein leichtes Wohlfühlbuch für Menschen, die gerne Bücher aus der Schwulenszene lesen.

Bewertung vom 15.08.2021
Die Hebamme
Hoem, Edvard

Die Hebamme


sehr gut

Hebamme vor 200 Jahren

Stina, so wird Marta Christine Andersdatter Nesje genannt, wird Ende des 18. Jahrhunderts am Romsdalsfjord geboren als Tochter eines Schuhmachers. Zusammen mit ihrer Schwester wächst sie wohlbehütet, wenn auch in recht armen Verhältnissen in einem Häuslerhof auf. Sie ist sehr aufgeweckt und durch ein recht gruseliges Kindheitserlebnis wächst in ihr schon früh der Wunsch, Hebamme zu werden und schwangeren Frauen zu helfen.
Der Autor und Nachfahre von Stina, Edvard Hoem, hat ausführliche Recherchen betrieben, um ihr ein literarisches Denkmal zu setzen. Anfang des 19. Jahrhunderts ist es alles andere als leicht für eine junge Frau, eine solche Ausbildung zur Hebamme zu machen, die von den Mitbürgern auch anerkannt und genutzt wird. So sieht sie sich irgendwann gezwungen, einen 600 km Marsch nach Christiania (Oslo) auf sich zu nehmen, um über mehrere Monate eine anerkannte Hebammenschule zu besuchen.

Es handelt sich bei diesem Buch um einen Roman, mit vielen fiktiven Anteilen. Lediglich die Angaben aus den alten Kirchenbüchern und weiteren historischen Dokumenten liefern Fakten für den entsprechenden Rahmen der Story.
Das Leben in Zeiten teils kriegerischer Auseinandersetzungen mit Schweden war hart! Außerdem hat Norwegen ein raues Klima, was eine ertragreiche Landwirtschaft nicht immer einfach und vor allem unsicher macht. Gerade dieses entbehrungsreiche Leben ist ein großer Bestandteil der Geschichte und Hoem lässt es wortgewandt auferstehen.
Im Mittelteil des Buches hatte ich zeitweise den Eindruck, als wäre die Person des Ehemannes Hans eigentlich der Hauptdarsteller. Alles drehte sich ständig um ihn und seine Probleme, die er aus dem Fronteinsatz mitbrachte. Warum diese Person so in den Vordergrund rückte, hat sich mir nicht ganz erschlossen. Damit haderte ich ein wenig, denn Stine hätte sicher auch so genügend Spielraum geboten für eine interessante, abwechslungsreiche Geschichte, die natürlich ohne ihren Mann so nicht möglich gewesen wäre.
Überhaupt ist dieser Roman eher sachlich wie eine Chronik geschrieben. Prinzipiell fand ich jedoch gut, dass er nicht in den üblichen reißerischen Hebammen-Roman-Stil verfiel, sondern nüchtern erzählte. Aber manchmal hätte ich mir durchaus mehr Kontakt zu den Protagonisten gewünscht, die mir auf seltsame Art fremd blieben und mich kaum berührten.
Dennoch ist es so gut geschrieben, dass mir die Lektüre keine Minute lang wurde und ich gerne darin weitergelesen habe.

Fazit: Es ist nie falsch, etwas über alte Zeiten zu lesen und dabei zu lernen! Noch dazu, wenn es so gut geschrieben ist.

Bewertung vom 02.08.2021
Wildtriebe
Mank, Ute

Wildtriebe


gut

Leben auf dem Lande

Ein kleines Dorf in Hessen mit seinen dazugehörigen Höfen, von denen jeder einen Namen hat, der auf seine ursprünglichen Besitzer zurück ging. Auf dem Bethches-Hof ging er auf die Namen der Frauen zurück, die seit Generationen Elisabeth hießen und Lisbeth genannt wurden.
Lisbeth hatte als Letzte den Hof nach dem Krieg übernommen, da ihre Brüder nicht aus dem Krieg zurück kamen. Seither kümmert sie sich voller Hingabe um den Hof und alte Traditionen.
Als ihr Sohn Marlies als Schwiegertochter auf den Hof bringt, geraten diese Traditionen ins Wanken. Mit der Geburt deren Tochter entsteht immer mehr Konfliktpotenzial.

Ute Mank stellt 3 Generationen des Bethches-Hof vor, und das mit Blick auf zwei der Protagonistinnen, Lisbeth und Marlies. Beständig entsteht ein Wechsel sowohl zwischen den beiden Personen als auch in den Zeiten durch zahlreiche Rückblicke. So entsteht ein Rahmen, der letztlich die Zeit der Hofübernahme durch Lisbeth bis zum jungen Erwachsenenalter ihrer Enkelin Joanna umspannt.
Dabei wird nicht die Ich-Perspektive gewählt, sondern durch den Erzähler Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt beider Frauen gewährt. Es herrscht ein beständiger, wenn auch verborgener Kampf zwischen ihnen. Marlies kommt nicht aus der Landwirtschaft und fühlt sich vereinnahmt, ja fast unterdrückt vom dortigen Leben. Dabei ist sie bemüht, sich ja pflichtgemäß einzubringen und allen Anforderungen gerecht zu werden.
Lisbeth hingegen hat seit dem ersten Augenblick keine besonders gute Meinung von ihr. Sie trägt die falsche Kleidung, sieht nicht so aus als könnte sie anpacken und überhaupt wäre eine Tochter von einem anderen Hof besser gewesen! Sie lebt die Tradition und kaum etwas ist wichtiger, als was die übrigen Dorfbewohner über sie und ihren Hof denken. Jeden "Fehler" von Marlies fühlt sie als eigenes Versagen, weil alle denken könnten, sie habe ihren Hof nicht im Griff.
Marlies versucht zumindest einen Teil Eigenständigkeit zu bewahren und macht den ein oder anderen Versuch, sich vom traditionellen Rollenbild einer Bäuerin abzugrenzen. Da sie jedoch nie offen über ihre furchtbare Not spricht und sich auch von ihrem Mann im Stich gelassen fühlt, kommt sie über diese fast lächerlich wirkenden Versuche nie hinaus.
Mir fiel ausgesprochen schwer, mich mit den Protagonisten anzufreunden. Ich fand sie alle gruselig - alle 3 Frauen und die dazugehörigen Männer sowieso, da sie sich eigentlich immer nur raus gehalten haben. Als ob sie der Weiberkram einfach nichts angeht. So lange pünktlich das Essen auf dem Tisch war, war doch alles prima! War der Frieden ernsthaft in Gefahr, versuchten sie mit belanglosen Sätzen zu beschwichtigen. Mehr war nicht drin.
Lisbeth, weil sie keinen einzigen Schritt auf Marlies zugehen konnte; weil ihre Meinung einmal gefallen war und Marlies nichts hätte tun können, diese zu ändern.
Und Marlies, weil sie immer nur wartete, dass irgendwer sie aus ihrem Elend heraus holt und Lisbeth ändert. Sie hat nie rebelliert und auch mal auf den Tisch gehauen, sondern immer nur brav weiter versucht, es allen Recht zu machen.
Wäre der Schreibstil nicht so gut gewesen, hätte ich das Buch sicher vorzeitig abgebrochen. Zumal auch nicht wirklich viel passierte. So fiel es mir dennoch leicht, bis zum Ende der Geschichte dran zu bleiben. Sehr speziell fand ich das Stilmittel, teilweise Sätze nicht zu beenden. Es war wie Gedanken, die ungewollt aufkommen und man nicht zuende denken will, weil sie so furchteinflößend oder schrecklich sind. Das fand ich ausgesprochen interessant.

Fazit: Wenn man ruhig dahin fließende Familiengeschichten mit landwirtschaftlichem Background mag ist man hier gut aufgehoben.

Bewertung vom 18.06.2021
Letzte Ehre
Ani, Friedrich

Letzte Ehre


ausgezeichnet

Wieder ein perfekter Ani!

Wieder einmal habe ich mit großer Begeisterung ein Ani-Buch verschlungen...
Finja, ein 17jähriges Mädchen, verschwindet nach einer kleineren Party. Fariza Nasri ermittelt in dem Fall, weil man davon ausgeht, dass das Mädel Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Nasri ist Verhör-Spezialistin, weil sie extrem gut zuhören und beobachten kann. Schon nach kurzer Zeit beschleicht sie das Gefühl, dass einer der Hauptzeugen nicht die Wahrheit spricht.

Ani besitzt die Fähigkeit, tief in die Seele seiner Protagonisten blicken zu lassen. Fariza Nasri ist schon aus anderen Romanen als Ermittlerin bekannt und hat keine blütenweiße Weste. Gerade das macht diese Figur jedoch so unglaublich spannend.
Beginnt dieser Roman mit der Aufklärung des Vermisstenfalles, so entstehen darüber hinaus weitere Fälle, mit denen Nasri sich beschäftigen muss.

Wie gewohnt ist auch dieser Roman kein Thriller oder Krimi im herkömmlichen Sinne. Etwas schade finde ich, dass der Verlag den Fehler begeht, ihn auf dem Bucheinband als solchen anzupreisen. In diesem Buch gibt es weder einen Strudel der Gewalt, der Nasri mitzureißen droht, noch einen Horrortrip. Stattdessen gibt es eine kunstvoll gewobene Story, die auf höchst langsame und subtile Weise Stück für Stück menschliche Abgründe offenlegt.
Ani ist in diesem Metier Meister seines Faches! Er schreibt ungeheuer sprachgewaltig und auch anspruchsvoll. Kein Buch, das man verschlingt wie einen 08/15-Thriller, den man jedoch genauso schnell auch wieder vergisst. Anis Bücher hallen lange nach.
Das Buch wird aus Erzählersicht der Ermittlerin Nasri geschrieben und besteht zu einem großen Teil aus Verhörprotokollen. Das hört sich erstmal fade und spannungsarm an, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Ich habe lediglich 2mal angesetzt um es auszulesen und hätte gerne noch 100 Seiten mehr gelesen.

Fazit: Wer etwas anspruchsvollere Romane mit Krimi-Anklang sucht ist hier goldrichtig!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.06.2021
Wenn Haie leuchten
Schnetzer, Julia

Wenn Haie leuchten


weniger gut

Gut gemeint...

Nun denn.....
Selten habe ich so lange an einem so überschaubaren Buch gesessen. Ich habe mich regelrecht weiterkämpfen müssen, weil ich mit dem Stil nicht richtig warm geworden bin.
Die Autorin Julia Schnetzer - immerhin studierte Biologin - möchte uns ein Sachbuch mit unterhaltsamem Charakter präsentieren. Die Thematik ist absolut interessant und nach einer Leseprobe entstand bei mir der Wunsch, es komplett zu lesen. Leider hat sich meine Hoffnung auf ein unterhaltsames und informatives Sachbuch für Laien nicht ganz erfüllt.
Die Einblicke in die Unterwasserwelt der Ozeane sind durchaus informativ und bieten einen kreuz-und-quer-Überblick über so manche Themen. Der Schreibstil ist dabei absolut locker und leicht zu lesen. An manchen Stellen hatte ich jedoch den Eindruck, dass es etwas mit ihr durchging. Da wurde mit Fachbegriffen nur so um sich geworfen, die ich während der Lektüre hätte nachschlagen müssen, um zu verstehen, was mir die Autorin da versucht zu erklären - ich bin nämlich keine Biologin. Bei anderen Themen hingegen hatte ich den Eindruck, dass sie nur angekratzt wurden ohne weiteren Tiefgang.
Ich lese immer wieder gerne Sachbücher, auch und gerade, wenn es um die Wasser- oder Tier- und Pflanzenwelt geht. Solche Probleme wie mit diesem Buch hatte ich dabei noch nie! Es zog und zog sich und ich habe seitenweise quergelesen, um es hinter mich zu bringen.
Was mich aber wirklich ärgerte, ist die Schludrigkeit, mit der es ganz offensichtlich erstellt wurde. Trotz häufigem Querlesen habe ich immer noch etliche Fehler gefunden. Angefangen bei schlichten Schreibfehlern wie Fischwarm (gleich 2mal auf Seite 212) und Geißeltierchen, die offenbar auch noch Geiseln genommen haben, mit denen sie sich Nahrung zuführen.
Doch damit nicht genug: Es gibt auch noch etwas, das am optimalsten ist. Und was ist falsch an dem Satz: Geschätzt sind Viren alleine in tropischen und subtropischen Ozean für eine Freisetzung von 145000 Tonnen Kohlenstoff im Jahr verantwortlich (S. 228)? Gibt es eigentlich überhaupt kein Lektorat mehr, wenn ich ein Buch veröffentlichen möchte?
Als ob so etwas nicht schon schlimm genug in dem Sachbuch einer Akademikerin wäre, kommt dann aber auch noch eine höchst dekorative illustrierte Reaktionsgleichung auf Seite 164, die schlichtweg falsch ist! Und das geht mal überhaupt nicht!

Gerade habe ich entschieden, dass die erst von mir geplanten 3 Punkte eigentlich noch zu viel sind und korrigiere sie auf 2 Punkte.

Fazit: Muss man nicht lesen - da gibt es bessere und unterhaltsamere Sachbücher!

Bewertung vom 26.04.2021
Die Wahrheit der Dinge
Thiele, Markus

Die Wahrheit der Dinge


sehr gut

Außergewöhnlich und mit Tiefgang

Frank Petersen ist mit ganzem Herzen Richter, aber in den letzten Jahren hat er begonnen, an sich selbst zu zweifeln. Einige seiner Urteile wurden vom BGH aufgehoben und er ist sich nicht sicher, ob er seinen Beruf noch so ausübt, wie er es von sich selbst erwartet. Sein letztes Urteil ist so umstritten, dass sogar seine Frau sich von ihm abwendet und ihn mitsamt Sohn verlässt. Obwohl er sicher ist, dass er gemäß Gesetz und besten Gewissens vorurteilsfrei geurteilt hat. Auch dieser Fall kommt vor den Bundesgerichtshof und dessen Entscheidung steht zu erwarten. Petersen überlegt, seinen Beruf an den Nagel zu hängen.

Es fällt nicht ganz leicht, dieses Buch zu rezensieren, ohne zu viel vom Inhalt zu verraten. Die Misere begann für ihn, als 2010 kurz vor seiner Urteilsverkündung der angeklagte Täter aus dem rechten Milieu von der Mutter des Opfers im Gerichtssaal erschossen wird. Seitdem fragt er sich, ob er einen Fehler machte, ob er diese Tat hätte verhindern können. Nun, im Jahr 2015, wird die Täterin aus der Haft entlassen und alles droht Petersen erneut zu überrollen.

Dieses Buch ist von einem Thriller sicherlich weit entfernt. Es ist eher eine Analyse - sowohl der Psyche des Richters als auch des Justizsystems. Parallel erzählt das Buch in 3 Erzählsträngen unterschiedlicher Zeiten und erst im Verlauf der Geschichte erfährt der/die Lesende, wie alles aufeinander aufbaut und miteinander verbunden ist.
Interessant ist, dass die Protagonisten teils an den realen Fällen Bachmeier und Kiowa angelehnt sind. Das sollte einem vielleicht bewusst machen, dass das Geschilderte nicht nur abenteuerliche Fiktion ist, sondern jederzeit überall passieren kann.
Der Schreibstil ist überraschend gut und sehr eingängig. Die Charaktere sind wirklich gut heraus gearbeitet und ich konnte mich in jede der Personen hervorragend einfühlen. Und das ohne jede übermäßige Rührseligkeit und bei entsprechender Sachlichkeit. Die Gedankengänge und Gefühle waren schlichtweg nachvollziehbar und in meinen Augen sehr tiefgehend.

Fazit: Ein ruhiges Buch, dass ich nur jedem ans Herz legen kann, der etwas über die Problematik von Urteilsfindung und -tragweite lesen möchte.

Bewertung vom 10.04.2021
Der große Sommer
Arenz, Ewald

Der große Sommer


sehr gut

Friedrich Büchner, der Ich-Erzähler in diesem Buch, wandert einerseits über den Friedhof und sucht nach einem bestimmten Grab, andererseits mit seinen Gedanken in seine Jugendzeit zurück. In jenen Sommer, am Ende der 9. Klasse - die Frieder wieder einmal nicht geschafft hatte wegen Mathe und Latein. Er muss als letzte Chance zur Nachprüfung und verbringt aus diesem Grund die kompletten Sommerferien bei seinen Großeltern, um den Stoff nachzuholen und für die Prüfung zu pauken, während seine Eltern mit den kleineren Geschwistern in Camping-Urlaub fahren.
Seine Großmutter, von allen Nana genannt, liebt er sehr und freut sich auch auf sie. Vor seinem Großvater hingegen hat er nicht nur riesigen Respekt, sondern regelrecht Angst vor seine Stränge und Unnachgiebigkeit.
Zum Glück ist noch Johann da, sein bester Freund, und Alma, seine Schwester, die in einem Altenheim ein Praktikum während der Ferien absolviert und währenddessen im Schwesternheim wohnt. Kurz vor den Ferien lernt er Beate im Schwimmbad kennen und ist auf Anhieb ein wenig verschossen in sie. Gemeinsam verbringen die Vier viel freie Zeit und so manches nimmt seinen Lauf.

Die Geschichte plätschert zunächst etwas belanglos vor sich hin wie ein leichter Coming-of-Age-Roman. Soll heißen: erste große Liebe, Probleme in der Schule und mit Freunden, verständnislose Erwachsene etc. Zunächst denkt man noch beim lesen "Na und?" Aber dann zeigt sich, wie Arenz sein Metier versteht. Es ist beileibe kein Jugendbuch, sondern es lässt die Lesenden so vieles nachvollziehen - nicht nur aus der eigenen Kindheit, sondern auch aus der Kindheit eigener Kinder. Man erinnert sich seiner eigenen, teils turbulenten Pubertät und ich staunte nicht schlecht, wie sehr ich mich an dieses Alter unserer Söhne erinnert fühlte.
Durch die Erinnerungen des Ich-Erzählers kann man an den Gedanken und Gefühlen des jungen Frieders teilhaben. Die Story entwickelt sich und alles gerät ins wanken. Frieder verliert immer mehr den Überblick und wird förmlich von den Ereignissen - teils nicht beeinflussbar, teils selbst verursacht - überrollt. Und er erfährt im Laufe dieser 6 Ferienwochen, dass nicht immer alles so klar ist, wie es scheint. Er erfährt neben der ersten Liebe auch, was Familie, wahre Freundschaft und Liebe bedeuten kann, was wirklicher Mut ist und dass Strenge nicht gleichzusetzen ist mit Lieblosigkeit. Ganz so, wie er es selbst zu Anfang des Buches sagt, werden diese 6 Wochen seine Reifeprüfung für das Leben als Erwachsener. Danach ist er definitiv kein Kind mehr.

Alle Charaktere sind glaubhaft und authentisch. Passend zur Zeit und passend zum jeweiligen Alter. Das Buch ist an keiner Stelle rührselig, aber durchaus emotional. Die Schreibweise ist durchweg angenehm und einfach zu lesen. Manchmal hätte ich mir hier mehr Raffinesse gewünscht. Aber es passt durchaus zum Thema.
Ich jedenfalls habe das Buch mit großem Vergnügen gelesen!

Bewertung vom 05.03.2021
Könnt ihr mal das Segel aus der Sonne nehmen?
Erdmann, Johannes

Könnt ihr mal das Segel aus der Sonne nehmen?


sehr gut

Informativ und amüsant

Drei Jahre betreiben Johannes Erdmann und seine Frau Cati mit einem Katamaran einen Charterbetrieb auf den Bahamas. In seinem Buch hat Erdmann zahlreiche Anekdoten aus seinem Skipperleben mit den Charter-Crews auf amüsante Weise festgehalten.
Zwar hatte ich mir insgesamt ein witzigeres Buch versprochen, doch das wurde durch reichlich Informationen wettgemacht.
Ich habe überhaupt keine Segelerfahrung und auf den Bahamas war ich auch noch nie. Dennoch hat mich das Thema absolut fasziniert. Wie es wohl ist, sein Leben auf so kleinem Raum zu verbringen und dann auch noch mit vollkommen fremden Menschen? Vom fremden Lebensraum ganz zu schweigen. Einiges war nicht so einfach, da vor allem Versorgungsprobleme auftraten bei Reparaturen. Beeindruckend, dass die beiden doch die Köpfe nie hängen ließen und ihrem Plan vom Skipperleben allen Widrigkeiten zum Trotz treu blieben.
Der Schreibstil ist sehr angenehm zu lesen und bei manchen Schilderungen musste ich doch grinsen, wie manche Leute so drauf sind. Ich habe viel über die Bahamas und einiges übers Leben auf einem Boot gelernt und vor allem hatte ich wirklich meinen Spaß bei der Lektüre. Man merkt in jedem Kapitel, wie sehr der Autor dieses Leben und die Bahamas liebt. Und ein wenig von seinem Feuer springt auf die Lesenden über...

Bewertung vom 04.02.2021
Liebeserklärungen
Kaminer, Wladimir

Liebeserklärungen


ausgezeichnet

Wie viele Facetten hat die Liebe? Wladimir Kaminer lässt die Lesenden jedenfalls eine ganze Menge unterschiedlicher Facetten entdecken. Dass er das in gewohnt launischer Art hinbekommt, braucht nicht erwähnt zu werden.
So geht es z. B. um die harmlose Schwärmerei für einen Rockstar, um einen großartig geplanten Heiratsantrag, um wiederentdeckte alte Liebe, wie ein Blitzschlag eintretende neue Liebe, um vergessene Liebe oder die, die als einziges noch in Erinnerung geblieben ist, um Liebe zu einer völlig Unbekannten, glückliche Liebe, unglückliche Liebe oder unmögliche Liebe, längst vergangene Liebe, zufällig beginnende Liebe, verheißungsvolle Liebe, heiß ersehnte oder sogar nicht erwünschte Liebe und noch vieles mehr.
Und aus all diesen Geschichten blitzt der Schalk des Herrn Kaminer mal mehr, mal weniger hervor. Es ist ganz offensichtlich, dass eines seiner Hobbys das Studium seiner Mitmenschen ist. Jedoch beobachtet er nicht, um die Menschen zu verachten, auszulachen oder vorzuführen - nein... Man merkt ihm bei jeder Story an, was für ein großer Menschenfreund er ist. Er kritisiert nicht - er staunt höchstens; um dann lächelnd aber verstehend mit dem Kopf zu nicken und die Schultern zu zucken. Was wäre diese Welt, wenn alle Menschen perfekt wären? Definitiv keine Welt für Wladimir Kaminer!
Besonders gut haben mir die (vermutlich) biografischen Storys über seine Eltern, Tanten und Großeltern gefallen. Vielleicht, weil da auch ein Stückchen Schwermut mit anklang. Die meisten handeln vom Bekanntenkreis bzw. von diesen erzählten. Nur Kaminer wird wissen, wie viele der Geschichten tatsächlich einen wahren Kern enthalten. Ist aber auch egal - Märchen sind auch erfunden, haben aber eine Botschaft. Genau wie diese Erzählungen. Es geht nichts über eine Liebeserklärung; und sei sie auch noch so skurril.
Ich mag Seine Bücher sehr!