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Verena

Bewertungen

Insgesamt 137 Bewertungen
Bewertung vom 13.06.2023
Oh, William!
Strout, Elizabeth

Oh, William!


sehr gut

Elizabeth Strout kann so wunderbar den Alltag „gewöhnlicher“ Menschen portraitieren und dabei hoch komplexe, tiefgründige Figuren erschaffen, dass man beinahe glaubt, diese persönlich zu kennen. „Oh, William“ ist ein relativ kurzes Buch, doch der Einblick in das Beziehungsgeflecht rund um die Protagonistin Lucy Barton (die auch schon in anderen Romanen von Strout Auftritte hatte) umfasst beinahe eine richtige kleine Welt. Der titelgebende Mann – Lucys Exmann – spielt dabei zwar eine wichtige Rolle, aber Lucy steht im Mittelpunkt (auch wenn sie es selbst so wahrscheinlich nie beschreiben würde) und ist häufig das verbindende Element – einerseits zwischen den Figuren, andererseits ist sie die Verbindung zu ihrer eignen, aber irgendwie auch zu Williams Vergangenheit; sie ist diejenige, die viele der Beziehungen zusammenhält.
Es passiert eigentlich nicht sehr viel, dennoch möchte man unbedingt wissen, wie es weitergeht. Was erfährt man als Leser:in als nächstes, während Lucy nach und nach ihre Gedanken und Gefühle sortiert. Dabei springt sie immer wieder in die Vergangenheit, in ihre, aber auch in Williams Kindheit, die beide von Traumata geprägt sind, die beide ihr Leben lang mit sich tragen und die auch ihre Beziehung(en) beeinflussen. Der geniale Titel ist ein Seufzer, oft ausgesprochen, noch öfter gedacht (auch von mir als Leserin), denn während Lucy alles anpackt und angeht, sich mit ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart auseinandersetzt, ist William da ein sehr stereotypischer Mann seiner Generation: er verlässt sich auf die Frauen in seinem Leben, denen oft nicht mehr als ein „Oh, William!“ dazu einfällt.
Ein kleines Buch großes Erzählkunst von Elizabeth Strout.

Bewertung vom 31.05.2023
Kastenbrote
Schell, Valesa

Kastenbrote


weniger gut

Einfach geht anders

Dieses Brotbackbuch habe ich gewonnen und durfte es in einer sehr inspirierenden Leserunde zusammen mit anderen Brotbäcker:innen besprechen bebacken. Schnell hatte ich das Gefühl, dass sich zwei Lager entwickelten. Während es etliche sehr begeisterte Stimmen gab, waren auch viele Mitleser:innen überfordert. Dieser Gruppe gehöre ich an. Während zwar in der Leseprobe schon der Hinweis war, das Basiswissen nötig ist, hat das tatsächlich aufgeführte Basiswissen manche erstmal erschlagen, selbst wenn man schon Brotbackerfahrungen hat. Der Begriff Hobbybäcker:in beinhaltet sicherlich eine enorme Bandbreite an Erfahrungen – das kann von Backmischungen im Thermomix bis hin zu komplizierten Teigen in der Häussler Knetmaschine und einem eigenen Holzofen im Garten alles bedeuten. Die Leserunde sprach explizit auch Neulinge an, verwendete die Formulierung „Einfacher geht’s nicht“ und auch das Buch selbst trägt den Untertitel „Unkompliziert Backen. Einfach im Kasten“.
Das passt für mich nicht zusammen. Bei der Vermarktung scheint da etwas wirklich schief gelaufen zu sein, denn es wird durch diese Schlagwörter eine falsche Zielgruppe angesprochen.
„Einfach“ kann man dies Rezepte nur umsetzen, wenn man eine Knetmaschine hat, die Möglichkeit zu schwaden, 10000 verschiedene Mehlsorten, am besten einen Sauerteigansatz im Kühlschrank und natürlich muss man die lange Zeitführung auch irgendwie im Alltag unterbringen.
Dass das alles für richtig gutes Profi-ähnliches Brot nötig ist, stelle ich nicht mal in Frage. Es ist nur echt frustrierend, wenn man sich durch die Schlagworte etwas anderes erwartet hat. Ich möchte auch weder wenn es um einen Gewinn geht in der Leseprobe, noch bei einem Kauf beim Durchblättern zunächst ewig suchen müssen, was ich alles brauche – zumal das auch in diesem speziellen Fall durch das „unkompliziert“ und „einfach“ eben irreführend ist. Außerdem habe ich gezählt: ich habe aktuell 15 verschiedene Mehlsorten vorrätig, darunter Weizenmehle, Roggenmehle, Dinkelmehle, verschiedene italienische Mehlsorten sowie Urkornmehle. Ich glaube, das ist weit mehr als in durchschnittlichen Vorratskammern zu finden ist; dennoch musste ich bei den Rezepten auf Alternativen zurückgreifen, weil ich die an erster Stelle gelisteten Mehlsorten eben nicht hatte und auch nicht extra für ein Rezept kaufen möchte.
So. Ich wollte dem Ganzen aber dennoch eine Chance geben und habe mich in das gesamte Basiswissen eingelesen. Erstaunlicherweise habe ich bei meinen bisherigen Brotbackaktionen vieles davon eh schon umgesetzt, kannte nur die Fachbegriffe nicht. Dadurch war ich dann etwas freudiger gestimmt und habe mich an einen Lievito Madre Ansatz gewagt. Nach 6 Tagen war er dann auch einsatzbereit und ich legte los. Während ich mit der Lievito Madre grundsätzlich sehr happy bin, bin ich es nach wie vor mit den Rezepten im Buch nicht. Von denen, die ich nachgebacken habe, konnte ich keines wirklich überzeugen; die tatsächliche Kraft meines italienischen Sauerteiges konnte mich durch Rezepte von verschiedenen Blogs überzeugen.
Ich freue mich für alle, die durch das Kastenbrote Buch neue Rezepte und Inspirationen gefunden haben und bin mir sicher, dass es für etliche Hobbybäcker:innen toll ist, das Buch im Regal zu haben. Aber ich kann nur maximal zwei Sterne vergeben, weil ich – auch nachdem ich mich gründlich damit auseinander gesetzt habe – die Begeisterung nicht teile.

Bewertung vom 31.05.2023
Vom Ende der Nacht
Daverley, Claire

Vom Ende der Nacht


gut

Grandioses Cover, durchschnittliche Story

Vorweg das Wichtigste: das Cover ist so wunderbar, das bekommt von mir 5 Sterne. Ein richtiges Träumchen.
Die Story war dann leider eher durchschnittlich. Eine Liebesgeschichte über ein Paar, das sich von Anfang an mag, aber erst nach vielen Jahren tatsächlich zu einander findet – das wurde schon vor „Vom Ende der Nacht“ häufig erzählt. Manchmal schlechter, aber auch oft besser als hier.
Will und Rosie lernen sich als Teenager kennen, verlieben sich, aber irgendwie spricht alles gegen sie. Dennoch bleiben sie in Kontakt. Anfangs musste ich schon seeeehr mit den Augen rollen (um es mit einem der plakativsten sprachlichen Bilder zu sagen), denn Will und Rosie waren die typischen YA Stereotypen: sie das brave, „langweilige“ Mädchen aus gutem Haus, das die Schule mag und obwohl sie lieber Musik studieren würde, dem Willen der Eltern nachgibt und sich für etwas Vernünftiges entscheidet, das ihr später einmal viel Geld und einen tollen Ehemann einbringen wird; er der „Bad Boy“, der bei der Oma aufwächst, Lederjacke trägt und Motorrad fährt und in einer Werkstatt schraubt; Uni ist nichts für ihn, obwohl er eigentlich total schlau ist und natürlich ist er in den Augen von Rosies Eltern kein geeigneter Umgang. Soweit so klischeehaft. Ich fürchte, es lag an diesem sehr ausgelutschten Beginn der Geschichte, dass ich keine richtige Bindung zu den Figuren aufbauen konnte. Die Schicksalsschläge, die die beiden dann über die Jahre hinweg erleben müssen – und die teilweise auch dafür verantwortlich sind, sie entweder auseinander zu bringen oder wieder zusammen zu führen – sind mir deshalb auch nicht richtig nah gegangen. Hinzukommt, dass die ein oder andere dramatische Wendung zu viel des Guten bzw. Schlechten war. Nach jahrelangem Hin und Her war mir dann das Ende auch zu plötzlich, zu wenig beleuchtet.
Obwohl die Geschichte schon oft erzählt wurde, hätte man doch mehr herausholen können.

Bewertung vom 16.05.2023
Ein Moment fürs Leben
Ahern, Cecelia

Ein Moment fürs Leben


gut

Unterhaltsame Lektüre

Ein Blick ins Impressum zeigte mir, dass „Ein Moment fürs Leben“ von Cecilia Ahern bereits 2011 erschienen ist und dies eine Neuauflage des Romans ist. Ein paar Witze und Situationen wirken daher ein wenig aus der Zeit gefallen, aber das Grundthema ist zeitlos und nach wie vor aktuell – auch wenn ich denke, dass die Autorin heute einige Dinge anders angehen würde.
Die Idee ist eigentlich grandios: durch eine Lebensagentur erhält man Kontakt zum eigenen Leben – in Form einer Person. Besonders hilfreich, wenn es grade nicht gut läuft, denn dadurch geht es auch dem Leben nicht gut. Gemeinsam kann man dann daran arbeiten, dass es wieder aufwärts geht.
Protagonistin Lucy tritt so in Kontakt mit ihrem Leben. Mich persönlich hat es manchmal sehr gestört, wie übergriffig diese Person, also das Leben, war. Oft stellte sie Lucy bloß, offenbarte ihre Geheimnisse und verborgenen Gefühle. Natürlich muss man sich diesen stellen, wenn man wachsen möchte, in gewissen Situationen ist es auch wichtig, sich anderen zu öffnen, aber diese Situationen waren für mich einfach oft ein bisschen drüber. Besser hätte ich es gefunden, wenn das Leben Lucy mehr dazu gebracht hätte, sich selbst zu reflektieren und dann aus eigener Anstrengung und im Rahmen ihrer Möglichkeiten (emotionale und kommunikative Fähigkeiten) zu handeln.
Alles in allem aber eine unterhaltsame Lektüre.

Bewertung vom 03.05.2023
Happy Place
Henry, Emily

Happy Place


weniger gut

Zu viel gewollt

Happy Place oder: Harry(iet) Potter und das Buch, mit dem Emily Henry zu viel wollte und zu wenig rüberbrachte

Mein Happy Place ist ein Emily Henry Roman, in dem sich die Figuren nicht 300 Seiten lang verhalten, als wären sie von Teenie Fanfiction Autor:innen geschrieben worden. Seltsamerweise fühlte ich mich dadurch wie das dritte Rad am Wagen und gleichzeitig war die dargestellte Freundesgruppe unglaublich unrealistisch. Es gibt viel zu viele unnötige, kindische Dialoge. Der Schreibstil wirkte seltsam; zu viele kurze, fast eklipsenhafte Sätze. Es half auch nicht, dass ich keine einzige Figur ausstehen konnte. Es gab keinen Tiefgang, keine richtige Entwicklung der Figuren – etwas, was Emily Henry sonst exzellent kann. Dieses Mal war es sehr viel tell, fast kein show.
Es bricht mir ein bisschen da Herz, weil normalerweise überlege ich, ob ich Henrys Büchern 5 oder 4 Sterne geben soll; dieses Mal wusste ich nicht, ob es 1 Stern oder doch 2 werden.
Ich verstehen, was Herny für eine Geschichte erzählen wollte, aber es hat einfach nicht funktioniert. Sie wollte zu viel mit diesem Roman. Ab jetzt nicht mehr Spoiler frei.
Mein Lieblingsbuch von ihr ist “Kein Sommer ohne dich” und selbst bei dem Buch gefiel mir nicht, dass das große Geheimnis, das immer ganz mysteriös über allem schwebte, sich als gar nicht so groß rausstellte. In „Happy Place“ wird das auf die Spitze getrieben: hunderte Seiten lang wird vermieden, zu sagen, was denn jetzt zu Harriet und Wyns Trennung führte. Fehlkommunikation gibt’s häufig, aber hier fühlte es sich so an, als würde es künstlich übertrieben werden, um das Geheimnis länger (3/4 des Buches) aufrechtzuerhalten. Depression sollte nie als Plot Twist verwendet werden – noch schlimmer ist allerdings, dass es dann mit ein paar Seiten abgehandelt wird. Trauer und Pflegen von Angehörigen scheinen ebenfalls nur weitere Plot Points zu sein, die abgehakt werden; es gibt keine Tiefe. Das Gleiche kann gesagt werden über die Darstellung von Freundschaften, wie sie sich entwickeln, bzw. in diesem Fall, wie sie sich auflösen. Die ganzen kindischen Dialoge halfen nicht, um das Thema richtig rüber zu bringen. Familien können so kompliziert sein; Harriets Leben wurde ganz klar von der Beziehung ihrer Eltern zueinander beeinflusst, aber auch von deren Erwartungen an sie. Dennoch, es wirkte so konstruiert, als Neurochirurgie plötzlich nicht mehr ihr Traum ist und wie sie nach 10 Jahren Medizinstudium und Arbeit als Ärztin wie aus dem Nichts feststellt, dass sie den Geruch von Desinfektionsmitteln nicht ausstehen kann. Berufs- und Karrierepläne ändern sich, manchmal auch drastisch. Aber es wirkt irgendwie lächerlich, dass Harriet ihre medizinische Laufbahn dafür aufgibt, Töpferin zu werden – nachdem sie grademal ein paar Wochen einen Kurs gemacht hat und selbst zugibt, nicht gut darin zu sein. Es hilft auch nicht, dass nach 300 Seiten Teenager ähnlichen Mätzchen plötzlich alles ganz glatt und sauber abgewickelt wird.
Sehr schade, ich hatte mich so lange gefreut auf das neue Emily Henry Buch. Jetzt muss ich hoffen, dass der nächste Roman wieder besser wird.

Bewertung vom 26.04.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


sehr gut

Besuch im Café

Endlich ein neuer Seethaler! Ich durfte ihn vorab lesen & ab heute ist er erhältlich (wobei ich ihn auch schon am Montag in einer Buchhandlung entdeckt habe).
Seethaler nimmt uns mit nach Wien, los geht's im Jahr 1966 als der junge Robert Simon, Hilfsarbeiter auf einem Markt in einem eher ärmlichen Teil der Stadt, sich seinen Traum erfüllt: er eröffnet ein Café.
Einfach eingerichtet, ein überschaubares Angebot an Speisen und Getränken und ohne Namen wird das Café schnell zu Simons Lebensmittelpunkt. Die Menschen nehmen das Angebot an; bald stellt er eine Mitarbeiterin ein. Stammgäste und Laufkundschaft verbringen ihre Zeit in Simons Café. Die Jahre gehen ins Land und die einzelnen Biografien entwickeln sich - manchmal gemeinsam, manchmal öffentlich, manchmal ganz im Verborgenen.
Seethaler hat diese ganz besondere Gabe, Lebensläufe der Menschen literarisch darzustellen - ohne großartigen Spannungsbogen, ohne überraschende Wendungen, ohne viel drum rum zu reden.
Wie das Café des Protagonisten Robert einfach und überschaubar ist, so ist es auch die Sprache des Autoren Robert, genauso auch die Handlung. Dennoch ist da wie immer eine wunderbare Tiefe, eine Bedeutung, die er diesen scheinbar simplen Lebensläufen schenkt. Genauso wie auch das Café für die Menschen, die darin ein und ausgehen, eine Bedeutung hat.
Diese Unaufgeregtheit von Seethalers Romanen hat auf mich immer eine sehr entschleunigende, beruhigende Wirkung – dennoch schaffe ich es nicht, mir Zeit mit seinen Geschichten zu lassen. So musste ich auch „Das Café ohne Namen“ unbedingt ganz schnell (an 2 Abenden) fertiglesen, um irgendwie für kurze (Lese-) Zeit teilzuhaben an den Leben der Figuren.
Auch wenn meine absoluten Seethaler-Lieblinge (Der Trafikant und Ein ganzes Leben) wohl für immer unerreicht bleiben ist auch der neue Roman wie immer eine absolute Empfehlung!

Bewertung vom 25.04.2023
Agnes geht
Keweritsch, Katja

Agnes geht


gut

Obwohl „Agnes geht“ mich gut unterhalten hat, konnte der neue Roman leider nicht mit Keweritschs „Die Reise der Bienen“ mithalten.
Agnes läuft einfach los, nachdem sie sich mit ihrem Mann Tom gestritten hat. Erst planlos, dann raus aus Hamburg mit Berlin als Ziel. Beim Gehen beginnt das Gedankenkarussell: Scheitert ihre Ehe gerade bzw. schon länger? Wer ist sie eigentlich als Person und was haben Kinder/Haushalt/Familie mit dieser Person und ihren (beruflichen) Träumen gemacht? Wie will sie weitermachen?
„… Liebe, das Glück des Alleinseins in der Natur und die Träume, die uns beflügeln“ – all das verspricht „Agnes geht“. Mental Load, Mutterschaft, Körperwahrnehmung, Gleichberechtigung, etc. werden thematisiert und größtenteils gut dargestellt. Allerdings fehlte mir irgendwas; der Roman wirkte irgendwie unfertig. Ich hatte das Gefühl, dass Agnes und Tom nie versuchen, wirklich zu kommunizieren. Das ist zwar sicher die Realität vieler Paare, aber definitiv unbefriedigend. Auch das „Glück des Alleinseins“ geht eher unter, den Agnes trifft auf ihrem Weg einen anderen Mann, beginnt eine Affäre und ist eigentlich nie so richtig allein, sondern hat dadurch Probleme mit gleich zwei Männern. Kein Elternteil versucht, die sicher beängstigende Situation den beiden Kindern zu erklären – mit Sicherheit auch realistisch, aber was ist die Message? Dadurch blieb irgendwie alles in der Luft hängen.
Beabsichtigt oder nicht - genial ist die Darstellung von Toms Verhalten, als er plötzlich für Kinder, Haushalt & Familie verantwortlich ist. Er versucht nicht mal, es mit seinem Job zu vereinbaren, sondern nimmt direkt Urlaub. Care Arbeit, die für Agnes – wie für sehr viele Frauen – Alltag ist, hat nach wie vor keine Priorität für ihn. Stattdessen macht er Dinge, die ihm Freude bereiten, sonst aber zu kurz kommen. Das erinnerte mich an die Elternzeitpläne eines gewissen Politikers (Bücher schreiben, promovieren, jagen, fischen, imkern).
Zwar gibt es eine Art Happy End, das Ehepaar geht Kompromisse ein, aber hat Tom je wirklich Agnes‘ Problem verstanden?

Bewertung vom 11.04.2023
Zeit der Schuld
Kapoor , Deepti

Zeit der Schuld


weniger gut

„Zeit der Schuld“ spielt in Indien in den 2000ern. Ajay, Anfang 20, ist augenscheinlich der Fahrer eines Luxuswagens, der 5 Obdachlose überfahren hat. Er kommt ins Gefängnis & die Leser:innen reisen 13 Jahre in die Vergangenheit, als seine Geschichte damit beginnt, dass er als 8jähriger verkauft wird um für ein kinderloses Paar zu arbeiten. Nachdem der Mann stirbt, ist Ajay plötzlich frei, beginnt in Cafés & für Touristen zu arbeiten; stellt fest, dass er sich gerne in den Dienst Anderer stellt. Das fällt Sunny Wadia auf, Sohn des Chefs eines mafiösen Clans in Delhi. Er biete dem jungen kastenlosen Mann eine Stelle im Haushalt an. Schnell wird er Sunnys „Junge für Alles“. Und tatsächlich, Ajay würde alles für Sunny tun, weshalb er verstrickt wird in die Machenschaften der Wadia Familie.
Der Roman beginnt stark & lässt ebenso stark nach. Zunächst taucht man ein in diese Welt voller Ungerechtigkeit, Gewalt, Leid & Luxus; erlebt sie durch Ajays Perspektive, die geprägt ist von traumatischen Erlebnissen der Vergangenheit. Ajay ist ein Sympathieträger, sein Schicksal mitzuverfolgen ist zwar kein Pageturner, aber dennoch nimmt man die beinahe 700 Seiten gerne auf sich. Doch dann gibt es Perspektivwechsel. Sunny & seine Geliebte Neda beginnen mehr Raum der Erzählung einzunehmen als Ajay, der in der Komplexität der Geschichte untergeht. Leider sind sowohl Sunny als auch Neda flach, stereotypisch & unerträglich (als wären sie aus einem Donna-Tartt Roman); die Chemie zwischen den beiden kommt nie rüber, weshalb die Verbindung irrelevant wirkte. Überhaupt entwickelt sich der Inhalt zu einem Chaos aus verschiedensten Personen & Situationen, die auf recht konstruierte Weise verknüpft sind. Auch sprachlich baute der Roman ab; vieles wirkte zu gewollt. Kurz vor Schluss scheint es wenigstens so, als ob Ajay wieder mehr Raum einnehmen würde, doch leider wirkt das Ende dann sehr abrupt & unbefriedigend. 200-300 Seiten weniger, Fokus auf Ajays Perspektive & der Roman hätte so toll sein können wie das Cover.

Bewertung vom 03.04.2023
Identitti
Sanyal, Mithu

Identitti


gut

„Identitti“ war seit dem Erscheinen auf meiner Liste mit Büchern, die ich unbedingt lesen möchte. Ich war so oft kurz davor, mir das Hardcover zu kaufen.
Ich habe natürlich viele begeisterte Stimmen gelesen, immer wieder taucht der Roman in meinem Booksta-Feed auf und meine Erwartungshaltung war dementsprechend sehr hoch.
Leider konnte es mich nicht wirklich abholen. Identität, Gender, Feminismus, Race, kulturelle Aneignung, Rassismus – die Palette an wichtigen Themen ist groß und ich freute mich, auch eventuell Neues zu lernen. Letztendlich war es weniger der Inhalt als der Stil, der mir das Lesern erschwerte. Ich hatte das Gefühl, ich würde den wohl längsten Twitter-Thread überhaupt lesen – ganz unabhängig davon, das tatsächlich immer wieder Twitter-Threads auftauchen (die Idee und vor allem die Zusammenarbeit mit bekannten Twitter-Größen, die eigens für die Geschichte der Autorin Tweets verfassten & dadurch sozusagen Cameo-Auftritte hatten, fand ich ziemlich genial). Doch den – ich nenne es mal Twitter-Diskurs-Stil – erinnerte mich immer wieder daran, warum ich Twitter nicht mehr nutze: es ist anstrengend; jeglicher Diskurs dreht sich dort irgendwie im Kreis dreht (meist in der eignen Echokammer, ab und an durchbrochen von dem ein oder anderen Troll oder Bot) und wenig zielführend erscheint. War genau diese Abbildung die Intention der Autorin? Weniger ein Antworten geben auf die vielen komplexen Fragen, sondern die Darstellung der Diskursführung? Dann könnte ich den Roman eigentlich auch als genialen Geniestreich bezeichnen. Und immer wieder waren da auch Szenen, die super humorvoll waren; andere regten mich zum Nachdenken an. Doch das ändert nichts daran, dass ich beim Lesen oft den Drang hatte, die App zu schließen, metaphorisch gesprochen, bzw. den Wunsch, dass Nivedita endlich Saraswatis Wohnung verlässt.
Grundsätzlich wäre wohl auch wichtig zu erwähnen, dass es hilfreich ist, wenn die Lesenden Bezug zu Kulturwissenschaften haben, da doch recht akademische Konzepte mit Fachterminologie diskutiert werden.

Bewertung vom 16.03.2023
Whistleblower - Between Love and Truth
Marchant, Kate

Whistleblower - Between Love and Truth


sehr gut

Toller New Adult Roman

Es wird schwierig, hierzu eine Rezension zu schreiben, ohne dabei zu sehr auf den Inhalt einzugehen, aber gleichzeitig will ich auch nicht zu viel vorwegnehmen. Diesbezüglich ist auf jeden Fall schon mal die „Triggerwarnung“ zu Beginn des Romans zu loben: als College Journalistin deckt die Protagonistin Laurel einige Themen auf, die für Leser:innen potentiell triggernd sein können. Um nichts zu spoilern, aber dennoch darauf hinzuweisen, spricht die Autorin eine kurze Liste an, die am Ende des Buchs zu finden ist. Gut gelöst.
Jetzt zur eigentlichen Rezension – ohne zu viel von der Geschichte zu verraten. Ich greife nur noch wirklich selten bewusst zu New Adult Romanen, da sie mich meist enttäuschen, selbst wenn die Klappentexte vielversprechend wirken. Von „Whistleblower“ war ich wirklich sehr positiv überrascht (auch wenn mich persönlich dieser grausame „tiktokmademebuyit-Sticker“ auf dem Cover eher abschreckt). Die Autorin hat sich ein recht heftiges Thema ausgesucht, doch sie schafft es, diesem gerecht zu werden und trotzdem bleibt sie auch dem Genre treu. Die College Journalistin Laurel stößt mehr aus Zufall als aus journalistischer Neugier auf einen Skandal um den gefeierten Footballtrainer des Colleges. Und auch tatsächlich nimmt die Arbeit an diesem Fall und auch was das mit Laurel macht einen Großteil der Geschichte ein. Sogar die Nebenfiguren, die so oft in NA Romanen noch größere Klischees sind als die Protagonist:innen, wirken ausgereift. Natürlich gibt es auch eine Liebesgeschichte. Um die Wege der Reporterin Laurel und Brodie, dem Star-Quarterback des Footballteams, kreuzen zu lassen, erscheint die journalistische Arbeitsweise oft etwas holprig und auch ein bisschen naiv, wie Schülerzeitung (auch das Seminar über menschliche Sexualität, das eine zentrale Rolle spielt, wirkt befremdlich: College Student:innen lernen dort mit Anfang 20 Sachen, die in Deutschland in der 7. Klasse im Biounterricht behandelt werden – aber gut, besser spät, als nie). Was die Liebesgeschichte angeht bleibt „Whistleblower“ für einen NA Roman sehr zahm, was irgendwie sogar schade ist, denn die Chemie zwischen Laurel und Brodie ist echt gutgeschrieben, da hätte ich mir beinahe ein bisschen mehr Feuerwerk gewünscht. Aber ich verstehe auch, warum die Autorin darauf verzichtet hat und alles in allem ist „Whistleblower“ ein toller NA Roman.