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booktower
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Rodgau

Bewertungen

Insgesamt 51 Bewertungen
Bewertung vom 06.10.2021
Auf Basidis Dach
Ameziane, Mona

Auf Basidis Dach


ausgezeichnet

Wenige Bücher haben es mir so angetan in der Vergangenheit, dass ich sie gleich nochmal von vorn anfangen möchte, wenn ich sie fertig gelesen habe. „Auf Basidis Dach“ gehört nun dazu. Allein Amezianes Schreibstil ist so erfrischend, fließend und fesselnd, dass ich diese Geschichte von Anfang bis Ende ohne Pause gelesen habe, weil ich einfach nicht aufhören konnte. Brillant erzählt sie von einem Leben zwischen zwei Kulturen – der ihres Vaters und der ihrer Mutter. Als kleines Mädchen wurde sie öffentlich befragt woher sie denn käme, ihre spontane Antwort: „Ich komme aus halb Marokko und halb Deutschland.“ Diese und viele andere Themen spricht sie an in ihrem Buch, denn die Frage „Woher kommst Du oder woher kommen Sie?“ ist eine der ersten und bei denen, die befragt werden, eine der unbeliebtesten Fragen überhaupt. Als kleines Mädchen antwortete sie ganz unbefangen.
Basidis Dach ist nicht nur die Dachterrasse von Monas Großvater in Fes, es ist auch eine Metapher für diese Geschichte. Viel geschah und geschieht auf Basidis Dach in dieser Geschichte und der Ausblick von dort geht weit...
Dieses Buch ist deshalb so besonders, weil die Autorin hier einen Geschichtenteppich webt, der so viel zeigt, von ihrer Familie in Deutschland und von Marokko ihrer Familie in Fès. Gegen Ende des Buches thematisiert sie die Kultur des Geschichtenerzählens, die auf dem Platz Djemaa el Fna außer vielen anderen Vergnügungen stattfindet. Dort erlebt sie, dass ihr ein echter Affe auf die Schulter gesetzt wird. Später erscheint dieser Affe ihr in Träumen, von denen sie berichtet. Auch erleben wir mit ihr ein Jahr in Marokko, in Agadir, das sie dort als Austauschschülerin verbringt und hautnah ein anderes Leben als in Fès erlebt. Schulleben und Zusammensein mit ihrer Altersgruppe, Arabisch lernen, eintauchen in eine fremde Welt, eine fremde Gastfamilie. Ihr Buch spricht unendlich viele Themen an. Es vermittelt neben ihren persönlichen Erlebnissen Hintergrundinformationen über das alte und moderne Marokko. Sie beschreibt ungeschminkt ihre Gefühle auf Flugreisen, Ankommen sowie Rückkehren und vermittelt uns einen Blick auf ein Leben, das aus zwei Kulturen besteht, der ihres marokkanischen Vaters und ihrer deutschen Mutter. Ein Fünftel der deutschen Bevölkerung hat Elternteile aus verschiedenen Kulturen. Die meisten sind Deutsche, doch wegen ihres anderen Äußeren werden sie immer wieder neugierig gefragt: “Woher kommen Sie denn?“
Dies ist ein wichtiges Buch dem ich viele Leser*innen wünsche. Im Anhang finden wir ein Quellenverzeichnis, das zum Weiterlesen einlädt sowie ein ausführliches Glossar.

Bewertung vom 05.10.2021
Die Frau aus der Nordsee
Johannsen, Anna

Die Frau aus der Nordsee


ausgezeichnet

Wahrheitssuche

Für mich war dies mein erster Fall von Lena Lorenzen. Er ist spannend und in einer Weise erzählt, dass einen die Protagonisten überzeugen. Hauptkommissarin Lena Lorenzen, ihre Kollegen beim LKA und ihre Ermittlungen - alles vor dem backdrop Schleswig-Holstein, Westküste -Inselwelt, Ostküste - Hauptstadt – wie geschaffen für diesen spannenden Fall, der Lena Lorenzen und ihre KollegInnen in Atem hält. Die Art und Weise der Ermittlungen ist in diesem Roman etwas ganz Besonderes, allein schon deswegen, dass Lena vom LKA sehr viel herumfährt zwischen Büro, ihrem Zuhause und den Tatorten. Sehr geschickt verknüpft Johannsen die privaten Herausforderungen der Kommissarin mit ihren beruflichen. Lena ist verlobt und auch ihr Verlobter fährt viel hin und her, da muss immer alles gut abgesprochen werden. Das Thema des Falls, um das es hier geht, passt sehr gut zu unserer Gegenwart, gehen ähnliche Fälle, die Pädophilie beinhalten doch häufig durch unsere Nachrichten.
Dass es auch um dieses Thema geht, wird erst so in der Mitte der Geschichte erscheinen. Schon der Anfang ist hochdramatisch und sehr traurig, eine junge Frau, Maren wird tot in der Nordsee gefunden. Ihr gerade geborenes Kind musste sie in einer Babyklappe zurücklassen. Ihr tragisches und sehr bewegendes Schicksal wird aufgerollt, sie stammt von der Insel Pellworm und ihre Lebensumstände, die sich nach und nach herauskristallisieren, haben sie schon viel zu früh von dort weggeführt. Die Verwicklungen und Zusammenhänge sind sehr verzwickt und so eng verflochten wie sie gleichzeitig auch entfernt voneinander sind. Das Rotlichtmilieu, der Straßenstrich, das Laufhaus – überall lauern Monster und Fallen, die Maren schließlich zum Verhängnis werden. Sie ist viel zu jung, als dass sie abgebrühten Männern, sowohl Gangstern, als auch aus der sogenannten Hautevolee, die vor nichts zurückschrecken, etwas entgegensetzen könnte.
Aber auch Freundschaft und Kameradschaft, Zusammenhalt von Freundinnen erleben wir, die Maren immer helfen, wenn sie sie braucht. Auch wahre Liebe hat sie erlebt und leider zu spät erkannt, dass sie sie hätte festhalten sollen. Soviel sei verraten: Für Marens Baby wird eine Lösung gefunden, die tröstlich stimmt.
Dieser achte Fall Lena Lorenzens ist deswegen so bewegend, weil er genauso in unserer Wirklichkeit hätte geschehen können. Sehr empfehlenswert.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.09.2021
Ein Hauch Zukunft / The Upper World Bd.1
Fadugba, Femi

Ein Hauch Zukunft / The Upper World Bd.1


ausgezeichnet

Wir werden ins London von heute versetzt, in die Nachbarschaft Peckham und in eine Schule, die exemplarisch für heutige Schulen überall auf der Welt stehen könnte. Die Kids und auch die Älteren sind meistens außer Rand und Band und mehr mit sich selbst, ihren Problemen und denen ihrer Clique beschäftigt. Aber im Grunde geht es in dem Roman um Trauer, Verlust und Hoffnung.
Mit dem Höhlengleichnis in moderner Form beginnt die story und setzt sich gleich rasant fort. Es ist ein fulminanter moderner Roman für young adult, Junge Erwachsene und Erwachsene zugleich. Die Sprache enthält viele Slang Elemente, die die Leser ansprechen werden. Die Geschichte ist rätselhaft. Sie wird in sich abwechselnden Kapiteln aus der Jetztzeit und 15 Jahre später erzählt, 2035.
Die Teenager Esso und Rhia existieren in verschiedenen Zeiträumen, 2020, Jetzt und 2035, sind jedoch durch ein lebensveränderndes Ereignis verbunden – eine Kugel, die in eine Gasse gerät und irreversiblen Schaden anrichten wird. Als Esso von einem Auto angefahren wird, wird er an einen mysteriösen Ort transportiert, wo er entdeckt, dass er in die Vergangenheit und die Zukunft sehen kann. Er versucht, den Lauf dieses tragischen Ereignisses zu ändern, an dem Rhia beteiligt ist – ein Mädchen, das in einer Pflegefamilie lebt und verzweifelt die Wahrheit über ihre Eltern erfahren möchte.
Die Idee, diese Geschichte zu schreiben, ist großartig. Ganz besonders relevant und informativ ist der Mathematikteil, der in die Geschichte eingewoben ist. Er zeigt, was alles Mathematik leisten kann, wenn man sich nur die Zeit nimmt, gründlich in sie einzutauchen. Denen, die sie ein Rätsel ist bis heute ist, werden erstaunt feststellen, dass man sie besser verstehen kann, wenn sie nur richtig gezeigt wird. Auch Theorien über Zeit und Raum spielen eine große Rolle in dieser Erzählung. Der Anhang ist voll von Gleichungen, die für die Handlung relevant sind, wie die Lichtgeschwindigkeit und der Satz des Pythagoras. Diesen Roman empfehle ich allen, die sich Gedanken machen über unsere Welt, über Zeit und Raum, nicht zuletzt über die Zukunft der Menschheit.

Bewertung vom 18.08.2021
Narbenherz / Heloise Kaldan Bd.2
Hancock, Anne Mette

Narbenherz / Heloise Kaldan Bd.2


ausgezeichnet

Seismograph unserer Welt

Wir erleben hier eine Geschichte, die in der Jetztzeit spielt und sich so oder ähnlich durchaus zutragen kann. Wir blicken in eine kaputte Welt, die – wie die täglichen Nachrichten in den Medien - allen möglichen schrecklichen und grausamen Gedanken und Plänen von Menschen Raum gibt. Hancock geht tief hinein in die Befindlichkeiten unserer Welt, Spieler auf ihrer Bühne sind Kinder, Eltern, Lehrer, europäische Soldaten im Ausland, viele davon schwer traumatisiert durch ihre Erlebnisse, Ärzte ohne Grenzen, Immigranten – sie alle haben mit dem Fall in irgendeiner Weise zu tun haben. Nicht zu vergessen die Polizei und Ermittlungsbeamten sowie Journalisten. Alles in dieser Handlung kann jeden Tag geschehen. Hancock führt uns dies nachdrücklich und auch beängstigend vor Augen. Sie spinnt ihr Gedankennetz virtuos, entwickelt Charaktere, die sich einprägen und schreibt präzise und rasant ihre Geschichte. Wir treffen Ehepaare, die in tiefer Liebe miteinander verbunden sind und Paare, die keine Zukunft haben. Alle führt Hancock zusammen zu einer Collage, die fasziniert und zum Denken anregt. Sie zeigt uns, dass alles möglich ist – die Bandbreite reicht von wunderbar bis grauenvoll.
Diese moderne Geschichte schlägt ein neues Kapitel auf in der Thrillerliteratur, dass sich dramatisch und erschreckend, zugleich tragisch und auch wieder hoffnungsvoll den Lesern darbietet.
„Alles ist Fiktion“ schreibt Hancock am Ende ihrer Danksagung. Was für eine Fiktion! Ausgeklügelt bis zum Letzten, ein Plot, der so spannend ist, dass man die Geschichte einfach in einem Zug durchlesen muss.

Bewertung vom 29.06.2021
Der Tintenfischer / Ein Fall für Commissario Morello Bd.2
Schorlau, Wolfgang;Caiolo, Claudio

Der Tintenfischer / Ein Fall für Commissario Morello Bd.2


ausgezeichnet

In den Mühlen der Politik

Wir haben es hier mit einem Krimi zu tun, der genau die Zeit widerspiegelt, in der wir leben. Corona und Flüchtlinge, die über die Sahara und das Meer nach Italien einreisen. Die allgegenwärtige Mafia, die inzwischen überall verzweigt scheint, sind Zentralthemen. Schorlau und Caiolo verbinden die Probleme internationaler Menschenschmuggel und –betrug eingebettet in schmutzige Politik mit den persönlichen Schicksalen der Kommissare Morello und Klotze. Sie sind ein super Team und behaupten sich vor dem Quälgeist Vice Questore, ihrem Chef. Alle Figuren sind authentisch erlebbar. Gerade in dieser vom Corona Virus erzeugten Lähmung der Stadt werden die Kommissare Zeugen des versuchten Selbstmords eines nigerianischen Flüchtlings, David Ekele - fortan kümmern sich Morello und Klotze um David. Alles sehr dramatisch, da sie auf eigene Faust handeln. Sie hören Davids persönliche Geschichte und wittern dahinter so viel mehr. Sie erhalten Hilfe von Freunden in Venedig, wie einem Taschendieb und einem Bootsführer. Auch ein anderer Fall beschäftigt sie, wie nämlich Betrüger sich Corona zu Nutze machen und älteren Menschen falsche Geschichten auftischen, um an deren Besitz zu kommen.
Schorlau und Caiolo verflechten meisterhaft persönliche Schicksale mit internationaler Politik und nationalen Problematiken Italiens. Dazu kommt Morellos Zwiespalt, in Venedig arbeiten zu müssen, obwohl er Sizilianer ist und lieber dort wirken würde. Außerdem hat er den Tod seiner Frau und seines ungeborenen Kindes nicht verarbeitet. Diese Geschichte wird in dem Vorgänger dieses Romans „Der freie Hund“ erzählt.
Die Recherchen in diesem Krimi sind meisterhaft und meisterhaft verbinden Schorlau / Caiolo Fakten mit einer spannenden story. Dieser politische Hintergrund macht die story so echt und erschütternd. Die Hinweise im Anhang sind äußerst hilfreich und laden ein, weiterzulesen. Afrikanischer Menschenfang verbunden mit einer der vielen Ranken der Mafias. Hintergründe und Entstehung besonders der nigerianischen Mafia beleuchten komplizierte Zusammenhänge, die unsere Zeit mit menschlichen Tragödien belasten, die nicht sein müssten, wenn Regierungen ihre Einnahmen zum Nutzen und Weiterkommen der Bevölkerung einsetzen würden anstatt sich mit schwindelerregenden Summen zu bereichern. An den fiktiven Schicksalen der Flüchtlinge in dieser story zeigen die Autoren die erschreckende Wirklichkeit der internationalen Politik. Alles in einem Schreibstil, der kein überflüssiges Wort enthält. Die Sätze sind sinnlich erlebbar und die Atmosphäre Venedigs, in der Questura, zwischen den Polizisten, der Sekretärin und dem Vorgesetzten ist perfekt eingefangen.
Die rasanten Entwicklungen dieser story, die Verknüpfung von persönlichen Schicksalen mit akribischer Polizeiarbeit, die abenteuerlichen Passagen, von denen eine der anderen folgt, die Wendungen, die kein Ende zu nehmen scheinen, sind hochdramatisch und machen diesen Krimi zu einem unvergesslichen Pageturner.
Ein Personenverzeichnis sowie eine Liste der italienischen Eigennahmen und Begriffe sind hilfreich. Morellos Rezepte tragen zum Unterhaltungswert dieser bemerkenswerten Geschichte bei.

Bewertung vom 04.04.2021
Denn Familie sind wir trotzdem
Duken, Heike

Denn Familie sind wir trotzdem


sehr gut

Durchleuchtung einer Familie

Von diesem Buch wünschte ich, dass es Jahre früher geschrieben worden wäre. Nun kommt es jetzt – alles hat seine Zeit.
Millionen Familien in diesem Land sind durch die hier erzählte Hölle gegangen und ihre Nachkommen mussten sich ihren ganz eigenen Weg suchen. Wir folgen der Familie Fux und ihrem Schicksal. Das Dritte Reich hat sie schwer mitgenommen, ihre Söhne waren involviert im Kriegsgeschehen. Mit den Folgen dieses Krieges müssen die Nachkommen leben. Ina, die Tochter des einen Sohns lebt allein mit ihrer Tochter Florine. Sie müssen sich hart durch ihren Alltag kämpfen. Nach und nach wird die Geschichte der Familie Fux und ihrer Mitglieder klarer, wie ein Foto im Entwicklerbad schärfen sich die Konturen und wir erkennen ein Bild. Nur das Bild, nicht was im Hintergrund des Bildes versteckt ist.
Langsam werden die Zusammenhänge klarer. Duken schreibt in vielen Ebenen, sie strukturiert ihre Geschichte. Mit dem Kapitel von Inas Besuch in Israel, um Ariel, Florines Vater zu treffen, wird die Geschichte eingeleitet. Sie geht dann zurück und beginnt 1925. Die Familienmitglieder erhalten ihre Stimme und wir werden durch die Geschichte geführt.
Durch Florines Tagebuch erleben wir, was ihrer Mutter in der Vergangenheit geschah, wo ihr Vater ist und warum sie und Ina keinen Kontakt mit ihm haben können. Diese Geschichte ist spannend. Sie ist höchst ungewöhnlich strukturiert und lebt in vielen Ebenen. Sie ist wichtig, damit die Enkel und Urenkel dieser Kriegsgeneration besser verstehen können, soweit es möglich ist.

Bewertung vom 31.03.2021
A Tale of Magic...
Colfer, Chris

A Tale of Magic...


ausgezeichnet

Eine neue Welt tut sich vor uns auf, die aus vier Königreichen besteht, die ein Dazwischenwald trennt. Wir treffen die Familie Everton, die in Chariot Hills im Südlichen Königreich wohnt. Die Tochter Brystal ist es, deren Leben wir verfolgen. Sie hat immer geniale Ideen, sie kann sich aus schwierigen Situation elegant herauswinden. Sie ist eine Leseratte und lebt in einer krankhaft frauenfeindlichen Umgebung. Colfer bringt es fertig, diese Geschichte, die vollgepackt ist mit Ideen von der ersten bis zu letzten Seite spannend zu erzählen. Alle seine Figuren leben, angefangen von der Familie Everton, den Eltern und Kindern, die ein düsteres Szenario überschattet. Brystal begehrt dagegen auf, sie versteckt ihre Lesebrille in ihrer Schuluniform. Als dies entdeckt wird, beginnt ihr Weg, den wir verfolgen. Im Hintergrund hat Madame Weatherberry mit dem König Champion ein Abkommen erreicht. Sie darf Schülerinnen auf ihrer Akademie in Magie ausbilden. Brystal wird eine ihrer Schülerinnen. In dieser Welt Colfers werden Frauen extrem unterdrückt, sie dürfen keine Bildung erlangen. Durch die von ihm erschaffene Fantasyworld hält er uns einen Spiegel vor. Die Geschichte ist eine Allegorie, die alles enthält, was wir in der realen Welt erleben. Menschen, die einander hassen, sich betrügen und bekämpfen. Unterdrückung der Frauen und Menschen verschiedenster Ethnien.

Seine Phantasie kombiniert Colfer mit Ansichten und Seiten des modernen Lebens. Seine philosophischen Abhandlungen und Ratschläge für die magischen Kinder enthalten Wahrheiten, die sie und wir in unserem Leben anwenden können. Klug verpackt in die Lehrstunden mit Mrs. Weatherberry. Sehr gut, dass schon elfjährige, die diese Geschichte lesen, mit Denkweisen wie der Persönlichkeitsentwicklung und Selbstfindung bekannt gemacht werden (ab S. 251), die natürlich als solche nicht erwähnt werden. Wie Colfer solche wichtigen Wahrheiten einsetzt, um sie jungen Lesern zu präsentieren, kommt meisterhaft rüber. Sein Schreibstil ist bildreich und fesselnd. Das Buch ist großartig ausgestattet – äußerlich – und ebenso innen mit dem Vor- und Nachsatzpapier sowie den Illustrationen von Brandon Dorman und der Landkarte der Welt, über die wir hier lesen.

Absolut überwältigend sind die Szenarien, wenn es um Kämpfe der Kinder gegen die bösen Gewalten geht, hier Trolle und Hexen. Sehr interessant ist es, was Colfer über Magie und Hexen versus Feen zu sagen hat.

Fulminant zeigt sich das Finale der Geschichte. Es kommt zu überaus überraschenden Eröffnungen. Rätsel, die uns durchgehend begleiten, werden gelöst. Für die Kinder tut sich eine neue Welt auf, die sie gemeinsam erleben werden. Beginnend, so hoffen wir, im Zweiten Band, der im Herbst 2021 erscheinen soll.

Bewertung vom 30.01.2021
Elchtage
Klingenberg, Malin

Elchtage


ausgezeichnet

Elchmädchen sind die Besten…

Johanna erzählt von ihren Erlebnissen im beginnenden Herbst. Sie geht in die siebente Klasse und ihr Lieblingsplatz ist eine Waldhütte, die sie sich vor vielen Jahren mit ihrer Freundin Sandra gebaut hat. Sie waren besten Freundinnen. Nun aber hat sich das verändert und Johanna hat damit und vielen anderen Dingen zu kämpfen. Sie macht alles mit sich aus, ihren Eltern vertraut sie sich nicht an.
Zum Glück gibt es ihre Lieblingstante Paula, die ihr und ihrem Freund Six hilft, als sie deren Hilfe dringend brauchen. Johanna erzählt ihrer Tante „von Sandra und Amanda, von Sebastian und Six, von Isabelle und ihrem Verein und ganz zum Schluss auch von Wildstern und den Elchfängern, die schon mindestens einen Elch gefangen hatten.“
Es ist viel, mit dem sich Johanna auseinandersetzen muss in diesen Wochen, besonders mit der verrückten Schulclique, die ihre einstige Freundin Sandra vereinnahmt hat. Johanna muss mit all diesen Ereignissen allein fertig werden. Zum Glück hat sie immer die richtigen Antworten bereit, wenn ihre Schulfreunde sie nerven und unnötige Fragen stellen. Dazu findet sie Zuflucht in ihrer geliebten Waldhütte. Lange bleibt sie nicht allein, denn dort besuchen zwei Elche sie, mit denen sie sich anfreundet, sie mit Popcorn zähmt und sich in der Gesellschaft dieser zwei zutraulichen Tiere glücklich fühlt.
Klingenberg trifft genau den Ton von Dreizehnjährigen und erzählt von der schwierigen Zeit des Erwachsenwerdens, des sich Ausgestoßen Fühlens von Gleichaltrigen und sich Behaupten Müssens unter Erwachsenen. Johannas Liebe zu den Elchen führt sie auf deren Fährte und sie rettet sie in einer „Nacht und Nebel“ Aktion zusammen mit Six und bewahrt die Tiere vor Schlimmem. Diese Geschichte wird einfühlsam erzählt und verliert nie ihre Spannung. „Elchmädchen sind die Besten“ findet Six. Entdeckt Johanna und verliert Euch in ihrer wundersamen Welt.

Bewertung vom 26.01.2021
Orangen für Dostojewskij
Dangl, Michael

Orangen für Dostojewskij


ausgezeichnet

Eine geniale Zeitreise

Die erzählerische Kraft und Fantasie des Autors Michael Dangl spricht aus jeder Zeile. Es ist immer eine geniale Idee, zwei Große einer Zeit aufeinandertreffen zu lassen und zu sehen, was es bewirken kann. So könnte es gewesen sein zwischen Rossini und Dostojewskij. Wir begleiten den Dichter Dostojewskij bei seinen Rundgängen in Venedig. Wir erleben ihn und seine Gedanken im Hotelzimmer. Er ist nicht gesund, sondern geplagt von Epilepsieanfällen. Sein Innenleben ist sehr komplex, oft ist er traurig, verzweifelt und depressiv.
Besser wird es, als er endlich mit dem Genie Rossini zusammentrifft. Der Abend in einer Privatgesellschaft im Restaurant L’Acquasanta verändert Dostojewkskijs Aufenthalt in Venedig. Ein Gelage an Essen und Trinken in lustiger Gesellschaft tut ihm gut. Es ist als ob wieder Leben in ihn eingeflößt wird, durch die aufmerksamen Fragen Rossinis und die Anteilnahme der Gäste.
Der Hintergrund Venedigs ist geradezu prädestiniert für die Kulisse dieses Romans. Dazu erfahren wir sehr viel über die Geschichte und Geschichten dieser Zeit, Bewegungen der Kunst und Kultur werden geschickt durch die Gespräche Rossinis und Dostojewskis dem Leser nahegebracht. Dostojewski erinnert sich auch an Goethe und seine Zeilen:
“Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin
Möcht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.“
Auch in Rossinis interessantes Leben dürfen wir blicken. Der Zeitgeist durchzieht den Text, alles ist so bildhaft und lebendig erzählt, wir sehen Venedig, Paris, Berlin, sogar Köln und Heidelberg durch die Augen Rossinis und Dostojewskis. Die Gedanken Dostojewskijs über seine Vergangenheit in St. Petersburg, mit seiner Familie, im Arbeitslager durch seine Begnadigung zeigt uns, woher seine Depressionen und seine Krankheit kommen. Auch seine Verführung zum Spielen erleben wir.
Ein mitreißender Roman ist es, der uns Seite für Seite fesselt mit klugen Dialogen und Erzählungen, der uns mitnimmt auf eine Zeitreise, wie sie lebendiger und informativer nicht sein könnte.
Dieser Roman ist ein literarisches Meisterwerk, aus jeder Zeile sprühen Geschichten, die wir so in keinem Geschichtsbuch lesen könnten.

Bewertung vom 24.01.2021
Das perfekte Grau
Jamal, Salih

Das perfekte Grau


ausgezeichnet

Das „Zulassen des Loslassens“

So lässt der Autor einen seiner Protagonisten seiner Geschichte bemerken. Die Aussage kann auf den gesamten Roman angewendet werden. Immer wieder wird losgelassen. Dies spiegelt auch unser Leben, denn wenn auch nicht immer bewusst, lassen wir immer wieder los.
Komplexe Zusammenhänge zeigt Jamal in einer hochpoetischen Sprache, wenn er Landschaften und Städte, Menschen und Ereignisse beschreibt. Er findet durchgehend ungewöhnliche und höchst fantasievolle Metaphern für Tatsachen, Zustände aller Art und Befindlichkeiten der Protagonisten.
Es geht hier – nicht nur – um die Flüchtlingsfrage, die erst in den letzten fünf Jahren so brisant wurde – bis heute. Jamals Geschichte ist hochaktuell, beleuchtet sie doch, wie die Befindlichkeiten der von ihm geschilderten Charaktere sein könnten. Alle sind sie Suchende, Flüchtende, die sich in einem Hotel an der Ostsee treffen, wo sie arbeiten. Das Schicksal wenn man es so nennen möchte, hat sie zusammengeführt: den Erzähler Dante, die junge Novelle, die sich selbst verloren hat, Mimi, die reifste von allen und Rofu, der für die Flüchtlinge steht, von denen wir zeitweise täglich in den Nachrichten hören. Er kam nach Europa auf dem Landweg, höchst beschwerlich und erstaunlich, wie jemand solche Strapazen durchstehen kann. Die letzte Strecke legt er auf einem Schlauchboot zurück, nach Lampedusa. Jenes Erleben hat in geprägt und besetzt seine Träume.
Alle verlassen ihre sichere wenn auch einfache Unterkunft, für die sie hart arbeiten müssen und begeben sich auf eine Reise ins Ungewisse. Sie sprechen alle Deutsch, allerdings sehr unterschiedliches. Rofu vermischt es mit Englisch, wenn ihm die Worte fehlen. Mimi hat es gelernt, Novelle spricht wenig, für das Schreckliche, das ihr angetan wurde findet sie nur schwer Worte, sie fühlt mehr und hat mit ihren Depressionen und Ängsten zu kämpfen, die viel zu heftig für eine Jugendliche sind. Sie steht für viele Jugendlich, die wir überall treffen können. Alle helfen ihr, wenn es notwendig scheint, es trägt sie für eine Weile.
Auf der Reise geraten sie an einen Biobauernhof, wo sie Jobs annehmen können als Erdbeerpflücker. Die Beschreibung dieser location könnte ohne Probleme aus Orwells „1984“ stammen. Jamals Geschichte ist jedoch keine Dystopie, sie wäre es vielleicht vor zwanzig Jahren gewesen, als die Zeiten andere waren als die hier beschriebenen. Während wir lesen, beschäftigen die ungewöhnlichen Schicksale unsere Gedanken, die Ereignisse sind packend. Die Geschichte mäandert dahin, wie die Flüsse, auf denen die vier fahren und Dantes kluge Lebensweisheiten helfen ihm und den anderen, ihre Herausforderungen zu meistern.
Seine Geschichte ist ein Zeitdokument von besonderer Qualität.