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Hamburg

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Insgesamt 46 Bewertungen
Bewertung vom 27.09.2022
Stachlige Eltern und Schwiegereltern
Berger, Jörg

Stachlige Eltern und Schwiegereltern


gut

Gut strukturiert, bleibt aber eher an der Oberfläche

Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kinder ist häufig kein einfaches. Jeder Mensch ist durch die eigene Erziehung geprägt und gibt internalisierten Glaubensätze und Verhaltensweisen bewusst oder unbewusst an die eigenen Kinder weiter. Trotzdem wächst jeder Mensch auch mit den Einflüssen seiner Zeit auf und so macht die Nachfolgegeneration viele Ding anders, entwickelt eigene Werte und löst sich von denen des Elternhauses. Und hier kommt es dann häufig zu Konflikten.

Das Buch ‚Stachlige Eltern…“ beschäftigt sich mit diesen Konflikten und versucht, Hilfestellungen zu geben für einen entspannteren Umgang miteinander. Das Buch ist m.M.n. gut strukturiert. Es werden sieben typischen Problembereiche des Eltern-Kind-Verhältnisses angesprochen (z.B. Grenzüberschreitung, Abwertung, Energieräuber …) und jedem dieser Themen ein Kapitel gewidmet. In den Kapiteln werden Fallbeispiele beschrieben, die Auswirkungen des jeweiligen „schädlichen“ Verhaltens der Eltern erläutert und schließlich Möglichkeiten aufgezeigt, wie man als das Kind damit umgehen kann.

Es ist nicht das erste Buch, dass ich zum Thema Eltern-/Kind-Verhältnis lese und das ganze Thema ist m.M.n. hoch komplex. Insbesondere wenn auch noch vererbte Erfahrungen und Traumata der Nachkriegsgeneration hinzukommen, sind die Gründe, weshalb Eltern/Schwiegereltern sich auf eine bestimmte Weise verhalten schwierig zu durchdringen.
Leider beschäftigt sich das Buch zu wenig bzw. nur oberflächlich mit diesen Gründen. Es gibt zwar in jedem Kapitel einen Abschnitt dazu, aber dieser geht nicht wirklich in die Tiefe. Vielmehr werden verhaltenstherapeutische Ansätze vermittelt, a la „in Situation XY verhalte Dich so und so“. Das mag funktionieren und für bestimmt Situationen auch ausreichen. Für eine langfristige Verbesserung des Verhältnisses zwischen Eltern und Kind ist es m.M.n. aber auch hilfreich, die Hintergründe zu verstehen.
Nichtsdestotrotz haben mir die Beispiele, Tipps und Denkanstöße durchaus gefallen und ich habe sie als Einladung genommen, mich weiter mit den Themen zu beschäftigen und bei einigen Aspekten „tiefer zu graben“. Auch fand ich gut, dass das Buch kein Allheilmittel verspricht. Manchmal hilft nur Abstand, das Ausklammern von Themen und das Wahren der eigenen Grenzen, um einen einigermaßen friedlichen Umgang miteinander zu haben. Die Erkenntnis wird transportiert, dass die Harmonie und bedingungslose Akzeptanz, die man sich als Kind wünschen mag, nicht immer realistisch herstellbar ist.

Das Buch ist in einem Verlag erschienen, der sich an kirchlich geprägte Leser wendet. Und so enthalten die Kapitel jeweils auch einen Abschnitt, der sich der spirituellen bzw. Glaubenssicht des Themas widmet. Mir hat gefallen, dass der Autor im Vorwort darauf hinweist. So ist man als Leser darauf vorbereitet und kann selbst entscheiden, ob man sich mit dieser Perspektive beschäftigen möchte oder nicht.

Fazit. Der Ratgeber bleibt m.M.n. sehr an der Oberfläche und geht nicht tiefgreifend auf die Gründe des (schwieger-)elterlichen Verhaltens ein. Für Kinder, die ein hohes Konfliktpotenzial mit ihren Eltern oder Schwiegereltern haben, halte ich das Buch daher nur für bedingt geeignet. Wenn das Verhältnis aber im Großen und Ganzen in Ordnung ist und es nur zu bestimmten Themen zu Reibereien kommt, kann das Buch hier ein paar gute Tipps und Hilfestellungen geben, um die eigenen Grenzen zu waren.

Bewertung vom 20.09.2022
Die versteckte Apotheke
Penner, Sarah

Die versteckte Apotheke


sehr gut

Eine Apotheke für ein selbst bestimmtes Leben

Der Roman spielt in London und erzählt auf zwei Zeitebenen die Geschichte von drei Frauen. Im London des Jahres 1791 lernen wir Nella und Eliza kennen. Nella betreibt eine geheime Apotheke, in der sie Frauen, die von Männern Missbrauch oder Gewalt erfahren, Gift verkauft. Die 12-jährige Eliza wird im Auftrag ihrer Herrin zu Nella geschickt und wird deren Leben auf dramatische Weise beeinflussen. In der Gegenwart begleiten wir Caroline, die gerade in einer schweren persönlichen Krise steckt und die durch Zufall auf die Spuren von Nellas und Elizas Geschichte stößt.

Die drei Protagonistinnen sind sehr lebendig beschrieben und ich konnte mit allen dreien mitfühlen. Natürlich ist das was Nella tut nicht richtig, aber nach und nach erfahren wir ihre persönliche Geschichte, die traurig und tragisch ist und sie letztlich zu der Person gemacht hat, die anderen Frauen Gift verkauft. Denn welche anderen Möglichkeit hatte eine Frau sonst im 18. Jahrhundert, sich gegen einen Mann zur Wehr zu setzen? Letztendlich bezahl Nella einen hohen Preis für ihr Tun, ist sie doch mit Anfang 40 gesundheitlich bereits am Ende.
Eliza war ebenfalls ein schön geschriebener Charakter. Ich mochte ihre Wissbegierde und schnelle Auffassungsgabe. Man merkte, dass sie an der Schwelle vom Kind zur Frau steht. Tragisch ist in diesem Zusammenhang, dass ihr kindlicher Glaube an Magie und das Übernatürliche und ihre fehlende sexuelle Aufklärung den Beginn einer unglücklichen Kette von Ereignissen bildet, auf deren Spuren schließlich Caroline 200 Jahre später stößt.
Die Amerikanerin Caroline wollte eigentlich ihrem 10.Hochzeitstag gemeinsam mit ihrem Mann in London feiern. Nun tritt sie diese Reise allein an, nachdem sie von dessen Seitensprung erfahren hat. Carolines Verletzt- und Verlorenheit ist sehr gut rübergekommen. Vor allem die Zerrissenheit zwischen ihrem aktuellen - sicheren und vorhersehbaren Leben - sowie den Träumen und Sehnsüchten, die sie früher einmal hatte, waren einfühlsam erzählt. Ich fand es schön mitzuerleben, wie sie in London aufblühte und jene Seiten an ihr wiederentdeckt, die sie lange verloren glaubt. Ihre Entwicklung war toll, wenngleich es auch ein bisschen schnell ging.

Mir haben Aufbau und Ablauf der Handlung sehr gefallen. Geschickt wird anhand der Spurensuche von Caroline nach und nach die Geschichte von Nella und Eliza offenbart. Die Kapitel des Buches wechseln dabei zwischen den drei Figuren und werden jeweils in der Ich-Perspektive erzählt. Für mich ist das eine hervorragende Erzählweise, denn man ist immer nah den Figuren und hat doch unterschiedliche Perspektiven. Carolines Storyarc fand ich gegen Ende ein bisschen weit hergeholt und auch ihre Reaktion, als es für sie brenzlig wird, konnte ich nicht ganz nachvollziehen. Aber sei’s drum, das hat mir die Freude an der Gesamtgeschichte nicht genommen.
Auch wenn sich bei diesem Buch eigentlich nicht um einen Fantasy-Roman handelt, so hat das Ende doch einen leicht fantastisch-mystischen Nachklang. Für mich hat das sehr gut zu der Geschichte gepasst und mir rundum gefallen.

Fazit. Der Roman ‚Die versteckte Apotheke‘ hat nicht nur ein wunderschönes Cover sondern besticht auch mit einem hohen Spannungsbogen. Die Geschichte der portraitierten Frauen ist nachvollziehbar und einfühlsam erzählt. Für mich eine gelungene Mischung aus Krimi und Historienroman. Leseempfehlung.

Bewertung vom 13.09.2022
Carrie Soto is Back
Reid, Taylor Jenkins

Carrie Soto is Back


ausgezeichnet

Die Geschichte einer Tennislegende

Eines meiner bisherigen Jahreshighlights ist ‚Die sieben Männer der Evelyn Hugo‘, ein großartig geschriebener Roman über das Leben einer Hollywood-Ikone. Daher stand es außer Frage, dass ich auch das neue Buch von Taylor Jenkins Reid lesen werde.

Es geht um die ehemalige Tennisspielerin Carrie Soto, die in ihrer Karriere 20 Grand Slam Titel gewonnen und lange Zeit das Damentennis dominiert hat. Einige Jahre nach ihrem Karriereende droht dieser Rekord von einer anderen Spielerin überholt zu werden. Zusammen mit Ihrem Vater und Trainer Javier entschließt sich Carrie zu einem Comeback, um ihr Vermächtnis zu bewahren…

Der Tennissport ist in diesem Buch ein wichtiges Thema, denn es ist das zentrale Thema in Carries Leben. Es wird über Techniken gesprochen, über Spielstile, Schlagarten, einzelne Matches werden in dem Buch detailliert beschrieben. Ich habe mit Tennis gar nichts am Hut und auch noch nie ein Spiel von Anfang bis Ende gesehen. Und dennoch, hat mich der Roman mitgerissen und begeistert. Ich habe mit Carrie mitgefiebert, hatte gar das Gefühl mit ihr auf dem Platz zu stehen. Chapeau an die Autorin, mich als Leser so sehr für das Thema einzunehmen!
Überhaupt ist der Schreibstil von Taylor Jenkins Reid absolut mitreißend. Ich weiß nicht, wie sie das schafft, aber am liebsten hätte ich das Buch in einem Rutsch gelesen. Auch musste ich mir immer wieder in Erinnerung rufen, dass es sich hier um eine fiktive Story handelt, so nah und so detailliert ist die Geschichte von Carrie Soto beschrieben.

Carrie ist auf den ersten Blick kein sympathischer Charakter. Sie ist schonungslos ehrlich und stört sich nicht daran, andere vor den Kopf zu stoßen. Sie ist übertrieben ehrgeizig und kennt in ihrem Leben nichts anderes als Tennis. Sie ist verschlossen und wirkt geradezu gefühlskalt. Dennoch habe ich die Figur sehr gemocht. Im Laufe der Geschichte merkt man schnell, wie viel Verletzlichkeit und Einsamkeit eigentlich in ihrem Charakter steckt. Carries Entwicklung in diesem Buch fand ich beeindruckend und hat mich sehr berührt.
Ein interessanter Charakter war in diesem Zusammenhang auch Carries Vater Javier, zu dem ich, zumindest anfänglich, ein ambivalentes Verhältnis hatte. Seit Carries Kindheit war es sein Ziel, sie zur besten Tennisspielerin der Welt zu machen. Darauf hat er hingearbeitet und ihr eine „normale“ Kindheit verwehrt. Letztendlich ist er so auch für Carries krankhaften Ehrgeiz verantwortlich. Nichtsdestotrotz ist er stets liebevoll und geduldig mit ihr gewesen und die Beziehung zwischen Vater unter Tochter ist trotz der ein oder anderen Differenz von viel Zuneigung und Liebe geprägt.
Ich fand es im Übrigen sehr authentisch, dass Carrie und ihr Vater immer wieder Spanisch miteinander sprechen. Diese Sätze wurden nicht übersetzt, waren m.M.n. aber meistens aus dem Zusammenhang zu verstehen. Ich habe diesen Punkt oft als Kritik gelesen, mich hat es aber nicht gestört.

Einige Handlungselemente haben sich m.M.n. schon recht früh angedeutet, und auch der dramaturgische Bogen von Carries Comeback hätte man kaum anders schreiben können. Das ändert aber nichts daran, wie sehr es mit gefallen hat Carries Weg zu verfolgen. Am Ende habe ich Tränen geweint, denn das Ende des Romans ist einfach nur… wow.

Ich habe eigentlich nur einen Kritikpunkt und der gilt nicht dem Buch selber sondern dem Klappentext. Dieser ist in Bezug auf Carrie und Bowe Huntley sehr irreführend. Ja, die beiden haben eine gemeinsame Vergangenheit, aber das einer dem anderen das Herz gebrochen hat ist Quatsch. Hier wird ein vergangenes Liebesdrama angedeutet, was nicht da war und das fand ich unnötig.

Fazit. Ich habe eine neue Lieblingsautorin gefunden. Taylor Jenkins Reid erzählt hier, ähnlich wie in ‚Die sieben Männer der Evelyn Hugo‘ die inspirierende Geschichte einer willensstarken Frau. Es wird bestimmt nicht das letzte Buch sein, was ich von ihr lese.

Bewertung vom 07.09.2022
Yadriel und Julian. Cemetery Boys
Thomas, Aiden

Yadriel und Julian. Cemetery Boys


sehr gut

Yadriels und Julians Weg... eine gefühlvolle, wunderschöne Geschichte

Zunächst ein paar Worte zum Cover des Romans: Das Cover ist ein Hingucker und passt m.M.n. hervorragend sowohl zu den queeren Aspekten der Geschichte als auch zum Día de Muertos. Tatsächlich mag ich das deutsche Cover lieber als das der Originalausgabe.

Der Schreibstil des Buches ist sehr angenehm und bildhaft. Ein wenig gewöhnungsbedürftig war für mich zunächst, dass viele Begriffe und teilweise ganze Sätze auf Spanisch geschrieben sind. Letztendlich hat mir das dann doch gut gefallen, da es viel Authentizität in die Geschichte gebracht hat. Und das meiste erschließt sich aus dem Zusammenhang (und für den Rest gibt es den Google Translator).

Das Buch beinhaltet eine Vielzahl an Themen und Handlungssträngen, die sich gegenseitig ergänzen und zu einer runden Gesamtgeschichte führen.
Da ist zum einen der Fantasy-Aspekt: Die Gemeinschaft der Brujx, die mit ihrer Magie Geister sehen und beschwören können bzw. Heilkräfte haben. Dieser Aspekt der Geschichte war so eng mit dem Día de Muertos und der Kultur der Latinx verknüpft, man konnte fast vergessen, dass diese Magie fiktiv ist. Insgesamt fand ich den Einblick in die latein-amerikanische Kultur, insbesondere zu den Bräuchen und Traditionen des Día de Muertos sehr interessant.

Zentrale Themen des Buches sind aber die eigene Identität, die Zugehörigkeit zu einer (Wahl-)Familie sowie die Akzeptanz des „Anders“-Seins. All diese Themen werden sehr sensibel und gefühlvoll in diesem Buch aufgearbeitet und durch die beiden Protagonisten portraitiert.
Yadriel ist ein eher ruhiger und zurückhaltender Charakter. Er hat sehr damit zu kämpfen, dass seine von Glauben und Traditionen geprägte Familie seine Trans-Identität nur schwer akzeptiert. Yadriels Situation und Gefühlslage ist glaubhaft und nachvollziehbar erzählt. Tag für Tag muss er mit den Reaktionen seiner Umwelt umgehen und manchmal hat er es einfach nur satt, ständig um Akzeptanz kämpfen zu müssen. Hier merkt man deutlich, dass das Buch von einem Own-Voices Autor geschrieben wurde.
Und dann ist da noch Julian, den ich, ähnlich wie Yadril, sofort ins Herz geschlossen habe. Julian ist impulsiv und aufbrausend aber auch (leider im Wahrsten Sinn des Wortes) loyal bis zum Tod gegenüber den Menschen, die ihm wichtig sind. Julian trägt seine Emotionen und sein Herz auf der Zunge. Trotz seiner schwierigen Familiengeschichte ist Julian ein positiver und aufgeschlossener Charakter.
Die Entwicklung der beiden Jungs war einfach schön zu begleiten und vor allem ihre Gegensätzlichkeit hat eine besondere Dynamik in die Geschichte gebracht. Dank Julian gewinnt Yadriel mehr Selbstbewusstsein. Denn Julian nimmt ihn an, wie er ist, ohne Wenn und Aber.

Ein kleines Manko war für mich, dass der Handlungsbogen um den Mord an Julian und dem Verschwinden von Yadriels Cousin Miguel relativ vorhersehbar war. Nichtsdestotrotz war der „Showdown“ am Ende spannend und überaus dramatisch. Das Ende des Buches hat mich sehr berührt und es ist die ein oder andere Träne geflossen.

Fazit. ‚Yadriel & Julian‘ war für mich ein wunderschönes Jugendbuch mit viel queerer Repräsentation, von der es im deutschen (Jugend-)Buchmarkt noch viele zu wenig gibt. Die beiden Hauptfiguren sind durch und durch liebenswerte und authentisch Charaktere. Der Einblick in die Latinx-Kultur hat mir ebenso gefallen, wie der Fantasy-Aspekt der Geschichte. Große Leseempfehlung für einen großartigen Own-Voices Roman!

Bewertung vom 11.08.2022
Die sieben Männer der Evelyn Hugo
Reid, Taylor Jenkins

Die sieben Männer der Evelyn Hugo


ausgezeichnet

Das geheime Leben der Evelyn Hugo

Schon lange habe ich ein Buch nicht mehr so verschlungen wie dieses. Ich hatte im Vorwege schon viel Gutes über den Roman gehört, aber mit solch einer Sogwirkung hatte ich nicht gerechnet. ‚Die sieben Männer der Evelyn Hugo‘ von Taylor Jenkins Reid hat für mich großes Potential zum Jahreshighlight.

Das Buch beinhaltet zwei Erzählstränge. Die ehemalige Hollywood-Ikone Evelyn Hugo bittet die weitgehend unbekannte Journalistin Monique Grant ihre Memoiren zu schreiben. Evelyns Leben, chronologisch erzählt anhand ihrer sieben Ehen, macht zwar den Hauptteil des Buches aus, parallel begleiten wir aber auch Monique während der Zeit des Interviews. So wechselt die Erzählperspektive immer wieder zwischen der Ich-Erzählung von Evelyn und der von Monique.

Was hat mich an diesem Buch so sehr beeindruckt? Da ist zum einen der mitreißende Schreibstil. Ich konnte das Buch wirklich kaum aus der Hand legen. Die Autorin schafft es, den Glamour und die Faszination Hollywoods der 50er/60er/70er Jahre so lebendig und authentisch zu beschreiben. Ich musste mich manchmal daran erinnern, dass die Geschichte und ihre Figuren fiktiv sind.

Die Figuren, insbesondere die Protagonistin Evelyn Hugo, sind ein weiterer großer Pluspunkt des Buches. Evelyn ist kein durch und durch sympathischer Charakter. Sie wächst in ärmlichen Verhältnissen auf, verliert früh ihre Mutter und tut alles, um nach Hollywood zu kommen und berühmt zu werden. Dabei handelt sie oft moralisch fragwürdig, ist berechnend und scheut nicht davor zurück, andere Menschen für ihre Zwecke zu benutzen. Die Figur ist dabei sehr glaubwürdig und konsequent geschrieben. Man findet nicht alles gut, was Evelyn tut, aber man kann ihr Handeln jeder Zeit nachvollziehen.
In diesem Zusammenhang ein paar Worte noch zum Cover: Zunächst hat mich das Cover des Buches nicht besonders angesprochen. Aber irgendwie passt es schon zu der Geschichte. Vor allem der nachdenkliche, aber auch stolze Blick der Frau auf dem Cover passt zu der Vorstellung, die ich mir von Evelyn gemacht habe.

Die Abschnitte mit Monique sind nicht lang, dennoch fand ich es beeindruckend zu lesen, wie die Zeit mit Evelyn sie verändert und ihr hilft, in ihrem eigenen Leben einen Schritt vorwärtszukommen.
Man fragt sich bis zum Schluss, warum Evelyn gerade Monique ausgewählt hat, ihre Biografie zu schreiben. Auf was einige von Evelyns Andeutungen am Ende hinauslaufen war zwar zum Teil vorhersehbar, aber in welcher Verbindung die beiden Frauen stehen hat mich dann überrascht und schockiert.

Das Buch hat mich mehrfach zu Tränen gerührt. Denn es geht in diesem Roman nicht nur um den Werdegang einer Hollywood Diva. Vielmehr erzählt des Buch von der Vielseitigkeit der Liebe. Es erzählt eine wunderschöne und gleichzeitig tragische queere Liebesgeschichte. Wir treffen in diesem Roman auf Menschen, die ihr Leben lang, ihr wahres Ich verbergen müssen, weil sie in einer Zeit lebten, in der man nicht lieben durfte, wen man wollte.

Bewertung vom 11.08.2022
Ein unvollkommener Ehemann
O'Flanagan, Sheila

Ein unvollkommener Ehemann


sehr gut

Ein inspirierender Roman über Selbstfindung und Neuanfänge

Aufgrund des sommerlichen Covers und des Klappentextes hatte ich ja eher ein humoristisches Buch erwartet. Das war ‚Ein unvollkommener Ehemann‘ überhaupt nicht. Nichtsdestotrotz hat mich der Roman begeistert und war für mich ein Überraschungshighlight.

Der Schreibstil ist sehr angenehm, so dass sich der Roman flüssig und leicht lesen lässt. Die Geschichte ist aus der Ich-Perspektive von Roxy geschrieben. Hierdurch erhält man einen tiefen Einblick in ihre Gefühlswelt und ich habe ihre Figur als sehr authentisch empfunden. Es tat mir fast weh, wie sehr sie sich am Anfang an dem Seitensprung ihres Mannes aufreibt und die Schuld bei sich sucht. Ich mochte Roxy unheimlich gerne, sie macht im Laufe der Handlung eine tolle und nachvollziehbare Entwicklung durch.

Der Fokus der Geschichte liegt auf Roxy, die nach dem Tod ihres Vaters dessen Chauffeur-Service weiterführt und, ausgelöst vom Seitensprung ihres Mannes, ihre eigene Rolle zu hinterfragen beginnt. Durch ihre Arbeit kommt sie mit vielen Frauen in Kontakt, die „was aus ihrem Leben gemacht haben“. Dadurch und durch ihren Erfolg im Beruf erkennt Roxy, dass sie mehr sein möchte als Hausfrau und Mutter. Ihr Mann Dave tut sich mit dieser Veränderung hingegen sehr schwer.

Daves Charakter fand ich etwas schwierig. Natürlich hat er auf der Sympathieskala erstmal einen schlechten Stand durch seinen Seitensprung. Dass er diesen bereut und gerne möchte, dass wieder alles so wird wie früher ist zwar einigermaßen glaubhaft. Als Roxy schließlich zu ihm zurückkehrt mutiert er aber immer weiter zum patriarchalen Ober-Ar***. Diese eindimensionale Darstellung des Charakters hat mich etwas gestört. Eine etwas differenzierte Charakterzeichnung hätte mir besser gefallen.

Die Geschichte von Roxys Weg zu sich selbst wird geschickt verwoben mit den Erlebnissen ihrer Fährgäste - die ältere Schauspielerin Thea, die erfolgreiche Ernährungsberaterin Gina oder die junge Influencerin Leona. Und dann ist da noch Ivo, ein Geschäftsmann mit komplizierter Familiengeschichte, der für Roxy ein besonderer Fahrgast wird. Ich fand es schön, wie sich die Beziehung von Roxy und Ivo entwickelt hat und auch in welche Richtung sie sich eben NICHT entwickelt hat.
Alle Figuren tragen ihre eigene Geschichte mit sich und es geht viel um die Themen, Selbstfindung, Emanzipation und den Mut, ein neues Kapitel in seinem Leben aufzuschlagen. Eine wichtige Rolle dabei spielt auch noch Roxys Mutter, für die es nach dem Tod ihres Mannes auch darum geht, ihre Position im Leben neu zu bestimmen.

Fazit. Der Roman ließ sich nicht nur gut lesen, ich wollte das Buch zwischendurch kaum noch aus der Hand legen. Der Werdegang der Hauptprotagonistin war inspirierend für mich und es werden interessante und wichtige Themen angesprochen. Lediglich die Charakterisierung des Ehemannes hätte etwas tiefer gehen können. Insgesamt war das Buch aber definitiv ein Highlight.