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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Blubie
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Schönau

Bewertungen

Insgesamt 178 Bewertungen
Bewertung vom 14.04.2024
Im Prinzip ist alles okay
Polat, Yasmin

Im Prinzip ist alles okay


ausgezeichnet

Was für eine emotionale Achterbahnfahrt! Dieses Buch hat mir Einiges abverlangt, aber auch viel gegeben. Es gibt da einige Ähnlichkeiten zwischen meiner Vergangenheit und der Vergangenheit der Hauptprotagonistin und in vielen Gedankengängen habe ich mich wiedergefunden oder konnte zumindest gute Bezüge dazu herstellen.
Yasmin Polots Schreibstil ist leicht und humorig, gestört haben mich lediglich die vielen Anglizismen (aktueller Jugendsprech), die auch von der Zeit her absolut nicht gepasst haben.
In einer anderen Rezension hatte ich gelesen, dass die Rezensentin die Protagonistin super nervig fand, aber gerade das gut gemacht war, weil die Aussenwelt depressive Menschen oft nervig finden.
Ja, das kann durchaus sein. Ich fand Myriam an keiner Stelle nervig, weill ich diese extremen Selbstzweifel und den Selbsthass sehr gut kenne und mich in diesem Gedankenkarussell erkennen konnte... gerade in den Kapiteln mit ihrem Baby. Dieses "sich ständig bei allen und für alles entschuldigen wollen, weil man sich wertlos und unfähig fühlt".
Auch der Umgang mit Social Media, was das mit einem unsicheren Menschen macht, war gut dargestellt, ebenso der Fakt was Gewalt in der Familie für Folgewirkungen hat und von Generation zu Generation weiter gegeben - aber auch durchbrochen - werden kann.
Ich habe dieses Buch verschlungen, es fühlt sich realistisch an und nachvollziehbar. So etwas kann man eigentlich nur schreiben, wenn man es selbst gefühlt hat... falls es so ist, dann hoffe ich dass es der Autorin heute gut geht.
Eine Geschichte, die mich schwer beeindruckt hat.

Bewertung vom 12.04.2024
Wie Inseln im Licht
Gänsler, Franziska

Wie Inseln im Licht


sehr gut

Hauptprotagonistin in diesem Buch ist Zoey, eine junge Frau, die isoliert mit ihrer Mutter in Berlin gelebt hat und die sie die letzten Jahre pflegen musste. Die Mutter ist soeben verstorben und Zoey begibt sich auf die Suche nach der Vergangenheit, über die ihre Mutter nie sprechen wollte.
Wir tauchen tief in die Gedanken und Erinnerungen Zoeys ein, die stellenweise sehr intensiv und verzweifelt sind. Wir begleiten sie bei ihrem Aufenthalt in Frankreich, wo sie ihre früheste Kindheit verbracht hat und versucht, ihre eigenen Spuren zu finden.

Der Schreibstil ist poetisch und schön, das Erzählte ruhig und fließend. Die Auflösung der Geschichte war für mich nicht sehr überraschend.
Leider haben mich die Figuren und die Thematik nicht so berührt und ich kann nicht wirklich sagen woran es lag, denn das Buch habe ich tatsächlich gerne gelesen. Sprachlich ist es wirklich ein Genuss, aber die Figuren blieben mir seltsam fremd und glatt.
Streckenweise gibt es zu viel Esoterik, vielleicht war das mein Problem.
Aber alles in allem möchte ich dieses ruhige und schöne Buch gerne empfehlen.

Bewertung vom 11.04.2024
Sommerhaus am See
Poissant, David James

Sommerhaus am See


ausgezeichnet

Herrlich! Das war genau nach meinem Geschmack und der Inhalt des Buches hat gehalten, was Cover, Klappentext und Leseprobe versprachen.
Eine typisch amerikanische Geschichte, in der man, für eine kurze Zeitspanne, tiefen Einblick in eine Familie erhält, in der Vieles im Argen liegt.

Lisa und Richard - beide Professoren an der Uni - sind, bzw bald, in Rente und wollen sich nach Florida absetzen. Zuvor verbringen sie ein letztes Mal, zusammen mit ihren erwachsenen Söhnen und deren Lebenspartnern, ein paar Sommertage in ihrem Haus am See. Ein tragischer und tödlicher Unfall, dessen sie Zeugen werden, bringt das Idyll gehörig zum Einsturz und die Nerven aller liegen blank. Probleme und alte Geschichten dringen plötzlich an die Oberfläche.
Die Themen sind nicht leicht: Trauer, psychische Krankheiten, Alkoholismus, Geldsorgen... und dennoch ist das Buch nicht verstörend und drückend. Der Schreibstil ist locker und leicht und mitunter sogar humorvoll. Das Ende des Buches kein schmalziges Happy End, sondern recht realistisch. Die Figuren fühlen sich lebendig und echt an und auch wie sie miteinander sprechen oder agieren, wirkt authentisch.
Ich mochte diese Geschichte, die Sibylle Schmidt für uns ins Deutsche übersetzt hat, sehr gerne und empfehle das Buch an alle, die amerikanische Familiendramen mögen.

Bewertung vom 09.04.2024
Jahreszeiten
Williams, Fiona

Jahreszeiten


ausgezeichnet

Freunde von melancholischen Büchern sollten sich eine Packung Kleenex, viel Tee und eine Kuscheldecke für dieses wunderbare Buch bereit halten.
Ein ganzes Jahr lang - eingeteilt in die vier Jahreszeiten - begleiten wir die Familie aus dem Englischen Moorland.
Tess, die Mutter, eine gebürtige Londonerin mit jamaikanischen Wurzeln; Richard, der Vater, ein Farmer aus dem Marschland und die Zwillingssöhne Max und Sonny, die etwas ganz Besonderes sind: Max ist weiß wie sein Vater und Sonny dunkelhäutig wie seine Mutter.
Die Kapitel werden abwechselnd aus der Sicht dieser vier Personen erzählt und das ist intensiv und berührend. Man merkt, dass die Familie auseinander fällt und man möchte so gerne trösten und aufmuntern oder aufrütteln, aber man bleibt stiller Mitleser der Gedankenwelt.
Es ist trauriger Stoff, den Fione Williams uns da zu knabbern gibt, aber es ist kein hoffnungsloses Runterziehen beim Lesen. Alltagsrassismus, die Schwierigkeit konservativen Landlebens, Probleme einer gemischtethnischen Familie, Selbstverwirklichung einer Mutter und Beziehungsprobleme finden unter anderem thematisch Platz in diesem Buch.
Williams schildert Emotionen auf die unterschiedlichste Art, sie schafft glaubwürdige Figuren und ein traumhaftes Setting, das vor allem aus der Sicht Sonnys unglaublich bildgewaltig geschildert wird, so schöne Naturbeschreibungen habe ich noch nie gelesen.
Eine sehr berührende und unter die Haut gehende Familiengeschichte, ganz wunderbar von Maria Hummitzsch übersetzt.

Bewertung vom 08.04.2024
Nostalgia Siciliana
Di Stefano, Patrizia

Nostalgia Siciliana


ausgezeichnet

Ist das nicht ein wunderbares Buchcover? Die Autorin hat es selbst entworfen und damit absolut ins Schwarze getroffen.
Wenn ich ehrlich bin: ich habe eine Weile gebraucht, um in das Buch reinzukommen. Woran es lag: die Autorin hat einen Hang zur akribischen Beschreibung; Landschaft, Lokale, Häuser, Essen, Innenenrichtung alles wird detailverliebt geschildert. Das ist leider gar nicht mein Ding, obwohl das natürlich auch zur Atmosphäre beiträgt.
Auch waren mir zu viele italienische Wörter, oftmals ganze Sätze, eingestreut sehr oft ohne jede Übersetzung. Das alles hat zu Beginn meinen Lesefluss arg gebremst, aber ich mochte die Geschichte zu sehr, also habe ich begonnen, diese Passagen ein wenig zu überspringen. Das hat nicht nur funktioniert, sondern das Buch letztendlich zu einem tollen Leseerlebnis werden lassen und ich habe es in einem Rutsch am Wochenende durchgelesen.
Da es sich um eine wahre Familiengeschichte handelt, fühlen sich die Personen sehr real an und Gianni ist einfach ein unheimlich sympathischer Protagonist, den man sofort ins Herz schließen muss. Patrizia di Stefano ist mit diesem Roman eine wirklich schöne Liebeserklärung an ihren Vater und an Sizilien gelungen.
Ich empfehle es allen Leserinnen, die Familiengeschichten und Italien mögen und ich brauche jetzt ganz dringend Urlaub in Sizilien.

Bewertung vom 05.04.2024
Hallo, du Schöne
Napolitano, Ann

Hallo, du Schöne


weniger gut

Auf dieses Buch mit diesem wunderschönen Cover hatte ich mich sehr gefreut, so viele gute Rezensionen haben mich richtig angefixt.
Nun, was soll ich sagen? Das war wohl nix, also zumindest nicht für mich.
Der Klappentext klang absolut nach meinem Beuteschema: amerikansiche Familiengeschichte mit ein bissl Drama und italienischem Background... der Plot war auch eigentlich gut, aber die Umsetzung hat mich leider nicht nur nicht überzeugt, sondern auch noch ziemlich genervt.
Da wären einmal die Schwestern, die für mein Empfinden ein absolut ungesundes Verhältnis zueinander haben, das ein weites Studierfeld für Psychologen wäre. Die älteste Schwester steht im Lexikon... gleich neben den Wörtern "unsympathisch" und "egozentrisch".
Es werden wichtige Themen behandelt, aber leider alles so extrem gewollt, nichts davon fühlte sich für mich natürlich oder glaubwürdig an - von den Charakteren über Handlungsweisen bis hin zu den Dialogen, nicht mal das Jahrzehnt hat sich echt angefühlt.
Dazwischen Längen über Längen, Füllmaterial das die Handlung nicht voran gebracht hat, lediglich das Buch extrem in die Länge gezogen. Und jede Menge unfreiwillig komische Szenen und Metaphern - die aber, zugegebenermaßen, mich letztendlich bei der Stange gehalten haben: wenn mir schon das Buch nicht gefällt, dann kann mich der sonderbare Schreibstil wenigstens belustigen.
Am Übersetzer kann es nicht gelegen haben, denn ich weiß, dass Werner Löcher-Lawrence seinen Job normalerweise gut macht.
Das Buch hat viele Liebhaberinnen, mich hat es weder berührt noch irgendwie erreicht, leider lediglich genervt. Schade.

Bewertung vom 04.04.2024
Mit den Jahren
Steenfatt, Janna

Mit den Jahren


ausgezeichnet

Bevor ich mein Lob über diesen genialen Roman ausschütte, muss ich doch einfach mal vom Cover schwärmen. Die Künstlerin ist Xenia Hausner - die Tochter des Phantastischen Realisten Rudolf Hausner - ihre Bilder sind einfach großartig. Generell gehören Bücher aus dem Hause "Nagel und Kimche" für mich zu den derzeit am ansprechendsten aufgemachten.

Aber nun zum Wesentlichen - der Inhalt, und dieser ist mehr als empfehlenswert. Es geht um Lebensmodelle, die in Frage gestellt werden in diesem Fall von drei Personen: ein Ehepaar mit Kindern und eine Singlefrau. Sie leben in Leipzig und ihre Wege kreuzen sich auf unterschiedliche Art.
Janna Steenfatt schreibt abwechselnd aus der Sicht der drei Protagonisten und skizziert deren Alltag in ruhigem Tempo und sehr authentisch. Ihr Schreibstil ist toll und mitreissend, ihre Protagonisten (nicht durchwegs immer sympathisch, was sie umso glaubwürdiger macht) haben etwas sehr Anziehendes, dem man sich kaum entziehen kann. Ich konnte mich in bestimmten Szenen und Gedankengängen immer wieder identifizieren, mal mit der einen Person, dann wieder mit der anderen.
Steenfatt ist eine einfühlsame Beobachterin, egal ob Personen, deren Beziehungen zueinander, oder auch einfach Kleinigkeiten im Alltag; alles wirkt natürlich und ungekünstelt.
Obwohl ich mir so meine Gedanken über den Ausgang gemacht habe, das Ende hat mich dann doch überrascht.
Toll, ich mag noch mehr von dieser Autorin lesen!

Bewertung vom 02.04.2024
Das Evangelium der neuen Welt
Condé, Maryse

Das Evangelium der neuen Welt


sehr gut

Dieses Buch hat mich aufgrund des tollen Covers und des Klappentextes sehr neugierig gemacht, noch dazu wurde es mit dem Alternativen Literaturnobelpreis ausgezeichnet.
Allerdings muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich zuvor noch nie etwas von Maryse Conde gehört habe.
Diese Geschichte spielt in der Jetztzeit auf einer Karibischen Insel und handelt von Pascal, einem Findelkind, das am Ostersonntag vo einem kinderlosen älteren Ehepaar in der Gartenscheune gefunden wird. Sehr schnell geht das Gerücht um, er sei Gottes zweiter Sohn, gesandt um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. So sagen die einen, die anderen allerdings sind völlig skeptisch und Pascal wird entweder verehrt oder gehasst.
Als junger Mann begibt er sich auf die Suche nach seinen leiblichen Eltern und nach seiner eigentlichen Bestimmung. Auf seiner nicht gerade zielstrebigen Suche begegnet er Persönlichkeiten, die Maryse Conde bewusst ans Neue Testament angelehnt hat. Humorvoll satirisch tauchen immer wieder Anlehnungen an die Jesusgeschichte auf, dabei ist Pascal alles andere als ein Messias: er raucht, er liebt Frauen, er zweifelt an sich selbst, ist nicht besonders nett zu seinen Adoptiveltern und hat nicht sehr viel Durchhaltevermögen was seine Mission anbelangt, die Welt besser zu machen. Dabei gäbe es in seinem Umfeld mehr als genug zu tun: korrupte Regierungen, Nachwehen der Kolonialzeit, illegale Einwanderung und dem damit einhergehenden Hass auf die Flüchtlinge, Benachteiligung der Frauen in der Gesellschaft...
Dieses Buch ist Gesellschaftskritik und Religionssatire in einem, vielleicht hat man noch ein wenig mehr Genuss, wenn man sich in der Politik und in den gesellschaftlichen Strukturen der Karibik auskennt. Aber auch ohne diese Kenntnisse macht das Buch Spaß, schon alleine durch den gefälligen Schreibstil, der von Bettina Bach toll übersetzt wurde.

Bewertung vom 02.04.2024
Kontur eines Lebens
Robben, Jaap

Kontur eines Lebens


ausgezeichnet

Nach dieser Lektüre muss ich erst einmal tief durchatmen und mich sammeln.
Jaap Robben erzählt die Geschichte von Ida, einer alten Dame, die nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes die gemeinsame Wohnung aufgeben muss und ins betreute Wohnen zieht. Ihr Sohn Tobias hilft ihr dabei und erfährt das lang gehütete Geheimnis seiner Mutter.
Abwechselnd folgen wir Ida als junge Frau, die sich auf einen älteren verheirateten Mann einlässt und als alte pflegebedürftige Frau, die sich mit der neuen Lebenssituation vertraut machen muss und gleichzeitig ihre Vergangenheit aufarbeitet.
Diese Geschichte hat mich tief berührt, Robben schafft es nicht nur authentisch aus der Sicht einer Frau zu schreiben, er schafft es sogar absolut glaubwürdig aus der Sicht einer alten Frau zu schreiben - keine Szene, kein Gedanke wirkt aufgesetzt oder unglaubwürdig: Ida ist eine lebendige Person aus Fleisch und Blut.
Ich habe sehr mit ihr mitgefühlt, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart (mit Ü 55 ist man näher am Altersheim dran, als an seiner Teenagerzeit), ich war wütend auf die Gesellschaft der frühen 60er Jahre, ich war entsetzt über die Kirche, ich war frustriert als Frau... ich habe so ziemlich alle Emotionen durchlebt, die man im Laufe eines Buches durchleben kann.
Jaap Robben ist ein guter Beobachter und ein einfühlsamer Erzähler, sein Schreibstil ist geradlinig und klar, aber auch stellenweise sehr bildgewaltig. Bravo - genau so geht Literatur!
Ein nicht einfach zu verdauendes Buch, aber äußerst empfehlenswert - Birgit Erdmann hat für uns das Ganze aus dem Niederländischen übersetzt.

Bewertung vom 01.04.2024
Die Frauen der Familie Carbonaro / Die Carbonaro-Saga Bd.2
Giordano, Mario

Die Frauen der Familie Carbonaro / Die Carbonaro-Saga Bd.2


ausgezeichnet

Auf dieses Buch habe ich mich bereits gefreut, als ich die letzten Seiten des Vorgängers "Terra die Sicilia" gelesen hatte.
Schon der erste Band, der die Familiengeschichte der Carbonaros aus der Sicht der Männer erzählt, war für mich ein absolutes Highlight - sprachlich genauso wie inhaltlich.
Nun kommen die Frauen aus drei Generationen der Familie zu Wort. Und hier wird nicht etwa einfach die gleiche Geschichte nochmal erzählt, sondern gewisse Begebenheiten werden in ein anderes Licht gerückt und Lücken gefüllt. Wer den ersten Band nicht gelesen hat, kann diesen trotzdem geniessen (allerdings verpasst man ein gutes Buch).

Sprachlich war es wieder ein Hochgenuss: Giordano erzählt plastisch und eindrucksvoll, man meint zu riechen, zu schmecken und zu sehen was man da liest. Wieder nehmen Aberglaube und Familiengeister ihren Platz in der Geschichte ein, was unglaublich gut passt und nicht befremdlich wirkt.

Fasziniert hat mich die Tatsache, dass ich irgendwann aufgehört habe zu denken, dass das ein Mann geschrieben hat - es waren wirklich Frauen, denen ich zugehört habe.

Ich werde La Familia, die Carbonaros, stark vermissen.
Danke Mario Giordano für diese ganz wunderbare Familiengeschichte, die sich fest in mein Herz gebrannt hat.