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Readaholic

Bewertungen

Insgesamt 357 Bewertungen
Bewertung vom 30.10.2023
Beuteherz / Annie Ljung Bd.1
Rolfsdotter, Ulrika

Beuteherz / Annie Ljung Bd.1


gut

Annie kehrt nach einem schlimmen Erlebnis in ihrer Jugend ihrem Heimatort Lockne den Rücken und zieht nach Stockholm, wo sie ziemlich zurückgezogen als Sozialarbeiterin arbeitet. Ihr Vater ist gestorben, die Mutter lebt dement im Pflegeheim, von wo sie eines Tages mitten im Winter verschwindet und halb erfroren vor der Tür eines Verwandten steht. Annie hat es lange genug vor sich hergeschoben, jetzt muss sie ihre Mutter besuchen und nach dem Rechten sehen. Zuhause trifft sie auf ihre erste große Liebe, Johan, der zwischenzeitlich geheiratet hat. Eigentlich will Annie nichts lieber, als schnell wieder nach Stockholm zurückzufahren, doch dann verschwindet Saga, die siebzehnjährige Tochter ihres Cousins. Annie beteiligt sich an der Suche nach dem Mädchen und beschließt, ihren Job in Stockholm zu kündigen und vorerst in Nordschweden zu bleiben.
Beuteherz ist ein typisch schwedischer Krimi. Das fängt schon bei der nicht sonderlich originellen Covergestaltung an: ein rotes Holzhaus im Wald, die Atmosphäre etwas gruselig. Auch Annies Geschichte liest sich wie schon viele andere zuvor: ein traumatisches Erlebnis in der Jugend, Flucht nach Stockholm, die Umstände führen die Protagonistin zurück an den Ort ihrer Kindheit und die damit verbundenen Erinnerungen.
Das in kurzen Kapiteln verfasste Buch lässt sich gut und flüssig lesen, aber die Story ist nichts Neues. Über Annies Trauma erfahren wir scheibchenweise immer mehr, das meiste kann man sich sowieso zusammenreimen. Die Bedeutung des Romantitels hat sich mir bis zuletzt nicht erschlossen. Und die Frage im Klappentext, „Wiederholt sich die Vergangenheit?“, ergibt für mich auch keinen Sinn, denn Sagas Verschwinden hat rein gar nichts mit Annies eigener Geschichte gemeinsam. Manchmal frage ich mich, ob die Leute, die solche Teasertexte verfassen, das Buch überhaupt kennen.
„Beuteherz“ ist ein durchschnittlicher Krimi, ganz unterhaltsam, aber er hebt sich nicht aus der großen Masse hervor.

Bewertung vom 23.10.2023
Die letzte Nacht / Georgia Bd.11
Slaughter, Karin

Die letzte Nacht / Georgia Bd.11


weniger gut

Fürchterlich
Die Ärztin Sara Linton ist glücklich mit dem Ermittler Will Trent, die Hochzeit steht kurz bevor. Während eines Nachtdiensts wird eine junge Frau auf die Notaufnahme eingeliefert. Sie hatte einen Autounfall und stirbt kurz danach. Zuvor schafft sie es jedoch noch, Sara mitzuteilen, dass sie brutal vergewaltigt wurde. Sara, die selbst vor über 20 Jahren Opfer einer Vergewaltigung wurde und dieses Trauma nie überwunden hat, schwört sich, den Schuldigen ausfindig zu machen. Dabei sticht sie in ein Wespennest, denn der Fall ist sehr viel komplexer als sie sich vorstellen konnte. Will und seine Kollegin Faith, die gleichzeitig Saras beste Freundin ist, ermitteln inoffiziell und bringen damit nicht nur sich und ihre Karriere, sondern auch Faiths Sohn in Gefahr.
Vergewaltigung ist ein heikles Thema, das in Krimis oft zur Sprache kommt. Noch nie habe ich allerdings ein Buch gelesen, in dem auf so obszöne und frauenverachtende Weise darüber geschrieben wurde. Die ekelhaften Details werden verschiedenen Personen gegenüber unzählige Male wiederholt, die dabei benutzte Sprache ist unterste Schublade. Von Vergewaltigern erwartet man wahrscheinlich nichts anderes, doch selbst Sara und eine andere Ärztin, die ebenfalls ein Vergewaltigungsopfer ist, bedienen sich dieses abstoßenden Vokabulars. Was die Geschichte selbst anbelangt, so erscheint mir manches sehr konstruiert, nach dem Motto „Was nicht passt, wird passend gemacht“. Will schleust sich unter einem Pseudonym als angeblicher früherer Kommilitone in eine Gruppe ein, mit der er angeblich in der Vergangenheit wilde Feste gefeiert hat. Keiner in der Gruppe kann sich an ihn erinnern, doch niemand kommt auf die Idee, die Behauptung anzuzweifeln. In Nullkommanichts wird er „wieder“ in die Gruppe aufgenommen, wodurch Will der Lösung des Falls ein ganzes Stück näherkommt. Nicht sehr glaubwürdig. Dazu kommt, dass die Übersetzung sehr zu wünschen übriglässt. Als eine der Personen etwas im englischen Original als „totally bananas“, also total verrückt, bezeichnet, wird das im Deutschen allen Ernstes als „Das ist ja total Banane!“ übersetzt. Die englische Farbe „purple“ ist ganz einfach lila und nicht purpurfarben! Ich könnte ganze Seiten füllen mit den schlechten Übersetzungen in diesem Buch.
Ich hatte auf einen spannenden Krimi gehofft, aber dieses Buch ist tatsächlich das Schlechteste, was ich seit langem gelesen habe. Nur gegen Ende kommt so etwas wie Spannung auf, weshalb ich zwei anstatt einen Stern dafür vergebe.

Bewertung vom 21.10.2023
Das Gemälde
Brooks, Geraldine

Das Gemälde


ausgezeichnet

Ein ganz besonderes Pferd
Das Hauptaugenmerk dieses Romans liegt auf dem Rennpferd Lexington, das Mitte des 19. Jahrhundert das erfolgreichste Rennpferd sowie der berühmteste Zuchthengst der USA war. Lexington wird in Kentucky geboren. Von Anfang an kümmert sich der junge Sklave Jarret um ihn. Jarrets Vater hat sich freigekauft und beabsichtigt, auch seinen Sohn dem Gutsbesitzer Warfield abzukaufen, sobald er die entsprechende Summe gespart hat. Leider kommt es dazu nicht, denn Warfield beschließt, Jarret gemeinsam mit dem Hengst zu verkaufen. Es ist sehr bedrückend und schockierend zu lesen, wie Sklaven zu dieser Zeit wie Waren und nicht wie Menschen behandelt wurden und sich mit jedem neuen Besitzer auch der Name des Sklaven änderte. Im Lauf der Jahre wird Lexington mehrmals von dem Maler T. J. Scott gemalt. Eines dieser Bilder taucht im Jahr 2019 in Washington D.C. im Sperrmüll auf, wo es von dem Doktoranden Theo gefunden wird. Theo erkennt, dass es sich um ein außergewöhnliches Bild handelt und beschließt, mehr darüber herauszufinden. Bei seinen Recherchen lernt er Jess, eine Mitarbeiterin des Smithsonian Institutes, kennen, die zufällig kurz zuvor auf das Skelett des berühmten Rennpferdes gestoßen ist, das seit Jahren unbeachtet in einer Lagerhalle des Smithsonian aufbewahrt wurde.
Der auf mehreren Zeitebenen spielende Roman deckt eine Vielzahl an Themen ab. In dem historischen Teil geht es um Pferdezucht und das profitable und erbarmungslose Geschäft mit Pferderennen, Sklaverei in all ihrer Unmenschlichkeit sowie den amerikanischen Bürgerkrieg. In der Jetztzeit erfährt man viel über Gemälde, und erlebt den alltäglichen Rassismus, der nach wie vor in den USA vorherrscht. „Das Gemälde“ ist ein faszinierendes und im Übrigen hervorragend übersetztes Buch, das trotz seiner über 500 Seiten keine Längen aufweist und sich spannender liest als so mancher Krimi. Die Autorin versteht es geschickt, wahre Begebenheiten mit Fiktion zu verbinden. Uneingeschränkte Leseempfehlung von mir.

Bewertung vom 29.09.2023
Die Einladung
Cline, Emma

Die Einladung


ausgezeichnet

Roman mit Sogwirkung
Die 22jährige Alex ist ständig auf der Suche nach einem Sugardaddy, der sie aushält. Momentan geht es ihr gut: sie verbringt den Sommer mit dem wesentlich älteren Simon auf dessen Luxusanwesen in den Hamptons, wo die Reichen und Schönen der Ostküste ihre Sommer verbringen. Als Gegenleistung ist sie ihm stets sexuell zu Diensten, sie passt sich seinen Stimmungen und Neigungen an wie ein Chamäleon.
Tagsüber arbeitet Simon, während sie die endlosen heißen Tage am Pool oder Strand verbringt, abends gehen sie zu Partys, bei denen die Gastgeber sie oft spüren lassen, dass sie genau wissen, welche Sorte Frau sie ist und sie entsprechend herablassend behandeln. Gerne lässt sie bei diesen Gelegenheiten etwas mitgehen und durchsucht die Badezimmer der Gastgeber nach Schmerzmitteln und anderen Medikamenten. Bei einer dieser Partys leistet Alex sich einen Fauxpas und Simon hat genug von ihr. Er setzt sie vor die Tür, doch wo soll sie hin? Zurück in die Stadt ist keine Option, denn auch aus ihrer WG ist sie geflogen, da sie monatelang keine Miete bezahlt hat. Ihr letzter Sugardaddy, Dom, ist sauer auf sie, da sie ihn um eine große Summe Geld und Drogen erleichtert hat. Er bombardiert sie mit Anrufen, die sie jedoch ignoriert. Allerdings lebt sie in ständiger Angst, er könnte sie ausfindig machen.
So streunert sie obdachlos und auf der Suche nach einem neuen Opfer durch die Gegend. Sie ist eine Meisterin der Manipulation und weiß genau, wie sie am besten an ihr Ziel kommt. Dabei geht sie äußerst skrupellos vor. Empathie ist ihr fremd. Es ist ihr egal, wenn sie andere in Schwierigkeiten bringt. Man erfährt nichts über Alex‘ früheres Leben, wieso sie so wurde, wie sie ist. Irgendwann hatte sie einen Job, was ist passiert? Wann und warum hat sie beschlossen, sich zu prostituieren? Obwohl Alex, die permanent zugedröhnte und kleptomanisch veranlagte Schmarotzerin, alles andere als eine sympathische Protagonistin ist, hat ihre Geschichte eine Sogwirkung auf mich ausgeübt, die sich wie ein Thriller liest. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, zu Simon zurückzukehren. Eine Woche nach ihrem Rauswurf gibt er eine große Labor Day Party, jetzt gilt es nur, die Zeit bis dahin zu überbrücken, dann wird er sie schon wieder aufnehmen.
Das Ende des Romans ist offen, was mich nach all der Spannung und der Erwartung einer Auflösung ziemlich unbefriedigt zurückgelassen hat. Emma Clines Vorgängerwerk „The Girls“ konnte mich nicht ganz überzeugen, „Die Einladung“ hat mich gefesselt. Allerdings hätte ich eine wörtliche Übersetzung des Originaltitels „The Guest“ sehr viel passender gefunden. Ein äußerst spannender Roman über eine überaus unsympathische Protagonistin.

Bewertung vom 25.09.2023
Frederick und seine Freunde - Komm, wir erkunden den Wald
Lionni, Leo

Frederick und seine Freunde - Komm, wir erkunden den Wald


ausgezeichnet

Den Wald erleben
Die Bücher von Leo Lionni habe ich schon vor 30 Jahren meinem Sohn vorgelesen, „Komm, wir erkunden den Wald“ kannte ich jedoch nicht. Ich lese es jetzt mit meinem kleinen Enkel, dem die liebevoll gestalteten Seiten sehr gut gefallen. Es gibt putzige Mäuschen und Eichhörnchen, Igel, Häschen, Marienkäfer, Pilze und vieles mehr zu entdecken. Das Buch regt dazu an, den Wald mit allen Sinnen zu erforschen. Ein Loch im Boden ist schnell entdeckt, doch wer wohnt da wohl? Was sind das für hübsche kleine Beeren, ob man die wohl essen kann oder sind sie nur für Vögel lecker? Wie weich das Moos ist! Und welcher Vogel schreit da gerade so laut? Diese und andere Fragen regt dieses ausgesprochen schön gestaltete Buch an, das sich auch schon für die Kleinsten gut als Bilder- und Sachensuchbuch eignet.

Bewertung vom 23.09.2023
Sylter Welle
Leßmann, Max Richard

Sylter Welle


weniger gut

Familie kann man sich nicht aussuchen
Früher ging Max mit seinen Großeltern Ludwig und Lore auf Sylt campen. Heute sind die beiden zu alt dafür und mieten sich lieber in einer Ferienwohnung in der „Sylter Welle“ in Westerland ein. Max ahnt, dass es nicht mehr viele Urlaube mit den beiden geben wird und fährt sie besuchen.
Da ich jedes Jahr Sylt besuche, hatte ich mich auf etwas Sylter Lokalkolorit und Meeresbrise gefreut, doch dieser Roman besteht hauptsächlich aus Reminiszenzen an Kindheit und Jugend, die allerdings größtenteils alles andere als positiv sind. Es geht um miefige Küchen, Margarine mit allen möglichen Speiseresten, Dachse in der Tiefkühltruhe und andere unappetitliche Themen. Oma Lore benimmt sich wie ein General, jeder hat nach ihrer Pfeife zu tanzen. Der Opa schreibt derweil Tagebuch und lässt seine Lore machen. Max selbst ist kein angenehmer Zeitgenosse, der schon als Kind einer alten Dame androht, sie aus dem Fenster zu werfen, als sie das schlechtgelaunte Bürschchen anspricht. Auf seine Ausraster scheint er jedoch stolz zu sein, so wie er davon berichtet.
Es gibt keine fortlaufende Geschichte, sondern eine Aneinanderreihung von Anekdoten, die teilweise doch ziemlich seltsam anmuten. Mit dem flapsigen Schreibstil und dem Humor des Autors kann ich leider überhaupt nichts anfangen. Wahrscheinlich bin ich einfach nicht in der richtigen Zielgruppe für diese Lektüre. Die vielen Zeitsprünge haben das Lesen erschwert und ich habe mich zumindest bei Tag 1, der den größten Teil des Buchs einnimmt, durch die Seiten gequält. Von mir leider keine Leseempfehlung.

Bewertung vom 21.09.2023
Aenne und ihre Brüder
Beckmann, Reinhold

Aenne und ihre Brüder


ausgezeichnet

Die verdammte Generation
Reinhold Beckmann beschreibt in diesem Buch die Geschichte seiner Familie vor dem Hintergrund des Dritten Reichs. Sein Großvater kämpfte im 1. Weltkrieg und kehrte gesundheitlich schwer angeschlagen zurück. Dessen Frau starb nicht lange nach Aennes Geburt, sodass der Schustermachermeister nun allein mit fünf Kindern zurückblieb und bald eine Stiefmutter ins Haus kam. Doch auch Aennes Vater lebte nicht mehr lang und die Kinder wuchsen bei Stiefeltern auf, bei denen es nicht sehr liebevoll zuging.
Am Beispiel des kleinen Dorfes Wellingholzhausen wird beschrieben, wie sich das politische Klima in Deutschland verändert und die Nationalsozialisten von einer kleinen unbedeutenden Minderheit zur herrschenden Partei werden. Öffentliche Ämter wie die des Schulleiters werden durch Parteitreue besetzt. Besonders schockierend finde ich die Rolle der Kirche während der Hitlerzeit. Im Brief eines Erzbischofs wird beispielsweise von „göttlicher Vorsehung“ gesprochen, als der Führer „einem verbrecherischen Attentat glücklich entronnen“ ist. Auch dass Hitlers Euthanasieprogramm in Kirchenkreisen durchaus bekannt war und sogar Unterstützung fand, hat mich entsetzt. Über viele Kapitel hinweg ähnelt das Buch eher einem Geschichtsbuch als einem Roman, was hochinteressant, aber keine einfache Lektüre ist. Die Familiengeschichte spielt im ersten Drittel des Buchs nur eine untergeordnete Rolle. Es ist herzzerreißend zu lesen, wie Aennes Brüder allesamt einberufen werden und keiner von ihnen den Krieg überlebt. Sie vergeuden ihre Jugend, feiern ein Weihnachten nach dem anderen an der Front und träumen von einem Leben mit Frau und Kindern, nachdem der ganze „Schwindel“ vorbei ist. Die Briefe nach Hause werden spärlicher, der Inhalt immer deprimierter. Das Schicksal eines Bruders bleibt über Jahre ungeklärt.
Wahrscheinlich hätte ich mich nicht für dieses Buch entschieden, wenn ich gewusst hätte, welch großen Stellenwert die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs darin einnehmen, aber ich bin froh, es gelesen zu haben. Die Geschichte meiner eigenen Familie stand mir dabei schmerzhaft vor Augen, denn auch drei meiner Onkel sind nicht aus dem Krieg nach Hause gekommen. Noch ein Tipp: unbedingt auch das Lied „Vier Brüder“ von Reinhold Beckmann anhören, der QR Code ist im Anhang enthalten.
Fazit: Ein äußerst lesenswertes Buch über das wohl dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte.

Bewertung vom 15.09.2023
Die Formel der Hoffnung
Cullen, Lynn

Die Formel der Hoffnung


sehr gut

Wer hat die Nase vorn?
Dorothy Horstmann stammt aus kleinen Verhältnissen. Trotzdem schafft sie es, im Amerika der 1930er Jahre Medizin zu studieren. Ihre erste Anstellung erhält sie allerdings nur, weil die Verantwortlichen der Meinung waren, einen Mann einzustellen. Dorothy möchte nichts lieber, als die Volksseuche Kinderlähmung zu besiegen. Schon bald stellt sie Versuchsreihen an, um das Virus im Blut infizierter Patienten nachzuweisen, eine von den männlichen Kollegen belächelte Vorgehensweise. Dass sie damit richtig liegt, zeigt sich erst Jahre später.
Es war interessant, über die Poliopandemie des letzten Jahrhunderts zu lesen. Mir waren die Auswirkungen und die mangels Alternativen aus heutiger Sicht vorsintflutlichen Behandlungsmethoden nicht bekannt. Ebenfalls schockierend fand ich die sexistische Einstellung allerorten. Während die männlichen Wissenschaftler selbstverständlich Dr. Salk und Dr. Sabin genannt werden, wird Dr. Dorothy Horstmann zu „Dottie“, die Epidemiologin Isabel Morgan zu „Ibby“. Gebärend Frauen werden nicht mit Namen angeredet, sondern als „Mommy“, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Als Leser erlebt man den Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen wissenschaftlichen Einrichtungen. Jeder möchte der Erste sein, der einen Impfstoff gegen das tödliche Virus entwickelt. Gleichzeitig erlebt man, wie lange sich alles hinzieht, nicht zuletzt, weil nicht alle an einem Strang ziehen und persönliches Machtdenken und Skrupellosigkeit oft an erster Stelle stehen.
Das Buch beginnt ausgesprochen spannend, doch diese Spannung konnte nicht durchgehend aufrechterhalten werden. In der Mitte des Buchs weist die Geschichte doch einige Längen auf. Die Übersetzung war stellenweise holprig oder fehlerhaft. So wurde das englische „school of fish“, was nichts anderes als ein Fischschwarm ist, mit Fischschule übersetzt. Wissenschaftler „kauern“ in ihren Sesseln, die männlichen Besucher einer Party werden als „Böcke“ bezeichnet. Das hat meinen Lesegenuss etwas geschmälert. Trotzdem ist es ein lesenswertes Buch, aus dem ich einiges gelernt habe, beispielsweise, dass die Polioimpfung an siebenundsiebzig Millionen Kindern in der UdSSR getestet wurde. Ein Buch über eine starke Frau und Wissenschaftlerin und ein wichtiges Kapitel der Medizingeschichte.

Bewertung vom 06.09.2023
Schwarzvogel / Fredrika Storm Bd.1
Skybäck, Frida

Schwarzvogel / Fredrika Storm Bd.1


gut

Mehr Familiengeschichte als Krimi
Fredrika Storm kehrt nach Jahren bei der Polizei in Stockholm ins südschwedische Schonen zurück. Sie arbeitet bei der Kriminalpolizei in Lund, nicht weit von ihrem Heimatort Harlösa entfernt. Kaum ist sie dort angekommen, bricht eine junge Frau auf einem zugefrorenen See im Eis ein und ertrinkt. Fredrikas Großmutter ist Zeugin des Vorfalls. Sie hat den Eindruck, dass jemand hinter der jungen Frau her war und diese deshalb panisch auf den nur mit einer dünnen Eisschicht bedeckten See lief.
Fredrika und ihr Ermittlungspartner Henry Calment werden auf den Fall angesetzt. Dabei muss Fredrika auch Angehörige ihrer eigenen Familie verhören, was diese ihr übelnehmen. In der Familie schwelt so mancher Konflikt und Fredrika steht zwischen den Fronten.
Sie findet heraus, dass die Tote Recherchen zu einem vor langer Zeit verschwundenen Mann aus der Gegend angestellt hat. Woher kannte sie ihn und was verbindet die beiden? Etwa zur selben Zeit wie Tobias Falk verschwand auch Fredrikas Mutter Annika. Gibt es auch hier einen Zusammenhang oder ist dies reiner Zufall? Weder Fredrikas Vater noch sonst irgendjemand aus der Familie ist bereit, ihr über das plötzliche Verschwinden der Mutter Auskunft zu geben.
Mir waren die Beschreibungen von Fredrikas weitläufiger Familie zu viel. Von den Urgroßeltern bis zu sämtlichen Onkels und Tanten und deren Kinder, zu jedem wurde etwas erzählt. Darunter litt leider die Spannung. Ich empfand diesen Roman eher als Familiengeschichte und nur am Rande als Krimi. Die Leser werden ewig lange hingehalten und mit kleinen Informationsbröckchen abgespeist, bis man dann endlich erfährt, was eigentlich passiert ist. Vieles, was zur Aufklärung der Todesfälle beiträgt, ist ziemlich weit hergeholt und Fredrikas Alleingänge haarsträubend. Das Schicksal von Fredrikas Mutter bleibt offen. Ein Cliffhanger für die Folgebände, die ich aber voraussichtlich nicht lesen werde. Von einem Nr. 1 Bestseller aus Schweden hätte ich mehr erwartet.

Bewertung vom 02.09.2023
Gewässer im Ziplock
Vowinckel, Dana

Gewässer im Ziplock


ausgezeichnet

Die 15-jährige Margarita lebt mit ihrem alleinerziehenden Vater Avi in Berlin, die Mutter hat sie verlassen, als Margarita noch ganz klein war. Avi ist strenggläubiger Jude und Kantor in einer jüdischen Gemeinde. Wie jedes Jahr verbringt Margarita den Sommer bei ihren Großeltern mütterlicherseits in Chicago. Früher hat ihr das gefallen, heute langweilt sie sich. Als ihre Großmutter den Vorschlag macht, Margarita könnte ihre Mutter Marsha in Jerusalem besuchen, wo diese einen Lehrauftrag angenommen hat, weigert sich Margarita zunächst. Schließlich hat sie ihre Mutter seit 13 Jahren nicht mehr gesehen und auch sonst keinen Kontakt zu ihr gehabt.
Trotz großer Bedenken fliegt sie. Nach anfänglichen Problemen und Missverständnissen, bei denen Marsha gleich ihre Unzuverlässigkeit beweist, reisen die beiden durch Israel, mal keimt so etwas wie Zuneigung auf, dann streiten sie sich wieder, dass die Fetzen fliegen. Das Ganze kulminiert darin, dass Margarita abhaut und damit Mutter, Vater und Großeltern in Panik versetzt und Avi ebenfalls nach Israel fliegt.
Ich wollte dieses Buch gern lesen, um etwas über den jüdischen Glauben zu erfahren. In der Tat nimmt die Beschreibung der vielfältigen Rituale einen großen Platz in diesem Roman ein. Das lückenhafte Glossar hebräischer Begriffe war zum Verständnis nur bedingt hilfreich. Die Vielzahl an nicht erklärten und oft auch aus dem Zusammenhang nicht hervorgehenden Begriffe ist meine größte Kritik an diesem Roman.
Den Deutschenhass, dem Margarita in Israel ausgesetzt ist, fand ich schlimm. Was kann eine Fünfzehnjährige für den Holocaust? Auch Avi, der sich bewusst für ein Leben in Deutschland entschieden hat, steht Deutschland sehr kritisch gegenüber. Deutsch bezeichnet er als Nazi-Sprache, seine Überlegung, ob es in Auschwitz wohl Handcreme gebe „mit Tote-Juden-Asche“, die wahrscheinlich sarkastisch sein sollte, finde ich in höchstem Maße geschmacklos.
Wir erleben Margarita als verunsicherten Teenager, der seinen Platz in der Welt sucht und einfach nur gesehen werden möchte. Die sich ständig streitenden Eltern machen es ihr nicht leicht. Am Schluss muss sie eine große Entscheidung treffen, jedoch ist nicht ganz klar, wie sie sich auf Dauer entscheidet. Ein durchaus empfehlenswertes, aber nicht einfach zu lesendes Buch über die Sorgen und Nöte eines Teenagers in der Findungsphase, eine schwierige Familienkonstellation und jüdisches Leben in Deutschland, den USA und Israel.

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