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Top-Rezensenten Übersicht

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Lilis Lesemomente
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Garbsen

Bewertungen

Insgesamt 112 Bewertungen
Bewertung vom 22.01.2023
Ausweglos
Faber, Henri

Ausweglos


sehr gut

Ausweglos ist das Thriller-Debüt von Henri Faber. Ein Thriller, der mich auf 496 Seiten sehr gut unterhalten und zum miträtseln und mitermitteln ermuntert hat.

Die Geschichte wird mittels Perspektivwechsel in knapp gehaltenen Kapiteln erzählt. Mit Noah und Linda Kaufmann erlebe ich zwei Charaktere, deren Beziehung unter dem Mord an ihrer Nachbarin sprichwörtlich zugrunde geht, mit Elias Blom, dem Ermittler, begebe ich mich auf die Suche nach dem Täter und schlussendlich führt mir der Täter immer mal wieder vor Augen, wie unzulänglich die Ermittlungen laufen und wie schlau er ist. Wer allerdings der Täter ist, bleibt mir als Leserin genauso verborgen wie dem Ermittlerteam.



"Und warum fällt es mir so schwer, mich zu erinnern? Ich möchte einfach in meinen Kopf hineingreifen, die Erinnerung herausreißen und vor mir ausbreiten wie eine Karte." - Seite 179



Alle vier Perspektiven bieten genügend Stoff die eigene Empathie gehörig auszustrecken und zu überlegen, welche Beweggründe und welche Ziele die einzelnen Personen haben könnten. Immer wieder werde ich beim Lesen mit Informationen angefüttert - nur um nach einem Perspektivwechsel einem der anderen Charaktere meine Aufmerksam widmen zu müssen.

Der bildhafte und humorvolle Schreibstil lockert das Geschehen stellenweise auf und ich bin dankbar für diese kurzen Entspannungsmomente, bevor mich der nächste Cliffhanger wieder ungeduldig einen geräuschvollen Luftstoß ausatmen lässt.



"Schnack lacht viel, Steigers Laune sinkt rapide. Zwei Stockwerke tiefer passt sich die Umgebung seiner Laune an." - Seite 237



Fazit
Ausweglos ist für alle, die temporeiche Thriller mit Szenenwechsel und Überraschungsmomenten lieben.

Bewertung vom 20.01.2023
Ginsterhöhe
Caspari, Anna-Maria

Ginsterhöhe


sehr gut

Ginsterhöhe erzählt die Geschichte des Ortes Wollseifen in der Eifel. Die Geschichte ist in drei geschichtliche Abschnitte unterteilt. Im ersten Teil lerne ich den Ort in der Zeit von 1919-1928 und ihre Anwohner kennen. Teil 2 erzählt aus den Jahren 1930 bis 1939 und Teil 3 macht den Abschluss bis zum Jahr 1949.









Albert Lintermann kehrt 1919 von der Front zurück. Einst war er ein außerordentlich hübscher Mann. Jetzt ist er mit dem Leben zwar davongekommen - im Gegensatz zu seinem Freund - doch sein Gesicht ist stark entstellt. Als hätte er psychisch und physisch nicht schon genug unter dem Krieg gelitten, macht seine Frau Bertha ihm die Rückkehr auch nicht leicht. Bertha leidet entsetzlich unter den Verletzungen, die Albert zur Schau trägt.

Anna-Maria Caspari erzählt die Geschichte des Ortes Wollseifen sehr ruhig und mit Bedacht. Die Geschichte des Ortes ist bittere Realität. Die Charaktere jedoch sind frei erfunden. Und trotzdem könnte sich das Leben so oder so ähnlich in der Zeit von 1919 bis 1949 genau so abgespielt haben.

Ich erfahre, wie der Alltag auf einem Bauerngut ist. Wie das Zusammenleben stattfindet, wer auf dem Hof hilft und warum und erfahre mehr über den Zusammenhalt im Dorf. Bis die Nationalsozialisten nach Wollseifen gelangen, geht es nachbarschaftlich relativ ruhig zu. Mit dem Einzug der Truppen und dem Aufbau von Vogelsang wird das Zusammenleben immer mehr auf eine harte Probe gestellt. Bis die Söhne in den nächsten Krieg ziehen.

Vom Kriegsgeschehen an sich bekomme ich als Leserin nur aus der Ferne etwas mit. Das Leiden an der Front ist für mich weit weg. Die Not aber vor Ort in Wollseifen und die Unsicherheit der Anwohner ist spürbar. Die Generation um Albert Lintermann lässt sich jedoch nicht beirren und versucht trotz der harten Zeiten den Ort voranzubringen und durchzuhalten, bis die Söhne aus dem Krieg hoffentlich unversehrt zurückkehren.

Durch die Einteilung der Geschichte in drei historische Abschnitte lässt sich das Geschehen gut nachvollziehen. Manches Mal überrascht Anna-Maria Caspari mit einem Szenenwechsel mitten im Kapitel. Doch aufgrund der Unverwechselbarkeit der Charaktere finde ich mich nach dem Überraschungsmoment schnell wieder ein. Zwischen den Kapiteln gibt es immer mal wieder Aufzeichnungen des Lehrers Martin Faßbender, der - so gut es möglich ist - Tagebuchaufzeichnungen über das Dorfgeschehen einfließen lässt. So bin ich rundum mit Informationen aus Wollseifen versorgt.

Anna-Maria Caspari erzählt das Alltagsgeschehen in Wollseifen sehr bildhaft und farbenfroh.



"Karl hatte von den Nudeln nicht genug kriegen können, und schließlich hatte der ganze kleine Kerl so ausgesehen, als ob er in die Schüssel mit der Tomatensoße gefallen wäre, so gut hatte es ihm geschmeckt." - Seite 55



Vielleicht kommt allein schon deshalb der Krieg - der an weit entfernten Schauplätzen stattfindet - nicht an mich heran.

Was allerdings an mich herankommt ist die Beziehung der Anwohner von Wollseifen zu ihrem Land, zu ihrer Heimat und zu ihrem Zuhause. Vieles ist von Hand errichtet - und mit viel Liebe zum Detail. Die Personen haben einen festen Bezug zu ihrem Land und zu ihrer Unterkunft. Genau dieses Gefühl macht Ginsterhöhe zu einem Buch, das ich auch jetzt, während ich diese Rezension schreibe, immer wieder gern zur Hand nehme.



Fazit
Ginsterhöhe ist für alle, die historische Romane mit tatsächlichem Bezug und natürlichen, fiktiven Charakteren mögen.

Bewertung vom 19.01.2023
Der Junge im Fluss (MP3-Download)
Kolee, Nestor T.

Der Junge im Fluss (MP3-Download)


weniger gut

Der Junge im Fluss ist die Geschichte um Ben. Ben ist auf einer Insel aufgewachsen. Das Leben auf der Insel wird für die Bewohner immer schwieriger und einsamer. Zuletzt gibt es auf der Insel nur noch Ben. Ben, der sein Leben so bewahren möchte, wie es ist. Im Einklang mit sich und den Dingen, die er für wichtig hält. Was draußen in der Welt los ist, das weiß Ben nicht.











Gelegentlich kehrt sein Bruder auf die Insel zurück. Immer dann, wenn jemand gestorben ist. Dieses Mal jedoch ist niemand gestorben. Allerdings zwingen die äußeren Umstände Ben dazu, die Insel zu verlassen, nachdem seine Hütte eingestürzt ist.

Ben fühlt sich entwurzelt. Keine Heimat, kein Zuhause, kein Anker - nur die Aufgabe, die ihm sein Bruder gestellt hat.

Der Anfang der Geschichte hat mich gut abgeholt. Für Menschen wie Ben sind äußere Umstände zwingend notwendig, um eine eigene Veränderung herbeizuführen. Mit der Reise, auf die Ben sich begibt, und die zeitweise wiederkehrenden Begebenheiten, habe ich dann persönlich Schwierigkeiten. Es ist mir zum Teil zu phantastisch für eine Selbstfindung und ich kann die Gedankengänge von Nestor T. Kolee schwer oder nicht nachvollziehen.

Ich weiß auch, dass sich bestimmte Abläufe im Leben wiederholen müssen, um sich einzuschleifen und doch hätte ich in der Geschichte auf die eine und andere "Schleife" gern verzichtet.

Die Stimme des Sprechers Joachim Schönfeld ist angenehm und untermalt die Reise von Ben, seine Unsicherheit, seine Zielstrebigkeit und den Wunsch anzukommen.



Fazit
Der Junge im Fluss ist für alle, die sich gedanklich auf eine phantastische Reise mit Ben auf der Suche dem eigenen Ich begeben wollen.

Bewertung vom 15.01.2023
Sie schuf ein Monster
Fulton, Lynn

Sie schuf ein Monster


ausgezeichnet

Sie schuf ein Monster - Wie Mary Shelley Frankenstein erfand erzählt die Geschichte der jungen Mary, wie sie vor rund 200 Jahren in einer stürmischen Nacht davon träumte, selbst einmal Geschichten zu erzählen. Mary Shelley stammt aus einer Schriftstellerfamilie und die Macht der Worte umgab sie buchstäblich tagein, tagaus. Und eines Tages wollte sie selbst bedeutende Worte niederschreiben und etwas Wichtiges erzählen.







Mary Shelley war vielseitig interessiert. Neben der Schriftstellerei, Geistergeschichten und Spuk interessierte sie sich für wissenschaftliche Experimente. Als sie so einem Gespräch der Männer lauschte während draußen der Wind heulte, erinnerte sie sich an ihre Angst als Kind vor derlei Wissenschaft. Und sie erinnerte sich daran, was ihre Mutter, Mary Wollstonecraft, zu ihren Lebzeiten geschrieben hatte. Durch ihr geschriebenes Wort allein hatte Mary Shelley ihre Mutter kennengelernt. Sie schrieb über Frauenrechte, die Gleichstellung von Mann und Frau, von Demokratie - und trat damit nicht nur offene Türen sein, sondern auch Wellen der Empörung los.

Die Geschichte, wie sich Mary Shelley an all die Gegebenheiten erinnerte und diese durchlebte, lässt mich als Leserin mitfühlen, welche Kraft die Protagonistin allein aus den Worten schöpfte. Begeistert lasse ich mich durch die Erzählung um Mary Shelley tragen. Die Worte, die Lynn Fulton für Mary Shelley findet, passen so gut zu dem Gefühl der Zeit von vor 200 Jahren und spiegeln dabei wider, was heute noch im Argen liegt.

Mary Shelley schreibt in vielerlei Hinsicht Geschichte. Und mit Sie schuf ein Monster gibt Lynn Fulton Mary Shelley Raum und lässt uns ihrer Geschichte näher kommen.

Felicita Sala hat die Geschichte schön schaurig illustriert. In gedeckten Farben und mit plakativen Illustrationen untermalt Felicita Sala die Geschichte um Mary Shelley und sorgt für eindrucksvolle bildhafte Momentaufnahmen in der Geschehensabfolge.

Sie schuf ein Monster ist auf jeder Seite angefüllt mit Eindrücken, die ich beim Lesen der Geschichte und beim Betrachten der Bilder Stück für Stück behutsam aufnehmen konnte. Lynn Fulton erzählt die Geschichte über Mary Shelley wie die Geschichte einer lieben Freundin, sorgsam und in aller Freundschaft.



Fazit
Sie schuf ein Monster ist für alle, die Geschichten um starke Persönlichkeiten in Wort und Bild in verstandener Kürze erleben wollen. Und für jene, die Mary Shelley zugewandt sind.

Bewertung vom 06.01.2023
Miss Kim weiß Bescheid (MP3-Download)
Cho Nam-Joo

Miss Kim weiß Bescheid (MP3-Download)


ausgezeichnet

Miss Kim weiß bescheid erzählt sehr bildhaft und einfühlsam aus dem Leben und Zusammenleben von sieben verschiedenen Mädchen und Frauen im Alter von zehn bis 80 Jahren.

Es geht vor allem um die Gefühle dieser koreanischen Frauen und um verschiedene Lebenssituationen. Es geht um ein nahendes Lebensende, um Abschied, um das Loslassen, um Akzeptanz und nicht erfolgte Akzeptanz. Es geht um Literatur und Lebensgeschichte, um Gewalt in der Familie, um Dankbarkeit.

In der zweiten Geschichte, die mit Trotz übertitelt ist, erzählt Nam-Joo Cho von einer heranwachsenden jungen Frau, die dabei ist, sich ihren Lebensweg zu ebnen. Sie erfährt Hilfe in einer für sie unangenehmen Situation und ist erfüllt von Dankbarkeit, ohne diese je zu äußern. Als sich ihr Jahre später die Gelegenheit bietet sich doch noch zu bedanken, stellt sie fest, dass jeder Mensch seine eigene Wahrheit und den eigenen Blick auf die Dinge hat. Die Geschichte zeigt, wie wichtig Verstandenwerden und Vergebung sind.

In weiteren Geschichten geht es um die Rolle der Mutter aus Sicht der Kinder, um die Rolle des Vaters aus Sicht der Kinder. Es geht um Verantwortung sich selbst gegenüber und der Familie.

Was es mit der Gefühlswelt der Kinder macht, wenn ein Part fehlt. Und das große Verstehen, wenn den Kindern bewusst wird, dass Eltern auch Menschen abseits ihrer Rolle sind.

Spannend fand ich die Geschichte aus dem Arbeitsleben. Ein typischer Büroalltag, mit typischen Bürotätigkeiten, mit einem Organisationstalent, deren Arbeit man nicht messen kann. Und die Lücke, die die Person hinterlässt, wenn sie nicht mehr da ist.

Die klare Sprache, die Nam-Joo Cho zu Papier bringt und die schonungslose Offenheit der Frauen, darzulegen, in welcher Situation sie sich befinden und wie sich die Situation anfühlt, macht Miss Kim weiß bescheid schnell zu einer von mir geliebten Lektüre, die ich gern mal wieder zur Hand nehme.

Miss Kim weiß bescheid zeigt ganz deutlich: die Frauen dieser Welt unterscheiden sich nicht in vielen Dingen voneinander.

Christiane Marx und Sabine Arnhold geben den Protagonistinnen durch ihre Stimmen ein Mehr an Raum und Wirken. Beide Stimmen sind sehr harmonisch miteinander. Es klingt vielleicht ein bisschen steif, aber es ist für mich ein absolut stimmiges Hörerlebnis.

Die Übersetzung von Inwon Park fand ich sehr gelungen. Die Geschichten werden sprachlich zeitgemäß erzählt. Ein echtes Vergnügen.



Fazit
Miss Kim weiß bescheid ist für alle, die in die Lebenssituationen von Frauen unterschiedlichen Alters eintauchen wollen.

Bewertung vom 30.11.2022
Fake - Wer soll dir jetzt noch glauben? (MP3-Download)
Strobel, Arno

Fake - Wer soll dir jetzt noch glauben? (MP3-Download)


sehr gut

Fake - Wer soll dir jetzt noch glauben? ist ein klug inszenierter Psychothriller. Den Lauf der Geschichte habe ich mit Spannung verfolgt. Obwohl ich ein großer Hörbuchfan bin, hätte ich Fake von Arno Strobel diesmal lieber gelesen. Bereits der Anfang der Geschichte war spannend erzählt. Sascha Rotermund hat auch von Anfang an ordentlich Gas gegeben - und damit die Geschichte für mich etwas überreizt. Selbst die etwas angepassten Szenen hat Sascha Rotermund stimmlich mit soviel Spannung unterlegt, dass ich die Geschichte als anstrengend empfand. Etwas weniger wäre hier mehr gewesen.


Dennoch kam ich nach einiger Zeit im Geschehen an und konnte den Charakteren gut folgen. Im Verlauf der Geschichte kam mir jedoch immer mal wieder der Gedanke, dass mir die Geschichte bekannt vorkommt. Vielleicht war es lediglich "dasselbe Strickmuster", nachdem die Geschichte aufgebaut war, vielleicht, vielleicht.

Diese beiden Komponenten haben mein Lesevergnügen diesmal etwas geschmälert. Einen übertriebenen Spannungsaufbau haben Arno Strobels Thriller meinem Empfinden nach nicht nötig und warum mir die Geschichte so bekannt vorkam - ich weiß es nicht. Ich kann es nicht so recht greifen.



Fazit
Fake - Wer soll dir jetzt noch glauben? ist ein spannender Psychothriller. Leser, die gern die Bücher von Arno Strobel lesen, werden jede Menge Freude daran haben.

Bewertung vom 06.11.2022
Die rote Tänzerin
Weng, Joan

Die rote Tänzerin


ausgezeichnet

Die rote Tänzerin ist ist ein biografischer Roman um die Protagonistin Anita Berber. Anita Berber ist Tänzerin, genau genommen Nackttänzerin, im Berlin der 1920er Jahre. In kurzen Kapiteln erhalte ich Einblick in das Leben der Künstlerin und ihrer Person.


Joan Weng lässt die Berber in klarer Sprache zu Wort kommen. Ungeschönt, gar ungeschminkt, trifft die Protagonistin ihre Äußerungen. Dabei kommt die Sprachbildung der 1920er Jahre wunderbar zur Geltung. Da hatte Frau noch Chuzpe, wenn sie mal eine nicht zurückhaltende Antwort parat hatte sondern sich schlagfertig in Szene setzte. Und in Szene setzen konnte Anita Berber sich.



"Morgenstern starrte einen Moment sprachlos, dann winkte er den Mädchen, die Teller wieder abzutragen. Leicht würde es mit der nicht, aber leicht machte auch keinen Spaß." - Seite 121



Obwohl Anita Berber nackt auftrat, hat sie sich nie so verletzlich gezeigt, wie sie eigentlich war und nach und nach zu Tage trat. Anfangs erschien mir die Berber unnahbar. Doch je mehr ich über Anita erfuhr, desto verständlicher wurde mir ihr Handeln, ihre Entgegnungen, ihre Show. Und zum Schluss, ja, zum Schluss war ich in Annis Art verliebt.

Dass es sich bei Die rote Tänzerin nicht um eine Biografie sondern um einen Biografischen Roman handelt, macht das Erleben für mich als Leser noch intensiver. In den Momenten, in denen sich Anita Berber ihrem Gegenüber öffnet, wird sie für mich nahbar. Und anhand der Erlebnisse im Geschehen kann ich in die Situation eintauchen und mit Anita mitfühlen. Gern möchte ich glauben, dass sich die Szenen in Anita Berbers realem Leben tatsächlich so abgespielt haben. Im Nachwort erzählt Joan Weng, wie viel Wissen und Wahrheit in der Geschichte steckt und was unserer eigenen Fantasie überlassen bleibt.



"Und Anita? Die hatte ihn sinnend unter halb gesenkten Lidern hervor betrachtet, hatte sich lüstern die Lippen geleckt, ihm dann "Ich bevorzuge jüngere Frauen" hingeknallt." - Seite 56



Nach dem Leseerlebnis von Die rote Tänzerin wird mir Anita Berber in guter Erinnerung bleiben. Oder, wie Anni so schön sagte: "Machen sie mich unsterblich, Herr Dix!"



Fazit
Die rote Tänzerin ist für alle, die gern biografische Romane lesen. Ein spannender und höchst interessanter Einblick in das Leben der Anita Berber und das Berlin der 1920er Jahre. Geschrieben von Joan Weng, die das Berlin zu Zeiten der Weimarer Republik sprachlich sehr bildhaft zum Leben erweckt.

Bewertung vom 05.11.2022
Auf See (MP3-Download)
Enzensberger, Theresia

Auf See (MP3-Download)


gut

Auf See erzählt die dystopische Geschichte von Yada. Yada ist zu Beginn der Geschichte 17 Jahre alt. Sie wächst als Halbwaise bei ihrem Vater auf Seestatt auf. Die Welt, wie sie einst war, gibt es nicht mehr und so findet Yadas Leben auf See statt. Dort entzieht sich ihr Vater und alle, die ihm folgen wollen, dem Rechtsstaat unter dem Deckmantel des Helfenwollens.









Die Geschichte wird in sich abwechselnden Abschnitten erzählt, die mal aus Yadas Sicht erzählt werden, mal aus Helenas Sicht.

Helena ist eine junge Frau, die in der "kaputten" Welt lebt. Sie lebt und wirkt in Berlin und verdient ihren Lebensunterhalt mit ihren künstlerischen Darstellungen im Internet. Ihre Beiträge erlangen hohe Klickzahlen. Doch verantwortlich geht sie mit diesem Wissen und ihren folgenden Beiträgen nicht um. Während die Gemeinschaft sie als Sektenführerin ansieht, setzt sich Helena mit Themen auseinander, die sie beschäftigen. Ohne, dass sie sich der Wirkung ihrer Worte bewusst ist, gehen die Informationen an ihre Gefolgschaft heraus - und sorgen damit für jede Menge Trubel.

Neben den beiden Erzählsträngen von Yada und Helena erfahre ich immer wieder Wissenswertes aus sogenannten Archiveinträgen.

Theresia Enzensberger erzählt die Geschichte von Yada und Helena sehr direkt, ja schonungslos. Unter Verwendung zahlreicher bildungssprachlicher Begriffe werden mir die Inhalte anfangs quasi um die Ohren gehauen. Zunächst wusste ich gar nicht, wo mir der Kopf steht. Im Laufe der Geschichte spielt sich die Erzählart ein und wird etwas lockerer, so dass ich der dystopischen Reise und den Gedanken um den Fortschritt gut folgen konnte.

Es war eine Art Faszination des Unbekannten, Ungewissen, die mich an die Geschichte gefesselt hat. Ist so eine Art zu leben tatsächlich möglich? In kleineren Varianten finden wir immer mal wieder Zusammenschlüsse von Menschen, die auf kleinem Raum miteinander klarkommen müssen und voneinander abhängig sind. Diese Art der Sonderwirtschaftsform auf See hat mich gleichermaßen fasziniert wie abgeschreckt.

Theresia Enzensberger hat es sich nicht nehmen lassen, ihren Roman selbst einzulesen. Anfangs verschlug es mir regelrecht den Atem. Mit einer Stimme so rau und kühl wie die See erfahre ich die ersten Eindrücke von Yada. Eine monoton wirkende Distanziertheit macht es mir leicht, Yadas Ausführungen und ihre Eindrücke zu erfahren, ohne dass sie mir dabei zu nahe kommt. Tatsächlich empfinde ich die Erzählart schon nach kurzer Zeit für die Geschichte als angenehm.

Dennoch bleibe ich nach dem Roman mit gemischten Gefühlen zurück. Die Dystopie klingt einfach zu real und zu nah.



Fazit
Auf See ist für alle, die an dystopischen und dennoch real anmutenden Geschichten Geschmack haben.

Bewertung vom 19.10.2022
Sturmrot (MP3-Download)
Alsterdal, Tove

Sturmrot (MP3-Download)


sehr gut

Sturmrot ist ein atmosphärisch düsterer Schwedenkrimi und der Auftakt der Trilogie um die Ermittlerin Eira Sjödin.


Eira Sjödin ist in ihr altes Heimatdorf zurückgekehrt, um ihre Mutter zu unterstützen. Ihre Mutter ist dement und von ihrem Bruder Magnus hat Eira lange nichts gehört, so dass sie es sich - neben ihrer Polizeiarbeit - zur Aufgabe gemacht hat, sich um ihre Mutter zu kümmern.

Man sagt, dass Täter immer wieder an den Ort des Verbrechens zurückkehren. Doch was ist, wenn der Täter selbst zum Opfer wird? Wenn der Täter in den Verdacht gerät, weiter "aufzuräumen" ist alles klar. Doch wenn der Täter angegriffen wird, was ist dann noch Wahrheit?

Diesen Fragen stellt sich Eira Sjödin zu der Zeit als Olof Hagström in den Heimatort zurückkehrt und zugleich dessen Vater tot aufgefunden wird. Olof Hagström hat als vierzehnjähriger gestanden, die junge Lina vergewaltigt und ermordet zu haben. Noch zu jung, um ins Gefängnis zu kommen, kam Olof in ein Jugendheim - und verlor den Kontakt zu seiner Familie.

Eira Sjödin - zu der Zeit, als Lina und Olof von der Bildfläche im Ort verschwanden - noch zu jung, um Sachverhalte oder Beweggründe mitgeteilt zu bekommen - hat mit Olofs Rückkehr und dem Mord an seinem Vater jede Menge Aufklärungsarbeit zu leisten. Um sich einen besseren Überblick zu verschaffen, recherchiert sie nicht nur zum aktuellen Fall, sondern zieht auch zum damaligen Fall um Linas Verschwinden ihre Schlüsse.

Die ruhige, besonnene Art, die Eira dabei an den Tag legt, gefällt mir. Sie agiert umsichtig und rücksichtsvoll, lässt sich jedoch nicht beirren, wenn es um die Ermittlungsarbeit geht. Das gefällt mir.

Die Tatsache, dass ein minderjähriger Junge zu solch einer Straftat fähig sein soll und die Ermittlungsansätze der Polizei zur damaligen Zeit haben mich ganz schön erschreckt.

Tove Alsterdal unterstützt ihre Protagonistin mit ihrem runden, bildhaften Erzählstil. Die Geschichte geht zunächst ruhig an. Im letzten Drittel kann ich das Buch aber nicht mehr gelegentlich aus der Hand legen. Dann will ich wissen, wie die Fäden zusammenlaufen. Ob ich richtig liege, oder ob es am Ende doch noch eine Überraschung gibt.

Sturmrot hat mich gut unterhalten und zum Ende für ordentlich Spannung gesorgt. Die Charaktere sind vielschichtig. Und auch, wenn ich sie zu kennen glaubte, so hat der eine und andere doch noch ein Geheimnis in petto.

Fazit
Wer düstere Schwedenkriminalromane mag, ist mit Sturmrot gut beraten.

Bewertung vom 16.10.2022
Das kleine Buchcafé an der Isar (eBook, ePUB)
Thomas, Emilia

Das kleine Buchcafé an der Isar (eBook, ePUB)


sehr gut

Das kleine Buchcafé an der Isar spielt in dem fiktiven Kapuzinerviertel in München. Es wirkt wie ein kleiner, etwas verschlafener Ort in dem es ein kleines, unscheinbares Buchcafé gibt.











Es ist nicht gerade Marlenes Lebenstraum, in diesem in die Jahre gekommenen Buchcafé zu arbeiten, doch mit ihrem Doktortitel und ihrem Studium für Literaturwissenschaft findet sich gerade kein adäquater Job. So bleibt Marlene nichts anderes übrig als die Ladenbesitzerin Lotte Eigner um einen Job zu bitten, um weiterhin ihren Lebensunterhalt und die Miete für ihren WG-Anteil zu verdienen.

Mit den neuen Ideen, die Marlene in dem Buchcafé einbringt, kommen auch immer mehr Gäste. So lerne ich an Marlenes Seite nach und nach weitere Charaktere der Geschichte kennen.

Und dann steht eines Abends ein gut aussehender junger Mann vor der Tür des kleinen Buchcafés, rüttelt an der Tür und an Marlenes Herz. Johannes.

Der Schreibstil ist locker und sehr angenehm. Die Charaktere haben Tiefe und erlangen eine eigene Ausstrahlung. Sie sind authentisch und wachsen an ihren Lebenserfahrungen. Der eine langsamer, der andere schneller - eben ganz individuell und an das Geschehen angepasst.



"Amelie besaß trotz ihres jungen Alters Lebenserfahrung, die sie manchmal beinah weise erscheinen ließ. Nur, damit sie sich im nächsten Moment wieder wie eine Dreizehnjährige wegen einer schlechtgekleideten Cafékundin kaputtlachen konnte." - Seite 90



Es ist für mich spannend zu verfolgen, wie sie ihren Weg gehen - auch wenn nicht alles bis ins kleinste Detail erzählt wird. Das tut der Geschichte keinen Abbruch, sondern lässt Raum für eigene Überlegungen - oder Akzeptanz.

Mir gefällt vor allen Dingen die Charaktervielfalt, die ganz natürlich im Buch zum Tragen kommt. Emilia Thomas beschreibt sehr intensiv die Empfindungen. So kann ich Marlene wunderbar begleiten, mich mit ihr freuen, mit ihr neugierig sein und mit ihr den Schmerz teilen.



"Da war es wieder - dieses elektrisierende Gefühl. Als hätte man um ein Haar seine Lieblingstasse auf den Boden fallen lassen, aber sie dann noch in letzter Sekunde aufgefangen." - Seite 144



Das kleine Buchcafé an der Isar ist trotz ernster Themen vor allem ein Wohlfühlroman. Ich konnte ganz wunderbar den Alltag verlassen und in das Kapuzinerviertel in München abtauchen. In dem kleinen Buchcafé habe ich mich schnell sehr wohl gefühlt und in der 2er WG fühlte ich mich stets willkommen.



Fazit
Das kleine Buchcafé an der Isar ist für alle, die Wohlfühlromane mit bunter Vielfalt lieben.