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Benutzername: 
Steffy
Wohnort: 
Unna

Bewertungen

Insgesamt 54 Bewertungen
Bewertung vom 30.08.2019
Du bleibst mein Sieger, Tiger
Leo, Maxim;Gutsch, Jochen

Du bleibst mein Sieger, Tiger


sehr gut

Der Begriff "Alterspubertierender" war mir zuvor unbekannt, doch die Umsetzung des Buches hat mir sehr gut gefallen und einen schönen Nachmittag beschert. Wirklich witzig und mit Selbstironie begleiten wir hier einen Alterspubertierenden, der sich in Situationen wiederfindet die nicht nur realistisch sind, sondern mit Komik und Humor geschildert werden. Ob das Aufquatschen von nichtssagenden Produkten durch eine Verkäuferin in der Parfümerie, der aufgebrummte Tanzkurs oder die Begegnung mit Gott selbst, die Geschichten aus dem Leben eines Alterspubertierenden sind herrlich und zum Schmunzeln. Auch zum Lachen empfand ich die Szene beim Grillen, als sogar der Veganer sich auf die Bratwürstchen warf! Herrlich!

Bewertung vom 30.08.2019
Der größte Spaß, den wir je hatten
Lombardo, Claire

Der größte Spaß, den wir je hatten


ausgezeichnet

Bücher mit einer Seitenanzahl von über 500 Seiten schrecken mich schon ab. Dieses Buch hier mit über 700 Seiten habe ich jedoch schneller gelesen als gedacht und es fühlte sich überhaupt nicht so lang und schwer an, wie es in der Hand lag.

Claire Lombardo bietet mit ihrem Roman ein starkes Debüt. Es handelt von der Familie Sorenson, bestehend aus dem Ehepaar Marilyn und David und deren vier Töchtern Wendy, Violet, Liza und Grace. Jeder der Charaktere hätte nicht unterschiedlicher sein können, doch gleichzeitig haben diese Figuren so viel miteinander gemeinsam und zeigen eine Verbundenheit die sich leicht nachempfinden lässt.

Die Geschichte entfaltet sich in Flashbacks und Geschehnissen in der Gegenwart. In abwechselnden Kapiteln werden Ereignisse und Erinnerungen geschildert, die vom Alltag, Schicksalsschlägen, Verlust, Verbitterung, mentaler Ermüdung und Hilflosigkeit erzählen. Die wechselnde Perspektive einer sechsköpfigen Familie scheint vielleicht umständlich und überfordernd zu sein, doch sie ist in diesem Fall eine Unterstützung und Offenbarung was das Verständnis für die Handlungsmotive anbelangt. Wie kann es sein, dass man so viel Zeit mit der Familie verbringt, und ihnen doch nicht nahe ist? In wie weit spielt die Reihenfolge in der Geschwister geboren werden eine Rolle für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit? Wie kann man jemanden hassen, mit dem man aufgewachsen ist, und dort zugleich eine innige Verbindung besteht?

Lombardo schreibt unaufgeregt einfühlsam. Sie ist in ihrer Sprache klar und einfach, es liest sich schnell, die Geschichte bewegt sich nahtlos fort und jedes noch so kleine Detail scheint genau benötigt zu sein. Mit dieser beeindruckenden Einsicht, der geschaffenen Intimität und Mitgefühl hat sie sich dieser Familie gewidmet. Was mich zu Beginn irritiert hat war, dass manche Charaktere stakkatohaft geredet haben. Es wirkte zunächst authentisch, doch beim Lesen hielt auch ich oft abrupt an und machte lange Pausen. Ich brauchte ein wenig um mich an den Stil zu gewöhnen.

Die größte Stärke dieses Buch ist die Entwicklung der Charaktere. Es lebt von ihren reichhaltigen Facetten und dreidimensionaler Darstellung, ihren einzigartigen Eigenschaften und Reaktionen in diversen Situationen. Man verfolgt das Leben dieser Figuren und merkt, dass man solche Menschen auch in seinem eigenen Leben wiederfindet. Es gibt einige Tragödien, schlechte Entscheidungen und doch auch so viel Freude, Liebe und Zusammenhalt. In gutem Maße bringt die Autorin auch Wut und Angst zum Vorschein, Selbstaufopferung und eine Stärke, die diese durchschnittliche Familie so real und dynamisch erscheinen lässt. Figuren, dessen Entscheidungen man anzweifelt, wünscht man trotzdem nur das Beste. Und auch Nebenfiguren werden hier mühelos eingeführt und einen Platz gegeben.

Trotz der mächtigen Dicke des Buches wüsste ich nicht, was man hätte weglassen können. Keines der Geschichten wirkte zu viel oder irrelevant. Ich kann mir vorstellen, dass eine Menge Leser sich mit der ein oder anderen Figur in diesem Roman identifizieren kann, oder mit den thematischen Elementen die Lombardo so gewissenhaft und achtsam in ihr Buch fließen lässt. Es ist nicht melodramatisch wie es klingt, wenn man an Familiendrama denkt. Es ist ein Buch von außerordentlicher Tiefe und Einsicht, voller Lachen und Trauer, auf eine intelligente Weise emotional, mit Witz und vielen Weisheiten.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.08.2019
Mittwoch also
Elstad, Lotta

Mittwoch also


weniger gut

"Kann etwas vorbei sein, was nie begonnen hat?"

Erwartet habe ich eine ängstliche, verzweifelte, frustrierte aber starke und offene Frau, die sich mit ihrer ungewollten Schwangerschaft auseinandersetzt und bewusst darüber redet, was für Möglichkeiten ihr gegeben sind und wie sie mit eventuellen Folgen leben wird. So wie es eben vermarktet wurde. Kennengelernt habe ich eine Mitte 30-jährige Frau, die mit zunehmendem Zynismus und Schroffheit feministische Ansätze aufgreift und versucht ihre politischen Sichten in wenigen Zeilen rüberzubringen, die selbstironisch und intellektuell rüberkommen sollen, aber eher zwischen den popkulturellen Referenzen nach Pseudogelaber klingen.

Das Thema der ungewollten Schwangerschaft und eine eventuelle Abtreibung wurden nur in den ersten wenigen Seiten erwähnt. Alles was danach kam war ein auf und ab von Gedanken dessen Bedeutung nicht relevant für die geworbene Thematik ist, ohne Kontext und Bezug zu der Protagonistin und ihre Situation. Es gibt viele Einwürfe von Themen die aber nicht weiter ausgeführt werden. So stehen ihre Aussagen oft ohne Kontext in der Luft. Viel mehr klingen die Aussagen generisch wodurch eine weitere Distanz zu der Hauptfigur entsteht.

Als 33-jährige Journalistin habe ich sie nicht empfunden. Ihr fehlte es an Selbstreflexion und Verantwortungsvermögen. Ihr "Nicht-Nachdenken" in der vorgeschrieben Bedenkzeit zieht sie wie vorgenommen durch, so dass man gar nicht erfährt, wie sie nun wirklich zu ihrer Situation steht. Erst viel später kommt ihr die Idee eine Abtreibung selber einzuleiten, indem sie sich im Internet über die verstörendsten Methoden schlau macht.

Die Setzung und Formatierung mit den kurzen Kapiteln und Passagen hätten mir gut gefallen, und ich hätte diese Entscheidung für gelungen empfunden, wenn die Protagonistin sich wirklich mit ihrer Situation auseinandergesetzt hätte. Das Hin und Her von den Gedanken über die Abtreibung und die zu möglichen Zweifeln geführt hätte, und die eventuell gefühlte Hilflosigkeit, hätte ich in diesem Zusammenhang mit der Aufmachung passender gefunden. Auch habe ich gehofft, dass eine so "toughe" Frau wie Hedda sich für die Wahl und Möglichkeit einer Abtreibung ausspricht und sich für ihre Befürwortung stark macht. So wirkt es eher wie ein Band mit kritischen nicht zusammenhängenden Essays, die ich zu Beginn noch unterhaltsam fand, auf Dauer aber nur noch zu lang und nervig.

Ich weiß nicht ob eine andere Vermarktung des Buches mir noch zugesagt hätte, denn die Oberflächlichkeit mit der die Thematik Abtreibung beschrieben wurde, empfand ich als ungeniert und nicht ausreichend, um eine Geschichte um eine ungewollte Schwangere herum zu erzählen. Sehr schade, sehr enttäuschend, nicht wirklich aufschlussreich.

Bewertung vom 11.08.2019
Die Welt in allen Farben
Heap, Joe

Die Welt in allen Farben


gut

Nova ist seit ihrer Geburt blind und wurde gerade operiert, um die Sehkraft zu erlangen. Obwohl sie sehen kann, versteht sie nicht, was sie sieht und muss lernen, ihre Visionen zu interpretieren. Kate versucht ihre eigenen Hindernisse zu überwinden. Nach einer Kopfverletzung bringt ein erlittenes Traum eine erstickende Blindheit in ihr Leben, und auch sie muss lernen wieder zu „sehen“.

Es ist sehr gut und einfach geschrieben, so dass ich mich schnell in die Geschichte einlesen konnte. Fließend und leicht ließen sich die Seiten eine nach der anderen umblättern. An manchen Stellen war die Geschichte verwirrend, denn es wirkte, als ob der Autor selber nicht wisse, in welche Richtung sein Buch gehen soll. Es gibt Phasen die gut beginnen und eindringlich sind, dann kommen Pausen und neue Richtungen werden eröffnet, um an Ende dann wieder zur Anfangsgeschichte zu gelangen, so dass manche Handlungsstränge sich wie separate Geschichten anfühlen. Hin und wieder kommt ein Gefühl von anbahnenden Intrigen und Spannungen, das Tempo nimmt schnell zu, doch lässt es genauso schnell wieder nach.

Novas Geschichte ist faszinierend und der Autor leistet hervorragende Arbeit, indem er sicherstellt, dass es dem Leser möglich ist, sich in die Protagonistin einzufühlen. Nova ist eine Figur, die sehr einfach zu mögen ist. Sie sprudelt voller Energie, ist lustig und ihre gute Laune ist ansteckend. Im gesamten Buch verstreut sind Novas „Sehregeln“ die sich mit der Zeit ansammeln. Ihre Regeln geben dem Leser eine alternative Perspektive und bringen eine gewisse Tiefe in den Roman. Ihre kindliche Unschuld mit der sie auf ihre einzigartigen Erfahrungen reagiert sind bezaubernd. Die Schwierigkeiten die Nova nach ihrer OP durchlebt sind gut beschrieben, ihre Probleme mit ihrer neuen Fähigkeit nachvollziehbar.
Es war schwieriger mich auf Kates Charakter einzulassen. Sie schleppt viele Dämonen mit sich, die sie anfänglich nicht gegenüber treten will. Die Freundschaft und Romantik zu Beginn haben mir gut gefallen, denn die Anziehungskraft war nicht zu übersehen. Der Funke zwischen den beiden Frauen verblasste aber im Verlauf der Handlung, als das Buch eine Krimi-Wende annahm. Die Geschichte fühlte sich langwierig an und ich habe nur darauf gewartet, wann das Offensichtliche geschehen wird. Als es dann passierte, wirkte es fast schon übertrieben und zu dramatisch.

Mir hätte es besser gefallen, wenn der Fokus auf Nova und das Wunder, dass sie wieder sehen konnte, gerichtet wäre. Insgesamt ist dies eine ziemlich originelle und bewegende Geschichte mit zwei Protagonistinnen, die auf eine radikale Reise der Selbstfindung gehen und nicht nur zu sich, sondern auch zueinander finden. Der Autor macht einem bewusst, wie es als selbstverständlich angesehen wird, sehen zu können und eröffnet einem somit eine neue Sichtweise.

Bewertung vom 01.08.2019
Dschungel
Karig, Friedemann

Dschungel


gut

“’Viel dunkler als das Loch, dass jemand hinterlässt, ist das, womit wir es füllen.’“

Auf der Suche nach seinem verschwundenen Freund Felix, begibt sich der Ich-Erzähler nach Kambodscha. Anfänglich noch zögernd die Reise anzutreten, scheint der Protagonist ohne wirkliche Panik oder Ängste sich auf die Suche zu machen. Mit einem Foto seines Freundes wirft er sich ins Gemisch von Kambodscha und läuft jedem Anhaltspunkt nach.

Sprachlich und stilistisch brauchte ich ein wenig, um mich daran zu gewöhnen. Die Sätze waren kurz, ohne dass weite Ausschmückungen notwendig waren und dennoch sehr bildhaft, zeilenweise sogar philosophisch. Im Verlauf der Geschichte waren mir manche Passagen dann doch zu prätentiös und kitschig und stimmte nicht mehr mit der Einfachheit und Prägnanz von vorher überein. Der Geschwindigkeit der Erzählung verändert sich während der Handlung nicht. Es wird gesucht und hin und wieder aus der Erinnerungskiste gekramt. Karig redet viel und verrennt sich in etlichen Gedankenfetzen. Schweifend und schleppend kommt der Protagonist nicht nur seinem Freund näher, sondern auch sich selber. Die Rückblenden haben mir besser gefallen und zeigen zwischen aufregenden Erlebnissen auch Momente der Verletztheit. Diese Darstellung der dysfunktionalen Freundschaft zwischen einem dominanten Rebell und einem zurückhaltenden Typen fand ich beim Einstieg noch interessant, die Handlungsmotive und einfache Folgsamkeit des Ich-Erzählers mit den Jahren war für mich dann eher schleierhaft, bis auf die Schuld die er immer mit sich trägt. Er wirkte als Figur eher flach und blass.

Die Freundschaft und Verbindung der beiden Freunde steht im Vordergrund, doch die Suche die ebenfalls Teil der Geschichte ist, war eher ernüchternd und lief sehr reibungslos ab. Die Figuren auf die der Protagonist trifft sind in Sprache und Mentalität ähnlich und schnell vergessen. Von der Kulisse in der die Handlung spielt erfährt man eher wenig. Kambodscha wird hier und da erwähnt, generell wurde aber gegen Backpacker ausgeteilt. In manchen Passagen sehr aussagekräftig und stark, doch mit der Zeit wiederholend.

Die Revelation am Ende und der Twist haben mich zunächst überrascht, doch ließen mich ziemlich unberührt zurück. Ausweg und Flucht von der Realität oder Neuanfang? So richtig packen konnte mich Dschungel nicht.

Bewertung vom 26.07.2019
Fünf Lieben lang
Aciman, André

Fünf Lieben lang


sehr gut

Fünf Novellen die von fünf verschiedenen Zeiten im Leben Paul's erzählen. Fünf Lieben lang, die Paul geprägt hat.

Ein wunderschönes Buch, eindringlich in seiner Sprache und offen in seiner Sexualität. Es erzählt von Liebe, das Verliebtsein, die Lust und von Sehnsucht. Aciman untersucht nicht nur die Romantik die sein Protagonist verspürt, sondern auch den Wunsch nach Vertrautem sowie in Gegensatz den Wunsch nach etwas Neuem, Unbekannten, etwas was er nicht haben kann.

Die Art und Weise wie Aciman Pauls Bisexualität visualisiert und wie die anderen Charaktere damit umgehen finde ich sehr gelungen. Es ist nicht melodramatisch, wirkt natürlich und sehr nah. Es geht hier weniger um Geschlechter, sondern um die Liebe selbst. Die Intensität der Liebe und die Kraft die daraus entsteht, die Verbindung zu Jemandem, und was man als junger Mensch begehrt und wie sich Verlangen mit der Zeit ändert. Obwohl Paul durch seine Beziehungen eine Bandbreite an Emotionen empfindet und durchlebt, scheint es eine Lücke in ihm zu geben, die sich nicht füllen lässt.

Aciman schreibt intelligent, intim und lebhaft. Die Leidenschaft sowie der Schmerz kommen durch die Zeilen hindurch. Die Beobachtungen und Obsessionen Pauls sind ungefiltert, ehrlich, voller Zweifel und Enthüllungen. Man wird ins Weltbild des Protagonisten reingezogen, auch wenn manche Observationen langatmig sind.

Die Struktur des Romans aus fünf Geschichten die ein Ganzes bilden finde ich sehr reizvoll. Ich mochte wie in den einzelnen Novellen man Charaktere wiederfindet. Die erste Geschichte finde ich von allen am stärksten. Diese Intensität hat mir bei den Nachfolgern ein wenig gefehlt. Der Verlust der erleidet werden kann, wenn wir nicht die Dinge sagen, die wir am meisten wollen wird in dem Buch immer wieder verdeutlicht.

Ein tiefgreifendes und erregendes Buch das viele Wahrheiten und Offenbarungen enthält. Geschichten über das was-hätte-werden-können, die Fragilität und Vorstellungen, die realer erscheinen als das wirkliche Leben.

Bewertung vom 21.07.2019
Auf Erden sind wir kurz grandios
Vuong, Ocean

Auf Erden sind wir kurz grandios


ausgezeichnet

Dieser lange Brief eines jungen vietnamesischen Einwanderers an seine Mutter, die nicht lesen kann, ist offen, pur und so wirkungsvoll, zugleich schmerzlich traurig und unglaublich ergreifend. Das Buch ist gefüllt mit Rückblenden zu seiner Kindheit, erzählt von Diskriminierung in der Schule aber auch im Alltag, Probleme von Sprachbarrieren, und von Missbrauch und Gewalt zu Hause. Enthalten sind auch Geschichten und Erinnerungen seiner Mutter und Großmutter, die aus Vietnam nach Amerika geflohen sind, und wie ihre Vergangenheit zu einem Teil von ihm wurden.

Es ist kein Roman in dem Sinne wie man es sonst kennt. Es gibt keine aufsteigende Spannungen oder einen Klimax. Es sind Worte von einem Sohn an seine Mutter und liest sich wie Memoiren, sogar vielleicht wie eine Autobiografie. Ein eindringlicher Einblick in Schönheit, Weisheit, Liebe, Leben und Sterben. Trotz der nur 260 Seiten ist es keine schnelle Lektüre. Wenn die Augen nicht tränen, bleibt der Atem weg. Zeilen werden wieder und wieder gelesen, weil sie zu einem sprechen oder einfach nur erdrückend schön sind.

Die Sprache die Vuong mitbringt ist exquisit, außergewöhnlich, einfach unfassbar mit wie viel Reichtum an Worten er erzählen kann. Er hat ein lyrisches Werk der Selbstfindung erschaffen, dass erschreckend intim ist und mit solch einer Präzision und Poesie wiedergegeben wird.

Als Vietnamesin geboren in Deutschland konnte ich mich in vielen Situationen des Erzählers wiederfinden. Nicht nur die Phrasen und Sitten sind ähnlich, auch die schwierige Mutter-Kind-Beziehung kam mir auf manchen Seiten bekannt vor.

Der letzte Teil fühlte sich etwas zusammenhanglos an, da der Strom des Bewusstsein durch die vielen verschiedenen zufällig wirkenden Gedanken ein wenig gestört wurde. Im Vergleich zu den ersten beiden Teilen fehlte da der Zusammenhang. Dennoch nimmt es nichts vom Ganzen weg.

Die lyrische Form und seine persönlichen Reflexionen, die historischen Recherchen und Erinnerungen sowie die Erforschung von Sexualität, Identität und Verlust hat der Autor überwältigend dargelegt. Ein Buch, das berührt und bleibt.

Bewertung vom 15.07.2019
Wir von der anderen Seite
Decker, Anika

Wir von der anderen Seite


sehr gut

Ich wusste nicht so recht was mich hier erwarten wird, und fand mich zwischen Mitgefühl und lautem Auflachen. Eine Geschichte über den Nahtod? Das schwierige Leben nach dem Koma? Rahel Wald, mittelmäßige Komödienautorin versucht nach einer anfänglichen einfachen OP, die doch tragischere Folgen mit sich bringt als gedacht, wieder zurück ins Leben zu finden. Mit Witz, frischer Ehrlichkeit und großartigem Humor erzählt die Protagonistin von ihrem Leben vor, während und nach ihren langen Krankenhausaufenthalten. Von einer Krankenstation zur Nächsten, bis zu einer Zeit in der Reha, schafft die Autorin Spannung, indem sie Andeutungen auf verdeckte Wahrheiten macht, sie aber nicht gleich auf den Tisch legt. Nach und nach erfährt man mit der Protagonistin, wie es zu ihrem Schicksalsschlag gekommen ist, hofft und fiebert mit jeder Untersuchung ihrer Genesung entgegen und dass sie bezüglich ihrer Beziehung die richtige Entscheidung trifft.

In einem lockeren Stil beschreibt die Autorin nicht nur die Zustände und Gedanken der Protagonistin, sondern gewährt uns auch einen Einblick hinter die Kulissen der Filmindustrie. Mit Zielstrebigkeit und Kampfgeist bringt sie ihre Hauptfigur zurück ins Leben, und zeigt wie wichtig es ist, hinter sich selbst zu stehen und gegen Erwartungen Aller das zu tun, was einem gut tut.

Rahel ist trotz ihrer traurigen Situation eine Figur, die sich treu ist, kein Blatt vor den Mund nimmt und ehrlich zu ihren Gefühlen ist. Authentisch, manchmal trotzig und doch liebenswert, kämpft sie sich zurück in ihren Alltag. Ihre spritzigen Bemerkungen und der kecke Humor den sie ihren Charakteren als Autorin zuschreibt findet sich auch in ihrer Person wieder. Sehr positiv empfand ich ebenfalls, wie offen und ohne Zögern sie sich ihre Macken und Maroden zugestehen konnte, und somit mit jeder Seite über sich hinauswachsen konnte.
Die Nebenfiguren wie ihre tolle, liebevolle Familie ist großartig, sowie auch ihr Kumpel, der Kevster. Auch ihre langjährige Beziehung Olli war eine gut geschnittene Figur, die anfänglich reserviert war, doch zum Verlauf der Geschichte sehr entsprechend porträtiert wurde.

Das Cover finde ich sehr gelungen. Das bunte Eichhörnchen, dass als Imagination immer wieder im Buch auftaucht, wird durch die Illustration sehr gut widergespiegelt. Auch die gelbe Typo auf dem dunklen Schwarz zeigt, dass am Ende des Tunnels immer ein Licht brennt.

Bewertung vom 05.07.2019
Die Nickel Boys
Whitehead, Colson

Die Nickel Boys


ausgezeichnet

"Man kann ein Gesetz ändern, aber nicht die Menschen und die Art, wie sie miteinander umgehen."

"Zu überleben reichte nicht, man musste sein Leben auch in die Hand nehmen."

Die Geschichte erzählt von Elwood Curtis, einem Afro-Amerikanischen Teenager in den frühen 60ern, der in der Schule fleißig und bestrebt ist, und inspiriert durch die Reden von Dr. King dabei ist ein Studium zu beginnen. Als ein unschuldiges Opfer das sich zur falschen Zeit am falschen Ort wiederfindet, wird Elwood verhaftet und in die Nickel Besserungsanstalt gebracht. Was dort geschieht gehört zu den erschreckendsten und grauenhaftesten Erzählungen.

Die Anstalt wird von Unterdrückung und Gewalt durch Weiße bestimmt. Aus der Reihe tanzen und sich widersetzen wird bestraft, was folglich auch zum Tod führen kann. Durch die Freundschaften die er knüpft kann er sich von einigen Bestrafungen schützen. Zunächst noch bestrebt alles zu tun, um seine Freilassung zu beschleunigen, muss Elwood sich entscheiden, ob er sich weiterhin im Schatten der Anstalt beugt oder sich von der Hoffnung auf Veränderung weitertreiben lässt.

Mit rund 200 Seiten ist es nicht gerade ein langer Roman, doch ist jede einzelne Seite mit so viel Inhalt und Emotion gefüllt. Ich konnte mich schnell in die Geschichte von Elwood einfinden, die während des Anfangs des Civil Right Movements stattfindet. Die Lehren und Reden von Martin Luther King wurden zur Inspiration für den Jungen und gaben ihn Kraft und eine neue Perspektive. Im Vergleich seines mir bekannten Werkes „The Underground Railroad“ wird die Geschichte der Nickel Boys in einem eher ruhigeren Ton erzählt und kommt ohne große Ausschmückungen sehr gut aus. Die Handlungen bauen sich langsam auf und gelangen zu einem Höhepunkt, der so unerwartet und fesselnd ist, dass es mich erschüttert hat. Die Wortwahl ist präzise und intensiv, doch enthält sie mehrere Ebenen.

Dieses fiktive Buch basiert auf realen Ereignissen und macht diese erschreckenden Enthüllungen umso grausamer. Trotz aller Traumata lassen die Hauptfiguren die Geschichte der Anstalt nicht in der Vergangenheit verschwinden. Whitehead hat ein unglaublich wundervolles Buch über ein schreckliches Stück Geschichte geschrieben, das zeigt, dass man mit Kraft, Hoffnung und Entschlossenheit, Ungerechtigkeit und Elend überwinden kann. Die Nickel Boys sind eine Hommage an die Jungs, als auch eine Anklage gegen die Welt, die sie im Stich gelassen hat.

Bewertung vom 02.07.2019
Find mich da, wo Liebe ist
Harris, Anstey

Find mich da, wo Liebe ist


gut

Grace betreibt einen Laden, wo sie Instrumente wie Geigen, Cellos und Violinen repariert. Sie ist eine begnadetet Cellistin, doch nach einem traumatischem Erlebnis spielt sie nicht mehr vor Anderen. Wenn sie nicht in einem kleinen englischen Ort Instrumente restauriert, fährt sie nach Paris, da sie seit fast neun Jahren eine Beziehung zu einem verheirateten Mann führt.

Das Buch hat mich zeitweise unterhalten, doch es hat mich nicht sonderlich berührt.

Die Protragonistin wirkt nicht wie eine 40-jährige auf mich, sondern eher wie Anfang 20. Grace hat nur davon geredet, was sie und David tun werden, sobald seine Kinder erwachsen sind und er sich von seiner Frau trennen kann. Als Leser wird einem schnell klar, dass es niemals so kommen wird, schließlich ist sie seit fast neun Jahren seine Geliebte. Ich war mir nicht sicher ob sie mir leid tun sollte oder ob ich sie nur dämlich finde. David ist ein selbstsüchtiger Idiot, während Grace alles stehen lässt sobald er ruft. Es fiel mir schwer zu verstehen, wieso Grace sich so von ihm blenden lässt und seine ständigen Ausreden runterschluckt. Auch sehr unrealistisch fand ich, wie sie mit ihrem kleinen Laden ständig nach Paris fahren konnte. Es gab noch so einige Momente, wo ich nur die Augen gerollt habe, denn manche Erleuchtungen kamen ihr einfach so spät oder gar nicht.

Die Nebenfiguren, Mr. Williams, ein Kunde von Grace, ist wirklich gelungen. Seine Gelassenheit, Unterstützung und Freundlichkeit hat Grace gebraucht. Ein Charakter so weise, liebenswert und mit so viel Herz. Die trotzige Teenagern und talentierte Geigerin Nadia, die im Laden von Grace aushilft hat zu Hause mit ihren Eltern zu kämpfen, doch auch sie entpuppt sich als eine große Stütze. Ihre Lockerheit und Passion für die Musik und das Spielen waren bewundernswert. Die Freundschaft die sich zwischen drei dreien entwickelt war vermutlich der spannendste Teil dieser Geschichte.

Ich kenne mich mit klassischer Musik nicht großartig aus, und die Autorin scheint viel Zeit in die Recherche für die präzisen Beschreibungen der Restaurierungen investiert zu haben, doch oftmals war das alles sehr langatmig, ausschweifend und die Geschichte selbst verlief dadurch schleppend.

Den Originaltitel "Goodbye, Paris" finde ich viel entsprechender und das letzte Kapitel das auf den Titel hinweist hat mir auch gut gefallen.

Das Ende war nahezu perfekt, was generell zu diesem Wohlfühlroman gepasst hat. Rundum ein nettes Buch.