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kaffeeelse
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psychologiebegeiste und Ethnographie liebende Vielleserin

Bewertungen

Insgesamt 62 Bewertungen
Bewertung vom 23.11.2024
Verlorene Sterne
Orange, Tommy

Verlorene Sterne


ausgezeichnet

Familienepos und mögliche Zukunft

Tommy Orange hatte mich mit seinem Vorgänger „Dort dort“ tief getroffen. Dieser Blick auf die Indigenen der USA mit diesem Showdown beeindruckte mich tief. Was bedeutet es in einem Land zu leben, dass in der Vergangenheit versucht hat, dein Volk zu vernichten, dass dich deines Landes beraubt hat und für das du ein Bürger zweiter Klasse bist. Interessante Blickwinkel. Man könnte im Gestern verharren und ewig wütend und unglücklich sein. Mit Recht und völlig nachvollziehbar. Man könnte sich auf eine Zukunft fokussieren und das Weiter in den eigenen Blick rücken. Könnte man. Aber eigentlich ist es doch die Frage wie viele Rückschläge ein Mensch verkraften kann. Oder? Denn wenn man ewiger Benachteiligung ausgesetzt ist, macht dies natürlich etwas mit den Betroffenen. Und dies ist in der Geschichte der Indigenen der Amerikas immer wieder beobachtbar. Schon in „Dort dort“ hatte Tommy Orange, selbst ein Indigener, ein Angehöriger der Cheyenne und Arapahoe, auf dieses Dilemma geblickt. Sehr intensiv geblickt.

Mit „Verlorene Sterne“ rundet er nun „Dort dort“ noch ab. Denn in diesem intensiven Familienepos rechnet er grandios mit den USA, mit der Vergangenheit und mit dem Heute ab. Er lässt einige Protagonisten des Vorgängers in „Verlorene Sterne“ erneut auftreten, erzählt die Geschichte einer Familie der Cheyenne. Am Anfang steht der Horror des Massakers von Sand Creek, welches ein Glück nur kurz angeschnitten wird. Denn dieser Horror, dem die Südlichen Cheyenne damals ausgesetzt waren, würde eine Zukunft verneinen. Dieses Geschehen damals zu verzeihen, dürfte den Indigenen sehr schwerfallen. Und auch dem uninformierten Leser dürfte es danach sehr schwer fallen positiv in die Zukunft zu schauen. Denn was damals in Sand Creek mit den Indigenen passierte, übertrifft fast jeden vorstellbaren Horror. Wen es interessiert, lest „Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses“ von Dee Brown, dort schildern Augenzeugen das unmenschliche Geschehen von Sand Creek und von noch vielen anderen Orten in den jetzigen USA.

Zurück zum Buch, „Verlorene Sterne“, ein Familienepos, welches fast zweihundert Jahre einer Cheyenne-Familie schildert. Sand Creek im Jahre 1864 ist der Beginn, das Heute ist das Ende. Das Geschehen vor „Dort dort“ wird geschildert und das Geschehen danach, die „Verlorenen Sterne“ umschließen „Dort dort“ und beide Bücher bilden eine Einheit. Beide Bücher zeigen was Unterdrückung und Rassismus mit den Cheyenne gemacht haben. Beide Bücher stehen exemplarisch für die Taten weißen Eroberer und deren Folgen für die Indigenen, für die Cheyenne und alle anderen Stammesgruppen in den USA, in Kanada, eigentlich in den Amerikas. Tommy Orange feiert damit in den USA Erfolge und dies ist richtig so. Denn hier gehört etwas geradegerückt. Gerade in diesem Wahljahr 2024.

Tommy Orange schreibt in seinen Büchern über die Sucht, ein großes Problem für die Indigenen, resultierend aus langjährigem Fehlverhalten. Fehlverhalten im Damals und Fehlverhalten im Heute. Die Sucht, eine Erkrankung, die die Indigenen dahinrafft, dieser Tod auf Raten. Die Sucht, eine Erkrankung, die die indigenen Strukturen schwächt, eine Erkrankung, die in den Familien weitergegeben wird. Die Sucht, ein weiterer Krieg. Eine weitere Vernichtung.

Aber Tommy Orange schreibt auch über eine Möglichkeit zur Umkehr, zeigt damit die Hoffnung, die die Indigenen sicher umtreibt.

Bewertung vom 23.11.2024
Ich bin Frida / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.23
Bernard, Caroline

Ich bin Frida / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.23


sehr gut

Ein weiterer Blick auf Frida Kahlo

Noch ein unterhaltender Blick auf Frida Kahlo. Man könnte ja denken, dass das Buch „Frida Kahlo und die Farben des Lebens“ und dieses Buch hier „Ich bin Frida“, etwas miteinander zu tun haben. Aber so ist es nicht. Beide Bücher sind abgeschlossene Romane, die nur eines gemeinsam haben, den Blick auf unsere geliebte Frida.

Warum Caroline Bernard zwei unterhaltende Bücher zum Thema Frida Kahlo geschrieben hat, nun, man könnte da irgendetwas hineininterpretieren, man kann dies aber auch lassen. Und einfach die Reise zu Frida Kahlo genießen.

Hier in diesem Buch blickt Caroline Bernard auf eine gewachsene Frida. Frida hat mehr erlebt, ist reifer geworden und lebt dies auch aus. Natürlich ist es immer noch ein unterhaltender Roman, aber man merkt auch der Schreibe an, dass Frida stärker und selbstbewusster geworden ist, was mir recht gut gefallen hat.

Nickolas Muray hat in Fridas Leben Bedeutung erlangt, sie switcht in ihren Gefühlen zwischen ihrem Mann Diego und Nickolas hin und her. Dieses Gefühlschaos thematisiert Caroline Bernard in ihrem Roman über Frida Kahlo, genauso wie es auch um ihr Wachsen in der Kunstwelt geht. Absolut interessant.

Ob dies nun genauso in Fridas Kopf/in Fridas Leben passierte. Zu manchem möchte man ja sagen, bei manchem möchte man sagen, Frida, lauf. Wie es nun wirklich passierte? Die Briefe geben hier sicher viele Antworten.

Dennoch ist auch dieses Buch hier wieder ein schöner Ausflug in die Welt der Frida Kahlo. Ein unterhaltender Ausflug in die Welt der Frida Kahlo.

Bewertung vom 23.11.2024
Eine Frau
Aleramo, Sibilla

Eine Frau


ausgezeichnet

Ein Blick auf die Weiblichkeit, ein Blick auf die Misogynie

Der Roman „Eine Frau“ ist ein intensives Buch. Dieses Buch blickt auf ein Frauenleben in einer vergangenen Zeit, dieses Buch blickt auf ein Frauenleben in einer zutiefst patriarchalen Gesellschaft. Frauen müssen ihre eigenen Wünsche aufgeben, gehören ihren Männern, sind ihnen ausgeliefert. Werden darüber krank, aber auch das interessiert nicht, nur der Mann steht im Fokus der Welt, die Männer für sich selbst erschaffen haben. Ein wütend machendes Buch. Aber auch ein nachdenklich machendes Buch. Denn manches Gestrige hier im Buch scheint gar nicht so fern und auch manches patriarchale Denken ist immer noch in so manch einem Kopf zu finden. In Köpfen von Männern, aber leider auch in den Köpfen von Frauen, Verräterinnen des eigenen Geschlechts, wie ich finde. Aber gut.

Unsere heutige Freiheit haben wir mutigen Frauen zu verdanken, die feministische Sichten für sich und für andere erkämpften. Mutige Frauen, die dafür hohe Preise gezahlt haben.

Wie Sibilla Aleramo. 1876 geboren, 1960 gestorben. Eine vollkommen andere Zeit. Eine Zeit in der ich feministisches Denken wenig verortete, obwohl die Suffragetten ja auch zeitlich in etwa hierhin gehören. Aber deren Tun sich ja hauptsächlich in Großbritannien und den USA abspielte und nicht in der italienischen Provinz, wie das Leben der Sibilla Aleramo. In Mailand geboren und aufgewachsen, zieht Sibilla mit ihrer Familie 1881 in die mittelitalienische Provinz, bis 1891/1893 hat sie noch ein recht gutes Leben, doch dann holt sie das Schicksal der italienischen Frauen ein und ihr Kampf beginnt. In dem Buch wunderbar beschrieben, sehr dunkel, sehr ergreifend, sehr traurig und absolut intensiv. Denn Sibilla hat ihren Willen und nach und nach findet sie Wege, die ihr helfen selbstbestimmt zu leben. Allerdings zahlt sie einen hohen Preis dafür!

Ein Buch, welches ich dringend der Leserschaft ans Herz legen möchte. Ein Buch, von dem ich mir wünsche, dass es möglichst viele Leser erreicht. Denn es öffnet Augen und Hirn, gerade in der heutigen Zeit, in der rückwärtsgewandte Kräfte wieder versuchen uns Frauen einen Platz zuzuweisen, den wir nicht wollen!

Bewertung vom 23.11.2024
Kleopatras Grab
Schreiber, Constantin

Kleopatras Grab


sehr gut

Das Gestern und das Heute

Ein gut gelungener Krimi ist „Kleopatras Grab“ in meinen Augen!

Die griechisch stämmige Kommissarin Theodora Constanda ermittelt in der ägyptischen Stadt Alexandria, sie wirkt stark und hat ihre Ecken, ist interessant, hat einen tollen Job, schaut als griechische Frau auf das arabische Ägypten. Schon mal richtig gut gemacht.

Alexandria als Kulisse, sehr gut, eine richtig gute Wahl, denn so kann man gleich einiges Wissen in dem Buch unterbringen, was Constantin Schreiber richtig gut gelingt.

Geheimnisse aus der Antike, was der Titel ja schon andeutet, runden das Buch dann noch perfekt ab. Ein gut gelungenes Konglomerat wie ich finde.

Dazu ist die Mörderhatz auch spannend gelungen, die Seiten fliegen förmlich an meinen Augen vorbei. Wieder so ein Buch, wo man überlegt, schlafen gehen oder noch ein Kapitel lesen. Meist habe ich mich für das Kapitel entschieden, falls Fragen dazu aufkommen.

„Kleopatras Grab“ kann ich nur empfehlen, eine neue und sehr lesenswerte Krimi-Reihe erscheint hier, wie ich finde. Interessant gezeichnete Ermittler, eine exzellente und imposante Kulisse und ein richtig spannender Fall, der Blicke ins Gestern und ins Jetzt ermöglicht.

Lesen!

Bewertung vom 23.11.2024
Windstärke 17
Wahl, Caroline

Windstärke 17


ausgezeichnet

Ein weiterer Blick auf die Schwestern

Caroline Wahl hatte mich ja schon mit „22 Bahnen“ begeistert. Mit „Windstärke 17“ schafft sie dies erneut. Wieder gibt es diesen Blick auf Tilda und Ida, diesmal steht jedoch Ida im Fokus.

Es sind einige Jahre vergangen, Tilda hat den Absprung geschafft, ist verheiratet, lebt mit ihren Kindern in Hamburg. Ida war noch bei ihrer Mutter, hat dem Leben der suchterkrankten Mutter weiter beigewohnt, hat dem Leben der Mutter weiter beiwohnen müssen. Was das mit dem Kind macht, kann sich wohl nur der Betroffene vorstellen. Caroline Wahl schafft es mich wieder mit ihrer einfachen, jugendlich rotzigen Sprache zu beeindrucken, mir diesen Werdegang der anderen Tochter vors innere Auge zu führen und sie schafft es vor allem mich wieder zu faszinieren. Wieder bekommt man intensive Einblicke auf diesen Kampf, der in uns innewohnt und der manchmal zum Ausbruch kommt.

Die Mutter verliert ihren Kampf, sie resümiert und kommt zu einem Entschluss. Dies verändert Ida`s Leben vollkommen. Doch zu einem erwachsenen Umgang ist die junge Ida natürlich nicht fähig, sie bricht aus und landet auf der Ostseeinsel Rügen. Die Flucht hat sie hergetrieben und dennoch passiert hier das Leben. Wunderschön zu Papier gebracht von Caroline Wahl.

Ehrlich gesagt hatte ich etwas Angst vor diesem Buch. Ich wollte diesen schönen Geist von „22 Bahnen“ nicht beschädigt wissen. Doch meine Angst war vollkommen unbegründet. Caroline Wahl schafft es vollkommen überzeugend den Geist von „22 Bahnen“ zu erhalten und in die „Windstärke 17“ zu überführen. Tildas Weg und Idas Weg breiten sich in diesen Büchern überzeugend und recht intensiv aus, für mich wäre es recht interessant auch den Blick auf die Mutter der beiden zu bekommen. Ich bin neugierig, ob mir dieser Wunsch erfüllt wird und wie dann in diesem Wunschbuch die Sprache ausfällt und ob mich diese Sprache dann genauso anzündet, wie es Caroline Wahl in diesen beiden Büchern, in diesen beiden Coming of Age Romanen geschafft hat.

Wunderbar!

Unbedingt beide Bücher lesen!

Bewertung vom 23.11.2024
Paare
Millner, Maggie

Paare


gut

Bilder auf die Gefühlswelt

Lyrik und Prosa wechseln sich in diesem Buch von Maggie Millner ab. Was an sich ein schönes Stilmittel ist. Doch dringen diese Bilder nicht vollkommen zu mir durch, prallen eher an mir ab und lassen mich recht wenig begeistert oder beeindruckt zurück.

Was nicht unbedingt an diesem Buch liegen muss. Ich denke eher, wir beide, das Buch und Ich passen einfach nicht zusammen.

Denn die Thematik ist genau meins. Diese Bilder auf unsere Gefühle und diese Bilder auf das daraus resultierende Geschehen sind eigentlich genau das, wo ich aufblühe, mich darin ergehe und ins Schwelgen komme. Dies passiert aber nun hier nicht.

Ich kann weder sagen, dass der Sprachton mich abgestoßen hat, noch dass ich das Geschilderte in irgendeiner Art negativ fand. Es war interessant und auch schön geschrieben.

Nur der letzte Schritt des mich Anzündens fehlt halt vollkommen, was schade ist, aber auch nicht ungewöhnlich. Dies gibt es halt. Wie schon gesagt, das Buch und Ich passen einfach nicht zusammen. Ohne dass ich einen Grund im Buch benennen könnte. Dies liegt in mir begründet, in meinen Empfindungen, die „Paare“ leider nicht anstacheln konnte. Bei anderen Lesern mag das anders sein.

Bewertung vom 23.11.2024
Mein drittes Leben
Krien, Daniela

Mein drittes Leben


ausgezeichnet

Blicke auf den Verlust

Daniela Krien „Mein drittes Leben“. Ja, was soll ich sagen. Wieder ein Volltreffer! Wieder 5 Sterne! Wieder bin ich begeistert und möchte Daniela Krien auf ihren Thron setzen und sie vergöttern!

Ich hatte Angst vor diesem Buch. Muss ich zugeben. Nicht weil ich Angst hatte vor dem Umgang der Daniela Krien mit diesem Thema. Ich hatte vor dem Thema Angst. Schon der Verlust ist heftig. Aber der Verlust eines Kindes und dazu dann die Mutter und ihre Sicht, ihr Erleben. Es gibt glaube ich nichts Schlimmeres, was einer Mutter passieren kann.

Ich hatte aber überhaupt keinen Grund für meine Angst. Wie Daniela Krien an dieses schlimme Thema herangeht, verdient Bewunderung.

Linda verliert ihre Tochter Sonja durch einen Unfall. Was das mit ihr macht, schildert Daniela Krien gekonnt und intensiv. Wir begleiten Linda in ihrer Trauer, in den Phasen der Trauer. Dabei ist dieses Buch nicht vollkommen herzzerreißend, sondern versucht die Kraft in uns zu fokussieren. Die Kraft in uns, die es uns schaffen lässt solche Traumata zu verarbeiten, die Kraft in uns, die es uns schaffen lässt mit solchen Traumata zu leben. Linda geht ihren Weg und wir dürfen sie dabei begleiten. Das ist intensiv und auch ein Geschenk. Denn in diesem Buch liegt auch eine Kraft. Man geht irgendwie gestärkt aus dieser Lektüre. Vielleicht hat dies auch mit meiner Angst vor der Thematik zu tun, mit einem dankbaren Gefühl, dass es nicht so schlimm wurde wie befürchtet. Das denke ich aber eigentlich nicht! Ich denke eher, dass dieses Gefühl des Gestärktseins mit meinem Umgang mit diesem Thema zu tun hat, mit den Gedanken, die da in mir wucherten und mit dem Romanhergang, den die wunderbare Daniela Krien hier vor uns ausbreitet.

Sie waren eine glückliche Familie, Linda und ihr Mann Richard, sowie die Kinder Sonja, Ylvie und Arvid. Was der Verlust von Sonja mit dieser glücklichen Familie macht, beleuchtet dieses Buch. Natürlich mit dem Fokus auf Lindas Gedankenwelt. Ein intensives Buch! Ein dunkles Buch! Aber nicht nur dunkel, denn der Trauerprozess verändert die Trauernden nach und nach. Jeder der Trauernden geht anders mit seiner Trauer um, aber sie gehen damit um. Ein Wandel passiert. Wie alles auf der Welt ein stetiger Wandel ist.

Was mir sehr gefallen hat, war auch, dass die Krien Verbindungen zu „Die Liebe im Ernstfall“ zieht. Lest selbst.

Ebenso wie dieses Buch nicht nur das Trauma fokussiert, sondern auch Bilder auf die Gesellschaft zulässt, nachdenklich macht zu diesem Heute, welches man sich vor Jahren nicht hätte vorstellen können.

Wieder ein Knaller aus dem Hause Krien! Lesen! Wie auch alles andere aus der Feder dieser meiner Lieblingsautorin! ❤

Bewertung vom 23.11.2024
Amrum
Bohm, Hark;Winkler, Philipp

Amrum


ausgezeichnet

Das Gestern, das seinen Arm ins Heute erstreckt

Dieses Buch blickt auf Amrum und dieses Buch blickt in die Vergangenheit. Und dieser Blick hat mir ausgesprochen gut gefallen.

Nanning ist die Hauptperson, er wächst in einer regimetreuen Familie auf, ist der Älteste der drei Kinder, versucht der Familie in seinen jungen Jahren zu helfen in den letzten Kriegsjahren und auch danach. Aus seiner Sicht ist das Geschehen verfasst. Und natürlich holt mich diese Sicht nicht vollständig ab. Habe ich aber auch nicht erwartet. Coming of age und ich, das ist halt so eine Sache. Dennoch hat die Geschichte etwas. Denn sie zeigt, was eine Beeinflussung mit einem Kind macht. Denn Nanning ist natürlich der Gesinnung von Vater und Mutter erlegen, sind es doch seine Eltern, die er liebt, vor denen er Achtung hat.

Doch ein Glück gibt es da noch andere Menschen auf Amrum, die Nanning in seiner Findung unterstützen und seine anerzogenen Sichten ins Wanken bringen. Ich möchte hier als größte Impulsgeber seinen besten Freund Hermann nennen und seine Tante, die Schwester seiner Mutter. Beide und auch noch weitere Personen der Insel Amrum ermöglichen einen anderen Blickwinkel für Nanning, der sich logischerweise aber erst nach und nach einstellt. Man darf ja dabei nicht vergessen, dass Nanning noch ein Junge, ein Kind ist und seine Eltern seine Grundfesten sind.

Die Freundschaft von Nanning und Hermann erinnerte mich etwas an Tom Sawyer und Huck Finn. Die Freunde durchstreifen gemeinsam die Insel, versuchen ihren Familien zu helfen, sind dabei längst nicht mehr die Kinder, die sie eigentlich sein sollten. Man bemerkt dieses frühe Erwachsenwerden und man bedauert den Verlust der unbeschwerten Kindheit. Die beiden Jungen tun einem leid, zeigen dabei aber recht gekonnt, wohin eine politische Verblendung führen kann.

Andererseits zeigen diese Touren durch die Insellandschaft auch eine tiefe Verbindung zur Natur der friesischen Insel. Eine Liebe zu Amrum. Eine Liebe, die in mir die Lust heraufbeschwor nach Amrum zu reisen. Selbst zu sehen, wovon Bohm schwärmt.

Als Deutschland dann besiegt ist und die Amerikaner nach Amrum kommen, zeigt dieses Buch was danach geschah, wie wenig dieses kleingeistige Denken verschwinden konnte und setzt damit Verbindungen zum Heute. Denn das Heute ist die Frucht aus der Saat des Gestern. Ebenso zeigt Bohm aber auch den Geist des Widerspruchs, der im Denken der Inselbewohner fest verankert war und vielleicht noch ist. Denn viele Amrumer dienten auch in der US-Army, was für mich neu war und absolut interessant ist.

Ein interessantes Buch! Und auch ein wichtiges Buch. Vielleicht Lesestoff für die Schule, denn nur ein Verstehen des Gestern verhindert eine Wiederkehr, die eigentlich niemand will.

Bewertung vom 23.11.2024
Sie und der Wald
Barbeau-Lavalette, Anaïs

Sie und der Wald


gut

Neue und alte Wege

Zwei Familien entkommen der Pandemie, in dem sie aus der Großstadt in den kanadischen Wald ziehen. Sie werden zu einem Teil der Wildnis. Doch ist dies wirklich so einfach? Kann man sein großstädtisches Ich so einfach ablegen, so einfach wechseln? Dies erschließt sich mir nicht so ganz.

Anaïs, die Erzählerin kennt diesen Ort, sie ist hier aufgewachsen. Sie hat eine Verbindung hierher. Also wird die Vergangenheit wieder etwas lebendig.

Denn die Erzählstimme springt zwischen der Vergangenheit und dem Jetzt hin und her. Dadurch wirkt das Buch auch etwas zerrissen und ungeordnet. Dennoch sind die Gedanken der Autorin auch warmherzig, poetisch und wunderschön. Aber das Ungeordnete überwiegt hier für mich und macht mir den Lesegenuss auch etwas zunichte.

Vielleicht macht dies aber auch das Thema. Denn mit dieser Stadt-Land-Geschichte komme ich auch nicht so ganz klar.

Sie fliehen vor etwas. Sie fliehen vor der Pandemie in ein relatives Ungestörtsein im Wald, in einen reduzierten Kontakt nach außen. Doch was nehmen sie mit? In ihren Geschichten zeigt die Autorin, was sie mitnimmt. Denn gewisse Verbindungen kann man nicht kappen, will man nicht trennen. Und die Vergangenheit reist ja bekanntlich immer mit.

Ein nachdenklich machendes Buch! Aber auch ein mich nicht vollkommen überzeugendes Buch. Aber muss mich dieses Buch überzeugen. Ich denke nicht. Genauso wenig wie es mich überzeugen soll. Aber zum Nachdenken und zur Reflexion regt es an und das ist schon sehr viel.

Bewertung vom 23.11.2024
Klarkommen
Hartmann, Ilona

Klarkommen


sehr gut

Wege

Klarkommen. Ja. Mit was klarkommen? Mit dem Leben klarkommen. Mit seiner Findung klarkommen.

Ist das Leben schillernd und bunt, wie einem das mancher Film präsentiert?

3 Freunde ziehen in die Großstadt, werden flügge, verlassen das elterliche Nest und erkennen, was eine Selbstständigkeit bedeutet, bedeuten kann. Nun ist dies jetzt nicht die aufrührerische Erkenntnis, für uns Leser, die aus späteren Jahren hierherschauen, vielleicht nicht. Für jüngere Leser vielleicht schon. Maybe.

Dennoch ist die Lektüre von „Klarkommen“ kurzweilig und auch schön. Denn sie kann erinnern und/oder bestätigen. Je nach dem, aus welcher Perspektive der Leser schaut.

Die Lektüre von „Klarkommen“ fand ich unterhaltend und auch interessant, zeigt dieses Buch doch die Wege der Erzählstimme, die Wege von Mounia und Leon, zeigt es doch die Entscheidungen, die sie treffen, die sie treffen wollen, die sie treffen müssen.

Es zeigt die ersten Einblicke der drei jungen Menschen in die Dauerbaustelle Leben, zeigt den drei Protagonisten, was auf sie wartet, was auf sie warten könnte, zeigt ihnen, dass sie ihre Entscheidungen treffen und an ihre Wegkreuzungen Richtungen bestimmen. „Klarkommen“ zeigt das Leben, manchmal schillernd und bunt und manchmal trist und langatmig. Doch es zeigt auch unsere Wahlmöglichkeiten, selbstverständlich mit den zugehörigen Kompromissen.