Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
hasirasi2
Wohnort: 
Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1163 Bewertungen
Bewertung vom 17.08.2024
Donnerstags im Café unter den Kirschbäumen
Aoyama, Michiko

Donnerstags im Café unter den Kirschbäumen


sehr gut

Japanische Kurzgeschichten rund um das Café Marble

Das Tokioter Café Marble liegt am Ende einer Allee unter Kirschbäumen und ist der Ausgangspunkt für 12 abgeschlossene, aber trotzdem miteinander verbundene Geschichten, die jeweils eine andere Farbe im Titel haben und nicht alle in dem Café spielen, insofern hätte für mich der Originaltitel „Zwölf farbige Pastelle“ etwas besser gepasst.

Den Rahmen bildet ein geheimnisvoller „Master“, der im Hintergrund die Fäden zu ziehen scheint und nie den Überblick verliert. „Meine Aufgabe ist es, großartige, aber verborgene Talente zu entdecken und ihre Fähigkeiten der Welt zugänglich zu machen. Ich liebe den Moment kurz vor der Erfüllung eines Traums.“ (S. 160)

Die Erzählungen handeln von Alltagssituationen, von kleinen Begegnungen oder Aufgaben, denen man sich nicht gewachsen, Personen, zu denen man sich hingezogen fühlt. Sie ermutigen, genauer hinzusehen, den Mut und die Hoffnung nie zu verlieren, das Fragen nicht zu verlernen – denn nur wer Fragen stellt, bekommt auch Antworten. Und sie zeigen, dass Leben ein Prozess ist, bei dem man bis ins hohe Alter immer weiter lernen und sein Leben ändern kann, wenn man dazu bereit ist. Einige Geschichten haben einen spirituellen Touch und bei vielen verhilft der Zufall zu einem glückliche Ausgang, sodass man das Buch mit einem guten Gefühl schließt.

Bewertung vom 16.08.2024
Der Bademeister ohne Himmel
Pellini, Petra

Der Bademeister ohne Himmel


ausgezeichnet

Das langsame Verschwinden

„Ich werde vor ein Auto laufen. Die Menschen werden sich um mich scharren und mit weit aufgerissenen Augen auf meine blutenden Wunden starren. … Die Welt wird stillstehen und endlich wird es jemand aussprechen: Das Mädchen braucht Hilfe!“ (S. 7) Linda ist 15 und unglücklich, plant ihren Selbstmord. Nur der demente ehemalige Bademeister Hubert und ihr bester Freund Kevin halten sie bisher davon ab. „Kevin kennt mich. Hubert jedoch kennt meine Geheimnisse.“ (S. 7/8), denn bei Hubert kann sie sicher sein, dass er die schon im nächsten Augenblick wieder vergessen hat. Montag-, Mittwoch- und Samstagnachmittag verbringt sie mit ihm, damit dessen polnische 24-Stunden-Pflegekraft Ewa auch mal frei hat. Dann spielt sie einfache Spiele mit Hubert und macht ihm Essen. Wenn er einen schlechten Tag hat, tut sie so, als wäre sein Wohnzimmer das Freibad und sie würde darin schwimmen, zeigt ihm YouTube Videos über Freibäder oder Rudi Carrells „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“. In der Schule ist sie keine Leuchte, aber bei Hubert scheint sie intuitiv zu wissen, wie sie ihn erreichen kann und findet mit viel Feingefühl und Kreativität Lösungen für neue Probleme. Darum fällt es ihr auch so schwer zu begreifen, dass Huberts Zustand trotz aller Bemühungen immer schlechter wird.
Kevin ist ihr dabei leider keine Hilfe. Er ist extrem schlau, steigert sich allerdings in seine Angst vor dem Ende der Erde rein, hat immer die aktuellen Werte zum CO2-Ausstoß und der Erderwärmung parat. Er will, dass endlich alle aufwachen und was tun, das große Ganze ist wichtiger als Hubert.
Ewa, die polnische Pflegekraft, ist froh, wenn Linda kommt, denn auch sie braucht mal eine Pause. Sie liebt ihre extrem anspruchsvolle Arbeit am Patienten zwar, versucht, mit Gebeten, alten Weisheiten und Naturheilmitteln zu helfen, aber verhindern kann sie Huberts langsames Verschwinden nicht. Und vielleicht wäre danach endlich mal Zeit für ein eigenes Leben, für ihr eigenes Glück – zu lange schon sucht sie einen Mann, der es gut mit ihr meint.
Und dann ist da noch der Nachtfalter, wie Linda Huberts Tochter nennt. Die bezahlt zwar gut, kümmert sich ansonsten aber kaum um ihren Vater und macht Ewa und Linda Vorwürfe, wenn Hubert stürzt o.ä.

„Bademeister ohne Himmel“ ist sehr poetisch, traurig, berührend, tiefgründig – und gesellschaftskritisch. Da sind zum einen Lindas Probleme in der Schule, die nur angedeutet werden und anscheinend niemanden interessieren, und ihre Flucht zu Hubert, weil sie die Parallelen zwischen ihrem und seinem Leben erkennt. „Vielleicht verstehen wir uns deshalb so gut. … Wir stochern … nicht in der Vergangenheit rum und wir machen keine Pläne für die Zukunft.“ (S. 13) Außerdem mag sie ihn und gibt sich unendlich Mühe, ihm seine Ängste zu nehmen, während seine Welt immer kleiner wird, er es irgendwann nicht mal mehr zum Fenster schafft, um in den Himmel zu sehen.
Gleichzeitig macht Petra Pellini deutlich, dass die Pflege der Eltern eigentlich in die Hände der Angehörigen gehört, damit die Alten in ihrem Zuhause bleiben können, es aber keine Lösung ist, die Betreuung auf eine polnische Billigarbeitskraft und eine 15jährige Schülerin abzuwälzen.
Ich fand es unmenschlich und habe mich gewundert, dass es gesetzlich erlaubt ist, dass Ewa monatelang nur die paar Stunden frei hat, die Linda einspringt, und erst nach Wochen wieder nach Hause nach Polen fahren darf.
Und auch Kevins Vehemenz, mit der er auf den Zustand der Erde verweist und welche Lösung er für sich am Ende findet, macht nachdenklich.

Bewertung vom 15.08.2024
Durch finstere Zeiten / Felix Bruch Bd.3
Goldammer, Frank

Durch finstere Zeiten / Felix Bruch Bd.3


sehr gut

7 Tote in 6 Tagen

„Zwei Polizisten waren tot. In einem Waldstück, mitten auf der Straße lagen sie. Aus nächster Nähe erschossen …“ (S. 9) Die Hauptkommissare Nicole Schauer und Felix Bruch haben gerade Dienstschluss, als diese Meldung kommt und sie den Fall übernehmen müssen. 11 (!) anonyme Zeugen haben ihn gemeldet und z. T. auch angemerkt, dass ein dunkler Pick-up am Tatort gesehen wurde, aber keiner hat angehalten und nachgesehen, ob man den Opfern noch hätte helfen können ...
Die ersten Spuren führen zu einem Einsiedler, der den Behörden schon lange ein Dorn im Auge ist. Ulrich Götze sympathisiert mit Verschwörungstheoretikern, der rechten Szene und Impfgegnern. Er ist ein Prepper und wohnt mitten im Wald auf einem riesigen alten Armeegelände, auf dem er alles für den „Ernstfall“ vorbereitet – sei das nun der 3. Weltkrieg oder ein Alienangriff, wenn die nicht sowieso schon längst unter uns weilen. Er selbst sieht sich als Regimekritiker, wurde schon zu DDR-Zeiten von der Stasi verfolgt, weil er sich gegen alles auflehnte, und jetzt eben von den neuen Machthabern.
Vor allem Felix ist nicht überzeugt, dass Götze der Täter ist, aber ihr neuer Chef hat sich auf ihn eingeschossen und setzt alles daran, ihn zu überführen. Als es dann zu weiteren Morden kommt, starten Nicole und Felix ihre berühmten Alleingänge und bringen sich in Lebensgefahr. Doch wer hat es auf sie abgesehen, die Unterstützer von Götze oder ihre eigenen Leute?!

„Durch finstere Zeiten“ ist bereits der dritte Band der Reihe, um alle Zusammenhänge zu verstehen, sollte man unbedingt beim ersten anfangen. Für mich lebt dieser Teil weniger durch den Kriminalfall, der mir zu verworren war, sondern vor allem durch die beiden Kommissare, die sich atypisch verhalten.

„Jedes Gespräch war ein Berg voller Geröll, jeder Satz war wie Steine, die unter seinen Füßen wegrollten, die es mit jedem Schritt schwerer machten, den Berg zu erklimmen.“ (S. 212) Felix, der sich bisher überwiegend zurückgehalten und mit seinen eigenen Dämonen befasst hat, „blüht“ regelrecht auf. Auch wenn es ihm sichtlich schwer fällt, interagiert er mit Kollegen, Verdächtigen und Zeugen und führt selber Befragungen durch, statt sie wie sonst auf seine Kollegin abzuwälzen. Zudem hat er erschreckend oft Vorahnungen, die dann genauso eintreten. Aber er ist immer noch nicht fähig, Gefühle zu empfinden. Diese Kombination regt Nicole auf: „Du irrst dich. Du bist nicht allmächtig und oberschlau. Schau dich bloß an, denk an unseren letzten Fall. Dein Leben, deine ganze Psychose basiert auf einem Irrtum.“ (S. 225)

Nicole, die in den vorigen Fällen mit ihren Aggressionsproblemen zu kämpfen hatte, ringt hier vor allem mit Ängsten. Bei ihren Observationen im Wald werden sie von Wölfen verfolgt, die sich ihnen bis auf wenige Meter nähern. Hat Götze sie etwa abgerichtet?! Zudem sammeln sich immer mehr (bewaffnete) Unterstützer vor und auf seinem Grundstück, und Nicole bekommt ihre Panik vor einem Übergriff kaum unter Kontrolle, die Bilder der Toten und was ihnen passiert ist, verfolgen sie Tag und Nacht.

Ein weiterer spannender Aspekt der Reihe ist Felix‘ Vergangenheit. Er hat sie komplett verdrängt und kommt deren grausigen Details langsam auf die Spur. Alles wurde von einem Karton mit Dingen von früher ausgelöst, der plötzlich in seiner Wohnung unter seinem Bett stand. Zudem übersteht er die Tage nur mit Pillen, die regelmäßig in seiner Wohnung und in seinem Schreibtisch auftauchen, ohne dass er (bewusst) je ein Rezept dafür bekommen oder einen Arzt aufgesucht hätte. Wer versorgt ihn warum damit und erinnert ihn daran, sie auch zu nehmen?!

Auch wenn mich der Kriminalfall diesmal nicht ganz überzeugen konnte, weil sich Nicole immer wieder die Theorien von Götze und dessen Mitstreitern anhört, obwohl Felix sie ausbremsen will und sie nichts neues erzählten, und mir die Auflösung letztendlich zu plötzlich kam, hat mir das Buch wegen der Dynamik zwischen den beiden Ermittlern und ihren psychischen Besonderheiten wieder gut gefallen.

Bewertung vom 12.08.2024
Das Opernhaus: Samtschwarz die Nacht / Die Dresden Reihe Bd.3
Stern, Anne

Das Opernhaus: Samtschwarz die Nacht / Die Dresden Reihe Bd.3


sehr gut

Die nächste Generation

„Es war … die größte Aufgabe von Eltern, für ihre Kinder eine bessere Welt zu erschaffen als die, aus der sie selbst kamen.“ (S. 368)
Zwanzig Jahre sind seit der Mairevolution vergangen und Elises Leben hat sich zum Besseren gewendet. Sie ist nach dem Tod ihres ersten Mannes mit dem geheimen Obermedizinalrat Leopold Leitner verheiratet, der als Oberarzt und Chirurg im KKH Friedrichstadt arbeitet und ihre Kinder behandelt, als wären es seine eigenen. Dabei sind die „Kinder“ längst erwachsen. Netty ist 28 und wurde gerade als Primaballerina am Hoftheater engagiert. Sie geht in ihrem Beruft / ihrer Berufung auf und kann sich eine Ehe und die damit verbundenen Einschränkungen (noch?) nicht vorstellen. Julius ist 19 und Student, hat aber Elises musische Begabung geerbt und begleitet sie ab und an am Klavier. Seit Jahren überlegt Elise, wie sie ihm und Christian, der nach seiner Flucht in Zürich heimisch geworden ist, sagt, dass sie Vater und Sohn sind. Als jetzt durch einen Unglücksfall das Hoftheater abbrennt, sind die Chancen groß, dass der ehemalige Kulissenmaler endlich zurückkommt.
Zudem sorgt sie sich, weil Christian in die Tochter eines jüdischen Bankiers verliebt ist. Die Familien sind zwar miteinander bekannt und verkehren in den gleichen Kreisen, aber eine Hochzeit innerhalb verschiedener Konfessionen ist undenkbar.

„Was, meine Herren, sind wir denn ohne die Oper? Nur ein kleiner Haufen Spießbürger inmitten einer Stadt, voller alter Steine, durch die ein graues Flüsschen fließt.“ (S. 191)
Mit dem Brand des ersten Opernhauses von Gottfried Semper kochen die Emotionen in der Stadt hoch. Der König und die Oberschicht will unbedingt ein neues Opernhaus, die ärmeren Einwohner würden sich über Schulen (auch für Mädchen!), ausreichend Essen und eine Krankenversorgung freuen.
Auch Elise und ihre Familie trauern dem Hoftheater hinterher, sind doch eng mit dem Gebäude verknüpft. Ihr Vater Georg Spielmann war Violinist, sie hat ihre große Liebe Christian dort kennengelernt, und Netty ist Primaballerina.

Anne Stern hat den Abschluss ihrer Trilogie ähnlich dramatisch und abwechslungsreich gestaltet wie eine Oper. Da ist der verheerende Brand, Julius‘ geheime Herkunft, seine verbotene Liebe zu einer Andersgläubigen und Elises Zerrissenheit zwischen Leopold und Christian. Was passiert, wenn sie sich wiedertreffen? Entflammt ihre alte Liebe wieder und setzt sie ihre Ehe aufs Spiel? Sie plagt sich mit Gewissenskonflikten, weil niemand davon und dem seit 20 Jahren andauernden Briefwechsel mit Christian weiß.

Auch Julius‘ Angebetete Rachel ist eine sehr spannende Figur. Sie ist das einzige Kind ihrer Eltern. Ihr Vater hat ihre außergewöhnliche Begabung für Mathematik immer gefördert, trotzdem wäre ihm nie in den Sinn gekommen, dass sie etwas daraus machen will, Mathematik studieren z.B. (undenkbar für eine Frau damals), und sich nicht in eine arrangierte Ehe drängen lässt. Ihr Widerspruchsgeist und dass sie für sich selber und ihre Wünsche und Vorstellungen eintritt, hat mich an die junge Elise erinnert, auch wenn die damals letztendlich nachgegeben hat.

Außerdem lässt sie Anne Stern alle noch lebenden Protagonisten der ersten beiden Bände noch einmal auftreten, wie z.B. die alte Garderobiere Bertha Heise, Christians Schwester Ernestine, die Leiterin des Waisenhauses Fanny Regensburg, Elises frühere Freundin Aurora von Amsdorf und die ehemalige Wahrsagerin Clementine Fuchs, so dass es ein wirklich gelungener, runder Abschluss ist.

Bewertung vom 08.08.2024
Ein mysteriöser Gast / Regency Grand Hotel Bd.2
Prose, Nita

Ein mysteriöser Gast / Regency Grand Hotel Bd.2


ausgezeichnet

Schuld ist immer das Zimmermädchen

„Ich habe ein Geheimnis – eines, das Sie zweifellos überraschen wird.“ (S. 14) sind die letzten Worte des Bestsellerautors J. D. Grimthorpe, bevor er bei seiner Pressekonferenz im nagelneuen Teesalon des Regency Grand Hotel zusammenbricht und stirbt, alles sieht nach einer Vergiftung aus. Natürlich wird das Zimmermädchen verdächtigt, das für den Teewagen verantwortlich war – Mollys Lehrmädchen Lily. Molly ist von deren Unschuld überzeugt und stellt zusammen mit der übermotivierten Barfrau Angela eigene Ermittlungen an – schließlich kennt sich kaum einer so gut im Hotel aus, wie die „unsichtbaren“ Angestellten.

„Ein mysteriöser Gast“ ist der zweite Teil der charmanten Krimireihe um Molly Gray. Sie ist jetzt seit einigen Jahren Chef-Zimmermädchen, führt ein strenges, aber gerechtes Regime über ihre Mitarbeiterinnen und bringt ihnen alles bei, was sie von ihrer verstorbenen Grandma über Ordnung und Sauberkeit gelernt hat. Lily hat es ihr besonders angetan, weil sie noch stiller ist, als sie selbst. Darum war der Geschäftsführer des Hotels auch gegen ihre Einstellung, aber Molly hat sich durchgesetzt und will jetzt Lilys Unschuld beweisen. Und sie hat noch einen Grund, eigene Nachforschungen anzustellen: sie hat Grimthorp als Kind kennengelernt, weil ihre Gran sein Hausmädchen war. Und je mehr sie sich an die Zeit zurückerinnert und diese Erinnerungen hinterfragt, desto mehr kommt sie ihrer eigenen Vergangenheit und Grimthorpes Geheimnis auf die Spur.

Schon in „The Maid“ hatte mich Mollys Andersartigkeit sehr berührt. Sie hat leicht autistische Züge und lebt in einer Welt voller Erinnerungen an ihre Grandma und deren Putz-Anweisungen, Sinnsprüchen und alten Columbo-Folgen. Sie ist effizient, gründlich, mitfühlend, extrem hilfsbereit und erkennt inzwischen immer besser, wenn man sie oder andere ausnutzen will. Außerdem fallen ihr Dinge auf, die andere leicht übersehen und beeindruckt damit sogar die ermittelnde Polizistin: Molly, ich glaube, ich habe sie unterschätzt. Ich weiß nicht immer, wovon sie reden. Aber sie haben gerade eine ganze Reihe von Hinweisen miteinander verknüpft, von denen mir nicht einmal klar war, dass es Hinweise sind.“ (S. 244)
Lily bleibt lange sehr unscheinbar und undurchschaubar – hat sie nur Angst oder etwas zu verbergen?
Die Barfrau Angela ist bekennender TrueCrime-Fan und sieht hier ihre Chance, endlich selber einen Fall aufzuklären. Dass sie Molly dabei manchmal regelrecht überfährt und auch übers Ziel hinausschießt, wird ihr gar nicht bewusst – was zählt, ist der Erfolg.

Nita Prose schreibt sehr unterhaltsam und hält die Spannung durch Mollys Erinnerungen und dem, was daraus für die Gegenwart resultiert, konstant hoch. Es hat mir wieder unheimlichen Spaß gemacht, Mollys Ermittlungen und Gedankengänge zu verfolgen und ich hoffe, dass es weitere Bände geben wird.

Bewertung vom 02.08.2024
Salute - Der letzte Espresso
Kalpenstein, Friedrich

Salute - Der letzte Espresso


ausgezeichnet

Eine Leiche im Keller

… hat Paul Zeitler leider nicht nur sprichwörtlich. Als er nach Ladenschluss in seinem Café Monaco in Bardolino die Toiletten kontrolliert, entdeckt er einen Toten, den er kurz zuvor noch der Zechprellerei verdächtigt hat. „Der letzte Espresso geht aufs Haus, wo auch immer sie jetzt sind.“ (S. 315)

Fast zeitgleich mit der Polizei steht die Presse im Café, aber das kennt Zeidler noch aus seiner Zeit als Hauptkommissar in München. Dass er früher Polizist war, weiß bisher niemand, und das soll auch so bleiben. Doch Commissario Lorenzo Lanza kommt natürlich schnell dahinter. Als sich dann herausstellt, dass der Tote Journalist bei der größten Tageszeitung der Gegend war, kommt die Frage auf, ob der Mord etwas mit Zeitlers Vergangenheit in München oder Gegenwart hier am Gardasee zu tun hat.

„Salute – der letzte Espresso“ ist der Auftakt der neuen Krimireihe von Friedrich Kalpenstein vor der traumhaften Kulisse des Gardasees.

Zeidler hat das Café vor anderthalb Jahren von einer Freundin übernommen und sich schon einen Namen gemacht, denn Touristen und Einheimische trinken ihren (hoffentlich nicht letzten) Espresso gleichermaßen gern bei ihm.
Er hat in München alle Brücken hinter sich abgebrochen und hier völlig neu angefangen. Aber da er gut mit Menschen umgehen kann und offen ist, hat er schon viele neue Freunde gefunden – vielleicht auch, weil er ihnen gern Mal einen Kaffee oder ein Gebäckstück ausgibt, wie ihn seine Vermieterin immer wieder rügt.
Doch so gut er auch als Barista und Gastgeber ist, der Polizist in ihm gibt keine Ruhe und will wissen, wie und warum es zu dem Mord kam.

Friedrich Kalpenstein hat wieder einen echten Wohlfühlkrimikosmos geschaffen. Zeidler zelebriert das Dolce Vita und genießt, was ihm die Region zu bieten hat. Das sind neben der Top-Lage am Gardasee die köstlichen Gebäckspezialitäten eines berühmten Konditors und die hervorragenden Weine, die im Restaurant neben seinem Café ausschenkt werden. Zeidler ist angekommen und bleibt auch bei nervigen Gästen entspannt.
Lanza ist mit seiner Arbeit verheiratet und ein guter Vorgesetzter, der sich gegenüber seinen Mitarbeiter nicht aufspielt, sondern sie als gleichberechtigte Partner sieht. Mit Zeidler wird er allerdings nicht gleich warm, da sich der Deutsche zu sehr in seine Ermittlungen einmischt.
Und da zu echten Männern auch schnelle Fahrzeuge gehören, wurde die filmreife Verfolgungsjagt kurzerhand auf den See verlegt.

Mich hat der spannende Fall sehr gut unterhalten. Ich habe den Täter (leider) nicht vor Lanza und Zeitler ermitteln können – mal sehen, wie das beim nächsten Fall aussieht. Außerdem gibt es einen eigensinnigen kleinen Chihuahua, der Zeitler fast die Show stehlen könnte.

Eine kleine Warnung zum Schluss: Falls ihr gerade eine Diät macht, schließt alle Vorräte weg. Ich habe beim Lesen gefühlt 10 kg zugenommen ...

Bewertung vom 30.07.2024
Mitternachtsschwimmer
Maguire, Roisin

Mitternachtsschwimmer


sehr gut

Die heilende Kraft des Meeres

„Wieviel Zeit brauchst du?“ (S. 17) fragt Evan seine Frau Lorna, bevor er allein für eine Woche in das kleine Dorf Ballybrady an die irischen Küste fährt. Nach einem Unglücksfall ist ihre Ehe zerrüttet, Lorna redet nicht mehr mit ihm. Er mietet sich in einem alten Cottage ein, das verwohnt und voller Hinterlassenschaften früherer Mieter ist. Gesellschaftsspiele, zerlesene Bücher, alles weist auf glückliche Familienurlaube hin und macht ihn nur noch trauriger.
Evan kapselt sich ab, will seinen Weltschmerz zelebrieren und gibt unbewusst seiner Todessehnsucht nach. Mehr als einmal bringt er sich im bzw. auf dem Meer in gefährliche Situationen, aus denen ihn seine Vermieterin Grace rettet. Auch sie lebt extrem zurückgezogen, hat alte, nie verheilte Wunden und kann sich nur zu gut in Evan hineinversetzen. Wird ihr Credo: „Aufs Wasser blicken vertreibt den Kummer und heilt allen Herzschmerz ...“ (S. 24) auch ihn heilen?

Roisin Maguires „Mitternachtsschwimmer“ ist ein sehr melancholisches Buch. Während sich zu Beginn nur Evan und Grace vom Rest des Dorfes abkapseln, müssen sich nach dem Ausbruch der Coronapandemie alle abschotten. Aber sie finden dennoch Mittel und Wege, sich zu treffen und zu helfen. So kocht Evans Nachbarin plötzlich für ihn mit und man zeigt ihm den Hintereingang des Pubs, weil er WLAN und einen Whiskey braucht.

Obwohl Grace und Evan oft hoffnungslos wirken, habe ich sie gemocht. Grace ist schroff und einsilbig, wird aber von allen respektiert. Sie kann anpacken und lebt im Einklang mit der Natur, gibt alten und abgeschobenen Tieren ein neues Zuhause – und Evan, als er wegen des Lockdown bleiben muss. Außerdem gilt sie als verrückt, weil sie zu jeder Jahreszeit nackt schwimmen geht. Aber ist ihr egal, was andere von ihr denken.
Evan steckt mitten in einer Depression und bemerkt erst jetzt, wie lebensmüde er ist. Doch dann bringt ihm Lorna seinen Sohn Luca, weil sie systemrelevant ist und sich nicht ausreichend um ihn kümmern kann. Luca ist taub und war immer ein Streitfall zwischen ihnen. Seine Mutter hat ihn überbehütet und behandelt, als wäre er behindert, dabei weiß er sehr genau, was er will. Natürlich kracht es auch zwischen Vater und Sohn, aber Evan begreift, dass er sich bei der Erziehung zu sehr zurückgenommen und seiner Frau alle Entscheidungen überlassen hat, um Streit zu vermeiden. Ohne ihre ständige Beaufsichtigung und all die Einschränkungen blüht Luca auf. Grace zeigt ihm, was das Meer alles zu bieten hat und er darf im Dorfladen aushelfen. Aber dann soll er zurück zu seiner Mutter …

Genauso schroff wie Grace ist auch die irische Küste. Im Wasser der Bucht, in der Ballybrady liegt, gibt es gefährliche Untiefen, Wirbel und Strömungen. Trotzdem bekommt man beim Lesen des Buches Lust auf eine Reise an die irische Küste, inklusive langem Strandspaziergang und einem guten Irish Whiskey.

Ungeachtet seiner Traurigkeit verbreitet der „Mitternachtsschwimmer“ aber auch Hoffnung, macht Mut zum (Weiter-) Leben und zeigt, dass sich (Ver-)Schweigen bis zu einer Lüge ausweiten kann, die alles zerstört. Ein Buch, das sehr nachdenklich macht.

Bewertung vom 27.07.2024
Geile Zeit
Seydack, Niclas

Geile Zeit


weniger gut

Schnelldurchlauf durch die letzten 20 Jahre deutscher Geschichte aus Sicht eines Heranwachsenden

„Die Welt da draußen war zerrissen, die Welt in uns oftmals genauso.“ (S. 165)
Wisst Ihr noch, wo ihr wart, als die Flugzeuge in die Twin Tower flogen? Niclas, damals 11, saß mit seiner Schwester vor dem Fernseher und wollte Pokémon gucken, sie Talkshows. Dieser Anschlag war der erste von vielen Katastrophen, die seitdem die Medienlandschaft und sein (unser) Leben beeinflusst haben und ihn für die Zukunft schwarzsehen lassen. Aber erst einmal wurde Niclas noch von seinen Eltern abgeschirmt, haben sie versucht, seine heile Welt ein wenig zu verlängern. In der Schule sah das anders aus, da wurden ihnen klargemacht, dass nur Leistung zählt, Einsatzbereitschaft, und dass die Jobs, die Spaß machen, kein Geld bringen. Zur Ablenkung entdeckt er mit seinen Freunden Sex und Alkohol, nabelt sich ab, wird nach dem Studium und unzähligen Praktika Journalist. Bis der Lockdown kommt und alle vereinsamen. Wobei sie auch ohne Lockdown nur noch für die Arbeit und ohne Freunde leben, dafür ist nämlich keine Zeit, wenn man irgendwann mal Erfolg haben will.

„Geile Zeit“ ist ein Schnelldurchlauf durch die letzten 20 Jahre deutscher Geschichte aus Sicht eines erst Heranwachsenden, dann Erwachsenen, verknüpft mit dem Lebenslauf des Autors.
Man merkt, dass Niclas Seydack Journalist ist. Seine Erzählstil schwankt zwischen Reportage und Selbstgespräch. Je nach Alter und Situation seines Ichs wird die Sprache auch mal sehr direkt und vulgär.

Ich weiß nicht, was ich von dem Buch erwartet hatte. Natürlich habe ich mit dem Titel sofort das gleichnamige Lied von Juli verbunden, dass ich heute immer noch mitsingen kann, und das Lebensgefühl. Ansonsten aber haben Niclas und ich keine Gemeinsamkeiten. Ich bin eine Frau, 16 Jahre älter, und kann mit pubertierenden Jungsfantasien und der dazugehörigen Sprache nicht viel anfangen. Zudem wirken seine Erinnerungen oft emotionslos, wie eine Aufzählung. Seine Zukunftsangst kann ich zwar lesen, aber nicht spüren. Außerdem stört mich als Dresdnerin, dass meine Heimatstadt mehrfach als schlechtes Beispiel für Ausschreitungen und rechte Kräfte genannt wird – wir sind nicht alle so!

Alles in allem also leider nicht mein Buch, aber bitte lasst Euch davon nicht abschrecken.

Bewertung vom 22.07.2024
Sommerfarben in der Stadt der Liebe / Paris und die Liebe Bd.2
Martin, Lily

Sommerfarben in der Stadt der Liebe / Paris und die Liebe Bd.2


ausgezeichnet

Seerosenliebe

„Wenn schon unglücklich, herzgebrochen und arm, … dann wenigstens im Sommer in Paris.“ (S. 21)
Paris im August, die Sonne brennt, Touristen überfluten die Stadt der Liebe. So wie Jan, der als Lehrer eine Aachener Schülergruppe begleitet, auch in die Orangerie, wo sie von der Kunsthistorikerin Marie geführt werden. Er fängt mit ihr eine Diskussion über Monets Verhältnis zu seinen Frauen an und merkt zu spät, dass er in ein Fettnäpfchen tritt. Denn seit sie als Schülerin zum ersten Mal die Seerosen gesehen hat, ist Marie von ihnen fasziniert und hat sogar an der Sorbonne studiert. Als krönender Abschluss fehlt nur noch ihre Doktorarbeit, aber an der schreibt sie seit Monaten und wird einfach nicht fertig. Sie legt jede Formulierung, jedes Wort auf die Goldwaage und löscht mehr, als sie schreibt. Um sich über Wasser zu halten und ihre Begeisterung weiterzutragen, macht sie die Führungen.
Obwohl, oder gerade, weil die Vorzeichen nicht gut waren, müssen sie immer wieder an den anderen denken. Und als sie sich zufällig wieder treffen, schmieden sie den Plan zusammen nach Giverny zu Monets Haus und Garten zu fahren.

„Sommerfarben in der Stadt der Liebe“ ist der zweite Band der Paris-Reihe von Lily Martin, dem Pseudonym der Autorin Anne Stern. Diesmal dreht sich die Handlung um das Marais-Viertel und Marie und Jan, die beide vor noch nicht allzu langer Zeit verlassen wurden und einfach nicht darüber hinwegkommen. Aber wo, wenn nicht in Paris, kann man eine alte Liebe hinter sich lassen und eine neue finden?

Marie stammt aus der Normandie aus einfachen Verhältnissen, ist sehr unsicher und etwas ungeschickt. Ihre Familie hatt ihren Berufswunsch nicht verstanden und kaum Kontakt zu ihr, ihr Ex-Partner hat sie immer kleingehalten. Und obwohl ihr von ihren Mitstudenten und Professoren oft gesagt wird, dass ihr umfangreiches Wissen zu Monet sehr rüberbringen kann, hadert sie mit sich. Außerdem fragt sie sich langsam, ob sie nur deswegen nicht mit ihrer Doktorarbeit fertig wird, weil dann endgültig das Erwachsenenleben anfangen würde und sie sich um Jobs bewerben müsste.

Jan ist mit Leib und Seele Lehrer und begeistert von Paris, seit er einen Teil seines Studiums hier absolviert und sich verliebt hat. Doch die Fernbeziehung hat nicht gehalten und jetzt denkt er wehmütig daran zurück. Erst Marie lenkt ihn von seinem Liebeskummer ab.

Natürlich gibt es ein Wiedertreffen mit den Protagonisten aus dem ersten Band, vor allem Lola und Fabien retten Marie mit Kaffee und kleinen Köstlichkeiten immer wieder den Tag. Aber auch Liliane und Nadim, der Lebkuchenbäcker Pierre Leco, Concierge Samir und die ehemalige Schauspielerin und Opernsängerin Jacobine Simenon treffen sich in Lolas Kaffee und Fabiens Bistro. Besonders amüsiert habe ich mich übrigens über Aurélie, eine Schriftstellerin, die Plot-Ideen für ihren neuen Liebesroman sucht und die sich darum ganz genau im Café umhört ...

Ein romantischer Sommerroman mit spannenden Fakten zu Monet, viel Pariser Flair und Amour, eine Liebeserklärung an das Marais.

Bewertung vom 19.07.2024
Die Sache mit Rachel
O'Donoghue, Caroline

Die Sache mit Rachel


gut

Ménage à trois?

„Das kann ich dir nicht erzählen. Es ist nicht meine Geschichte.“ (S. 391)
Beinahe hätte es diese Rezension nicht gegeben, denn ich habe mehrfach überlegt, das Buch abzubrechen. Caroline O’Donoghue verlangt ihren LeserInnen viel ab. Die Sprache ist roh, manchmal regelrecht vulgär und auch die beschriebenen Szenen (Oralsex mitten am Tag auf einer öffentlichen Straße) waren zum Teil grenzwertig. Zudem wählt sie eine ungewöhnliche Erzählweise: Rachel scheibt rückblickend in aneinandergereihten Episoden auf, was sie 2009 – 2011 als Studentin in Irland erlebt hat. Damals lernte sie in dem Buchladen, indem sie arbeitete, James kennen. Er ist schamlos, lästert über alles und jeden – und hat meist recht. Und er will sie als Mitbewohnerin, weil er sich alleine keine Wohnung leisten kann. Auch zusammen reicht es nur für eine versiffte Bruchbude, in die sie heutzutage keinen Fuß mehr setzen würden. Aber sie waren jung, pleite und eh viel unterwegs.
Als James mitbekommt, dass sie in einen ihrer Professoren verliebt ist, organisieren sie eine Lesung für ihn mit dem Ziel, dass Rachel ihn danach verführt. Doch es kommt anders.

Ich dachte aufgrund des Klappentextes, dass es um eine Beziehung / Affäre Rachels mit ihrem Professor geht, aber stattdessen steht ihre Freundschaft mit James im Mittelpunkt. Der hat eine große Klappe und viele Ängste, weil er im katholischen Irland nicht zu seiner Sexualität stehen kann bzw. will. Doch als der Konten dann endlich platzt, ist sein Leben wie ein Rausch. Er verbringt nie zwei Nächte mit dem gleichen Mann – bis auf eine Ausnahme.
Rachel hingegen lernt bald Carey kennen, dessen animalische, dreckige Art sie anmacht – weil sie sich in ihm wiedererkennt. Und obwohl diese Beziehung alles andere als gesund ist, hält sie lange daran fest.
Trotzdem wirken nach außen James und Rachel wie ein Paar, das nichts zwischen sich kommen lässt. Alle Hochs und Tiefs werden gemeinsam verarbeitet, eventuelle Partner bleiben dann außen vor.
Und auch wenn Rachels moralischer Kompass auf keine Fall meinem entspricht, konnte ich sie verstehen und ihre Beweggründe nachvollziehen bzw. fand diese gerechtfertigt, als sie eine Chance nutzt und zum Schaden von jemand anderem weiterkommt.

Aber nicht nur mit ihrem Schreibstil, auch mit den Themen polarisiert die Autorin sicherlich. So kaufen Rachel und James lieber synthetische Drogen (weil die billig sind) als Essen und schnorren bzw. klauen regelmäßig Alkohol und Kippen.
Zudem geht es beim Thema Irland natürlich auch Religion und Abtreibung, um die Wirtschaftskrise und Trost- und Hoffnungslosigkeit der Bevölkerung, verschleierte Selbstmorde und die Abwanderung der Jüngeren nach Großbritannien oder Amerika.