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Waldeule

Bewertungen

Insgesamt 61 Bewertungen
Bewertung vom 18.11.2019
Das Geheimnis von Shadowbrook
Fletcher, Susan

Das Geheimnis von Shadowbrook


ausgezeichnet

Ein tolles, ganz besonderes Buch, in dem eine junge Frau nach der Wahrheit sucht und im Laufe des Buches wesentlich mehr als diese findet. Sie bekommt einen viel weiteren Blick auf sich selbst und das Leben.

Clara Waterfield ist eine ganz besondere Protagonistin. Sehr gebildet, aber absolut ungeübt im Umgang mit Mitmenschen, da sie durch eine Krankheit während ihrer Kindheit ihr Elternhaus nicht verlassen konnte. Sie ist eigenwillig, unkonventionell und sehr direkt. Eigenschaften, die am Vorabend des 1. Weltkrieges bei einer Frau nicht gern gesehen wurden, doch gerade deshalb geht sie ihren ganz eigenen Weg. Mich hat Clara mit ihrer frischen Herangehensweise und dem Hinterfragen von allem, was ihr begegnet, begeistert und von Anfang an in den Bann gezogen.

Ich-Erzählerin Clara kommt durch ungewöhnliche Umstände auf ein ländliches Anwesen im südlichen England, in dem es spucken soll. Naturwissenschaftlich gebildet wie sie ist, will sie dieses Phänomen möglichst schnell aufklären. Es passiert so einiges, was Clara ihre vorgefassten Meinungen überdenken lässt. Im Laufe des Buches wandelt sich ihre Einstellung und diese Entwicklung fand ich sehr nachvollziehbar und glaubwürdig. Für mich steht im Mittelpunkt des Buches Clara und ihr Erleben, die Geschehnisse in Shadowbrook, so der titelgebende Name des Anwesens, sind nur der Aufhänger dafür.

Das Buch ist ein eher stilles Buch, es lebt vor allem von den detailliert gezeichneten Personen und ihren Dialogen. Mich hat dieser Schreibstil überzeugt, denn ganz unaufgeregt, aber trotzdem sehr fesselnd, mitreißend und kurzweilig wird von den Geschehnissen auf Shadowbrook und Claras Erlebnissen erzählt. Begeistert hat mich die ländliche, sehr englische Landhausatmosphäre, die sehr gut transportiert wird.

Fazit: Ein ganz tolles Buch, das ich mit großer Begeisterung gelesen habe. Ohne große Action, aber mit viel Gefühl, erzählt es vom Wachsen einer starken Persönlichkeit. 9 Eulenpunkte und eine große Leseempfehlung für alle, die an Menschen und nicht an Handlungen interessiert sind.

Bewertung vom 22.09.2019
Ein neues Blau
Saller, Tom

Ein neues Blau


ausgezeichnet

„Ein neues Blau“ hat eine ganz eigene, für mich sehr ungewohnte, aber sehr wohltuende Atmosphäre. Ich habe es als „stilles“ Buch empfunden, da immer wieder ganz bewusst die leisen Momente im Leben von Lili, der Hauptperson, betont werden. Und das, obwohl Lili zwischen den beiden Weltkriegen geboren wird und so in einer sehr ereignisreichen, „lauten“ Zeit lebt. Ich finde es toll, dass der Autor dazu (wohl ganz bewusst) einen Gegensatz setzt und der Text oft ganz leise Töne anschlägt. Damit verbunden ist auch eine gewisse Entschleunigung. Bei bestimmten Schilderungen wie z. B. der japanischen Teezeremonie ist mir aufgefallen, dass ich automatischer langsamer und bewusster lese. Dazu passen auch die kurzen, lesefreundlichen Kapitel, die mich am Ende immer wieder innehalten und meinen eigenen Gedanken nachhängen ließen.

Im Gegensatz zu der Stille ist das Buch aber inhaltlich enorm vielseitig und bringt ganz unterschiedliche Themen zusammen. Japanische, jüdische und deutsche Traditionen treffen aufeinander, Tee und Porzellan spielen eine große Rolle, zeitgenössische Kunst und natürlich auch die Politik finden ihren Platz. Das Buch wirkt dadurch aber nicht überladen, sondern fügt die unterschiedlichen Themen wunderbar zueinander, denn im Mittelpunkt steht immer das junge Mädchen Lili und ihr Aufwachsen. Oft steht in Büchern in diesem Handlungszeitraum der aufkommende Nationalsozialismus im Mittelpunkt. Ich fand es sehr wohltuend, dass es hier nicht so ist, sondern sich die politische Situation in das Gesamtbild einfügt, nicht aber vorherrschend ist.

Daneben gibt es eine Rahmenhandlung, die im Jahr 1985 spielt und in der Lili auf Anregung der Schülerin Anja auf ihr Leben zurückblickt. Auch diese Geschichte rahmt sich wieder perfekt in die Gesamtkomposition ein und ich finde die enge Verzahnung beider Teil am Ende wirklich toll. Ebenso positiv empfand ich die große Tiefe, die das Buch gegen Ende erhält – ein wichtiges Thema ist dabei (vermeintliche) Schuld. Die beiden Zeitebenen und auch die darin enthaltenen Zeitsprünge erfordern aber eine gewisse Aufmerksamkeit, so dass das Buch zum gedankenlosen Lesen nichts ist. Für mich war es auch wichtig, das Buch langsam zu lesen, denn es stecken sehr viele schöne, poetische Sätze und Gedankenanstöße darin.

Nahezu nebensächlich webt der Autor immer wieder sehr viele Informationen in seinen Text ein. Die vielen Themen werden nicht nur angesprochen, sondern es wird auch viel dazu erklärt. Manchen mag dieses Info-Dumping vielleicht stören, ich lerne gern beim Lesen so „nebenbei“ dazu und so fand ich diese Zusatzinformationen immer sehr interessant.

Ein toll komponiertes Buch - einen großen Kritikpunkt habe ich aber dennoch. Für mich bleibt die Beziehung zu Lili etwas auf der Strecke. Man erlebt sie in ihrem Aufwachsen und begleitet sie, doch emotional entsteht wenig Bindung. Mit fehlt dabei vor allem das Innenleben Lilis, es wird alles aus einer äußeren Erzählersicht sehr distanziert geschildert. Dass der Autor es auch anders könnte, zeigen die Kapitel der Rahmenhandlung, denn hier erzählt Anja als Ich-Erzählerin sehr direkt, authentisch und empathisch von ihrem Erleben.

Fazit: Ein schönes, wohltuendes Buch, in dem leider die Emotionalität etwas zu kurz kommt. Trotzdem vergebe ich gerade noch 5 Sterne, weil der Autor es ganz unaufdringlich geschafft hat, sehr viele unterschiedliche Themengebiete perfekt miteinander zu verweben.

Bewertung vom 23.08.2019
Mittwoch also
Elstad, Lotta

Mittwoch also


sehr gut

Sprachlich ist das Buch wohl einzigartig. Konsequent berichtet die Ich-Erzählerin Hedda aus ihrem Leben und zwar so, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Sie springt hin und her, von einem zum nächsten, kommt vom hundertsten ins tausendste. Mal sind es Geschehnisse von heute, mal von gestern, anfangs auch vom letzten Monat. Nicht nur was sie sich gerade denkt und erlebt, sondern auch gerne, was ihre beiden Liebhaber (die sich beide gerne reden hören) so alles sprachlich von sich geben. Dabei geht es dann querbeet um Politik, Philosophie, Feminismus, das Leben im Allgemeinen und im Besonderen. Das ist chaotisch, kurzweilig, phasenweise anstrengend und manchmal auch nervig. Teilweise habe ich nicht verstanden, von was sie da alles spricht – da fehlt mir das (norwegische und sonstige) Hintergrundwissen. Aber da es für die Geschichte nicht von Bedeutung ist, war mir das auch egal. Lesbar wird das Sammelsurium durch die Einteilung in kurze Kapitel und unterschiedliche Abschnitte, so dass ein äußeres Gerüst die Geschichte rahmt.

Unter dem ganzen Blabla des Hintergrundgemurmels entdecken wir die eigentliche Geschichte von Hedda. Ein gestrandetes Großstadtkind mit sich häufenden Problemen: Liebe, Wohnung, Geld, Job und dann auch noch eine ungewollte Schwangerschaft. Es ist DIE große Kunst der Autorin, Heddas Geschichte so indirekt, ja fast unterschwellig „nebenbei“ zu erzählen. Das Wichtigste steht zwischen den Zeilen oder wird in kurzen Andeutungen angerissen. Und trotzdem transportiert Lotta Elstad vielleicht gerade durch diese ungewöhnliche Erzählweise Heddas Persönlichkeit, ihre Sprunghaftigkeit, ihre Art zu leben weitaus besser, als eine andere Form es gekonnt hätte. Hedda ist keine einfache Protagonistin, sie ist sperrig und – einfach Hedda. Über sie gäbe es viel zu schreiben, doch das hier ist eine Buchrezension und keine Persönlichkeitsanalyse – deswegen belasse ich es dabei.

Auch wenn es anfangs nicht so aussieht, folgt das Buch einem roten Faden. Und erzählt einen bestimmten Abschnitt in Heddas Leben, nämlich den ihrer frühen Schwangerschaft. Nicht mehr, nicht weniger. Wer ein rosarotes Herzchenbuch erwartet oder eine reflektierte Abwägung von „Für“ und „Gegen“ Abtreibung, der soll bitte die Finger vom Buch lassen.

Fazit: Ich bin sehr froh, das Buch gewonnen zu haben, denn so durfte ich eine ganz neue, unerwartete Leseerfahrung machen. Es ist durchaus ein anstrengendes Buch - sprachlich und mit sperriger Protagonistin - aber es zeigt, wie Literatur auch funktionieren kann. Mit einer ganz ungewohnten Erzählweise, die ich als „jung“ und „modern“ bezeichnen würde. Von mir vier Sterne für ein gelungenes Experiment.

Bewertung vom 07.04.2019
Ein wirklich erstaunliches Ding
Green, Hank

Ein wirklich erstaunliches Ding


ausgezeichnet

Nicht nur ein erstaunliches Ding, das April May da eines nachts mitten am Gehsteig entdeckt - sondern auch ein wirklich erstaunliches Buch, das Hank Green damit geschaffen hat! Sehr frisch, ganz ungewöhnlich und immer wieder überraschend und witzig kommt diese Geschichte um die „Carls“ und viel mehr noch um April May daher. Ich fand es toll und es ist für mich schon jetzt ein Highlight des Lesejahres!

Das liegt nicht nur an der außergewöhnlichen Handlung, es liegt vor allem an der sehr spritzigen Erzählart der Ich-Erzählerin April May. Sie beschönigt nichts, erzählt schonungslos über ihr Erleben und auch ihre Fehler und macht durch ihre Andeutungen immer wieder neugierig. Ein richtiges „Kind“ ihrer Zeit, verbunden in sozialen Netzwerken und - auch wenn sie es anfangs nicht zugeben will – natürlich auf der Suche nach „Likes“ und „Klicks“. Gerade diese Verbindung zwischen Unterhaltung (durch die „Carl“-Geschichte) und Ernsthaftigkeit (Umgang mit sozialen Netzwerken) macht den Reiz dieses Buches aus. Hier ist eine Fantasy-Geschichte, die einfach Spaß macht, mit aktuellen Fragestellungen und Problemen verknüpft und als Leser ist man aufgefordert, sich seine eigenen Gedanken dazu zu machen.

April May ist als Protagonistin und „Heldin“ wesentlich sperriger, als es zunächst aussieht. Sie ist nicht die Super-Heldin, die alles richtig macht. Ganz im Gegenteil: eher naiv, unbeholfen und manchmal auch sehr verletzend stolpert sie durch die Geschichte. Zumindest sieht sie ihre Fehler, auch wenn sie sie immer wieder macht. Trotzdem ist sie eine „perfekte“ Protagonistin, eben weil sie Ecken und Kanten hat wie jeder andere Mensch auch.

Fazit: Ein ungewöhnliches Buch, das mich sehr überrascht und begeistert hat. Es macht einfach Spaß zu lesen, erzählt eine außergewöhnliche Geschichte und verbindet trotzdem ganz aktuelle Fragen damit. Sehr empfehlenswert und fünf Punkte auf jeden Fall wert!

P. S. Und ein Buch, in dem so tolle Lieder wie „Don’t stop me now“ von Queen eine Rolle spielen MUSS einfach gut sein. :-)

Bewertung vom 07.04.2019
Rheinblick
Glaser, Brigitte

Rheinblick


sehr gut

November 1972: spannende politische Tage im nebeligen Bonn. Brandt wird – für viele überraschend – als Kanzler wiedergewählt, verliert aber vorübergehend seine Stimme und kann die Koalitionsverhandlungen nicht leiten. Um diese historische Fußnote webt Brigitte Glaser ihren sehr atmosphärischen Roman.

In den Mittelpunkt rückt sie dabei ganz unterschiedliche fiktive Personen. Zum einen die junge Logopädin Sonja, die sich engagiert um den Kanzler bemüht, aber mit ihren eigenen familiären Problemen kämpft; Wirtin Hilde, die als Chefin des titelgebenden Wirthauses den Politikbetreib in- und auswendig kennt; Max, der als taxifahrender Student so manches Geheimnis erfährt und schließlich Lotti, die als neugierige Journalistin die beschauliche Szenerie ganz schön aufwirbelt. Zwischen ihnen spinnt die Autorin mal mehr, mal weniger offensichtliche Querverbindungen und schafft es, aus vielen einzelnen Geschichten eine große ganze zu weben.

Daneben arbeitet sie sehr viel historisches Personen und Details ein. Mir etwas zu viel, denn irgendwann hatte ich über die ganzen Politiker keinen Überblick mehr und so manches Gespräch klingt sehr bemüht. Hier wäre aus meiner Sicht etwas weniger mehr gewesen, schließlich ist es ein Roman und kein Sachbuch. Und wo wir schon beim Roman sind: auf mich wirkt das Buch größtenteils wie eine Beschreibung – Handlung ist wenig vorhanden. Auch hier hätte ich mir mehr gewünscht. Einzig Lotti mit ihrer überschwänglichen Energie und Neugierde auf die Hauptstadt Bonn bringt Leben ins Buch.

Nichtsdestotrotz schafft es die Autorin bewundernswert gut, den Zeitgeist dieser doch sehr ereignisreichen Epoche zu charakterisieren. Und das noch dazu auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Durch die Verschiedenheit der Charaktere ist es ein sehr vielschichtiger Roman, in dem unterschiedliche Gesellschaftsschichten beleuchtet werden. Von daher ein wahrhaft „historischer Roman“.

Fazit: Ein dichtgedrängter Roman mit vielen historischen Einzelheiten, der Zeit und Ausdauer erfordert. Lesenswert, auch wenn es mir etwas zu beschaulich war.

Bewertung vom 28.08.2016
Der kalte Saphir
Düblin, Michael

Der kalte Saphir


gut

Eine Frau und ein Mann sowie ein ungewöhnliches Interview, das zu einer Zeitreise wird – das sind die Zutaten zu diesem außergewöhnlichen Krimi. Wobei es mir schwerfällt, hier von einem Krimi zu sprechen, denn im Mittelpunkt steht nicht die Aufklärung eines Mordes sondern vielmehr ein enges Geflecht von Beziehungen ganz unterschiedlicher Charaktere in der Musikszene.

Das beginnt schon in der Gegenwart, in der sich Musikreporterin Jule Sommer und Sebastian Winter gegenseitig belauern. Anfangs fand ich dieses Katz- und Maus-Spiel durchaus prickelnd, doch im Laufe des Buches wurde es etwas mühsam und gezwungen. Winter erzählt von seiner Zeit in der Band Klarstein im Berlin der 70ern und 80ern und dem Rätsel um den gewaltsamen Tod des Bandleaders Jerome. Diese Rückblicke sind der Hauptteil des Buches und machen auch den größten Reiz aus. Nur langsam wird dabei das Geflecht der Beziehungen der einzelnen Bandmitglieder sichtbar. Daneben gibt es eine dritte Zeitebene, die für mich nicht so ganz zum Rest des Buches passte. Nicht schlecht, aber eben nicht so ganz eingebunden.

Sprachlich ist das Buch sehr nüchtern und leider erfährt man auch wenig über die einzelnen Personen. So richtig hineinfühlen konnte ich mich in niemanden. In der Gegenwart hat mich auch das Hin- und Herspringen der Perspektive zwischen Sommer und Winter (mussten das ausgerechnet diese Namen sein???) gestört. Auch sprachlich fand ich die Rückblicke in die deutsche Vergangenheit am besten und fesselndsten geschrieben.

Es ist auf alle Fälle ein Buch, das sich langsam entwickelt und aufbaut und in das man sich einlesen und darauf einlassen muss. Nichts für Leser, die einen schnellen Kick wollen.

Nettes „Zuckerl“ sind die Download-Codes für drei Klarstein-Songs, die man sich übers Internet anhören und downloaden kann. Nette Idee und absolut passend für dieses Buch. Dafür gibt’s auf alle Fälle DAUMEN HOCH.

Fazit: Anfangs hat mich die ungewöhnliche Machart gefesselt, doch leider plätschert die Handlung dann lange Zeit vor sich hin. Daher nur Mittelmaß.

Bewertung vom 28.08.2016
Bühlerhöhe
Glaser, Brigitte

Bühlerhöhe


ausgezeichnet

Ein rundum schönes und gelungenes Buch! Ein Roman, der vieles verbindet: ein Nobelhotel, Geheimagenten, einen Mord, israelitische sowie deutsche Geschichte und natürlich auch etwas Liebe. Und das alles perfekt in das Lebensgefühl der frühen 50er Jahre eingebettet.

Neben der eigentlichen Handlung, der Verhinderung eines geplanten Attentats auf Adenauer, wird hauptsächlich die Geschichte dreier Frauen erzählt, die sich dabei zufällig begegnen. Da ist zum einen Rosa, die jüdische Agentin, die unfreiwillig in das Land ihrer Kindheit reist; da gibt es die strenge Hausdame der Bühlerhöhe Sophie Reisacher und auch noch Agnes, ein junges Mädchen aus der näheren Umgebung, die ihre eigenen Erfahrungen mit den Reichen und Mächtigen machen muss.

Die Figuren werden dabei sehr behutsam eingeführt. Als Leser taucht man ein in ihr Leben. Insgesamt ist es ein eher ruhiges Buch, in dem es viel auf die einzelne Beobachtung ankommt. Ich fand die Langsamkeit, in der die Geschichte erzählt wird, als sehr wohltuend. Die Autorin lässt sich Zeit, schafft es aber trotzdem, die vielen Themen und Stränge gekonnt ineinander fließen zu lassen. Und zwischendurch wird es immer wieder auch richtig spannend!

Ich liebe solche Bücher, die das Leben nicht nur in einem Ausschnitt zeigen, sondern so komplex wie hier. Da fließt vieles ineinander, niemand ist schwarz oder weiß und keine Entscheidung ist einfach. Als Leser war ich durchaus gefordert, den Überblick zu behalten, trotzdem las sich der Roman sehr gut. Das lag auch an den übersichtlichen Kapiteln, bei denen immer eine Ortsangabe die Orientierung erleichtert.

Herausragend ist die Sprache, in der erzählt wird. Mit viel Liebe zum Detail erzählt, entsteht die Orte ganz automatisch im Kopf. Um die Vergangenheit wiederauferstehen zu lassen, werden sehr viele damals gebräuchliche Wörter ganz selbstverständlich verwendet. Dazu wird oft auch im Dialekt geschwätzt oder in Fremdsprachen gesprochen. Das meiste erschließt sich dabei aus dem Text. Mir hat es sprachlich sehr gefallen und gerade die Einbindung „alter“ Wörter und des Dialektes tragen viel zur Authentizität des Buches bei.

Noch etwas ist mir sehr positiv aufgefallen: die Autorin schreibt sehr ausgewogen über politische Ereignisse und Meinungen. Unterschiedliche Ansichten nicht nur im Nachkriegsdeutschland stehen hier nebeneinander, (das möchte ich besonders hervorheben) ohne sie zu werten.

Fazit:
Ein sehr lesenswertes Buch, das ich mit ausgezeichneten 5 Sternen bewerte.

Bewertung vom 30.08.2015
Sailing Conductors, m. Audio-CD
Schaschek, Benjamin;Hannes Koch

Sailing Conductors, m. Audio-CD


sehr gut

Zu diesem „Buch“ gibt es viel zu sagen. Buch in Anführungszeichen, denn dieses Medium geht weit darüber hinaus und zeigt, wie Print- und Digitalmedien zusammenwirken können. Entstanden sind die Aufzeichnungen zweier frisch gebackener Tontechniker auf einer dreijährigen Segeltour von Australien mit Ziel Berlin, während der sie zahlreiche Musiker weltweit aufnahmen. Die beiliegende CDs gibt davon mit sechs Songs einen ersten Eindruck, genauso wie die zahlreichen Farbbilder. Viel mehr aber noch die Videos, Lieder und Berichte der Homepage, auf die mit Hilfe von QR-Codes im Buch direkt verlinkt wird.

Das Buch setzt sich aus Blog- und Tagebucheinträgen von Benjamin, Hannes und Gästen der „Marianne“ zusammen. Es sind Puzzleteile, die Momentaufnahmen der Segelabenteuer auf dem Meer und dem Leben an Land geben, kein durchstrukturierter Reisebericht. So fehlten mir immer wieder Teile und ich hätte gern mehr von ihren Erlebnissen in den unterschiedlichen Kulturen erfahren. Schade auch, dass zwar immer wieder Musiker auftauchen, die aber leider nicht den Stücken auf der CD zugeordnet werden.

Der Schreibstil ist einfach. Es ist ganz deutlich zu erkennen, das Buch hat kein Profi geschrieben, sondern zwei junge Männer erzählen von ihren Segelerfahrungen und –erlebnissen. Es liest sich angenehm und unterhaltsam, plätschert aber so dahin wie die immer wieder beschriebenen Flauten. Hin und wieder – gerade gegen Ende - wird’s dann doch emotional und auch nachdenklich. Von diesen Stellen hätte es weit mehr geben dürfen.

Der Schwerpunkt des Buches liegt eindeutig im Bereich Segeln. Es ist kein Reise- oder Musikbuch. Aber dafür gibt’s zum Glück zahlreiche QR-Codes im Buch, die immer wieder zu den jeweils passenden Klängen, einem Video oder einer Erzählung führen. Diese und die dazugehörige Homepage haben mir einen weit besseren Reisebericht gegeben.

Die entstandene Musik auf der beiliegenden CD ist ungewöhnlich, aber toll. Ich würde sie als „moderne Weltmusik“ beschreiben. Ganz verschiedenartige Rhythmen aus der ganzen Welt. Manche melancholisch, manche mitreißend, aber immer einprägsam und gefühlvoll. Gänsehaut und Fernweh inklusive!

Fazit: Für das überzeugende Gesamtprojekt würde ich auf alle Fälle 5 Sterne geben! Allerdings geht’s hier ja doch mehr ums Buch, auch wenn dieses vor allem durch die CD und die zahlreichen QR-Codes, die direkt auf Videos und Einträge ihrer Homepage verlinken eng damit verbunden ist. Da ich mir beim Buch mehr eigene Reise- und Musikerfahrungen an Land (im Stil der Homepage) gewünscht hätte, entscheide ich mich insgesamt für 4 sehr gute Sterne.

Bewertung vom 30.08.2015
Liebe unter Fischen
Freund, René

Liebe unter Fischen


sehr gut

Das Buch beginnt wunderbar. Die erste Hälfte war voll von poetischen, klugen Sätzen, die aber auch Normal-Leser wie ich verstehen und mir zum Großteil aus der Seele gesprochen haben. Alfred Firneis, Autor mit Depressionen, flieht in die Einsamkeit der österreichischen Berge und macht sich dort viele Gedanken über sich, seine Situation, das Leben ganz konkret und im allgemeinen. Dieser Teil des Buches hat mich wirklich abgeholt und mitgenommen, entführt in die Idylle und Stille der Abgeschiedenheit und in die Gedankenwelt von Alfred, dem „Elfenfürst“. Es ist in diesem Teil ein leises Buch, ein sehr geruhsames, in dem in dieser ersten Hälfte nichts wesentliches passiert.

Dann gab es einen Bruch in der Handlung und auch die Schreibweise ändert sich rapide. Diese Wendung fand ich unpassend und der besondere Zauber des Buches war dahin, es wandelt sich zu einer x-beliebigen Liebesgeschichte. Schade, für mich hat das nicht zusammengepasst und auch wenn der zweite Teil immer noch recht nett zu lesen war, habe ich die großen Gefühle des ersten vermisst.

Gut gefallen hat mir die große Abwechslung beim Schreibstil. Da gab es Telefonate, da wurde gesimst und ganz wundervolle Briefe geschrieben. Das lockert nicht nur auf, sondern gibt einen großen Einblick in das Innenleben des Protagonisten.

Fazit: Beginnt wunderbar und bleibt trotz der für mich ganz unpassenden Wendung ein lesenswertes Buch, auch wenn es dadurch "nur" noch vier Sterne erhält.

Bewertung vom 30.08.2015
Die Champagnerkönigin / Jahrhundertwind-Trilogie Bd.2
Durst-Benning, Petra

Die Champagnerkönigin / Jahrhundertwind-Trilogie Bd.2


sehr gut

Meinen Vorrednern kann ich mich eigentlich voll und ganz anschließen: ein schön zu lesender Roman mit viel Champagnerflair, aber auch zu vorhersehbar, um wirklich begeistern zu können. Vieles, was Isabelle auf ihren Weg zum Jahrhundertchampagner passiert, kann man sich vorneweg schon zusammenreimen. Positiv überrascht haben mich die letzten 100 Seiten, da passiert noch so einiges, mit dem ich nicht (mehr) gerechnet hätte. Leider waren diese Ereignisse zu kurz angerissen und das Buch endet gerade dann sehr schnell.

Es ist ein Wohlfühlbuch, in dem Schicksalsschläge und Probleme nicht ausgespart werden, aber meist unnatürlich schnell eine positive Wendung folgt. Als Nachfolgeband des für mich sehr überraschenden „anderen“ Buchs Solang die Welt noch schläft war ich anfangs über dieses „klassische“ Handlungsschema etwas enttäuscht, irgendwann habe ich mich aber damit abgefunden und konnte es genießen.

Denn trotz dieser negativen Punkte ist es ein sehr lesenswertes Buch. Isabelle ist eine sympathische Frau, die zwar immer wieder zu Kopfschütteln veranlasst, was sie aber nur menschlicher und damit liebenswerter macht. Die große Stärke des Buches sehe ich aber in der sehr atmosphärischen Beschreibung der Champagne (Landschaft) und des Champagners (Getränk). Im Kopf entstehen wunderbare, sehr detaillierte Bilder und als Leser erlebt man die Arbeit auf den Weinbergen und im Weinkeller hautnah mit. Außerdem liest es sich sehr flüssig und die zahlreichen Details rund um den Champagner sind äußerst geschickt in die Handlung eingebaut.

Schön fand ich, wieder auf Josephine und Clara zu treffen und so zu erfahren, wie es mit den beiden weiterging. Das Thema Freundschaft spielt auch in diesem Band wieder eine große Rolle, mit altbekannten Freunden, aber auch mit vielen neuen.

Fazit: Wohlfühlbuch mit viel (französischer) Atmosphäre und vielen geschickt eingebauten Infos zur Champagnerherstellung. Auch wenn es mir stellenweise zu vorhersehbar war, ist immer noch ein schöner Lesegenuss.