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Benutzername: 
mrs-lucky
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Norddeutschland

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Insgesamt 196 Bewertungen
Bewertung vom 26.10.2022
Aquitania (eBook, ePUB)
García Sáenz, Eva

Aquitania (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

In dem historischen Roman „Aquitania - Das Blut der Könige“ lässt die Autorin Eva García Sáenz das Leben einer faszinierenden Person der europäischen Geschichte lebendig werden. Eleonore von Aquitanien war mir als Mutter des englischen Königs Richard Löwenherz bekannt, dieser Roman beschreibt jedoch ihr Leben und ihr Wirken in ihren jüngeren Jahren.
Eleonore ist erst 13 Jahre alt, als ihr Vater auf einer Reise in Santiago de Compostela tot aufgefunden wird, und sie das Erbe des reichen südwestfranzösischen Herzogtums Aquitanien antritt. Als sie kurz darauf mit dem französischen Thronfolger Ludwig VII. vermählt wird, behält sie die Herrschaft über das Herzogtum und wird bald darauf neben ihrem Mann Ludwig Königin von Frankreich.
Der Roman zeigt ein lebendiges Bild des Lebens am Hofe, zeigt die menschliche Seite Eleonores und Ludwig VII. ebenso wie die Verantwortung, die auf ihren Schultern lastet, die allgegenwärtigen Intrigen und Bedrohungen, aber auch den Einfluss, den sie trotz ihrer Jugend auf die französische Geschichte haben.
Die intensive Recherche der Autorin, die sie am Ende des Buches belegt, hat sich ausgezahlt. Zu Beginn der Geschichte fand ich Eleonores Reife und planvolles Vorgehen noch unglaubwürdig, im Verlauf fasziniert ihrer Persönlichkeit jedoch immer mehr. Sie wurde schon früh auf ihre spätere herrschende Rolle vorbereitet, die Belange Aquitaniens liegen ihr sehr am Herzen und stehen immer in ihrem Fokus, sie darf in dieser Geschichte jedoch auch schwache Momente zeigen, ist Mensch und nicht nur eine historische Figur.
Für Spannung sorgt das Krimielement in dem Roman; Elenore lassen die fragwürdigen Umstände um den Tod ihres Vaters keine Ruhe, ihre Nachforschungen bringen jedoch nicht nur sie selbst in persönliche Gefahr.
Außerdem gibt es noch Kapitel mit Rückblenden aus der Sicht eines Jungen, dessen Geschichte sehr mysteriös erscheint und dessen Bedeutung erst gegen Ende deutlich wird.
Insgesamt bietet der Roman aus meiner Sicht eine rundum gelungene Verknüpfung von Fakten und Fiktion, der mein Interesse an der bedeutenden Persönlichkeit Eleonores geweckt hat. Er endet, als Eleonore erst 28 Jahre alt ist und lässt nur erahnen, welch ereignisreiche Jahre bis zu ihrem Tod mit 82 Jahren noch vor ihr liegen.

Bewertung vom 27.09.2022
Verbrenn all meine Briefe (eBook, ePUB)
Schulman, Alex

Verbrenn all meine Briefe (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Auch in seinem aktuellen Roman „Verbrenn all meine Briefe“ widmet sich der schwedische Autor Alex Schulman wieder einem autobiographischen Thema.
Nach einem Streit mit seiner Frau wird Alex bewusst, dass er eine nicht definierbare Wut in sich trägt, seine Kinder zeigen Angst vor seinen Reaktionen, versuchen seine Stimmungen zu lesen und es ihm recht zu machen, so wie Alex es als Kind bei seiner Mutter getan hat.
Auf der Suche nach der Ursache hinter seiner Wut rückt schnell Alex Großvater, der Schriftsteller und Literaturkritiker Sven Stolpe in den Fokus. Alex erinnert sich an die häufigen Wutanfälle seines Großvaters ebenso wie an die unterwürfige Haltung seiner Großmutter Karin, an die unendliche Reihe von Konflikten in der Familie seiner Mutter und den Hass zwischen den Geschwistern.
Mit Hilfe alter Briefe und Dokumente versucht Alex zu rekonstruieren, wie es dazu kommen konnte, dass Sven Stolpe seiner Frau mit so viel Hass und Verachtung begegnet, diese sich aber weiterhin um ihren seit Jahren kranken Ehemann kümmert und es offenbar nicht wagt, diesen zu verlassen.
Anhand von alten Briefen und Tagebucheinträgen erkennt Alex, dass seine Großeltern im Sommer 1932 einige Wochen in der Literaturstiftung in Sigtuna verbracht haben, wo sie sich auch kennengelernt und ein Jahr zuvor geheiratet haben. Karin lernt dort den jungen Schriftsteller Olof Lagercrantz kennen, die beiden verlieben sich ineinander und beginnen sich heimlich zu treffen. Als Sven Stolpe hinter dieses Verhältnis kommt, beginnt er zu toben, die folgenden Ereignisse führen dazu, dass alle drei Beteiligten ein Leben lang darunter leiden müssen.
Die Geschichte wird auf drei Ebenen erzählt, in der Zeitschiene im Jahr 1932 erschafft Alex Schulman aus den vorliegenden Fakten eine fiktive Liebesgeschichte, die mit ihrer Intensität berührt. Die Szenen sind sehr persönlich und ergreifend mit einer schwer zu fassenden Tragweite und Tragik.
Die Schilderungen aus der Gegenwart haben dagegen einen eher dokumentarischen Charakter, der Leser begleitet den Autor bei seinen Recherchen und Deutungen seiner Erkenntnisse.
Verbunden sind die Ebenen durch Erinnerungen Alex‘ aus einem Besuch bei den Großeltern im Winter 1988, deren Begebenheiten ihm erst jetzt nach seinen Recherchen in vollem Ausmaß bewusst werden.
Der Roman erzählt eine ergreifende Geschichte ohne kitschig zu sein, ist lebendig und fesselnd geschrieben und zeigt, wie sehr derart schicksalhafte Ereignisse das Leben mehrerer Generationen prägen kann.
Ich bin wieder begeistert von Alex Schulmans Erzählstil.

Bewertung vom 20.09.2022
Ein notwendiger Tod
Holt, Anne

Ein notwendiger Tod


sehr gut

„Ein notwendiger Tod“, Anne Holts zweiter Krimi aus der Reihe um Selma Falck, bietet wieder eine komplexe und spannende Geschichte mit politischem Hintergrund.
Im Herbst 2018 erwacht Selma Falck in einer brennenden Hütte mitten im kalten Nirgendwo. Sie ist schwer verletzt, kann sich nicht erinnern, wie sie in die Hütte und in diese Situation geraten ist. Sie kann den Flammen im letzten Moment entkommen, während sie verzweifelt einen Unterschlupf sucht und einen Weg zurück in die Zivilisation, kommen bruchstückhaft Erinnerungen an die vorangegangenen Ereignisse zurück.
Neben dieser dramatischen Zeitschiene bekommt der Leser aus verschiedenen Perspektiven Hintergrundinformationen sowohl aus dem Frühjahr als auch dem Sommer desselben Jahres.
Im Sommer ist Selma Falck Gast auf der Hochzeit ihrer Tochter, wenn auch nur aufgrund des Wohlwollens ihres Schwiegersohns Sjalg Petterson, der während der Feier auf tragische Weise ums Leben kommt. War es ein Unfall oder ein Mord, weil jemandem die rechtsextreme Gesinnung nicht passte, die dem Toten in den sozialen Medien viele Anhänger beschert hat?
Selma Falck gerät bei ihren Nachforschungen auf die Spur politischer Verstrickungen auf nationaler Ebene, die auf gar keinen Fall an die Öffentlichkeit geraten dürfen.
Die Geschichte ist komplex. In der Hörbuchfassung ist es anfangs nicht leicht, den Zeit- und Perspektivwechseln zu folgen, je mehr man die Charaktere kennenlernt und in die Geschichte eintaucht, wird dies aber leichter.
Vieles dreht sich um die politischen Entwicklungen und Strömungen in Norwegen, Themen wie die Zunahme extremistischer Gruppierungen, Einflussnahme und Hetze in den sozialen Medien, sind aber ein globales gesellschaftliches Phänomen.
„Früher mussten wir Politiker büßen, wenn wir einen Fehler gemacht hatten.
Heute ernten wir Hetze, Verachtung und Hass, wenn wir das Richtige tun.“,
diese Aussage von Justizminister Tryggve Mejer in dem Roman ist zentraler Faktor in diesem Krimi.
Die Geschichte ist so vielschichtig, dass man als Leser konzertiert bei der Sache bleiben muss, um keine Nuance zu verpassen. Trotz vieler Informationen ist der Spannungsbogen hoch, dafür sorgen die Wechsel in den Zeiten und Perspektiven, während die Fäden nach und nach zusammenlaufen und ein vollständiges Bild ergeben.
Selma Falck ist als Hauptfigur nicht unbedingt ein Sympathieträger, sie fasziniert durch ihre brillante Auffassungsgabe und ihre Ausstrahlung, stößt andere Menschen aber durch ihre Direktheit und ihre Ansprüche schnell vor den Kopf. Ihr Charakter erscheint ebenso wie die Skrupellosigkeit einiger Taten etwas zu überzogen, der politische und berufliche Hintergrund der Autorin spricht jedoch für die Authentizität zumindest der Hintergründe der Geschichte.
Mir hat auch dieser Band wieder sehr gut gefallen, in der Hörbuchfassung habe ich gerne dem angenehmen Vortrag der Sprecherin Katja Bürkle gelauscht.

Bewertung vom 15.09.2022
Freiheitsgeld (eBook, ePUB)
Eschbach, Andreas

Freiheitsgeld (eBook, ePUB)


sehr gut

In seinem aktuellen Roman mit dem Titel „Freiheitsgeld“ hat Andreas Eschbach ein interessantes Zukunftsszenario erschaffen.
Basierend auf der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens erhalten im nicht fernen Jahr 2064 alle Einwohner der EU das sogenannte „Freiheitsgeld“, das ihnen ein sorgenfreies Leben ermöglicht. 30 Jahre zuvor war dieses Geld die Rettung aus einer Krise, nachdem Roboter die Arbeitswelt so weit dominierten, dass Arbeitsplätze knapp wurden. Im Jahr 2064 ist niemand dazu verpflichtet einen Job anzunehmen, die vorhandenen Jobs sind anders gewichtet als heute.
Um die Klimakatastrophe zu verhindern, wurden große Naturschutzzonen eingerichtet und die Menschen aus kleinen Siedlungen in große Städte umgesiedelt, wohlhabende Einwohner leben abgeschottet in Gated Communities.
Eine davon ist die „Oase“, in die eine der Hauptfiguren zu Beginn der Geschichte einzieht. Vincent ist dort unter anderem der persönliche Fitnesstrainer des ehemaligen Kanzlers Robert Havelock, der vor 30 Jahren das Freiheitsgeld etabliert hat. Als Havelock stirbt, glaubt der Polizist Ahmad Müller nicht an einen Selbstmord und wird in seiner Meinung bestärkt, als kurz darauf ein Journalist tot aufgefunden wird, der als Havelocks größter Widersacher gilt.
Der Roman gibt mit seinen verschiedenen Handlungssträngen und Charakteren ein lebendiges Bild dieses Zukunftsszenarios. Die Perspektivwechsel innerhalb der Kapitel sorgen für Abwechslung und für ein aufmerksames Lesen, um nicht den Überblick zu verlieren. Die Dialoge wirken manchmal etwas hölzern und die Charaktere etwas stereotyp, das ist aber für Eschbach nicht ungewöhnlich und bei einer interessanten Geschichte zu verschmerzen.
Mir gefällt die subtile Art und Weise, mit der Eschbach die schöne Utopie nach und nach Risse bekommen lässt, je tiefer man als Leser in diese Welt eintaucht, während Ahmad bei seinen Ermittlungen zunehmend auf Ungereimtheiten stößt. Einige der technischen und sozialen Entwicklungen fand ich spannend, nicht alles wirkt logisch. Ist in Deutschland tatsächlich eine solche Umstrukturierung in so kurzer Zeit denkbar?
Das Szenario entspricht auffallend einigen gängigen Verschwörungstheorien, die Kritik ist aber aus meiner Sicht eher vage gehalten und lässt mit seinem überraschenden Ende einige Fragen offen und mich mit gemischten Gefühlen zurück.

Bewertung vom 28.08.2022
Ich bin nicht da (eBook, ePUB)
Spit, Lize

Ich bin nicht da (eBook, ePUB)


sehr gut

Auch in ihrem 2. Roman mit dem Titel „Ich bin nicht da“ erzählt Lize Spit in ihrer brillanten und dabei schonungslosen Art eine beklemmende und emotional nahe gehende Geschichte.
Im Mittelpunkt steht ein junges Paar um die 30. Leo und Simon sind seit 10 Jahren zusammen und in ihrer Beziehung aufeinander fixiert. Beide haben früh ihre Mütter verloren und wenig bis gar keinen Kontakt zu ihren Vätern, ihr Freundeskreis beschränkt sich auf einige Kollegen. Ihre enge Bindung gerät ins Wanken, als Simon eines Nachts aufgedreht nach Hause kommt, sein neues Tattoo präsentiert und von neuen Freunden inspiriert seinen festen Job als Grafikdesigner kündigt, um sich selbständig zu machen.
Er stürzt sich manisch in dieses neue Projekt, bewegt sich unruhig durch die Wohnung und lässt Leo ratlos zurück, die sich von Simon immer mehr ausgegrenzt fühlt und in seiner neuen Persönlichkeit wenig des Simons wieder findet, den sie liebt. Zur gleichen Zeit wird Leos Freundin Lotte schwanger, ausgerechnet von Simons ehemaligem Chef Coen, in dem er mehr und mehr seinen größten Feind sieht. Lotte und Coen sind in diesem Roman der Gegenpol zu Leo und Simon, ein strahlendes Paar, das auf fast kitschige Weise glücklich und erfolgreich ist, während Leo und Simon in ihren Karrieren keine Fortschritte erreichen und sich privat einander entfremden.
Der Leser erlebt die Ereignisse aus Leos Sicht, die schonungslos die Veränderungen in ihrer Beziehung zu Simon und in beider Persönlichkeiten schildert. Es schmerzt, Leos Verzweiflung und Hilflosigkeit mitzuerleben, während Rückblenden in die Vergangenheit ihre frühere innige Verbundenheit und Unbeschwertheit aufzeigen. Lize Spit schafft mit ihrer präzisen Sprache Bilder im Kopf, die manchmal schon zu detailliert sind und an die Grenze des Erträglichen gehen. Andererseits macht das die Authentizität der Geschichte aus, man spürt beider Hilflosigkeit sowohl in Simons manischen als auch in seinen depressiven Phasen.
Der Roman überzeugt mit seiner Intensität und der phantasievollen Sprache, die teils poetisch wirkt. Mit den wiederholten Schilderungen entwickelt er jedoch Längen, die auch mit den eingeschobenen Kapiteln der Eskalation aus der Gegenwart nicht aufgefangen werden können, da die Spannung hier eher aufgezwungen wirkt, statt sich aus der Geschichte zu entwickeln.

Bewertung vom 14.08.2022
Das Profil / Erdmann und Eloglu Bd.1 (eBook, ePUB)
Borck, Hubertus

Das Profil / Erdmann und Eloglu Bd.1 (eBook, ePUB)


sehr gut

Der Thriller „Das Profil“ ist Hubertus Borcks erste Krimi-Veröffentlichung und meiner Meinung nach ein gelungener Auftakt für die geplante Reihe um zwei ungleiche Hamburger Ermittler, der Lust macht mehr davon zu lesen.
Die Themen sind nicht ganz neu, hier aber schlüssig und spannend in Szene gesetzt: Ein psychopathischer Täter wird durch die in seiner Kindheit erlittenen Traumata zur tickenden Zeitbombe, die Opfer geben in den sozialen Medien allzu leichtfertig persönliche Details und Informationen aus ihrem Leben preis und machen sich selbst zur Zielscheibe.
Als Leser ist man der Ermittlern stets eine Schritt voraus, in Rückblenden wird die Vergangenheit des Täters dargestellt, ebenso wie in der Gegenwart sein ausgeklügeltes Vorgehen bei der Auswahl und Überwältigung seiner Opfer. Die Nähe zum Täter, die in den Schilderungen geschaffen wird, sorgt für das Empfinden von Unbehagen, man spürt seine Besessenheit und inneren Zwänge.
Im Kontrast dazu steht die Sorglosigkeit der Opfer, die vorbehaltlos ihr Leben auf Instagram ihren Followern präsentieren und es dem Täter leicht machen, sie auszuspionieren.
Auf Seiten der Polizei steht die erfahrene Ermittlerin Franka Erdmann im Mittelpunkt, die wie so viele Kriminalkommissare zumindest in der Literatur ihr Privatleben der Arbeit untergeordnet haben und mit ihrer eigenwilligen Art so manches Mal bei Kollegen und Vorgesetzten aneckt. Ihr zur Seite gestellt wird der junge Kollege Alpay Eloğlu, für den die erste Ermittlung in einem Mordfall sich gleich zur Suche nach einem Serientäter ausweitet.
Die beiden ungleichen Kollegen brauchen eine Weile, um sich aneinander zu gewöhnen, ihre kleinen Reibereien lockern die Geschichte auf, es steht jedoch stets die Ermittlungsarbeit im Vordergrund. Als Leser verfolgt man hautnah die Entwicklungen und Diskussionen zu Täter und Motiven. Die Ermittlungen sind herausfordern und komplex, da der Täter sehr geplant vorgeht und es versteht, seine Spuren zu verwischen und sich zu tarnen.
Der Spannungsbogen ist über die gesamten etwa 380 Seiten hoch und findet einen schlüssigen Abschluss in einem finalen Showdown.

Bewertung vom 10.08.2022
Denk ich an Kiew
Litteken, Erin

Denk ich an Kiew


sehr gut

Die aktuellen Ereignisse in der Ukraine sind derzeit sehr präsent und erschütternd. Der Roman „Denk ich an Kiew“ arbeitet ein älteres Kapitel der ukrainischen Geschichte auf, dessen nicht weniger brisanten aber wenig bekannten Ereignisse in ihrer Tragweite erschüttern und ein Stückweit erklären, weshalb die Menschen in der Ukraine sich auf keinen Fall erneut einer russischen Herrschaft unterwerfen wollen.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die junge Katja, die im Jahr 1930 mit ihren Eltern und ihrer Schwester im Osten der Ukraine einen kleinen Bauernhof bewirtschaftet. Sie ist verliebt in einen Nachbarsjungen und erlebt einen unbeschwerten Sommer, als eine Gruppe russischer Aktivisten sich im Dorf einnistet, um die Bauern zu zwingen, sich den Kolchosen anzuschließen. Dabei gehen Stalins Männer mit großer Gewalt vor, deportieren und töten diejenigen Bauern, die ihrer Meinung nach den „Kulaken“ angehören oder Widerstand leisten. Die Steuern werden so weit erhöht, dass den Menschen kaum etwas zu Essen und zum Überleben bleibt.
Anhand des Schicksals von Katja und ihrer Familie erlebt der Leser mit, wie die Bevölkerung zunehmend unter der Gewalt und Unterdrückung sowie der Hungersnot leidet. Den Begriff Holodomor hatte ich schon gehört, die Ausmaße dieser von Stalins Herrschaft erwirkten Hungersnot war mir jedoch nicht bewusst. Die Autorin schafft mit ihrer Geschichte ein deutliches und erschütterndes Bild der Ereignisse, das mich beim Lesen oft fassungslos und mit Tränen in den Augen zurückgelassen hat.
Sie rückt ein wichtiges Kapitel nicht nur der ukrainischen Geschichte in den Fokus, auch in angrenzenden Regionen sind hunderttausende Menschen der Hungersnot zum Opfer gefallen.
Die Intensität der Bilder, die die Schilderungen heraufbeschwören und die Nähe zu den Figuren haben mir in diesem Teil des Romans ausgesprochen gut gefallen.
Die Rahmenhandlung des Romans, die im Jahr 2004 angesiedelt ist, fällt dagegen stark ab. Grundsätzlich passt das Szenario; Cassie entdeckt im Haus ihrer zunehmend an Demenz leidenden Großmutter deren Tagebuch. Die Großmutter hat es immer abgelehnt, über ihre Vergangenheit in der Ukraine zu sprechen, nun erlaubt sie ihrer Enkelin, mithilfe eines Nachbarn die auf Ukrainisch verfassten Tagebucheintragungen zu übersetzen. Die Rahmenhandlung mit Cassies Vorgeschichte und den Entwicklungen in der Vergangenheit wirkt jedoch kitschig und sehr dick aufgetragen, hier fehlt die Intensität und Nähe zu den Figuren, die die Rückblenden so lebendig werden lassen. Für Katjas Geschichte vergebe ich 5 Sterne, für die Rahmenhandlung maximal drei.

Bewertung vom 02.08.2022
Schlaft, Kinder, schlaft / Ewert Grens ermittelt Bd.7
Roslund, Anders

Schlaft, Kinder, schlaft / Ewert Grens ermittelt Bd.7


sehr gut

In Anders Roslund aktuellem Krimi “ Schlaft, Kinder schlaft“ gibt es ein Wiedersehen mit Kommissar Ewert Grens und dem Undercoveragenten Piet Hoffman.
Zu Beginn der Geschichte befindet sich Ewert Grens an einem persönlichen Tiefpunkt. Umso mehr berührt es ihn, als sich auf dem Friedhof eine fremde Frau neben ihn auf „seine“ Bank setzt, während er wie so oft den Tod seiner Frau Anni betrauert, und ihm von dem Verschwinden ihrer 4-jährigen Tochter erzählt. Es ist über drei Jahre her, dass diese aus einem Parkhaus entführt wurde und verschwand, ohne dass die Polizei eine Spur von ihr finden konnte. Vor kurzem wurde das Mädchen für Tod erklärt, die Mutter muss jedoch einen leeren Sarg betrauern.
Als Grens kurz darauf erfährt, dass am selben Tag ein weiteres 4-jähriges Mädchen entführt wurde und seitdem spurlos verschwunden ist, verfällt er in einen manisch anmutenden Aktionismus. Er setzt sich über Regeln und Grenzen hinweg, auch ein angeordneter Zwangsurlaub hindert ihn nicht daran, sich wie gewohnt nachts ins Präsidium zu schleichen und seine Kontakte zu nutzen, um dem Verbleib der Mädchen auf die Spur zu kommen.
Die Geschichte ist keine leichte Kost, sie führt in die Abgründe des Darknets und zu einem international agierenden Pädophilenring. Obwohl viele Szenen nur im Ansatz geschildert werden, schafft es Roslund eine sehr düstere und bedrückende Stimmung zu erzeugen. Ich war beim Lesen ebenso dankbar wie Ewert Grens oder Piet Hoffmann, die Bilder und Videos nicht bis ins Detail und bis ans Ende mitverfolgen zu müssen. Das durch die Andeutungen angestoßene Kopfkino reichte aus, um beim Lesen an meine Grenzen z kommen. Aber das Wissen, dass diese Fiktion auf realen Übergriffen beruht, die sich Tag für Tag auf der Welt abspielen, macht es umso wichtiger, diese grausame Gewalt gegen Kinder zu thematisieren, um sie wirkungsvoll bekämpfen zu können.
Kommissar Ewert Grens ist als Hauptcharakter eine schwierige Figur, seine Traumata wirken in diesem Band so dominant, dass seine Glaubwürdigkeit darunter leidet. Ähnliches gilt aber in allen Bänden auch für Piet Hoffmann, doch für die Spannung muss man das ähnlich wie bei Actionfilmen im Kino vielleicht in Kauf nehmen.
Das offen gehalten Ende lässt hoffen, dass es eine Fortsetzung der Reihe geben wird, ich bin auf jeden Fall wieder dabei.

Bewertung vom 06.07.2022
Im Augenblick des Todes (MP3-Download)
Kliesch, Vincent

Im Augenblick des Todes (MP3-Download)


sehr gut

Vincent Klieschs Thriller „Im Augenblick des Todes“ ist der 2.Band aus der Reihe um Kommissar Boesherz, als Print bereits 2015 erschienen, jedoch bin ich erst jetzt durch die Neuauflagen und die Hörbuchfassungen auf die Reihe aufmerksam geworden.
Band 1 „Bis in den Tod hinein“ hat mir als komplexer Krimi sehr gut gefallen, so dass ich neugierig auf die Fortsetzung war. Diesmal steht Kommissar Boesherz noch stärker im Fokus, seine persönliche Geschichte ist eng mit dem Fall verknüpft. Als Severin Boesherz in einer Berliner Arztpraxis einen aktuellen Tatort betritt, erwartet ihn die detaillierte Kopie eines Mordes, an dessen Aufklärung er im Rheingau 16 Jahre zuvor gescheitert ist. In beiden Fällen wurde ein Arzt brutal ermordet und mit seinen ausgeweideten Organen ein bizarres Bild inszeniert. Doch diesmal hat der Täter zusätzliche Rätsel hinterlassen, die nur Boesherz lösen kann. Dieser lässt sich auf das „Spiel“ mit dem Täter ein, während es gleichzeitig versucht, seine eng mit dem Fall verknüpfte Vergangenheit vor seinen Kollegen zu verbergen.
Wie schon im ersten Band ist die Geschichte stark auf die Ermittlungsmethoden von Boesherz ausgerichtet, der Verbrechen aufklärt, indem diese als Rätsel betrachtet und löst. Dazu passt, dass in diesem Fall der Täter mit Boesherz und der Polizei eine Art Schnitzeljagd veranstaltet.
Im Vergleich zum ersten Band fällt dieser in meinen Augen jedoch etwas ab, da die Handlung und Motivation hinter den Taten allzu konstruiert erscheint. Die Lösung wird erschwert, da Boesherz seinen Kollegen viele Erkenntnisse und Details bewusst vorenthält. Der Autor versucht oft Spannung zu erzeugen, indem Ergebnisse oder Informationen nur angedeutet aber nicht klar genannt werden, was ich als nervig empfinde, zumal es sich trotzdem früh abzeichnet, wie die Taten zusammenhängen. Auch die geheimnisvolle Beziehung Boesherz’ zu Ferdinand wirkte zu aufgebauscht und leicht durchschaubar.
Bei den Charakteren gefällt mir Olivia Holzmann mehr als der oft sehr arrogant und exzentrisch auftretende Boesherz, positiv finde ich neben dem lockeren Erzählstil mit zum Teil humorigen Dialogen die intelligent angelegte und gut recherchiert wirkende Geschichte. Das Ende war dann jedoch zu wirr und konstruiert, um zu überzeugen. Es wird aber sicher nicht mein letzter Krimi von Vincent Kliesch gewesen sein, gerne auch wieder als Hörbuchfassung mit Uve Teschner, der die Geschichte fesselnd und abwechslungsreich vorträgt.

Bewertung vom 06.06.2022
Queergestreift
Köller, Kathrin;Schautz, Irmela

Queergestreift


ausgezeichnet

Die Themen „Pride“ und „Diversity“ werden aktuell verstärkt in der Öffentlichkeit diskutiert, die Vielfältigkeit der Menschen in Bezug auf Gender, Sexualität und Identität wird sichtbarer. Aber wer weiß wirklich, was hinter der Abkürzung LGBTIQA+ steckt? Passend dazu hat die Autorin Kathrin Köller gemeinsam mit der Illustratorin Irmela Schautz mit „Queergestreift“ einen großartigen Ratgeber geschaffen.
Schon der Buchumschlag ist ein Hingucker mit seinen bunten Farben. Das Material ist leider keine gute Wahl, Papier und Druck sind leider sehr empfindlich.
Inhaltlich kann das Buch mehr überzeugen. Jedem der Buchstaben aus LGBTIQA+ ist ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem die Themen erklärt werden, zudem gibt es in Randnotizen Erläuterungen zu weiteren Begriffen des Themenbereichs. Dazu kommen Interviews und Schilderungen persönlicher Erfahrungen sowie Tipps, wo man sich weitergehend informieren oder auch Hilfe bekommen kann.
Das Buch ist übersichtlich gegliedert, großformatige, bunte Illustrationen lockern das Gesamtbild auf und unterstreichen die Informationen.
Die Sprache ist umgangssprachlich gehalten und richtet sich ähnlich wie der Stil der Bilder in erster Linie an junge Menschen, spricht dadurch aber Erwachsene genauso an.
Inhaltlich sehe ich das Buch als relevant an für Menschen aller Altersgruppen, für den Teenager auf der Suche nach seiner Identität genauso wie für Eltern, Großeltern oder andere Angehörige und Freunde, die die Welt mit offenen Augen betrachten und das Schubladendenken verlassen wollen.
Ich bin Anfang 50 und aufgrund meines persönlichen Umfeldes für das Thema sensibilisiert. Mich hat an dem Buch „Queergestreift“ beeindruckt, in welchem Umfang hier Informationen bereitgestellt werden sowohl zu geschichtlichen Entwicklungen der Communitys als auch zu sozialen, gesundheitlichen und rechtlichen Themen. Dabei kommt die persönliche Ansprache nie zu kurz, der Leser wird immer wieder angehalten, sein Denken und Handeln zu hinterfragen und den Blick für die Vielfalt der Menschen zu öffnen, wie zum Beispiel auf Seite 66 in einem Gedankenspiel zum Thema „Hetero Outing“.
Ich wünsche dem Buch, dass es von vielen Menschen gelesen wird, da es meiner Meinung nach einen großen Beitrag dazu leisten kann, die Akzeptanz für die Queer-Community zu erhöhen und Jugendliche in ihrer Entwicklung dabei zu stärken, so sein zu können wie sie sind, ohne sich verstecken zu müssen oder Anfeindungen zu befürchten.