Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Desiree
Wohnort: 
Wanne-Eickel

Bewertungen

Insgesamt 104 Bewertungen
Bewertung vom 01.09.2023
Nichts in den Pflanzen
Haddada, Nora

Nichts in den Pflanzen


ausgezeichnet

Leila versucht ein Drehbuch zu schreiben, die Betonung liegt auf versucht, denn es gelingt ihr einfach nicht. Alles fängt gut an. Durch Leon, ihren neuen Freund, bekommt sie Kontakt zu Produzentin Lenka, die das Drehbuch verfilmen will, aber Änderungen verlangt und die Fertigstellung. Also versucht Leila es, mal mehr, mal weniger. Alles lenkt sie ab, erst Leon, dann Partys, ein andere Mann. Immer wieder verfällt sie in einen Arbeitsrausch aus dem nichts hervorgeht. Und dann ist da auch noch Aischa, die in allen Belangen eine direkte Konkurrenz für Leila darstellt.
„Nichts in den Pflanzen“ von Nora Haddada wollte ich unbedingt lesen, weil Benedict Wells einen Blurb geschrieben hat und ich wurde nicht enttäuscht. Anfangs war ich verwirrt, denn es las sich wie eine Liebesgeschichte, auch wenn Leila Leons Katze auf dem Gewissen hat. Aber mit Liebe hat das nichts zu tun, Leon ist nur Mittel zum Zweck und zwar die ganze Zeit, so wie alle Menschen in Leilas Umgebung. Die Oberflächlichkeit und das Geschwafel der Kreise in der Leila sich bewegt, ist ansteckend und daher auch kein Wunder, dass sie es nicht schafft sich hinzusetzen und voranzukommen. Ihr fliegt schon alles zu, aber sie erkennt es nicht und schöpft ihre Inspiration aus dem Leid der Anderen, vielleicht auch aus ihrem eigenen. Sie ist kaputt.
Leila würde ich ungern begegnen, ich habe sie nicht gemocht. Ihre Berechnung, ihre Gehässigkeit, ihre Ignoranz und ihr Überzeugung, dass es alle besser als sie haben, obwohl sie es nicht leichter haben könnte. Ich hab mir gewünscht, dass sie endlich auf die Fresse fliegt, mal Konsequenzen erfährt und das tut sie.
Nora Haddada hat ein beeindruckenden Roman abgeliefert, was nicht verwunderlich ist, da sie schon viel Erfahrungen gesammelt hat, die sie offensichtlich hat einfließen lassen. Sie ist eine neue erfrischende Stimme in der Literatur und ich freue mich schon mehr von ihr zu lesen.

Bewertung vom 30.08.2023
Tage im warmen Licht
Pfister, Kristina

Tage im warmen Licht


ausgezeichnet

Maria kehrt mit ihrer Tochter Linnea in die Stadt ihrer Jugend zurück, in das Haus ihrer Oma Hanne, welches sie geerbt hat. Eigentlich wollte sie nie zurück, aber München macht es ihr schwer zu bleiben und so hat sie keine Wahl. Aber auch Hannes Haus, das zugig ist und nicht ihr zu Hause, macht es ihr nicht leichter. Auch die Dämonen der Vergangenheit, die sie versucht hat wegzusperren, brechen aus und versetzen sie in eine Zeit, die sie am liebsten vergessen möchte. Aber es gibt Lichtblicke, nicht nur Linnea fühlt sich wohl, da ist auch noch Nachbarin und Hannes beste Freundin Martha, Britta und Marias alter Schulfreund Henning, den sie plötzlich mit ganz anderen Augen sieht.
Ich wollte „Tage im warmen Licht“ von Kristina Pfister unbedingt lesen, nachdem mir letztes Jahr „Ein unendlich kurzer Sommer“ in Erinnerung geblieben ist. Und sie hat abgeliefert und wie sie abgeliefert hat. Der Inhalt, weder mein oben beschriebener, noch der Klappentext, geben einen Eindruck wie viel in dem Roman steckt. Als Hauptthema würde ich wohl weibliches Empowerment nennen, aber es geht auch um Konsens beim Sex und die Wandlung, die unsere Gesellschaft in der Hinsicht endlich macht. Es geht um Veränderung und Traumabewältigung, um Victimblaming.
Kristina Pfister hat ein Talent für szenisches Erzählen und es läuft direkt ein Film vor meinem inneren Auge ab, wenn ich anfange zu lesen. Die Figuren tun ihr übriges. Es sind viele, aber alle müssen genauso da sein und runden das Bild ab. Maria als Protagonistin war manchmal etwas anstrengend, aber das störte mich nicht und ihre Entwicklung ist auf jedenfalls auffällig. Sprachlich ist es auch sehr gut. Ganz selten bin ich mal über eine Formulierung gestolpert und manche Kleinigkeit wurde doppelt erwähnt, aber das ist auch das einzige, was ich bemerkt habe.
Dieser Roman ist wichtig und alle, vor allem Frauen, sollten ihn lesen - um sich zu stärken, um sich mit dem Thema Konsens auseinanderzusetzen und alte Denkweisen endlich zu hinterfragen.

Bewertung vom 24.08.2023
Der berühmte Tiefpunkt
De Gryse, Amarylis

Der berühmte Tiefpunkt


sehr gut

Marieke schläft in ihrem Auto. Ihr Freund Blok hat sie vor die Tür gesetzt und sie weiß nicht wohin. Ihre Schwestern interessieren sich nicht für sie, ihre Mutter gibt ihr die Schuld, zum Vater hat sie den Kontakt verloren. Sie hat nur noch ihre Arbeit im Altenheim und die Bewohner*innen schenken ihr ein wenig Trost, denn sie sind als einzige Station noch nicht in das neue Haus umgezogen und somit genauso vergessen und abgestellt wie Marieke.
„Der berühmte Tiefpunkt“ von Amarylis de Gryse beschreibt nicht nur einen, sondern eine Anhäufung von Tiefpunkten. Mariekes Leben ist komplett auseinandergefallen. Das hat mich anfangs extrem traurig gemacht, denn ein Schlag folgt auf den nächsten. Es überrascht mich nicht, dass Marieke so geworden ist und immer nur weiter runterschluckt anstatt sich zu wehren. Allerdings ändert das sich und zum Schluss schafft sie den Befreiungsschlag. Vieles, was mich am Anfang stutzen ließ, hat sich später als absolut stimmig erwiesen.
Was neben Mariekes Leid am deutlichsten heraussticht, ist die Situation in der Pflege. Natürlich wird sie etwas überspitzt geschildert, aber dennoch herrschen solche und ähnliche Zustände und unsere Senior*innen und Pflegebedürftigen werden schnell auf ein Abstellgleis geschoben. So drastisch geschildert, habe ich es noch nicht gelesen und ich finde es gut und wichtig.
Anfangs hatte ich einige Schwierigkeiten reinzufinden. Es wird zwar ausschließlich aus Mariekes Perspektive erzählt, aber sie spring in der Erzählung und manchmal war ich etwas orientierungslos, was sich aber später gegeben hat. Sprachlich war es gut und ich mochte Mariekes Umgang und Amarylis de Gryse Schilderung zum Thema Essen, welche ich sehr authentisch empfand.
„Der berühmte Tiefpunkt“ ist ein berührender Roman über die Schwierigkeiten des Lebens.

Bewertung vom 14.08.2023
Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2
Yokomizo, Seishi

Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2


sehr gut

Privatermittler Kosuke Kindaichis zweiter Fall führt ihn nach dem zweiten Weltkrieg auf die Insel Gokumon. Er hatte seinem sterbenden Kameraden das Versprechen gegeben, seine Schwestern zu retten. Diese gehören der Stammfamilie der Insel an, die eine ganz eigene Welt ist, nicht nur, weil sie von Nachkommen von Piraten und Sträflingen bewohnt wird. Es dauert nicht lange und die erste Schwester wird ermordet und das wird nicht das einzige Verbrechen bleiben. Mehr verrate ich zum Inhalt nicht!
Seishi Yokomizo ist das japanische Pendant zu Agatha Christie und Sir Arthur Conan Doyle und leider in Deutschland noch wenig bekannt, wofür ich keine Erklärung haben. Das hatte mich schon bei den „Honjin-Morden“ gewundert. Auch „Mord auf der Insel Gokumon“ ist rätselhaft und sehr verzwickt. Automatisch rätselt man mit, allerdings hat sich meine Vermutung nicht bestätigt. Yokomizo ist ein Meister der falschen Fährten.
Kosuke Kindachi ist gewohnt exzentrisch und ein Charakter für sich, doch ist der Krieg nicht spurlos in ihm vorbeigegangen. Und auch der altbekannte Kommissar Isokawa ist wieder mit von der Partie.
Ich mochte den Kriminalroman sehr gern, bin allerdings nicht so begeistert wie von den „Honjin-Morden“. Auch hier waren die Verbrechen wieder sehr gut konstruiert und spektakulär, aber ich hatte das Gefühl, dass es sprachlich nicht so ausgereift war, was ich nicht auf die Übersetzung schieben möchte, denn da hat Ursula Gräfe schon bei dem Vorgänger ihr Können unter Beweis gestellt.
Den Einblick in die japanische Kultur aus diesem speziellen Blickwinkel finde ich faszinierend. Jedoch sollte man im Auge behalten, dass es kurz nach dem zweiten Weltkrieg spielt und von den Rollen, welche die Frauen aufgedrückt bekommen, möchte ich gar nicht erst anfangen. Aber darum soll es bei diesem Krimi auch nicht gehen.
Wer also Sherlock Holmes und Hercules Poirot mag, wird sich freuen Kosuke Kindaichi kennenzulernen.

Bewertung vom 13.08.2023
Die Unbändigen
Hart, Emilia

Die Unbändigen


sehr gut

Kate, Violet und Altha gehören der Linie der Weyward-Frauen an, allerdings spielen ihre Geschichten zu unterschiedlichen Zeiten. Kates 2019, Violets 1942 und Althas 1619. Allen ist gemein, dass sie eine besondere Verbindung zur Natur haben und mit ihr auf besondere Weise interagieren können, sowie dass sie unter Männern und deren Machtausübungen leiden. Kate ist gefangen in einer Beziehung mit einem gewalttätigen Mann. Sie flüchtet in das Cottage ihrer vor kurzem verstorbenen Großtante Violet, die als junges Mädchen von ihrem grausamen Vater dorthin verbannt wurde. Und ganz am Anfang steht Altha, die der Hexerei angeklagt wurde.
„Die Unbändigen“ von Emilia Hart ist nur im Hinblick auf die Gabe der Weyward-Frauen ein Fantasy-Roman, ansonsten ist er in der Realität verhaftet, was mir sehr gefallen hat. Zumal die Gabe aus dieser besonderen Verbindung zur Natur besteht und damit nicht allzu fantastisch ist. Auf vielfältige Weise wird die Gewalt und Macht, die von Männern ausgeübt wird, geschildert, nicht nur in körperlicher und sexueller Hinsicht, sondern auch die strukturelle, gesellschaftliche und konstitutionelle. Der Mann kann machen, was er will, denn die Schuldige und vermeintliche Verursacherin ist ganz klar die Frau.
Kate, Violet und Altha waren mir sympathisch und ihre Schicksale taten weh. Emilia Hart schlüpft gekonnt in die verschiedenen Geschichten und verdeutlicht das auch sprachlich, wobei sie ihr schriftstellerisches Können unter Beweis stellt. Sie entwirft Bilder, die unter die Haut gehen. Zum Ende hatte es einige Längen und vieles war voraussehbar, trotzdem habe ich weitergelesen. Die fast ausschließlich negative Darstellung der Männer fand ich anfangs gut, später etwas zu konstruiert, aber zum Schluss schafft Emilia Hart dann doch noch den Bogen.
Ich werde nicht müde zu sagen, dass solche Bücher wichtig sind, weil sie eine Lebensrealität aufzeigen vor der wir nicht länger die Augen verschließen dürfen!

Bewertung vom 06.08.2023
Die Einladung
Cline, Emma

Die Einladung


gut

Alex schmarotzt sich durchs Leben. Ich kann es nicht anders ausdrücken. Schon in der Stadt hat sie sich von Männern aushalten lassen und sie zum Dank noch bestohlen. Sie hat in einer WG gewohnt ohne Miete zu zahlen und sich einfach an allem bedient. Inzwischen meint es das Leben nicht mehr so gut mit ihr. Ein Lichtblick ist Simon, der sie mit in die Hamptons nimmt. Alex glaubt, der Stadt und den dortigen Problemen entfliehen zu können. Doch dann schmeißt Simon sie raus und sie nimmt ihren Pfad der Verwüstung wieder auf.
„Die Einladung“ von Emma Cline konnte mich nicht richtig überzeugen. Alex war mir durchweg unsympathisch. Die Haltung, die sie an den Tag legte, dieses keinerlei-Verantwortung-übernehmen und nur auf den eigene Vorteil aus sein, kann ich in der Realität schon kaum aushalten, in der Fiktion ist das aber ok. Warum es mir hier nicht gelang, kann ich nicht sagen, ich musste jedenfalls immer wieder mit den Augen rollen. Ihr Maß an Manipulationsgeschickt war für mich nicht nachvollziehbar. Aber die Macht, die bestimmte Kreise und vor allem die Männer, die darin wandeln, besitzen, fand ich gut geschildert.
Passend zu Alex sind viele lose Enden geblieben. Sie selbst interessiert sich nicht dafür, was nach ihrem Abgang passiert und so erfahren wir auch nicht wie die Menschen, die einen kurzen Augenblick von Bedeutung für sie waren, mit dem Chaos umgehen und wie sie das Aufräumen bewältigen. So wie Alex sich selbst nicht richtig wahrnimmt, flimmert auch nur ein vages Bild von ihr vor meinen Augen. Ich kann sie nicht greifen, sie flutscht mir mit ihrer Anpassung, die keine eigene Persönlichkeit enthält, immer wieder durch die Finger.
Sprachlich war es ok, nicht überragend, einige gute Bilder und ein gelungener Sprachfluss haben mich weiterlesen lassen, aber es hat sich dennoch kurzweilig angefühlt. Ich kann nicht behaupten, dass es einen wirklich bleibenden Eindruck hinterlassen hat.

Bewertung vom 31.07.2023
Nachts erzähle ich dir alles
Landsteiner, Anika

Nachts erzähle ich dir alles


ausgezeichnet

Léa flieht in das Ferienhaus ihrer Familie nach Südfrankreich. Sie war schon lange nicht mehr an diesem mit Erinnerungen beladenen Ort und trifft gleich am ersten Abend Alice. Zu einem weiteren Treffen kommt es nicht, da Alice in der Nacht verstirbt. Dafür tritt ihr Bruder Émile in Léas Leben und verwandelt diesen Sommer in einen ganz besonderen.
„Nachts erzählen wir uns alles“ von Anika Landsteiner auf ein paar Worte zu reduzieren, schaffe ich nicht. Dieses Buch hat alles, was ich von einem guten Roman erwarte und noch viel. Es wurde schon mit den ersten Seiten zu meinem absoluten Jahreshighlight. Ich hatte schon „So wie du mich kennst“ gelesen und meine Erwartungen waren dementsprechend hoch, aber Anika Landsteiner hat diese bei weitem noch übertroffen. Mit Léa hat sie eine authentische Protagonist kreiert, die ich direkt vor mir sehen und mit der ich mich identifizieren konnte. Sie hat ihr ganzes Herzblut und Können in diesen Roman gesteckt, was man an jedem gut gewählten Wort merkt und trifft Aussagen, die einfach auf den Punkt sind.
Sie hat sich in mein Herz geschrieben. Das hat sie nicht mit leichter Lektüre geschafft, denn sie bringt Themen auf Tableau wie Trennung, Tod, Abtreibung, Liebe, abwesende Väter und Familienkonflikte. Sie rückt Frauen und Feminismus in den Fokus, ohne die Männer auszuklammern und beschreibt ein Mutter-Tochter-Beziehung, die geradezu perfekt ist, aber niemals kitschig oder abgedroschen wirkt. Sie vereint gleichgeschlechtliche Liebe, Freundschaft, Sehnsucht, Leidenschaft und bündelt es in dem Haus in Frankreich, in das ich immer wieder zurückkehren möchte.
Ich habe mich in den Seiten verloren und wollte nicht wieder auftauchen. Will es immer noch nicht und vermisse Léa, Émile und Claire jetzt schon. Ich konnte es nicht aus der Hand legen und wollte noch weniger, dass es endet.
Ich hoffe sehr, dass diese Autorin noch viel schreibt. Ich werde alles von ihr lesen!

Bewertung vom 30.07.2023
Frag nach Jane
Marshall, Heather

Frag nach Jane


ausgezeichnet

Angela möchte nichts sehnlicher als Mutter werden, aber die künstliche Befruchtung hat mal wieder nicht geklappt. Als sie einen Brief findet, worin eine Mutter beichtet, dass die Tochter adoptiert wurde, muss sie Nancy finden, denn sie weiß, wie es sich anfühlt. Doch Nancy scheint unauffindbar. Diese weiß außerdem bereits von dieser Lebenslüge und hadert schwer damit. Als junge Frau entscheidet sie sich zudem eine damals noch illegale Abtreibung vorzunehmen und lernt dadurch Evelyn kennen, die nicht nur für das Netzwerk Jane arbeitet, sondern ebenfalls eine sehr bewegende Vergangenheit hat.
„Frag nach Jane“ von Heather Marshall ist wohl der aufwühlendste Roman, den ich dieses Jahr gelesen habe. Nicht nur das Thema Abtreibung spielt eine große Rolle, sondern auch das Mutter sein und werden, aber vor allem die Entscheidungsgewalt darüber, die viel zu lange beschnitten wurde und immer noch wird.
Unter dem Deckmantel eines Romans werden Begebenheiten geschildert, die so passiert sind. Frauen, die als „gefallen“ bezeichnet werden, weil sie, egal wie, schwanger geworden sind und denen dann das Baby weggenommen wurde, um es zu verkaufen; Frauen, die bei oder nach stümperhaft ausgeführten, illegalen Abtreibungen gestorben sind; Frauen, die als sie helfen wollten und für ihr Recht kämpften, verhaftet wurden. Das alles ist emotional anstrengend, aber diese Geschichten sind wichtig und gerade im Hinblick auf die USA wieder brandaktuell.
Nicht nur das Thema macht diesen Roman zu einer sehr empfehlenswerten Lektüre. Die drei Protagonistinnen sind starke Frauen, die für das Kämpfen, wofür sie brennen und Heather Marshall beschreibt gekonnt und einfühlsam, aber mit einer Klarheit, die mich oft schlucken ließ.
Am liebsten würde ich allen Menschen, die nicht verstehen, dass jede Frau selbst über ihren Körper entscheiden können sollte und vor allem den Männern, die denken, dass sie sich über Frauen erheben können, diesen Roman unter die Nase halten.

Bewertung vom 27.07.2023
Porträt auf grüner Wandfarbe
Sandmann, Elisabeth

Porträt auf grüner Wandfarbe


sehr gut

Angestoßen durch einen Anruf ihrer Großtante Lily begibt Gwen sich in die Vergangenheit. Sie möchte sich endlich mit der Familiengeschichte auseinanderzusetzen, die durchsetzt ist von Schweigen und Geheimnissen. Alle Fäden laufen bei Ilsabé, Gwens Großmutter zusammen, die von allen nur die Gräfin genannt wird, inzwischen in Chile lebt und damals Tochter Marga, Gwens Mutter, bei ihrer Freundin Ella abgeschoben hat. Ella wurde zu Margas Ziehmutter und hat detaillierte Aufzeichnungen hinterlassen, welche Gwen immer weiter in die Untiefen der Familie führen und die eine zentrale Frage aufwerfen: Welche Schuld hat Marga bei einem Unwetter in die Berge getrieben, wo sie tödlich verunglückte?
„Porträt auf grüner Wandfarbe“ von Elisabeth Sandmann ist ein Reise durch ein ganzes Jahrhundert, welches einerseits geprägt ist von Krieg und Armut, anderseits von Dekadenz. Ella und Ilsabé bilden die beiden Pole und könnten nicht unterschiedlicher sein. Der Roman ist ein anschauliches Beispiel wie Schuld, auch wenn sie vertuscht und verschwiegen wird, eine ganze Familie zersetzen und auffressen kann.
Die schiere Anzahl der Charaktere kann verwirrend sein, aber sie sind gut gezeichnet und alle tragen einen weiteren kleinen Teil zum Lösen des großen Familienrätsels bei. Manchmal gab es einige Längen und die wiederholten Zusammenfassungen hätte ich nicht gebraucht, aber durch die Briefe und den Bericht von Ella (ich möchte es nicht Tagebuch nennen, denn es ist in der dritten Person von Ella geschrieben) ist es abwechslungsreich und die gekonnt eingesetzten Cliffhänger, die sich nur wenig konstruiert anfühlten, ließen mich immer weiterlesen. Auch ich wollte die vielen kleinen Geheimnisse ergründen. Sprachlich ist es etwas in der Zeit hängengeblieben, aber auch das passt irgendwie.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Roman als mehrteilige Fernsehserie verfilmt wird und auch, dass meine Mutter direkt einschalten würde.

Bewertung vom 27.07.2023
Schönwald
Oehmke, Philipp

Schönwald


schlecht

Ruth ist die Matriarchin der Familie Schönwald über die sie vor allem mit Schweigen und Abwiegeln herrscht, gespickt mit Spitzen gegenüber der Schwiegertochter. Ihr Mann Harry kuscht und ihre drei Kinder wollen es ihr ebenso recht machen und merken gar nicht wie sie sich dem Schweigen anschließen. Doch dann will Tochter Karolin einen queeren Buchladen eröffnen, was sie mit dem Geld aus ihrem Erbe mütterlicherseits finanziert. Prompt ruft sie damit „Insta-Kids“ auf den Plan, die das Geld als „Nazigold“ bezeichnen. Und die Schönwalds müssen zugeben, dass sie sich tatsächlich nie mit der Vergangenheit auseinandergesetzt haben.
„Schönwald“ von Philipp Oehmke musste ich abbrechen. 260 Seiten habe ich durchgehalten, weil ich dachte, da kommt noch was. Wer holt denn so weit aus, schildert jede Banalität von jeder Figur, ohne dass es von Bedeutung ist? Vielleicht ist es das auch, vielleicht hätte ich mich weiter durchkämpfen müssen, aber es hat mich einfach nicht gepackt.
Ich hatte das Gefühl, Philipp Oehmke hat bestimmte Themen nur angeschnitten, um zu provoziere und damit mehr zu verkaufen, aber so was will ich nicht mehr lesen. Ich will gute Geschichten, die auf den Punkt sind, nicht Geschwafel, hinter dem ich den Sinn suchen muss.
Beworben wird dieses Romandebüt auch noch mit einem Spiegel-Bestseller-Autor-Aufkleber. Ja klar, wenn man eine Biographie über eine Band wie Die Toten Hosen schreibt, hat man automatisch eine riesige Fanbase hinter sich. Das heißt aber nicht, dass man über 500 Seiten ausholen muss, um jeden Gedanken, den man in den letzten Jahren hatte, zu äußern und dabei auf jeden Zug aufzuspringen, der in der Ferne zu sehen ist, ob es nun Identität, Nazivergangenheit oder Trump ist. Manche kontroverse Passage hat sich auch noch angefühlt als würde er (als Autor) das so meinen, als wär das tatsächlich sein Gedankengut. Hinzu kam der sprunghafte Wechsel der Perspektive, welcher mich immer wieder nach Halt suchen ließ. Sprachlich hat es mich auch nicht umgehauen.
Wieso also weiterlesen?