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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 05.10.2008
Stunde der Rache / Alex Cross Bd.7
Patterson, James

Stunde der Rache / Alex Cross Bd.7


schlecht

Was für eine haarsträubende Geschichte. Wüsste man nicht, dass James Patterson ein durchaus arrivierter Thrillerautor ist, würde man vermuten, dass hier jemand auf der Suche nach dem Erfolg möglichst viele Zutaten untergemischt hat, um durch eine extravagante Geschichte auf sich aufmerksam zu machen. Menschliche Vampirimitate, saugen Blut aus, reißen Stücke aus ihren Opfer, natürlich in Serie, als Biographie wird ihnen der Beischlaf mit der Mutter verordnet, natürlich müssen in der Geschichte auch Leichen geschändet werden. Alex Cross sollte aufschreien, so viel hanebüchener Unsinn ist selten zusammengestellt worden. Zu vermuten ist, dass ein Erfolgsautor wie Patterson unter einem enormen Produktionsdruck steht. Vor allem wenn er sich mit Alex Cross einen Serienhelden aufgehalst hat, der immer hässlichere, bestialischere Morde aufzuklären hat, immer wieder beweisen muss, wie einzigartig sein Verstand arbeitet, um eine große Fangemeinde zufrieden zu stellen. Man mag dem Autor gerne unterstellen, dass seine Recherchen in der Vampirszene authentisch sind, aber man muss nicht jede Suppe kochen, vor allem wenn einem der Suspense verloren geht und durch Beschreibung des Schreckens ersetzt wird. Ermüdend, vielleicht etwas für Splatter-Anhänger. Alex Cross Fans werden enttäuscht.
Polar aus Aachen

5 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.10.2008
Der Stechlin
Fontane, Theodor

Der Stechlin


ausgezeichnet

Ein Roman, von dem der Autor selber sagt, es geschehe in ihm nicht viel: zum Schluss sterbe einer und zwei Junge heiraten, der trotzdem einen festen Platz im deutschen Literaturkanon innehat, muss auf eine andere Weise Faszination versprühen. Es wird viel geredet im Stechlin. Die Menschen verschaffen sich ein Bild von sich und ihrem Land, indem sie darüber sprechen müssen, sich gegenseitig versichern. Fehler, Schwächen, werden dabei nicht radikal ins Scheinwerferlich gezerrt. Sie werden angemerkt, blossgelegt, aufgedeckt, erkannt, wenn nicht gar die Lösung debattiert. In Dubslav von Stechlins Welt kommt es nicht zum Umsturz, sie schwindet dahin. Natürlich ist man da nicht vor Fehlern in der Liebe geschützt, von falschen Entscheidungen frei, Freunde, die einem Böses wollen, laufen einem ohnehin über den Weg. Das Gefühl, dass mit einem selbst eine Welt untergeht, wächst bei Menschen, je älter sie werden. Auch der alte Stechlin nimmt sie mit sich mit. Dieser Ton prägt einen von Fontanes besten Romanen. Wer sich heute über die Krise der Sozialdemokratie mokiert, findet hier die genaue Beschreibung ihres Entstehens, ohne sie zu glorifizieren. Die Welt ist beschaulich am Stechlin. Sie wird in den Jahrzehnten danach hektisch, unübersichtlicher, schneller, umstürzlicher werden. Eine Faszination, die von dem Roman ausgeht, besteht sicher darin, noch einmal in sie abtauchen zu dürfen, sich Fontanes Sprache anzuvertrauen und sich zu wundern, was alles mit dem alten Stechlin untergegangen ist.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 04.10.2008
Die Marquise von O... / Das Erdbeben in Chili
Kleist, Heinrich von

Die Marquise von O... / Das Erdbeben in Chili


sehr gut

Unterschiedlicher kann die Ausgangssituation nicht sein. Die beiden Erzählungen von Heinrich von Kleist erscheinen wie von feiner wie grober Feder geschrieben. Während in der Marquise von O. das Geheimnis lange gewahrt wird, die unbekannte Schwangerschaft über die Marquise wie ein Mysterium hereinbricht, beschreitet Kleist im Erdbeben von Chili gleich das große Tableau von leidenschaftlicher Liebe, Naturkatastrophe und menschlicher Tragödie. Wo er in der Marquise von O. ein feines Gespür für die gehobene Gesellschaft, ihre Scham vor der Bloßstellung in überzeugenden Charakteren spiegelt, den Schandfleck der Vergewaltigung in den Mittelpunkt rückt, ein Tabuthema gleichermaßen zum literarischen Spiel erhebt, scheint im Erdbeben von Chili vor allem das Holzschnittartige, die Faszination für die Katastrophe die Oberhand zu behalten – sei es menschlicher Art, sei sie in der Natur zu suchen. In beiden Erzählungen kommt es zum Konflikt zwischen Eltern und Kindern, sei es die Ehre, sei es die falsche Wahl, die Eltern versuchen ihre Sicht der Welt, ihre Lebensweise rücksichtslos zu wahren. Die Marquise droht nur, verstoßen zu werden, Josephe und Jeronimo hingen bezahlen mit ihrem Leben dafür. Der weitere Weg des Heinrich von Kleist zeichnet sich hier schon ab.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 04.10.2008
Mann im Dunkel
Auster, Paul

Mann im Dunkel


ausgezeichnet

Paul Auster schafft es mal wieder seine Leser mit der Frage, wie es um die Wirklichkeit bestellt steht, in die Irre zu führen. August Brill leidet an Schlaflosigkeit. Es ist weniger so, dass er sich etwas ausdenkt, um die Nacht zu verkürzen, sein Leben rutscht einfach ab, er befindet sich plötzlich mitten in einem amerikanischen Bürgerkrieg wieder, in dem er den Auftrag erteilt bekommt, gegen seinen Willen jemanden zu ermorden. August heißt nun Owen, und es drängt sich der Eindruck auf, dass hier jemand seinem Leben zu entfliehen versucht, indem er in die Farce abgleitet. Brill will nicht wahrhaben, was aus seinem Amerika geworden ist. Auster spielt mit dem Gedanken des Widerstandes, er unterstellt seinem Land, dass es nicht in den Irak-Krieg gezogen ist, dass es sich widersetzt hat, selbst auf die Kosten der Abspaltung hin, des Kampfes der Staaten gegeneinander. Wo manche Schriftsteller ihre politische Meinung über ihre Leser ausgießen, läßt Auster den Figuren freien Lauf. Brill und seine Familie, seine Freunde treiben durch eine Geschichte, auf die das heutige Amerika immer wieder ihren Schatten wirft. Die Hinrichtung eines Fahrers, der sich weniger berufen fühlt, für sein Land zu kämpfen, als dass er Geld mit dem Krieg machen will, taucht im Netz als Video auf, setzt dem literarischen Spiel ein Ende. Auster ist ein zu kluger Autor, als dass er sich vorgaukelt, auf ewig entkommen zu können. Und so bietet sein neuer Roman einen Einblick in die Verstörung einer Gesellschaft, die sich unverstanden, ungeliebt, ihrer Wurzeln beraubt fühlt.
Polar aus Aachen

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.10.2008
Mistlers Abschied
Begley, Louis

Mistlers Abschied


schlecht

Muss es immer Venedig sein, wenn's ans Sterben geht? Zwar kann man verstehen, dass Schriftsteller sich von der Lagunenstadt magisch angezogen fühlen, doch müsste eine Geschichte fester in ihr verankert sein, als bloß eine Plattform für Gedankenspiele, voraussehbare Zufälle und der unausweichlichen Affäre im Alter zu sein. Wer Begleys Schmidt-Romane kennt, die ihren Helden einem beißenden Spott voller Nachsicht ausliefert, seinen fulminanten Roman Lügen in Zeit des Krieges zu schätzen weiß, wird über den Versuch enttäuscht sein, sich literarisch mit dem Sterben auseinanderzusetzen und an großen Vorbildern abzuarbeiten. Wer will nicht, wie auf dem Umschlag versprochen, ein letztes Mal zu leben, zu lieben versuchen. Statt einem letzten Hoffnungsschimmer tauchen wir dank Mistler in einen zähen Gedankenfluss ein, doch wir sind weniger an seinen Erinnerungen als an seiner letzten Herausforderung interessiert. Ein Versprechen, das leider nicht eingelöst wird.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 01.10.2008
Unter dem Vulkan
Lowry, Malcolm

Unter dem Vulkan


ausgezeichnet

Was für ein Roman. Was für eine Kraft. Was für eine Tragödie. Selbst Jahre, nachdem man ihn gelesen hat, ergreifen einen seine Bilder immer noch. In Unter dem Vulkan treffen Mythos und Wirklichkeit zusammen. Ein Schriftsteller und sein Werk spiegeln den aussichtslosen Kampf gegen den Alkohol wieder. Seien die Gründe auch noch so verschieden, immer zur Flasche greifen zu müssen, sich selbst dafür zu hassen, Familie, Arbeit, alle Kraft zu verlieren, Malcolm Lowry ist ein faszinierend ehrlicher, sprachlich meisterhafter Roman gelungen, der sich auf der Schattenseite umsieht, nachdem man sich aufgegeben hat. Lowry selbst spricht von dem unbekannten Land, in das man vordringt und aus dem man nicht zurückkehren kann. Seine Geschichte spielt in Mexiko, dreht sich um einen Ex-Konsul, seine von ihm getrennt lebende Frau und eine Liebe, die scheinbar verloren, wie wahnsinnig nach ihr schreit. Das Leben ist für den Konsul nur noch im Rausch zu ertragen. Freundschaften, Verpflichtungen, Nähe sind darin untergegangen. Wir stehen am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, der alles mit sich in den Abgrund reißen wird. Warum dann sich nicht selbst zerstören? Nur kann eine solche Reise im Alkohol lange dauern und Dämonen tauchen auf, die immer wieder dieselbe Sehnsucht, Fragen, blassen Antworten aufwerfen. Den Konsul beim Trinken zuzusehen, seine Hilflosigkeit, die verloren geglaubte Frau zurückzugewinnen, ist erschreckend zu lesen, und verleiht einem ein Gefühl dafür, wie abgrundtief die Schwäche in einem wüten muss, um die Welt gegen sich selbst richten zu können. Lowrys Roman ist keine Anklage, er ist aus der Mitte der Hölle geschrieben. Sein Autor hat all seine Kraft darauf verwandt, ihn zu Ende zu schreiben. Und so bleibt der nie abgeschickte Brief an die Frau des Konsuls der letzte Aufschrei aus dem Nichts, bevor das Leben darin versinkt. Die Leser jedoch bekommen ein Geschenk gemacht, indem sie in sich die Nähe zum eigenen Untergang begeben, während dieser eine Allerseelentag in Quauhnahuac für den Konsul die Erlösung bringt.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.09.2008
Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch
Solschenizyn, Alexander

Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch


ausgezeichnet

Mit dieser Erzählung tauchten die russischen Gulags in den westlichen Feuilletons auf. Solschenizyns nüchterne Beschreibung eines Tages im Leben eines politischen Gefangenen, dessen Leben von einem Bissen Brot abhängt, sich wehmütig an ein Paar warme Stiefel erinnert, umringt von Lagerinsassen, die dasselbe karge Leben fristen, bewacht von Wärtern, die an ihrem Schicksal nicht interessiert sind, hallte als Aufschrei lange nach. Das Überwachungssystem funktionierte, das Überleben hing von Kleinigkeiten ab. Ein falsches Wort, ein Besitz, den jemand anderes gerne hätte, und das Leben war nichts mehr Wert. Die Zeit stand still, bis das Licht abgeschaltet wurde. Wäre da nicht der Hunger, der einen daran erinnerte, noch am Leben zu sein. Das Werk des späteren Nobelpreisträgers wird immer an eine der dunkelsten Kapitel der Sowjetunion erinnern. Die Tradition, politische Gegner, Aufmüpfige zu verurteilen und wegzusperren, bleibt jedoch auch in der Neuzeit ungebrochen. Überall auf der Welt. Das Leben hinter den Zahlen, die Amnestie International veröffentlicht, begegnet einem in dieser erschütternden Erzählung ungeschminkt.
Polar aus Aachen

7 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.09.2008
Das Gespenst von Canterville
Wilde, Oscar

Das Gespenst von Canterville


ausgezeichnet

Das Blut kehrt immer wieder. Man kann noch so sehr reiben. Auch die Donnerschläge. Somit ist alles angerichtet für den Schrecken um Mitternacht. Nur dass sich die neuen Besitzer davon nicht einschüchtern lassen. Dass Gespenst soll seine Ketten ölen, wird selbst zu Halloween erschreckt. Es steht schlecht um die gute, alte, englische Tradition der Schlossgespenster, wenn ein Anwesen in amerikanische Hände fällt. Oscar Wilde hat eine vergnügliche Schauergeschichte geschrieben. Doch selbst in der Satire gibt es ein Happy End. Auch Gespenster haben ein Recht darauf, in Rente gehen zu dürfen.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.09.2008
Kleider machen Leute
Keller, Gottfried

Kleider machen Leute


ausgezeichnet

Klassiker, die in Schulbüchern landen, haben es schwer, noch als Geschichte wahrgenommen zu werden. Wenn gar der Titel zu einem Bonmot angewachsen, jeder weiß, was damit gemeint ist, wirkt die Geschichte verstaubt, antiquiert, erscheint einem Kellers Sprache umständlich formuliert zu sein. Wer unbelasteter an die Novelle herangeht, erlebt einen Spaß, darf an dem Leben eines Hochstaplers teilnehmen, der geschickt mit der Vorstellung von Bürgerlichkeit, Spießertum jongliert. Der Schneider hätte sein Spiel sicher länger durchgehalten, wäre ihm die Liebe, die Moral nicht dazwischen gekommen. Kellers amüsante Novelle lediglich als Maß für Schulaufsätze, Folien für Philosophiebetrachtungen zu nehmen, raubt ihr jene Kraft, die sie auszeichnet, den schelmischen Blick zur Seite, den sprachlich ausgeschmückten Stil. Er hält seinen Lesern einen Spiegel hin. Wer hineinschauen mag, wird glänzend unterhalten und darf von sich behaupten, er sei ja nicht so.
Polar aus Aachen

6 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.09.2008
Das Fräulein von Scuderi
Hoffmann, E. T. A.

Das Fräulein von Scuderi


ausgezeichnet

Heutzutage würde man diese wundervolle Erzählung wohl als Kriminalliteratur abtun, sie in den Bereich der Unterhaltung abschieben, von einem Plot sprechen. Es wird gemordet, betrogen, ein Unschuldiger soll hingerichtet werden, und es gibt jenes Fräulein von Scuderi, die feenhaft durch die Geschichte weht und dem Guten zum Sieg verhilft. Alles dreht sich um die Kunst des Geschmeides und die Tragödie, ihr allzu sehr verfallen zu sein. Aus der Genialität erwachsen Dämonen, Paris verwandelt sich in einen Ort des Schreckens. E.T.A verstand seine Literatur als etwas, das von Geheimnissen umringt sein musste. Die Erzählung vom Fräulein von Scuderi entwickelt den Sog eines Whodunit und wirft einen kritischen Blick auf die Ständegesellschaft des 17. Jahrhunderts. Wobei der märchenhafte König als letzte Instanz sicher eine bewusste Überzeichnung ist. Kriminalgeschichte, Märchen, wer es liest, wird verzaubert sein.
Polar aus Aachen

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.