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Benutzername: 
kerstin_aus_obernbeck
Wohnort: 
Ostwestfalen

Bewertungen

Insgesamt 70 Bewertungen
Bewertung vom 01.11.2023
The Addams Family - Das Familienalbum
Addams, Charles

The Addams Family - Das Familienalbum


ausgezeichnet

„The Addams Family“ - aber wer sind eigentlich Mortica, Gomez, Pugsley und Wednesday und wer ist ihr Schöpfer Charles Addams? Das Familienalbum erzählt die Geschichte der Familie und ihres Erfinders.

Charles Addams (1912-1988) war ein kreativer Mensch, der eine Vorliebe für Streiche und Abwegiges hatte, zwar nach Außen beinahe „normal“ lebte, aber in seiner Kunst immer wieder eine „andere Seite“ thematisierte.

„Charles Addams hatte zunächst nicht vor, eine ganze Familie zu erschaffen, er wollte eher der Frage nachgehen, wie eine Gesellschaft Charaktere aufnimmt, die einen starken Hang zur dunklen Seite spüren.“ (S. 10)

Am 6. August 1938 erschien die erste Zeichnung von Morticia im „New Yorker“. Nach und nach tauchten weitere Charaktere auf und erfreuen sich schon bald großer Beliebtheit. Die Popularität wächst durch die TV-Serie (1964-1966) - und ist bis heute ungebrochen.
Für die Serie bittet der Produzent um Charakterbeschreibungen der Familienmitglieder, Charles Addams erstellt diese und hat auch Einfluss auf die künstlerische Gestaltung der Serie.
In dem Buch werden die Familienmitglieder vorgestellt, jedes Kapitel beginnt mit der Charakterisierung im Originalwortlaut und beschreibt im Weitern die Entwicklung der Figuren. Neben dem Eiskalten Händchen und Lurch findet sich auch Charles Addams alter Ego Onkel Fester in dem Buch.

»The Addams Family: Das Familienalbum« zeigt alle Originalcartoons in einem Band. Mit mehr als 200 Comics auf über 220 Seiten wird die Geschichte der Familie und die Entwicklung der einzelnen Charaktere erzählt. Das Cover ist einfach wunderschön, schwarz und rot und mit einer Zeichnung, die an ein anderes bekanntes Bild erinnert.

Nun könnte man ja meinen, die Addams sind einfach nur Freaks, aber dem ist nicht so. Bei aller Besonderheit vertreten sie Werte wie Zusammenhalt, sie haben gemeinsame Regeln und Moralvorstellungen, unterstützen sich gegenseitig und geben einander Sicherheit.

Wie viele andere Familien müssen sie ihr Wohneigentum in Schuss halten - und gute Handwerker für Falltüren sind schwer zu finden. Die Kinder werden angehalten, sich eigenständig und verantwortlich um ihr Haustier zu kümmern, ansonsten dürfen sie den Drachen nicht behalten und die Familie freut sich gemeinsam auf Weihnachten und wärmen schon einmal den Kamin vor.

Vielleicht sind wir alle ein bisschen addams?

Dieses Buch ist zum einen informativ und zum anderen großartig, skurril, speziell, bisweilen unkorrekt, schräg, lustig, böse und absolut herrlich! 🖤

Bewertung vom 30.10.2023
Der späte Ruhm der Mrs. Quinn
Ford, Olivia

Der späte Ruhm der Mrs. Quinn


ausgezeichnet

Wenn man alt wird, hat man manchmal das Gefühl, ein einfacheres, ruhigeres Leben würde besser zu einem passen, aber Jenny hat bewiesen, dass man in jeder Phase seines Lebens Träume haben kann … und dass sie gerade wegen und nicht trotz unseres Alters wahr werden können (S. 306)

Jennifer Quinn ist 77 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann Bernhard (82) in Kittlesham. Sie haben es gemütlich in ihrem kleinen Haus und genießen den Ruhestand. Schon 59 Jahre sind sie verheiratet, im kommenden Jahr feiern sie ihren 60 Hochzeitstag und auch nach all den Jahren sind sie einander immer noch sehr zugetan, achten aufeinander und tun sich gegenseitig gut und Gutes. Jenny backt für ihr Leben gern, immer schon. Sie kommt aus einer Familie, in der das Backen eine wichtige Rolle gespielt hat und während Bernie und sie im Fernsehen „Das Backduell“ schauen, kommt ihr die Idee, sich als Kandidatin für die Sendung zu bewerben. Aus Angst, dass sie nicht angenommen oder es eine Enttäuschung wird, hält sie ihre Bewerbung geheim – und es ist nicht Jennys einzige Geheimnis, denn schon seit 60 Jahren gibt es etwas, dass niemand erfahren darf.

„Der späte Ruhm der Mrs. Quinn“ erzählt von der fabelhaften, patenten Jenny Quinn. Mit ihrem Mann Bernhard erlebt sie intensiv „den Herbst des Lebens“, beide sind sich der Endlichkeit bewusst, gehen liebevoll und zugewandt miteinander um und aufeinander ein. Bernie ist ruhig, besonnen und liebt seinen Garten und Jenny stürzt sich mutig in das Abenteuer, an der TV-Show teilzunehmen. Diese Teilnahme wirbelt ihr ruhiges Leben durcheinander – und ist für Jenny auch auf andere Weise eine Herausforderung, da es Erinnerungen an früher heraufruft, an die Zeit, bevor sie mit Bernhard verheiratet war und aus der sie noch immer ein Geheimnis mit sich herumträgt. Diese Zeit wird in dem Roman in Rückblenden erzählt und so wird nicht nur nachvollziehbar, warum Jenny das Backen so sehr liebt.

Die einzelnen Kapitel sind mit Backwaren betitelt und in dem Buch wimmelt es nur so von Schwarzwälder Kirsch und Co;
1 Millionen liebevolle Kalorien auf 400 Seiten.

Jennys Rezeptesammlung beinhaltet Rezepte von ihrer Oma und Mutter und mit diesen Rezepten sind Erinnerungen an geliebte Menschen und besondere Momente verbunden. Es sind auch Jennys Erinnerungen und ihre Geschichte, die mich berührt haben und sie zeigen, dass es gut ist, dass sich die Zeiten in mancher Hinsicht geändert haben.

Ein Wohlfühlroman, der warmherzig eine wunderbare Geschichte von Liebe, Träumen und Mut erzählt.
Große Leseempfehlung!

Bewertung vom 07.10.2023
Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2
Yokomizo, Seishi

Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2


ausgezeichnet

Jane Marple, Sherlock Holmes, Kalle Blomquist, Kosuke Kindaichi.
ähm…Kosuke wer?
Genau! Mir war dieser Name zuvor auch kein Begriff. Aber nun bin ich im #teamkosuke und begeistert von den Krimis von Seishi Yokomizo, in denen Kosuke Kindaichi ermittelt.

September 1946, „Die rätselhaften Honjin-Morde“, der erste Fall von Kosuke Kindaichi liegen 9 Jahre zurück und kehrt aus dem Krieg zurück.
Auf dem Rückweg hat ihn sein Kriegskamerad und Freud Chimata Kito im Sterben liegend gebeten in seine Heimat, auf die Insel Gokumon zu reisen, um dort zu verhindern, dass seine 3 Halbschwestern ermordet werden.
Mit einem Empfehlungsschreiben an den Bürgermeister, den Arzt und den Priester der Insel reist Kosuke nach Gokumon, nicht wissend, was ihn dort erwartet.

Gokumon ist eine abgelegene Insel, die nur per Boot zu erreichen ist. Die Bewohner leben von der Fischerei und die Familie Kito betreibt den größten Fischereibetrieb, dessen Erbe Chimata gewesen wäre. Die Familienverhältnisse sind etwas wirr, neben seinem Cousin, der noch nicht aus dem Krieg zurück ist, sind die 3 Halbschwestern erbberechtigt. Ferner gibt es noch einen Seitenzweig der Familie Kito, der ebenfalls Anspruch auf eine Vormachtstellung auf Gokumon erhebt.

Bereits auf der Überfahrt trifft Kosuke den Priester und erhält die Möglichkeit, für die Zeit des Aufenthaltes bei ihm zu wohnen.
Auch wenn sich manche Bewohner ein wenig merkwürdig verhalten, Gokumon etwas weltfremd und realitätsfern erscheint, ist die Welt dort doch überwiegend in Ordnung und es scheint keine Gefahr für die Halbschwestern zu bestehen. Aber der Schein trügt, denn bald schon wird Hanako, die älteste Halbschwester, tot aufgefunden.

Ich habe bereits den 1. Fall von Kosuche Kindaichi gelesen und bin erneut total begeistert - dies ist ein richtig guter Krimi der allerbesten Sorte.
Ruhig und ausführlich wird der Lesende mit auf die Insel genommen, mit der Umgebung und den Menschen vertraut gemacht. Seishi Yokomizo erzählt wunderbar, spricht immer wieder die Leser*innen an und beschreibt lebhaft Land, Leute und Lebensart.
Die Lösung dieses Krimis ist raffiniert und absolut christie-like!

In dem Buch findet sich ein Personenregister, welches für mich recht hilfreich war. Ferner gibt es auch ein interessantes Glossar, dass dem Lesenden interessante Informationen gibt.

Große Leseempfehlung!

Bewertung vom 10.09.2023
Der Klopapierkönig
Ernestam, Maria

Der Klopapierkönig


sehr gut

Ejnar Svensson ist Beamter im schwedischen Vallerås. Fleißig und unauffällig geht er seiner Arbeit nach, dem Einkauf von Dienstleistungen und Gütern. Er macht seine Arbeit gut, wirft das Geld nicht mit vollen Händen zum Fenster raus, sondern wirtschaftet klug und umsichtig.
Doch dann ist da dieser eine Moment der Unachtsamkeit, denn bei den 4 Einheiten Toilettenpapier, die er zur Probe bestellt, handelt es sich nicht um 4 Rollen, Pakete oder Paletten – sondern um 4 volle Lkw. Und nicht nur die Menge gewaltig ist - einlagig und recycelt findet nicht jedermanns Zustimmung.

Aber nun ist es passiert. Der Bürgermeister, der die Geschichte erzählt, organisiert pragmatisch die Lagerung und bringt das Papier in Umlauf. In Vallerås öffentlichen Einrichtungen gewöhnt man sich daran und nach einem kleinen Moment der Aufregung kehrt wieder Ruhe ein.

Diese ist jedoch schlagartig vorbei, als ein Fernsehteam eine Reportage über den Umgang mit öffentlichen Mitteln plant. Die große Menge zu einem guten Preis, sowie der Einsatz von Recyclingpapier wird als sparsam und umweltfreundlich erkannt. Dass dies auf einem Fehler beruht, findet keine Erwähnung und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Aus einem Beamten, der einfach nur seine Arbeit machen möchte, wird ein Held, ein König Widerwillen - und der ambitionierte Bürgermeister nutzt die Situation zur Erweiterung der eigenen Popularität und der Bekanntheit des Ortes.

Maria Ernestam erzählt in ihre kleinen, feinen Kurzroman eine charmante Geschichte, die jedoch nicht stumpf ist, sondern zum Nachdenken anregt, aber nicht, wie viele Lagen und welches Material es braucht, sondern wie weit der eigene Ehrgeiz gehen darf und über den Einfluss der Medien.

Zunächst habe ich gedacht, dass die Geschichte in Richtung „Guten Tag, mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein“ geht – aber es geht nicht um Schreibpapier und Radiergummis für 40 Jahre oder palettenweise Senf. Es geht um einen Mann, der einfach nur in Ruhe seiner Tätigkeit nachgehen will, der kein Held und König sein möchte, jedoch keine Chance hat, dem ganzen Theater, den Medien und seinem karriereorientierten, öffentlichkeitssuchenden Chef zu entfliehen.

Ein feiner, lesenswerter Kurzroman.

Bewertung vom 10.09.2023
Kleine Probleme
Pollatschek, Nele

Kleine Probleme


gut

31.12.2000irgendwas.
Ein Jahr geht munter dem Ende entgegen und auch hinter Lars liegen 365 (oder 366) Tage.
52 Wochen, in denen so allerlei hätte erledigt werden können, ja, manches sogar müssen.
12 Monate, die Lars scheinbar wunderbar verdaddelt hat.
Nun ist es 5 vor 12.
Es gibt viel zu tun und gute Gründe, dass Lars seine ToDo-Liste abarbeitet.

Leider ist Lars jedoch eher nicht der große Macher, kein Mensch, der motiviert etwas erledigt.
Nö, Lars ist vielmehr ein Großmeister von „gut Ding will Weile haben“, über Jahre hat er sich in „kommst du heute nicht, kommst du morgen“ geübt und wäre Larifari olympisch, dann wäre er ein Anwärter auf eine Goldmedaille.

Als angehender Schriftsteller, Phantast und Traumtänzer trödelt er sich so durchs Leben und vielleicht wäre das okay, wenn da nicht Johanna und die Kinder wären. Seine Familie kommt nach all den Jahren nicht mehr allzu sehr auf seine maximale Prokrastination klar und sieht das ewige Vertagen, dass einst lustig liebenswert war, inzwischen deutlich kritischer.

An Silvester bietet sich die Chance, das Ruder noch mal rumzureißen. Viel Zeit bleibt Lars jedoch nicht bis Mitternacht.

Tja, was soll ich zu dem Roman sagen? Zunächst einmal, dass Nele Pollatschek wirklich wunderbar mit Wörtern spielen kann und sich Seite um Seite feine, poetische, nachdenkliche Zeilen finden.

„Wenn alles einfach ist und einfach ist viel zu schwer.“ (S. 20)

Ich liebe diese Wortspielereien, die Gedankengänge und Abschweifungen.

Aber:
es spricht ja nichts dagegen mal 5 grade sein zu lassen –mit dem Lebenskonzept von Lars kann ich aber nichts anfangen; phasenweise hat mich seine Art ziemlich nöckelig gemacht, ich habe sein Verhalten nicht verstehen können und das kontinuierliche Fabulieren, um nur nix tun zu müssen, als ziemlich nervig empfunden.

Ich hätte das Buch wirklich gerne gemocht, es hat auch feine Momente, aber im Großen und Ganzen hat mich die Geschichte jedoch leider nicht angesprochen.

Bewertung vom 03.09.2023
Die Tage in der Buchhandlung Morisaki
Yagisawa, Satoshi

Die Tage in der Buchhandlung Morisaki


ausgezeichnet

Der Roman „Die Tage in der Buchhandlung Morisaki“ stand schon eine Weile auf meiner Wunschliste, anschubst durch die Empfehlung in der Buchhandlung meines Vertrauens ist das Buch dann nun bei mir eingezogen.

Takako fällt aus allen Wolken, als ihr Freund (und Kollege) Hideaki ihr eröffnet, dass er heiraten wird. Besonders schmerzhaft ist, dass nicht sie die Auserwählte ist, sondern seine Verlobte. Mit der Gesamtsituation überfordert kündigt Takako ihren Job und zieht sich in ihre Wohnung zurück – ein Zustand, der schon aus finanziellen Gründen nur temporär aufrecht zu erhalten ist. In dieser Situation meldet sich ihr Onkel Satoru, der in Jinbocho, dem größten Antiquariatsviertel der Welt, eine auf frühmoderne Literatur japanischer Autor*innen der 1. Hälfte des 20. Jhd. spezialisierte Buchhandlung betreibt.
Er bietet ihr an, ihn im Laden zu unterstützen und über dem Laden zu wohnen.

Zunächst zeigt Takako wenig Interesse an den Büchern, dem Buchladen, ihrem Onkel und den Menschen im Umfeld des Antiquariats; wenn sie nicht arbeitet, schläft sie. Aber Satoru lässt nicht locker und geht immer wieder auf Takako zu und so findet sie nicht nur einen Zugang zu den fabelhaften Büchern des Antiquariats, sondern auch einen Weg zurück in das Leben.

Sehen? Was bedeutet das? Es bedeutet, mit einem Teil, vielleicht sogar der ganzen Seele Besitz von etwas zu ergreifen.“ (S.51|Kajii Motojiro – Landschaften einer Seele)

Satoshi Yagisawa erzählt unaufgeregt eine wunderschöne Geschichte von Liebe, von Verlust und von Hoffnung. Nicht nur Takako hat eine Liebe verloren, in dem Roman begegnet man weiteren Personen, die sich nicht trauen zu lieben, deren Liebe nicht erwidert wird oder die weniger zurückgeliebt werden. Die Charaktere sind etwas distanziert, aber nachvollziehbar beschrieben und das Buch beschreibt leise, aber kraftvoll wie wichtig es ist, zu hoffen und in der Hoffnung von Herzensmenschen bestärkt zu werden.

Ergänzt wird das Buch durch schöne Zitate aus japanischen Büchern.
Ein wunderbarer Roman. Absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 03.09.2023
Das Summen unter der Haut
Lohse, Stephan

Das Summen unter der Haut


sehr gut

Sommer 1977 – Julle ist 14. Wie auch bei anderen Vierzehnjährigen passiert bei ihm im Leben, im Kopf und im Körper gerade ganz viel – Schule, Gefühle, Freunde, Freibad, Geburtstagsfeten (ja, früher hieß das noch so). Eltern, die ihn mal verstehen und mal nicht. Der ganz normale Wahnsinn, wenn man in der Erwachsenwerden-Achterbahn sitzt und den Eindruck hat, nicht angeschnallt zu sein.

Kurz vor den Sommerferien kommt Axel neu in seine Klasse. Julle verliebt sich – er zählt die Tage, Stunden, Minuten und Sekunden, die sie sich kennen, sehen, Zeit miteinander verbringen. Es entsteht eine Freundschaft und Julles Gedankenkarussell hat einen neuen Dreh- und Angelpunkt. Die Freundschaft zu Axel gibt ihm Mut, er wächst ein wenig über sich hinaus. So plötzlich wie Axel in sein Leben geknallt ist, so plötzlich verschwindet er aber auch wieder. Von jetzt auf gleich, nach 44640 Minuten mit Julle. 2 678 400 Sekunden, die Julles Leben verändert haben.

„Das Summen unter der Haut“ erzählt vom Aufwachsen und Erwachsenwerden in den 70ern. 1977 war ich 6 Jahre alt, aber vieles von dem, was Stephan Lohse über die 70er schreibt, hat einen großen Wiedererkennungswert, sei es aus dem eigenen Erlebten, den Erinnerungen oder dem, was man über dieses Jahrzehnt liest, sieht und hört. Eine Welt zwischen Nachkriegs-Spießertum mit Eiche rustikal Schrankwand und Aufbruch in eine andere Zeit, ein anderes Denken. Diese Stimmung wird in dem Buch mit Witz und Charme wiedergegeben. Die Charaktere werden gut beschrieben, die Geschichte ist schlüssig und phantasievoll.

Ich hätte mir gewünscht, dass einige der angedeuteten Handlungsstränge weiter- oder gar zu Ende geführt werden. 176 Seiten ist ja nicht das Ende der Fahnenstange, da wären bestimmt noch ein paar Seiten möglich gewesen, um den Schluss des Romans etwas weniger abrupft erscheinen zu lassen.
Gut gefallen, sogar ein bisschen bewegt hat mich der letzte Absatz. Sehr schöne Worte.

Alles in allem ein wunderbares Buch. Leseempfehlung!

Bewertung vom 03.09.2023
Sylter Welle
Leßmann, Max Richard

Sylter Welle


ausgezeichnet

Lore und Ludwig haben in ihrem Leben gern Urlaub gemacht, bevorzugt Camping und dies gern auch auf Sylt. Nun gehen beide auf die 90 zu, für einen vielleicht letzten Urlaub auf der Lieblingsinsel haben sie ein Apartment in der „Sylter Welle“ gemietet und ihren Enkel Max für das Wochenende eingeladen.
Eigentlich ist für Max alles wie immer - und doch ist vieles anders. Natürlich ist Oma Lore noch immer resolut und Opa Ludwig nimmt vieles mit einem Augenzwinkern, jedoch wird die Leichtigkeit der Ferien, der Eindruck der schieren Unendlichkeit, den die Sommerferien früher versprüht haben, bei diesem Besuch vermehrt und sehr intensiv von Veränderung und Endlichkeit abgelöst.

Gemeinsam verbringen sie ein Wochenende, reden und schweigen über vergangene Zeiten, leben im Hier und Jetzt und genießen das Beisammensein.

„Ich sehe die beiden vor mir, wie sie da so nebeneinanderhocken, und es ist beinahe unmöglich, mir vorzustellen, dass sie ja irgendwann einmal zwei völlig voneinander getrennte Leben geführt haben müssen.“ (S.128)

„Sylter Welle“ erzählt die Geschichte einer Familie, die auch meine Familie sein könnte – insbesondere die bisweilen spröde westfälische Herzlichkeit ist mir nicht fremd.
Ja, Kartoffeln sind solide und um eine Schramme am Knie macht man kein großes Gewese. Selbstverständlich sind Detmolder Landbier und Pickert eine Spezialität, zum Glück sind die Zeiten von „Bärenfang“ vorbei (ich habe mich extra bei meinen Eltern erkundigt)

Der Autor erzählt aus dem Leben von Lore und Ludwig, von ihren Kindern und Enkeln, als ob man sich schon ewig kennt. Eine Familie, die sich nicht durch inflationäre Zuneigungsbekundungen hervortut, die jedoch füreinander da ist; Freud, Leid und Veränderung miteinander teilt. Und Max Richard Leßmann formuliert ganz wunderbar die Empfindung, die mit der Erkenntnis der Endlichkeit einhergeht.

Ein wunderbarer, zwischenzeilig warmherziger Roman. Dieser Text voller Wärme, Zuneigung und Liebe hat mich sehr berührt.

Bewertung vom 03.09.2023
Die Butterbrotbriefe
Henn, Carsten Sebastian

Die Butterbrotbriefe


ausgezeichnet

Kati Waldstein ist fast 40, Verwaltungsangestellte, geschieden und es hält sie nur wenig in dem Ort, in dem sie lebt. Ja, da sind Onkel Martin, der eigentlich Versicherungen verkauft, aber mehr Zeit und Enthusiasmus in sein Arktis-Museum steckt und Madame Catherine, Friseurin, Freundin, ein wenig Ersatz-Familie – aber das war’s dann auch irgendwie.
Kati möchte nicht feststecken, sie will weiterziehen und ein neues Leben beginnen. Ihr Vater hat über Jahre Butterbrotpapier für sie gesammelt und dieses nutzt sie nun, um per Brief Abschied zu nehmen und „Lebwohl“ zu sagen.
37 Briefe sind es, die sie per Hand oder mit der Schreibmaschine verfasst und dem jeweiligen Empfänger persönlich überbringt. Und mit jedem weiteren Brief rückt der Abschied näher.

Severin hat bereits sein altes Leben, die Familie und Arbeit als Klavierstimmer, hinter sich gelassen. Die Beiden begegnen sich und Severin ist überzeugt, dass er Kati nicht zufällig getroffen hat. Aber die Schatten ihrer Vergangenheiten und Katis fester Entschluss, einen Neubeginn zu wagen, sind wuchtige Steine, die ihnen das Schicksal in den Weg gelegt hat.

Was soll ich sagen? „Die Butterbrotbriefe“ ist einfach eine schöne Geschichte.

Kati, mit ihrem orangefarbenen Beetle, ihrer Sympathie für The Verve, Oasis und Blur und ihrem Engagement für Andere, resolut, emphatisch, verletzlich, ist eine tolle Protagonistin.
Severin ist ein Träumer, ein Mensch, der in Landschaften Musik sieht, ein Feingeist, dem es das Leben nicht leicht gemacht hat, dem es an Vertrauen und Hoffnung mangelt, der aber auch Mut hat und das Schöne erkennt.

Wenn Carsten Henn erzählt, dann ist das alles sehr bildhaft. Ich sehe das Museum samt Elch und Rentier, den Friseursalon und das Kino vor mir, höre Madame Catherine singen und Onkel Martin von der Arktis erzählen, erlebe eine Geschichte vom Suchen und Finden, von Abschied und Ankommen.

„Die Butterbrotbriefe“ ist ein wunderbarer Wohlfühl-Roman. Große Leseempfehlung!

Bewertung vom 13.08.2023
Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach
Mattera, Julia

Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach


gut

Robert Walch, 51, ist ein Freak, ein Eigenbrötler und ein Sonderling (geklaut bei TBBT).
Mit seiner Schwester Elsa hat er nach dem Tod der Eltern den Bauernhof der Familie zu einer Auberge umgebaut. Elsa kümmert sich um die Gäste, Robert ist für die Küche zuständig.
Er legt großen Wert darauf, saisonal und regional zu kochen, einiges baut er selbst im eigenen Gemüsegarten an.
Das Lebensmotto von Robert ist „Hauptsache nix mit Menschen“, er muckelt einsam vor sich hin und die Versuche seiner Schwester, ihn mal unters Volk oder gar an die Frau zu bringen, scheitern kläglich. Derartige Aktionen werden maximal uncharmant abgeblockt, lediglich für seine Schwester und deren Kinder empfindet er eine gewisse Zuneigung.
 
Anstatt mit Menschen unterhält er sich lieber mit seinen Hühnern oder eben mit seinem Gemüse. Dieser tägliche Gedankenaustausch zwischen Mann und Federvieh & Grünzeugs wird jedoch jäh gestört, als zunächst Fatima und ihr Sohn Hassan auf den Hof kommen, um in der Saison zu unterstützen. Noch mehr Störung stellt jedoch Fatimas Freundin Maggie aus London da, die für eine Auszeit ins Elsass kommt und mit ihrer unbekümmerten Art Roberts Ruhe und seine Überzeugung, dass er im Prinzip ziemlich glücklich ist, ins Wanken bringt.
 
„Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach“ ist ein feelgood-Roman im allerbesten Sinne. Das Elsass sowie seine Küche werden von der Autorin mit viel Liebe beschrieben. Die Handlung ist zwar erahnbar, aber das Buch unterhält gut.
Okay, ich fand an der einen oder anderen Stelle die Zwiegespräche des Protagonisten mit Tomaten, Rhabarber und Auberginen etwas strange und Hühnern Gute-Nacht-Lieder zu singen ist für mich, die ich ja auch ein Dorfkind bin, irgendwie seltsam. Aber jeder so wie er mag.
 
Alles in bietet der Roman ganz nette Unterhaltung.