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Benutzername: 
kerstin_aus_obernbeck
Wohnort: 
Ostwestfalen

Bewertungen

Insgesamt 45 Bewertungen
Bewertung vom 09.03.2023
Der betrunkene Berg
Steinfest, Heinrich

Der betrunkene Berg


ausgezeichnet

Der betrunkene Berg / Heinrich Steinfest
 
Eine Buchhandlung auf einem Berg in 1.765 m Höhe und ein vor dem Erfrieren geretteter Unbekannter – mir hat der Klappentext gereicht, damit ich neugierig auf das Buch war.
 
Katharina Kirchner betreibt auf einem Berg eine Buchhandlung. Nach persönlich und beruflich bewegten Jahren hat sie sich für dieses Leben entschieden. Von Oktober bis Dezember ist die benachbarte Schutzhütte nicht besetzt und Katharina ist allein auf dem Berg. Bei einer Tour entdeckt sie einen Mann in Sommer-Wanderbekleidung, der halb erfroren im Schnee liegt. Katharina ist überzeugt: „hier oben stirbt keiner“ und rettet „den vom Unglück verzauberten Bären“. Der Fremde kann sich nicht erinnern, wer er ist und was er auf dem Berg wollte. Katharina gewährt ihm den Wunsch, eine Weile bei ihr bleiben zu dürfen und da der richtige Name nicht bekannt ist, einigen sie sich auf den Namen Robert.
 
Die Beiden gestalten den Alltag in der Abgeschiedenheit, indem sie den Buchladen renovieren, Robert seine Qualitäten als Koch unter Beweis stellt und sie sich aus dem Buch „Selbstporträt eines lächelnden Mannes auf der Spitze des Berges“ (ein Buch im Buch mit einer ebenfalls bemerkenswerten Geschichte) vorlesen. Nach und nach kommen Roberts Erinnerungen zurück.
 
„So war die Natur. Ein achselzuckendes, geniales Wesen zwischen Feingeist und Monstrum.“ - und dies gilt nicht nur für die Natur, sondern auch für die Protagonisten des Romans, wie der Leser im Laufe der Geschichte erfährt. Das Buch beginnt unaufgeregt und gelassen, selbst die Entdeckung des Fremden erscheint unspektakulär, jedoch ist von Beginn eine Spannung vorhanden, die durch die unerwarteten Wendungen gesteigert wird, bis die Geschichte ein überraschendes Ende nimmt.

„Die Sonne wirkte so groß und greifbar nahe, als sei sie ein riesiges Loch im Himmel, eine fantastische Wunde, durch die das helle Blut des Universums flutete.“ - der Autor beschreibt Personen, Orte und Situationen wunderbar bildhaft. Ich war beim Lesen mit auf dem „Bücherberg“.

Ein fesselnder, gewaltiger Roman. Unbedingt lesen!

Bewertung vom 09.03.2023
Die Ladenhüterin
Murata, Sayaka

Die Ladenhüterin


ausgezeichnet

Die Ladenhüterin / Sayaka Murata

Schon als Kind ist Keiko Furukara speziell, fehlende Emotionen und unerwartete Verhaltensweisen sind für ihre Familie und ihr Umfeld nicht nachvollziehbar und führen zu Problemen.

~ „Jetzt guck doch mal, Keiko, das ist doch traurig, das arme Vögelchen (ist tot)“, flüsterte meine Mutter unentwegt auf mich ein, aber ich fand das kein bisschen. ~

Keiko erkennt, dass ihr Verhalten ihre Umwelt irritiert. Mit der Strategie nur das Nötigste zu sagen und sich aus allem herauszuhalten, bewältigt sie die Schul- und Unizeit.

~ Meine Freizeit verbrachte ich grundsätzlich allein, persönliche Unterhaltungen führte ich nie. Ich fand überhaupt keinen Anschluss an die Gesellschaft. ~

Während des Studiums nimmt sie einen Aushilfsjob in einem 24/7-Supermarkt an, diesen behält sie auch nach dem Uni-Abschluss, denn der Konbini mit seinem Handbuch,
seinen Regeln und strukturieren Abläufen gibt ihr Sicherheit.

~ Zum ersten Mal war es mir gelungen, am normalen Leben teilzunehmen. Als wäre ich gerade erst geborgen worden. Mein erster Tag im Konbini war mein Geburtstag als normales Mitglied der Gesellschaft. ~

Die Normalität, wie Keiko sie empfindet, ist jedoch nicht real und für die Ewigkeit. Das Imitieren anderer Menschen und maximale Anpassung verhindern nicht, dass es im Leben immer wieder zu irritierenden Situationen kommt.
Mit Mitte 30 muss sie sich dann fragen lassen, warum sie noch immer einen Aushilfsjob ausübt, nicht verheiratet und kein normales Mitglied der Gesellschaft ist. In dieser Situation begegnet sie Shiraha.

„Die Ladenhüterin“ - ein ganz besonderes Buch. Mit seiner Doppeldeutigkeit gibt der Titel bestens auch Keikos Situation wieder. Die Autorin hat einen fluffig-lesbaren Stil, die Charaktere sind gut beschrieben und die Geschichte ist originell.
Die Fragen, was normal ist, wie man zu einem normalen Mitglied der Gesellschaft wird und die damit verbundene Kritik, dass Individualität zur Ausgrenzung führen kann und Konformität eine mögliche Lösung ist, haben mir gut gefallen.

Ein Einblick in die japanische Kultur, eine Geschichte, die lesenswert ist und nachdenklich macht.

Bewertung vom 09.03.2023
Before the Coffee Gets Cold
Kawaguchi, Toshikazu

Before the Coffee Gets Cold


ausgezeichnet

Before the coffee gets cold / Toshikazu Kawaguchi
 
Eine urbane Legende berichtet von einem Café in Tokyo, das seinen Besuchern eine Reise in die Vergangenheit ermöglicht. In dem Roman „Before the coffee gets cold“ werden die Geschichten der Inhaber Nagare und Kei, der Mitarbeiterin Kazu sowie von Fumiko, Hirai, Kothake und Fusagi, Gästen des „Funiculi Funicula“ erzählt.
 
Wer kennt es nicht, dass einen mitunter beschäftigt, was ungesagt oder unterlassen blieb?
 
-     ich hätte es sagen sollen
-     er soll wissen, dass ich immer für ihn da bin
-     hätte ich mich doch nur nicht immer verleugnen lassen
-    ich möchte es einfach nur sehen
 
Vielfältige Gründe führen zu dem Wunsch, in der Zeit reisen zu wollen, jeder Gast hat seine eigene Geschichte und unter bestimmten Bedingungen und Einhaltung wichtiger Regeln gibt es in dem Café tatsächlich die Möglichkeit, eben genau diesen Wunsch zu erfüllen.
Eine der Regeln besagt, dass man die Gegenwart nicht ändern kann. Die wichtigste Regel jedoch ist, von der Reise zurückzukehren, bevor der zu Beginn servierte Kaffee kalt ist.
 
Der Roman umfasst nur wenige Figuren, die untereinander auf vielfältige Weise in Verbindung stehen und erzählt von den Gründen, warum sie in die Vergangenheit möchten.

Mich hat die Geschichte von der ersten Seite an begeistert, Toshikazu Kawaguchi beschreibt die Figuren und die Umgebung so lebhaft, dass ich das Gefühl hatte, ebenfalls mit einem Kaffee in dem Café sitzend, die Szenerie zu beobachten.
Die Gründe für den Wunsch nach einer Zeitreise sind vielfältig, bei jeder Person nachvollziehbar und die Geschichte hat mich sehr nachdenklich gemacht und berührt.

If I could turn back time…
 
Ein besonderes Buch, dass es wirklich wert ist, gelesen zu werden!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.03.2023
Das glückliche Geheimnis
Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis


gut

Das Glückliche Geheimnis / Arno Geiger

Es war das Cover mit seinen fröhlichen Farben und ein Klappentext, der mich neugierig gemacht hat und so habe ich an einem trüben Tag im Februar „Das Glückliche Geheimnis“ gekauft.

„Ein Buch voller Lebens- und Straßenerfahrung, voller Menschenkenntnis, Liebe und Trauer.“
 
In dem Roman erzählt Arno Geiger von seinem Weg als Schriftsteller. Er berichtet von seiner Familie, den Sorgen um Eltern, die älter werden, von Beziehungen und Affären, Familie und Freunden und davon, dass er über einen langen Zeitraum die frühen Morgenstunden damit verbracht hat, das Altpapier von Wien zu durchsuchen. Was durch einen Zufall begann, entwickelt sich zu einem wichtigen Teil seines Tagesablaufes und seiner Arbeit - und sichert auch durch verwertbare Zufallsfunde die Existenz eines zunächst nicht erfolgreichen Autors.
Bücher, Drucke, Postkarten, Briefwechsel, all das findet er auf seinen Streifzügen. Einiges wird auf dem Flohmarkt verkauft, anderes dient, um mehr vom Leben der Menschen zu erfahren und zur Inspiration. Diese Touren sind „Das glückliche Geheimnis“ des Autors.

Das Buch erzählt von Höhen und Tiefen, einem leidenschaftlichen Künstlerleben, einer Gratwanderung zwischen Buchpreis und Burnout und von Liebe in vielfältiger Art und Weise.
 
Zunächst bin ich nicht richtig in die Erzählung reingekommen und wollte es schon zu den „lese ich irgendwann mal“-Büchern legen, denn auch wenn die Erzählweise flüssig und das Erzählte sicher sehr ehrlich ist, fehlte mir irgendwie Sympathie für die Geschichte. Aber dann waren da auch diese schönen Beschreibungen von Wien, wenn die Stadt morgens erwacht. Und auch die vielen wunderbaren Denkanstöße bezüglich Besitzes, erfülltem oder angefülltem Leben, nach der Frage, was bleibt und die verschiedenen Blickwinkel, die sich daraus ergeben, haben mir gefallen.
 
Es war letztlich ein anderes Buch, als ich erwartet habe.
Es ist ein Roman mit schönen Momenten.