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Benutzername: 
Xirxe
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Hannover
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 867 Bewertungen
Bewertung vom 06.06.2021
Der Junge, der das Universum verschlang
Dalton, Trent

Der Junge, der das Universum verschlang


ausgezeichnet

Eli, 12 Jahre alt, lebt mit seinem ein Jahr älteren Bruder Gus bei der Mutter und deren Freund, den er wie einen Vater liebt. Die Beiden dealen mit Heroin, währenddessen Slim auf die Jungs aufpasst: ein ehemaliger Häftling, der wegen Mordes nach 30 Jahren vor kurzem aus dem Knast entlassen wurde. Doch trotz dieses nicht gerade kindgerechten Umfeldes ist Elis Leben geprägt von Liebe, Freundschaft und Zuwendung, selbst in den schwierigsten Momenten.

Obwohl die schrecklichsten Dinge geschehen, die selbst in Eli einen Todeswunsch auslösen, findet er immer wieder zurück zu seinem Vertrauen und dem Glauben an das Gute im Leben und im Menschen. Dabei helfen ihm nicht nur seine Familie und Freunde, sondern auch seine Phantasie, die ihn selbst in den übelsten Momenten nicht verlässt.

Eli ist der Ich-Erzähler dieser rund 550 Seiten und als Lesende begleiten wir ihn bis zu seinem 18. Lebensjahr. Er ist der geborene Geschichtenerzähler und hat einen Blick für die kleinsten Details:

Wahres Wissen besteht aus Einzelheiten, sagt Slim. Und Wissen ist Macht.
Seite 136

Einigen mag dies zu ausufernd sein, doch Eli erzählt witzig und durchaus selbstironisch, wobei es für einen 12-, 13jährigen manchmal aber etwas sehr erwachsen klingt. Bedenkt man jedoch, unter welchen Umständen er lebt, mag es nicht weiter verwundern

Dad lächelt und nickt. Nächtliche Panikattacken. Suizidal-depressive Phasen. Dreitägiges Komasaufen. Von Fäusten aufgerissene Augenbrauen. Gallige Kotze. Dünnschiss. Braune Pisse. Das ist unsere Wirklichkeit.
Seite 342

Einerseits ist es ein hartes, brutales Buch, in dem auch Kinder nicht von Gewalt verschont werden (wie auch, wenn sie in einem solchen Milieu aufwachsen); andererseits spürt man auf beinahe jeder Seite, mit wieviel Wärme und Zuneigung sich die Menschen um Eli und seinen Bruder kümmern (wollen), um ihnen ein besseres Leben und die Verwirklichung ihrer Träume zu ermöglichen.

Für den Autor Trent Dalton ist Eli eine Art alter Ego, denn auch er ist unter solchen Umständen aufgewachsen und sein bester Freund war zeitweise tatsächlich Slim, der Ausbrecherkönig. Durch Daltons beeindruckenden Schreibstil war ich fast das ganze Buch hindurch fest überzeugt, dass ihm all die schlimmen Dinge ebenso zugestoßen sind und machte mich auf die Suche, u.a. nach Zeigefingern

Bewertung vom 06.06.2021
Weiße Finsternis
Wacker, Florian

Weiße Finsternis


ausgezeichnet

Anfang September 1918 befinden sich die norwegischen Seeleute Peter Tessem und Paul Knutsen an Bord der Maud, dem neuen Expeditionsschiff von Roald Amundsen, der sich damit durchs Packeis Richtung Nordpol treiben lassen will. Doch bereits kurz nach der Abfahrt steckt die Maud an der nördlichsten Festlandstelle der Erde im Eis fest und es dauert ein Jahr, bis sie Mitte September 1919 ihre Reise fortsetzen kann – allerdings ohne die beiden Seeleute. Tessem hat gesundheitliche Probleme, weshalb er zurückkehren will und Knutsen soll ihn begleiten. Als die Maud ihre Reise wieder aufnimmt, machen sich die beiden Männer westwärts auf nach Dikson, 1000 km entlang der vereisten Küste.
Da man bis zum folgenden Sommer keine Nachricht von den Beiden hat, startet im August 1920 eine Rettungsexpedition, die jedoch frühzeitig in Dikson endet – schweres Eis erlaubt kein Durchkommen weiter nach Osten. Erst neun Monate später, im Mai 1921, macht sich eine norwegisch-sowjetische Gruppe mit Rentieren und Schlitten auf den Weg.

Vom Weg der beiden Seeleute, ihrer gemeinsamen Vergangenheit sowie der Suche nach den Beiden auf dem Landweg wird abwechselnd in den Kapiteln erzählt. Während Letzteres aufgrund entsprechender Unterlagen ziemlich genau belegt ist, entspringt der Rest der Geschichte der Phantasie des Autors. Doch dieser ‚Rest‘ wirkt so authentisch und überzeugend wie das tatsächlich Geschehene, so dass man während des Lesens nicht daran zweifelt, dass sich tatsächlich Alles so zugetragen haben könnte. Insbesondere die Beschreibungen des Rückweges der beiden Männer nach Dikson mit den erbarmungslosen Bedingungen von Kälte und kaum passierbarer Landschaft tragen dazu bei wie auch die geschilderten Gedanken und Gefühle von Tessem, der durch seine gesundheitlichen Probleme noch zusätzlich beeinträchtigt war.

Vermutlich um die Verbundenheit der Männer deutlicher zu machen und durch eine Art Konkurrenzsituation mehr Dramatik aufzubauen, wird auch ihr gemeinsames vergangenes Leben erzählt, das eng verknüpft ist mit dem Leben der gleichaltrigen Liv. Eine verschworene Dreiergemeinschaft bildeten sie, was mit zunehmendem Alter immer schwieriger wurde. Auch Livs Sicht ist ein eigener Erzählstrang gewidmet – vielleicht um die Spannung zwischen den beiden Männern noch deutlicher darzustellen.

Meiner Meinung nach hätte die Geschichte auch ohne die Darstellung dieser privaten Beziehung (die in der Realität nicht existierte) sehr gut funktioniert, denn der Überlebenskampf von Tessem und Knutsen wie auch die Suchexpedition sind so gut und packend erzählt, dass dies völlig ausgereicht hätte. Abenteuer pur!

Mich hat die Lektüre so fasziniert, dass ich mich auf die Suche nach den beiden Protagonisten gemacht habe und tatsächlich fündig geworden bin: Peter Tessem https://frammuseum.no/polar-history/explorers/peter-lorents-tessem-1875-1919/ und Paul Knutsen https://frammuseum.no/polar-history/explorers/paul-knudsen-1889-1919/ – so hat man sogar noch ein Bild der Beiden vor Augen.

Bewertung vom 06.06.2021
Kleine Wunder um Mitternacht
Higashino, Keigo

Kleine Wunder um Mitternacht


weniger gut

Keigo Higashino ist nicht nur in Japan, sondern auch in Deutschland als erfolgreicher Kriminalschriftsteller bekannt. Mit diesem Werk, das bereits 2012 in Japan erschienen ist und ein großer Erfolg war, der zweimal verfilmt wurde, bewegt er sich hingegen im Bereich Magischer Realismus.

Drei junge Männer, die gerade einen Raubzug begangen haben, brechen in ein seit langer Zeit verlassenes Haus ein, um dort die Nacht zu verbringen. Doch ganz verlassen scheint es nicht zu sein, denn plötzlich werden Briefe durch einen Schlitz im Rollladen hindurchgeschoben. Darin bitten sie einen Herrn Namiya um Rat, doch der ist seit über dreißig Jahren tot, wie die drei Einbrecher herausfinden. Und noch merkwürdiger: Die Briefe scheinen ebenfalls in dieser Zeit geschrieben worden zu sein, aber wollen offenbar jetzt beantwortet werden. So beginnt eine außergewöhnliche Nacht …

Diese Geschichte bildet den Rahmen für die nun folgenden Kapitel, in denen unter anderem die Lebensgeschichten der Ratsuchenden erzählt wird und was sie dazu bewogen hat, Herrn Namiya um Hilfe zu bitten. Gut gelungen sind die Perspektivwechsel, die nicht nur durch die Personen, sondern auch durch Zeitenwechsel entstehen. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Figuren erkennt man erst allmählich; wie beim Puzzeln fügen sich nach und nach die Teile zusammen. Geschickt gemacht!

Wesentlich weniger erfreulich ist jedoch der Sprachstil des Erzählten. Das Ganze liest sich derart simpel und schlicht, als wäre es für LeseanfängerInnen gedacht. Nun gut, das Buch ist bereits älter und vielleicht hat der Autor es dem Thema angepasst. Allerdings sollte man wissen, dass die Übersetzung nicht aus dem Japanischen sondern aus dem Englischen erfolgt ist. Vergleicht man die englische Übersetzung mit der ins Deutsche übersetzten Version, kann man nur den Kopf schütteln. Dazuerfundenes und Sinnentstellendes gleich auf der ersten Seite – hier zwei Beispiele:

Shota was the one who suggested the „handy shack“.
„A handy shack? What the hell are you talking about?“ Atsuya towered over Shota, looking down at his petite frame and boyish face.

Es war Shotas Idee. Er berichtete den Jungs, er kenne eine super Hütte, wohin sie sich dünnemachen könnten. „Wohin wir was?“ Atsuya musterte den immer noch kindergesichtigen Shota amüsiert, der selbst das Gegenteil von dünn war.

„Sorry, guys.“ Kohei shrank back, hunching his large body, and cast a longing look at the worn-out Toyota Crown parked beside them. „I didn’t think the battery would die on us here, of all places. Not in my wildest dreams.“

„Sorry, ihr beiden“, unterbrach Kohei. Er beugte sich über den klapprigen Lexus neben ihnen, der keinen Mucks mehr machte. „Aber wie kann denn die Batterie einfach plötzlich leer sein?“

Deshalb kann ich letztlich nur vermuten, ob ich tatsächlich ein Buch von Keigo Higashino gelesen habe oder eher das, was sich die Übersetzerin dazu ausgedacht hat. Auf jeden Fall ist das Buch so eine Enttäuschung: Die Idee dahinter und die Geschichten an sich sind nicht schlecht, aber was daraus gemacht wurde, lohnt nicht des Lesens.

Bewertung vom 06.06.2021
Besetzte Gebiete
Grünberg, Arnon

Besetzte Gebiete


sehr gut

Kadoke ist Psychiater in Amsterdam, der nach einer sehr unkonventionellen Behandlung einer Patientin seine Approbation verliert. Doch nicht nur das: Es gibt einen Medienskandal, der durch einen nicht sehr geglückten Auftritt Kadokes in einer TV-Show noch verstärkt wird und ihn antisemitischen Beschimpfungen aussetzt. Er steht vor den Trümmern seiner Existenz und beschließt, gemeinsam mit seinem schwer pflegebedürftigen Vater nach Israel auszuwandern. Anlass dafür war der wenige Monate zurückliegende Besuch der orthodoxen Ururgroßcousine Anat, die überzeugte Siedlerin im Westjordanland ist und ihn mehrfach zu einem Besuch zu überreden versuchte. So landet der atheistische Anti-Zionist in einer orthodoxen Siedlung im Westjordanland und versucht, ein neues Leben zu beginnen.

Was nun beginnt, ist eine Aneinanderreihung von skurrilen Begebenheiten und grotesken Dialogen, die sich Monty Python nicht schöner hätten ausdenken können ;-) Wie der ungläubige Kadoke von den orthodoxen Bewohnerinnen der Siedlung als ein von Gott Gesandter gefeiert wird oder seine künftige Schwiegermutter strickend dem vorehelichen Sex beiwohnt, um sicher zu gehen, dass er in der Lage ist, genügend Judenkinder zu zeugen – man könnte glauben, der Gipfel des Absurden wäre erreicht, um jedoch einige Seiten später eines Besseren belehrt zu werden. Oder das Gespräch zwischen Vater und Sohn:

„,Lieber Vater, habe ich deinen Segen, und hat sie den auch?’“
Vater wirft Kadokes Künftiger einen kurzen Blick zu, dann sagt er zu seinem Sohn: ,Hättest du dir nicht besser einen Hund nehmen können?’
,Einen Hund?’
,Ein Haustier. Wenn Leute in deinem Alter sich einsam fühlen, können sie sich doch auch ein Haustier anschaffen?’
,Was sagt er?‘, fragt Anat.
,Er will wissen, warum ich mir keinen Hund zugelegt habe, aber ich mag keine Hunde.’
,Was sollen wir mit einem Hund? Ich will ein Kind. Darum heiraten wir, um Kinder zu bekommen. Keinen Hund.’“
Seite 248

Trotz des komödiantischen Tonfalls berührt der Roman eine Vielzahl von ernsthaften Themen, die man in dieser Menge nicht erwartet hätte: Rassismus, Antisemitismus, MeToo-Skandal, Fake News, Fundamentalismus, Medienshitstorm – vermutlich habe ich noch was vergessen. Und dennoch ist die Geschichte damit nicht überfrachtet, denn alles greift ineinander, weil alles ein Teil des Lebens von Kadoke ist.

Ein skurriler, schräger, amüsanter Roman mit einem eher farblosen Antihelden, der einem doch ans Herz wächst. Und von dem man (ich ;-)) wissen will, wie es mit ihm weitergeht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.06.2021
Blacktop Wasteland
Cosby, S. A.

Blacktop Wasteland


ausgezeichnet

Bug ist Automechaniker mit eigener Werkstatt und ein fürsorglicher Familienmensch. Seine kriminelle Vergangenheit hat er hinter sich gelassen, um seinen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen; doch für sie würde er Alles tun. Als er in eine finanzielle Notlage gerät, sieht er keinen anderen Ausweg, als bei einem Raubüberfall mitzumachen – mit Folgen, die nicht im Geringsten abzusehen waren.

Gleich zu Beginn legt die Geschichte ein buchstäblich atemberaubendes Tempo vor, das andere Bücher nicht einmal bis zum Ende hin erreichen. Und man fragt sich, was soll da noch kommen – doch da kommt noch Einiges

Bewertung vom 25.04.2021
Der Abstinent
McGuire, Ian

Der Abstinent


sehr gut

Obwohl die große Hungersnot in Irland schon 20 Jahre zurück liegt, ist der Hass auf die Briten weiterhin groß, die der irischen Insel in jener Zeit keinerlei Hilfe zukommen ließen. So versuchen auch in Manchester, wohin der alkoholkranke irische Polizist James O'Connor 1867 versetzt wird, die Fenians, eine geheime irische Unabhängigkeitsbewegung, die britische Regierung durch Attentate zu schwächen. O'Connor soll seine Landsleute mit Hilfe von Spitzeln ausspionieren, doch schon bald ist er das Ziel eines amerikanischen Iren, der die Spitzel und O'Connor ausschalten soll.
James O'Connor, die Hauptfigur dieses Buches, ist vom Schicksal schwer geschlagen. Nach dem Tod seiner Frau begann er zu trinken und nur durch seine Versetzung nach Manchester kam er einem Rauswurf zuvor. Doch das Leben dort ist schwer, denn als irischer Polizist in England ist er weder bei seinen Kollegen noch bei seinen Landsleuten gut angesehen.
Es ist ein düsterer Hintergrund vor dem diese Geschichte spielt und der Autor erspart seinen Leserinnen und Lesern nichts. Ausdrucksvoll und deutlich beschreibt er die erbärmlichen Verhältnisse, in denen die meisten Menschen leben und wie die Verachtung der Briten die Wut und den Zorn der Iren noch mehr heraufbeschwört und sich in Gewalt entlädt. O'Connor versucht zu vermitteln und das Schlimmste zu verhindern, doch es fehlt ihm an Kraft und Unterstützung.
Obwohl in diesem Buch eigentlich James O'Connor im Vordergrund steht, weiß man nach dem Lesen Einiges mehr über den englisch-irischen Konflikt, der so viele Jahre andauerte und ohne Vergebung nie endgültig beendet sein wird. Vielleicht ist Letzteres auch der Grund für das doch etwas ungewöhnliche Ende.
Düster, aber eine lesenswerte Lektüre!

Bewertung vom 25.04.2021
Der ehemalige Sohn
Filipenko, Sasha

Der ehemalige Sohn


sehr gut

Im Belarus des Jahres 1999 gerät der 16jährige Franzisk in eine Massenpanik und fällt danach ins Koma. Zehn Jahre vergehen, in denen lediglich seine Großmutter fest daran glaubt, dass er wieder aufwachen wird und ihn gegen alle Widerstände am Leben hält. Und tatsächlich, kurz nach ihrem Tod erwacht Franzisk, nunmehr 26 Jahre alt, in einem Land, in dem Alles so ist wie zuvor, nur ein bisschen schlimmer.

Obwohl der Klappentext suggeriert, dass sich der Großteil der Geschichte mit dem Wiederzurechtfinden des Protagonisten in seinem Land beschäftigt, handelt gerade einmal knapp die Hälfte davon. Das erste Fünftel der rund 300 Seiten beschreibt das Leben des 16jährigen, um den sich seine geliebte Großmutter kümmert, die ihm auch auf den folgenden 100 Seiten während seines Komas zur Seite steht.

Während zu Beginn des Buches in Belarus noch ein wenig Aufbruchstimmung zu verspüren war, vermutlich durch die erst wenige Jahre zurückliegende Eigenständigkeit, wirkt das Land nach dem Aufwachen Franzisks wie gelähmt. Die ständig zunehmende Unterdrückung hat die Menschen zermürbt und resignieren lassen; Franzisk hingegen beginnt sein neues Leben mit dem jugendlichen Elan von damals und nimmt die gesellschaftlichen Verhältnisse fast wie ein Außenstehender war.

Sasha Filipenko zeigt in dieser Geschichte auf spöttisch-ironische Weise, wie es sich in einem autoritären Staat lebt. Die Einen suchen Trost im Konsum, den sie sich mit allen erdenklichen Mitteln ohne Rücksicht auf Moral und Gesetz ermöglichen; die Anderen sind vom ständigen Widerstand und Kampf ermüdet und ausgezehrt und flüchten in die innere oder äußere Emigration oder schlimmstenfalls in den Tod. Gehorchen ohne eigenständiges Denken ist erste Pflicht und führt zu grotesken Situationen, in denen beispielsweise Fasttoten die Fingerabdrücke abgenommen werden um festzustellen, ob sie Terroristen sind.

Es ist ein wichtiges Buch, das Manchen übertrieben scheinen mag, aber von der Realität mit Sicherheit nicht allzu weit entfernt, teilweise sogar eher untertrieben ist. Dass es sprachlich nicht ganz an das im Deutschen zuerst erschienene Buch des Autors „Rote Kreuze“ heranreicht, mag daran liegen, dass es sich um sein Debüt handelt. Dennoch: Es lohnt sich, es zu lesen.

Bewertung vom 25.04.2021
Teufelsberg / Kommissar Wolf Heller Bd.2
Kellerhoff, Lutz W.;Kellerhoff, Lutz Wilhelm

Teufelsberg / Kommissar Wolf Heller Bd.2


sehr gut

Berlin, Ende der 60er Jahre, ist ein Hexenkessel. Beinahe täglich gibt es Demonstrationen gegen verkrustete Strukturen, Polizeistaat und -gewalt, Nazis in den Behörden, den Vietnamkrieg undundund. Regelmäßig werden die Wohnungen der 'Hippies' durchsucht und deren bevorzugte Kneipen - es scheint nur eine Frage der Zeit, bis es zum großen Knall kommt. In dieser Phase wird die Frau eines jüdischen Richters ermordet - scheinbar von den radikalen Linken. Oder doch Agenten der DDR? Kommissar Wolf Heller ermittelt und weiß schnell mehr als der Verfassungsschutz, der den Fall an sich genommen hat. Und als ob der Fall nicht genug an seinen Nerven zehren würde, verlangt auch sein Privatleben das Äußerste von ihm ab.
Wie bereits der erste Band ist dieser Fall voll und ganz auf die 68er zugeschnitten, die auch hier nicht nur als Hintergrund dienen. Das Autorenteam lässt ein authentisches Bild jener Zeit entstehen, das diesen Kriminalfall umso glaubwürdiger wie auch unglaublich wirken lässt. Obwohl die Hintergründe schnell mehr oder weniger vollständig bekannt sind, bleibt die Geschichte bis zum Ende spannend. Gelingt Wolf Heller eine Aufklärung? Wird der Gerechtigkeit zum Sieg verholfen?
Auch die Wechsel zwischen Privatem und Dienstlichem sind nicht störend, denn sie unterstützen die Darstellung der Atmosphäre Ende der 60er. Geschickt werden Teile des Privatlebens von Wolf Heller in seine Arbeit mit eingebunden, ohne dass es zweifelhaft wirkt.
Einziger kleiner Kritikpunkt: Zu Beginn tauchen derart viele verschiedene Personen mit Namensnennung auf, dass ich völlig den Überblick verloren habe. Nach ca. 50, 60 Seiten wurde es deutlich besser, aber bis dahin verstand ich größtenteils nur Bahnhof. Also: Durchhalten, es wird auf jeden Fall besser und es lohnt sich

Bewertung vom 07.04.2021
Frostmond
Buchholz, Frauke

Frostmond


gut

In den letzten 30 Jahren sind mehr als 1.200 indigene Frauen verschwunden oder ermordet worden, wobei die Dunkelziffer sehr wahrscheinlich viel höher liegt. Von einigen dieser Verbrechen handelt das Buch Frostmond, in dem gleich zu Beginn in Montreal die Leiche einer 15jährigen Indianerin gefunden wird. Aufgrund der vielen ungelösten Morde gibt es großen Druck auch von Seiten der Presse, sodass der Profiler Garner aus dem 6.000 km entfernten Regina hinzugezogen wird. Gemeinsam mit der ortsansässigen Polizei machen sie sich auf die Suche, die sich nicht nur wegen der mangelnden Bereitschaft zur Zusammenarbeit der Indigenen schwierig gestaltet, sondern auch aufgrund der sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten der beiden verantwortlichen Ermittler.
Die Untersuchung des Mordfalles entwickelt sich allmählich, ca. bis zur Hälfte liegt der Schwerpunkt eher bei der Beschreibung der beiden Polizisten sowie den Lebensverhältnissen im Reservat, aus dem das ermordete Mädchen stammt. Garner wie auch sein aus Montreal stammender Partner LeRoux erzählen abwechselnd von ihren Nachforschungen wie auch von ihrem Privatleben, wobei bei LeRoux fast die Privataktivitäten überwiegen, mit denen er seinen Frust über die Arbeit vergeblich zu vergessen sucht. Als dritte Stimme kommt ein Cousin und guter Freund der Toten hinzu, Leon, der als Cree und Ich-Erzähler seine Sicht der Dinge schildert.
Die Autorin beschreibt in ihrem Erstling die Lebens- und Gesellschaftsverhältnisse der indigenen EinwohnerInnen sowie das Verhältnis zum Rest der Bevölkerung überzeugend und glaubwürdig. Es ist nicht verwunderlich, wenn die Indigenen kein Vertrauen zur Polizei haben, die offensichtlich geprägt ist von Vorurteilen und Rassismus. Etwas weniger überzeugend wirkten die Figuren der beiden Ermittler auf mich, wobei insbesondere LeRoux mehrfach Kopfschütteln bei mir auslöste, aber die gute Geschichte ließ mich leicht darüber hinwegsehen.
Doch leider gerät das letzte Viertel des Buches für meinen Geschmack zu sehr in den Bereich der Phantasie. Die beiden Polizisten werden zum Superhelden bzw. zur tragischen Gestalt und wenn schon nicht das Recht siegt, dann zumindest die Gerechtigkeit - was nicht unbedingt das Schlechteste ist. Auf jeden Fall bietet es so schon fast zwangsläufig den Raum für eine Fortsetzung - mit einem vielleicht (oder hoffentlich?) etwas glaubwürdigerem Ende.

Bewertung vom 07.04.2021
Der gekaufte Tod
Mack Jones, Stephen

Der gekaufte Tod


gut

Nach einem Jahr Auszeit kehrt August Snow, Ex-Cop, Multimillionär, zurück nach Mexicantown in Detroit, dem Viertel in dem er aufgewachsen ist, um neu zu beginnen. Doch kurz nach seiner Ankunft wird er von einer der vermögendsten und einflussreichsten Frauen der Gegend beauftragt, sich um die Vorgänge in ihrer Bank zu kümmern. August lehnt ab, doch als sie kurz danach tot aufgefunden wird, lässt ihm sein schlechtes Gewissen keine Ruhe. War es wirklich Selbstmord? August beginnt zu ermitteln und stößt in ein Wespennest.

Zu Beginn ist schnell klar: Heimlicher Mittelpunkt dieses Krimis ist die Stadt Detroit. Stephen Mack Jones lässt seinen Protagonisten August Snow ausführlich und durchaus witzig über den Verfall der Stadt und seine Ursachen erzählen, was ihm überzeugend gelingt. Der eigentliche Fall jedoch gestaltet sich für mein Empfinden recht verwirrend, was vielleicht daran liegen könnte, dass eine vergangene Geschichte, die August die sagenhafte Summe von 12 Millionen Dollar Schadensersatz eingebracht hat, immer wieder mit neuen Details erwähnt wird. Dazu die Geschichten zu Augusts Familie, seinen Freunden und das Leben in Detroit – der Krimi gerät fast ein bisschen ins Hintertreffen.

Zuguterletzt gibt es einen Showdown, bei dem vermutlich bereits an die Verfilmung gedacht wurde. Die Helden kämpfen gegen eine Überzahl und und unter Einsatz aller ihrer Kräfte und Feuerwaffen und bleiben natürlich siegreich, denn es gibt eine Fortsetzung. Das Ende wirkt zudem ein bisschen zerfasert, denn aus einem Fall werden plötzlich zwei, wobei beide nur für August mehr oder weniger gelöst sind.

Insgesamt ein politisch sehr korrekter Krimi, denn der Held hat einen afroamerikanischen Vater und eine mexikanische Mutter; er verteilt sein Geld großzügig an die Schwachen und Armen und setzt Gerechtigkeit auch da durch, wo es vor dem Recht keine gibt. Für ein Debüt nicht schlecht, aber Potential nach oben ist durchaus vorhanden.