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Benutzername: 
Jackolino
Wohnort: 
Rheinland-Pfalz

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Insgesamt 57 Bewertungen
Bewertung vom 29.03.2023
Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat
Boks, Aron

Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat


sehr gut

Aron Boks, 1997 geboren, entdeckt bei seiner Großmutter ein Bild seines Urgroßonkels Willi Sitte: „Die Heilige Familie“ und stellt fest, dass ihm keiner der darauf abgebildeten Menschen irgendwie vertraut ist. Der Maler selbst ist der Bruder seines Urgroßvaters und auch von dem hat er bislang nur wenig gehört.
Er beschließt sich auf die Suche zu machen und den Spuren zu folgen, die Willi Sitte hinterlassen hat.
Er befragt Verwandte, recherchiert aber auch in Italien, am Geburtsort Willi Sittes Kratzau im heutigen Tschechien, in Halle, seinem langjährigen Wohnort und an anderen Orten seines Wirkens. Zunächst einmal erweitert diese Recherche Arons Horizont beträchtlich. Er lernt viele Verwandte kennen, die ihm vorher vollkommen fremd waren. Und er spricht mit Weggenossen, mit Künstlerkollegen, Schülern, mit Schriftstellern und mit ehemaligen Freunden, die die DDR verlassen haben. Er ergründet das Werk seines Vorfahren ohne Vorurteile. Weder stören ihn die Verwicklungen seines Urgroßonkels in die Politik der DDR noch ist er Kunstkenner und könnte die Bilder von einem künstlerischen Standpunkt aus begutachten. Er geht also sehr offen an die ganze Geschichte heran.
So taucht er doch unverhofft in die Kulturpolitik der DDR in den Jahren zwischen 1950 und 1990 ein. Offenbar war Willi Sitte in seinen jungen Jahren lange nicht so angepasst, wie man es ihm später nachgesagt und angelastet hat. Obwohl überzeugter Kommunist und auch aus einer kommunistischen Familie stammend tat er sich schwer mit den Vorgaben und hätte sich zumindest in den 50er und Anfang der 60er Jahre sehr viel mehr künstlerische Freiheiten und Interpretationsspielraum gewünscht. Später dann nutzte die Schlupflöcher, die sich ihm auftaten. Wie offenbar die meisten DDR-Bürger. Man kannte jemanden mit Einfluss und warum sollte man die Kontakte nicht für sich nutzen. Und wenn man geschickt war, konnte man sich selbst einen Bereich aufbauen, in dem man selbst Einfluss hatte und Dinge entscheiden konnte.
Unsere heutige Sicht auf die Dinge ist im Westen stark von der langen Berichterstattung der Medien während der Zeit der Trennung der beiden dt. Staaten in BRD und DDR geprägt. Es war nicht der Geschichtsunterricht, denn die Politik träumte ja immer noch von einer Wiedervereinigung und entsprechend hörte Geschichte mit dem Dritten Reich auf. Offenbar war es auch später noch so, auch Arons Kollegin Ruth berichtet von zwei Stunden Unterricht über 40 Jahre der Teilung.
Es ist nicht einfach, Menschen, die ein ganzes Leben an das System geglaubt haben und mit dem System gelebt haben, vor den Kopf zu stoßen und ihnen zu verkünden, dass ihr Leben umsonst war. Und die Wiedervereinigung war für viele auch nicht die Lösung, die sie sich erhofft hatten. Sie wollten eine runderneuerte DDR, sie wollten Reisefreiheit, sie wollten das verknöcherte Regime loswerden, sie wollten einen anderen Sozialismus aber sie wollten nicht unbedingt wiedervereinigt werden.
Als Familiengeschichte ist das Buch gut zu lesen, es ist nicht trocken, obwohl eine Auseinandersetzung zwischen Realismus und Kubismus in der Kunst schon mal recht abstrakt werden kann.
Das Titelbild ist einem der Bilder Willi Sittes entnommen, mit dem Titel fremdele ich noch ein wenig. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass Willi Sitte mit Vorliebe nackte Menschen gemalt hat und dafür an den zahlreichen FKK-Stränden Anschauungsunterricht nahm.

Bewertung vom 12.01.2023
In tiefen Seen / Commissario Grauner Bd.8
Koppelstätter, Lenz

In tiefen Seen / Commissario Grauner Bd.8


sehr gut

Die Kriminalromane von Lenz Koppelstätter spielen in Südtirol, im Bereich um Bozen, Meran und den angrenzenden Tälern. Kommissario Grauner und Ispettore Saltapepe arbeiten zusammen und werden von einer fähigen Assistentin, nämlich Silvia Tappeiner und der Praktikantin Sabrina Donnachiara unterstützt.

Dieser Krimi spielt im Passeiertal, einem Tal nördlich von Meran, das ziemlich abgeschlossen von der Außenwelt nur noch in die Berge führt, es gibt kein Durchkommen nach Österreich oder die Schweiz, mit dem Schneeberg endet das Tal. Im Passeiertal wurde jahrhundertelang nach Erz gegraben und so sind die Berge mittlerweile ziemlich unterhöhlt und Geologen fürchten eine Einsturzgefährdung. Dort wird auf einer grünen Wiese die brutal zugerichtete Leiche eines Malers gefunden. Die Inszenierung der Leiche ähnelt einem Gemälde von Botticelli.

Was kaum jemand wusste, ist, dass die unterirdischen Höhlen in den 40er Jahren als Verstecke für geraubte Kunst aus den Florentiner und römischen Museen missbraucht wurden. Daraus entwickelt sich eine spannende Handlung, die sich auch den ermittelnden Beamten nur langsam erschließt und sie sehr in Gefahr bringt.

Koppelstätters Hauptakteure, die beiden Kriminalbeamten, könnten unterschiedlicher kaum sein. Der eine im Nebenerwerb Bauer mit Kühen, die ihm sehr nahestehen und mit einer Schwäche für Mahler-Sinfonien, der andere Neapolitaner mit einer großen Liebe zum Fußball. Trotzdem sind sie über die Jahre zusammengewachsen und auch die unterschiedlichen Kulturen und Sprachen wirken sich nicht negativ aus, jeder hat sich auf die Eigenheiten des jeweils anderen längst eingestellt.

Die Bauern im Passeiertal hingegen machen gegenüber jedem Fremden erst mal dicht, da dringt nichts nach außen und das erschwert den ermittelnden Beamten lange die Arbeit.

Das Buch ist spannend geschrieben und tatsächlich lösen sich die Rätsel erst ganz zum Schluss auf, auch aufgrund der sehr guten Zusammenarbeit der Ermittler. Nicht einmal Staatsanwalt Belli kann da noch etwas verschlimmbessern.
Um dem Buch folgen zu können, muss man die Vorgängerromane nicht kennen, man bekommt aber Lust darauf, sie kennenzulernen.

Bewertung vom 03.12.2022
Der große Coup des Monsieur Lipaire / Die Unverbesserlichen Bd.1
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Der große Coup des Monsieur Lipaire / Die Unverbesserlichen Bd.1


sehr gut

Das Buch spielt in Südfrankreich, im Hafenort Port Grimaud.
Der Hintergrund passt, der Ort ist tatsächlich in den 60er Jahren auf dem Reißbrett von Francois Spoerry entworfen worden, der Architekt heißt im Buch Roudeau. Nicht nur Roudeau, auch der echte Architekt Spoerry hat sich in einem Sarkophag in der Kirche beerdigen lassen, man kann es auf den touristischen Seiten im Web nachlesen. Und es gibt auch das ehemalige Privathaus des Architekten, in dem jetzt die Familie Vicomte ihr Feriendomizil hat.
Viele der Häuser in Port Grimaud sind Ferienhäuser oder Wohnungen, die nur wenige Wochen im Jahr bewohnt sind. Hausmeister kümmern sich um diese Wohnungen und einer dieser Hausmeister ist Guillaume Lipaire, eigentlich Wilhelm Liebherr, ein Deutscher, der gerne auf französischen Lebemann macht. Um sich seinen Lebensstil leisten zu können, braucht es zusätzliche Einnahmen und die verschafft er sich mit der Vermietung der ihm anvertrauten Wohnungen auf eigene Kasse. Die Nobelkarossen der Besitzer bewegt er zwischenzeitlich auch gerne einmal.
Lipaire hat einige Freunde in Port Grimaud und mit diesen wird er in eine Räuberpistole hineingezogen, die schon ziemlich skurril ist.
Der Eindruck, den man gewinnt, wird beeinflusst von dem Anspruch, den man an das Buch hatte. Man geht bei den beiden Autoren unweigerlich von einem Krimi aus, bisher sind die beiden Autoren durch die bayerischen Kluftinger Krimis bekannt geworden. Hier sind zwar auch ein paar kleine „Gauner“ am Werk, aber es handelt sich mehr um Comedy zum Lesen. Und zeitweise auch um ein ziemliches „Geschwurbel“, wie Lipaire es selbst so schön bezeichnet.
Für mich hatte das Buch einiges an Längen, auch wenn dadurch natürlich die „Mitspieler“ gut beschrieben und charakterisiert wurden und man – auch ohne selbst dagewesen zu sein – das Gefühl hat, man kenne sich in Port Grimaud schon ganz gut aus. Spannender wurde es erst zum Schluss hin und tatsächlich verlangt das Ende nach einer Fortsetzung, die auch bereits von Verlagen angeboten wird.
Das Cover gefiel mir nicht so gut, nett fand ich aber die drei Lesebändchen in den Farben der Trikolore. Die blau-weiß-rote Hand erschloss sich mir nicht, außer dass sie ebenfalls die Farben der französischen Flagge aufnahm.

Bewertung vom 22.11.2022
Agent Sonja
Macintyre, Ben

Agent Sonja


ausgezeichnet

Es geht hier um die Biografie einer der erfolgreichsten kommunistischen Spioninnen in der Zeit der Weimarer Republik, der Nazi-Zeit vor und während des 2. Weltkrieges und der ersten Nachkriegsjahre.
Ursula Kuczynski – Agent Sonja - entstammt durchaus großbürgerlichen Verhältnissen, auch wenn die jüdische Familie eher nach links als nach rechts tendiert. Sie ist schon als Jugendliche engagiert, wird während einer Demo zusammengeschlagen und trifft danach eine Entscheidung fürs Leben. Sie tritt der kommunistischen Partei bei und will helfen, deren Ideen durchzusetzen. Sie tut das von China, der Mandschurei, der Schweiz und England aus und absolviert zwischendurch eine Ausbildung zur Spionin in Moskau. Für mehr als 20 Jahre steht sie treu zu ihren Auftraggebern, hinterbringt Moskau wichtige Erkenntnisse, in den letzten Kriegsjahren vor allem über die Atombombe und hinterfragt auch nicht die Säuberungsaktionen in Russland in den 30er und 40er Jahren unter Stalin. Erst in den 50er Jahren lässt sie sich in der DDR nieder und beginnt eine zweite Karriere als Schriftstellerin.

Und dabei wirkt sie so durchschnittlich. Sie trifft sich zum Tratsch mit den Nachbarinnen, kocht und backt, fährt mit dem Fahrrad zum Einkaufen. Nicht einmal der engste Familienkreis weiß, dass sie ein zweites Leben führt und Oberst der sowjetischen Armee ist. Ganz im Gegensatz dazu wirken ihre verabredeten Erkennungsmerkmale für neu angeworbene Mitarbeiter wie eine Persiflage ihrer eigenen Arbeit. Aber vielleicht war es auch gerade ihre fehlende Eitelkeit, ihr Desinteresse, selbst irgendwo im Mittelpunkt zu stehen, die ihr geholfen haben, so lange unerkannt zu bleiben.

Das Buch ist ausgesprochen gut recherchiert und liest sich sehr gut. Eigentlich liest es sich mehr wie ein Spionage-Thriller und man wundert sich immer wieder, dass sich alles wirklich so zugetragen hat.

Gleichzeitig ist das Buch eine Familienbiografie der Kuczinskys, die im Geistesleben der ersten Hälfte des 20. Jh ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Sowohl die Eltern von Ursula als auch die Geschwister und die Kinder von Sonja werden durch die Zeit begleitet.

Ben Macintyre hat mit Agent Sonja ein weiteres Buch im Milieu der Spione geschrieben. Er konnte durchaus schon auf Recherchen zurückgreifen, die er für das Schreiben früherer Bücher benötigte. Mit Zigzag und Double Cross, mit Operation Mincemeat und A Spy among Friends hat er schon einige auf wahre Begebenheiten zurückreichende Thriller im Spionagebereich oder aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht.
Und einige seiner Hauptpersonen aus vorangegangenen Büchern spielen auch bei Agent Sonja wieder eine Rolle.

Das Titelbild gibt wunderbar ihre vollkommen unauffällige Art wieder, von einer Spionin erwartet man nicht, dass sie mit dem Fahrrad kommt und Einkaufstaschen bei sich führt.

Bewertung vom 03.11.2022
Der Traum beginnt / Die Wintergarten-Saga Bd.1
Roth, Charlotte

Der Traum beginnt / Die Wintergarten-Saga Bd.1


sehr gut

Es handelt sich bei dem Buch um den ersten Teil einer Trilogie um eine junge Frau aus der Uckermark – Nina von Veltheim – in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg in Berlin.
Nina wusste immer schon, dass ihre Begeisterung der Bühne gilt und so verlässt sie mit gerade einmal 20 Jahren das heimatliche Gut und geht nach Berlin.
Doch es ist nicht so, dass alle auf sie gewartet hätten, ganz im Gegenteil.
• Sie hat keine Ausbildung
• Sie ist eine Frau
Das allein reicht schon, um sie zwar mal unentgeltlich als Regieassistentin zu beschäftigen, aber es führt nicht zu einer tatsächlichen Akzeptanz. Und das ist ein Thema, dem das Buch immer wieder folgt. Egal wie toll das Angebot ist, die Phalanx aus alten reichen Männern sorgt dafür, dass ihnen keine Konkurrenz entsteht und schon gar nicht von Frauen.
Es kommt alles ganz anders, als Nina es sich vorgestellt hat. Ganz oft steht sie kurz vor der der Obdachlosigkeit und Hunger lernt sie auch kennen, wenn die Inflation die Schrippen täglich teurer macht und sie sie sich nicht mehr leisten kann.
Aber sie lernt auch Nächstenliebe kennen und schätzen. Sie lernt, dass das Leben ein Geben und Nehmen ist und Unterstützung findet sie in erster Linie bei den unteren Schichten. Der Kellner des Wintergartens etwa oder die Putzfrau, sie besorgen ihr kleine Gelegenheitsjobs und erhalten ihrerseits wieder die Chance, in der Rolle ihres Lebens in Ninas Show aufzutreten.
Das andere große Thema ist Ninas unbedingter Drang zur Unabhängigkeit, ihre Angst, sich von jemandem finanziell abhängig zu machen. Auch ihrer großen Liebe Anton erlaubt sie nicht, sie zu unterstützen, sie will es allein schaffen.
Diese Manie nimmt manchmal schon krankhafte Züge an und sie zieht sich sehr durch das Buch und führt natürlich in ihrem Verhältnis zu Anton zu zahlreichen Krisen.
Das Buch ist ein Schmöker im besten Sinne, ein gut unterhaltendes Buch und liest sich wunderbar, dennoch sind manche Längen wohl der Tatsache geschuldet, dass ja noch zwei Bücher folgen sollen.

Bewertung vom 01.11.2022
Die Sehnsucht nach Licht
Naumann, Kati

Die Sehnsucht nach Licht


ausgezeichnet

Luisa Steiner ist Gästeführerin in einem ehemaligen Bergwerk in Schlema im Erzgebirge und ihre Familiengeschichte ist durchzogen von Geschichten unter Tage, von guten Erlebnissen, aber auch von Unfällen und ungeklärten Todesfällen, die bis heute nicht aufgeklärt werden konnten.
Mehr zufällig stößt sie auf Fälle, über die in der Familie einfach nicht gesprochen wird oder wo bisher alle Nachforschungen einfach nicht zum Erfolg geführt haben.
• Großtante Irmas Liebster und Vater ihrer Tochter Michaela, der bei einer Explosion zu Tode gekommen sein soll
• Onkel Rudolf, von dem niemand weiß, wo er abgeblieben ist
Und so springt die Handlung zwischen Heute und Damals hin und her, was aber kein Problem darstellt.

Abgedeckt wird die Zeit zwischen 1908 und 2019. Oberschlema muss das Ende des Kobaltabbaus verkraften, findet aber durch Radonquellen eine neue Einnahmequelle und wird wichtiger Kurort. Nach dem 2. Weltkrieg ist es der Uranabbau und nach dessen Ende dann doch wieder der Fremdenverkehr, der der Stadt eine Zukunft bietet.
Auch wenn die Politik immer nur im Hintergrund eine Rolle spielt, so merkt man ihre Auswirkungen doch bis ins Erzgebirge. Am Ende des 1. Weltkriegs werden Hunger und Mangelwirtschaft beschrieben, die 20er Jahre zeigen sich im Erzgebirge als Zeit des Aufschwungs im Tourismus und neuer technischer Errungenschaften, die 30er Jahre sind zunächst einmal trotz Nationalsozialismus wirtschaftlich gute Jahre, in denen sogar erste Freizeitvergnügen möglich sind. Dass Hitler doch den Krieg beginnen würde, damit hatte im Erzgebirge niemand gerechnet. Und natürlich leidet der Kurbetrieb darunter, bis er schließlich ganz eingestellt wird. Der Bergbau ist in dieser Zeit nicht nur Erwerbsquelle sondern auch Schutzort, denn Bergleute gelten als unabkömmlich und werden nicht als Kanonenfutter an die Front geschickt. Nach Ende der Kriegsgefangenschaft kommen die Männer wieder nach Hause, hier haben sich im Uranabbau neue Chancen ergeben. Die neugegründete DDR muss die von der Sowjetunion geforderten Reparationen mit Bodenschätzen und hier vorzugsweise Uran bezahlen. Die vielgelobte Freundschaft zur UDSSR besteht nur auf dem Papier, wehe man nimmt die Freundschaftsbekundungen auch noch ernst.

Der Zusammenhalt und Familiensinn der Bergarbeiterfamilie Steiner ist hervorragend beschrieben. Auf der einen Seite ist da viel Tradition, auf der anderen Seite aber auch ganz viel Liebe, sich Kümmern und füreinander einstehen. Und dieser Generationen übergreifende Zusammenhalt bewegt auch die Urenkelin Luisa noch dazu, das Schicksal Ihres Großonkels und ihrer Großtante zu ergründen, was ihr letztendlich sogar gelingt.

Sehnsucht nach Licht hatte ich zunächst auf die Arbeit unter Tage bezogen. Aber alle Männer der Familie haben sich im Stollen immer wohl gefühlt und ihnen hat die Dunkelheit nichts ausgemacht.
Es ist aber auch etwas anderes damit gemeint. Die richtige Anzahl an Lichtern im Fenster zeigte den heimkommenden Bergleuten, dass in der Familie alles in Ordnung war. Das nahm ihnen viel von der Sorge um ihre Familie. Und Sehnsucht nach Licht heißt wohl auch Sehnsucht nach Wahrheit, eine Sehnsucht, die einige Familienmitglieder lange unterdrückt haben, die aber andererseits auch immer weitergegeben wurde und im Familienkreis nie vergessen wurde.
Das Cover mit der aufgehenden Sonne im Hintergrund und den kleinen Dörfern, die sich zwischen Wäldern in ein kleines Tal schmiegen, passt gut zum Titel.

Bewertung vom 20.10.2022
Die Mauersegler
Aramburu, Fernando

Die Mauersegler


sehr gut

Der spanische Autor Fernando Aramburu legt einen Roman über einen Mann vor, der vom Leben enttäuscht ist.
Heute liebt er nur noch seinen Hund. Er fasst den Entschluss, seinem Leben in genau 365 Tagen ein Ende zu setzen. Am 31. Juli beginnt das letzte Jahr, und dieser Roman hat 365 Kapitel, eins für jeden Tag, wobei die Kapitel-Zählung mit jedem Monat wieder neu beginnt. Dieses letzte Jahr wird zu einer Abrechnung mit seinem Leben. Er gewöhnt sich an, täglich ein paar Zeilen persönlicher Chronik aufzuschreiben. Einen Adressaten dafür hat er nicht, wie er selbst sagt: er schreibt es für niemanden auf.
Toni kommt im ersten Teil des Buches nicht wirklich sympathisch rüber und obwohl man doch Mitleid mit ihm haben sollte angesichts seiner tiefgreifenden Entscheidung, so lässt einen das ziemlich kalt. Soll er doch, seine Entscheidung!
Er denkt über seine Kindheit, seine Eltern, seinen Bruder nach. Er fängt an, sich von Ballast in seiner Wohnung zu befreien und verteilt seine Bücher in der Stadt in der Hoffnung, Leser für sie zu finden. Er reflektiert noch einmal über seine Ehe, seinen Sohn, der doch nicht so geriet, wie er sich das erhofft hatte. Doch da ist auch noch Humpel, sein einziger Freund, dem er sogar seine Gedanken und Pläne anvertraut. Und an manche früheren Freundinnen erinnert er sich auch mit Wehmut, schade, was das Leben aus ihnen gemacht hat.
Und irgendwann, nach ca. 2/5 des Buches beginnt sich das Blatt langsam zu wenden. Dieser Entschluss, seinem Leben ein Ende zu setzen, lässt ihn Dinge anders erleben. „Ich könnte schwören, dass das Leben angefangen hat, mir Spaß zu machen, seit ich weiß, dass ich den Hebel in der Hand habe, um es zu beenden“. Unmerklich wird unser Antiheld auch sympathischer. Er unterstützt ohne großes Nachdenken die teure Krebs-Therapie seiner Nichte, die es dann aber trotzdem nicht schafft. Er geht nicht länger seiner früheren Freundin Agueda aus dem Weg, sondern freut sich manchmal sogar schon auf ihre „rein zufälligen“ Zusammentreffen. Entscheidungen treffen hebt meine Stimmung, sagt er irgendwann und so ist es der Übergang von der Passivität in die Aktivität, die ihn wieder mehr am Leben teilhaben lässt.
Das Buch liest sich einerseits gut. Keine ellenlangen Sätze, wenig Einschübe, die das Lesen erschweren würden. Das Buch liest sich andererseits aber auch nicht flüssig, weil es keine fortlaufende Handlung ist. Man kann es nicht einfach hinlegen und am nächsten Tag der Handlung weiter folgen, es kann sein, dass schon wieder ein ganz anderer Handlungsstrang zum Tragen kommt. Da denkt er einmal an frühere Kommilitonen, dann an seine Mutter und seinen Bruder und er schildert es so, wie es ihm in den Kopf zu kommen scheint. Außerdem springt er in seiner Erinnerung, nichts läuft chronologisch ab. Mal erinnert er sich an seine Kindheit, einen Tag später analysiert er die Krankheiten seines Freundes Humpel oder reflektiert seine zerbrochene Ehe.
Das Cover mit einer regennassen Straße zwischen hohen Häuserzeilen, auf denen ein einsamer Mann mit seinem Hund spazieren geht, passt gut zum Buch. Obwohl hinter all den bunten Fassaden Menschen wohnen, kann man sich einsam und als Außenseiter fühlen, der Regen und die Pfützen verstärken die negative Stimmung. Aber in der Pfütze spiegelt sich schon blauer Himmel, offenbar ist da doch noch Licht am Ende des Tunnels.
Mit dem Buchtitel „Die Mauersegler“ tue ich mich schwerer. Toni selbst vergleicht sich mit einem dieser Vögel, als er immer mehr von seinem Besitz in der Stadt verteilt. Es gebe ihm das „Gefühl von Leichtigkeit, von schwerelosem Aufstieg in die Lüfte hin zur ersehnten Verwandlung in einen Mauersegler“. Das ist zumindest eine Erklärung, trotzdem hätte mir vielleicht ein anderer Titel besser gefallen.

Bewertung vom 08.10.2022
Zwischen heute und morgen / Drei-Städte-Saga Bd.2
Korn, Carmen

Zwischen heute und morgen / Drei-Städte-Saga Bd.2


sehr gut

Es handelt sich um eine Trilogie und hier sind wir beim zweiten Teil. Ich kenne den ersten Teil nicht.
Carmen Korn erzählt die Geschichte dreier Familien, die verwandtschaftlich miteinander verbunden sind. Eine lebt in Hamburg, eine in Köln und die dritte in San Remo. Das Buch beginnt 1960 und erzählt die Geschichte der Familien bis 1969.
In den Ereignissen um die Familien sind die Erlebnisse während des Krieges auch 1960 noch ein wichtiges Thema. Menschlich hat der Krieg viele Spuren hinterlassen, Joachim kam erst nach 9 Jahren aus russischer Gefangenschaft nach Hause und musste sich damit abfinden, dass seine Frau nicht mehr mit seiner Wiederkehr gerechnet hatte und sich einem anderen zugewendet hatte. Pips wurde von der Gestapo gefoltert und verlor nicht nur einen Finger, sondern erlitt auch so schwere Verletzungen, dass ihm eine sexuelle Beziehung nicht realisierbar erscheint.
Die überschäumende Freude und Unbekümmertheit, die das Cover verbreitet, findet sich so im Buch nicht wieder. Es sind auch weniger die ganz Jungen, die die Hauptrolle im Buch spielen, sondern die ältere Generation der um 1900 Geborenen. Sie halten ihre Familien zusammen und die Fäden noch weitgehend in der Hand. Das Dolce Vita spielt eher eine untergeordnete Rolle und wenn, dann eher bei denen, die auch noch nebenbei in krumme Geschäfte verwickelt sind (Lucio in San Remo).
Das Leben ist von den alltäglichen Sorgen und Kümmernissen geprägt, Kurt sorgt sich um seine Frau, die zunehmend ängstlicher wird und das Haus kaum mehr verlassen will. Ursel und Joachim freuen sich zwar über ihr Kind Henrike, aber über Joachim schwebt immer eine gewisse Traurigkeit und Ursel scheint nicht über den Verlust ihres ersten Mannes hinweg zu kommen.
In San Remo gibt es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Bruno und seinem Bruder Bixio, der sich in krumme Geschäfte hat verwickeln lassen und dabei viel Geld verloren hat.
Die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der 60er Jahre werden zwar erwähnt (Mauerbau in Berlin, Ermordung Kennedys, Rückzug Adenauers aus dem politischen Leben), spielen aber nicht in die Leben der Familien hinein. Lediglich die zunehmende Motorisierung – selbst Kurt macht noch den Führerschein – betrifft auch unsere Protagonisten. Ferien macht man immer noch bei Verwandten, Wohnungsknappheit wird dadurch überwunden, dass man sich gegenseitig mit freien Zimmern hilft und Freunde und Verwandte bei sich aufnimmt.
Ich hatte auf den ersten Seiten noch Schwierigkeiten, die einzelnen Familien auseinander zu halten. Es ist schon verwirrend, wenn man von einer Zeile zur anderen von Hamburg nach Köln und nach San Remo wechseln muss. Aber mit der Zeit wird man mit allen Familienmitgliedern bekannt. Und natürlich freut man sich mit ihnen oder leidet auch mit ihnen. Carmen Korn schreibt flüssig, das Buch liest sich gut und es wird nicht langweilig.
Dennoch fand ich ihre erste Jahrhundert-Trilogie spannender und war noch mehr mit den Charakteren verwoben. Vielleicht waren die Episoden ausführlicher beschrieben und die Wechsel zwischen den Orten und Personen nicht ganz so schnell. Auf jeden Fall empfiehlt es sich wohl, bei der Drei-Städte Saga die Reihenfolge einzuhalten und Band 1 zuerst zu lesen. Vieles im zweiten Band greift darauf zurück und meine anfänglichen Orientierungsprobleme waren darauf zurückzuführen.

Bewertung vom 27.09.2022
Kochen am offenen Herzen
Strohe, Max

Kochen am offenen Herzen


sehr gut

Das Cover hatte mich nicht angesprochen, der Titel genauso wenig und als Fernseh-Muffel sagte mir auch der Name Max Strohe gar nichts. Aber immerhin ist Sinzig nicht weit und so fand ich dann wenigstens einen regionalen Zugang zu dem Buch.
Den Einstieg ins Buch fand ich deftig. Es war immer von allem zu viel, zu viel Sex, zu viel Drogen, zu viel des Guten (Völlerei und Protzerei während der New York-Reise mit dem Vater) und zu viel des Schlechten.
Es beginnt mit der abgebrochenen Schulausbildung und der Sackgasse Lehre, weil nichts anderes möglich erscheint. Aber wenigstens kann Max sich vorstellen, zu kochen und so beginnt er nach einem ersten Praktikum eine Ausbildung zum Koch.
Sind es die ewigen Überstunden, die ihn nicht befriedigende Speisekarte, falsche Freunde, die ihn verführen? Jedenfalls schmeißt er die Lehre und gibt sich immer häufiger dem Drogenrausch und dem Alkohol hin. Und mit dem exzessiven Rausch auch dem Sex in allen Facetten und dem Ekel vor sich selbst, wenn der Rausch verflogen ist.
Aber trotz aller Übertreibungen, da sind auch immer wieder Menschen, die an ihn glauben, die ihm eine neue Chance geben. Er kann dank der Unterstützung des Hotel-Inhabers seine Ausbildung zu Ende bringen und auch sein Vater, den er erst spät kennengelernt hat, fördert ihn, aber fordert ihn auch. Und natürlich unterstützen ihn auch seine zahlreichen Freundinnen.
Langsam verschieben sich die Prioritäten ein wenig. Er arbeitet in Bad Neuenahr, in Hannover, in Hamburg, Nürnberg und auf Kreta. Aber immer läuft die Drogenkarriere parallel, von Kokain über Speed, Ecstasy, er probiert alles aus. Und so hat er auch keinerlei finanzielle Reserven, er muss einfach funktionieren. Eines Tages, nach einem ziemlichen Zusammenbruch auf Kreta, fragt er sich erstmals, wie lange das wohl alles noch so weitergehen kann und wie lange sein Schutzengel ihn noch beschützt.
Erstaunlich finde ich immer wieder, wie jemand, der von Berufs wegen die feinsten Speisen herstellt, für sich privat mit absolutem Junk zufrieden ist und Raubbau an seinem Körper betreibt. Das fällt ihm irgendwann auch auf. Er ist mittlerweile in Berlin angekommen und besinnt sich endlich auf das, was er kann. Er möchte kochen, und zwar richtig!
Und schließlich passen sich auch seine persönlichen Ansprüche an Essen seinem Beruf und seinen Ambitionen an. Ein Erweckungserlebnis mit seinem Vater in einem Drei Sterne Restaurant am Rhein lässt ihn endlich zur Besinnung kommen.
Man hätte das Buch auch mit „Sex, Drugs and Rockn’Roll“ überschreiben können, denn darum geht es im Buch in erster Linie. Und der Schutzengel muss ein Meister seines Fachs und die Gene hervorragend gewesen sein, um nach all den Orgien doch noch den Weg zu dem zu finden, was heute Max Strohe ausmacht.
Auch wenn mein erster Leseeindruck nur zu einer mittelmäßigen Bewertung führte, so hat sich das Buch gut und flüssig gelesen, war zeitweise witzig geschrieben und macht vor allem klar, dass auch vermeintliche Loser sich schließlich noch als Winner entpuppen können.

Bewertung vom 25.08.2022
Susanna
Capus, Alex

Susanna


gut

Als ich dieses Buch erhielt, war mir nicht klar, dass es Susanna Faesch wirklich gegeben hatte, ich hatte die Geschichte für einen Roman gehalten. Erst die Erwähnung des Künstlernamens ließ mich aufhorchen, Caroline Weldon hat bereits mehrere Schriftsteller und Filmemacher inspiriert, sich mit ihrer Geschichte zu befassen.

Es ist die Mutter, die Susanna Faesch in die USA mitnimmt. Anna lernt um 1848, da war die Tochter 4-jährig, Karl Heinrich Valentiny kennen, einen jüngeren deutschen Arzt und Revolutionär und Freund ihres Mannes aus seinen Soldatentagen bei der Fremdenlegion. Im Jahr darauf emigriert Valentiny nach New York. 1852 folgt ihm Anna mit der Tochter im Schlepptau, sie lässt ihre Söhne beim Vater in der Schweiz zurück und heiratet Valentiny. Damit schert sie zum ersten Mal aus dem Leben aus, das eigentlich für sie bestimmt war. Alles war bisher nach vernünftigen pragmatischen Gesichtspunkten für sie geplant worden, aber diese Verlässlichkeit wurde ihr zunehmend unerträglich.
Susanna wächst nun in Brooklyn auf. Mit 14 Jahren schenkt ihr der Stiefvater einen Kasten Gouache-Farben und fünf Pinsel und schon am ersten Abend malt Susanna ein Portrait ihrer Mutter, das fortan in der Arztpraxis des Stiefvaters hängt und zu vielen Folgeaufträgen von Patienten führt. So verdient Susanna schon als 14jährige ihr eigenes Geld. Susanna fühlt sich wohl in Brooklyn, die Tage plätschern dahin, nie passiert etwas wirklich Außergewöhnliches. Sie nimmt Kurse an der Kunstakademie und fühlt sich in der Gesellschaft von Dandies wohl, die sie zwar nicht ernst nimmt, die sie aber auch nicht langweilen.
Ein junger Kollege ihres Stiefvaters, der irgendwann bei ihnen auftaucht, scheint ihrer Zuneigung würdig zu sein. Die beiden heiraten, aber auch nach Jahren stellt sich kein Nachwuchs ein. Susanna geht mit einem jungen Schotten aus der Kunstakademie fremd und wird schwanger. Von ihrem Mann lässt sie sich scheiden, der junge Schotte aber wird nie erfahren, dass er einen Sohn in New York hat.
New York befindet sich in dieser Zeit im Umbruch und Susanna begleitet die Zeit mit ihren Bildern von Personen, die an diesem Umbruch beteiligt sind. Die Industrialisierung schreitet voran und ihr braunes Sandsteinhaus, das zu Beginn noch am Rand der Stadt lag, rückt immer mehr ins Zentrum auch von neuen Fabriken und Wohnsiedlungen.

Werden Susanna und ihre Mutter noch relativ passiv und distanziert dargestellt, so bildet Christie, ihr Sohn, da vielleicht ein Gegengewicht. Christie entwickelt durchaus eigene Wünsche und Ansprüche und setzt sich auch gegen Mutter und Großmutter durch. Zumindest die Großmutter ist vernarrt in dieses Kind. Sie, die es zu einer hohen Kunst entwickelt hatte, Interesse an ihren Mitbürgern zu heucheln, um sich dann aber diese Menschen vom Leib zu halten, kümmert sich hingebungsvoll um ihr Enkelkind. Als nach ihrem Stiefvater auch Susannas Mutter stirbt, ist für Susanna eine Zeit für Veränderungen gekommen. Als sie ihre Dinge in New York geregelt hat, schnappt sie sich ihren Sohn und erfüllt ihm einen seiner größten Kindheitsträume. Sie machen sich auf in die Indianerschutzgebiete im Westen der USA und tatsächlich lernen sie den Häuptling der Lakota, Sitting Bull kennen.
Und hier erleben wir zum ersten Mal eine Susanna, die Dinge nicht nur hinnimmt wie sie sind, sondern engagiert versucht, Unheil von Sitting Bull und seinen Leuten abzuwenden. Aber insgesamt nimmt diese Passage im Buch nur ganz wenige Seiten ein.
Während in Wirklichkeit die Reise der beiden tragisch endet und Christie an einer Blutvergiftung stirbt, hat das Buch einen offenen Schluss. Als Susanna dem Häuptling nicht klarmachen kann, dass ihm von den weißen Truppen Gefahr droht, bricht sie die Zelte ab und reist weiter. Niemand weiß, wohin sie ihr Weg führen wird.

Irgendwie ist es ein Buch ohne Leidenschaften, Dinge werden entschieden, weil sie sich so ergeben, Gefühle spielen keine große Rolle. Susanna lebt zwar sicher anders als andere Frauen ihrer Ze