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Benutzername: 
Jackolino
Wohnort: 
Rheinland-Pfalz

Bewertungen

Insgesamt 60 Bewertungen
Bewertung vom 24.04.2023
Lavendel-Zorn / Lavendel-Morde Bd.5
Bernard, Carine

Lavendel-Zorn / Lavendel-Morde Bd.5


sehr gut

Carine Bernard hat mit „Lavendel-Zorn“ den 5. Krimi in der Reihe der Lavendel-Krimis und den 4. Krimi um die Ermittlerin und Commissaire Lilou Braque geschrieben. Die Krimis spielen im beschaulichen Städtchen Carpentras in Südfrankreich.
Lilou wollte endlich mal einen Tag mit ihrem Partner am Badesee verbringen. Dieser Tag wird durch einen Leichenfund empfindlich gestört. Im Wasser treibt eine Frauenleiche, die auch recht bald identifiziert werden kann. Die tote Dame ist Mitarbeiterin in einem Notariat vor Ort. Zunächst ist von einem Unfall auszugehen und die Gendarmerie lehnt Ermittlungen ab.
Doch schon am nächsten Tag wird die Polizei zum Vorgesetzten der Toten gerufen, er hat sich offenbar erschossen, die Türen seines Amtszimmers waren von innen verschlossen, von Fremdverschulden kann also nicht ausgegangen werden.
Lilou glaubt jedoch nicht an Zufälle und beginnt, der Sache auf den Grund zu gehen. Die Spurensuche gestaltet sich schwierig und im Umfeld der beiden Opfer scheint es auch keine Ungereimtheiten zu geben. Charlene Thomas war glücklich liiert und Notar Sousteron führte wohl ein gänzlich korrektes und unauffälliges Leben. Man kann im Buch über vier Kapitel nachvollziehen, dass dieser Teil der Polizeiarbeit mühevoll ist, man stochert im Leben eines Verstorbenen herum, sucht nach einem Motiv, sei es für Mord oder Selbstmord und zunächst einmal scheint alles in bester Ordnung zu sein, nirgendwo ergibt sich ein Anhaltspunkt.
Die Autorin versteht es gut, die Spannung bis zum Schluss aufrecht zu erhalten. Und wäre da nicht Kommissar Zufall gewesen, dann hätte der Mörder mit seiner Tat straffrei davonkommen können. Es hätte sein können, dass die Lügen des Täters überzeugender wirkten als die Beteuerungen des Tatverdächtigen.
So wurde aus Unfall und Suizid doch noch eine veritable Mordermittlung.
Ich fand den Krimi sehr lesenswert und habe ihn in einem Rutsch durch gelesen.
Dennoch habe ich eine kleine Kritik: Das Cover mit dem Lavendelfeld und dem pittoresken Haus ist wunderschön und natürlich muss zur Reihe der Lavendel-Krimis auch ein Feld mit Lavendel abgebildet werden. Der Titel allerdings gefällt mir nicht ganz so gut.
Er erinnert mich an die Ostfriesen-Krimis von Klaus-Peter Wolf, da gibt es auch "Ostfriesenzorn". Vor allem auch im Zusammenspiel mit Lavendel erschließt sich mir der Sinn nicht.

Bewertung vom 23.04.2023
Tochter einer leuchtenden Stadt
Suman, Defne

Tochter einer leuchtenden Stadt


sehr gut

Was einen schon zum Beginn für das Buch einnimmt, ist das sehr schöne Cover. Das gemalte Bild einer schönen, jungen Frau im schwarz-weiß gestreiften Kleid vor einem rosé farbenen Hintergrund mit weißen Blüten.
Bei dieser jungen Frau muss es sich wohl um Panayota oder Schehezerade handeln, um die Tochter der ehemals leuchtenden Stadt Smyrna.

Smyrna ist der frühere Name des heutigen Izmir. Damals handelte es sich um eine kosmopolitische Stadt, die von Türken, Griechen, Armeniern, Juden und Europäern bewohnt wurde. Das war, bevor die Streitigkeiten zwischen Griechen und Türken eskalierten. Das kleine Mädchen kommt 1905 zur Welt, wird aber erst nach einem langen Leben erfahren, woher sie eigentlich kam und wer ihre Eltern waren.
Der Anfang liest sich schwer, man braucht lange Zeit, um ins Buch reinzukommen. Es ist verwirrend und oft weiß man nicht, von welcher jungen Frau gerade die Rede ist. Geht es um Juliette, um Edith oder um Schehezerade? Ich hatte da zunächst einige Schwierigkeiten und erst als ich die Familienverhältnisse für mich geklärt hatte, wurde es einfacher, die Geschichte zu verfolgen.
Es wird die Geschichte dreier Frauen erzählt. Da ist zunächst einmal Juliette, die aus einer ursprünglich französischen Familie stammt, die aber schon seit Generationen in Smyrna ansässig ist.
Juliette bringt neben ihren älteren Kindern als Nesthäkchen Edith zur Welt. Dieses Kind ist ein Kuckuckskind, was aber lange Zeit und bis nach dem Tode des Familienvaters niemand erfährt. Auch Edith selbst wird erst darüber aufgeklärt, als sie das Vermögen ihres leiblichen Vaters erbt.
Edith ist ein freiheitsliebendes Kind, was in der doch zum Teil sehr konservativen Stimmung in Smyrna nicht jedem gefällt, vor allem ihrer Mutter nicht. Nach dem Tod ihres leiblichen Vaters löst sie sich daher aus dem Familienverband und bezieht allein das geerbte Haus. Ihr indischer Partner Avinash Pillai steht ihr dort zur Seite. Ihr Leben und ihre Besonderheiten nehmen einen Großteil des Buches ein, parallel wird aber auch immer wieder aus einer griechischen und einer türkischen Familie berichtet. Hier geht es um unterschiedliche Zeiten, was das Lesen nicht unbedingt einfacher macht.
Dass Edith eine Tochter hatte, die sie bei der Geburt abgeben musste und von der sie seither glaubte, dass sie die Geburt nicht überlebt habe, wird zwar immer mal wieder angeschnitten, Einzelheiten dazu erfährt man aber erst zum Ende hin. Und damit lösen sich dann auch endlich viele Unklarheiten auf und viele Fragen werden beantwortet.
Smyrna muss nach den Schilderungen eine wunderschöne Stadt gewesen sein. Sie ersteht mit dem Lesen vor unseren Augen neu und ist mit dem heutigen Izmir wohl auch nur sehr eingeschränkt vergleichbar. Es ist schön, dass sich Defne Suman diesem Thema angenommen hat und in gewisser Weise ist ihr Buch auch ein Beitrag zur Völkerverständigung zwischen Griechen und Türken. Man hat den Eindruck, die Menschen allein kamen gut miteinander aus. Erst die Politik, die Einmischung der Westeuropäer und die kriegerischen Auseinandersetzungen mit der Ermordung tausender unschuldiger Menschen hat die bis heute andauernden Spannungen zwischen Griechen und Türken befeuert.

Bewertung vom 20.04.2023
Südlich von Porto lauert der Tod
da Silva, Mariana

Südlich von Porto lauert der Tod


ausgezeichnet

Es ist Mariana da Silvas erster Krimi und schon das Cover ist ein Hingucker. Wenn man so wie ich Bücher schon mal nach dem schönen Titelbild kauft, dann fällt dieser Krimi auf jeden Fall in diese Kategorie. Außerdem haben wir vor Jahren einmal die Küste zwischen Lissabon und Porto befahren, waren begeistert von Coimbra, Figuera da Foz und auch Aveira und konnten uns die Region so ganz gut vorstellen.
Den blauen Azulejos kann man in Portugal nicht entgehen, ganze Bilder sind in Fliesen gelegt und eins ist schöner als das andere und so deutet die Auswahl an blauen und jeweils unterschiedlichen Fliesen schon auf ein Buch hin, das mit Portugal zu tun hat.
Ria Almeida ist eigentlich zu Beerdigung ihres Großvaters nach Portugal gekommen, normalerweise lebt sie in Stuttgart und hat sich dort vor einiger Zeit nach menschlichen Enttäuschungen im Ermittlungsdienst zur Streifenpolizei versetzen lassen. Nur, glücklich ist sie dort auch nicht. Ein Monat Abstand von der Arbeit soll ihren Kopf frei machen und ihr einen Weg weisen, wie ihr Leben weiter gehen könnte.
Schon kurz nach der Beerdigung wird in dem Dorf, in dem es eigentlich gar keinen Mord gibt, eine tote Frau gefunden. Zunächst wird der Fall auch als Unfall angesehen, aber dann verschwindet die Leiche aus dem Haus des Bestatters und für Rias Cousin Joao, den Polizisten des Dorfes, beginnt die erste Ermittlung in einem Kriminalfall. Ria hilft tatkräftig mit und selbst als die übergeordnete Polizei in Aveira den Fall an sich zieht und der sehr unsympathische Kommissar Baptista den Fall übernimmt, ist sie weiterhin mit von der Partie. Und tatsächlich bringen Ria und Joao die Ermittlungen weiter.
Der Krimi bleibt spannend bis zuletzt und die Auflösung war eine Überraschung für mich. Mehr soll aber auch nicht verraten werden😊
Ich denke, dieses Buch könnte der Auftakt einer ganzen Reihe von Krimis um Ria und Joao sein. Ich gehe nach dem Schluss schon davon aus, dass Ria sich für Portugal entscheidet und wer weiß, vielleicht ist Baptista ja doch nicht ganz so unsympathisch, wie er sich gerne gibt.

Bewertung vom 29.03.2023
Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat
Boks, Aron

Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat


sehr gut

Aron Boks, 1997 geboren, entdeckt bei seiner Großmutter ein Bild seines Urgroßonkels Willi Sitte: „Die Heilige Familie“ und stellt fest, dass ihm keiner der darauf abgebildeten Menschen irgendwie vertraut ist. Der Maler selbst ist der Bruder seines Urgroßvaters und auch von dem hat er bislang nur wenig gehört.
Er beschließt sich auf die Suche zu machen und den Spuren zu folgen, die Willi Sitte hinterlassen hat.
Er befragt Verwandte, recherchiert aber auch in Italien, am Geburtsort Willi Sittes Kratzau im heutigen Tschechien, in Halle, seinem langjährigen Wohnort und an anderen Orten seines Wirkens. Zunächst einmal erweitert diese Recherche Arons Horizont beträchtlich. Er lernt viele Verwandte kennen, die ihm vorher vollkommen fremd waren. Und er spricht mit Weggenossen, mit Künstlerkollegen, Schülern, mit Schriftstellern und mit ehemaligen Freunden, die die DDR verlassen haben. Er ergründet das Werk seines Vorfahren ohne Vorurteile. Weder stören ihn die Verwicklungen seines Urgroßonkels in die Politik der DDR noch ist er Kunstkenner und könnte die Bilder von einem künstlerischen Standpunkt aus begutachten. Er geht also sehr offen an die ganze Geschichte heran.
So taucht er doch unverhofft in die Kulturpolitik der DDR in den Jahren zwischen 1950 und 1990 ein. Offenbar war Willi Sitte in seinen jungen Jahren lange nicht so angepasst, wie man es ihm später nachgesagt und angelastet hat. Obwohl überzeugter Kommunist und auch aus einer kommunistischen Familie stammend tat er sich schwer mit den Vorgaben und hätte sich zumindest in den 50er und Anfang der 60er Jahre sehr viel mehr künstlerische Freiheiten und Interpretationsspielraum gewünscht. Später dann nutzte die Schlupflöcher, die sich ihm auftaten. Wie offenbar die meisten DDR-Bürger. Man kannte jemanden mit Einfluss und warum sollte man die Kontakte nicht für sich nutzen. Und wenn man geschickt war, konnte man sich selbst einen Bereich aufbauen, in dem man selbst Einfluss hatte und Dinge entscheiden konnte.
Unsere heutige Sicht auf die Dinge ist im Westen stark von der langen Berichterstattung der Medien während der Zeit der Trennung der beiden dt. Staaten in BRD und DDR geprägt. Es war nicht der Geschichtsunterricht, denn die Politik träumte ja immer noch von einer Wiedervereinigung und entsprechend hörte Geschichte mit dem Dritten Reich auf. Offenbar war es auch später noch so, auch Arons Kollegin Ruth berichtet von zwei Stunden Unterricht über 40 Jahre der Teilung.
Es ist nicht einfach, Menschen, die ein ganzes Leben an das System geglaubt haben und mit dem System gelebt haben, vor den Kopf zu stoßen und ihnen zu verkünden, dass ihr Leben umsonst war. Und die Wiedervereinigung war für viele auch nicht die Lösung, die sie sich erhofft hatten. Sie wollten eine runderneuerte DDR, sie wollten Reisefreiheit, sie wollten das verknöcherte Regime loswerden, sie wollten einen anderen Sozialismus aber sie wollten nicht unbedingt wiedervereinigt werden.
Als Familiengeschichte ist das Buch gut zu lesen, es ist nicht trocken, obwohl eine Auseinandersetzung zwischen Realismus und Kubismus in der Kunst schon mal recht abstrakt werden kann.
Das Titelbild ist einem der Bilder Willi Sittes entnommen, mit dem Titel fremdele ich noch ein wenig. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass Willi Sitte mit Vorliebe nackte Menschen gemalt hat und dafür an den zahlreichen FKK-Stränden Anschauungsunterricht nahm.

Bewertung vom 12.01.2023
In tiefen Seen / Commissario Grauner Bd.8
Koppelstätter, Lenz

In tiefen Seen / Commissario Grauner Bd.8


sehr gut

Die Kriminalromane von Lenz Koppelstätter spielen in Südtirol, im Bereich um Bozen, Meran und den angrenzenden Tälern. Kommissario Grauner und Ispettore Saltapepe arbeiten zusammen und werden von einer fähigen Assistentin, nämlich Silvia Tappeiner und der Praktikantin Sabrina Donnachiara unterstützt.

Dieser Krimi spielt im Passeiertal, einem Tal nördlich von Meran, das ziemlich abgeschlossen von der Außenwelt nur noch in die Berge führt, es gibt kein Durchkommen nach Österreich oder die Schweiz, mit dem Schneeberg endet das Tal. Im Passeiertal wurde jahrhundertelang nach Erz gegraben und so sind die Berge mittlerweile ziemlich unterhöhlt und Geologen fürchten eine Einsturzgefährdung. Dort wird auf einer grünen Wiese die brutal zugerichtete Leiche eines Malers gefunden. Die Inszenierung der Leiche ähnelt einem Gemälde von Botticelli.

Was kaum jemand wusste, ist, dass die unterirdischen Höhlen in den 40er Jahren als Verstecke für geraubte Kunst aus den Florentiner und römischen Museen missbraucht wurden. Daraus entwickelt sich eine spannende Handlung, die sich auch den ermittelnden Beamten nur langsam erschließt und sie sehr in Gefahr bringt.

Koppelstätters Hauptakteure, die beiden Kriminalbeamten, könnten unterschiedlicher kaum sein. Der eine im Nebenerwerb Bauer mit Kühen, die ihm sehr nahestehen und mit einer Schwäche für Mahler-Sinfonien, der andere Neapolitaner mit einer großen Liebe zum Fußball. Trotzdem sind sie über die Jahre zusammengewachsen und auch die unterschiedlichen Kulturen und Sprachen wirken sich nicht negativ aus, jeder hat sich auf die Eigenheiten des jeweils anderen längst eingestellt.

Die Bauern im Passeiertal hingegen machen gegenüber jedem Fremden erst mal dicht, da dringt nichts nach außen und das erschwert den ermittelnden Beamten lange die Arbeit.

Das Buch ist spannend geschrieben und tatsächlich lösen sich die Rätsel erst ganz zum Schluss auf, auch aufgrund der sehr guten Zusammenarbeit der Ermittler. Nicht einmal Staatsanwalt Belli kann da noch etwas verschlimmbessern.
Um dem Buch folgen zu können, muss man die Vorgängerromane nicht kennen, man bekommt aber Lust darauf, sie kennenzulernen.

Bewertung vom 03.12.2022
Der große Coup des Monsieur Lipaire / Die Unverbesserlichen Bd.1
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Der große Coup des Monsieur Lipaire / Die Unverbesserlichen Bd.1


sehr gut

Das Buch spielt in Südfrankreich, im Hafenort Port Grimaud.
Der Hintergrund passt, der Ort ist tatsächlich in den 60er Jahren auf dem Reißbrett von Francois Spoerry entworfen worden, der Architekt heißt im Buch Roudeau. Nicht nur Roudeau, auch der echte Architekt Spoerry hat sich in einem Sarkophag in der Kirche beerdigen lassen, man kann es auf den touristischen Seiten im Web nachlesen. Und es gibt auch das ehemalige Privathaus des Architekten, in dem jetzt die Familie Vicomte ihr Feriendomizil hat.
Viele der Häuser in Port Grimaud sind Ferienhäuser oder Wohnungen, die nur wenige Wochen im Jahr bewohnt sind. Hausmeister kümmern sich um diese Wohnungen und einer dieser Hausmeister ist Guillaume Lipaire, eigentlich Wilhelm Liebherr, ein Deutscher, der gerne auf französischen Lebemann macht. Um sich seinen Lebensstil leisten zu können, braucht es zusätzliche Einnahmen und die verschafft er sich mit der Vermietung der ihm anvertrauten Wohnungen auf eigene Kasse. Die Nobelkarossen der Besitzer bewegt er zwischenzeitlich auch gerne einmal.
Lipaire hat einige Freunde in Port Grimaud und mit diesen wird er in eine Räuberpistole hineingezogen, die schon ziemlich skurril ist.
Der Eindruck, den man gewinnt, wird beeinflusst von dem Anspruch, den man an das Buch hatte. Man geht bei den beiden Autoren unweigerlich von einem Krimi aus, bisher sind die beiden Autoren durch die bayerischen Kluftinger Krimis bekannt geworden. Hier sind zwar auch ein paar kleine „Gauner“ am Werk, aber es handelt sich mehr um Comedy zum Lesen. Und zeitweise auch um ein ziemliches „Geschwurbel“, wie Lipaire es selbst so schön bezeichnet.
Für mich hatte das Buch einiges an Längen, auch wenn dadurch natürlich die „Mitspieler“ gut beschrieben und charakterisiert wurden und man – auch ohne selbst dagewesen zu sein – das Gefühl hat, man kenne sich in Port Grimaud schon ganz gut aus. Spannender wurde es erst zum Schluss hin und tatsächlich verlangt das Ende nach einer Fortsetzung, die auch bereits von Verlagen angeboten wird.
Das Cover gefiel mir nicht so gut, nett fand ich aber die drei Lesebändchen in den Farben der Trikolore. Die blau-weiß-rote Hand erschloss sich mir nicht, außer dass sie ebenfalls die Farben der französischen Flagge aufnahm.

Bewertung vom 22.11.2022
Agent Sonja
Macintyre, Ben

Agent Sonja


ausgezeichnet

Es geht hier um die Biografie einer der erfolgreichsten kommunistischen Spioninnen in der Zeit der Weimarer Republik, der Nazi-Zeit vor und während des 2. Weltkrieges und der ersten Nachkriegsjahre.
Ursula Kuczynski – Agent Sonja - entstammt durchaus großbürgerlichen Verhältnissen, auch wenn die jüdische Familie eher nach links als nach rechts tendiert. Sie ist schon als Jugendliche engagiert, wird während einer Demo zusammengeschlagen und trifft danach eine Entscheidung fürs Leben. Sie tritt der kommunistischen Partei bei und will helfen, deren Ideen durchzusetzen. Sie tut das von China, der Mandschurei, der Schweiz und England aus und absolviert zwischendurch eine Ausbildung zur Spionin in Moskau. Für mehr als 20 Jahre steht sie treu zu ihren Auftraggebern, hinterbringt Moskau wichtige Erkenntnisse, in den letzten Kriegsjahren vor allem über die Atombombe und hinterfragt auch nicht die Säuberungsaktionen in Russland in den 30er und 40er Jahren unter Stalin. Erst in den 50er Jahren lässt sie sich in der DDR nieder und beginnt eine zweite Karriere als Schriftstellerin.

Und dabei wirkt sie so durchschnittlich. Sie trifft sich zum Tratsch mit den Nachbarinnen, kocht und backt, fährt mit dem Fahrrad zum Einkaufen. Nicht einmal der engste Familienkreis weiß, dass sie ein zweites Leben führt und Oberst der sowjetischen Armee ist. Ganz im Gegensatz dazu wirken ihre verabredeten Erkennungsmerkmale für neu angeworbene Mitarbeiter wie eine Persiflage ihrer eigenen Arbeit. Aber vielleicht war es auch gerade ihre fehlende Eitelkeit, ihr Desinteresse, selbst irgendwo im Mittelpunkt zu stehen, die ihr geholfen haben, so lange unerkannt zu bleiben.

Das Buch ist ausgesprochen gut recherchiert und liest sich sehr gut. Eigentlich liest es sich mehr wie ein Spionage-Thriller und man wundert sich immer wieder, dass sich alles wirklich so zugetragen hat.

Gleichzeitig ist das Buch eine Familienbiografie der Kuczinskys, die im Geistesleben der ersten Hälfte des 20. Jh ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Sowohl die Eltern von Ursula als auch die Geschwister und die Kinder von Sonja werden durch die Zeit begleitet.

Ben Macintyre hat mit Agent Sonja ein weiteres Buch im Milieu der Spione geschrieben. Er konnte durchaus schon auf Recherchen zurückgreifen, die er für das Schreiben früherer Bücher benötigte. Mit Zigzag und Double Cross, mit Operation Mincemeat und A Spy among Friends hat er schon einige auf wahre Begebenheiten zurückreichende Thriller im Spionagebereich oder aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht.
Und einige seiner Hauptpersonen aus vorangegangenen Büchern spielen auch bei Agent Sonja wieder eine Rolle.

Das Titelbild gibt wunderbar ihre vollkommen unauffällige Art wieder, von einer Spionin erwartet man nicht, dass sie mit dem Fahrrad kommt und Einkaufstaschen bei sich führt.

Bewertung vom 03.11.2022
Der Traum beginnt / Die Wintergarten-Saga Bd.1
Roth, Charlotte

Der Traum beginnt / Die Wintergarten-Saga Bd.1


sehr gut

Es handelt sich bei dem Buch um den ersten Teil einer Trilogie um eine junge Frau aus der Uckermark – Nina von Veltheim – in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg in Berlin.
Nina wusste immer schon, dass ihre Begeisterung der Bühne gilt und so verlässt sie mit gerade einmal 20 Jahren das heimatliche Gut und geht nach Berlin.
Doch es ist nicht so, dass alle auf sie gewartet hätten, ganz im Gegenteil.
• Sie hat keine Ausbildung
• Sie ist eine Frau
Das allein reicht schon, um sie zwar mal unentgeltlich als Regieassistentin zu beschäftigen, aber es führt nicht zu einer tatsächlichen Akzeptanz. Und das ist ein Thema, dem das Buch immer wieder folgt. Egal wie toll das Angebot ist, die Phalanx aus alten reichen Männern sorgt dafür, dass ihnen keine Konkurrenz entsteht und schon gar nicht von Frauen.
Es kommt alles ganz anders, als Nina es sich vorgestellt hat. Ganz oft steht sie kurz vor der der Obdachlosigkeit und Hunger lernt sie auch kennen, wenn die Inflation die Schrippen täglich teurer macht und sie sie sich nicht mehr leisten kann.
Aber sie lernt auch Nächstenliebe kennen und schätzen. Sie lernt, dass das Leben ein Geben und Nehmen ist und Unterstützung findet sie in erster Linie bei den unteren Schichten. Der Kellner des Wintergartens etwa oder die Putzfrau, sie besorgen ihr kleine Gelegenheitsjobs und erhalten ihrerseits wieder die Chance, in der Rolle ihres Lebens in Ninas Show aufzutreten.
Das andere große Thema ist Ninas unbedingter Drang zur Unabhängigkeit, ihre Angst, sich von jemandem finanziell abhängig zu machen. Auch ihrer großen Liebe Anton erlaubt sie nicht, sie zu unterstützen, sie will es allein schaffen.
Diese Manie nimmt manchmal schon krankhafte Züge an und sie zieht sich sehr durch das Buch und führt natürlich in ihrem Verhältnis zu Anton zu zahlreichen Krisen.
Das Buch ist ein Schmöker im besten Sinne, ein gut unterhaltendes Buch und liest sich wunderbar, dennoch sind manche Längen wohl der Tatsache geschuldet, dass ja noch zwei Bücher folgen sollen.

Bewertung vom 01.11.2022
Die Sehnsucht nach Licht
Naumann, Kati

Die Sehnsucht nach Licht


ausgezeichnet

Luisa Steiner ist Gästeführerin in einem ehemaligen Bergwerk in Schlema im Erzgebirge und ihre Familiengeschichte ist durchzogen von Geschichten unter Tage, von guten Erlebnissen, aber auch von Unfällen und ungeklärten Todesfällen, die bis heute nicht aufgeklärt werden konnten.
Mehr zufällig stößt sie auf Fälle, über die in der Familie einfach nicht gesprochen wird oder wo bisher alle Nachforschungen einfach nicht zum Erfolg geführt haben.
• Großtante Irmas Liebster und Vater ihrer Tochter Michaela, der bei einer Explosion zu Tode gekommen sein soll
• Onkel Rudolf, von dem niemand weiß, wo er abgeblieben ist
Und so springt die Handlung zwischen Heute und Damals hin und her, was aber kein Problem darstellt.

Abgedeckt wird die Zeit zwischen 1908 und 2019. Oberschlema muss das Ende des Kobaltabbaus verkraften, findet aber durch Radonquellen eine neue Einnahmequelle und wird wichtiger Kurort. Nach dem 2. Weltkrieg ist es der Uranabbau und nach dessen Ende dann doch wieder der Fremdenverkehr, der der Stadt eine Zukunft bietet.
Auch wenn die Politik immer nur im Hintergrund eine Rolle spielt, so merkt man ihre Auswirkungen doch bis ins Erzgebirge. Am Ende des 1. Weltkriegs werden Hunger und Mangelwirtschaft beschrieben, die 20er Jahre zeigen sich im Erzgebirge als Zeit des Aufschwungs im Tourismus und neuer technischer Errungenschaften, die 30er Jahre sind zunächst einmal trotz Nationalsozialismus wirtschaftlich gute Jahre, in denen sogar erste Freizeitvergnügen möglich sind. Dass Hitler doch den Krieg beginnen würde, damit hatte im Erzgebirge niemand gerechnet. Und natürlich leidet der Kurbetrieb darunter, bis er schließlich ganz eingestellt wird. Der Bergbau ist in dieser Zeit nicht nur Erwerbsquelle sondern auch Schutzort, denn Bergleute gelten als unabkömmlich und werden nicht als Kanonenfutter an die Front geschickt. Nach Ende der Kriegsgefangenschaft kommen die Männer wieder nach Hause, hier haben sich im Uranabbau neue Chancen ergeben. Die neugegründete DDR muss die von der Sowjetunion geforderten Reparationen mit Bodenschätzen und hier vorzugsweise Uran bezahlen. Die vielgelobte Freundschaft zur UDSSR besteht nur auf dem Papier, wehe man nimmt die Freundschaftsbekundungen auch noch ernst.

Der Zusammenhalt und Familiensinn der Bergarbeiterfamilie Steiner ist hervorragend beschrieben. Auf der einen Seite ist da viel Tradition, auf der anderen Seite aber auch ganz viel Liebe, sich Kümmern und füreinander einstehen. Und dieser Generationen übergreifende Zusammenhalt bewegt auch die Urenkelin Luisa noch dazu, das Schicksal Ihres Großonkels und ihrer Großtante zu ergründen, was ihr letztendlich sogar gelingt.

Sehnsucht nach Licht hatte ich zunächst auf die Arbeit unter Tage bezogen. Aber alle Männer der Familie haben sich im Stollen immer wohl gefühlt und ihnen hat die Dunkelheit nichts ausgemacht.
Es ist aber auch etwas anderes damit gemeint. Die richtige Anzahl an Lichtern im Fenster zeigte den heimkommenden Bergleuten, dass in der Familie alles in Ordnung war. Das nahm ihnen viel von der Sorge um ihre Familie. Und Sehnsucht nach Licht heißt wohl auch Sehnsucht nach Wahrheit, eine Sehnsucht, die einige Familienmitglieder lange unterdrückt haben, die aber andererseits auch immer weitergegeben wurde und im Familienkreis nie vergessen wurde.
Das Cover mit der aufgehenden Sonne im Hintergrund und den kleinen Dörfern, die sich zwischen Wäldern in ein kleines Tal schmiegen, passt gut zum Titel.

Bewertung vom 20.10.2022
Die Mauersegler
Aramburu, Fernando

Die Mauersegler


sehr gut

Der spanische Autor Fernando Aramburu legt einen Roman über einen Mann vor, der vom Leben enttäuscht ist.
Heute liebt er nur noch seinen Hund. Er fasst den Entschluss, seinem Leben in genau 365 Tagen ein Ende zu setzen. Am 31. Juli beginnt das letzte Jahr, und dieser Roman hat 365 Kapitel, eins für jeden Tag, wobei die Kapitel-Zählung mit jedem Monat wieder neu beginnt. Dieses letzte Jahr wird zu einer Abrechnung mit seinem Leben. Er gewöhnt sich an, täglich ein paar Zeilen persönlicher Chronik aufzuschreiben. Einen Adressaten dafür hat er nicht, wie er selbst sagt: er schreibt es für niemanden auf.
Toni kommt im ersten Teil des Buches nicht wirklich sympathisch rüber und obwohl man doch Mitleid mit ihm haben sollte angesichts seiner tiefgreifenden Entscheidung, so lässt einen das ziemlich kalt. Soll er doch, seine Entscheidung!
Er denkt über seine Kindheit, seine Eltern, seinen Bruder nach. Er fängt an, sich von Ballast in seiner Wohnung zu befreien und verteilt seine Bücher in der Stadt in der Hoffnung, Leser für sie zu finden. Er reflektiert noch einmal über seine Ehe, seinen Sohn, der doch nicht so geriet, wie er sich das erhofft hatte. Doch da ist auch noch Humpel, sein einziger Freund, dem er sogar seine Gedanken und Pläne anvertraut. Und an manche früheren Freundinnen erinnert er sich auch mit Wehmut, schade, was das Leben aus ihnen gemacht hat.
Und irgendwann, nach ca. 2/5 des Buches beginnt sich das Blatt langsam zu wenden. Dieser Entschluss, seinem Leben ein Ende zu setzen, lässt ihn Dinge anders erleben. „Ich könnte schwören, dass das Leben angefangen hat, mir Spaß zu machen, seit ich weiß, dass ich den Hebel in der Hand habe, um es zu beenden“. Unmerklich wird unser Antiheld auch sympathischer. Er unterstützt ohne großes Nachdenken die teure Krebs-Therapie seiner Nichte, die es dann aber trotzdem nicht schafft. Er geht nicht länger seiner früheren Freundin Agueda aus dem Weg, sondern freut sich manchmal sogar schon auf ihre „rein zufälligen“ Zusammentreffen. Entscheidungen treffen hebt meine Stimmung, sagt er irgendwann und so ist es der Übergang von der Passivität in die Aktivität, die ihn wieder mehr am Leben teilhaben lässt.
Das Buch liest sich einerseits gut. Keine ellenlangen Sätze, wenig Einschübe, die das Lesen erschweren würden. Das Buch liest sich andererseits aber auch nicht flüssig, weil es keine fortlaufende Handlung ist. Man kann es nicht einfach hinlegen und am nächsten Tag der Handlung weiter folgen, es kann sein, dass schon wieder ein ganz anderer Handlungsstrang zum Tragen kommt. Da denkt er einmal an frühere Kommilitonen, dann an seine Mutter und seinen Bruder und er schildert es so, wie es ihm in den Kopf zu kommen scheint. Außerdem springt er in seiner Erinnerung, nichts läuft chronologisch ab. Mal erinnert er sich an seine Kindheit, einen Tag später analysiert er die Krankheiten seines Freundes Humpel oder reflektiert seine zerbrochene Ehe.
Das Cover mit einer regennassen Straße zwischen hohen Häuserzeilen, auf denen ein einsamer Mann mit seinem Hund spazieren geht, passt gut zum Buch. Obwohl hinter all den bunten Fassaden Menschen wohnen, kann man sich einsam und als Außenseiter fühlen, der Regen und die Pfützen verstärken die negative Stimmung. Aber in der Pfütze spiegelt sich schon blauer Himmel, offenbar ist da doch noch Licht am Ende des Tunnels.
Mit dem Buchtitel „Die Mauersegler“ tue ich mich schwerer. Toni selbst vergleicht sich mit einem dieser Vögel, als er immer mehr von seinem Besitz in der Stadt verteilt. Es gebe ihm das „Gefühl von Leichtigkeit, von schwerelosem Aufstieg in die Lüfte hin zur ersehnten Verwandlung in einen Mauersegler“. Das ist zumindest eine Erklärung, trotzdem hätte mir vielleicht ein anderer Titel besser gefallen.