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Renas Wortwelt

Bewertungen

Insgesamt 86 Bewertungen
Bewertung vom 13.03.2024
Leuchtfeuer
Shapiro, Dani

Leuchtfeuer


ausgezeichnet

Seelenentblößung auf Amerikanisch

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin mit diesem Roman nicht warm geworden. So viele Rezensionen über dieses Buch, die ich bereits gesehen habe, schwärmen von der Sprache, der Umsetzung des Plots, von den Figuren. Leider hat mich davon nichts wirklich überzeugt.
Das Schicksal zweier benachbarter Familien schildert die Autorin über mehrere Jahrzehnte hinweg. Das Leben der Wilfs erfährt ein tragisches Ereignis, als die beiden noch minderjährigen Kinder Sarah und Theo mit dem Auto einen Unfall bauen, bei dem ein Mensch ums Leben kommt. Ihr Vater Benjamin ist Arzt und will noch helfen, macht jedoch alles nur noch schlimmer. Dieser Vorfall lässt sie ihr ganzes späteres Leben nicht mehr los, alles wird darauf zurückgeführt. Jedes Versagen, jedes Unvermögen, das eigene Leben zu bewältigen, erklärt sich vor allem Sarah mit diesem Unfall. Bei dem sie die Schuld auf sich nahm, obwohl Theo, damals erst 15, gefahren war.
Jahre später, die Mutter von Sarah und Theo ist inzwischen wegen ihrer Demenz im Pflegeheim, Sarah hat eine eigene Familie und ist Mutter von Zwillingen, während Theo gerade Chefkoch und Betreiber eines kleinen Restaurants ist. Benjamin Wilf lebt immer noch im selben Haus und kommt jetzt in Kontakt zu dem Jungen Waldo im Haus gegenüber, der ein Außenseiter ist, den Sternenhimmel liebt und bei seinen Eltern für sein Verhalten kein Verständnis findet.
Die Sache eskaliert, als Waldo von zuhause fortläuft und Mimi, Benjamins Frau, aus dem Pflegeheim verschwindet.
In verwirrend vielen, nicht chronologischen Rückblenden und mit häufig wechselnden Perspektiven schildert Dani Shapiro das Seelenleben dieser Protagonisten. Einer davon ist auch Waldos Vater, der aus nicht nachvollziehbaren Gründen als einziger im Roman immer nur mit seinem Nachnamen benannt wird. Shenkman hadert mit sich, weil er mit seinem Sohn keine Geduld hat und versucht, seine innere Wut mit übertriebenem Fitnesstraining in den Griff zu bekommen.
Für mich fehlt in diesem Roman das Leben. Alle Protagonisten werden wie unter einem Mikroskop analysiert, doch um sie herum gibt es nichts. Alle bewegen sich wie in einem luftleeren Raum, es gibt keine Umgebung, keine anderen Menschen, die auftreten, keine Arbeit, keine Freunde, keine weiteren Nachbarn.
Das wirkt auf mich wie die typisch amerikanische Selbstanalyse, alle beschäftigen sich nur mit sich selbst, therapieren, analysieren sich ständig, beobachten ihr eigenes Verhalten. Das ist mir alles zu dick aufgetragen. Die Figuren leben nicht, sie sind wie Übungsmaterial für Psychotherapeuten. Einzig Ben und Waldo sind lebendig, haben echte Gefühle, benehmen sich „normal“, reagieren und handeln realistisch. So sind sie auch die einzigen Figuren, für die ich bei der Lektüre Empathie aufbrachte.
Dabei ist diese egozentristische Selbstzerfleischung gut in Worte gefasst, die Sprache beschreibt dies mit fast schmerzhafter Intensität, macht es vorstellbar, überzeugt. Dennoch ist es am Ende von allem zu viel.
Ein Roman, der mir zu theoretisch, zu abgehoben, zu verkopft ist.
Dani Shapiro – Leuchtfeuer
aus dem Amerikanischen von Ulrike Wassel und Klaus Timmermann
hanserblau, Februar 2024
Gebundene Ausgabe, 288 Seiten, 23,00 €

Bewertung vom 11.03.2024
Marseille 1940
Wittstock, Uwe

Marseille 1940


ausgezeichnet

Ein Thriller könnte nicht spannender sein
Uwe Wittstock : Marseille 1940
Diese Geschichte stiller Helden, mutiger Frauen, kluger Männer und eines grausamen Krieges ist so fesselnd, so spannend und gleichzeitig so berührend, dass man sie geradezu verschlingt.
Der Autor Uwe Wittstock, dessen Buch „Februar 1933“ ich bisher noch nicht kenne (was ich aber unbedingt nachholen muss), erzählt hier von den vor dem Naziregime geflüchteten Literaten, Künstlern, Philosophen und ihrer Hoffnung auf Rettung. Ihrer Hoffnung auf Aufnahme in einem anderen Land, einen Land, dass sie nicht, wie das „freie“ Frankreich, an die Deutschen ausliefern würde.
Fliehend vor der näher rückenden deutschen Armee, die 1940 in einem beispiellosen Durchmarsch Paris und den größten Teil Frankreich erobert, stranden so berühmte Schriftsteller wie Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Maler wie Marc Chagall, Kommunistinnen wie Anna Seghers und Philosophinnen wie Hannah Arendt in Marseille.
Dort hat der Amerikaner Varian Fry eine Fluchthilfeorganisation aufgebaut, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, gerade diese Künstler und Künstlerinnen zu retten. Er verschafft ihnen Einreisevisa nach Amerika oder versucht es zumindest. Immer wieder werden ihm und ihnen Steine in den Weg geworfen, auch von amerikanischen Politikern und ihren Vertretern in den Konsulaten vor Ort.
Doch Fry gibt nicht auf. Auch als ihm selbst Gefahr droht, als er die Unterstützung seines Vereins, seiner Gönner und Spender zu verlieren droht, bleibt er in Marseille. Er ist davon überzeugt, dass er die Menschen, die von den Nazis verfolgt werden, retten muss.
Die Franzosen bekommen Listen mit Namen derjenigen, die sie ausliefern sollen. Und das Regime unter Pétain unterstützt dies. Also bleibt diesen Künstlern nur die Flucht. Auf abenteuerlichen Wegen, über die Pyrenäen, ohne Papiere oder nur mit gefälschten, versuchen sie, nach Lissabon zu kommen, dem einzigen Hafen auf dem europäischen Kontinent, von dem noch Schiffe nach Übersee aufbrechen.
Akribisch chronologisch geordnet, blitzlichtartig mal den einen Künstler, mal die eine Schriftstellerin auf der Flucht beobachtend, berichtet Uwe Wittstock in unübertrefflicher Weise von diesen gejagten Menschen, die oftmals all ihre Habe zurücklassen, teils in menschunwürdigen Sammellagern ausharren mussten, oft von ihren Angehörigen getrennt, ohne Nachricht von jenen.
Dabei macht der Autor durchaus darauf aufmerksam, dass es so vielen Menschen erging wie diesen berühmten, die jeder kennt. Nur von den namenlosen ist keine Geschichte hinterlassen, die man so anschaulich erzählen könnte. Deswegen nimmt er sich die Literaten zum Beispiel, um diese Schicksale zu zeigen.
Spannend wie ein Thriller, berührend und auch ermutigend aufgrund der zahlreichen Franzosen, die ungefragt helfen, die die Flüchtenden aufnehmen und verstecken, ist dieses Buch, das noch lange nachwirkt. Dabei bleibt dann auch unvergessen das Verhalten so manchen Amerikaners, der sich weigert, die vor allem jüdischen Menschen in den USA aufzunehmen. Da drängt sich der Gedanke auf, dass sich manches doch leider immer wiederholt.
Uwe Wittstock – Marseille 1940
C.H.Beck, Februar 2024
Gebundene Ausgabe, 351 Seiten, 26,00 €

Bewertung vom 08.03.2024
Oben in den Wäldern
Mason, Daniel

Oben in den Wäldern


sehr gut

Fragen, die sich sicher jeder schon mal irgendwann gestellt hat, der in ein älteres Haus einzieht: Wer hat vor mir hier gewohnt? Welche Geschichten hätte dieses Haus zu erzählen?
Genau diese Geschichten erzählt der mehrfach ausgezeichnete Daniel Mason in seinem neuen Roman. Wie auch in seinen verdientermaßen hochgelobten vorigen Romanen verwendet er diese wuchtige Sprache, die Bilder erschafft, schärfer als jede Kamera. Und besonders geschickt passt er seine Sprache der jeweiligen Zeit an, in der seine Geschichte gerade spielt.
Es beginnt früh, als das besagte Haus nicht viel mehr als eine Hütte ist, in die dann der ehemalige Soldat und spätere Apfelbauer Osgood einzieht, später seine Töchter nachholt. Mason lässt viel Raum im Roman für diesen Abschnitt seiner Erzählungen , nachdem die ersten Teile, als ein verfolgtes Pärchen in dieser Hütte Unterschlupf findet und weitere Verfolgte sich später dort verbergen, relativ zügig erzählt werden.
Osgood erschafft eine Apfelplantage, hat viel Erfolg mit seinem Obst, doch wirklich glücklich wird die Familie hier nicht. Nach seinem Tod bleiben die Zwillingsschwestern Alice und Mary im Haus zurück, führen die Plantage weiter. Die beiden Schwestern sind gleichzeitig unzertrennlich und unvereinbar, bei aller äußerlichen Ähnlichkeit sind sie im Charakter verschieden. Einem Mann geben sie in ihrem Leben keinen Platz, was schließlich zur Katastrophe führt.
Danach geht es weiter mit dem Haus und seiner Geschichte, Schriftsteller, Maler, Männer und Frauen finden sich ein, über die Jahrhunderte bis ins Heute und Jetzt. Die Menschen verbindet die enge Beziehung zu diesem Haus, das sich verändert, um- und angebaut wird und dennoch bleibt es dasselbe.
Eine ungemein interessante Erzählweise, die Geschichte eines Landes anhand eines Hauses darzustellen. Mason lässt sich viel Zeit für dieses Erzählen, manches ist fast zu langatmig, zu ausführlich, anderes wird in großen Sprüngen berichtet. Doch immer gibt es eine Verbindung zwischen den Geschichten, zwischen den Menschen, die im Laufe der Jahrhunderte in diesem Haus leben und auch sterben.
Dabei ist es vor allem Masons Sprache, die dieses Buch so gewaltig macht. Wenn er die Umgebung beschreibt, die kleine Stadt, die Wälder, das Innere des Hauses, dann findet er dafür Worte, die alles greifbar, vorstellbar machen. Das geht dann manchmal zu Lasten der Handlung, nehmen diese Beschreibungen viel mehr Raum ein als Ereignisse und Erlebnisse.
Ein Roman, den man nicht schnell durchliest, der auch keine Spannung, keine Höhepunkte, kein wirkliches Ende bietet, der aber aufgrund seiner Wucht und Wirkung im Gedächtnis bleibt.
Daniel Mason – Oben in den Wäldern
aus dem Englischen von Cornelius Hartz
C.H. Beck, Februar 2024
Gebundene Ausgabe, 429 Seiten, 26,00 €

Bewertung vom 08.03.2024
Der Teufel von Tempelhof / Leo Wechsler Bd.9
Goga, Susanne

Der Teufel von Tempelhof / Leo Wechsler Bd.9


ausgezeichnet

Der neunte Fall für Oberkommissar Leo Wechsler und in meinen Augen einer der besten. Die Mönchengladbacher Autorin erzählt eine hochdramatische, fundiert recherchierte und thematisch herausfordernde Kriminalgeschichte.
Leo Wechsler wird zu einem Toten gerufen, der an einem einsamen Platz am Rand von Berlin gefunden wurde. Es handelt sich um einen Arzt, der in seiner Praxis vor allem Frauen behandelte, wie sich nach und nach herausstellt. Zuerst scheint es kein Motiv zu geben für einen Mord an diesem Mann, die Kriminalpolizei tappt lange im Dunkeln. Einerseits gäbe es viele mögliche Verdächtige, andererseits weisen diese entweder Alibis vor oder haben angeblich keine Beziehung zum Mordopfer.
Zusätzlich belastet Leo der Fall einer Jugendlichen, die aus einem Mädchenheim verschwunden ist. Er ist überzeugt, dass es Erika in diesem mit Härte und Strenge geführten Heim nicht gut geht, zudem sie ihre geliebte Mutter schon so lange nicht sehen darf.
Dass die beiden Fälle zusammenhängen erschließt sich schnell, macht die Aufklärung des Mordfalls aber noch komplizierter. Erst nach vielen Sackgassen bekommt Leo eine Spur zu fassen, an die er jedoch fast nicht glauben mag, so schrecklich wäre der Gedanke, dass dies ein Motiv für den Mord sein könnte.
Was er herausfindet und worum es thematisch in diesem Krimi geht, kann ich in der Rezension nicht erwähnen, das hieße die Spannung zu zerstören. Es handelt sich jedenfalls um ein wirklich erschütterndes Thema, von dem zumindest ich nicht gedacht hätte, dass so etwas überhaupt in Deutschland und noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts stattfand. Hier gilt der Autorin wirklich ein Dank dafür, dies aufgegriffen zu haben.
Stilistisch ist auch dieser Roman aus der Wechsler-Reihe wieder perfekt. Die Polizeiarbeit wird akribisch geschildert, ohne eine Sekunde zu langweilen. Die Figuren sind perfekt ausgearbeitet, die Seriencharaktere ohnehin, doch auch hier wird immer noch eine weitere Entwicklung erkennbar. Und auch wenn immer wieder Privates in die Handlung hineinspielt, von Leo oder von seinen Kollegen, so bleibt es perfekt ausgewogen und nimmt nicht überhand.
Was mir an dieser Krimireihe von Susanne Goga so besonders gut gefällt, ist, dass sie sich nicht an das übliche Klischee hängt, mit welchem Romane, die in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts spielen, fast immer arbeiten. Sie verfällt nicht in die Schilderung der Abgründe, des „Babylons Berlin“, sie schildert vielmehr ganz normale Menschen aus dieser Zeit mit ganz normalen Problemen, jedoch ohne die aktuellen politischen Fragen unerwähnt zu lassen. Die sich ankündigenden politischen Verhältnisse werden durchaus thematisiert, aber ohne die eigentliche Handlung zu überschatten.
Ein absolut gelungener Krimi, der sehr viel Hoffnung macht auf Band Nr. 10.
Susanne Goga - Der Teufel von Tempelhof
dtv, Februar 2024
Taschenbuch, 329 Seiten, 13,00 €

Bewertung vom 04.03.2024
Putins Krieg gegen die Frauen
Oksanen, Sofi

Putins Krieg gegen die Frauen


sehr gut

Beim Lesen dieses Buches friert man, so gruselig, so beängstigend ist das, was die finnische Autorin hier schildert. Wenn auch der Titel des Buchs ein wenig in die Irre führt, geht es doch nicht nur um das, was Frauen geschieht, so ist es trotzdem ein wichtiges Buch.
Sofi Oksanen, in Finnland aufgewachsene Tochter einer Estin und eines Finnen, hat tiefen Einblick in die tragischen und erschreckenden Vorgänge in Russland und der früheren Sowjetunion. Was sie beschreibt, jagt einem beim Lesen Schauer über den Rücken und lässt umso mehr darauf hoffen, dass es der Ukraine gelingt, den Aggressor zu besiegen.
Die Schilderungen der Gräueltaten russischer Soldaten an ukrainischen Frauen und Männern, die diese bei voller Kenntnis und Zustimmung sowohl ihrer Vorgesetzen wie auch ihrer Ehefrauen und Mütter begehen, sind kaum zu ertragen. Man spürt die Wut und die Verzweiflung der Autorin in jedem ihrer Worte. An mancher Stelle ist es dann fast etwas zu subjektiv, wünschte man sich etwas mehr Distanziertheit.
Es scheint unfassbar, dass diese russischen Soldaten in der Tat von den eigenen Frauen motiviert werden, die Ukrainerinnen zu vergewaltigen, ihnen ihre Würde zu nehmen, sie zu bestehlen und zu töten. Sofi Oksanen gelingt es, begreiflich zu machen, wie dieses für uns unverständliche Handeln begründet ist, was die russische Propaganda, die Erziehung und vor allem die Geschichte damit zu hat.
Doch auch wenn man erkennt, was diese Menschen zu ihrem Handeln führt, macht es diese unbegreiflichen Taten nicht begreifbarer. Dass Russen auch ihre eigenen Frauen nicht mit Samthandschuhen anfassen, dass sich ihre Männlichkeit darin manifestiert, dass sie Frauen schlagen und misshandeln, das kann man einfach nicht verstehen.
Sofi Oksanen beschreibt all das anschaulich, ohne irgendetwas zu beschönigen. Sie führt viele Beispiele an, sie verweist auf die geschichtlichen Zusammenhänge, beispielsweise bezüglich der Situation der Krim. Man bekommt beim Lesen den Eindruck, sie drückt sich an mancher Stelle besonders drastisch aus, weil sie will, dass man sie versteht. Als hätte sie Sorge, dass gerade wir hier im Westen alles immer noch durch eine zu rosa gefärbte Brille sehen. Als wolle sie uns nun endlich die Augen öffnen.
Hoffen wir, dass es ihr und anderen endlich gelingt.
Ein Buch, das nicht einfach ist, aber gelesen werden sollte.
Sofi Oksanen - Putins Krieg gegen die Frauen
aus dem Finnischen von Angela Plöger und Maximilian Murmann
Kiepenheuer & Witsch, Februar 2024
Gebundene Ausgabe, 326 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 01.03.2024
Kalte Schnauzen, heiße Fährten
Aydemir, Cathy;Biltgen, Raoul;Brömme, Bettina;Werner, Ingrid

Kalte Schnauzen, heiße Fährten


ausgezeichnet

Witzig, subtil, überraschend und unterhaltsam sind die Geschichten, die in diesem Buch versammelt sind und natürlich spielen die bellenden Vierbeiner die Hauptrollen. Die Autorinnen und Autoren aus Deutschland, der Schweiz und Luxemburg vollbringen die Kunst, auf wenigen Seiten spannende Kurzkrimis zu verfassen, die ungewöhnlich sind und die ausgetretenen Pfade auch einmal verlassen.
Ob es die Pudeldame ist, die nach Brigitte Bardot benannt wurde und zur Erbmasse der verstorbenen Tante gehört, ob es die zottelige Hündin Coco ist, die eine Wasserleiche findet oder die ausgestopfte Dänische Dogge, die einem sich selbst überschätzenden Staatsanwalt schließlich auch nicht helfen kann – all diese Hunde sind in obskure Kriminalfälle verwickelt oder ziehen ihre Herrchen, ihre Frauchen oder deren vorübergehende Vertretungen in solche hinein.
Da schreibt Beatrix Mannel über die Rachepläne einer Schwester, deren Malteserhündin dabei eine tragende Rolle spielt. Barbara Salentin erzählt vom Verschwinden der Französischen Bulldogge Kopernikus aus einer Hundepension, das die anderen dort vorübergehend einquartierten Hunde aufklären.
Oder Christine Ziegler berichtet von der Dackeldame Lola, die ihr Herrchen von einem falschen Verdacht befreit. Und Ingrid Werner, die Herausgeberin dieser sehr unterhaltsamen Sammlung, weiß von „Hundeliebe“ zu erzählen oder vielmehr lässt „Rolo“ davon erzählen, wie sein Herr ihm einen ganz bestimmten Trick beibringt. Doch am Ende geht genau das sozusagen nach hinten los.
Auch wenn man oft die Pointe erahnen kann, sind alle diese Geschichten spannend, sehr gut geschrieben und machen einen Heidenspaß. Dabei sind allerdings nicht alle fröhlich, es gibt durchaus auch dramatische, erschütternde wie die Geschichte „Go.Find.Me“ von Nadine Buranaseda, in der ein Suchhund einen verschwundenen Teenager finden muss. Oder „Nanuk, der Wolf“ von Stefanie Gregg, die sehr berührende Geschichte vom blinden Jungen Samuel und seinem Hund Nanuk und ihrer Freundschaft zu einem anderen Außenseiter, die auf eine schwere Probe gestellt wird.
Natürlich sind nicht all diese Geschichten auf dem gleichen Qualitätsniveau, natürlich gefiel mir die eine mehr, die andere vielleicht etwas weniger. Insgesamt aber bilden diese Kurzkrimis ein wirklich lesens- und empfehlenswertes Ganzes. Und ich habe hier einige neue Autorinnen und Autoren kennengelernt, von denen ich sehr gerne mehr lesen möchte.
Ingrid Werner (Hrsg.) - Kalte Schnauzen, heiße Fährten
gmeiner, Februar 2024
Gebundene Ausgabe, 252 Seiten, 15,00 €

Bewertung vom 26.02.2024
Arctic Mirage
Kokkonen, Terhi

Arctic Mirage


gut

Der erste Satz nimmt das Ende vorweg, was einerseits die Spannung unermesslich erhöht, andererseits fast schon zu viel verrät.
Ein Ehepaar, gut situiert, seit vielen Jahren verheiratet, hat auf der Rückfahrt vom Urlaub einen Autounfall, der sie zwingt, einige Tage in einem abgelegenen Hotel unterzukommen. Dieses Hotel mitten in Eis und Schnee wirkt fast ein wenig mystisch, so wie auch die Mitarbeiter und die Einwohner des nahegelegenen Ortes.
Karo und Risto führen nur scheinbar eine gute Ehe. Vieles läuft schief, nicht erst seit kurzem. Doch was genau zwischen ihnen geschehen ist und immer wieder geschieht, erschließt sich erst nach und nach. Karo ist überzeugt, dass ein weiterer Wagen in ihren Unfall verwickelt war, Risto leugnet das hartnäckig. Immer wieder verschwinden Sachen von Karo, woraufhin Risto ihr subtil zu versehen gibt, dass er sie für verrückt hält. Die verbale, psychische und physische Gewalt zwischen den Eheleuten eskaliert immer mehr.
Dazu liefert das Hotelpersonal die Kulisse. Der behandelnde Arzt, der mehr als nur medizinisches Interesse an Karo hat, die Rezeptionistin, die widerwillig die Tracht der Samen tragen muss, die Hotelchefin, die mit besagtem Arzt eine merkwürdige Beziehung zu pflegen scheint.
All diese Dinge erzählt die Autorin genauso kühl wie die Landschaft, wie das Wetter in ihrem Roman ist. Die Figuren, Protagonisten wie auch Nebenfiguren, bleiben auf seltsame Art auf Distanz, zeigen wenige Emotionen deutlich genug, um Empathie zu erzeugen. So vieles wird nur angedeutet, bleibt im Vagen, lässt Raum für Spekulation, für Vermutung und Verdächtigungen.
Der Stil, in dem Terhi Kokkonen erzählt, ist wuchtig, die Sprache klar, die Bilder scharf, ihre Bedeutung dagegen eher verwischt, vernebelt. In spotlight-artigen Rückblicken werden die vergangenen Narben, die Karo und Risto sich in ihrer Beziehung zugefügt haben, beleuchtet, wird ein wenig klarer, wie sie dorthin gelangen konnten, wo sie jetzt angekommen sind.
Der gesamte Roman liest sich nicht einfach so mal schnell herunter, manches zieht sich, manches langweilt sogar, anderes fasziniert, fesselt. Ein Roman, dem, so wirkt es, Anfang und Ende fehlen.
Keine einfache Geschichte.
Terhi Kokkonen - Artic Mirage
aus dem Finnischen von Elina Kritzokat
Hanser Berlin, Januar 2024
Gebundene Ausgabe, 189 Seiten, 23,00 €

Bewertung vom 23.02.2024
Mord & Fromage / Ein Brite in Frankreich Bd.2
Moore, Ian

Mord & Fromage / Ein Brite in Frankreich Bd.2


gut

Ein weiterer Fall für das ungleiche Paar Richard und Valérie – diesmal dreht sich alles um Käse. Leider ist der Roman auch ein wenig käsig geworden.
Richard, Engländer, ehemaliger Filmkritiker und Betreiber eines Bed & Breakfast im Loire-Tal, liebt eigentlich seine Ruhe. Andererseits findet er die umtriebige, stets ebendiese Ruhe störende Valérie, französische Kopfgeldjägerin, sehr attraktiv und wäre vermutlich gern mehr als nur ihr widerwilliger Partner bei der Aufdeckung von Mord und Totschlag in den beschaulichen Dörfern.
Doch dann wird der Käserei-Chef ermordet, der – wie entsetzlich – dem Chefkoch eines Michelinsterngekrönten Restaurants veganen Ziegenkäse geliefert hat. Die Verbindungen der Käsereibesitzer zu besagtem Restaurantbetreiber scheinen vielfältig und sehr geheimnisvoll, außerdem schon seit vielen Jahren begründet.
Richard, der ins Visier des ermittelnden Commissaire gerät, und Valérie, die zu diesem eine besondere Beziehung hatte, beginnen wie erwartet mit ihren Nachforschungen und dringen immer tiefer in das Geflecht der Köche, Köchinnen und Restaurantkritiker ein. Als es weitere Todesfälle gibt, wird die Sache immer verwickelter, doch wieder einmal löst Valérie alle Knoten mit Nonchalance und spitzfindigem Humor.
Gerade dieser, der Humor, insbesondere in den witzigen und spritzigen Dialogen zwischen dem um seine Ruhe sorgenden Richard und der temperamentvollen Valérie, hat mir im Vorgängerband so ausnehmend gut gefallen. Wie oft hatte ich herzhaft lachen müssen bei der Lektüre von „Mord & Croissants“. Leider gelingt dem Autor mit dem zweiten Band keine Wiederholung, die Geschichte ist wirr, manchmal bekommt man den Eindruck, erst nach und nach hat sich Ian Moore selbst überlegt, wer denn nun warum und wie die Morde beging. Die Auflösung jedenfalls ist überraschend, unvorhersehbar und durch nichts im Vorfeld angedeutet. Nur Valérie hat den Durchblick. So entsteht leider auch keine Spannung, irgendwann verliert man das Interesse an der Frage, wer der Täter war.
Besonders störend empfand ich außerdem die Episoden rund um Richards Noch-Ehefrau, die angereist kommt, angeblich, um die Scheidung einzuleiten, dann aber ganz offensichtlich doch um ihren Mann kämpfen will. Dazu kommen dann auch noch seine Tochter mit ihrem Mann, all das ist für die eigentliche Handlung gänzlich irrelevant und lenkt deswegen nur davon ab, dabei ist dieser Handlungsstrang weder unterhaltsam noch zielführend.
Insgesamt eher enttäuschend, vor allem eben im Vergleich mit dem sehr gelungenen Vorgängerband, der für mich damals ein absolutes Highlight war.
Ian Moore – Mord & Fromage
aus den Englischen von Barbara Ostorp
rororo, Februar 2024
Taschenbuch, 335 Seiten, 14,00 €

Bewertung vom 21.02.2024
Was die Sterne dir schenken
Atkins, Dani

Was die Sterne dir schenken


gut

Die englische Autorin ist bisher meine absolute Lieblingsautorin von süchtig machenden Liebesromanen mit thematischem Tiefgang. Doch diesmal hat sie mich leider enttäuscht.
Ist ihr dieser neue Roman doch arg kitschig und sehr gefühlsduselig geraten, dazu noch mit leicht vorhersehbarem Ausgang und diesmal auch leider ohne die Behandlung eines wirklich interessanten Themas.
Lexi ist die jüngere Schwester von Abby, dennoch aber optisch ihr so ähnlich wie ein Zwilling. Auch gefühlsmäßig stehen die beiden Frauen sich sehr nah. So ist es logisch, dass Lexi, die in New York als Lektorin arbeitet, alles stehen und liegen lässt, um nach England an das Krankenbett ihrer Schwester zu eilen. Diese wurde wie tot und völlig unterkühlt im Nachthemd im Winter am Strand gefunden, kann sich aber an nichts erinnern, nicht wie und nicht warum sie dort hinkam. Dazu kommt, dass Abby, als sie aus dem Koma erwacht, felsenfest davon überzeugt ist, verheiratet zu sein mit Sam. Doch Abby ist Single, einen Sam gibt und gab es nie in ihrem Leben, auch wenn sie ihn fotografisch genau zeichnen und ihre gesamte Liebesgeschichte bis zur Hochzeit detailliert erzählen kann.
Lexi und ihre Mutter wissen nicht, wie sie damit umgehen soll. Vollends verrückt wird das Ganze, als Lexi am Strand genau dem Mann begegnet, den Abby gemalt hat. Doch dieser Mann heißt Nick, hat Abby noch nie getroffen und weiß von nichts. Dennoch lässt er sich von Lexi dazu überreden, als Sam aufzutreten.
Spätestens hier ahnt man, worauf das alles hinausläuft. Leider wird es nicht schön und nicht spannend erzählt. Diesmal übertreibt Dani Atkins es mit dem Gefühl, vor allem mit Lexi gehen die Emotionen ständig durch, alles bringt sie aus der Fassung, für ihre Schwester würde sie alles tun, selbst ihre Karriere opfern. Das ist mir absolut zu dick aufgetragen, so sehr, dass ich tatsächlich und zu meinem eigenen Bedauern die Freude an der Lektüre dieses Buches lange vor dem Ende verlor.
Auch stilistisch ist es diesmal recht enttäuschend, die Bilder, die Vergleiche und Metaphern, alles ist sehr klischeelastig, sehr stark mit Herz und Schmerz übertüncht. Dieser Roman klingt so gar nicht nach der Autorin, die ich bisher wirklich geliebt habe.
Dani Atkins - Was die Sterne dir schenken
aus dem Englischen von Simone Jakob und Anne-Marie Wachs
Knaur, Februar 2014
Taschenbuch, 431 Seiten, 12,99 €

Bewertung vom 19.02.2024
Berlin, Siegesallee
Annas, Max

Berlin, Siegesallee


gut

Dieser Roman hat mich ziemlich ratlos zurückgelassen. Was er mir erzählen wollte, blieb unklar, ebenso, welches das eigentliche Thema war.
Die Handlung selbst lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Vier Menschen, die sich mehr oder weniger zufällig begegnen, planen, den Kaiser zu ermorden.
Bei diesen vier Menschen handelt es sich um Friedrich, ein in Deutschland geborener Sohn eines schwarzen Amerikaners, um Erich, Diener eines Malers, der ihn aus Deutsch-Südwest mitgebracht hat, um Joseph, ein Kameruner Theologiestudent. Und um Florentine, Tochter aus gutem Hause.
Letztere, ob aus wirklicher Leidenschaft oder eher aus Langeweile, wünscht sich mehr Rechte für Frauen, wünscht sich, dass Frauen mehr zu erwarten haben als eine gute Partie. Die drei Männer erfahren, es ist das Jahr 1914, immer wieder Ausgrenzung, offenen oder latenten Rassismus. In Gesprächen entsteht der Plan, Männer zu töten, die, vor allem als Militärangehörige, in die Unterdrückung der Bewohner der Kolonien involviert sind. Als die Morde nicht die gewünschte Aufmerksamkeit erregen, gehen sie einen großen Schritt weiter und wollen ein Attentat auf den deutschen Kaiser verüben.
Diese Inhaltsangabe verheißt einen spannenden Roman, einen Krimi vielleicht, einen Roman, der sich dem Thema Rassismus annimmt. Doch es funktioniert nicht. Weder wird dieses Thema vorrangig noch ausführlich behandelt, noch wird es wirklich deutlich. Dazu kommen die anderen Themen, die angerissen, aber nicht zu Ende erzählt werden, wie Frauenrechte, die Verbrechen in den Kolonien, die Arbeit der Polizei, die Obrigkeitsgläubigkeit gegenüber dem Militär und noch einige andere.
Dazu kommt, dass sich mir die eigentlichen Motive der vier Menschen für ihre Taten nicht deutlich zeigen. Die Gespräche zwischen ihnen sind meist halbherzig, versanden in Andeutungen, sind inhaltsleer und nichtssagend. Auch die Darstellung der verschiedenen Lebenssituationen dieser vier Personen, die so unterschiedlich sind in Charakter, Geschichte und Hintergrund, ist eher blass, es entstehen bei der Lektüre keine Bilder, man bekommt kein Gefühl für die Figuren.
Sehr störend sind auch die eingeschobenen Briefe, die Joseph in den folgenden Jahren und Jahrzehnten schreibt, adressiert an seinen Freund Theodor, Florentines Bruder. Er sendet sie aus der Heimat Kamerun, sie beginnen 1914, gehen bis zum Jahr 1941 und wirken seltsam beziehungslos zur laufenden Handlung. Welchen Zweck der Autor damit erreichen will, ist mir unklar geblieben. Zusätzlich stören sie erheblich die Spannung, denn sie verraten, dass die Attentäter offensichtlich ungeschoren blieben.
Manche Ansätze sind vielversprechend, wie die Schilderung der Völkerschau, wo Menschen aus den Kolonien wie Puppen ausgestellt werden, doch auch das versandet, ohne wirklich eine Aussage zu formulieren.
Insgesamt konnte mich der Roman weder unterhalten noch überzeugen.
Max Annas – Berlin, Siegesallee
Rowohlt, Hundert Augen, Januar 2024
Gebundene Ausgabe, 285 Seiten, 22,00 €