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Bücherfreundin

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Insgesamt 256 Bewertungen
Bewertung vom 15.02.2024
Franz Beckenbauer
Bausenwein, Christoph

Franz Beckenbauer


ausgezeichnet

Lesenswertes Buch über einen charismatischen Ausnahmesportler
Franz Beckenbauer war eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der Geschichte des Fußballs und einer der besten Fußballspieler der Welt. In seinem neu erschienenen Buch "Franz Beckenbauer - Kaiserjahre" bringt uns Christoph Bausenwein nicht nur den Ausnahmesportler, sondern auch den Menschen Franz Beckenbauer nahe. Das großformatige gebundene Buch ist sehr liebevoll und hochwertig gestaltet. Es umfasst 270 Seiten und ist in 6 Kapitel gegliedert. Zahlreiche Fotos ergänzen die Texte.

Christoph Bausenwein beschreibt die Kindheit und Jugend des fußballbegeisterten Franz Beclenbauer und seine Anfänge als Fußballer. Es folgen die weiteren Stationen und zahlreichen Erfolge als Profifußballer. Nach dem Ende seiner aktiven Zeit machte er nicht nur als DFB-Teamchef und Funktionär von sich reden. Er spielte auch eine große Rolle im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2006 an Deutschland und wurde dafür Jahre später scharf kritisiert.

Der Leser erhält auch einen Einblick in das Privatleben Franz Beckenbauers mit seinen Höhen, Tiefen und der Tragödie seines Lebens. Der Autor beschreibt die Person des charismatischen Franz Beckenbauer, seine freundliche und zugewandte Art, seine Hilfsbereitschaft und seinen ausgeprägten Ehrgeiz. Aber auch weniger positive Eigenschaften finden Erwähnung. Kleine Anekdoten und die legendären Sprüche des "Kaisers" bringen den Leser zum Schmunzeln.

Das informative Buch hat mir sehr gut gefallen. Es ist schön geschrieben, spannend und humorvoll, teilweise auch kritisch. Ich habe über das bereits Bekannte hinaus auch viel Neues erfahren, so z.B., dass Franz Beckenbauer einen Kinofilm drehte, dass er in den sechziger Jahren davon träumte, in Italien zu spielen und warum dieser Traum platzte. Besonders interessant fand ich die Kapitel über seine Kindheit und Jugend sowie die Zeit in New York.

Ich kann diese wunderbare Hommage an Franz Beckenbauer jedem Fußballfan nur empfehlen, dank der hochwertigen Ausstattung eignet sich das Buch auch ganz hervorragend als Geschenk.

Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 09.02.2024
Geordnete Verhältnisse
Lux, Lana

Geordnete Verhältnisse


ausgezeichnet

Beeindruckender Roman, der unter die Haut geht
Nach "Kukolka" und "Jägerin und Sammlerin" hat die deutschsprachige Autorin Lana Lux mit ukrainisch-jüdischer Herkunft ihren dritten Roman "Geordnete Verhältnisse" veröffentlicht.

Im Mittelpunkt des Geschehens stehen Philipp und Faina, die sich im Alter von 10 Jahren begegnen. Paul fällt nicht nur wegen seiner leuchtend roten Haare auf, sondern auch, weil er Sommersprossen hat, sehr klein ist und im Gegensatz zu den anderen Kindern ausschließlich schwarze Kleidung trägt. Sein sehnlichster Wunsch, einen Freund zu finden, geht in Erfüllung, als Faina in seine Klasse kommt. Auch sie hat leuchtend rotes Haar, kommt aus der Ukraine und lebt seit 4 Monaten in Deutschland. Der Platz neben Philipp ist frei, Faina setzt sich neben ihn, und die beiden werden zu Freunden. Geduldig bringt Philipp Faina Deutsch bei und sagt ihr, was sie falsch macht.
15 Jahre später, Philipp ist beruflich erfolgreich und bewohnt mit seiner Freundin Romina eine Eigentumswohnung, setzt sich Faina mit ihm in Verbindung. Zwischen beiden war drei Jahre lang Funkstelle, doch nun braucht Faina Philipps Unterstützung. Sie wurde verlassen, ist verschuldet, hat ihr Studium abgebrochen - und ist schwanger ....

Die Geschichte wird in wunderbarer Sprache auf mehreren Zeitebenen und aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Dem Ich-Erzähler Philipp folgen wir als kleinem Jungen und als 25-Jährigem im Hier und Jetzt, die Ich-Erzählerin Faina begleiten wir in der Gegenwart. Darüber hinaus gibt es einen allwissenden Erzähler. Die unterschiedlichen Erzählstränge sind der Autorin ganz großartig gelungen, sie ermöglichen es dem Leser, sich noch tiefer in Philipp und Faina hineinzuversetzen und dabei ihren Handlungen zu folgen.

Es hat mich erschüttert, wie sich die Beziehung zwischen Philipp und Faina entwickelte. Hinter beiden liegt eine schwierige Kindheit, Philipp ist kontaktarm und neigt zu Wutausbrüchen, während Faina gesellig ist und unter starken Stimmungsschwankungen leidet. Philipp ist jegliche intime Zuneigung zuwider, Faina ist Männern und Frauen zugeneigt. Für Philipp ist Faina der wichtigste Mensch in seinem Leben, und er liebt sie auf seine ganz spezielle Art. Er überschreitet Grenzen, als er beginnt, sie zu manipulieren und zu kontrollieren. 

Lana Lux hat ihre Charaktere sehr authentisch und bildhaft beschrieben und uns durch ihre klare Erzählweise tief in ihre Gefühls- und Gedankenwelt blicken lassen. Die toxische Beziehung von Philipp und Faina ist sehr gut beschrieben, ich habe mit der jungen Frau mitgelitten und immer gehofft, dass sie einen Ausweg aus ihrer schwierigen Situation findet.
Das intelligent geschriebene Buch hat mir sehr gut gefallen, es ist spannend und fesselnd. Die schockierende Geschichte, in der es auch um Lügen und Gewalt geht, hat mich bis zu ihrem mich vollkommen überraschenden und dramatischen Ende gefesselt und tief bewegt.

Absolute Leseempfehlung für diesen intensiven und beeindruckenden Roman, der unter die Haut geht!

Bewertung vom 06.02.2024
Südfall
Knöppler, Florian

Südfall


ausgezeichnet

Einfühlsame Geschichte über Menschlichkeit und schicksalhafte Begegnungen
In seinem neuen Roman "Südfall" erzählt Florian Knöppler die Geschichte des britischen Soldaten Dave, der im Sommer 1944 mit seinem Fallschirm unverletzt vor der Hallig Südfall landet, nachdem sein Flugzeug über dem nordfriesischen Wattenmeer abgeschossen wurde. Eine ältere Frau nimmt den jungen Mann, der eigentlich Tierarzt ist, mit nach Hause und bietet ihm an, zu bleiben. Er könnte dort das Ende das Krieges abwarten, aber es hält ihn nichts auf der kleinen Insel, er möchte über Dänemark zurück nach England. Bald schon macht er sich auf den Weg und riskiert dabei, festgenommen zu werden ...

Wir begleiten den sympathischen Dave auf seiner Flucht und lernen dabei verschiedene Menschen kennen, die ihm helfen. Da ist zuerst der junge Paul, dem er hilft, ein Schaf zu retten. Paul wurde nach dem Tod seiner Eltern von seiner Tante Anna aufgenommen, die ihren Hof allein führt, seit ihr Mann Friedrich im Krieg kämpft. Dave begegnet auch der ehrgeizigen und wissbegierigen Cecilie und Simon, der eine schwere Krankheit überstanden hat. Sie gewähren dem feindlichen Soldaten Unterschlupf und versorgen ihn mit Nahrung. Mit seiner offenen und ehrlichen Art gewinnt Dave das Vertrauen der Menschen, sie öffnen sich ihm und erzählen von ihren Sorgen, Problemen und Träumen.

Das Buch ist in schöner und ruhiger Sprache geschrieben und liest sich sehr flüssig. In jedem einzelnen der 6 Kapitel sind Daves Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen und die tiefgründigen Gespräche, die er führt, voller Empathie beschrieben. Der Autor skizziert seine interessanten Charaktere sehr liebevoll und authentisch. Meine Lieblingsfigur war die mutige Anna, die ich wegen ihrer herzlichen und zupackenden Art gleich ins Herz geschlossen habe.

Mir hat die berührende Geschichte, in der intensive Begegnungen im Mittelpunkt stehen, sehr gut gefallen. Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 05.02.2024
Zimmer 55
Kubicek-Boye, Helena

Zimmer 55


gut

Spannender Thriller mit Schwächen
Der Saga Egmont Verlag hat "Zimmer 55", den ersten Band einer neuen Thrillerreihe der schwedischen Autorin Helena Kubicek Boye um die Psychologin Anna Varga, der im skandinavischen Raum bereits 2018 erschienen ist, veröffentlicht.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die junge Psychologin Anna, die eine Stelle in der berühmten rechtspsychiatrischen Klinik in Säter annimmt. Ihre alte Freundin Lina, die dort eine Facharztausbildung absolviert, hat sie dazu überredet. Anna freut sich auf die neue Herausforderung, da sie sich gerade von ihrem Freund Mathias getrennt hat und Stockholm endlich hinter sich lassen kann. Ihre Freude an der neuen Tätigkeit wird getrübt, als sie in ihrem Büro einen Hinweis auf einem Spiegel entdeckt, der auf Zimmer 55 der Klinik hinweist. Wo befindet sich dieses Zimmer, das es offiziell gar nicht gibt? Anna erhält auch anonyme Briefe, die ihr Rätsel aufgeben, und erfährt, dass ihre Vorgängerin Mona spurlos verschwunden ist. Als sie mit eigenen Nachforschungen beginnt, wird ihr geraten, sich aus der Sache herauszuhalten. Bald schon wird ein Patient von Lina tot aufgefunden ...

Der Thriller liest sich sehr flüssig, der Sprachstil ist angenehm. Die Geschichte ist in vielen kurzen Kapiteln aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt und in weiten Teilen spannend. Es gibt einige Verdächtige, und die Autorin führt den Leser geschickt auf falsche Fährten. Ich mag Thriller, bei denen ich lange im Dunkeln tappe. Leider hatte ich bereits nach etwa zwei Dritteln des Buches eine gewisse Vermutung, daher war die Auflösung für mich nicht überraschend. Ich habe es sehr bedauert, dass die berührende Geschichte dahinter relativ kurz abgehandelt wurde. Hier hätte ich gern mehr gelesen.

Die Charaktere sind gut beschrieben, allerdings fand ich die Geschichte stellenweise unglaubwürdig. Auch manche Verhaltensweisen der Figuren habe ich als unrealistisch empfunden. Gut gefallen hat mir, dass das Buch ohne blutiges Gemetzel und Gewaltszenen auskommt.

Bewertung vom 05.02.2024
Demon Copperhead
Kingsolver, Barbara

Demon Copperhead


ausgezeichnet

Beeindruckendes Meisterwerk
In "Demon Copperhead" erzählt die amerikanische Autorin Barbara Kingsolver die Geschichte "David Copperfield" von Charles Dickens neu. Das ist ihr so meisterhaft gelungen, dass sie dafür im letzten Jahr mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. 

Demon Copperhead, der eigentlich Damon Fields heißt, kommt in einem armen Bezirk in Appalachia zur Welt. Seine Mutter ist 18 Jahre alt und drogensüchtig, sein Vater starb bereits vor seiner Geburt. Die kleine Familie lebt in einem gemieteten Wohnwagen auf dem Grundstück der Familie Peggot, deren Enkel Maggot Demon ein enger Freund werden wird. Als die Mutter ihren Freund Stoner heiratet, ist Demon zunehmend dessen Gewalttätigkeiten ausgesetzt. Als er 10 Jahre alt ist, wird er auf einer Farm untergebracht, auf der er das Vieh hüten und bei der Tabakernte helfen muss. Ein Jahr später stirbt seine Mutter an einer Überdosis Oxycontin. Da Stoner kein Interesse an Demon hat, wird dieser bei Pflegefamilien untergebracht.

Demon erzäht uns seine mitreißende Geschichte von der Kindheit bis ins frühe Erwachsenenalter mit schonungsloser Offenheit in der Ich-Form. Wir erleben den kleinen Jungen, der nach dem Tod der Mutter in den Pflegefamilien ein trostloses Leben führt, oft Hunger hat und in der Schule die Reste seiner Mitschüler isst. Nachdem er sich Jahre später aufmacht, um seine Großmutter väterlicherseits zu suchen, scheinen sích seine Lebensumstände endlich zu verbessern. 

Die zentralen Themen des Buches sind die Armut, in die viele Kinder hineingeboren werden, und Drogenabhängigkeit mit ihren daraus resultierenden Problemen. Es geht auch um das Schmerzmittel Oxycontin, einem Opiod, das Ende der 1990er Jahre in den Vereinigten Staaten im Rahmen der Opiodkrise bekannt wurde. Die Autorin beschreibt nicht nur sehr detailliert, was Oxycontin mit den Menschen macht, sie setzt sich in diesem Zusammenhang auch kritisch mit der Skrupellosigkeit vieler Ärzte auseinander. Der Roman ist keine leichte Kost, er behandelt auch Themen wie Vernachlässigung von Kindern, Pflegefamilien, Grausamkeit und schmerzliche Verluste.

Demon ist ein fesselnder Charakter, der von seinem Überlebenswillen durch die harte Realität geführt wird. Seine Geschichte. die deutlich mehr Tiefen als Höhen hat, ist meisterhaft in kraftvoller Sprache erzählt und geht unter die Haut. Sie hat mich erschüttert und zutiefst bewegt. Das hoffnungsvolle Ende bildet einen gelungenen Abschluss dieses großartigen Romans.

Absolute Leseempfehlung für dieses beeindruckende Meisterwerk!

Bewertung vom 28.01.2024
Ich liebe dich, weil ich dich brauche
Obuco, Julia

Ich liebe dich, weil ich dich brauche


ausgezeichnet

Aufwühlende und bewegende Geschichte
In ihrem autobiografischen Roman "Ich liebe dich, weil ich dich brauche" erzählt die Schweizer Autorin Julia Obuco mit großer Offenheit und auch selbstkritisch die Geschichte ihrer Beziehung mit Ben, einem jungen Nigerianer.

Ben wächst in Nigeria auf, seine Familie lebt nach den strengen Regeln der Zeugen Jehovas. Seit er mit 10 Jahren zum ersten Mal einen Europäer gesehen hat, träumt er davon, sein eigenes Leben zu leben und nach Europa zu gehen. Ein Onkel finanziert ihm Jahre später die Reise nach Italien, wo er vor die Wahl gestellt wird, entweder in seine Heimat zurückzugehen oder als Drogendealer zu arbeiten. Er bleibt zunächst in Florenz und geht mit 19 Jahren gemeinsam mit seinem Freund Conrad in die Schweiz. Auch dort findet er keine legale Arbeit und verdient sein Geld als Dealer. Bald lernt er die junge Lena kennen, die in einem sehr christlichen Umfeld aufgewachsen ist. Lena gefällt die Zurückhaltung und Höflichkeit des jungen Mannes. Die beiden verlieben sich ineinander und träumen von einer gemeinsamen Zukunft.
Lena ist 18 Jahre alt und konsumiert bereits regelmäßig Marihuana, als sie und Ben heiraten. Schon bald kommt der kleine Kenny zur Welt. Ben unterstützt großzügig seine Familie in Nigeria, während in seiner kleinen Familie das Geld oft knapp ist, was zu Problemen und Streitigkeiten führt. Auf Dauer kann auch Ben den Drogen nicht widerstehen und nimmt immer häufiger Kokain. Die Beziehung der beiden wird auf eine harte Probe gestellt, als die Polizei auf Ben aufmerksam wird ...

Die Geschichte ist in klarer Sprache geschrieben und liest sich sehr flüssig. Sie ist keine leichte Kost und ging mir unter die Haut. Nicht nur Drogen, Sucht und Abhängigkeit sind Themen des Buches, es geht auch um kirchliche Zwänge, um Missbrauch, Manipulation und Schuldgefühle, und es geht auch um Glaube und Hoffnung. Die Autorin schildert sehr eindrucksvoll die Schwierigkeiten, denen Menschen ausgesetzt sind, die hoffen, in Europa ihr Glück und eine neue Heimat zu finden. Die Charaktere sind sehr authentisch und bildhaft gezeichnet, und wir blicken sehr tief in Lenas Gefühls- und Gedankenwelt. Ich habe mitgelitten, als Lena und Ben, die anfangs so viele Träume und Hoffnungen hatten, immer mehr in eine Abwärtsspirale gerieten.

Mir hat das fesselnde Buch sehr gut gefallen. Es ist in zahlreiche Kapitel gegliedert und erzählt die Geschichte abwechselnd sowohl aus Lenas als auch aus Bens Sicht. Ich durchlebte ein Wechselbad der Gefühle, war erschüttert über ein Verbrechen, das an dem 11-jährigen Mädchen verübt wurde, freute mich anfangs mit Lena und Ben, ärgerte mich über ihren Umgang mit den Drogen und war von der tiefen Liebe, die das junge Paar trotz aller Schwierigkeiten miteinander verband, zutiefst berührt.
Auch das Nachwort ist sehr lesenswert. Julia Obuco erklärt darin, weshalb sie ihre Geschichte nicht in der Ich-Form, sondern in der dritten Person geschrieben hat.

Absolute Leseempfehlung für dieses aufwühlende und bewegende Buch!

Bewertung vom 21.01.2024
Leuchtfeuer
Shapiro, Dani

Leuchtfeuer


ausgezeichnet

Der Preis des Schweigens
In ihrem neuen Roman "Leuchtfeuer" erzählt die amerikanische Autorin Dani Shapiro die Geschichte zweier Familien, die auf schicksalhafte Weise miteinander verbunden sind.
 
Avalon, im August 1985: Der 15-jährige Theo Wilf hat noch keinen Führerschein. Mit ihm sitzen seine zwei Jahre ältere Schwester Sarah und deren Freundin Misty im Auto von Theos Eltern Benjamin und Mimi, als ein schrecklicher Unfall passiert. Ben Wilf, Arzt und Vater der beiden Jugendlichen, ist als Erster an der Unfallstelle. Im Bruchteil einer Sekunde ändert sich alles, und die Entscheidungen, die in den folgenden Momenten getroffen werden, werden die Mitglieder der Familie Wilf und ihr weiteres Leben verändern. Was damals passiert ist, bleibt ein Geheimnis, über das die Familie nie wieder reden wird.
Jahre später ziehen die Shenkmans in das Haus gegenüber, und es kommt zu einer besonderen Verbindung zwischen den beiden Familien. 
 
Die Handlung, die sich über einen Zeitraum von 50 Jahren erstreckt, wird auf mehreren Zeitebenen erzählt. Sie beginnt im Jahr 1985 und springt von dort in die Jahre 2010, 1999, 2020, 2014 und 1970. Die Autorin springt zwischen den Zeiten hin und her, diese Zeitsprünge waren ungewohnt und haben mich anfangs etwas irritiert. Sie sind aber sehr gut erkennbar durch die jeweiligen Jahreszahlen am Beginn der Kapitel. Diese sind unterteilt in einzelne Abschnitte, die aus Sicht der unterschiedlichen Personen erzählt werden.
 Neben den Mitgliedern der Familie Wilf lernen wir die Familie Shenkman kennen, die im Haus gegenüber wohnt und aus den Eltern Shenkman und Alice sowie ihrem fast 11-jährigen Sohn Waldo besteht. Waldo ist ein hochintelligenter Junge, der so ganz anders ist als andere Kinder. Er interessiert sich leidenschaftlich für Astronomie und findet in Ben Wilf einen interessierten Zuhörer und Freund. 
 
Das Buch, das auch etwas Mystisches hat, ist in wunderbarer und intelligenter Sprache geschrieben, es fesselte und berührte mich gleichermaßen. Die Autorin zeichnet die Charaktere so tiefgründig, dass der Leser tief in ihre Gefühls- und Gedankenwelt zu blicken vermag. Wir erleben Theo und Sarah im Jugendalter und später als Erwachsene. Theo wird ein ruheloser Meisterkoch, während Sarah als erfolgreiche Drehbuchautorin arbeitet und ein Alkoholproblem hat. Wir sehen ihre Entwicklung und ihre Probleme, erleben ihre inneren Kämpfe und Sorgen. Das alles ist meisterhaft erzählt, die Geschichte ist stellenweise herzzerreißend und hat mich zutiefst berührt. Es geht um viele Themen, um Schuldgefühle und Schweigen, um Liebe und Trauer, Familie und Verbundenheit, und auch um das Älterwerden und Demenz.
 
Ich habe die Charaktere sehr schnell ins Herz geschlossen, ganz besonders den einsamen und von der Magie der Sterne besessenen Waldo, dessen Vater es schwerfällt, die Interessen und Denkweisen seines Sohnes zu akzeptieren. Auch Ben mochte ich sehr, und Mimis nächtliche Suche nach ihren Kindern rührte mich zu Tränen. 
 
Das beeindruckende Buch über die Auswirkungen einer lange zurückliegenden Tragödie auf eine Familie hat mich sehr gefesselt und begeistert. Absolute Leseempfehlung!
 
Der Preis des Schweigens

Bewertung vom 18.01.2024
Dieses schöne Leben
Brammer, Mikki

Dieses schöne Leben


weniger gut

Vorhersehbar und enttäuschend
Der Knaur Verlag hat "Dieses schöne Leben", den Debütroman der australischen Autorin Mikki Brammer, veröffentlicht. Das in schönen Farben und Prägedruck gestaltete Cover ist ein Hingucker, und der Klappentext machte mich sehr neugierig. Aufgrund der Thematik hatte ich auf tiefgründige Lektüre gehofft - doch ich wurde enttäuscht.
 
Die Ich-Erzählerin Clover hat bereits mit 5 Jahren ihre erste Begegnung mit dem Tod. Ihr Lehrer in der Vorschule fällt vor den Augen der Kinder tot um. Während die Kinder in Panik geraten, hält Clover die Hand des Lehrers. Ein Jahr später sterben ihre Eltern auf einer Chinareise bei einem Bootsunfall. Daraufhin holt ihr Großvater Patrick, ein Biologieprofessor, das Kind zu sich. 
Die Jahre vergehen, mittlerweile ist Clover 36 Jahre alt. Sie lebt sehr zurückgezogen mit ihrem Hund George und den beiden Katzen in der kleinen New Yorker Wohnung des Großvaters. Eine Liebesbeziehung hatte sie noch nie, ihr einziger Freund ist der 87-jährige Leo, ein Nachbar und Freund ihres Großvaters. Ihren Lebensunterhalt verdient Clover als Sterbebegleiterin. Mittlerweile hat sie fast 100 Menschen sterben sehen. In einem Death-Café, in dem sich Menschen treffen, um über den Tod zu reden, lernt sie Sebastian kennen. Dieser bittet sie, seine schwerkranke Großmutter Claudia während ihrer letzten Tage zu begleiten ...
 
Der Roman ist in einfacher Sprache geschrieben und liest sich flüssig. Die Geschichte wird auf zwei Ebenen erzählt, im Hier und Jetzt begleiten wir Clover durch ihren Alltag, während sich auf der zweiten Ebene nach und nach ihre Vergangenheit aufblättert. Wir erleben die kleine Clover, die nach dem Tod der Eltern beim Großvater aufwächst und erfahren den Grund, der zu ihrer sehr speziellen Berufswahl führte. Wir sehen aber auch die einsame Frau, die heimlich ihre Nachbarn beobachtet und sich immer wieder die gleichen Liebesfilme ansieht. 
 
Der erste Teil des Buches hat mir gut gefallen. Das Thema Sterbebegleitung nimmt ziemlich viel Raum ein, die Geschichte ist fesselnd zu lesen. Es gibt dann einige Wendungen, die Handlung wird zunehmend unglaubwürdig, vorhersehbar und driftet mit den Liebesgeschichten ins Kitschige ab. Der endgültige Abschied mit weisen Abschiedsworten ist vollkommen unrealistisch dargestellt. Diese romantisierende Darstellung des Ablebens fand ich unerträglich. 
 
Auf seiner Rückseite wird das Buch als "berührend, klug und hoffnungsvoll" beworben. An einigen Stellen fand ich es zwar berührend, aber es war in meinen Augen weder klug noch hoffnungsvoll. Ich fand die Thematik des Buchs sehr interessant, habe mir viel Tiefgang erhofft und mich auf die Lektüre gefreut. Vielleicht waren meine Erwartungen einfach zu hoch, der Roman hat mich leider nicht überzeugen können.

Bewertung vom 06.01.2024
Lichtungen
Wolff, Iris

Lichtungen


sehr gut

Tiefgründiger Roman über eine Freundschaft
Der Klett-Cotta Verlag hat "Lichtungen", den neuen Roman der mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichneten Autorin Iris Wolff, veröffentlicht.

Das Buch erzählt über einen Zeitraum von 20 Jahren die Geschichte von Lev und Kato, die im kommunistischen Rumänien aufwachsen. Lev ist 11 Jahre alt und für längere Zeit ans Bett gefesselt. Damit er nicht zu viel Schulstoff versäumt, kommt seine Mitschülerin Kato, die in der Schule von allen gemieden wird, regelmäßig mit den Hausaufgaben zu ihm. Lev ist darüber anfangs wenig begeistert, jedoch entsteht zwischen beiden im Laufe der Zeit eine tiefe Freundschaft. Mit Öffnung der europäischen Grenzen geht Kato Jahre später gemeinsam mit dem Hamburger Tom, der mit dem Fahrrad nach Siebenbürgen gekommen ist, in den Westen. Ihren Lebensunterhalt finanziert sie mit Straßenmalereien. Fünf Jahre lang schickt sie Lev gezeichnete Postkarten von ihren verschiedenen Stationen. Ihre letzte Karte kommt aus Zürich und enthält nur einen kurzen Satz: "Wann kommst du?".

Das Besondere an der Geschichte ist, dass sie rückwärts erzählt wird. Sie beginnt mit Kapitel 9 und endet mit dem ersten Kapitel. Diese Erzählweise war für mich sehr gewöhnungsbedürftig und irritierend, und das blieb so während der ersten Hälfte. Dann löste sich der Knoten, und ich habe den zweiten Teil des Buches sehr gern gelesen, weil mir die Figuren nicht mehr fremd waren, sich nach und nach die Vergangenheit auffächerte und ich dadurch Antworten auf meine Fragen bekam.

Iris Wolff erzählt die berührende Geschichte über eine besondere Freundschaft in wunderschöner und poetischer Sprache. Wir erleben Lev und Kato als Kinder und die Umstände, die zu Levs längerer Krankheit geführt haben, begleiten den jungen Mann als Waldarbeiter und während seiner harten Militärzeit. Die Autorin skizziert die Charaktere sehr bildhaft und authentisch und beschreibt fesselnd ihr Leben. Dabei hat mir besonders gut die Schilderung des rumänischen Alltags mit seinen Sitten und Gebräuchen gefallen. Auch die politischen Verhältnisse werden dem Leser sehr eindrücklich vermittelt. 

Das außergewöhnliche Buch, das den Leser vom Jetzt in die Vergangenheit führt, hat mir sehr gut gefallen - Leseempfehlung! 

Bewertung vom 02.01.2024
Wellness
Hill, Nathan

Wellness


ausgezeichnet

Brillanter Eheroman
In "Wellness", seinem zweiten Roman, erzählt der amerikanische Autor Nathan Hill die Geschichte von Elizabeth Augustine und Jack Baker, die 1993 beginnt. Elizabeth stammt aus wohlhabenden Verhältnissen, Jack ist der Sohn eines Farmers. Beide haben ihre Eltern verlassen, um in Chicago zu studieren. Inzwischen arbeitet Jack neben seinem Kunststudium als Fotograf, während Elizabeth im ersten Semester Psychologie, BWL, Theater und Naturwissenschaften studiert. Sie wohnen gegenüber in einer schmalen Gasse und haben sich gegenseitig bereits seit Monaten im Schutz der Dunkelheit heimlich beobachtet, als sie sich in einer Künstlerbar endlich persönlich kennenlernen und ineinander verlieben. Fortan sind sie unzertrennlich.

Die beiden heiraten, Sohn Toby wird geboren, und nach zwei Jahren nimmt Elizabeth eine Tätigkeit in einem Institut für Placeboforschung an, das unter dem Tarnnamen "Wellness" bekannt ist. Jack ist als Lehrbeauftragter tätig, und beide sind glücklich, als sie 2014 den Kaufvertrag für eine Eigentumswohnung unterschreiben. Als in der Planungsphase Elizabeth nicht nur den Wunsch nach offenen Küchenregalen, sondern auch nach getrennten Schlafzimmern äußert, ist Jack irritiert und macht sich Sorgen, dass seine Frau nicht mehr an der Ehe interessiert ist. 

Das tiefgründige Buch ist in brillanter Sprache mit viel Humor und ausgeprägter Beobachtungsgabe geschrieben und liest sich sehr flüssig. Im Hier und Jetzt begleiten wir Elizabeth und Jack, auf weiteren Erzählebenen werden nach und nach ihre schwierige Kindheit und traumatische Ereignisse enthüllt. Das ist fesselnd, aber auch herzzerreißend und erschütternd. Nathan Hill beschreibt seine Protagonisten bildhaft und authentisch, und er ermöglicht dem Leser einen intensiven Blick in ihre Gefühls- und Gedankenwelt. 

Auf über 700 Seiten werden zahlreiche Themen behandelt, es geht um Arbeit und Erfolg, Schuld und Trauer, Verschwörungstheorien, moderne Ehen, Elternschaft und sich ändernde Beziehungsdynamik. Ich habe mich köstlich über Jacks datengesteuertes Fitnessprogramm amüsiert und konnte mich gut in Elizabeth hineinversetzen, die mit den Herausforderungen der Kindererziehung zu kämpfen hat. Auch den sozialen Medien räumt der Autor viel Raum ein, dabei geht es besonders um die Facebook-Begeisterung von Lawrence, Jacks Vater. 

"Wellness" hat mich von Beginn an bis zu seinem stimmigen Ende begeistert. Ich habe viele neue Details über Placebos, Facebook und die Beeinflussung durch Algorithmen erfahren. Sehr interessant fand ich die Beschreibung der früher üblichen kontrollierten Präriefeuer, die von den Farmern gelegt wurden, um die Gräser zu neuem Wachstum anzuregen. 

Nathan Hill ist ein begnadeter Geschichtenerzähler - absolute Leseempfehlung für diesen hinreißenden Eheroman, der mich bestens unterhalten hat!