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Milagro
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Leserin

Bewertungen

Insgesamt 46 Bewertungen
Bewertung vom 09.03.2022
Der letzte Sommer in der Stadt
Calligarich, Gianfranco

Der letzte Sommer in der Stadt


sehr gut

Sofort hatte mich der Klappentext angesprochen, genau für mich, dachte ich und wurde nicht enttäuscht. Ein junger Mann geht von Mailand nach Rom, um dort in Journalisten - und Künstlerkreisen sein Glück zu suchen. Die Hitze liegt schwer über der Stadt und der Leser spürt das erschöpfende Leben nach. Man sitzt mit dem Protagonisten im Cafe, auf der Piazza del Popolo oder fährt mit ihm ans Meer, um Luft zu holen. Das Leben ist nicht so unbeschwert, der Eindruck des leichten Sommers täuscht. Der Lebensunterhalt will erarbeitet werden, fast ein wenig frech weiß der Protagonist sich bei Bekannten durchzufuttern. Über allem schwebt besagte Melancholie, über den nächtlichen Feiern, den Restaurantbesuchen mit Freunden, den Aufbrüchen und Treffen mit der ungewöhnlichen jungen Frau. Etwas verhuscht ist sie, auf die er trifft, irgendetwas zwischen reizend, überfordert und kess.
Insgesamt ein wenig ungestüm, unbekümmert lebt der Ich-Erzähler weiter vor sich hin, er wird erwachsener im Verlauf der Geschichte und auch diese Entwicklung ist von der allgegenwärtigen Melancholie umfangen. Das ist schön zu lesen, es berührt und hinterlässt einen wunderbaren Blick auf eine vergangene Zeit. Das Cover passt übrigens hervorragend zur Geschichte.

Bewertung vom 08.03.2022
Das Fundbüro der verlorenen Träume
Paris, Helen Frances

Das Fundbüro der verlorenen Träume


gut

Das Cover und der Titel hatten mich gelockt, ich hatte nach dem ersten Leseeindruck auf eine flotte, leichte Lektüre gehofft. Die Geschichte ist flüssig geschrieben, in kurze Abschnitte aufgeteilt, wirklich gut und zügig lesbar, auch findet man stets wieder den Anschluss. Was mir Schwierigkeiten bereitet hat, waren die Protagonisten. Dot, die ihr Leben in den ungemütlichen Regalen eines Fundbüros fristet, zu belastet mit den Verlusten , die sie verkraften musste. Ihre leicht oberflächlich gezeichnete Schwester, erfolgreich, aktiv, strahlend, das genaue Gegenteil von der jüngeren Schwester. Dots Mutter, kläglich am Ende des Lebens angekommen. Die Nebenfiguren bleiben blasser, wirkten wie Stereotypen auf mich. Die Geschichte ist problemgeladen, Krankheit, Tod, Verluste, Depressionen, unterdrückte Gefühle und Gewalt, das war mir ein bisschen viel. Nette Charaktere bleiben am Rande, obgleich sie Potenzial haben, wie Mr Appleby und seine Familie oder die Frau, die Rom erkundete. Diese Geschichte hat mich nicht überzeugt, schade.

Bewertung vom 08.03.2022
Die Feuer
Thomas, Claire

Die Feuer


ausgezeichnet

Während in den Bergen Buschfeuer wüten, sehen drei Frauen in Melbourne ein Beckett-Stück und hängen dabei ihren Gedanken nach. Ihre Biographien sind miteinander verbunden, jede sitzt zunächst für sich, während die Gedanken durch ihren Kopf rauschen. Es macht zunächst einmal nur Spaß, diesen Gedanken zu folgen, es ist ein ganz unmittelbarer Beginn, als Margot über das Theaterstück, ihre Arbeit und die Familie nachdenkt. Ich war ihr von Anfang an sehr verbunden, sie ist ausdrucksstark, verbindet Gedanken über ihren Job mit der Literatur, das eigenwillige Stück wird dabei, gedanklich, gleich mit beschrieben. Ivy, Mäzenin und Margots ehemalige Studentin, schließt sich ebenso an wie Summer, die Schauspielunterricht nimmt, als Platzanweiserin im Theater arbeitet und versucht, so viel wie möglich vom Stück mitzunehmen. Jede Frau durchdenkt ihre Situation, nimmt Beckets Stück fast nur am Rande wahr und hängt Gedanken zu aktuellen Themen nach. Diesen Gedanken kann man sehr gut folgen, jede Frau hat eine eigene, jeweils interessante Stimme, manchmal war ich fast enttäuscht, wenn die Protagonistin wechselte. Die Inszenierung des Theaterstückes fügt sich dabei sehr gut in die jeweilige Gedankenwelt. In der Pause des Stücks treffen die Frauen aufeinander, der Stil wechselt und man liest plötzlich ein Theaterstück, in welchem die drei auftauchen. Das ist nur in den ersten Zeilen des Kapitels ungewöhnlich und überraschend, nach einigen weiteren Zeilen war ich eingenommen und verfolgte das Geschehen nur zu gern. Nach der Pause geht es dann weiter mit der jeweiligen Gedankenwelt. Mir hat diese Geschichte ausgesprochen gut gefallen, ich hätte nur gern einfach weiter an den Leben der Frauen teilhaben wollen, aber so ist es auch gut. Eine gelungene Darstellung, empfehle ich gerne weiter!

Bewertung vom 08.03.2022
Das Vorkommnis / Biographie einer Frau Bd.1
Schoch, Julia

Das Vorkommnis / Biographie einer Frau Bd.1


ausgezeichnet

Es ist mein erstes Buch der Autorin gewesen, garantiert nicht das letzte.
Die Inhaltsangabe hatte mich angesprochen und die ersten Zeilen haben mich sogleich gefangen genommen. Ich konnte sofort in die Welt der Erzählerin eintauchen. Die Worte einer Fremden bei einer Lesung stellen alles in Frage, lassen viele Dinge in anderem Licht erscheinen oder bringen Erinnerungen zurück. Das Leben schreitet voran, die Beziehungen erscheinen in anderem Licht und führen zu weiteren Entwicklungen, die naturgemäß nicht nur positiv sind. Neue Chancen kann die Erzählerin nicht nutzen, zu verstrickt ist sie in ihren Überlegungen, das, was sie mit fröhlicher Unbeschwertheit angegangen ist, lastet plötzlich auf allem Weiteren. Das ist spannend zu verfolgen, man folgt dem Geschehen stets angespannt und wird von den Gedanken der Erzählerin umfangen. Kaum kann man sich von der Geschichte losreißen, die Stimmung nimmt einen gefangen. Nach Beendigung des Buches war ich bei 4 Punkten, die Geschichte hallt aber lange, ganz intensiv nach. Daher 5 Punkte und eine ehrliche Leseempfehlung!

Bewertung vom 08.03.2022
Die Gezeiten gehören uns
Vida, Vendela

Die Gezeiten gehören uns


ausgezeichnet

Die Geschichte von Eulabee und Maria Fabiola, die in einer Küstenstadt nahe San Francisco in den 80er Jahren aufwachsen, hat mich sofort begeistert. Die Mädchen gehen auf eine private Mädchenschule, kennen Geschichten aus der Nachbarschaft, sind ziemlich ungebunden und wissen um die Gefährlichkeit der einsetzenden Flut. Ein kurzes Zusammentreffen mit einem Fremden verändert alles, die Beziehungen zwischen den Mädchen ändert sich. Eulabee kämpft um Anerkennung der Gruppe. Dieses ganze Unglück trifft auf ein Chaos der Gefühle, das junge Menschen eben in diesem Alter so trifft. Gespannt folgt man dem durchaus mit Humor gespicktem Geschehen, nimmt Anteil und erlebt überraschende Wendungen. Diese Geschichte berührt, vielleicht gerade deshalb, weil man sich selbst wiedererkennen kann, vielleicht auch, weil man den Verlauf der Geschichte nicht gleich vorhersehen kann und das Geschehen trotzdem immer nachvollziehbar bleibt. Es wird nie langweilig, man fliegt nur so durch den Text. Die Protagonisten sind allesamt detailliert beschrieben, auch die Nebenfiguren bleiben nicht oberflächlich, so bleibt die Geschichte stets abwechslungsreich.
Eulabee ist mir wirklich sehr ans Herz gewachsen. Das ist eine großartige Geschichte, die ich gerne weiterempfehlen möchte.

Bewertung vom 08.03.2022
Die Kinder sind Könige
Vigan, Delphine

Die Kinder sind Könige


sehr gut

Ich bin ein Fan von Delphine de Vigan, das gleich vorweg. Auf dieses Buch habe ich mich deshalb sehr gefreut. Das Thema ist sehr aktuell: Kinder, die in sozialen Medien vermarktet werden. Die Protagonistin, die ein bisher durchschnittliches Leben geführt hat, möchte ihren Teil vom Ruhm haben. Sie erreicht dies, indem sie ihre Kinder vor die Kamera zerrt und das gemeinsame Leben in den Medien zur Schau stellt. Das Leben lebt die Familie nun öffentlich und das kommt an und beschert ein nicht unerhebliches Einkommen. Immerzu ist die Kamera dabei, alles wird gefilmt. Fremde beobachten die Kinder beim Auspacken von Spielsachen, die sich in den Kinderzimmern stapeln, die Kleidung wird in Szene gesetzt, jede Alltäglichkeit ist ein Video wert. Als die kleine Tochter sich zu entziehen versucht, starten die Probleme.
Es gruselt einen, wenn man diese Geschichte liest. Es gruselt, weil hier die Realität gezeigt wird. Konsum um des Konsums willen, Geld verdienen mit den eigenen Kindern, die kein wirkliches Mitspracherecht haben. Letztlich stellt de Vigan die Ausbeutung der Kinder dar, die auf YouTube-Videos ihr Leben zeigen ( müssen). Eingebettet in eine spannende Geschichte folgt man dem Geschehen teils ein wenig ungläubig, um dann festzustellen, dass es einfach nur realistisch ist. Die Geschichte liest sich teils wie ein Bericht, etwas zu sachlich für meinen Geschmack, auch hätte ich selbst gern etwas mehr Sympathie für die Nebenfiguren aufbringen wollen. Insgesamt aber ein tolles Buch über eine Gesellschaft, die die Kontrolle über ihre Privatsphäre verliert.