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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
herrzett
Wohnort: 
lübeck

Bewertungen

Insgesamt 115 Bewertungen
Bewertung vom 22.11.2022
Intimitäten
Kitamura, Katie

Intimitäten


sehr gut

Egal wie gut man jemanden kennt oder besser gesagt zu kennen glaubt, alles bleibt nur ein Ausschnitt, aus dem unser Gefühl und unsere Gedanken ein vollständiges Bild des jeweils anderen erstellen. Und ob das der Realität entspricht, ob man einem Mörder seine Tat ansieht, Lügen und Beschönigigungen aufdecken kann und ob sich nahestehende Personen wirklich in und auswendig kennen... ist zweifelhaft. Katie Kitamura konfrontiert die Leser*innen ihres Romans mit sehr vielen intimen Situationen, Gedanken und eben auch mit vielen unausgesprochenen Dingen, Zweifeln, Vorurteilen des menschlichen Handelns.
Die Inszenierung einer Aussage am Gericht, die Offenheit eines Partners, von Freunden und Verwandten oder x-beliebigen Menschen, die kurzzeitig unsere Aufmerksamkeit erregen, gefühlt kann man sich nie wirklich sicher sein, ob es echt ist, so passiert ist, eine wirklich tiefere Verbindung besteht oder alles wirklich der Wahrheit entspricht. Manchmal belügen wir uns sogar selbst und versuchen stets andere einzuschätzen, mit unseren Erfahrungen abzugleichen, Unsicherheiten im Auftreten oder der Stimme zu deuten. Intime Momente sind dabei so eine Art Vertrauensbeweis und doch immer nur eine Perspektive und Erkenntnisgewinn.
Und gerade diesen Themenkomplex - das menschliche Handeln und Denken - finde ich wahnsinnig spannend. Kitamura beginnt sich diesem Thema durch die Sprache und dem Ort, von dem nur wenig nach Außen dringt, zu nähern, zieht immer größere Kreise, es kommt zu verschiedenen Begegnungen und alles endet dann doch wieder bei ihrer Protagonistin, die einfach nur irgendwo ankommen und Halt finden mag. Fast schon ruhig, sachlich und neutral erklärt sie dabei die Vorgänge und Schwierigkeiten am Gerichtshof, sowie Grenzen der Gerechtigkeit, die Bedeutung der Übersetzung und Sprache, lässt persönliche Erlebnisse ihrer Erzählerin außerhalb des Hofs mit einfließen und beschreibt sehr empathisch und offen von ihren Gedanken, Gefühlen und Zweifeln. Einen Spannungsbogen sucht man in diesem Roman vergeblich und doch ist es gerade das Ungewisse, das ruhige, professionelle Verhalten und die emotionale, aufgewühlte Kehrseite, sowie die Interaktion auf unterschiedlichsten Eben das, was die Leser*innen durch den Roman treibt. Für mich hätte es gern noch einen größeren Aha-Moment geben können, aber wie im echten Leben, kennt und erlebt man immer nur einen Ausschnitt vom Wesen und Leben des anderen, schreibt seine eigene Geschichte, teilt Fragmente mit anderen und weiß am Ende eigentlich nur selbst, ob man so ist, wie man wirklich ist. Dieser Ausschnitt war toll. Die Bilder, sowie zahlreichen Fragen werden mich sicher noch eine ganze Weile begleiten.

Bewertung vom 04.10.2022
Auf See
Enzensberger, Theresia

Auf See


gut

"Auf See" liegt die Zukunft oder doch das Ende aller Utopien? Ein bisschen von allem vielleicht.

Dieser Roman zeigt das nahe Bild einer Zukunft, mit sehr dystopischen Zügen, was ihn nicht nur aktuell macht, sondern auch faszinierend. Und doch kratzt Theresia Enzensberger nur an den unzähligen Themenkomplexen und geht nirgends wirklich in die Tiefe. Selbst der Plot scheint wenig von Spannung getrieben, die Geschichte plätschert dahin, mögliche Höhepunkte, werden beinahe in einzelnen Nebensätzen abgearbeitet. So wie z.B. eine der Protagonistinnen aus der ihr bekannten Lebenswelt fliehen möchte und das scheinbar binnen kürzester Zeit und ohne jegliche Mühe machbar ist. Schon verblüffend und gleichzeitig stellt man sich die Frage, worauf Enzensberger den Fokus richtet... der Kampf um die Freiheit kann es schon mal nicht sein, auch wenn er in den 3-5 geschilderten, verschiedenen Lebenswelten immer wieder stattfindet, mal mit mehr Überwachung und Angst, mal mit weniger. Auch die Herauskristalisierung eines Anführers oder die Entstehung einer Sekte (ein, wie ich finde, sehr spannendes Thema) kommt in dem Roman leider auch viel zu kurz. Und das persönliche Innenleben, der Protagonistinnen und ihre Ansichten, Wünsche und Träume... nun ja. Gefühlt ist es eine sehr bunte Mischung aus Möglichkeiten, die mit etwas mehr Umfang und Tiefe diesen Roman zu einer sehr faszinierenden und aufrüttelnden Lektüre in Sachen Gesellschaftssysteme und Zusammenleben hätten machen können, so ist es allerdings ein äußerlich recht schöner, aber sonst eher an der Oberfläche dahinplätschernder Roman mit viel verschenktem Potenzial, so wie dann auch das in ihm geschilderte Gebilde auf hoher See.

Bewertung vom 04.10.2022
Wenn ich das kann, kannst du das auch!
Zervakis, Linda;Patrikiou, Elissavet

Wenn ich das kann, kannst du das auch!


gut

Linda Zervakis würde man als Fan oder Follower mit vielen Dingen in Verbindung bringen, von Hamburg über Griechenland, Tageschau (ehemalig), Journalismus, sympathische Fernsehmoderatorin bis hin zu Buchautorin, aber worum man stets einen großen Bogen machen konnte, war das Kochen. Essen, ja! Kochen, nein. Und nein, nach wie vor ist Linda nun keine Vorzeigekochexpertin und doch hat sie mit Elissavet Patrikiou ein Kochbuch herausgebracht. "Wenn ich das kann, kannst du das auch!" - Lindas persönliche Rezeptsammlung und der Titel trifft den Nagel schon sehr auf den Kopf. Dieses Buch ist wie ein kleiner Blick in Lindas Fotoalbum und Tagebuch, teilweise mit sehr privaten Schnappschüssen zusammen mit ihrer Mutter und Freunden, sowie eine Sammlung einfacher Kochrezepte mit persönlicher Note. Zwar kann man mit Datteldip, Currywurst und Weißbrot keine Preise gewinnen, aber irgendwie ist auch das sympathisch und etwas nettes für so kleine Treffen mit Freunden. Ich würde sagen, dieses Buch ist ein Versuch Rezepte, die Tradition und neue, fixe Küche, Griechenland, Orient und Alltag miteinander verbinden, in ein Kochbuch zu packen, nur ob dieser Versuch so wirklich geglückt ist? Ich weiß nicht, denn obwohl ich zuerst sehr von dieser persönlichen Art und Lindas Einfachheit (und dem Rezept für Zimtschnecken) angetan war, so frage ich mich, was 'wir nehmen eine Dattel, stecken einen halben Wallnusskern hinein und bestäuben das mit Puderzucker' mit kochen zutun hat. Ich könnte nun auch den Melonensalat, das Omelett, den Kartoffelsalat oder Bjarne Mädels geliebte Currywurst anführen. Es sind teilweise so logische Sachen, die zwar nicht aufwändig sind und satt machen, aber für die man nicht unbedingt ein Kochbuch braucht. Oder anders gesagt, es würde in einem dicken Kochbuch mit hunderten Rezepten nicht so ins Gewicht fallen, aber bei 31 fixen Geschichten... nun ja.

"Das ist ein Gericht, das ich nicht sonderlich gerne zubereite, denn nicht nur die Küche, auch ich selber >dufte< anschließend nach Frittiertem. Aber Kartofelpuffer sind ein Seelenessen! Am liebsten mit (Zimt und) Zucker. Oder mit Apfelmus."

Vielleicht ist es eher ein Buch für eine komplette Kochanfänger*in und da sind dann Lindas Anekdoten und Anmerkungen zu jedem Gericht nochmal so ein kleines, witziges Mutmach- oder 'Schau, das ist einfach, nicht perfekt'-Ding und schon äußerst nett. Aber wenn man dieses Einfache schon kann, nun ja, dann braucht man dieses Buch wohl eher nicht und dann bringt auch alle Begeisterung für Linda als Person irgendwie nichts oder man kauft es doch eher wegen Linda und weniger zum Kochen. Aber es ist und bleibt ein Kochbuch, nett gestaltet, aber irgendwie hätte dafür auch ein Blog oder ein kurzer Insta-Post pro Gericht ausgereicht. "Mamas Pita", der Schokokuchen, die Zimtschnecken oder die Brioche wären vielleicht meine Favoriten oder um es mal wieder zu sagen... sie sind schon ganz nett.

Bewertung vom 04.10.2022
Die Wunder
Medel, Elena

Die Wunder


weniger gut

Manche Bücher machen es mir nicht leicht, so auch "Die Wunder" von Elena Medel. Es ist ein feministischer Roman über zwei Frauen verschiedener Generationen, die zwar miteinander verwandt, sich aber nie begegnet sind. In zwei Handlungssträngen porträtiert Medel das Leben von Menschen der Arbeiterklasse - der eine spielt Ende der 60er Jahre und der andere in unserer heutigen Zeit - Herausforderungen eines Umzugs aus der ruhigen Provinz in die Großstadt Madrid, die Unabhängigkeit und der harte Kampf ums Überleben aus zwei verschiedenen Perspektiven/Zeiten/Generationen werden thematisiert. Beide Frauen Maria, sowie ihre Enkelin Alicia stranden mittellos in Madrid, beide versuchen ihren Weg zu gehen; lassen alles zurück. Maria müht sich als Kindermädchen und Hausangestellte, schickt fast ihr ganzes Geld ihrer Familie, die sich um ihre zurückgelassene Tochter Carmen kümmert. Und darin liegt dann auch fast schon die ganze Tragödie dieser Geschichte...

"Carmen weiß nicht, wer ich bin, und ich könnte sie nicht beschreiben. Wenn mich jemand nach ihrem Gesicht fragt, nach ihrem Verhalten, dann erzähle ich, was das Bild auf meinem Nachttisch zeigt. Meine Tochter bewegt sich nicht, sagt nichts zu mir, weiß nicht, wer ich bin. Sie ist gefangen in einem Foto."

Obwohl dieser Roman nicht nur dieses bewegende Drama, sondern auch thematisch sehr viel zu bieten hat, gar nicht uninteressant ist, so war ich doch recht schnell erschöpft. Dieses Springen zwischen den Zeiten, lange ausgeschmückte Bilder, das häufige nicht wissen wer nun wo und was und überhaupt hat mir sehr schnell die Freude daran genommen. Einzelne, wirklich tiefgründig emotionale Gedankengänge habe ich gefunden und doch konnte ich beiden Protagonistinnen durch diese Überforderung gar nicht wirklich nahe kommen. So habe ich dieses Buch dann auch recht schnell wieder zur Seite gelegt und bleibe mit recht gemischten Gefühlen zurück. Einmal bin ich irgendwie enttäuscht, dass der Aufbau mich hinderte komplett in diese Geschichte einzutauchen, diese Sprünge nervten ungemein und doch machen gerade sie dieses Spiel zwischen Nähe und Distanz, damals und heute fast schon wieder interessant.
Ich würde auf jeden Fall raten, zuerst anzulesen und zu gucken, ob dieser Text was mit einem macht und ob er einen erreichen kann, wenn es nicht sofort zündet... es bleibt so, da können die Themenwelten noch so gut sein, die Sprünge sind einfach zu irritierend.

Bewertung vom 30.06.2022
Wo die Wölfe sind
McConaghy, Charlotte

Wo die Wölfe sind


sehr gut

Wie man am Klappentext bereits unschwer erkennen kann, dreht sich in diesem Buch vieles um Wölfe. Teilweise würde ich sogar Vergleiche mit "Tiger" von Polly Clark anstellen. Aber dieser Roman thematisiert eben nicht nur die Natur, unsere Abhängigkeit von diesem fragilen Ökosystem, dass nicht mal so eben wieder repariert werden kann, sondern es dreht sich sehr viel um Schutz und die beeinflussenden Machtverhältnisse zwischen einzelnen Geschöpfen. Ohne nun zu viel vorweg zu nehmen, dieser Roman war für mich ganz anders als erwartet. Vergleichend mit McConaghys Vorgängerroman "Zugvögel" erwartete ich eher eine Geschichte, die sich sehr intensiv mit den Wölfen, ihren Spuren und Einflüssen auf die Menschheit, die Natur und ihr Umfeld auseinandersetzt und bei der sich die Protagonistin zahlreichen Widerständen entgegenstellen muss, sie und ihr Vorhaben zurückgedrängt wird und sie dennoch einen Weg findet sich für die Wölfe einzusetzen und damit uns irgendwie auch aufzeigt, wie ein wünschenswerter Umgang und der Wildnis aussehen würde, aber dieser Roman ist dann doch eher eine Kriminalgeschichte, in der die menschlichen Abgründe, Annäherungen und der Familienzusammenhalt im Vordergrund stehen. Was ruhig und überschaubar, für mich zeitweise auch sehr langweilig beginnt, wird nach und nach zur wilden Treibjagd, die die Leser*innen beinahe schon selbst zum*zur Detektiv*in werden lässt, denn kaum nach der Auswilderung der Wölfe, gilt es einen Tod aufzuklären und mit ihm eröffnen sich dunkle Schatten, weitere Abgründe in der Vergangenheit einzelner Protagonist*innen und der große Wunsch nach Gerechtigkeit. Aber was ist schon gerecht? Der Mensch, der sich immer weiter ausbreitete, sich als wichtiger als viele andere Tierarten empfindet und am liebsten für alles die Zügel in der Hand hält, sich selbst oder die Natur in einen goldenen Käfig gesperrt hat (wer wen im Käfig hält, darf jeder selbst entscheiden) hat zumindest in der heutigen Zeit mit einigen Konsequenzen und Folgen seines Egoismus und Eingreifen in die natürlichen Kreisläufe zutun und wenn wir nun nicht handeln, wird es nur noch schlimmer werden. Und auch wenn man das natürlich schon längst weiß, so ist dieser Roman doch wieder ein Stück weit erschreckendes Spiegelbild, das auch hier wieder beängstigend und faszinierend zu gleich sein kann, aber eben auch aufzeigt, dass nicht nur das Wilde in der Natur unberechenbar sein kann, sondern auch der Mensch selbst. Das führt sogar soweit, dass man sich beim Lesen ständig fragt, was an dem Erzählten echt, was vielleicht sogar eingebildet ist, welchen der einzelnen Protagonisten man was zutrauen würde und wie weit die Vergangenheit Einfluss auf uns und unser Verhalten nimmt und vielleicht sogar, wie alles hätte anders werden können, würde sich der Mensch als Herrscher über die Natur stellen. Und so war es dann ein zum Ende hin sehr spannendes Leseerlebnis, das einiges in mir hervorgerufen hat, mich gefordert hat und vor allem auch vieles auch mal aus der Sicht der bedrohten Jagdtiere sehen lassen hat. Und so kann ich nun sagen: Ich wünschte mir es würde tatsächlich mehrere Wolfs-Auswilderungsprojekte geben, mehr Menschen wie Inti, die versuchen fürs Gute zu kämpfen, auch wenn es hin und wieder sehr schwer fällt und dass sich der Mensch einfach mehr Gedanken über sein Handeln macht und gerade für diese Aha-Momente und den überschwappenden Drang etwas bewegen zu wollen, möchte ich diesen Roman doch sehr jedem empfehlen.

Bewertung vom 16.06.2022
Man vergisst nicht, wie man schwimmt
Huber, Christian

Man vergisst nicht, wie man schwimmt


ausgezeichnet

Dieser Roman hat mich sehr begeistert und mich mal herausgeholt aus dieser komischen Welt voller Sorgen, Ängste und Probleme. Schon alleine der Gedanke an die Geschichte versetzt mich zurück in meine Kindheit/in die 90er, lässt mich mit Krüger, Jacky und Viktor mitfiebern, Spaß haben und ein wohliges, freudiges Gefühl breitet sich in mir aus. Auch die mitgelieferte Playlist von "Californication" über "A-N-N-A" bis hin zu "My Name is" tut da ihr übriges und lässt neben der passenden Stimmung für dieses Buch eigene Erinnerungen aufblitzen. Kaum zu glauben, dass Christian Hubers Roman fast nur von einem Tag spielt und er dabei so eine tolle, intensive Geschichte erzählt, die zeitgleich noch so viele Themen abdeckt, denn von Bekanntschaft schließen, wilden Partys, Verliebtheit, ein wenig Action, einem Geheimnis, dem großen Verlust, Schmerz, Freude, der Freiheit - endlich über den eigenen Schatten zu springen, Freundschaft und natürlich sehr viel Sonnenschein und Wärme ist alles dabei. Ein bisschen amerikanisch, draufgängerisch und wild, aber zur Unterhaltung ist das eine echt gute Mischung. Und so saugt man diesen unvergesslichen, flirrenden Tag in Krügers Leben und seine Erinnerung nur so auf und möchte weder dass der Tag noch das Buch endet und man dieses kleine Heimatkaff, den Zirkusplatz, die Bucht, den angrenzenden Wald wieder verlassen muss. Für mich ist dieses Buch so viel besser und logischer als Ewald Arenz' "Der große Sommer" und ich kann dann auch nur eine große Empfehlung aussprechen - für mich ist es das Sommerbuch dieses Jahres, auch wenn es laut Roman um den letzten Tag des Sommers geht, den 31. August 1999.

Bewertung vom 02.06.2022
Luyánta
Selge, Albrecht

Luyánta


schlecht

Anfangs dachte ich noch "Das wird ein toller Ritt" und freute mich auf ein fantastisches Abenteuer in der Unselben Welt, doch meine Reise war dann doch schon recht früh wieder vorbei. Gerade einmal hundert Seiten habe ich gelesen und dann wollte ich einfach nicht mehr, denn weder das Erzählte erschien mit logisch, noch baute sich da ein gewisses Interesse für die Geschichte auf, und wenn ich dann mal wirklich etwas wissen wollte kam recht schnell eine Aussage wie: "Na gut. Aber die Vorgeschichte lass ich weg. Aufstieg und Fall des Fanesreichs, eine glorreiche und todtraurige Angelegenheit. Na, das kennst du wahrscheinlich selbst am besten. Und wenn nicht, dann ist vielleicht ein andermal Zeit. Ist ja nicht Erzähltherapie hier oder Stuhlkreis mit Märchenquatschen, verstehst du, was ich meine?" Und ehrlich gesagt, nein, ich habe es nicht verstanden, denn sind es nicht genau die mystischen, ausgeschmückten Geschichten, die die Leser*innen in eine fremde Welt entführen sollen? Und das zwölfjährige, anstrengende Mädchen Jolantha alias Prinzessin Luyánta, bei deren Aussagen ich mich stets fragte: "Und die soll wirklich erst zwölf Jahre alt sein?", wird die Rettung bringen? Wirklich? Und sollen diese zwei Murmeltiere, die die Ausdrücke "Alter" und "Digger" recht inflationär gebrauchen und deren Dialoge für mich recht unangenehm sind, wirklich die Begleiter in die 'andere Welt' sein, die sich nur ein Fußmarsch entfernt auf der anderen Seite des Berges befindet und von einer starken, dunklen Macht bedroht wird?

"Sind sie so bösartig - die Trussaner?" [...] "Noch bösartiger [...] Denn sie haben jahrhundertelang nichts anderes als Böses getrieben. Darum sind auch ihre Herzen zu Kohle geworden. Früher, in den Zeiten des alten Fanesreichs, war das anders. Da waren sie auch schon Gesindel, lästige Räuber. Nichts als Ärger haben sie gemacht. Aber sie waren doch Menschen. Bruder, Jahrhunderte der Bosheit verwandeln einen!"

Vielleicht merkt man das schon an diesem kurzen Zitat, dass trotz Bedrohung weder Gefühl noch Begeisterung überspringt und wenn dann auch der Rest nicht so ganz stimmig ist, hat es eine knapp 780 seitige Geschichte wirklich schwer. Ich hätte dieses Buch wirklich gerne gemocht, da ich Albrecht Selges Roman "Fliegen" wahnsinnig toll fand, aber "Beethovn" empfand ich dann auch schon als sehr speziell und für diesen Ausflug ins Fantasyreich kann ich leider keine Empfehlung aussprechen, weder sprachlich, noch von Seiten der Protagonist*innen und Randfiguren, geschweige denn von der Geschichte selbst. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu alt für diesen Roman und diese Umgangsformen oder aber ich lese einfach viel zu wenig Fantasy, sodass ich diese Erzählung mehr schätzen könnte.

Bewertung vom 14.05.2022
Butter
Yuzuki, Asako

Butter


ausgezeichnet

ein kulinarischer Genuss mit überraschenden Noten in Richtung Traditionen, Freundschaft, Feminismus und Befreiung

Thematisch ist es ein großartiges Buch, dass wirklich alles von Traditionen, Feminismus, patriarchalen Rollen- und Geschlechterzuschreibungen, Aufbruch, Freundschaft, Gesellschaftskritik, etwas Spannung und eine Auseinandersetzung mit dem Spruch "alles eine Frage der Perspektive" bereithält. Kajii steht für mich für die alten Traditionen, die frisch entdeckt sehr toll, anziehend und aufregend sein können, aber rückblickend betrachtet auch sehr starr, aufdrängend und festgefahren. Manchmal führt dies dann sogar so weit, dass Menschen unglücklich werden oder wie in diesem Fall sterben. Und so ergeht es dann auch Rika im Verlauf des Romans. Nach anfänglicher Begeisterung fürs Essen und insbesondere für Butter, sowie Kajiis Anziehung, zahlreichen Gesprächen, die nicht unbedingt so laufen, wie sie sich das wünscht, findet sie irgendwann ihren eigenen Weg und muss sich mit dem gesellschaftlichen Druck auseinandersetzen. So geht es zeitweise z.B. um die Optik, dass sehr dünn als das Schönheitsideal Japans gilt und Normalgewichtig/'der gesunden Norm entsprechend' als liederlich und verkommend. Auch, dass es scheinbar fast nur Margarine zu kaufen gibt und kaum jemand Butter und andere Milchprodukte zu schätzen weiß oder sich Zeit für aufwändige, traditionelle Gerichte nimmt, gibt so einen gewissen Blick auf diese sehr schnelllebige, nicht ganz gesunde Gesellschaft. Oder dann gibt es noch ganze Abschnitte über das Beziehungsgefüge, während ihre Freundin unbedingt ein Kind will und dafür alles zurückstellt, gibt Rika alles um mit der berühmten Serienmörderin ein exklusives Interview führen zu können. Ihre Partner finden sich nicht wirklich in ihren Lebensvorstellungen wieder, sie beschreiten verschiedene Wege und das klassische Familienbild wird durch eine große, befreundete Gruppe ersetzt. Und das scheint in diesem Roman schon etwas ganz besonderes für das traditionelle Japan zu sein. Auch in den Morden, den Beziehungen, die verschiedenen Typen von Männern, Kajiis Sinneswandel und Co kann man noch wahnsinnig viel reininterpretieren, Anmerkungen finden oder so wie ich, ständig begeistert sein. Und ich warne schon vor, trotz einiger kleinerer Längen, macht dieser Roman unglaublich Appetit. Reis mit Butter und Sojasoße hat es mir zum Beispiel sehr angetan und immer wenn ich an dieses Buch denke, denke ich automatisch an dieses simple Rezept. Und so ist es dann insgesamt eine etwas skurrile Geschichte, die die verschiedensten Sinne anregt, zum Nachdenken einlädt, sehr viel Spaß macht und über das eigene Leben nachdenken lässt. Mehr möchte ich dann auch noch nicht vorweg nehmen, ich finde diesen Roman jedenfalls sehr besonders und für mich ist es schon jetzt ein Highlight des Jahres.

Bewertung vom 12.05.2022
Zusammenkunft
Brown, Natasha

Zusammenkunft


gut

Vor einer Weile habe ich schon einmal Natasha Browns "Assembly" begonnen zu lesen, aber irgendwie packte mich dieser Roman so gar nicht. Zu sehr störte mich das Fragmentarische, die Sprünge zwischen einzelnen Themen und Szenen und ich verlor schnell das Interesse. Und das eigentlich gar nicht mal aufgrund des Inhalts, denn Natasha Brown zeigt hier sehr eindrucksvoll, welchen Herausforderungen sich PoC in der heutigen Zeit stellen müssen, wie sie stets beäugt, befragt, rassistisch angegangen werden. Aber ich konnte einfach keine Nähe zur Protagonistin aufbauen und vieles plätscherte dann nur dahin, verwirrte mich und meine Englischkenntnisse stießen an ihre Grenzen (zumindest dachte ich das). Daher war ich nun auch ganz froh, dass . "Assembly" vor einer Weile auf Deutsch in der Übersetzung von Jackie Thomae erschienen ist und so wollte ich "Zusammenkunft" eine erneute Chance geben, und mich dem Leben der Protagonistin nähern. Diese nimmt die Leser*innen mit in ihren Alltag, zwischen Arbeit, Familie, Aufopferung, Aufstieg und tief verankertem Fallen. Die toxische Vergangenheit, Rassismus, Anfeindungen, Abwertungen holen viele PoC und auch sie ständig ein. Und dann sehen sie sich, neben all ihren anderen Problemen, ständig damit konfrontiert. Es ist ein Roman zwischen Aufklärung und bekanntem Schubladendenken, der deutlich die Unterschiede zwischen Klassen, Arbeit, Werten, Geschlechtern, Herkunft und Besitz darstellt. Und das, obwohl wir Menschen ja alle immer so tolerant und weltoffen sind. Das ist teilweise schon sehr bedrückend und erschreckend.
Was heißt es dazuzugehören und gefühlt doch nicht dazugehören, nie so akzeptiert zu sein wie 'die anderen'... man mag es sich gar nicht so genau vorstellen und doch erleben das tagtäglich viel zu viele Menschen in der Welt und eben auch die Protagonistin in England.

"Ich habe mein Leben immer nach dem Prinzip gelebt, dass ich, wann immer mir ein Problem begegnet, dann arbeiten muss, eine Handlung zu finden, um es zu überwinden; oder Platz dafür zu schaffen; oder einen Weg außen herum zu schlagen; oder sogar den Boden darunter abzutragen. So wurde ich aufs Leben vorbereitet. So bereiten wir uns selbst vor, das bringen wir unseren Kindern bei, um an diesen Ort heranzugehen, an dem Hindernis auf Hindernis folgt. Arbeite doppelt so hart. Sei doppelt so gut. Und immer, pass dich an."

Dieses Buch ist voll von Augenöffnern, erschreckenden Aussagen oder auch Begegnungen. Also dafür schätze ich diesen Roman wirklich sehr und ich habe mal wieder die Lage der PoC in dieser weißgeprägten Welt kennenlernen müssen, verstanden, aktiv durchdacht und hoffe nun sensibler an eben jene Themen heranzutreten. Es ist ein erschreckender Spiegel und doch wünschte ich mir für einen Roman, dass alles zusammenhängender, packender und wahrscheinlich auch durchrüttelnder erzählt werden würde. Ich hadere, es ist keine wirkliche Leseempfehlung von mir und doch würde ich sagen, dass es ein wichtiges Buch ist, dass man als Weiße*r mal gelesen haben sollte. Doch, doch.

Bewertung vom 11.05.2022
Das Vorkommnis / Biographie einer Frau Bd.1
Schoch, Julia

Das Vorkommnis / Biographie einer Frau Bd.1


gut

Julia Schoch nimmt ihre Leser*innen mit in ihre Vergangenheit, erzählt von wirren, beinahe schon Hineinsteigerungen und findet schlussendlich wieder dahin zurück, wo alles begann. Das Zusammentreffen ist quasi die Klammer ihrer Erinnerung und Lebensrückblicke, die innerhalb dieses Romans mit Zweifel an einigen Einschätzungen konfrontiert werden und alles erneut infrage stellen. Gerade das Vertrauensgefüge zum Vater scheint zu bröckeln, die Liebe zu Mann und Kindern, sowie der Blick auf die Welt bzw. ihre Erinnerung steht im Fokus ihrer Betrachtungen. Daraus entstand eine sehr reflektierte Auseinandersetzung mit sich und der Welt und eben jenen Folgen des Zusammentreffens, das sie auch noch Jahre später beschäftigt. Dennoch muss ich sagen, dass gerade die Abfolge vom Zusammentreffen, gedanklichen Folgen, Rückblick, Beziehung hin zu weiteren Gedanken über das Zusammentreffen, für mich am Ende dann doch recht konstruiert schienen. Auch die Übergänge fand ich nicht gerade schön, aber das ist dann womöglich auch eine Geschmacksfrage. Fragen... da haben wir es wieder. Fragen, philosophische Auseinandersetzungen und Deutungen des eigenen Handels mag ich sehr, aber irgendwie habe ich in diesem ersten Teil keine wirkliche Antwort auf irgendwas gefunden, ich könnte nicht mal sagen, dass mir vieles in Erinnerung geblieben ist, aber die Frage wie man selbst auf so etwas reagieren würde, was an Julia Schochs Gedanken nun überzogen, was ähnlich ist, das hat mich recht lange beschäftigt. Ich bin mal gespannt, ob und wann mir der nächste Teil in die Hände fällt und ob ich weiteres lesen möchte, denn einerseits interessiert es mich nun sehr, wie die Autorin weiter vorgehen wird mit ihrer Biografie einer Frau, andererseits denke ich, dass mir grade diese autofiktionale, schon eher sachliche Auseinandersetzung mit dem lebensverändernden Ereignis (irgendwie auch ein sehr beliebtes 'Ding' in der Literatur) doch auch gereicht hat. "Dann aber wurde mir klar, dass ich schon vieles nicht mehr wusste, ja an bestimmte Dinge hatte ich mich schon am nächsten Tag kaum mehr erinnert. [...] Andere, scheinbar unwesentliche Details hingegen sind mir bis heute sehr genau im Gedächtnis. [...] Vor allem scheint sich erst jetzt, mit dem Abstand von Jahren, in großer Klarheit zu zeigen, wie Dinge, die in den Monaten und Jahren danach passiert sind, miteinander zusammenzuhängen. [...] Es waren Monate und Jahre, in denen sich alles zu verändern schien, meine Sicht auf die Welt, die Liebe, auf meinen Mann und meine Kinder."