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Pedi

Bewertungen

Insgesamt 46 Bewertungen
Bewertung vom 08.06.2017
In jedem Augenblick unseres Lebens
Malmquist, Tom

In jedem Augenblick unseres Lebens


ausgezeichnet

Es ist herzzerreißend, diese Nähe von Glück - über die Geburt der kleinen Tochter Livia, zu früh, aber gesund - und die bodenlose Trauer über den Tod ihrer Mutter, der geliebten Frau Karin, die kurz nach dem freudigen Ereignis an einer schweren akuten Form der Leukämie verstirbt.
Wie kann man als unmittelbar Betroffener, als Vater und Ehemann, diese widerstreitenden Gefühle vereinen, wie seiner bodenlosen Traurigkeit und den Erinnerungen an die Partnerin Raum geben, und dennoch seine Verantwortung dem neu geborenen Leben gegenüber gerecht werden.
Tom Malmquist schildert hier seine eigenen Erlebnisse, im Krankenhaus, in der schwierigen Zeit danach.
Er schildert dies sehr ergreifend, gerade indem er bei der Umsetzung nicht zu emotional wird. Er muss funktionieren, ist oft überfordert, seine Gedanken, Erinnerungen kreisen. Das ist sehr authentisch umgesetzt. Dialoge, innere Monologe verschmelzen. Ein sehr berührendes Buch!

Bewertung vom 15.04.2017
Unsere Seelen bei Nacht
Haruf, Kent

Unsere Seelen bei Nacht


gut

Eine kleine Geschichte. Auf knapp 200 sehr luftig bedruckten Seiten erzählt der 2014 mit 71 Jahren verstorbene amerikanische Autor Kent Haruf von zwei älteren, verwitweten Menschen, die der Einsamkeit entkommen möchten. Der Roman erschien posthum und es ist berührend zu wissen, dass Haruf wohl von seinem baldigen Sterben wusste, während er ihn schrieb.

Es ist die Geschichte von Addie und Louis, seit langer Zeit Nachbarn, nun beide Anfang 70 und eigentlich ganz gut eingerichtet in ihr Leben, zumindest nach außen hin. Beide sind anfangs unsicher, doch bald merken sie, wie gut ihnen diese Zweisamkeit tut, auch wenn die Gerüchte und Tuscheleien in der kleinen Gemeinde Holt, irgendwo in der Weite Colorados, hochkochen. Sie leben ein harmonisches, ruhiges, einfaches Zusammensein, auch als Addies Enkel Jamie, dessen Eltern sich gerade getrennt haben, bei der Großmutter für einige Zeit „geparkt“ wird. Fast ein Idyll, das letztendlich aber an der Kleingeistigkeit und Intoleranz, nicht der Öffentlichkeit, nein der eigenen Familie scheitert.ss Haruf wohl von seinem baldigen Sterben wusste, während er ihn schrieb.


Es ist die Geschichte von Addie und Louis, seit langer Zeit Nachbarn, nun beide Anfang 70 und eigentlich ganz gut eingerichtet in ihr Leben, zumindest nach außen hin. Beide haben ihre langjährigen Ehepartner verloren, die Kinder leben schon geraume Zeit ihr eigenes Leben fern des Elternhauses. Einsamkeit ist da ein häufig einkehrender Gast. Doch warum eigentlich? Addie fasst sich eines Tages ein Herz, klingelt bei Louis und macht ihm einen ungewöhnlichen Vorschlag: Warum nicht fortan die Nächte, in denen der Schlaf so zögerlich kommt, gemeinsam verbringen, im selben Bett schlafen, reden, sich nah sein. Um Sex geht es (zumindest zu Beginn) nicht.

Beide sind anfangs unsicher, doch bald merken sie, wie gut ihnen diese Zweisamkeit tut, auch wenn die Gerüchte und Tuscheleien in der kleinen Gemeinde Holt, irgendwo in der Weite Colorados, hochkochen. Sie leben ein harmonisches, ruhiges, einfaches Zusammensein, auch als Addies Enkel Jamie, dessen Eltern sich gerade getrennt haben, bei der Großmutter für einige Zeit „geparkt“ wird. Fast ein Idyll, das letztendlich aber an der Kleingeistigkeit und Intoleranz, nicht der Öffentlichkeit, nein der eigenen Familie scheitert.

Kent Haruf ist mit großer Sympathie und Empathie bei seinen Figuren. Er erzählt mit Ruhe und Leichtigkeit vom alltäglichen Glück und Unglück ganz normaler Menschen. Er tut das sehr zurückhaltend, zart und leicht melancholisch. Zum Glück wird das Buch niemals kitschig oder pathetisch. Das Thema, das Thema, die Suche nach Glück und Gemeinsamkeit, ein selbstbestimmtes Leben auch im Alter, wird überaschend selten verhandelt in Romanen, spricht den Leser an. Das merkt man den sehr wohlwollenden bis begeisterten Kritiken an.

Mir war das dennoch nicht genug. Die sehr reduzierte Sprache, die sich zum großen Teil in einfachen Beschreibungen alltäglicher Handlungen oder simplen Dialogen erschöpft, war mir auf Dauer genauso zu wenig wie die Ausgestaltung und letztlich Auflösung der Thematik. Vieles wird einfach nur beschrieben, bleibt äußerlich, spröde und gedämpft. Das vermeidet den Kitsch, für mich aber auch die echte Anteilnahme.

Bewertung vom 22.02.2017
Das geträumte Land
Mbue, Imbolo

Das geträumte Land


ausgezeichnet

2004 reist Jende Jonga mit einem vom schon länger in Amerika lebenden und als Anwalt recht erfolgreichen Cousin Winston finanzierten Visum von Limbe in Kamerun in die USA ein. Zwei Jahre später kann seine Frau Neni mit einem Studentenvisum und dem kleinen Sohn Liomi folgen. Die Zeiten sind schwer, aber mit Jendes Job als Taxifahrer und Nenis Zuverdienst als private Pflegerin kommt die kleine Familie einigermaßen über die Runden. 2007 scheint es endgültig aufwärts zu gehen, als Jende eine gut bezahlte Anstellung als Chauffeur eines Managers der Lehmann Brothers Bank erhält. Es ist kurz vor deren spektakulären Pleite. Die schon vorher kriselnde Ehe der Edwards ist dem Stress nicht gewachsen, Cindy spricht immer mehr Alkohol und Tabletten zu, Clark sucht Entspannung bei bezahlten Liebesdiensten. Wie sehr soziale Verantwortung, Liberalität und Empathie nur Fassade waren, wird recht bald deutlich. Jende wird da bald zum Bauernopfer. Jende droht nicht nur das finanzielle Aus, sondern auch das Scheitern seines Asylantrags und die Abschiebung. Das ganze mag nun etwas klischeehaft klingen – böse, skrupellose Weiße hier, arme, redliche, aber chancenlose Schwarze dort -, ein großer Vorzug an Mbues Roman ist aber gerade die Ambivalenz, mit der alle Personen und Gegebenheiten geschildert werden. Die Edwards sind eigentlich nette Menschen, die aber gefangen sind in ihren eigenen Tragödien. Und auch die Immigranten stecken in ihren eigenen Zwängen fest. Jende entwickelt sich immer mehr zum machohaften Tyrannen, der seiner Frau verbietet nach der Geburt des zweiten Kindes weiter zu arbeiten und schließlich ausdrücklich gegen Nenis Wunsch, völlig eigenmächtig beschließt, nach Kamerun zurückzukehren. Und auch Neni, ehrgeizig, zielstrebig, intelligent und selbstbewusst, fällt nichts anderes ein, als sich dieser Entscheidung zu beugen, sich sogar körperlich misshandeln zu lassen.

„Das geträumte Land“ ist ein Buch der Desillusionierung. Es zeigt die Brüchigkeit des amerikanischen Traums und den unter einer dünnen Fassade von Liberalität versteckten Alltagsrassismus. Es ist die Erkenntnis nicht nur Jendes, sondern auch Clarks, dass das Amerika, an das sie geglaubt haben, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, nur ein geträumtes Land war. Imbolo Mbue hat ein wunderbares Buch geschrieben, voller Empathie und Wärme, Präzision und Ambivalenz in der Beschreibung, dabei leicht und unterhaltsam.

Bewertung vom 16.01.2017
Die Geschichte eines neuen Namens / Neapolitanische Saga Bd.2
Ferrante, Elena

Die Geschichte eines neuen Namens / Neapolitanische Saga Bd.2


sehr gut

Im Sommer letzten Jahres brach es aus, oder wurde vielmehr allerorten beschworen – das Ferrante-Fieber! Ich stand diesem Phänomen etwas ratlos gegenüber. Das Buch konnte durchaus unterhalten, zeichnete zumindest ansatzweise interessante Figuren und eine gut entwickelte Geschichte. Zudem wurde die Spannung gehalten und mit einem ungeheuren Cliffhanger geendet. Trotzdem konnte von einem Fieber bei mir keine Rede sein.

Nun also, „Die Geschichte eines neuen Namens“. Zunächst gleicht sie der genialen Freundin sehr. Wer den ersten Band gelesen hat (und das sollte man unbedingt vorher tun), erinnert sich, dass dieser abrupt an Lilas Hochzeitstag endete, und zwar mit einem Eklat. Lila entdeckte, dass ihr Mann heimlich gemeinsame Sache mit den ihr zutiefst verhassten Camorra-Brüdern Solara machte. Der Anfang der Ehe, in die sich Lila mit 16 Jahren stürzte, um aus den äußerst bedrückenden Verhältnissen ihres Elternhauses in einem der heruntergekommenen Viertel („rione“) Neapels zu fliehen, barg zugleich ihr Scheitern. Zwar kann der erfolgreiche Lebensmittelhändler Stefano ihr nun ein Leben in relativem Wohlstand bieten, aber ein wirkliches Entkommen aus den Verhältnissen, wie ihn sich die beiden Mädchen erträumten, bietet sich Lila dadurch nicht. Stefano zeigt als Ehemann das vertraute Verhaltensmuster aller Männer aus dem „rione“: Despotie, Machismo, Verachtung und Missbrauch der Frauen, Gewalt. Nicht nur Lila, sondern auch fast alle ihre Freundinnen geraten in viel zu frühen Jahren in eine solche Ehehölle. In dieser Geschichte wird so ziemlich alles demontiert, Liebe, Ehe, Familie, Freundschaft. Auf alle diese (glücksverheißenden) Institutionen wird mit einem äußerst scharfen Blick geschaut. Noch deutlich mehr als im ersten Buch geht es hier auch um die Stellung der Frau, ihre Missachtung in der Gesellschaft, ihre Befreiungsversuche. Dabei kommen aber die Frauen selbst genauso schlecht weg wie die Männer. Das System ist es, wo der Wurm drin steckt. Und hier hat mich das Buch zunehmend gepackt. Endlich kommen auch zeitpolitische und soziale Aspekte zum Tragen: Die Frauenfrage, soziale Umstände, Bildungspolitik. Denn da gibt es natürlich neben Lila noch die Ich-Erzählerin, die mit ihr in Freundschaft, aber auch in ständiger Rivalität und Missgunst verbunden ist. Gerade das macht einen großen Reiz der Bücher Elena Ferrantes aus: Wie ungeschönt, schonungslos und offen diese Lenu selbst über ihre übelsten Gefühle und Gedanken schreibt. Lenu nun geht, obwohl eigentlich weniger begabt als Lila, durch ein wenig Glück, aber vor allem durch großen persönlichen Ehrgeiz befördert, einen anderen Weg. Sie bleibt bis zum Abitur auf der Schule, studiert danach sogar in Pisa und kann sich schließlich den großen Traum erfüllen: ein Roman von ihr wird veröffentlicht.

Auch dieser zweite Band der Tetralogie endet mit einem Cliffhanger. Unmöglich sich der Spannung zu entziehen, wie es weiter geht. Zumal nach anfänglichem Zögern mich die Figuren nun tatsächlich gepackt haben.Dabei sind die Bücher äußerst kunstlos geschrieben. Sie sind gut lesbar, bieten aber keine sprachlichen Höhepunkte. Dabei ist der Roman gut konstruiert und Elena Ferrante kann enorm gut mit Spannung umgehen. Deshalb wird das Ferrante-Fieber wohl diesmal mindestens bis Mai dieses Jahres anhalten. Da soll der dritte Teil erscheinen. Und ich habe läuten hören: Der soll noch besser sein.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.01.2017
Wintergewitter / Kommissär Reitmeyer Bd.2
Felenda, Angelika

Wintergewitter / Kommissär Reitmeyer Bd.2


sehr gut

Der hier vorliegende zweite und mittlere Teil von Angelika Felendas zwischen 1914 und 1933 angesiedelter Krimireihe nimmt das Jahr 1920 ins Visier. Es ist die Zeit der Freicorps und Einwohnerwehren, des erstarkenden Nationalsozialismus, der Dolchstoßlegende, der Putschversuche und großen materiellen Not in weiten Teilen der Bevölkerung.

Cilly Ortlieb und Marie Zaumgiebel, zwei jungen Statistinnen aus Rosenheim, die davon träumten, in München Schauspielerinnen zu werden, verdienten ihr Geld schließlich auf anderem Wege und schreckten auch vor der ein oder anderen Erpressung ihrer „Herrenbekanntschaften“ nicht zurück. Ein leichtsinniges Unterfangen, denn beide werden eines Tages ermordet aufgefunden.
Kommissar Sebastian Reitmeyer ermittelt, soll aber, als bald die Spur zu rechtsgerichteten Kreisen und der Einwohnerwehr führt, möglichst nicht zu tief graben. Dabei begegnet er der Berliner Studentin Gerti Blumfeld, die auf der Suche nach ihrer verschollenen Schwester ist und alsbald auch ins Zentrum der Ereignisse gerät.

Der Autorin gelingt die atmosphärische Schilderung ganz ausgezeichnet, auch sprachlich ist der Roman sehr solide. Gegen Ende nimmt die eher beschauliche Ermittlung ein wenig zu sehr Fahrt auf, da knirscht es auch ein wenig in der Handlung und wird das ein oder andere ein wenig unplausibel und unwahrscheinlich. Aber da sich die Leserin bis dahin gut und durchaus klug unterhalten gefühlt hat, lässt sich darüber hinwegsehen.

Bewertung vom 24.02.2013
Klack
Modick, Klaus

Klack


sehr gut

Eine Situation, die die meisten Leser kennen: Man möchte endlich mal Ordnung machen, alte Sachen gründlich aussortieren, Platz schaffen, möglichst schnell. Und dann stößt man unseligerweise auf eine dieser Kisten, in der in der hintersten Ecke ein paar Fotos die Jahrzehnte überdauert haben, meistens mies ausgeleuchtet, verschwommen und auch von der Motivwahl nicht der Knaller. Deshalb haben sie den Eingang in die wohlgehüteten, mehr oder weniger oft hervorgeholten Fotoalben im Wohnzimmer nicht geschafft und sind fast vergessen worden. Doch jetzt hält man sie in Händen und alte Begebenheiten, fast vergessene Menschen und Gefühle machen sich breit. Das mit dem Ordnungmachen kann man erst einmal vergessen...
So taucht auch in "Klack" ein Stapel alter Schwarzweißfotografien auf, der den Erzähler in seine Vergangenheit entführt. Es sind die Jahre 1961/62, die Zeit von Wirtschaftswunder, Rock´n´roll, beginnendem Zuzug von Gastarbeitern, aber auch von Kaltem Krieg, der Angst vor einem atomaren Dritten und den Nachwehen des vergangenen Weltkriegs. Der Autor erzählt sehr detailfreudig, anschaulich, amüsant und unterhaltsam. Er schaut seinem jüngeren Ich mit dieser Mischung aus Ironie, Melancholie, leichtem Neid, Glück und auch ein wenig Mitleid zu, die auch einen selbst zuweilen packt, wenn man an frühere Jahre denkt. Obwol ich doch eine ganze Reihe von Jahren jünger bin als der Autor, habe ich doch sehr vieles wiedererkannt, sowohl Materielles, wie bestimmte Marken oder Werbungen, als auch Emotionales, wie z.B. die latente Angst vor einem neuen Krieg, insbesondere auch vor den regelmäßig stattfindenden Sirenenübungen. Anscheinend war früher die Halbwertszeit solcher Erfahrungen einfach länger als heutzutage. Ganz oft konnte der Autor mich mitnehmen in diese ferne Zeiten der Jugend, befremdet wie immer bei der Lektüre solcher Jungenerinnerungen - denken pubertierende Jungs tatsächlich immer nur an Sex? -, manchmal etwas gestört durch die allzu forciert jedem Kapitel vorangestellten Gedanken zu dem Phänomen der Erinnerung an sich und der Rolle, die dabei Fotos spielen. Aber auch sehr schöne Überlegungen fanden dort Platz. Und so kam es ganz oft dazu, dass ich mich über das Buch hinaus in eigene Erinnerungen verloren habe, dass ich Lust bekommen habe, die erwähnten, in meiner Jugend aber natürlich schon "hoffnungslos opamäßigen" Lieder nachzuhören und möchte dem Autor dafür danken, dass er mit seinen "Fotos" "die Erinnerungen wie Zeltstöcke, über denen der Stoff des Gewesenen hängt (aufspannt)" (Zitat)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.