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Lu
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Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 152 Bewertungen
Bewertung vom 23.06.2024
Leon Hertz und die Sache mit der Traurigkeit
Surmann, Volker

Leon Hertz und die Sache mit der Traurigkeit


ausgezeichnet

Volker Surmanns Roman "Leon Hertz und die Sache mit der Traurigkeit" ist ein anrührendes und trotzdem witziges und unterhaltsames Jugendbuch, das gekonnt die Themen Leben und Tod behandelt, ohne dabei einfache Antworten oder Lösungen zu liefern. Die Geschichte selbst ist vielschichtig und bietet zahlreiche Ansatzpunkte zum Nachdenken und Diskutieren über Traurigkeit, Freundschaft, Coming-out und Mobbing, ohne dabei in Klischees oder Moralisierungen zu verfallen. Protagonist Leon, der sich selbst als "deprilight" beschreibt, soll sich für ein Referat mit der Trauer zu einem Fahrradunfall bei ihm um die Ecke auseinandersetzen. Bei seiner Recherche wird er von Rouven unterstützt, mit dem Leon mehr gemeinsam hat als gedacht. Bald wird allerdings klar, dass auch Rouven Leons Unterstützung braucht.

Der Erzählstil des Buches ist ansprechend. Der Ich-Erzähler spricht in einer umgangssprachlichen und lockeren Weise, die nicht versucht, sich bei den jungen Leser anzubiedern. An mehreren Stellen finden sich schöne und interessante Metaphern, die das sprachliche Niveau anheben. Zudem ist der Roman durch Leons Recherche auch handlungsgetrieben und teilweise richtig spannend. Daneben gibt es aber auch immer wieder anrührende Passagen, die sehr einfühlsam erzählt waren, dann aber auch durch Humor wieder gebrochen werden, damit der Roman nicht an Leichtigkeit verliert und zu schwermütig wird.

Ich empfehle diesen Roman nicht nur Jugendlichen ab 12, sondern auch allen Älteren, die gerne gute, anspruchsvolle Jugendliteratur lesen und sich mit dem Thema Traurigkeit auseinandersetzen möchten, ohne selbst heruntergezogen zu werden!

Bewertung vom 19.06.2024
Forgotten Garden
Gosling, Sharon

Forgotten Garden


sehr gut

Landschaftsarchitektin Luisa, geplagt von einer unerträglichen Chefin und der Trauer um ihren verstorbenen Mann, bekommt die Gelegenheit, im kleinen Ort Collaton einen gemeinnützigen Gemeinschaftsgarten anzulegen. Sie sieht in diesem Angebot einen Ausweg aus ihrer Lethargie. Beim Anlegen des Gartens stößt sie jedoch insbesondere bei den Menschen vor Ort auf Widerstand. Nur Lehrer Cas unterstützt sie von Anfang an. Er glaubt an das Gute in den Menschen und hat ein Herz für benachteiligte Jugendliche, die sich bald ebenso als unverzichtbare Helfer:innen für Luisa erweisen.

Das klingt erst einmal nach einem guten Unterhaltungsroman. Mich hat zusätzlich aber besonders gefreut, dass der Roman zeigt, wie aus einer individuellen Vision ein gemeinschaftliches Projekt entstehen kann. Die Autorin beleuchtet dabei feinfühlig die sozialen Dynamiken und die unterschiedlichen Motivationen der Charaktere, die sich nach und nach für den Garten einsetzen. Ein weiteres Highlight des Romans ist die eindrucksvolle Schilderung, wie aus einem kargen Grundstück ein blühender Garten wird. Die Autorin verwebt dabei geschickt Themen wie soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit und zeigt auf, wie ein gemeinschaftliches Projekt Brücken zwischen den Menschen bauen und neue Perspektiven eröffnen kann. Indem die Geschichte in einer Gegend spielt, in der aktuell ein Kohlekraftwerk gebaut wird, setzt die Autorin mit dem Roman so ein klares Zeichen für eine alternative Zukunft.

Ein kleiner Wermutstropfen ist allerdings der etwas schwerfällige Einstieg in die Geschichte. Die erste Hälfte des Romans zieht sich stellenweise, bevor in der zweiten Hälfte die Handlung deutlich an Fahrt aufnimmt und die Charaktere sowie die Story an Tiefe und Dynamik gewinnen. Insgesamt ist „Forgotten Garden“ jedoch ein inspirierender Roman, der berührt, Mut macht und zeigt, dass Veränderungen möglich sind, wenn Menschen zusammenarbeiten und an eine gemeinsame Vision glauben. Die tiefe Menschlichkeit und die optimistische Perspektive auf soziale und ökologische Fragen unserer Zeit machen diesen Roman zu einer gleichermaßen unterhaltsamen und lohnenden Lektüre.

Bewertung vom 18.06.2024
Glücksorte in Ligurien
Falk, Stephan;Fink, Anne

Glücksorte in Ligurien


ausgezeichnet

„Glücksorte in Ligurien“ ist ein ganz besonderer Reiseführer, der aus meiner Sicht den Zauber von Ligurien passend darstellt. Auf 80 Doppelseiten werden jeweils ein Glücksort mit einem atmosphärischen Text und einem eindrucksvollen Foto vorgestellt. Dieses Buch hat es geschafft, in mir eine tiefe Sehnsucht nach Ligurien zu wecken, obwohl ich gerade erst da war.

Die Beschreibungen der Orte sind präzise und stimmungsvoll. Ich habe viele Orte wiedererkannt, die ich bereits besucht habe, und kann bestätigen, dass sie in dem Buch treffend beschrieben sind. Die Texte beleuchten nicht nur die Geschichte und Funktion der Orte, sondern fangen auch die jeweilige Atmosphäre ein und beschreiben die Menschen, denen man dort begegnen kann. Interessanterweise habe ich mindestens genauso viele neue Orte entdeckt, die ich unbedingt besuchen möchte. Daneben gibt es immer mindestens einen praktischen Tipp zu Cafés und Bars. Es sind nicht viele Tipps, aber die wenigen sind gut ausgewählt und zuverlässig – genau das, was ich für einen Urlaub ohne Freizeitstress von einem Reiseführer erwarte.

„Glücksorte in Ligurien“ hebt sich insgesamt deutlich von anderen Reiseführern ab. Es ist nicht überladen mit Informationen, sondern persönlich und inspirierend. Ich kann mir gut vorstellen, nur mit diesem Buch nach Ligurien zu reisen. Andere Reiseführer wirken oft überladen und unpersönlich, aber dieser vermittelt ein Gefühl der Nähe und Authentizität, was ich sehr schätze.

Fazit: Ein wundervoller Reiseführer, der die Schönheit und Magie Liguriens auf einzigartige Weise einfängt. Ideal für alle, die das Besondere suchen und sich von den Glücksorten dieser Region verzaubern lassen möchten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.06.2024
Agatha Christie / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.21
Lieder, Susanne

Agatha Christie / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.21


gut

Der historische Roman „Agatha Christie“ zeigt das frühe Leben der weltberühmten Krimiautorin, die uns Detektive wie Hercule Poirot und Miss Marple geschenkt hat. Der Roman beginnt mit Agatha Christies Kindheit und Jugend, geprägt von ihrem Wunsch, Pianistin zu werden, ein Traum, der jedoch nicht in Erfüllung geht. Stattdessen findet sie im Schreiben eine neue Leidenschaft, die ihr späteren Weltruhm bescheren wird.

In weiten Teilen des Romans wird Agatha vor allem als unsicheres Mädchen und verliebte Verlobte dargestellt. Ihre Ängste und Unsicherheiten, auch nach dem Tod ihrer Mutter, nehmen einen großen Teil der Erzählung ein. Dieser Fokus auf ihre Jugend und inneren Konflikte zieht sich durch die ersten drei Viertel des Buches und lässt die eigentliche Faszination für ihre Schriftstellerkarriere etwas in den Hintergrund treten.

Erst im letzten Teil des Romans gewinnt die Geschichte an Fahrt und zeigt Agatha Christie als entschlossene Abenteurerin und leidenschaftliche Schriftstellerin. Dieser Abschnitt, in dem sie ihre Rolle als Krimiautorin annimmt und sich in ihrer neuen Identität festigt, ist deutlich spannender und unterhaltsamer zu lesen. Leider endet der Roman gerade an dem Punkt, an dem Agathas Leben und Werk richtig interessant werden.

Der Schreibstil des Romans neigt insgesamt zum Kitschigen, was besonders in den romantischen und dramatischen Passagen der ersten drei Viertel deutlich wird. Diese Tendenz lässt im letzten Teil des Buches nach, wo die Erzählung realistischer und mitreißender wird. Ein weiteres Manko ist, dass Agatha Christies schlagfertige und humorvolle Seite, die in vielen ihrer eigenen Zitate und Anekdoten zum Ausdruck kommt, nicht deutlich wird. Dies kommt erst im Nachwort der Autorin zur Sprache.

Bewertung vom 17.06.2024
Ungleich vereint (MP3-Download)
Mau, Steffen

Ungleich vereint (MP3-Download)


ausgezeichnet

In „Ungleich vereint“ nimmt sich Steffen Mau einem der Dauerbrennerthemen der deutschen Gegenwart an: dem Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland. Zum 35. Jahrestag des Mauerfalls analysiert Mau, warum die Debatte über die deutsch-deutsche Einheit so oft in Vorwürfen und Gegenvorwürfen feststeckt und selten zu neuen Einsichten führt. Typisch Mau argumentiert er dabei mit Fakten und auf Basis sozialwissenschaftlicher Daten statt die Debatte auf Basis von bloßen Vermutungen zu polarisieren, wie es andere tun.

Mau widerspricht auf diese Weise fundiert einerseits der oft gehörten Angleichungsthese, wonach Ostdeutschland im Laufe der Zeit dem Westen ähnlicher werde. Andererseits zeigt er anhand von Daten auf, dass Ostdeutschland spezifische Probleme hat und nicht, wie kürzlich in einem Bestseller behauptet, „vom Westen erfunden“ wurde. Besonders interessant ist dann Maus Vorschlag, alternative Formen der Demokratie auszuprobieren. Angesichts der schwachen Verankerung traditioneller Parteien in Ostdeutschland plädiert er für die stärkere Einbindung der Bürger:innen durch Bürgerräte.

Das Hörbuch, gelesen von Heiko Grauel, überzeugt durch seine angenehme und verständliche Vortragsweise. Grauel gelingt es, auch komplexe Passagen klar und fesselnd zu vermitteln, sodass das Zuhören niemals langweilig wird. Seine Stimme trägt entscheidend dazu bei, dass die vielschichtigen Analysen und Argumente von Mau gut aufgenommen und verstanden werden können. „Ungleich vereint“ ist damit ein Hörbuch, das nicht nur für Diskussionsstoff sorgt, sondern auch konkrete Auswege aus den festgefahrenen Debatten über Ost und West bietet. Insgesamt ist zwar nicht alles unbedingt neu und überraschend, aber so kompakt zusammengestellt, ist das Hörbuch sicher eine gute Basis für die Auseinandersetzung mit der deutsch-deutschen Geschichte.

Bewertung vom 16.06.2024
Ehemänner
Gramazio, Holly

Ehemänner


ausgezeichnet

Ich mag es, wenn Romane das halten, was sie versprechen - und das gelingt dieser kurzweiligen romantischen Komödie ohne Zweifel! Holly Gramazios Debütroman "Ehemänner" hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gut unterhalten. Die Geschichte von Lauren, die plötzlich von einer Reihe potenzieller Ehemänner auf ihrem Dachboden überrascht wird, ist nicht nur originell, sondern auch ein ganz netter Kommentar zu den modernen Beziehungsverhältnissen und Entscheidungsproblemen der heutigen Generation. Dabei versucht der Roman jedoch nicht besonders viel Tiefgang zu entwickeln, verspricht das aber auch nicht, sondern setzt eher auf Humor.

Die verschiedenen "Ehemänner" von Lauren sind ebenso bunt und facettenreich wie unterhaltsam. Jeder bringt seine eigenen Macken und Eigenheiten mit, was Laurens Suche nach dem richtigen Partner nicht nur komplizierter, sondern auch äußerst amüsant macht - und wie sich herausstellt, ist „Mindhunter“ (Achtung Insider) auch bei meinem Mann äußerst beliebt.

Der Schreibstil von Gramazio ist leicht und flüssig. Man fühlt sich an Laurens Seite sofort wohl und fiebert mit ihr mit, während sie sich durch das Chaos ihres Dachbodens und ihrer Gefühle kämpft. Wer auf der Suche nach einer unterhaltsamen, kurzweiligen Lektüre ist, wird bei "Ehemänner" voll auf seine Kosten kommen. Ein Muss für Fans von romantischen Komödien und modernen Beziehungsgeschichten.

Bewertung vom 13.06.2024
Das Befinden auf dem Lande. Verortung einer Lebensart
Vedder, Björn

Das Befinden auf dem Lande. Verortung einer Lebensart


sehr gut

„Das Befinden auf dem Lande“ von Björn Vedder ist ein aufschlussreiches Sachbuch, das sich mit Rechtsextremismus und Wertekonservatismus in der deutschen Provinz auseinandersetzt und die Provinzialisierung auch der deutschen Städte diagnostiziert. Besonders im Licht der jüngsten Wahlen gewinnt das Buch an Aktualität und bietet eine erfrischend kritische Perspektive auf das Landleben.

Vedder geht in seinem Buch der Frage nach, warum das Landleben für viele Menschen so anziehend erscheint, während er gleichzeitig die oft unsichtbaren Schattenseiten dieser Idylle aufdeckt. Hinter den idyllischen Fassaden ländlicher Gemeinden verbirgt sich seiner Meinung nach eine bedenkliche Mischung aus Vermögens- und Familienwerten, Statuskonsum, Anpassungsdruck und sozialer Kontrolle. Diese Mischung führt dazu, dass schon kleine Abweichungen von der Norm zu sozialer Ächtung und Scham führen können.

Das Buch ist durchzogen von Vedders persönlichen Erfahrungen, was es trotz der Schwere der Themen unterhaltsam macht. Besonders gelungen sind die zahlreichen soziologischen und literarischen Bezüge, die Vedder herstellt, um seine Thesen zu untermauern. Diese Referenzen reichen von klassischen Werken der Literatur bis hin zu aktuellen soziologischen Studien, was das Buch sowohl für akademisch Interessierte als auch für den allgemeinen Leser bereichernd macht. Einige Passagen, insbesondere im letzten Drittel des Buches, ziehen sich jedoch etwas. Dennoch bot das Sachbuch mir insgesamt viele Diskussionsanregungen, auch wenn ich insbesondere die Positionen zur Pandemie nicht immer teilen konnte. Wer sich für die Dynamiken zwischen Stadt und Land sowie die gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland interessiert, wird in diesem Buch also eine anregende Lektüre finden.

Bewertung vom 12.06.2024
Promise Boys - Drei Schüler. Drei Motive. Ein Mord.
Brooks, Nick

Promise Boys - Drei Schüler. Drei Motive. Ein Mord.


sehr gut

„Promise Boys“ ist ein packender Jugendkriminalroman, der die Geschichte von drei Schülern erzählt. Sie gehen auf die Urban Promise Prep School, die sich nach außen hin als vorbildliche Institution, die gefährdeten Jugendlichen eine Chance bietet, zu anständigen Erwachsenen heranzuwachsen, präsentiert. Doch hinter dieser Fassade liegt eine Welt voller drakonischer Regeln und Erwartungen. Die Protagonisten J.B., Ramón und Trey leben nach diesen Regeln, bis der Schuldirektor ermordet wird und sie plötzlich die Hauptverdächtigen sind. Jeder von ihnen hatte ein Motiv und möglicherweise auch Zugang zur Mordwaffe. Verzweifelt beginnen sie, selbst zu ermitteln.

Der Vergleich mit „One of Us is Lying“ und „The Hate U Give“ aus der Werbung für den Roman ist tatsächlich treffend und weckte sofort mein Interesse. „Promise Boys“ kombiniert für mich wirklich das Beste aus beiden Welten: Die Spannung eines klassischen Whodunit-Krimis und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen wie Rassismus und Demokratieerziehung. Dabei ist der Roman flüssig und auch für jugendliche Leser:innen relativ einfach geschrieben.

Das Ende des Romans fühlte sich allerdings etwas abrupt an. Nach all der aufgebauten Spannung und den komplizierten Verstrickungen hätte ich mir eine ausführlichere und befriedigendere Entfaltung der Schlusssequenz gewünscht. Der Roman ist dennoch ein Muss für alle, die Jugendromane lieben und sich für soziale Gerechtigkeit und das Erwachsenwerden in schwierigen Verhältnissen interessieren.

Bewertung vom 12.06.2024
Die Postkarte
Berest, Anne

Die Postkarte


sehr gut

„Die Postkarte" von Anne Berest, im Hörbuch gelesen von Simone Kabst, ist ein tief bewegendes und literarisch anspruchsvolles Hörbuch, das sich durch seine narrative Vielschichtigkeit und emotionale Tiefe auszeichnet.

Die Geschichte beginnt mit einer mysteriösen Postkarte, die im Jahr 2003 in den Briefkasten von Anne Berests Mutter landet. Auf der Postkarte sind vier Namen vermerkt. Diese Namen gehören zu Verwandten von Anne Berest, die während des Zweiten Weltkriegs im Holocaust umgekommen sind. Getrieben von Neugier und dem Wunsch, ihre Familiengeschichte zu verstehen, begibt sich Anne auf eine Reise in die Vergangenheit. Dabei rekonstruiert sie das Leben ihrer Vorfahren, deckt Familiengeheimnisse auf und setzt sich mit der jüdischen Identität und Geschichte auseinander.

Anne Berests Schreibstil ist gleichzeitig poetisch und präzise. Die detaillierten Beschreibungen und lebhaften Charakterzeichnungen lassen die Vergangenheit lebendig werden und machen die Schicksale der Familienmitglieder greifbar. Die Sprecherin des Hörbuchs Simone Kabst liest warm und klar vor, sodass man eigentlich gut folgen können müsste. Allerdings haben mich die komplexen Wege der Familie und verschiedenen Charaktere irgendwann beim Hören verwirrt und überfordert. Ich würde daher eher die Lektüre des Romans empfehlen als das knapp 15 Stunden lange Hörbuch.

Bewertung vom 09.06.2024
Möge der Tigris um dich weinen
Malfatto, Emilienne

Möge der Tigris um dich weinen


ausgezeichnet

Emilienne Malfattos Roman „Möge der Tigris um dich weinen“ handelt von den tief verwurzelten patriarchalischen Strukturen des ländlichen Iraks. Auf wenigen Seiten werden sehr eindringlich und intensiv nicht nur die Tragik einer jungen Frau erzählt, sondern auch die stumme Resignation und das unbarmherzige Schicksal, dem sich alle Figuren in dieser abgeschlossenen, vom Krieg gezeichneten Gesellschaft beugen müssen.

Ein junges Mädchen wird schwanger von einem Freund ihres älteren Bruders, obwohl sie nicht verheiratet sind. Was in liberalen Gesellschaften kein Problem wäre, bedeutet für sie im Irak den sicheren Tod. In der Zeit, in der sie auf die Ankunft ihres älteren Bruders, ihres Mörders, wartet, kommt nicht nur sie selbst zu Wort, sondern auch alle Familienmitglieder denken über ihre Rolle in diesem grausamen System nach. Daneben berichtet auch der Tigris vom Glanz vergangener Zeiten und vom Leid, das der Fluss nun mitansehen muss.

Malfattos Schreibstil ist lyrisch und kraftvoll. Die Autorin und auch die deutsche Übersetzerin schaffen es schonungslos und doch voller Poesie hinter die Fassade der Familie zu schauen. Besonders beeindruckend fand ich dabei die Art und Weise, wie Malfatto es schafft, die stumme Resignation der Figuren und die unerbittliche Mechanik der Konventionen darzustellen. Damit ist der kurze Roman sicherlich keine leichte Lektüre, sondern emotional mitnehmend, aufgrund von Inhalt und Sprache aber eine absolute Empfehlung.