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Top-Rezensenten Übersicht

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WillyShrub
Wohnort: 
St. Helier

Bewertungen

Insgesamt 55 Bewertungen
Bewertung vom 28.02.2023
Kollektorgang
Blum, David

Kollektorgang


ausgezeichnet

Eindrücklicher Jugendroman, auch für Erwachsene

David Blums Roman beschreibt das Umfeld der Platte in einer ostdeutschen Großstadt der 90er Jahre. Mario verstirbt mit nur 14 Jahren, und erzählt seine Geschichte aus ungewöhnlicher Perspektive: aus seinem Grab heraus. Umgeben von Gewalt, Neonazis, Gleichgültigkeit der Eltern sucht Mario gemeinsam mit seinen Freunden Rajko und Ema einen Ausweg aus der Trostlosigkeit.
Sprachgewaltig, aber dennoch mit Humor erzählt Blum die Geschichte.
Durch die Erzählperspektive schafft der Autor die notwendige Distanz, um die vielen Seiten der Situation der Jugendlichen zu beleuchten. So sind die bedrückende Atmosphäre der Plattenbausiedlung, der Widerstand gegen die Lebenssituation, aber auch die Hoffnung Themen des Romans. Über allem schwebt die Frage was von dem so früh beendeten Leben bleibt.
Es ist ein berührender und eindringlicher Roman, der nachdenklich macht. Ich vermute, "Kollektorgang" wird in Zukunft häufig Schullektüre sein.

Bewertung vom 24.02.2023
Tod in Siebenbürgen / Paul Schwartzmüller ermittelt Bd.1
Werrelmann, Lioba

Tod in Siebenbürgen / Paul Schwartzmüller ermittelt Bd.1


ausgezeichnet

Stimmiger und stimmungsvoller Kriminalroman

In der Vergangenheit habe ich mich bereits oft mit dem Besuch der Karpaten in Siebenbürgen beschäftigt. Die detaillierte, anschauliche und bildhafte Bescheibung der Landschaften, Siedlungen und Menschen im vorliegenden Roman zog mich bei der Lektüre dann unverzüglich in ihren Bann. Die Autorin vermag ihre Verbundenheit mit der Region exzellent wiederzugeben.
Dabei vergißt Lioba Werrelmann nicht, die für einen Kriminalroman notwendige Spannung aufzubauen. Schlüssig entwickelt sie den Plot bis zur nicht vorhersehbaren Auflösung des Falles.
Dabei springt sie geschickt zwischen den Blickwinkeln aus der Sicht des Heimkehrers und Hoferbens Paul Schwartzmüller und der gehemnisvollen Pušomori, welche die Ermittlungen zu steuern versucht.
Ein lesenswerter Kriminalroman und eine fesselnde Liebeserklärung der Autorin an Siebenbürgen.
Ich bin gespannt auf weitere Kriminalfälle mit Paul Schwartzmüller.

Bewertung vom 10.02.2023
Ginsterhöhe
Caspari, Anna-Maria

Ginsterhöhe


sehr gut

Chronik eines Eifeldorfes von 1919 bis 1949

Die Autorin bescheibt die Geschichte eines Eifeldorfes in den Jahren 1919-1949. Themen sind der Umgang der Einwohner mit den Kriegsfolgen des 1. Welkrieges, die wirtschaftliche Konsolidierung der Ortschaft mit Einführung einer zentralen Wasser- und Stromversorgung, und schließlich das Erstarken des Nationalsozialismus und die Kriegsjahre. Dabei wurde die Nähe zu der Ordensburg Vogelsang der Nationalsozialisten dem Dorf schließlich zum Verhängnis.
Geschickt verwebt Anna-Maria Caspari die gut recherchierten historischen Fakten mit der Geschichte der fiktiven Dorfbewohner. Realitisch und mit großer atmosphärischer Dichte erfährt man vom Miteinander der Protagonisten im Dorf im Umfeld der zentralen Person des Bauers Lintermann.
Die dörfliche Gemeinschaft wird in ihrer Vielschichtigkeit - vom Miteinander und Zusammenhalt bis zu den Gräueln und Problemen in humanitär, politisch und wirtschaftlich harten Zeiten unter den Nationalsozialisten - beschrieben.
Der Autorin ist ein Roman gelungen, der sich flüssig lesen lässt, die Zeitläufte nicht beschönigt und den Leser mit den Dorfbewohnern mitfühlen lässt.

Bewertung vom 23.01.2023
Labyrinth der Freiheit / Wege der Zeit Bd.3
Izquierdo, Andreas

Labyrinth der Freiheit / Wege der Zeit Bd.3


ausgezeichnet

Spannung im Berlin der goldenen 20er Jahre des 20. Jahrhunderts

Der Schriftsteller und Drehbuchautor Andreas Izqiuerdo begleitet 3 junge Freunde durch die Wirren der goldenen 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die drei so unterschiedlichen Freunde Carl, Artur und Isi geraten dabei ins Visier von rechtsgerichteten Verschwörern. Izqiuerdo verfasst einen spannenden und informativen Abenteuer- und Geschichts-Roman. Dabei verwebt er die Geschichte der drei Freunde virtuos und unterhaltsam mit den Ereignissen dieser Zeit. Versailler Verträge, die Radikalisierung konservativer Kreise, das Erstarken der Nationalsozialisten und die Inflation des Jahres 1923 werden im Roman thematisiert. Die Gesellschaft ist tief gespalten in wohlhabende Kriegsgewinnler und hungernde Verlierer des ersten Weltriegs. Am Rande erfahren wir durch die Arbeit des Carl als Kameramann bei der UFA von der großen Zeit der deutschen Filmindustrie des Erich Pommer und Fritz Lang sowie von der revolutionären Wende vom Stumm- hin zum Tonfilm.
Trotz der Fülle der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen historischen Hintergründe liest sich der Roman flüssig. Mir hat die Lektüre großes Vergnügen bereitet.

Bewertung vom 05.11.2022
Agent Sonja
Macintyre, Ben

Agent Sonja


sehr gut

Biographie einer Agentin
Ben Macintyre beschreibt das Leben der Ursula Kuczinski, der Agentin Sonja. Ursula lebte von 1907 - 2000. Ihr bewegtes Leben führt sie über China, Mandschurei, die Schweiz und England schließlich wieder nach Deutschland. In Schanghai wird sie als überzeugte Kommunistin zur russischen Agentin, die gegen den Nationalsozialismus kämpft. Dabei hat sie mehrere Liebesbeziehungen, zieht Kinder auf, schreibt Bücher und hat Russland bei der Beschaffung der Atombombe maßgeblich unterstützt, und damit großen Anteil am "Gleichgewicht des Schreckens" im kalten Krieg.
Macintyre hat das Buch sehr gut und tiefgehend recherchiert. Dabei schafft er es eine Distanz zu den Protagonisten aufzubauen, und bei dem turbulenten Zeiten eine recht distanzierte Sicht darzustellen. Die Motivation der Handelnden ist für jemanden, der weitgehend in friedlichen Zeiten lebte, schwer nachzuvollziehen.
Aufgrund der großen Anzahl der Protagonisten und großer Detailtreue hat der Bericht manchmal Längen, und ist dann nicht einfach zu lesen.
Für den historisch interessierten Leser ist das Buch jedoch sehr lesenswert.

Bewertung vom 30.10.2022
Die Sehnsucht nach Licht
Naumann, Kati

Die Sehnsucht nach Licht


ausgezeichnet

Familiengeschichte im Bergbau des Erzgebirges
Thema des Romans ist die Geschichte einer Bergarbeiterfamilie im Lagerstättenrevier Schlema-Alberoda (Erzgebirge). Die fiktiven Geschehnisse erstrecken sich im Zeitraum 1908 bis 2019. In zwei Handlungssträngen wird die Geschichte der Familie Steiner erzählt, einer in der Vergangenheit und einer mehr in der Gegenwart, in der die Tochter Luisa die Umstände des Verschwindens ihres Urgroßonkels Rudolf ermitteln will.
Dabei gibt es sehr gut recherchierte Bezüge zu Alltag, Bräuchen und Traditionen im Schlemaer Revier. Auch die historischen Hintergründe in regionaler und überregionaler Politik (zwei Weltkriege, Besatzung, Uranbergbau, Wendezeit) werden anschaulich und spannend wiedergegeben.
Durch den empathischen Erzählstil von Kati Naumann war der Roman sehr spannend und flüssig zu lesen. Es ist eine lohnende und mitreißende Lektüre, in der ich mit den Protagonisten regelrecht mitgefühlt habe.

Bewertung vom 27.10.2022
Elektra, die hell Leuchtende
Saint, Jennifer

Elektra, die hell Leuchtende


sehr gut

Für Freunde der griechischen Mythologie

Der Roman erzählt die Geschichte um die mykenische Königsfamilie aus der griechischen Mythologie. Die klassische sophokleische Trägodie wird im Roman aus der Perspektive der Frauen, insbesondere der Mutter Klytämnestra und (ihrer Tochter) Elektra geschildert.
Dabei folgt Jennifer Saint recht genau der Handlung des ursprünglichen Mythos. Es geht wie hier um das Leid und dem daraus entstehenden Kreislauf der Rache. Nach dem Prinzip der Selbstjustiz wird Leid mit Leid beglichen, Tod durch Tod gerächt. Es stellt sich die Frage, ob diese Verhaltensweise gerechtfertigt ist.
Durfte Klytämnestra Agamemnon umbringen, da dieser doch ihre Tochter Iphigenie opferte? War Elektra dann nicht genauso im Recht, als sie Rache an Klytämnestra forderte, da sie den Tod ihres Vaters durch die Mutter erleben musste?
Diese Fragen stellen sich dem Leser, und führen zum Mitleid, der Empathie.
Interessanter Lesestoff für Freunde der griechischen Tragödie und der Mythologie.

Bewertung vom 28.09.2022
Die Mauersegler
Aramburu, Fernando

Die Mauersegler


sehr gut

Lesenswert: Ein Leben in Madrid
Toni ist Philosophielehrer, Mitte 50 und will sich umbringen. Er plant seinem Leben in genau einem Jahr ein Ende zu setzen. Ab jetzt führt er Tagebuch und lässt darin sein Leben Revue passieren.
Die Geschichte wird durch Aramburo in Form von täglichen Tagebucheinträgen wieder gegeben. Sie spielt in Madrid, auch die neuere Historie Spaniens wird integriert. Aramburo beschreibt das Leben des Toni und seinen vielschichtigen Beziehungen zu seiner Familie, den Frauen, seinen Freunden und seiner Hündin Pepa.
Aramburo ist ein sehr guter Beobachter der Protagonisten. Humorvoll und tiefgründig rechnet er mit der Kommunikationsunfähigkeit und Oberflächlichkeit ab.
Nach einem etwas holprigen Anfang habe ich als jemand, der länger in Madrid gelebt hat, die Lektüre genossen, und an mancher Stelle herzlich gelacht.
Deshalb gebe ich an dieser Stelle eine klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 03.09.2022
Kerl aus Koks
Brandner, Michael

Kerl aus Koks


sehr gut

Lebensgeschichte im Pott
Michael Brandner erzählt eine bewegte Lebensgeschichte mit autobiographischen Zügen.
Wir erfahren vom Leben von Paul, der früh aus Bayern in den Pott um Dortmund verfrachtet wird. Dabei ist unser Held ein genauer Beobachter seines Umfeldes, und angetrieben von großer Neugier betrachtet er dieses und die Menschen in ihm mit großem Interesse, aber stets mit grundsätzlichem Wohlwollen.
Die Geschichte spielt in den 50er bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts und weit zahlreiche Bezüge in die Geschichte dieser Jahre auf. Sie ist unterhaltsam und flüssig geschrieben, und ist dadurch gut lesbar.
Die letzten Seiten haben inhaltliche Längen. Als Pauls Leben als Schauspieler in ruhigeres Fahrwasser gelangt wird auch die Story gemächlicher.
Besonders gefallen hat mir im Buch die optimistische Grundeinstellung des Protagonisten. So geniesst er den Umgang mit allen Menschen, und gerade deren Fehler machen diese für ihn interessant. Paul ist ein mutiger und charmanter Mensch, der in der Gegenwart glücklich sein kann ohne sich durch Vergangenheit oder Zukunft einengen zu lassen.
Insgesamt ist es lesenswertes Buch, besonders auch für die Generation die denselben Zeitraum in Deutschlnd erlebt hat.

Bewertung vom 22.08.2022
Schlangen im Garten
vor Schulte, Stefanie

Schlangen im Garten


ausgezeichnet

Eine Familie trauert

Das Thema von Stefanie vor Schulte in ihrem Buch "Schlangen im Garten" ist die Trauer. Die Mutter der Familie Mohn, Johanne, ist verstorben. Der Vater Adam, der älteste Sohn Steve, die Tochter Linne und der Jüngste, Micha, haben ihre eigene Art mit dem Tod der Mutter umzugehen.
In der Nachbarschaft und auch beim "Traueramt" stößt die Familie durch ihre Art zu trauern auf Argwohn und Ablehnung.
Sie möchten Johanne in Form von, vielleicht nicht realen, Geschichten in Erinnerung behalten.
Eigenwillig, sympathisch und sehr individuell gehen die Handelnden mit ihrer Situation um. Dabei erzählt die Autorin die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven, sowohl aus der Sicht der Hinterbliebenen als auch der Sicht der Kndheit der Mutter.
In meist knappen Sätzen schreibt die Autorin die Geschichten des Romans. In kurzen Kapiteln werden die Verhältnisse der einzelnen Personen zueinander analysiert. Der Text ist in kräftig bildhafter, oft metaphorischer Sprache verfaßt.
Die Familie lernt mit der Trauer umzugehen, und findet einen gemeinsamen Weg zurück in das Leben in der Gegenwart und der Zukunft.
Der Roman hat mich emotional berührt, und die Lektüre war ein Genuß. Ich habe eine Vielzahl von Anregungen und Denkanstößen zum Thema erhalten.