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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Frau M. aus M.
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Magdeburg

Bewertungen

Insgesamt 97 Bewertungen
Bewertung vom 26.06.2023
Bergleuchten
Seemayer, Karin

Bergleuchten


ausgezeichnet

Große Veränderungen und eine starke Liebe
Die Geschichte rankt sich rund um den Bau des Gotthard-Tunnels ab 1872. Der Leser ist mitten dabei, wie das kleine Schweizer Bergdorf Göschenen mit 300 Einwohnern aus dem mittelalterlichen Tiefschlaf geweckt und zu einer Großbaustelle mit vielen hundert Bauarbeitern und deren Familien wird. Im Zentrum steht Helene Herger und ihre Familie, die ein Fuhrunternehmen betreibt. Die sich verändernden Bedingungen führen zu vielen Konflikten innerhalb der Dorfgemeinschaft. Aber auch die Arbeitssituation in dem sich immer tiefer in den Berg bohrenden Tunnel bringt viele Probleme mit sich. Unter den Tunnelarbeitern sind sehr viele Italiener. So auch Pierro, der auf dem Hof der Eltern ein Zimmer gemietet hat. Die sich entwickelnde Liebe zwischen Helene und Pierro wird sowohl von den Eltern als auch von der Dorfgemeinschaft nicht akzeptiert. Helena und Pierro werden getrennt. Der Tunnel wird trotz aller Widrigkeiten nach acht Jahren Bauzeit fertig. Und auch die Liebe findet nach vielen Widrigkeiten noch ihre Erfüllung.
Sehr unterhaltsam und spannend hat Karin Seemayer ein schönes Bild gemalt, das die Eckdaten des Tunnelbaus, die typischen Schwierigkeiten dabei und die Lebensumstände der Menschen rundherum sehr gelungen verbindet.
Ich gebe gern fünf Sterne und eine klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 14.06.2023
Die Zeitreisende
Lemper, Ute

Die Zeitreisende


ausgezeichnet

Momente der Vollkommenheit

Ute Lemper schrieb diese Autobiobrafie anlässlich ihres am 04. Juli 2023 bevorstehenden 60. Geburtstages. Es ist eine Rückschau auf ein außergewöhnliches Leben. Sehr spannend finde ich, dass sie im ersten Abschnitt Teile aus ihrer bereits vor 30 Jahren erschienenen Autobiografie einfließen lässt.

Ute Lemper scheint für Kunst und Theater geboren zu sein. Leidenschaft, Kreativität und Kondition scheinen bei ihr unerschöpflich. Utes Offenheit, dem Leben und seinen Möglichkeiten gegenüber ist sehr beeindruckend. So wohnte die geborene Münsteranerin mehrere Jahre in Wien, Berlin, Paris und London, ehe sie New Yorck als Dreh- und Angelpunkt für ihr Leben und ihre Familie wählte. Erstaunlich ist auch, wie vielseitig ihr Repertoir ist. Einerseits sind da die kommerziell sehr erfolgreichen Musicals, in denen sie über lange Monate immer dieselbe Rolle verkörperte. Andererseits gibt es viele Projekte, die aus dem Interesse an besonderer Musik entstehen. Besonders ist Utes Engagement für das Werk von Kurt Weill hervorzuheben, der als deutscher Jude während der NS-Zeit in die USA emigrieren musste und dessen Musik in Deutschland lediglich in der DDR im Zusammenhang mit den Texten von Bertolt Brecht bekannt war.

Ute Lemper ist auch ein politischer Mensch. Sie interessiert sich für die Ereignisse in der Welt und betrachtet sie mit der ihr eigenen Mischung aus Herz und Verstand. Die an den Juden während der Nazizeit verübten Verbrechen, deren Folgen bis in die heutige Zeit wirken, beschäftigt sie sehr.

In ihrer Autobiografie gibt Ute auch in ihr Privatleben Einblick. Sie spricht über sehr glückliche Zeiten, aber auch über Rückschläge und Tragödien, mit denen sie fertigwerden musste. Ihre Eltern, ihre Männer, ihre vier Kinder und auch besondere Freunde betrachtet sie sehr liebevoll und reflektiert.

Ute schreibt in einem besonderen, teilweise sehr poetischen Stil. Alles in allem ist ein wunderschönes Buch, für das ich gern eine klare Leseempfehlung gebe.

Bewertung vom 10.05.2023
Schreibwelten
Johnson, Alex

Schreibwelten


ausgezeichnet

Wie und wo all die schönen Romane entstanden sind
"Schreibwelten" von Alex Johnson ist eine Übersetzung der englischen Originalausgabe. Wir erfahren, wie und wo Jane Austen, Stephen King, Charles Dickens und Konsorten ihre genialen Werke erschaffen haben. Es fällt auf, dass es sich hauptsächlich um englischsprachige Autoren handelt. Schiller, Goethe, Heine oder auch Puschkin und Tolstoi fehlen leider. Es ist eben eine subjektive Auswahl von Alex Johnson. Jeder der 50 Autoren und Autorinnen hat bestimmte Gewohnheiten und Rituale, die ihren kreativen Prozess ermöglichen und befördern. Es fällt auf, dass es sehr unterschiedliche Bedingungen sind, die die Autoren brauchen. Einer muss es karg und einfach haben, andere brauchen jede Menge Klimbim um sich herum. Manche schreiben nur zu bestimmten Uhrzeiten, andere immer anfallsartig. Einige brauchen literweise Kaffee, bei anderen darf die Zigarette niemals ausgehen. Jedes Porträt ist mit einem leider ziemlich kleinen Foto versehen. Auch Geburts- und Sterbejahr werden genannt.
Besonders hervorzuheben sind die vielen farbigen Illustrationen von James Oses. Seine Tuschezeichnungen empfinden die Schreibzimmer und die Schreibutensilien sehr phantasievoll nach.
Alles in allem ist es ein sehr unterhaltsames Buch, das allen Literaturfreunden sehr zu empfehlen ist.

Bewertung vom 27.04.2023
Solange wir leben
Safier, David

Solange wir leben


ausgezeichnet

Keine Geschichte vom Ponyhof
Die Geschichte der eigenen Famile romanhaft zu erzählen, ist eine schöne Form, die Geschichten, die das Leben schreibt, für gute Literatur zu nutzen. David Safier gelingt das besonders gut. Seine Familiengeschichte ist eine besondere und doch gleichzeitig eine für die Zeit typische.
Der Roman erzählt abwechselnd aus der Perspektive von Vater und Mutter.
Der Vater Joschi wächst als assimilierter Jude in Wien auf. Nach der Machtergreifung der Nazis gelingt es ihm mit Hilfe seiner älteren Schwester nach Palästina zu fliehen. Die Mutter Waltraud ist zwanzig Jahre jünger und erlebt die Naziherrschaft als kleines Mädchen in Bremen. Durch einen der Bombenangriffe verliert die Familie ihre Wohnung. Viele Jahre müssen sie in einem alten Eisenbahnwaggon leben.
Als sich Joschi und Waltraud begegnen, haben beide schon schwere Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Joschi ist sofort unsterblich verliebt, aber noch verheiratet. Für Waltraut ist es zunächst nur Spielerei. Aber die beiden kommen nicht mehr voneinander los. Ihr Leben ist von sehr guten Phasen und sehr schlimmen Phasen geprägt. Doch Joschi und Waltraut halten zusammen wie Pech und Schwefel und gehen ihren gemeinsamen Weg bis zum schwierigen Ende.
Der Roman ist sehr intensiv erzählt. Wir erleben, welche Hürden Joschi und Waltraut zu nehmen haben. Ehrlich und sehr emotional wird nichts beschönigt. Anhand der Familiengeschichte wird auch Zeitgeschichte erzählt. Der Leser ist mittendrin dabei, erkennt womöglich auch einige Parallelen in der eigenen Familie.
Es ist ein wunderbares Buch über die Kraft der Liebe und die Prüfungen im Beziehungsmarathon einer besonderen Liebe.

Bewertung vom 18.04.2023
Muskeln - die Gesundmacher
Froböse, Ingo

Muskeln - die Gesundmacher


ausgezeichnet

Alles was wir schon immer über Muskeln wissen wollten
Mit Leber, Nieren, Lunge, Herz und Gehirn habe ich mich schon ausgiebig beschäftigt. Die Wirkungsweise aller Darmabschnitte habe ich mir auch genauestens angesehen. Jetzt habe ich das Buch "Muskeln - Die Gesundmacher" gelesen und bin ganz erstaunt darüber, dass ich diese Teile meines Körpers bisher gar nicht auf dem Schirm hatte. Dass Bewegung gesund ist, wusste ich bereits. Doch ich habe nun gelernt, dass die Funktionen der Muskeln weit über den mechanischen Nutzen der Bewegung von Knochen hinausgehen.
Sehr anschaulich, äußerst detailliert und ergänzt durch Grafiken und Tabellen sind die einzelnen Muskelarten und ihre Struktur erklärt. Sehr spannend ist zu sehen, wie sie miteinander, mit den Knochen und mit den anderen Organen verbunden sind. Besonders interessant finde ich, welchen Beitrag die Muskeln zu unserem allgemeinen Gesundheitszustand leisten.
Prof. Dr. Ingo Froböse, der Professor für Prävention und Rehabilitation im Sport ist, erklärt sehr ausführlich, warum es so wichtig ist, die Muskeln zu wertschätzen und aktiv an ihrer Erhaltung zu arbeiten. Er erläutert auch, wie das geht.
Naturgemäß gibt es jede Menge Fachbegriffe. Ich glaube, man muss sie sich nicht alle merken oder auch verstehen, um jede Menge zum Thema zu lernen. Es ist ein Buch, in dem ich bestimmt wiederholt immer mal wieder lesen werde, um Wissen und Erkenntnisse zu vertiefen.

Bewertung vom 13.04.2023
Der Geheimnishüter von Jaipur / Jaipur Bd.2
Joshi, Alka

Der Geheimnishüter von Jaipur / Jaipur Bd.2


ausgezeichnet

Indien - bunt, vielfältig und geheimnisvoll
Der besondere Charme dieses Romans von Alka Joshi besteht darin, dass er in den Kulissen des 1960er Indiens spielt. Die Ausdehnung des Landes über verschiedenen Klimazonen hinweg, die Bedeutung der Farben und Gerüche, die Kastenordnung, die Bedeutung der Königsfamilie, die vielen verschiedenen Volksstämme mit ihren eigenen Sprachen und auch die Spuren des britischen Kolonialismus geben der Handlung einen sehr eindrucksvollen Rahmen.
"Der Geheimnishüter von Jaipur" ist der Nachfolgeroman zu "Die Hennakünstlerin". Ich kenne den ersten Teil nicht, was jedoch meinen Lesegenuss in keiner Weise beeinträchtigt hat. Die gelegentlichen Bezüge auf "Die Hennakünstlerin" sind so gestaltet, dass ich mir die Zusammenhänge gut erschließen konnte.
In diesem Buch also geht es um Malik, den erwachsen gewordenen Ziehsohn von Lakshmi, und Nimmi, einer jungen Witwe mit zwei kleinen Kindern. Sie fühlen sich vom ersten Augenblick miteinander verbunden. Lakshmi möchte jedoch, das Malik eine Ausbildung als Bauingenieur im fernen Jaipur macht, so dass die beiden lange Zeit getrennt sein werden. Sie kümmert sich auch um Nimmi und deren kleine Kinder. Nimmis Bruder, ein Schafhirte ist in einen Goldschmuggel verwickelt, der bis ins ferne Jaipur seine Fäden zieht. Als das neue vom Palast initiierte Superkino bei der ersten Filmpremiere teilweise einstürzt, kommt Malik auf die Zusammenhänge.
Das Buch ist abwechselnd aus der Perspektive von Lakshmi, Malik und Nimmi erzählt. Die in den Text eingestreuten Wörter in indisch verbreiten in authentisches Gefühl für Land und Leute. So entsand ein wunderschönes und spannendes Gesellschaftsgemälde Indiens. Trotz aller Dramatik verströmt der Roman eine gewisse Seichtheit, die es zu einem richtig guten Schmöker macht.

Bewertung vom 04.04.2023
Wodka mit Grasgeschmack
Mittmann, Markus

Wodka mit Grasgeschmack


ausgezeichnet

Anschauen, annehmen, loslassen
Das unfassbare Leid, das durch die Vertreibung der Deutschen aus den östlichen Gebieten des heutigen Polens in vielen Familien ausgelöst wurde, steckt heute noch vielen Betroffenen in den Knochen. Zu schlimm waren die Erlebnisse, dass darüber nicht oder nur wenig gesprochen werden konnte. Der Schmerz besteht in den nächsten Generationen fort. Um das Schreckliche verarbeiten und zurücklassen zu können, muss es angeschaut werden und angenommen werden. Markus Mittmann hat dieses Thema auf sehr einfühlsame Weise aufgenommen. Aus dem Stoff von etwa 500 Befragungen Vertriebener hat er einen Roman geschrieben. In "Wodka mit Grasgeschmack" reist eine vierköpfige Familie, bestehend aus Mutter, Vater und den beiden erwachsenen Söhnen, in einem VW Beetle in die Dörfer, in denen die Eltern ihre Kindheit verbracht haben. Die Eltern wollen ihre alte Heimat noch einmal wiedersehen. Die Geschichte wird aus der Perspektive des jüngeren Sohnes erzählt, der die Reise auf der Rückbank rechts verbringt. Im Verlaufe der Reise wechseln sich Ereignisse im Jetzt mit Rückblenden in die Vergangenheit ab. Stückchen für Stückchen nähern sich die Vier ihrem Ziel an. Sehr bildhaft und mit wunderschöner Sprache wird erzählt, was in den Protagonisten vorgeht. Der Text berührt sehr tief. Die Leser werden sozusagen mitgenommen auf die Reise im Beetle. Der eigene Bezug zum Thema bekommt viel Raum, sich zu entfalten. Dinge werden erinnert, ausgesprochen und beweint. Am Ende der Reise ist den Protagonisten (und auch der Leserin) vielleicht ein Stück Verarbeitung gelungen. Es is ein wichtiges Buch zu einem immer noch bedeutsamen Thema in unserer Gesellschaft.

Bewertung vom 29.03.2023
Deutsche Geschichte in 100 Zitaten
Marx, Christoph

Deutsche Geschichte in 100 Zitaten


ausgezeichnet

Von Tacitus bis Merkel
Dieses Buch ist ein wahres Schmuckstück. Der Einband ist in Halbleinen. Die Seiten sind schön gestaltet. Schmuckelemente, Überschriften und besondere Textteile sind in roter Farbe gedruckt. Es gibt viele Illustrationen, die teilweise farbig und ganzseitig sind. Die 100 Zitate sind wie Schnappschüsse quer durch die deutsche Geschichte und germanische Vorgeschichte zusammmengestellt. Sie sind in verschiedene Epochen aufgeteilt, denen jeweils ein kurzer Gesamtüberblick vorausgestellt ist. Die Zitate werden auf jeweils zwei Buchseiten näher beleuchtet. Wer hats gesagt, oder soll es gesagt haben? In welchem Zusammenhang ist das Zitat entstanden? Was sollte es damals aussagen? Wird es heute noch benutzt? Wenn ja, welche Bedeutung hat es heute? In einem kleinen zweispaltigem Nachsatz gibt es noch kurze Informationen über die Persönlichkeit, die hinter dem Zitat steht.
Das Buch ist eine Reise quer durch die Jahrhunderte. Viele der Zitate sind auch heute noch in Gebrauch, wenn auch teilweise abgeschliffen oder/und in etwas anderen Zusammenhängen. Einige Zitate sind nicht deutscher Herkunft, haben aber eine starken Bezug zu Deutschland. Kennedys "Ich bin ein Berliner." steht beispielsweise für ein sehr prägnantes Kapitel Deutschlands. Die Auswahl ist eine wohldurchdachte Entscheidung des Autors. Manch einer hätte wohl einige andere Zitate auch als wichtig empfunden, aber da die Anzahl ja auf 100 Stück begrenzt ist, mussten eben Entscheidungen getroffen werden. Viel Informatives ist zu lesen, was die eigenen Geschichtskenntnisse auf sehr unterhaltsame Weise auffrischt und ergänzt. Auch wenn eine Vollständigkeit hier nicht der Anspruch ist, ermöglicht das Buch vielleicht dem einen oder der anderen Leser.in , auch ein besseres Verständnis für die gegenwärtige politische Situation in unserem Land zu erlangen.

Bewertung vom 28.03.2023
Seventeen / Die Seventeen Reihe Bd.1
Brownlow, John

Seventeen / Die Seventeen Reihe Bd.1


ausgezeichnet

Ein Höllenritt
"Seventeen" von John Brownlow ist ein richtig guter Action-Thriller. Seventeen ist ein Auftragskiller der besonderen Art. Er ist darauf bedacht, nur die bösen Menschen dieser Welt zu entschärfen und "zivile Opfer" zu vermeiden. Hinter der Fassade des eiskalten und ausgekochten Killers verbirgt sich ein Mann mit einer sehr tragischen Kindheitsgeschichte, der starke Moralvorstellungen hat und der den Zugang zu seinen Gefühlen nicht verloren hat. Natürlich ist es eine Jungs-Geschichte, aber es fällt auf, dass die Frauen, denen Seventeen begegnet starke Charaktere sind, für die er großen Respekt hat.
Die Geschichte dreht sich darum, dass Seventeen eben genau der Siebzehnte seiner Art ist, bei der es dazu gehört, den jeweiligen Vorgänger zu töten. Siebzehn hat seine Position dadurch erlangt, dass er den vorherigen Kandidaten für die Nummer Siebzehn erledigt hat. Nummer Sechzehn lebt noch und ist unauffindbar abgetaucht. Doch jetzt bekommt er den Auftrag, Sechzehn zu finden und zu töten, wenn er nicht selbst abgesägt werden will. Im Verlauf der heftigst actionreichen Handlung, während der viel geschossen und geprügelt wird, kommen die wahren Hintergründe für diesen Auftrag ans Licht. Sechzehn und Siebzehn können sich verbünden und schaffen es, das Blatt zu wenden und natürlich, wie es sich für einen richtigen Thriller gehört, in letzter Minute die Welt zu retten.
Mit einer sehr bildhaften Sprache, mit viel Witz, Ironie und detailreichen Schilderungen bekommt hier das Kopfkino richtig viel Futter.
Ich gebe eine klare Leseempfehlung und sehr gern fünf Sterne.

Bewertung vom 11.03.2023
Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat
Boks, Aron

Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat


ausgezeichnet

Willi Sitte oder Eine Annäherung an die DDR
Die Frage "Wer war Willi Sitte und was trieb ihn an?" ist der Ausgangspunkt für dieses Buch von Aron Boks, dem heute 25jährigen Urgroßneffen von Willi Sitte. In akribischer Detektivarbeit hat er sich anderthalb Jahre lang mit dem Künstler und Menschen Willi Sitte beschäftigt. Wie es in einer Biografie sinnvoll ist, beginnt Aron bei der Kindheit und bewegt sich durch alle Lebensstationen des Malers und seiner Familie. Indem er Willi Sittes Entwicklung vom Kommunisten und begnadeten unangepassten Künstler, der von der Stasi bespitzelt wird, zu einem der mächtigsten DDR-Kulturfunktionäre, der Karrieren befördert oder verhindert, folgt, taucht er immer tiefer in die gesellschaftlichen Verhältnisse und Entwicklungen der DDR ein. "Plötzlich war ich wie in einer anderen Welt." sagt er in der Magdeburger Volksstimme. Aron befragt viele Zeitgenossen und Wegbegleiter und beleuchtet Ereignisse, die die Familie Sitte und insbesondere Willi Sitte auf ihrem Lebensweg prägten. So entsteht zeitgleich ein ziemlich differenziertes Bild der DDR und es wird deutlich, dass es sich um eine Familie mit vielen verschiedenen Persönlichkeiten in einer Gesellschaft mit vielen Facetten handelte. Auch wird klar, warum dieses Land keinen Bestand haben konnte. "Mir wurde nach der "Wende" klar, wie wenig unser ganzes System mit Sozialismus zu tun hatte..." sagt Willi Sitte einige Jahre später.
Aron beschreibt unvereingenommen die Entwicklung der Ausnahmepersönlichkeit Willi Sitte und der für ihn prägenden Umstände in der DDR. Er tut dies auf sehr sympathische Weise und mit klug ausgefeilter Sprache. Viele Fußnoten erklären bestimmte Ereignisse näher. Es ist ein sehr wichtiges Buch, das den Blick auf die DDR, die bisher in den Geschichtsbüchern meist als "Diktatur" abgetan wird, erweitert und ergänzt.
Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung.