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Reader1965
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Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 60 Bewertungen
Bewertung vom 30.07.2023
Vatermal
Öziri, Necati

Vatermal


ausgezeichnet

Der abwesende Vater

Was für ein beeindruckendes Buch.
Kraftvoll, packend & bewegend geschrieben.

Erzählt wird die Geschichte einer in Deutschland lebenden türkischen Familie aus den Perspektiven von Sohn, Schwester & Mutter - anhand einiger Begebenheiten aus deren Leben. So ergibt sich das Bild einer Familie, das das soziale Umfeld und den abwesenden Vater einschließt.
Es geht um das Erwachsenwerden und um Identität. Bemerkenswert finde ich, dass es keine Abrechnung mit dem abwesenden Vater ist, sondern eine Auseinandersetzung des Verstehens.

Sprachlich hat mich das Buch begeistert. Necati Öziri schreibt eindringlich und einfühlsam. Mit der ersten Seite hat mich das Buch in seinen Bann gezogen und erst mit der letzten Seite wieder losgelassen. Beschäftigen wird es mich noch etwas länger.

"Ihr seid vielleicht abgehauen, aber wir konnten Euch nicht entkommen. Ihr wart beides: weg und trotzdem da." (Seite 199)

Ein Buch, für das ich gern 5 Sterne vergebe.

Bewertung vom 09.07.2023
Die Erinnerungsfotografen
Hiiragi, Sanaka

Die Erinnerungsfotografen


ausgezeichnet

Lebensbilder

Das Cover zu "Die Erinnerungsfotografen" ist wunderschön und der Titel angesprechend.

Es geht um ein Fotostudio zwischen Diesseits & Jenseits. Hier kommen die Verstorbenen zu Hirasaka, sehen sich Fotos aus ihrem Leben an, lassen so ihr Leben Revue passieren und wählen dann jeweils ein Foto pro Lebensjahr aus. Und zu einer Erinnerung dürfen sie für einen Tag als Beobachter eine Zeitreise in die Vergangenheit machen.

Die Autorin Sanaka Hiiragi erzählt ruhig in berührenden Worten die Geschichten von drei Verstorbenen - und wir erfahren mehr über Hirasaka.

Ein Buch zum Eintauchen, aus dem ich nach 170 Seiten leider viel zu schnell wieder auftauchen musste - und das melancholisch, nachdenklich & hoffnungsvoll.
Ein Buch das zeigt, dass Glück im Auge des Betrachters liegt und wir mit unseren Sichtweisen & Entscheidungen unser Leben(sglück) beeinflussen können.
Carpe diem!

Von solchen Büchern möchte ich gern mehr lesen.

Bewertung vom 18.05.2023
Komplizin
Li, Winnie M

Komplizin


sehr gut

Über das Schweigen

In ihrem ersten Roman "Nein" hat Winnie M Li über ihre eigene Vergewaltigung geschrieben. Die Idee zu "Komplizin" entstand in Zusammenhang mit den Anschuldigungen gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein. Es geht um Machtmissbrauch & sexuelle Übergriffe in der Filmbranche und wie Frauen damit umgehen. Es geht um das Schweigen der Frauen und darum, ob Frauen sich als Opfer sehen (können/wollen).

Im Mittelpunkt steht die junge Sarah, die sich 10 Jahre nach dem Erlebten der Vergangenheit stellt und sich fragt, ob sie sich mit ihrem Schweigen zur "Komplizin" gemacht hat?

"Komplizin" ist ruhig erzählt, dennoch fesselnd & gleichzeitig feinfühlig geschrieben und zeigt ein realistisches Bild der Filmindustrie. Das Verhalten von Sarah ist authentisch dargestellt.

Für mich ein Buch zu einem wichtigen Thema, das zum Nachdenken anregt und dem ich viele Leser:innen wünsche.

Bewertung vom 15.05.2023
Zwischen Himmel und Erde
Rodrigues Fowler, Yara

Zwischen Himmel und Erde


gut

Schriftstellerisches Talent

Aufgrund des wunderschönen Covers ist mir "Zwischen Himmel und Erde" von Yara Rodrigues Fowler aufgefallen.

2016 sterben Prince & George Michael und die energische Catarina aus Brasilien zieht in die Londoner WG, in der auch die verschlossene Melissa lebt, die ebenfalls brasilianische Wurzeln hat - und es entwickelt sich eine Freundschaft. In Rückblenden werden die Lebens- & Familiengeschichten dieser beiden unterschiedlichen Frauen und die politischen & geschichtlichen Geschehnisse in Brasilien & Großbritannien erzählt.

Der Schreibstil von Yara Rodrigues Fowler ist sehr eigen. Größtenteils las sich das Buch flüssig und ich kann verstehen, dass die Sunday Times schreibt "Eine hochtalentierte Schriftstellerin mit herrlich unkonventionellen Stil.", muss aber auch zugeben, dass das Unkonventionelle für mich an manchen Stellen anstrengend zu lesen war (z.B. bei den Gesprächsfetzen & Einschüben). Melissa & Catarina blieben mir fremd und es gibt in diesem Roman keinen roten Faden, was ich hier jedoch überraschender Weise nicht als negativ empfand.

Auch wenn mich das Buch nicht komplett überzeugt hat (3,5 Sterne), habe ich es gerne gelesen und warte gespannt auf das nächste Buch dieser jungen Autorin.

Bewertung vom 25.04.2023
Weite Sicht
Pilz, Thorsten

Weite Sicht


ausgezeichnet

Einfühlsam & authentisch

Dieser Roman handelt von 4 Frauen, die wir 242 Tage lang begleiten:
Charlotte, Gesine, Sabine & Bente - alle um die 70 Jahre alt. Sie alle tragen ihren vollen Lebens-Rucksack: haben geliebt, wurden verletzt & enttäuscht, haben Erfahrungen mit Krankheit & Tod gemacht und leben mit Lebenslügen & Geheimnissen. Und es geht um die Frage "Wie wollen wir leben, wenn wir alt sind?"

Thorsten Pilz schreibt in seinem Debütroman sehr einfühlsam & warmherzig über das Leben dieser Frauen und ihren Mut, sich dem Leben zu stellen und etwas Neues & Anderes zu wagen. Viele Themen kommen darin vor: Liebe, Freundschaft, Verrat, Verlust, Trauer und Verzeihen. Ich konnte mich gut in diese Frauen hineinversetzen und mitfühlen. Es ist ein melancholisches und zugleich hoffnungsvolles Buch - denn es ist nie zu spät für einen neuen Anfang.

Ein berührendes Buch, das ich gern empfehle.

Bewertung vom 24.04.2023
Die einzige Frau im Raum / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.4
Benedict, Marie

Die einzige Frau im Raum / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.4


gut

Interessante Persönlichkeit

In diesem Roman um eine starke Frau geht es um das Leben der Hedy Lamarr zwischen 1933 und 1942. Hedwig Maria Kiesler, geboren 1914 & jüdischer Abstammung, wächst in Österreich auf, spielt am Wiener Theater und heiratet jung den Waffenhersteller Mandl. 1937 flieht sie vor ihrem gewalttätigen Mann nach Hollywood und wird dort als Hedy Lamarr berühmt: als Schauspielerin & Erfinderin.

Der Schreibstil ist flüssig und das Buch lässt sich gut lesen. Es ist aufgrund der Fakten aus dem Leben der Hedy Lamarr und vor dem Hintergrund Nationalsozialismus & 2. Weltkrieg interessant zu lesen. Für mich mit 280 Seiten jedoch zu kurz, um dieser Frau gerecht zu werden. Und stellenweise hätte ich mir etwas mehr Tiefe gewünscht.

Schade auch, dass das Buch 1942 endet. Hedy Lamarr ist erst im Jahr 2000 gestorben und es lohnt sich, weiter über das Leben von Hedy Lamarr zu recherchieren.

Bewertung vom 03.04.2023
Der Bojenmann
Schlenz, Kester;Jepsen, Jan

Der Bojenmann


sehr gut

Spannung mit Hamburg-Flair

"Der Bojenmann" ist der erste Band einer neuen Krimi-Reihe, die in Hamburg spielt - und als Hamburger Deern damit gleich mein Interesse geweckt hat.

Kommissar Knudsen vom LKA 12 & sein Team haben es in ihrem ersten Fall mit dem makaberen Fund einiger plastinierter Leichen zu tun.

Dieser Krimi ist toll geschrieben: flüssig & mitreißend und mit einer Portion trockenem Humor. Typisch hanseatisch - und so ist auch das Ermittlerteam, das aus liebenswerten Charakteren zusammengesetzt und authentisch beschrieben ist. Besonders gut hat mir La Lotse gefallen, der als Lotse a.D. & Freund von Knudsen auf seine eigene Art & Weise bei den Ermittlungen mitmischt ("Quadratisch, praktisch, tot." - Seite 52).

Neben einem spannenden Fall und viel Hamburg-Flair vermitteln die Autoren Kester Schlenz & Jan Jepsen auch Einblicke in die Welt der Seefahrt (Arbeitsbedingungen & Entwicklung der Containerschifffahrt) und zu aktuellen Themen (Moldau-Hafen).

Mir hat das Lesen Spaß gemacht und ich warte gespannt auf nächsten Fall in Hamburg.

Bewertung vom 31.03.2023
Institut für gute Mütter
Chan, Jessamine

Institut für gute Mütter


sehr gut

Erschreckende Vorstellung

Die alleinerziehende & berufstätige Frida ist mit ihrem Leben & der kleinen Tochter überfordert und lässt Harriet für zwei Stunden alleine in der Wohnung. Als Harriet nicht aufhört zu schreien, alarmiert ein Nachbar die Polizei. Frida verliert das Sorgerecht und muss für ein Jahr in das "Institut für gute Mütter". Das ist die Ausgangssituation des Debütromans von Jessamine Chan.

Die Autorin beschreibt die Abläufe im Institut für gute Mütter in nüchternen Worten und entwirft ein beklemmendes & unmenschliches Szenario. Die Gedanken & Gefühle von Frida werden nachvollziehbar beschrieben; die Verzweiflung & die Hoffnung ist greifbar.

Die Mehr-Generationen-Haushalte gibt es heute erheblich weniger als im letzten Jahrhundert und das Buch behandelt ein gesellschaftlich aktuelles Thema.

Frida hat einen Fehler gemacht, aber ist sie damit als Mutter untauglich?
Wann ist frau eine gute Mutter?
Wäre frau eine bessere Mutter, wenn die eigene Mutter anders (besser) gewesen wäre?

Dieser Roman macht nachdenklich und wird mich noch etwas beschäftigen.
Und ich bin gespannt, was das Thema des nächsten Romans von Jessamine Chan sein wird.

Bewertung vom 20.03.2023
Morgen und für immer
Meta, Ermal

Morgen und für immer


ausgezeichnet

Geht unter die Haut

Dieser Roman von Ermal Meta beruht auf wahren Tatsachen und erzählt die die ereignisreiche & bewegende Lebensgeschichte des Kajan Dervishi. Es beginnt 1943 mit der Kindheit von Kajan in den albanischen Bergen, führt über die DDR nach Amerika & zurück nach Albanien, wo die Geschichte 1990 endet.

Dieser sprach- & bildgewaltige Roman erzählt von Krieg, Verrat, Familie, Freundschaft, Liebe und der Kraft der Musik. Er beschreibt, welchem Druck die Menschen in Albanien ausgesetzt waren und zu welchen Handlungen Menschen fähig sind.

Die Sprache von Ermal Meta ist wunderschön & fesselnd und gleichzeitig eindringlich & beklemmend.

"Es war ein einfacher C-Dur- Akkord, aber angesichts der Zeiten, in denen sie lebten, jener Jahre der Gewalt, klang er wie die schönste Symphonie." (Seite 25)

Mich hat die Geschichte von Kajan tief bewegt. Teilweise war sie schwer auszuhalten, aber dennoch konnte ich das Buch nicht aus der Hand legen.

Von mir gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung.