Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
TK

Bewertungen

Insgesamt 104 Bewertungen
Bewertung vom 04.06.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


sehr gut

"Man sollte sich immer ein bisschen mehr Hofnung als Sorgen machen."

Ein sehr atmosphärisches Bild eines Wiener Stadtviertels in den 1960er und 70er Jahren, rund um einen Markt und ein Café und die verschiedensten Charaktere, die dort auf ihren Lebenswegen aufeinandertreffen, zusammenkommen, sich ein Stück begleiten, aneinander geraten, auseinander gehen. Die Persönlichkeiten, Eigenheiten, Vergangenheiten, Wünsche und Träume der einzelnen Figuren sind sehr einfühlsam beobachtet und beschrieben. Auch die Aufbruchstimmung der Stadtbevölkerung und das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Nachbarschaft des Cafés ist überall spürbar.

"Man sollte sich immer ein bisschen mehr Hofnung als Sorgen machen." Ein wirklich wunderschöner Satz, der die Grundemotion der Geschichte einfängt.

Als Portrait einer Zeit und eines Milieus und einer Stadt sehr gelungen, sprachlich und erzählerisch ebenfalls ein sehr schönes, ruhiges und stilles Buch. Insgesamt habe ich die Geschichte gern gelesen und ich habe auch keine konkreten Kritikpunkte, aber so richtig packen konnte mich die Handlung doch nicht - irgendetwas worauf die Geschichte zuläuft, ein entscheidendes Ereignis, eine Botschaft habe ich vermisst.
Definitiv aber eine empfehlenswerte Lektüre in leisen Tönen.

Bewertung vom 28.05.2023
Zwischen Himmel und Erde
Rodrigues Fowler, Yara

Zwischen Himmel und Erde


gut

Politisch, kämpferisch und eine Herausforderung

Ein Buch das sehr anspruchsvoll zu lesen ist und schwierig zu beurteilen...
Wenn ich es gelesen habe, hatte es durchaus meine gespannte Aufmerksamkeit, aber sobald ich es weggelegt habe, blieb es dann auch mal ein paar Tage liegen, so dass ich mich erst wieder aufraffen musste. Man hat das Gefühl, ein sehr kluges, literarisch sehr spannendes Buch zu lesen, nur leider ist der Zugang dazu sehr erschwert.
Zum einen wird im Text sehr viel Wissen über brasilianische und britische Geschichte vorausgesetzt, ohne das man sich im Geschehen der Handlung nicht sehr leicht zurechtfindet, da historische Zusammenhänge größtenteils nur angedeutet werden (Innerhalb der Anmerkungen der Autorin am Schluss werden einige im Text angedeutete Ereignisse erklärt, was aber natürlich nur bedingt hilft, wenn man dann bereits die Lektüre beendet hat...). Auch springt die Geschichte zwischen Schauplätzen, Zeiten und Personen, was die Orientierung erschwert.
Eingeschobene größere Abschnitte auf portugiesisch, die nur teilweise übersetzt werden, lassen nicht-sprachkundige Lesende (vermutlich?) einiges (wichtiges?) verpassen. Während der Lektüre nach Übersetzungen zu suchen hätte mich wahrscheinlich noch mehr aus dem Lesefluss herausgerissen, in dem ich mich auch ohnehin schon gerade so halten konnte.

Der Stil ist sehr poetisch und für einen Roman sehr ungewohnt künstlerisch, fast experimentell. Der Erzählstil bewegt sich zwischen Stream of Consciousness und Rausch, lauter atemlos und zeichenlos aneinandergereihte Sätze, Eindrücke die auf einen einströmen, ohne klar zu fassen zu sein, eine Collage aus einzelnen Erinnerungen und Szenen.
Insgesamt respektiere ich diese Stilentscheidungen sehr, da sie die Grundatmosphäre der Geschichte stimmig widerspiegeln.
Für eine bessere Lesbarkeit und ein besseres Verständnis hätte ich mir aber doch vielleicht mindestens ein paar mehr Satzzeichen gewünscht, so dass man wenigstens in den Dialogen weiß, wer gerade spricht.

Das Buch ist definitiv eine Herausforderung, voller politischer und gesellschaftlicher Fragen (Demokratie, Gleichberechtigung, Race, soziale Gerechtigkeit, feministische und queere Themen...). Es ist in seiner Reichweite und Sprache beeindruckend, aber liest sich sicher nicht mal eben so zwischendurch.



...
An einigen Stellen sind mir Unaufmerksamkeiten der deutschen Übersetzung aufgefallen, vor allem Formulierungen, an denen ein anderes Wort deutlich mehr Sinn ergeben hätte [z.B. hätte eine Katze sicher eher einen Riss bzw. eine Kerbe im Ohr, als eine Träne (vermutlich stand 'tear' im Original?)].
...

Bewertung vom 16.05.2023
Van it Yourself!
Mans, Ute;Mans, Rafael

Van it Yourself!


ausgezeichnet

*Praktische und kreative Inspirationsquelle, macht Lust aufs Losbauen und Losfahren*

"Van it Yourself" ist bei 15 verschiedenen Van-Lifern und Campern zu Besuch und zeigt in wunderschön fotografierten Bildern deren selbst ausgebaute Fahrzeuge.

Dabei werden die verschiedensten Van-Größen, Camperzusammenstellungen (von Paar über Paar mit Hund bis hin zu Familie mit Kind*ern und Hund), Funktionsanforderungen, Budgetrahmen und Handwerksfähigkeiten abgedeckt, von praktischer Funktionalität bis hin zur sehr stylischen Speziallösung. Die vorgestellten Zuhause auf Rädern und ihre porträtierten Besitzer*innen sind allesamt wirklich schön und vor allem sehr sympathisch, und bei jedem Beispiel wird man eine tolle praktische Idee und Gestaltungsmöglichkeit finden, die man für sich gerne übernehmen möchte.

Der Untertitel "Ausbautipps für deinen Camper" ist eventuell etwas irreführend. Das Buch enthält zwar viele praktische und/oder dekorative DIY-Anleitungen, für den Ausbau selbst würden Anleitungen aber hier den Rahmen sprengen - zumal ja kein Van 1 zu 1 nachgebaut werden würde, und man ohnehin die Ideen und Inspirationen auf das konkrete eigene Fahrzeug anpassen und auf die eigenen Bedürfnisse, Anforderungen und Fähigkeiten zuschneiden würde.

Das Buch ist eine fantastische Inspirationsquelle und eine Sammlung, was alles möglich ist, womit man an der eigenen Planung herumbasteln und -schrauben kann, ganz nach individuellem Geschmack und Prioritäten. Auch einfach zum Durchblättern, Träumen und Plänemachen eignet sich das Buch perfekt.

Bewertung vom 15.05.2023
SOL. Das Spiel der Zehn
Thomas, Aiden

SOL. Das Spiel der Zehn


ausgezeichnet

Fantastisch in jeder Hinsicht

Eine bestimmte Anzahl von Jugendlichen, die zu einer Form von mehr oder weniger bedeutsamen und mehr oder weniger gefährlichen Wettkampf zusammenkommen, ist im YA-Bereich definitiv nicht neu. Aber das Thema verspricht, wenn es gut gemacht ist, sehr viel Spannung, und in diesem Roman ist es definitiv sehr gut gemacht!
Zuerst fällt das Setting von Reino del Sol auf: ein fantastisches Worldbuilding, welches eine südamerikanisch bunte Welt und Mythologie mit sehr viel gegenwärtiger, wiedererkennbarer Jugendkultur mischt.

Aiden Thomas glänzt außerdem wieder in genau den erzählerischen Stärken, die schon "Cemetery Boys" so wunderbar gemacht haben: tolle Charaktere, perfekte Dialoge, spannende Story, und eine sehr gute Balance aus Humor und Emotionen, leichteren und schwereren Momenten.
Die Themen von Gender und LGBTQ+, die schon in seinem Debütroman eine große Rolle gespielt haben, werden hier fortgeführt: Reino del Sol ist eine in dieser Hinsicht nicht nur absolut inklusive Gesellschaft, sondern es herrscht ein völlig selbstverständliches Verhältnis zu Nonbinarität und Queerness, eine umfassende Akzeptanz der verschiedensten Identitäten, klischeefrei, realistisch und respektvoll - weit entfernt von einem lediglich erzählerischen Gimmick, um irgendeine angenommene Wokeness-Quote zu erfüllen.
Die durchgehende, anfangs kurz erklärte aber dann ganz selbstverständliche Nutzung von Neopronomen für eine genderneutrale Sprache finde ich sehr beeindruckend für ein Jugendbuch, auch wenn sich leider die deutsche Sprache nicht sehr natürlich für Genderneutralität eignet und das Ergebnis zum Teil gewöhnungsbedürtig ist, da sich für das "they" im Englischen keine Entsprechung findet.

Obwohl über der Geschichte die ständige Bedrohung steht, dass der Verlierer des Wettkampfs geopfert werden wird, gibt es so viele charmante Details und humorvolle Dialoge und Situationen, dass der Gesamteindruck doch immer sehr unterhaltsam bleibt - auch ganz nebenbei bei den großen Themen von Identität, Erwachsenwerden, Verantwortung, Familie, Freundschaft und Liebe.

Sowohl ich selbst als auch das 12-jährige Tochterkind (die hier allerdings nur mit einem ausdrücklichen "Nice!!!!" zitiert werden möchte) haben das Buch in kürzester Zeit verschlungen und waren absolut gefesselt und begeistert.
Wir sind sehr froh, uns noch nicht von dieser Welt und den Charakteren verabschieden zu müssen, und sind unheimlich gespannt, wie die Geschichte im zweiten Teil weitergeführt wird. Hoffentlich wird die Wartezeit nicht zu lang!





[Den deutschen Titel des Buches finde ich nicht so gelungen, das Schema Oberbegriff und Untertitel, welches für deutsche Übersetzungen, besonders von Reihen, sehr gerne bemüht wird, mag ich aber generell nicht. "The Sunbearer Trials" lässt sich zwar tatsächlich nicht sehr schön prägnant übersetzen, aber vielleicht hätte man da doch etwas finden können, das den Inhalt nicht ganz so plump zusammenfasst. Auch die Großschreibung von SOL, als wäre es ein Akronym, finde ich etwas merkwürdig.]

Bewertung vom 14.05.2023
Morgen, morgen und wieder morgen
Zevin, Gabrielle

Morgen, morgen und wieder morgen


sehr gut

Ein Leben, und noch ein Leben, und noch ein Leben

Ich bin definitiv kein Gamer, und doch konnte mich diese Geschichte aus der Welt der Spieler und Spielentwickler sehr fesseln und mitnehmen, wahrscheinlich weil, wie in der Geschichte gesagt, im menschlichen Bedürfnis zu spielen sehr viele menschliche Befindlichkeiten verarbeitet und reflektiert werden.
Auch berührt die Geschichte selbst, mit ihren spannend charakterisierten Figuren und deren Beziehungen, als sehr einfühlsam erzählter Einblick viele Fragen des (Zusammen-)Lebens und Erwachsenwerdens, vor allem die Frage, wie Freundschaft bestehen bleibt, sich verändert und weitere Beziehungen beeinflusst.
Als Kind der 80er fand ich das Lebensgefühl der 90er und 2000er-Jahre sehr gut eingefangen, ein bisschen nostalgisch, ein bisschen nerdig, sehr viel retro, sehr realistisch in Bezug auf den spürbaren rasanten Wandel der Unterhaltungstechnik und den nicht ganz so rasanten Wandel des gesellschaftlichen Bewusstseins, sei es zum Thema Gender, Rassismus, Identität...

Ein Comig-of-Age-Roman für das Gefühl einer Generation, emotional interessante Figuren und Konflikte, humorvoll, mit spannenden Perspektivwechseln erzählt.

Bewertung vom 14.05.2023
Männer sterben bei uns nicht
Reich, Annika

Männer sterben bei uns nicht


sehr gut

Erbe der Matriarchin

"Für meine Großmutter war Nähe keine relevante Kategorie. Sie hatte kein emotionales Verständnis von Familie, sondern eher ein dynastisches, auch wenn das Wort zu pompös war für den Haufen, den wir darstellten. Sie wies jeder von uns einen Platz und eine Aufgabe zu, und wenn wir diesen Platz einnahmen und die damit verbundene Aufgabe erfüllten, lief alles glatt, wenn nicht, wurden wir aussortiert wie verschlossene Muscheln."

Die Beziehungen in dieser Familie von Frauen, zwischen Müttern und Töchtern, Enkelinnen und Großmutter, Schwestern, Nichten und Tanten, Hausherrin und Angestellter, sind unheimlich eindrücklich charakterisiert.
Über allem die Großmutter, die Matriarchin, die entscheidet, wer welche Rolle zu spielen hat, oder wer keine Rolle spielt, und die nicht nur die Beziehungen aller zu sich selbst kontrolliert und bestimmt, sondern auch die aller anderen untereinander.
Mit dem Tod der Großmutter ist dieses Netz gekappt, und alle Frauen finden sich komplett haltlos wieder, müssen sich neu orientieren und ihre Rollen definieren. Und sie erkennen, wie viel Leid ihnen durch diese familiäre "Stille Post", die Menschen in Thronfolger und Verräter einteilte, zugefügt wurde, "dieses Geraune, wie es mit Stolz und Härte, Scham und Sorge daherkam, wie es unterschiedliche Verkleidungen trug", bei dem auch das vermeintlich goldene Kind nicht unbeschadet davon gekommen ist.

Leider bleiben die Figuren und eine ganze Weile auch die Familienverhältnisse, dadurch dass alle vor allem durch das Epizentrum der Großmutter wahrgenommen werden, eher schwer greifbar. Das ist zwar ein sehr treffendes Symbol für die Dynamik der Charaktere, macht das Einfinden in der Geschichte aber nicht so einfach. Sprachlich ist "Männer sterben bei uns nicht" jedoch großartig formuliert und insgesamt ein spannendes Familienportrait.

Bewertung vom 11.05.2023
Als Großmutter im Regen tanzte
Teige, Trude

Als Großmutter im Regen tanzte


gut

Interessante Geschichte, leider nicht so stark wie sie sein könnte

Frauen, die sich mit Besatzungssoldaten eingelassen haben, hatten in allen Ländern ein schwieriges Schicksal, so auch die Norwegerin Tekla, die sich im Zweiten Weltkrieg in den deutschen Soldaten Otto verliebt, ihn heiratet und ihm nach Deutschland folgt. Dass dieser Roman in Norwegen jahrelang auf den Bestsellerlisten stand, überrascht mich nicht, die gesellschaftliche Aufarbeitung des Umgangs mit diesen Frauen und auch ihren Kindern ist ja ein andauerndes Thema. Die Beschäftigung damit in Deutschland ist bei diesem Teil der deutsch-norwegischen Geschichte nur folgerichtig. Während die Schicksale der Deutschenmädchen in Norwegen für mich tatsächlich kein unbekanntes Kapitel der Geschichte waren, wusste ich von den Ereignissen in Demmin 1945 wirklich noch nichts.

Die verknüpften Handlungsstränge von Großmutter und Enkelin, Vergangenheit und Gegenwart zeigen, wie Familiengeheimnisse und nicht überwältigte, verschwiegene Traumata von Generation zu Generation nachwirken und das Leben und die Beziehungen von Menschen beeinflussen.

Ich kann noch nicht genau sagen warum, aber mich hat die Geschichte nicht so bewegt, wie ich das bei der Thematik erwartet hätte. Es war gut wegzulesen und historisch interessant, aber mir hat einiges an Tiefe gefehlt. Junis Geschichte wirkt im Vergleich zu Teklas Leben eher flach und recht klischeemäßig abgehandelt, ich denke mir hätte ein tieferer Einblick in Teklas Erfahrung und Wahrnehmung, eine längere Begleitung auf ihrem Lebensweg mehr gegeben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.05.2023
Elternabend
Fitzek, Sebastian

Elternabend


ausgezeichnet

Großartig genialer Nicht-Thriller

[TW: Gewalt, Mobbing, Depression, Suizid]

An den Anfang der Rezension eines tatsächlich so witzigen Romans derartige Triggerwarnugen zu stellen, scheint nicht sehr intuitiv, doch kann man, muss man, wie auch das Vorwort andeutet, derartige Themen genau so behandeln.
So hat diese Geschichte, bei der durch herrlich absurde Verstrickungen zwei sich völlig fremde Menschen auf dem längsten Elternabend aller Zeiten untertauchen müssen, wonach die herrlich absurden Verstrickungen noch lange nicht enden, erstaunlichen emotionalen Tiefgang, vor allem auch durch Fitzeks fein charakterisierte Persönlichkeiten. Die verschiedensten Charaktere, die auf einem Elternabend zusammentreffen, sind wunderbar gelungen portraitiert, aber auch die zwei Polizeibeamten, Grosny-Mario und die Hilde sind fantastische Figuren.

Die von Synchronsprecher Simon Jäger perfekt eingelesene Hörbuchversion fängt alle diese verschiedenen Persönlichkeiten stimmlich passend ein, trifft die verschiedenen emotionalen Töne der Geschichte und liefert Humor, Beobachtungen und trockene Kommentare auf den Punkt pointiert ab - eine Freude zu hören und absolut zu empfehlen!