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Benutzername: 
kdneumann
Wohnort: 
Grolsheim

Bewertungen

Insgesamt 60 Bewertungen
Bewertung vom 04.12.2022
Der Mondmann - Blutiges Eis
Haskin, Fynn

Der Mondmann - Blutiges Eis


ausgezeichnet

Dreht euch nicht um, der Tupilaq geht um

Bei den Inuit an Grönlands südlicher Ostküste bricht Angst aus. Der Tupilaq, ein Mischwesen, halb Walross, halb Wolf, scheint nach vielen Jahrzehnten zurückgekehrt zu sein und tötet drei Menschen auf bestialische Weise. Jens Lerby, ein Kopenhagener Fallanalytiker, wird gegen seinen Willen dorthin geschickt, um den Fall aufzuklären. Lerby ist mit seiner Gesamtsituation unzufrieden, er hasst die Kälte, und er hat kein Verständnis für den Aberglauben der Einheimischen. Aber dann gibt es ein weiteres Opfer des Tupilaq, und Lerby bekommt Unterstützung von der jungen Inuk Pally und deren Großvater, einem Schamanen. Er forscht den wenigen Spuren nach und gerät selbst in tödliche Gefahr.
Schon der Prolog knistert vor Spannung, ein tragisch-brillanter Romananfang. Der Protagonist Jens Lerby benimmt sich so sehr wie ein Idiot, dass er schon wieder sympathisch ist. Man spürt, dass er im Laufe seines beruflichen Lebens in diese Rolle hineingedrängt wurde und sie verinnerlicht hat – obwohl er durchaus gute Ansätze zeigt. Und dann lassen ihn seine Kollegen in Grönland auch noch damit auflaufen. Sehr schön finde ich die nüchtern gehaltenen Schilderungen der Inuit. Man kann sie sich sehr gut vorstellen und sich in ihre einfach strukturierte Denkweise einfühlen.
Der Schreibstil des Autors ist sehr angenehm zu lesen, trotz des eingestreuten Inuit-Vokabulars findet man sich mühelos zurecht. Die Spannung steigt von Kapitel zu Kapitel, und der Humor kommt nicht zu kurz. Auch wenn ich mir das Ende etwas raffinierter gewünscht hätte und einige Fragen offenbleiben, bin ich von dem hinter allem hindurchschimmernden Idealismus des Autors restlos überzeugt. Ich würde mich über eine Fortsetzung dieses Romans sehr freuen.

Bewertung vom 02.11.2022
Die Spur der Luchse / Ingrid Nyström & Stina Forss Bd.10
Voosen, Roman;Danielsson, Kerstin Signe

Die Spur der Luchse / Ingrid Nyström & Stina Forss Bd.10


gut

Schreibstil als Spannungskiller

Ein riesiges Naturschutzgebiet im schwedischen Småland, der sogenannte Luchswald, soll dem Bau einer Hochgeschwindigkeitsbahn zum Opfer fallen. Die Wilden Luchse, eine radikale Aktivistengruppe, fechten einen erbitterten Kampf mit der schwedischen Regierung und besetzen Teile des Waldes. Und mitten hinein in dieses bürgerkriegsähnliche Szenario platzt die Nachricht, dass in demselben Areal eine Gruppe mit vier Internatsschülern und ihren beiden Lehrern verschwunden ist. Hauptkommissarin Ingrid Nyström und ihre Kollegin Stina Forss werden mit der Suche betraut. Schon nach kurzer Zeit wird eine der Schülerinnen schwer traumatisiert aufgefunden, von den anderen fehlt jede Spur. Was ist im Luchswald geschehen?
Das Buch beginnt vielversprechend mit einem vor Spannung vibrierenden Prolog. Aber schon das erste Kapitel dämpft den Lesedrang mit nicht enden wollenden, schulmeisterlich klingenden Schachtelsätzen. Erst als Kommissarin Stina Forss das erste Mal richtig in Aktion tritt, beginnt man als Leser mitzufiebern. Aber weil in jedem Kapitel der Erzähler wechselt und es sechs davon gibt und man deshalb ewig auf die Auflösung der Cliffhanger warten muss, verpufft die Spannung. Es sind einfach zu viele Einzelszenen, man verliert den Überblick und muss immer wieder zurückblättern, um den Anschluss wiederzufinden. Und die Auflösung am Schluss erscheint mir unglaubwürdig. In dem ganzen Roman gibt es nur eine einzige Szene, die mich wirklich elektrisiert hat, und nur eine der Figuren hat für mich sympathische Züge.
Mein persönliches Fazit: Die Ausgangsidee verspricht Hochspannung, aber der Schreibstil der Autoren wirkt wie ein Entschleuniger. Schade.

Bewertung vom 01.11.2022
Kopenhagen mon amour
Brisby, Zoe

Kopenhagen mon amour


ausgezeichnet

Warmherziger Schreibstil

Die Französin Brune gerät in Torschlusspanik. Noch immer hat sie keinen verlässlichen Partner gefunden. Sie wünscht sich sehnlichst ein Kind, und mit 35 Jahren tickt ihre biologische Lebensuhr. Da hört sie von einer Kinderwunschklinik in Dänemark, das Thema Fremdbesamung elektrisiert sie. Ihre Freundin Justin, eine hyperaktive Umweltaktivistin, lehnt diese Idee zunächst ab, begleitet sie dann aber nach Kopenhagen, um sich die Sache erst mal in Ruhe anzuschauen.

Das liebevoll gestaltete Cover des Buches lädt sofort dazu ein, es in die Hand zu nehmen und darin zu blättern. Die Autorin lässt keinen Zweifel daran, dass sie Kopenhagen und die Dänen liebt. Man mag ihre Schilderungen als klischeehaft und unrealistisch abtun, aber sie entwickeln einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Die zwei ungleichen Frauen schlittern von einem skurrilen Abenteuer ins nächste, und mehr als einmal musste ich herzlich lachen. War ich zunächst irritiert vom Fehlen eines roten Fadens in der Handlung und dem für mich unerwarteten Ende, so erschloss sich mir die Absicht der Autorin ganz allmählich. Man sollte diesen Roman als das betrachten, was er ist, nämlich fröhlich-ungetrübte Unterhaltung. Nicht mehr und nicht weniger. Die Beweggründe der beiden Protagonistinnen sind nicht unbedingt ernst zu nehmen. Man kann sich mit ihren Eskapaden herrlich aus dem Alltag ausklinken. Auf jeden Fall habe ich jetzt große Lust, mir Kopenhagen einmal selber anzuschauen.

Bewertung vom 24.10.2022
Kalt und still / Hanna Ahlander Bd.1
Sten, Viveca

Kalt und still / Hanna Ahlander Bd.1


ausgezeichnet

Ein Hochgenuss für alle Krimi-Fans

Für Viveca Stens neue Krimiheldin Hanna Ahlander laufen die Dinge zu Beginn dieses Romans eher nicht so gut. Erst wird sie von ihrem Chef bei der Stockholmer Polizei auf rüde Weise gefeuert, dann trennt sich ihr Lebensgefährte von ihr und wirft sie aus der gemeinsamen Wohnung. Zum Glück findet Hanna Zuflucht im nordschwedischen Wochenendhaus ihrer älteren Schwester Lydia, wo sie sich zunächst mit Rotwein zudröhnt und ihre Wunden leckt. Dann hört sie von dem spurlosen Verschwinden einer 18jährigen Schülerin nach einer Party. Draußen herrschen minus zwanzig Grad Celsius, die Zeit drängt also, das Mädchen noch lebend zu finden. Hanna würde sehr gerne bei den Ermittlungen mitwirken und nähert sich vorsichtig dem leitenden Kommissar Daniel der dortigen Polizei an. Wird es gelingen, Amanda noch rechtzeitig zu finden?

Ich habe das 500seitige Buch in knapp zwei Tagen ausgelesen, es war mir ab der zweiten Hälfte nicht mehr möglich gewesen, es aus der Hand zu legen. Die kurzen Kapitel sind sehr angenehm zu lesen, ich fühlte auf jeder einzelnen Seite die Kälte der im Polarkreis gelegenen Region in meinen Knochen und fieberte mit Hanna und Daniel mit. Zwar habe ich ziemlich von Anfang an auf den richtigen Täter getippt, aber das tat meiner Begeisterung für dieses superspannende Buch keinen Abbruch. Die Erzähler der einzelnen Kapitel wechseln sich ab, jeder Abschnitt endet mit einem gelungenen Cliffhanger. Und trotz der belastenden Atmosphäre spürt man als Leser die menschliche Wärme der Protagonisten. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Am Ende überstürzen sich die Ereignisse, und man möchte am liebsten in die Handlung eingreifen und ein paar der Figuren kräftig durchschütteln und zur Vernunft bringen. Der Erzählstil der Autorin ist subtil, niemals reißerisch oder übertrieben brutal. Und sie kann Gefühle auf völlig neue Art beschreiben.
Ein in jeder Hinsicht herausragendes Buch, das man sich gönnen sollte.

Bewertung vom 03.10.2022
Auf der Spur des Jägers
Hartung, Alexander

Auf der Spur des Jägers


ausgezeichnet

Berlin-Krimi mit liebenswert-humorvollem Unterton

Kurz nacheinander werden eine Frau und ein Mann äußerst brutal zu Tode geprügelt. Für den Berliner Hauptkommissar Jan Tommen und sein Team deutet alles auf einen gemeinsamen Täter hin. Außer ein paar vage Verdächtigen gibt es zunächst keinen echten Anhaltspunkt, der zum Mörder führt. Zudem sabotiert die Familie des zweiten Toten die Arbeit von Tommen, er wird vorübergehend beurlaubt – um im Hintergrund weiter zu ermitteln. Dabei gerät er selbst in Lebensgefahr und muss untertauchen. Um weitere Morde zu verhindern, wagt er die Zusammenarbeit mit der Berliner Unterwelt. Ein Pakt mit dem Teufel.

Dies war mein erster Berlin-Krimi von Alexander Hartung, und ich fand den humorvollen Unterton und das nette, kollegiale Verhältnis des Ermittlerteams sehr sympathisch. Besonders die Eskapaden der Rechtsmedizinerin Zoe haben mich immer wieder zum Kichern gebracht. Der Schreibstil des Autors ist originell. Statt jede Szene ausführlich zu schildern, springt er an der spannendsten Stelle direkt zum darauffolgenden Abschnitt, und der Leser erfährt das Wesentliche im Rückblick. Dieses Stilmittel kannte ich bisher nicht. Wenn alle Stricke reißen, arbeitet Tommens Team ganz unbekümmert mit unorthodoxen Mitteln, um zum Ziel zu kommen, was mich persönlich sehr stark an die „Fälle für die Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen“ des Autors Michael Opoczynski erinnert hat. Grandios. Der rasante Showdown kurz vor dem Ende ist ein weiteres Highlight, und .die Auflösung des Falls schlüssig.

Dieser Krimi ist das Richtige für alle, die witzig-rasante Spannung ohne übertrieben blutige Details und ein nettes Ermittlerteam schätzen.

Bewertung vom 03.10.2022
Feindesopfer / Jessica Niemi Bd.3
Seeck, Max

Feindesopfer / Jessica Niemi Bd.3


ausgezeichnet

Voller verblüffender Twists

Eliel Zetterborg, ein nicht unbedingt rücksichtsvoller oder sympathischer finnischer Geschäftsmann, wird in seiner Wohnung ermordet. Jusuf Pepple wird mit der Leitung des undurchsichtigen Falls beauftragt und stößt dabei schon bald an die Grenzen seiner psychischen Belastbarkeit. Er bittet seine Kollegin Jessica Niemi ihm zu helfen, aber sie leidet noch immer unter dem Albtraum ihres gemeinsamen letzten Falles. Es gibt scheinbar nur eine Spur, die zum Täter führt: Er hat am Tatort die Teile eines Puzzles hinterlassen. Und dann tauchen plötzlich neue, verwirrende Hinweise auf.
„Feindesopfer“ ist der dritte Band der „Hexenjäger“-Reihe von Max Seeck um die beiden finnischen Kriminalmeister Jusuf und Jessica, aber auch wenn man die zwei vorherigen Romane nicht kennt, findet man sich in diesem Band mühelos zurecht. Besonders gefallen hat mir der kollegiale und unaufgeregte Umgang der Kripo-Beamten miteinander. Der Schreibstil des Autors ist angenehm zu lesen, fordert dem Leser inhaltlich jedoch ein wenig Aufmerksamkeit ab, um dem Strom der zunächst unzusammenhängend erscheinenden Ereignissen folgen zu können. Eins ist sicher: Langeweile kommt dabei nicht auf. Im Gegenteil. Und der Schluss hält, was der Anfang versprochen hat, es bleiben keine Fragen offen, die Spannung steigt von Kapitel zu Kapitel, ein Cliffhanger jagt den nächsten. Für mich kam der Showdown völlig unerwartet, ich lag mit meinen Vermutungen und Prophezeiungen genial daneben. Das einzige, was mir Mühe bereitete, waren die unaussprechlichen Straßennamen von Helsinki.
Mein persönliches Fazit: Ein extrem spannender, subtiler und raffiniert eingefädelter Thriller. Unbedingt zu empfehlen.

Bewertung vom 14.09.2022
Was ich euch verschweige
Lodge, Gytha

Was ich euch verschweige


ausgezeichnet

Sie hören nicht richtig zu!

Das blutverschmierte junge Mädchen, das Detective Chief Inspector Jonah Sheens an einem milden Sonntagabend im September über den Weg läuft, berichtet merkwürdig emotionslos, dass sich ihre Schwester Nina in Gefahr befindet. Sie stellt sich als Keely Lennox vor – ein Name, der Sheens nicht unbekannt ist. Aber sie will nicht einfach so verraten, was ihr und ihrer Schwester geschehen ist und wo sich diese in ihrem offensichtlich schwer verletzten Zustand im Augenblick aufhält. Sie fordert, erst ihre Geschichte erzählen zu dürfen. Aufreizend langsam und detailliert. Von Anfang an. Und nicht irgendjemandem, sondern Sheens. Und sie nimmt sich sehr viel Zeit dazu. Was in der Zwischenzeit mit ihrer Schwester passiert, lässt sie kalt. Sie spielt ein perfides Spiel. Für Sheens und seine Mitarbeiter beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Wird es ihnen gelingen, Keelys Eispanzer zu knacken und Nina zu retten?

Dieser Krimi in Thriller-Qualität bietet dem Leser einiges an Überraschungen. Und verlangt ihm ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration ab. Nichts ist, wie es scheint. Es ist schlimmer. Von menschlichen Abgründen zu sprechen, wäre eine Untertreibung.
Der Schreibstil von Gytha Lodge ist ebenso flüssig zu lesen wie eindringlich. Sie vermeidet nervige Rückblenden, indem sie Keely erzählen lässt. Man wird mitgerissen, möchte wissen, wie es weitergeht, lässt andere Dinge, die man eigentlich tun wollte, links liegen. Ich selbst habe für das letzte Drittel einen kompletten Fernsehabend ausfallen lassen. Und es nicht bereut.
„Was ich euch verschweige“ ist großartig. Nicht mehr und nicht weniger.

Bewertung vom 01.09.2022
Schmerz und kein Trost
Haller, Elias

Schmerz und kein Trost


ausgezeichnet

Kommissar Monster und sein Freund Mister Fiesling

Der Chemnitzer Kriminalhauptkommissar Erik Donner ist kein vom Glück verfolgter Mensch. Seine Frau und die kleine Tochter hat er verloren, und nun scheint seine Schwester Marit in den Fängen eines unfassbar brutalen Mörders zu sein. Zur gleichen Zeit wird der 9jährige Sohn seiner Psychoanalytikerin entführt, und alles deutet darauf hin, dass den beiden ein entsetzliches Schicksal droht. Doch damit nicht genug: Der Täter will einzig und allein Rache an Erik Donner nehmen. Ein grauenhaftes Machtspiel beginnt. Wer wird am Ende siegen?

Um es vorweg zu sagen: Dieser Thriller ist von der Thematik her ausgesprochen scheußlich und definitiv nichts für zarte Gemüter. Aber der Autor versteht es, Spannung aufzubauen. Am Ende jedes der angenehm kurzen Kapitel lauert ein Cliffhanger, der es dem Leser verdammt schwer macht, das Buch zur Seite zu legen, um zu verschnaufen. Manche Wendungen und Szenen sind für meinen Geschmack ein wenig weit hergeholt und in der Praxis eher schwer vorstellbar, aber dies ist nun mal ein Thriller, und ein hochkarätiger dazu. War mir die Figur Erik Donner, den seine Kollegen wegen seiner fast übermenschlichen Durchstehkraft Kommissar Monster nennen, zu Beginn reichlich unsympathisch, so habe ich von Kapitel zu Kapitel mehr um ihn gebangt. Mit trockenem Humor und Selbstironie kämpft er gegen einen Gegner, der ihn ohne Unterlass im Visier hat. Aber es gibt auch humorvolle Szenen: Zum Beispiel Donners Zwiegespräche mit einem Knautschball, den er Mister Fiesling nennt, und der ihn überallhin begleitet.
Trotz einiger wirklich grauenhafter und schwer zu ertragender Szenen würde ich diesen Thriller empfehlen, denn er ist ausnehmend gut geschrieben. Man sollte ihn vielleicht nicht unmittelbar vor dem Zubettgehen lesen.

Bewertung vom 14.08.2022
Falsche Zeugen / Strafverteidiger Pirlo Bd.2
Bott, Ingo

Falsche Zeugen / Strafverteidiger Pirlo Bd.2


ausgezeichnet

Brillanter Justizkrimi

Es ist keine leichte Aufgabe für Toni Pirlo und seine Kollegin Sophie, den Thronfolger einer bedeutenden albanischen Clanfamilie in einer Mordanklage zu verteidigen. Zumal der junge Mann mit der Waffe in der Hand über das Opfer gebeugt erwischt wurde. Und der Tote? Ist kein Geringerer als einer der Mächtigen der Düsseldorfer Nazi-Rocker-Szene. Bislang haben beide kriminelle Organisationen mehr oder minder friedlich nebeneinander koexistiert. Und nun bricht offen Krieg aus. Und Pirlo und Sophie haben nicht den geringsten Anhaltspunkt, wer der wirkliche Mörder ist und was hinter der ganzen Sache steckt.

Mit dem zuweilen chaotisch agierenden Pirlo und der charmant-smarten Sophie sind dem Autor zwei geniale Charaktere gelungen. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass Ingo Bott in Pirlo ein Selbstporträt gezeichnet hat. Zunächst beginnen die Ermittlungen der Verteidigung eher schleppend. Der Leser wird ausführlich informiert über die persönlichen Befindlichkeiten Pirlos, seine unrühmliche Vergangenheit und Sophies lähmenden familiären Hintergrund. Die Versuche der beiden, undercover an Informationen zu kommen, kann man nur als dilettantisch bezeichnen, beide scheitern damit krachend. Dann plätschert die Handlung lange Zeit ereignislos dahin. Bis Sophie dank ihrer Intuition die spektakuläre Wendung herbeiführt. Ganz kurz vor Schluss. Aber dann rappelt es in der Kiste. Man kann das Buch nicht mehr aus der Hand legen.

Der Schreibstil von Ingo Bott ist juristisch knapp und präzise, dabei aber gespickt mit einer kräftigen Prise trockenem Humor. Pirlo ist kein Normalo, trotz gelegentlicher Aussetzer hat er brillante Anwandlungen. Aber letztendlich ist Sophie diejenige, die die Rädchen am Laufen hält. Das Zusammenspiel der beiden ist es, was für mich den unwiderstehlichen Reiz dieser Krimi-Reihe ausmacht.

Bewertung vom 14.08.2022
Willkommen in Wisewood
Wrobel, Stephanie

Willkommen in Wisewood


sehr gut

Der Leser wird gekonnt in die Irre geführt

Kit Collins ist seit einem halben Jahr in Wisewood, einem dubiosen Erholungsort auf einer abgelegenen Atlantikinsel nahe dem US-Bundesstaat Maine. Sie will dort ihre Ängste verlieren. Aber dann bricht der Kontakt zu ihr ab. Ihre Schwester Natalie macht sich immer größere Sorgen und lässt sich schließlich entgegen den strengen Bestimmungen, die keine Besucher der Erholungsgäste duldet, zu der Insel fahren. Um herauszufinden, dass ihre schlimmsten Befürchtungen zutreffen.

Was zunächst wie ein mit Sadismus gespickter Psychothriller beginnt, hat bald angefangen, meine Geduld als Leser zu strapazieren: Ständig wechselnde Erzähler, gekoppelt mit fortwährenden Rückblenden, verwirren eher, als dass sie für Dramatik sorgen. Die zweite Hälfte des Buches behandelt in eintöniger Weise immer wieder das gleiche Thema, es fehlt der klassische Spannungsaufbau. Dass eine Autorin erfolgreich eine falsche Fährte für die Leser legt, ist okay, sollte aber nicht dazu führen, dass man ab einem gewissen Punkt das Buch am liebsten zuklappen und wegstellen möchte, weil man sich ständig fragt: Wer ist wer in diesem Durcheinander? Und über allem schwebt eine düstere, beklemmende Atmosphäre, die keinen Raum für Hoffnung lässt. Für keine der Figuren kam bei mir so etwas wie Sympathie auf. Da kann auch der klare und flüssige Schreibstil der Autorin nicht mehr viel retten. Die Auflösung des Rätsels kurz vor Schluss ist zugegeben ein Musterbeispiel dafür, wie man den Leser gekonnt manipulieren kann, aber es bleibt ein unangenehmer Nachgeschmack. Unklar ist mir auch, was mit dem irreführenden Coverbild bezweckt wurde.

Im Gesamtzusammenhang gesehen ist „Willkommen in Wisewood“ zwar erzählerisch gelungen, aber von der Thematik her unerfreulich.