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darkola77

Bewertungen

Insgesamt 72 Bewertungen
Bewertung vom 05.03.2023
Liebewesen
Schmitt, Caroline

Liebewesen


ausgezeichnet

Das Leben ein Kampf, der eigene Körper ein Schlachtfeld – diese Erfahrung musste Lio bereits von frühester Kindheit an machen. Psychisch und körperlich gequält und misshandelt, haben sich die Scherben und Trümmer des verlorenen Vertrauens, der fehlenden Liebe und Zuneigung, der Zurückweisung wie auch gewaltsamen Aneignung als Narben in ihre Haut gegraben – und tiefe Spuren in ihrer Seele hinterlassen.
Max scheint die Fähigkeit und notwendige Leichtigkeit zu besitzen, Lios Verunsicherung zu umgehen und ihre harte Schale aus Abschottung und innerem Rückzug zu durchbrechen. Mit ihm wird für Lio zum ersten Mal eine Beziehung überhaupt denkbar, wenn auch nicht wünschenswert. Doch Max bleibt hartnäckig und an Lio dran. Und damit in ihrem Leben.
Das Ergebnis ist eine Beziehung, die Lio emotional fordert, aber auch überfordert, ihr trotz der eigenen Verletzungen, Hemmnisse und Selbstzweifel immer wieder Momente und Zeiten der Freude – wenn auch nicht der Leichtigkeit – beschert. Doch auch Max hat sein Päckchen zu tragen, seine Vergangenheit, die in seinem Hier und Jetzt mit all seinen Wünschen, Träumen und Begierden sichtbar wird. Und die bei zunehmender Dauer der Partnerschaft immer mehr Raum in dieser einnehmen.
Und dann, gerade dann als es am Dunkelsten ist und die Beziehung sich im freien Fall befindet, muss Lio erfahren, dass sie schwanger ist.
Caroline Schmitt erzählt mit Witz und Leichtigkeit, zugleich aber auch mit Schärfe und Brutalität in ihren Beschreibungen vom Leben zweier Verwundeter, von ihrem Versuch des Heilens miteinander, von dem Blutvergießen als alte Narben aufplatzen und Wunden sich nicht schließen wollen.
Frech, unkonventionell und im lakonischen Ton gehalten, ist der Roman so wunderbar unterhaltsam wie zutiefst erschütternd, eine Liebes- wie eine Leidensgeschichte, ein Zeugnis unserer Zeit. Und für mich ist er ein Herzensroman. Eine Entdeckung. Ein großes Glück und tiefe Traurigkeit.

Bewertung vom 26.02.2023
Wir hätten uns alles gesagt
Hermann, Judith

Wir hätten uns alles gesagt


ausgezeichnet

Was ist der Kern der Geschichte? Was ist ihr Ursprung, das Samenkorn, aus dem sie entsteht und gedeiht?
Judith Hermann geht diesen Fragen für sich nach, richtet den Blick nach innen, spürt analytisch dem roten Faden nach, der die Geschichten miteinander und mit ihr selbst verbindet. Der Weg führt sie dabei weit zurück: in ihre Kindheit, zu ihrer Familie – sowohl im biologischen Sinne zu verstehen als auch bezüglich ihrer sozialen Wahlfamilie –, zu den Jahren der Auseinandersetzung mit sich und ihrem Denken. Unter professioneller Anleitung.
Das Ergebnis ist erstaunlich offen. Schonungslos. Privat mag es mir sogar erscheinen, als ein Eindringen in ihren Kopf und ein Blick auf bisher gut Behütetes – auch, so betont Hermann, wenn das Eigentliche, Wesentliche von ihr weiterhin verborgen würde. Und doch erlaubt sie vieles den Leser zu sehen: die psychische Erkrankung ihres Vaters, welche die Ehe ihrer Eltern ebenso bestimmte wie ihre eigene Kindheit, die Nazivergangenheit ihres Großvaters, den Tod eines Freundes, den Verlust von weiteren.
All dies fließt für Hermann in ihr eigenes Schreiben ein, das sich an ihrem eigenen Leben entlanghangele. Ein anderes Schreiben kenne sie für sich nicht, betont Hermann, könne sie sich selbst nicht vorstellen. Damit sind ihre Texte immer auch Erzählungen über sie selbst, „verfremdet und entstellt, bis nichts mehr richtig ist und dennoch alles wahr“.
Das Ergebnis der Spurensuche ist eine offenbarende, fesselnde und hoch interessante Collage und eine Geschichte über Geschichten, welche die deutsche Gegenwartsliteratur geprägt haben – und die mir nun teils im neuen Licht und mit verändertem Zugang erscheinen, jetzt, wo ich all dies wissen und erfahren durfte. Das lädt zum erneuten Lesen und vor allem zur Hochachtung vor einer Autorin ein, die sich selbst nicht nur mit detektivischem Scharfsinn zu Leibe rückt sondern uns bei der Öffnung und Sektion einen Platz in der ersten Reihe einräumt.

Bewertung vom 20.02.2023
Die Chroniken von Lunis - Wächterin des Lichts (Die Chroniken von Lunis 1)
McCurdy, Janelle

Die Chroniken von Lunis - Wächterin des Lichts (Die Chroniken von Lunis 1)


gut

Wünschst Du Dir auch manchmal ein magisches Wesen, das Dich beschützt? Dann folge Mia in die Welt von Lunis und finde Deinen ganz persönlichen Umbra. Denn diese Schattenwesen sind stark und mächtig, und nur wenige Jungen und Mädchen sind dazu in der Lage, sie zu zähmen. Doch sollte dies Dir erst einmal gelungen sein, so ist Dein Umbra ein Leben lang an Dich gebunden, und gemeinsam werdet Ihr zahlreiche Abenteuer erleben.
So geht es auch Mia – abgesehen von einer Sache: Mia hat gleich zwei Umbra, wie Yin und Yang, wie Licht und Dunkelheit unterschiedlich und doch erst zusammen so richtig furchteinflößend und voller Kraft. Und dieser beiden Beschützer bedarf sie auch ganz dringend, denn ihre Welt wird bedroht und ihre Familie gefangengehalten.
Gemeinsam mit ihrem kleinen Bruder und ihren Freunden macht Mia sich aus diesem Grunde auf den Weg zu ihren Großeltern nach Stella, in die einzige Stadt des Königsreichs, die bisher nicht der Finsternis zum Opfer gefallen ist. Doch der Weg nach Stella ist lang und voller Gefahren, führt er doch über die Albtraumebene mit ihren unzähligen Hindernissen, Monstern und den Feinden direkt im Nacken. Und dann sind da noch die unbekannten Kräfte tief in Mia selbst, die sich nach und nach ihren Weg suchen…
„Die Chroniken von Lunis“ ist ein Roman so kreativ und fantasievoll wie die Umbras selbst es sind. Auf der einen Seite kommt er harmlos und flauschig daher, auf der nächsten wachsen ihm große, gefährliche Hörner, und das Blut stockt Dir in den Adern. Das ist wunderbar unterhaltsam, allerdings geht auch das eine oder andere Mal etwas durcheinander: Nicht jeder Erzählstrang wird weitergeführt, und hier und da leiden auch schon mal Logik und Verstehen. Und dabei ist die Sprache teils recht einfach und kindlich gehalten, womit sich der Roman von vielen Jugendbüchern noch mal unterscheidet.
Doch hast Du Lunis erst einmal betreten, wirst Du hierüber schnell hinwegsehen und nur noch Augen für Dein Umbra haben. Und für die Abenteuer, die Dich erwarten.

Bewertung vom 12.02.2023
Das Sanatorium / Ein Fall für Elin Warner Bd.1
Pearse, Sarah

Das Sanatorium / Ein Fall für Elin Warner Bd.1


sehr gut

Gänsehaut – als würden Schneeflocken auf meine bloße Haut fallen! Bei diesem Thriller habe ich mich so herrlich gefürchtet und gegruselt, dass mir der Atem stockte. Und das Blut in meinen Adern gefror.
Warum all die Vergleiche zu Kälte, Eis und Winter? Das liegt in der Geschichte an sich. Denn diese spielt in den eingeschneiten Schweizer Bergen, und ein plötzlicher Wettereinbruch schafft die ideale Kulisse für einen Thriller, der mysteriös, voller Rätsel und Irrweg und unvorhersehbar bis zur letzten Seite bleibt.
Und dank Lawinen und Schneemassen, die das Hotel ganz hoch auf dem Berg und nahe dem Gipfel geradezu zu verschlingen drohen, gestaltet sich die Suche nach dem Mörder zu einem wunderbaren Kammerspiel! Abgeschlossen von der Außenwelt ist Elin Warner, Kommissarin im Sonderurlaub und mit einigen schweren Päckchen zu tragen, ganz auf sich allein und ihren doch recht eingerosteten Spürsinn gestellt, um weitere Blutbäder zu verhindern und ihre Familie und die Hotelgäste zu beschützen.
Die Verbrechen selbst sind dabei nicht nur blutig und grausam, auch deren Inzenierung erscheint schauderhaft und voller Rätsel und Fragezeichen. Aufgrund deren Inzenierung liegt eine Verbindung zu der ehemaligen Nutzung des Gebäudes als Sanatorium nah, nur mögen die einzelnen Puzzlesteine einfach nicht zusammenpassen und kein Bild ergeben.
Obwohl die Spannung die gesamte Geschichte über sehr hoch ist, nimmt sie an Tempo, Dichte und Dramatik zum Finale noch mal ordentlich zu. Ich konnte kaum so schnell über die Zeilen fliegen, wie meine Neugierde mich getrieben hat, und aus der Hand legen, konnte ich das Buch erst recht nicht!
Nur die Ermittlerin hätte ich mir ein wenig tougher gewünscht, ihre Entwicklung verlief mir ein wenig zu zögerlich. Doch das tat der Geschichte mit ihrem großen Suchtfaktor keinerlei Abbruch, so dass das Buch zu einem wunderbaren Pageturner für mich geworden ist! Doch Vorsicht: Kuschelt Euch beim Lesen gut ein, und habt eine heiße Tasse Tee in Griffweite – denn auch Ihr werdet von Gänsehaut nicht verschont bleiben!

Bewertung vom 05.02.2023
1000 Stürme

1000 Stürme


ausgezeichnet

Zieht Dich die Dunkelheit magisch an? Gehörst Du auch zu den Freunden von Dark Fantasy? Und bereiten Dir Geister und Monster eher Freude und Vergnügen als Dich nachts von süßen Träumen abzuhalten?
Wenn Du all diese Fragen mit Ja beantworten kannst, kann ich Dir verraten: Tony Sandoval wird Dein dunkles Herz in 1000 Stürmen erobern und Dir blutig-schöne Lesestunden zaubern! Denn das, was Lisa in ihren jungen Jahren erlebt, ist alles andere als gewöhnlich. Als Hexe in ihren Dorf verschrien und von den anderen Kindern gejagt, wird sie selbst zu einer Grenzgängerin zwischen dem Hier und Jetzt, zu der Entdeckerin der anderen Seite und zu einer tapferen Kriegerin im Kampf gegen die Monster.
So gewaltsam und unerbittlich die Wesen in ihrem Blutrausch zuschlagen, so unerschrocken bietet auch Lisa ihnen die Stirn, wächst hierbei im wahrsten Sinne über sich hinaus und lässt die menschlichen Formen und Begrenzungen dabei hinter sich.
Doch nicht nur die Liebhaber von intelligent gemachten Fantasygeschichten kommen hier auf ihre Kosten, auch die Ästheten unter uns können sich freuen: auf großartige, unvergleichliche Zeichnungen, welche die Dunkelheit und ihre Geschöpfe geradezu feiern! Die Bilder sind prägnant, häufig düster, dann auch wieder melancholisch in Aquarell. Und gerade die ganzseitigen Darstellungen Lisas haben mir den Atem geraubt.
Und da ich mich an den Zeichnungen einfach nicht sattsehen konnte, kommt es mir sehr gelegen, dass ich als Leserin nicht einfach so entlassen werde, zwar aus der Geschichte aber nicht aus dem Comic selbst. Denn zum Ende des Buches werden wir noch mit Bonuszeichnungen verwöhnt. Und diese sind überraschend farbenfroh, und auch Lisa wirkt verändert: mit rosa Haaren, bunt aquarelliert und weiterhin wunderschön.
Tony Sandoval ist mit 1000 Stürme ein Meisterwerk gelungen: mit Zeichnungen so eigen, melancholisch, geheimnisumwoben und gedankenumrankt! Das kleine Gothic Mädchen, das ich wohl immer bleiben werde, jubelt und ist glücklich. Und so könnte es Dir auch gehen.

Bewertung vom 21.01.2023
Ohne mich
Schüttpelz, Esther

Ohne mich


ausgezeichnet

Nähe und Distanz, Humor und Traurigkeit – „Ohne mich“ bewegt sich zwischen Polen, überbrückt scheinbar Unvereinbares und ist vor allem ein wunderbares Lesevergnügen mit Tiefe und Nachdenklichkeit.
Doch vor allem hat die Geschichte Rhythmus! Klingt erst einmal komisch? Dann hör der Geschichte doch einfach zu! Nimm das Buch in die Hand, such Dir ein Gegenüber – optional und ausschließlich für die Stimmung – und lies sie laut vor! So habe ich es zumindest nach wenigen Seiten getan und von da ab den großartigen Witz in Wort und Handlung, die Treffsicherheit und Prägnanz des Geschriebenen und ganz besonders den Klang entdeckt. Den Klang der kurzen, pointierten Sätze, welche die Leser mit rasantem Tempo durch das Geschehen transportieren, mit hoher Taktzahl und rhythmisch – gar wie ein Songtext?
Und dann habe ich gelesen, ohne Unterbrechung, eingesogen, verschlungen vom Leben der jungen Ich-Erzählerin und schließlich mit rauer Stimme bis zu den letzten Zeilen und Worten. Und alles, was dazwischenlag, war eine Berg- und Talfahrt, eine Achterbahn zwischen Lachen, ungläubigem Kopfschütteln und schließlich auch Begreifen und dem rückblickenden Verstehen.
Was die Geschichte noch zu vollbringen vermochte: Ich konnte zurückschauen, zurück auf meine Studierendenzeit, die Zeit der Sinnsuche – ist diese denn jemals abgeschlossen? – und eine Phase der Orientierungslosigkeit, des Übergangs, Neubeginns. Die Ich-Erzählerin durchlebt dabei eine innere Zerrissenheit, die möglicherweise dem Eintritt in das Erwachsenenleben vorausgeht, vielleicht aber auch exemplarisch für das Lebensgefühl einer ganzen Generation steht und der letztendlich doch eine ganz eigene schicksalhafte Wendung zugrunde liegt.
Noch Winter bei eisigen Temperaturen und Schnee vor meiner Tür, habe ich mit „Ohne mich“ doch bereits eines meiner Highlights für dieses Bücherjahr entdeckt! So sehr habe ich beim Lesen gelacht, mitgelitten und an den Zeilen geklebt – und mein Mann übrigens auch, denn der war „mein Gegenüber“. So kurz die Sätze, so knapp der Text selbst, so unendlich groß war unser Lesevergnügen. 2023, Du musst Dich anstrengen, dies zu toppen!

Bewertung vom 15.01.2023
Die sieben Männer der Evelyn Hugo
Reid, Taylor Jenkins

Die sieben Männer der Evelyn Hugo


ausgezeichnet

Intrigen, Glamour, dunkle Geheimnisse! „Die sieben Männer der Evelyn Hugo“ verzaubert, zieht in ihren Bann, macht süchtig – so wie es Evelyn selbst über Jahrzehnte getan hat. Denn als Schauspielerin, Sexsymbol und Stilikone liegen ihr die Männer reihenweise zu Füßen, begehren sie, beten sie an. Evelyn ist gleichsam Objekt der Begierde wie auch der Gier.
Doch ist es mit dem Glück so eine Sache, und vieles ist auch ganz anders als es scheint. Und da sind sie wieder: die Abgründe, in die wir Evelyn begleiten, den doppelten Boden, unter der wir einen Blick werfen dürfen.
Denn für Evelyn ist es die Stunde der Wahrheit. Sie lüftet den Schleier und die Büchse der Pandora gleich mit, und was hieraus entweicht, macht atemlos – nicht nur uns als Leser sondern auch die junge Journalistin Monique. Unverhofft und für sie zunächst unerklärlich kommt ihr die zweifelhafte Ehre zu, Biographin einer der größten Hollywood-Legenden aller Zeiten zu werden. Dass sie selbst Teil der Geschichte wird, kann sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Was auch ich nicht erwartet hatte, war, wie sehr mir die Geschichte gefällt, mich über viele wunderbare Lesestunden nicht mehr aus ihren Fängen gelassen hat. Ja, auch ich habe den einen oder anderen Hollywoodfilm gesehen und teils genossen, doch der Gossip drang häufig nicht zu mir durch. Mit Evelyn hinter diese Kulissen aus Schein und Sein zu schauen, hat allerdings seinen ganz eigenen Reiz gehabt. Und die Enthüllungen, die am Ende der Geschichte auf uns lauerten, waren einfach zu schön und schrecklich zugleich, um nicht einen Stern auf dem Walk of Fame für dieses außergewöhnliche Buch zu fordern!

Bewertung vom 07.01.2023
Sanctuary - Flucht in die Freiheit
Mendoza, Paola;Sher, Abby

Sanctuary - Flucht in die Freiheit


sehr gut

Tragisch, beeindruckend, grausam – Valis Leben ist ein Kampf. Ein Kampf um Normalität, Freiheit und letztendlich ein Kampf um das Überleben. Denn als Tochter illegaler Einwanderer*innen in den USA ist ihr Status mehr als ungewiss und ein Alltag nur möglich mit einem gefälschten ID-Chip und der Notwendigkeit, unauffällig und unterhalb der Aufmerksamkeit ihrer Umgebung – und vor allem der staatlichen Überwachung – zu bleiben.
Doch eben diese Regierung – in persona der Präsident der Vereinigten Staaten – ist es, die Vali und ihrer Familie den Tod bringen könnte. Denn die Einwanderungs- und Aufenthaltsgesetze werden zunehmend verschärft, bis letztendlich eine grausame Jagd auf die Menschen gemacht wird. Arbeitslager in gigantischer Größe wachsen wie totbringende Geschwüre aus dem Wüstenboden. Gerade als Deutsche*r kommen da schlimme Erinnerungen mit Blick auf die eigene Geschichte auf.
Vali, ihr Bruder Ernie und ihre Mutter lassen ihr weniges Hab und Gut zurück und begeben sich auf eine Flucht ohne Wiederkehr, auf eine Wanderung mit unklarem Ziel und Ausgang – und vor allem in eine Zeit des Verzichts, der Qual, der Angst. Insbesondere Vali kommt hier eine schwere Aufgabe zu, denn nachdem ihre Mutter festgenommen wird, ist sie mit ihrem Bruder auf sich allein gestellt und trägt die Verantwortung für ihrer beiden Leben. Eine Last, die groß und schwer ist.
Das Schicksal der beiden jungen Einwanderer*innen ging mitten in mein Herz. Selbst behütet und beschützt aufgewachsen und durch den Zufall, in dem „richtigen Land“ geboren zu sein, einen sicheren Status besitzend, würde mir die Geschichte als Dystopie erscheinen, wenn, ja wenn nicht die Realität diese schon längst eingeholt hätte. Zum Glück berichten die Medien in unserem Land, und spätestens seit den großen Fluchtbewegung in 2015/16 haben auch wir hier in Deutschland in der neueren Zeit erfahren, was es bedeutet, unter Lebensgefahr sein Land – und oftmals auch seine Familie – zurücklassen zu müssen.
Nicht eindringlich genug können wir alle auf das Schicksal der geflüchteten Menschen aufmerksam machen, für ihre Integration und Anerkennenung in diesem Land werben und kämpfen. Das Buch ist damit wichtig. Notwendig. Hochaktuell. In seiner Umsetzung hat es für mich kleinere Schwächen, etwa in Valis zu Beginn äußerst kindlichem Verhalten, einer Jugendlichen in dem Alter für mich nicht entsprechend. Doch Ziel, Aussage und Wirkung des Textes lassen auch Abstriche für mich schnell in Vergessenheit geraten, so dass „Sanctuary“ meine Leseempfehlung ist. Lesen. Verstehen. Handeln!

Bewertung vom 31.12.2022
Die Mauersegler
Aramburu, Fernando

Die Mauersegler


sehr gut

Intensiv in Tiefe und Breite – „Die Mauersegler“ haben mir ein geradezu rauschhaftes Leseerlebnis geschenkt!
Tief bin ich in das (Seelen-) Leben von Toni ein- und abgetaucht, habe durch seine Augen die Jahre und Jahrzehnte in der Rückschau sowie das Jetzt in seiner Einsamkeit gesehen und durchlitten, erlebe seine Verzagtheit, Freudlosigkeit, Fatalismus.
Breit ist die Geschichte dabei mit über 800 Seiten in der deutschen Übersetzung angelegt, genügend Raum, Zeit und Lebensereignisse, um für mich eine starke Verbindung zu Toni aufzubauen, der weiß Gott kein Held im klassischen Sinne ist. Und aus diesem Grunde sind die Figur, sein Erleben und Empfinden auch so glaubhaft, nachvollzieh- und nachfühlbar für mich und damit mit einer Nähe zu mir als Leserin, wie ich sie nur selten erleben durfte.
Tragisch ist die Geschichte, aber nicht traurig, ernüchtert vom Leben ist Toni, doch nicht verbittert. Und so habe ich auch das Leseerlebnis wahrgenommen, mit einer gewissen Resignation, jedoch ohne Schwere und – wer hätte das gedacht! – mit viel Witz und feinem Humor, mal zwischen den Zeilen, mal direkt in diesen zu finden. Denn auch das Leben selbst hielt neben den Tiefen Momente voll Liebe, Glück und Dankbarkeit für Toni bereit, die ihn in seiner Rückschau zufrieden mit dem Erlebten und Erfahrenen stellen und ja, auch immer wieder zu amüsieren vermögen. Der Abschied vom Leben, das Sterben über 365 Tage mag auch zu erfreuen!
Nicht nur mit Blick auf meine Finger und Hände, die bei knapp einem Kilo Literatur und dem stundenlangen Abtauchen in diese schwer wurden, hätte der Geschichte durchaus ein paar Seiten weniger gut zu Gesicht gestanden. Tiefe plus Breite muss nicht zwingend gleich Länge sein. Doch wer weiß, ob meine Augen nach der letzten Zeile dann genauso groß erstaunt, mein Herz so voll und mein Kopf so wunderbar leicht gewesen wäre.

Bewertung vom 18.12.2022
MEZCLA
Belfrage, Ixta

MEZCLA


sehr gut

Fusionküche at its best! Denn die Kombination verschiedener Esskulturen, Kochstile und Traditionen ist häufig für mich eine Blackblox, die viel verspricht, mit einem unklaren Ergebnis.
Ganz anders bei Ixta Belfrage! Ihr Rezepte bringen so viel Geschmackreiches aus den Küchen v. a. Brasiliens, Italiens und Mexikos zusammen, sind eine Kombination mit ganz eigenem Schwerpunkt und Charakter und verstehen sich ganz besonders als Fest: auf die Freude am Essen, Genießen und die Einflüsse verschiedener Kulturen und Stile. Die Ergebnisse überzeugen dabei mit intensivem Geschmack, teils ungewöhnlichen Kombinationen und intensiven Farben und Gerüchen, die Tisch und Raum füllen.
Zugänglich werden die Rezepte in den verschiedenen Kategorien „Für jeden Tag“, „Entertaining (irgendwie)“ und „Zu guter Letzt“ – die ersten beiden Kapitel jeweils unterteilt in „Vegetarisch“, „Fisch“ und „Fleisch“. Übersichtlich, nachvollziehbar. Doch nicht immer konsequent, denn die vegetarischen Gerichte sind häufig eher Gemüsegerichte, in der Option auch vegetarisch zuzubereiten, wie etwa die „Gerösteten Auberginen mit Koriander-Sardellen-Salsa“, S. 77. Die Sardellen sind hier auf Wunsch durch grüne Oliven zu ersetzen. An sich völlig problemlos, doch andersrum wäre es stimmig und auch für Vegetarier*innen zugänglich – und ein Genuss.
Und um diese aromatischen Speisen auch sättigend genießen zu können, lohnt sich ebenfalls ein genauer Blick in die Zutatenliste mit ihren Mengenangaben. Denn sonst könnte der Magen auch mal knurrend und die Familie am Tisch noch hungrig bleiben. Die sehr geschmacksreichen „Spinat-Kräuter-Klöße mit Kirschtomatensauce“, S. 49, sind pro Person mit gerade mal 50 g TK-Spinat, 15 g Polenta und 70 g Tomaten berechnet – ohne Beilage. Möglicherweise ist das Gericht eher als eine Art Mezze gedacht, aber nicht entsprechend ausgewiesen?
Bis auf diese kleinen Abstriche war „Mezcla“ für mich ein ungewöhnlich geschmackvoller, zugänglicher und abwechslungsreicher Genuss und unser persönliches Fest des Essens und Schlemmens. Meine bisher liebsten Rezepte sind übrigens das „Piri-Piri-Tofu über Knusper-Knusper-Orzo“, S. 78, und der so schnell zubereitete wie raffiniert komponierte „Mango-Käse-Salat mit Jalapeno-Chilischoten und Limette“, S. 39 – unbedingt probieren! Und ich bin mir sicher, viele der Gerichte werden noch zu meinen All-time-Favorites werden!