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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 07.09.2007
Todeshauch
Indridason, Arnaldur

Todeshauch


sehr gut

Island, da denkt man an Halldór Laxness und seine kargen Geschichten von verhärteten Menschen. Indridason steht ihm in nichts nach, auch wenn er das Genre wechselt. Er beschreibt ein Familiendrama, dessen Ausmaß erst nach Jahrzehnten durch einen Leichenfund erahnt werden kann. Auf zwei Ebenen erzählt der Autor aus der Zeit, als Island amerikanische Truppen ins Land ließ, die Bevölkerung ein Auskommen dadurch bekam. Väter, die sich dem Alkohol verschrieben haben, Mütter, die die Familie zusammenzuhalten versuchen, begegnen uns vor allem in der irischen Literatur, doch die Härte, die sich gegen die Familie richtet, die Hoffnungslosigkeit, die daraus entspringt, das Verkümmern einer frischen Liebe findet in Todeshauch ein erschreckendes Abbild. Man bleibt von dieser Geschichte gebannt, obwohl sie einem bereits an anderer Stelle erzählt worden ist. Das liegt an den Menschen, die Idridason beschreibt, und der gelungenen Verknüpfung der Zeiten.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.09.2007
Witwe für ein Jahr
Irving, John

Witwe für ein Jahr


gut

Irvings Romane ufern häufig aus, flechten manch schöne Episode in eine Geschichte ein, zumeist jedoch würde man sich wünschen, er würde sich mäßigen. Seine Phantasie ist grenzenlos. Ein Irving Roman muß dick sein, um als Ereignis gewertet zu werden. In seinen besten Romanen, die inhaltlich eine starre Vorgabe haben, verzaubert er uns mit skurrilen Gestalten, bizarren Nebenschauplätzen. In Witwe für ein Jahr hätte man dem Autor gewünscht, er hätte die Dichte der ersten 265 Seiten nicht weiter strapaziert und nicht gleich den Nachfolgeroman angehängt. Die Geschichte einer von einer Tragödie gezeichneten Familie auf Long Island besitzt soviel Format, daß sie allein zwischen zwei Buchdeckel gehört hätte. Wenn Ruth anschließend ihre Karriere als Schriftstellerin antritt und bis nach Amsterdam gespült wird, schmeckt der edle Tropfen aus Long Island verwässert. Weniger wäre mehr gewesen. Besser wäre mit der Mutter aus der Geschichte zu treten. Dann bleibt sie betörend geheimnisvoll und birgt Irvings Stärken. Doch obsiegt unser aller Neugier und wir lesen weiter.
Polar aus Aachen

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.09.2007
Gottes Werk und Teufels Beitrag
Irving, John

Gottes Werk und Teufels Beitrag


ausgezeichnet

Dem Autor lag dieses Thema am Herzen. In seinem Buch My Movie Business, das sich hauptsächlich um die Verfilmung dreht, beschreibt er ausführlich, wie seine familiären Wurzeln ihn dazu veranlaßten, den Roman zu schreiben, wie er erstaunt feststellen mußte, daß sich niemand bis in die Mitte des 19. Jahr. Um die Abtreibung scherte, sie erst danach unter Strafe gestellt wurde, und es bis in die Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts dauerte, bis sie unter bestimmten Auflagen wieder straffrei wurde. Laut Irving war die Zeit, wo die Abtreibung erlaubt war, länger als die, wo sie verfolgt wurde. Daß ausgerechnet das Waisenkind Homer Wells, den niemand haben will, der ständig zurückgegeben wird, das Werk seines Mentors Dr. Larch fortsetzt und dafür sorgt, daß nicht zu viele Kinder sich selbst auf der Welt überlassen werden, ist die geniale Geschichte dieses vergnüglichen und erschreckenden Romans. Irving hat viele Schläge aus dem Kreis der Abtreibungsgegner einstecken müssen. Doch wer My Movie Business gelesen, spürte, wie viel Mühe er sich mit diesem Roman gegeben hat. Und er kann mehr als zufrieden sein.
Polar aus Aachen

3 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.09.2007
Paranoia
Costello, Mark

Paranoia


sehr gut

Paranoia, auf wen trifft das zu? Auf die, die Welt in Gefahr bringen, auf die, die Welt retten wollen, oder auf die, die irritiert und verängstigt nach beiden Seiten sich umblicken? Nachdem man den Roman von Mark Costello gelesen hat, wohl auf alle gleichzeitig. Seine Geschichte von Vi Asplund ist ein Thriller, der einen mitreißt. Als Bodyguard bewegt sie sich durch die abgeschottete Scheinwelt ständiger Bedrohung und Vermeidung von Katastrophen. Es wird Sicherheit vorgaukelt, wo gar keine existieren kann. Costello gelingt es darüber hinaus, die Grundstimmung nach dem 9/11 in Amerika einzufangen, die allmählich auf alle westlichen Länder überschwappt. Hoch die Mauern, abschotten, bloß weg mit den Bürgerrechten, wenn es gilt, Attentate zu vermeiden. Wir wohl uns sichern, möglichst perfekt. Nur wird das nie in Gänze möglich sein. Wie dieser Schutz nach innen wirkt und die Guards zerfrißt, die den Überblick behalten sollen, ist ernüchternd zu lesen. Kein Buch für jemanden, der plant, sich demnächst einen Sicherheitsdienst zuzulegen.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.09.2007
Der Stümper
Highsmith, Patricia

Der Stümper


sehr gut

Im Deutschen existieren für das Wort Stümper Synonyme wie Dilettant, Anfänger, Dummerjan, Nichtskönner. Dabei ist Walter Stackhouse Anwalt und beabsichtigt, sich mit einem Kollegen selbstständig zu machen. Beruflich ist er also kein Stümper. Wäre er nur nicht verheiratet. Der Plot dieses Suspense-Romans erinnert an ein anderes Buch von Patricia Highsmith: Zwei Fremde im Zug. Auch hier mordet ein Mann, während der zweite sich den Mord nur vorstellt. Der Mord geschieht gleich zu Anfang. Der Buchhändler mordet seine Frau, während der Anwalt sich von der eigenen Vorstellung, wie er seine Frau ermorden könnte, in Lügen verstrickt. Ein Psychothriller, der in die Köpfe schaut, Liebe als gescheitert oder unerreichbar beschreibt, und eine einzige Schwäche besitzt, einen von Ehrgeiz zerfressenen Polizisten, der nicht glaubwürdig in seinen Aktionen, den Buchhändler auf den Anwalt hetzt. Trotzdem versteht es Patricia Highsmith uns diese Geschichte so zu erzählen, daß wir unbeding herausfinden wollen, wie sie endet.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 06.09.2007
Pompeji
Harris, Robert

Pompeji


weniger gut

Natürlich weiß jeder, daß der Vesuv am Ende des Romans ausbrechen wird. Was es der Entwicklung jeder Handlung erschwert, sich freizuschwimmen, da das zu erwartende furiose Finale sich längst vor unserem inneren Auge abgespielt hat. Viel zu viel um Spannung bemühtes Beiwerk. Die Verschwörung, die der Wasserbaumeister Attilius aufdeckt, hat eher den Charakter des kleinen Fernsehspiels, als daß er auf der großen historischen Bühne stattfindet. Da soll eine Bevölkerung gewarnt, eine Bibliothek gerettet werden, zwei Liebenden sich finden, da soll Machtpolitik entblößt, Korruption mittels Wasserwirtschaft angeprangert werden. Die bösen Römer. Es gibt sicher faszinierendere Darstellungen der Römischen Geschichte. Und Robert Harris ist sicher in Enigma der bessere Autor. Ein Schmöker für die Ohren bei Temperaturen über dreißig Grad, um im Schatten zu liegen.
Polar aus Aachen

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.09.2007
Was ich liebte
Hustvedt, Siri

Was ich liebte


ausgezeichnet

Lebentsentwürfe sind zum Scheitern verurteilt, egal wie umsichtig sie entworfen werden. Und eng aufeinander abgestimmte Freundschaften werden schweren Prüfungen unterzogen. Das Faszinierende an Siri Huvstedts Roman ist mit welch scharfem Blick sie von Tragödien erzählen kann, bei denen man sich glücklich schätzen darf, sie nicht selbst erlebt zu haben. Wer Kinder hat, wird an einigen Stellen sich nach ihnen umschauen und nach Anzeichen suchen, ob etwas von Mark einem nicht gegenüber sitzt. Wie angenehm ein Tag anschließend sein kann, wenn das nicht der Fall ist. Wie fesselnd eine Geschichte erzählt wird, wenn wir die Liebe darin erblicken, ohne daß sie sich einem aufdrängt. Siri Huvstedt schreibt viel zu wenig, man wollte viel mehr von ihr lesen. Aber vielleicht ist gerade das ihr Geheimnis, ihre Kunst. Sie schaut genau hin und hat keine Angst vor der dunklen Seite.
Polar aus Aachen

5 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.09.2007
Sommerhaus, später
Hermann, Judith

Sommerhaus, später


ausgezeichnet

Unaufrichtigkeiten sind der Keim der Lügen, aus denen gescheiterte Lieben ebenso entwachsen wie gescheiterte Muster, nach denen man sein eigenes wie das andere Leben betrachtet. Allen Erzählungen in Sommerhaus, später ruht ein geheimer Rhythmus inne, der davon zeugt, daß Judith Hermann nicht nur mit Sprache umzugehen versteht, sie vielmehr so subtil einsetzt, daß man es kaum merkt. Das Leben scheint begrenzt zu sein, und die Angst, es zu verpassen oder es verpaßt zu haben, ist darin das Lebendigste an sich. Ein schönes, schlankes, lesenwertes Buch.
Polar aus Aachen

0 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.09.2007
Die Schönheitslinie
Hollinghurst, Alan

Die Schönheitslinie


sehr gut

Es erinnert einen natürlich an Henry James Romanwelt, wenn Hollinghurst den Versuch unternimmt, die Achtziger Jahre in Großbritannien zu schildern. Die hemmungslosen Jahre der Upperclass und die daraus resultierenden Hochs und Tiefs der Familie Fedden. Wie bei James ist es der Außenstehende, der die feinen, selbst eingravierten Züge einer Familie brüchig, wenn nicht gar rissig aufscheinen läßt. Die Farben sind greller als im 19. Jahrhundert, doch der Puls von Macht und Sex und Gier und Geld schlägt auch hier. Die Entwicklung Nicks zum Dandy, der sich der Highsociety zugehörig fühlt, obwohl er in ihr den Makel des begierigen Homosexuellen nur heimlich ausleben darf, ist nur ein Pfeiler, auf dem der Schein des Schönen beruht. Und wie bei jeder Fassade bedeutete das längst nicht, daß sich dahinter ein Gebäude befindet, das Bestand hat. Die meisten werden abgerissen. Oft rettet nur die Fassade den bewährten Anblick, in der Hoffnung, daß irgendwann dahinter ein standhafteres Haus errichtet wird.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.