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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Xirxe
Wohnort: 
Hannover
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 869 Bewertungen
Bewertung vom 25.06.2014
Ein Teelöffel Land und Meer
Nayeri, Dina

Ein Teelöffel Land und Meer


ausgezeichnet

Saba, ein elfjähriges Mädchen, hat auf einen Schlag ihre Zwillingsschwester Mahtab und ihre Mutter verloren - beide verschwunden. Obwohl man ihr immer wieder versichert, dass sie tot seien, ist Saba auch in den kommenden Jahren fest davon überzeugt, dass den Beiden die Flucht in die USA gelungen ist und sie dort das Leben führen, das Saba sich schon immer wünscht. Der christlichen Minderheit angehörend führen sie und ihr Vater ein zurückgezogenes Leben auf dem Land in einem kleinen Dorf, und trotz ihrer vermögenden Familie ist Saba auf's Engste mit den Menschen dort verbunden. Gemeinsam mit ihren beiden Freunden Reza, in den sie schon immer verliebt war, und der schönen Ponneh, ihrer besten Freundin und fast wie eine Schwester, wächst sie heran und erzählt ihnen immer wieder Geschichten aus dem Leben von Mahtab - ein Leben, wie Saba es gerne selbst führen würde. Wie besessen lernt sie (nicht nur) Englisch, liest nicht erlaubte Bücher aus den USA, hört und sieht verbotene Filme und Musik. Doch sie befindet sich im Iran nach der Revolution - und den Realitäten dieser Gesellschaft kann auch Saba nicht entfliehen.
Welch ein unglaublich schönes und reiches Land - reich an Geschichten, gutem Essen, Musik, Witz, Poesie und jahrtausende alter Kultur. Wenn, ja, wenn es die Mullahs nicht gäbe mit all ihren Gefolgsleuten, die den Bewohnern und bevorzugt den Bewohnerinnen im Namen Allahs das Leben schwer, wenn nicht sogar unerträglich machen. Dina Nayeri, selbst dort geboren und zehn Jahre gelebt, schildert das alltägliche Grauen, dass trotz aller Rückzugsversuche der Menschen in Geschichten und die kleinen Freuden des Lebens immer wieder mit purer Willkür und brachialer Gewalt über sie hereinbricht. Wie die VertreterInnen des iranischen Gottesstaates die kleinsten scheinbaren Vergehen mit gnadenloser Härte bestrafen. Und dennoch - die Menschen dort behalten ihre Lebensfreude bei.
Trotz des in großen Teilen bedrückenden Themas ist das Buch ungemein poetisch und macht deutlich, wie wichtig gerade in solchen Zeiten Freundschaft ist, aber auch das Erzählen von Ereignissen, (egal ob wahr oder falsch) und der Glaube daran. Und es zeigt, wie reich der Iran ungeachtet der lähmenden Verhältnisse nicht nur an Geschichten ist - welch ein wundervolles Land könnte es sein!
PS: Vielleicht könnte man in der nächsten Auflage ein Glossar mit all den herrlichen Ausdrücken anfügen? Das wäre eine wirkliche Bereicherung!

Bewertung vom 16.06.2014
Bretonische Brandung / Kommissar Dupin Bd.2
Bannalec, Jean-Luc

Bretonische Brandung / Kommissar Dupin Bd.2


sehr gut

Wer sich auf seinen nächsten Bretagne-Urlaub einstimmen möchte und noch auf der Suche nach Ausflugszielen ist, sollte mal nach diesem Buch greifen. Zwar wird es als Krimi angeboten, doch immer wieder trat dieser angesichts der wirklich wunderschönen Beschreibungen der Glénan-Inseln für mich etwas ins Abseits.
Protagonist ist der bereits vor längerer Zeit aus Paris ins Finistère versetzte Kommissar Dupin, der noch vor Beendigung seines Frühstücks mit dem Fund dreier Leichen konfrontiert wird. Diese wurden an den Strand einer der vielen unbewohnten Inseln des Glénan-Archipels angespült, sodass sich Dupin widerwillig auf ein Boot begeben muss, um den Fundort in Augenschein zu nehmen. Was sich zu Beginn wie ein Unglücksfall ausnimmt, erweist sich jedoch nach den ersten Untersuchungen als ein Dreifachmord - mit mehr Spuren und Verdächtigen als es dem Kommissar lieb ist.
Wie schon zu Beginn angedeutet: Zeitweise wirkte der durchaus passable Krimi im Vergleich zu den geschilderten Landschaftsbeschreibungen fast wie eine Nebenhandlung - äußerst detailreich und mit viel Liebe zu dieser Gegend berichtet der unter Pseudonym schreibende Autor von Land (in diesem Fall Inseln) und Leuten. Mein Rat: Wer vorrangig einen Krimi sucht, sollte sich lieber eine andere Lektüre wählen. Alle Anderen erwartet eine unterhaltsame spannende und immer wieder auch amüsante Geschichte mit jeder Menge Informationen zu den Glénan-Inseln, die neugierig machen. Ich habe mich auf jeden Fall schon mal weiter informiert...

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.06.2014
Stoner
Williams, John

Stoner


sehr gut

Stoner, der Protagonist dieses Buches, wirkt auf Aussenstehende zeit seines Lebens wie ein schüchterner und immer schrulliger werdendes Wesen, wobei fast niemand ahnt, zu welch leidenschaftlichen Gefühlen er fähig ist. Anfang des 20. Jahrhunderts aus den ärmsten Verhältnissen kommend, gelingt es ihm dank der Unterstützung seiner Eltern, englische Literatur zu studieren und eine Professorenstelle zu erhalten. Er heiratet die Frau die er liebt, doch diese ist aufgrund ihrer Erziehung nicht zu positiven Gefühlen fähig - es wird eine lieblose Ehe. Dennoch hadert Stoner nicht mit seinem Schicksal, sondern widmet sich voller Hingabe seiner kleinen Tochter Grace, deren Wesen ganz ihrem Vater gleichkommt. Als seine Frau beschließt, Grace seinem Einfluss zu entziehen, widersetzt er sich nicht und nimmt das Unausweichliche hin.
Immer wieder habe ich mich beim Lesen gefragt, was diesen Menschen so nachgiebig, 'weich' und ohne jeden Ehrgeiz sein lässt, während er andererseits bei anderen wenigen Dingen unnachgiebig auf seinen Prinzipien beharrt, auch wenn sie ihm zum Nachteil gereichen. So gut wie immer verzichtet er darauf seinen Willen durchzusetzen; Wut, Hass oder Ärger sind ihm fast gänzlich fremd, obwohl er dazu vermutlich jeden Grund hätte. Doch er nimmt sein Leben an wie es kommt, sieht die vermeintlichen Beweggründe Anderer hinter ihren Handlungen, auch wenn diese noch so ungerecht und verletztend für ihn sind, denn er ist voller Liebe. Der folgende Absatz, der sich im hinteren Teil des Buches befindet, macht dies vielleicht anschaulich:
"Auf die eine oder andere Weise hatte er sie (die Liebe) jedem Augenblick seines Lebens gegeben und sie vielleicht am reichlichsten gegeben, wenn ihm dies gar nicht bewusst gewesen war. Diese Leidenschaft war weder eine des Verstandes noch des Fleisches, sondern vielmehr eine Kraft, die beides umschloss, als wären sie zusammen nichts anderes als der Stoff, aus dem die Liebe ist, ihre ganz spezifische Substanz. Angesichts einer Frau, eines Gedichts sagte sie einfach: Sieh her! Ich lebe."
Ein Buch über einen Menschen voller Liebe, das einen dennoch etwas traurig zurücklässt - hätte ihn etwas weniger Liebe und ein klein bisschen Egoismus nicht mehr glückliche Momente erleben lassen? Ich weiss es nicht, aber etwas mehr von Stoners Wesen täte unserer Welt sicherlich gut!

12 von 13 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.06.2014
Haus der Schildkröten
Pehnt, Annette

Haus der Schildkröten


ausgezeichnet

Welch eine trostlose Geschichte! Sie spielt im Altenheim 'Haus Ulmen', in dem so gut wie alle BewohnerInnen nur darauf zu warten scheinen, dass der alte Tag vergeht und ein neuer anbricht. Die (vermutlich nach einem Schlaganfall) fast völlig gelähmte Frau von Kanter und der unter starker Demenz leidende Professor Sander bekommen jeden Dienstag Besuch von ihren Kindern, wobei es sich jedoch wie in den meisten anderen Fällen auch eher um eine Pflichtübung handelt: "Die Besucher werfen rasch noch einen Blick auf die Uhr, damit sie wissen, wann sie wieder gehen dürfen, zwei Stündchen sollten es schon sein, das gehört sich so." Regina von Kanter fühlt sich unwohl in der Gegenwart ihrer Mutter, die wohl zeit ihres aktiven Lebens immer versuchte, das Dasein ihrer Tochter zu dominieren. Und Ernst Sander kann die immer stärker schwindende Existenz seines einst gelehrten Vaters nicht akzeptieren - als ob dieser sich weigern würde, sich gegen seinen Verfall zur Wehr zu setzen.
Doch das eigentlich Untröstliche dieses Buches ist die fast völlige Lieblosigkeit und die fehlende Hingabe, die das Leben beinahe aller Handelnden prägt. Bis auf Maik, einen der Altenpfleger, erledigt man seinen Job, wobei die alten Menschen nur selten als Individuum wahrgenommen werden, sondern lediglich als Objekt der täglichen Arbeit. Maiks Aufmerksamkeit und Interesse für die einzelnen Menschen ist derart besonders, dass er prompt eine bessere Stelle in einem anderen Heim angeboten bekommt, wo so etwas auch entsprechend honoriert wird. Doch auch die sonstigen zwischenmenschlichen Beziehungen sind geprägt von Angst, Gleichgültigkeit und/oder Desinteresse: Gabriele, eine Altenpflegerin, kann mit niemandem über ihre Arbeit reden - wird es ihrem Mann zuviel mit dem "Geflenne", verschwindet er in die Kneipe. Reginas Mutter gönnt ihrer Tochter nicht ihren Urlaub mit einem neuen Mann und steigert sich bei deren Rückkehr in einen Anfall hinein. Regina selbst hat zuviel Angst sich zu sehr auf eine neue Liebe einzulassen. Und die zarten Liebesbande einer Heimbewohnerin mit ihrem Zimmernachbarn sollen unterbunden werden, weil "...irgendwo hört es doch auf, wie die Kaninchen, das ist doch unappetitlich in dem Alter...".
Wieso man etwas derart Trostloses dennoch lesen sollte? Vielleicht um sich darüber klar zu werden, wie man sein Leben NICHT führen sollte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.05.2014
Keiner wird weinen
Daschkowa, Polina

Keiner wird weinen


sehr gut

Wer am liebsten Krimis liest, die eine kontinuierliche Geschichte mit nur wenigen Perspektivwechseln enthalten, sollte es lieber mit einem anderen Buch versuchen. Denn 'Keiner wird weinen' erzählt eine Vielzahl von Ereignissen mit den dazugehörigen Rückblenden in die Vergangenheit, sodass mir zeitweise schon mal der Überblick verloren ging. Doch man findet schnell wieder zurück zum eigentlichen Thema und zuguterletzt treffen alle, wirklich alle Handlungsfäden wieder zu einem abschließenden Ende zusammen - und es gibt fast so etwas wie ein Happyend ;-)
Die zentrale Figur ist Skwosnjak, ein Krimineller der im wahrsten Sinne des Wortes ohne jede Gefühlsregung über Leichen geht. In sein Visier gerät Anton, der mit seinem Bruder auf nicht immer ganz legale Weise versucht, schnell ans große Geld zu gelangen und Skwosnjak dabei in die Quere kommt. Gleichzeitig versucht Wolodja, ein junger Mann dessen Familie von Skwosnjaks Bande getötet wurde, schon seit mehreren Jahren Rache zu nehmen und wird dabei zum 'Gerechtigkeitskämpfer' auf eigene Art und Weise. Und da ist Vera, die junge Übersetzerin, die wegen eines fehlerhaft zugesandten Faxes sich plötzlich zwischen den Fronten wieder findet. Auch die Polizei hat ihren Auftritt, wenn auch immer nur am Rande. Zur Lösung des Falles trägt sie lediglich wenig bis nichts bei und als sie schließlich erscheint, hat sich bereits alles erledigt.
Dieses Buch liest sich nicht nur wie ein überaus spannender Krimi, sondern auch wie eine Form von Gesellschaftsstudie über die Unter- bzw. Halbwelt Russlands. Gängige Klischees wie Gewalttätigkeit und Verrohung scheinen bestätigt zu werden und so stellt sich nur noch die Frage: Ist das wirklich die Realität in Russland?

Bewertung vom 24.05.2014
Liebe unter kaltem Himmel
Mitford, Nancy

Liebe unter kaltem Himmel


sehr gut

Wer sich vergewissern möchte, dass früher auch nicht alles besser war als heute ;-) sollte dieses Buch von Nancy Mitford lesen. Sie beschreibt am Beispiel einer der reichsten Familien des Landes das Leben der High Society in Großbritannien der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Der ehemalige Vizekönig von Indien, Lord Montdore, kehrt mit seiner Familie zurück ins kalte nebelverhangene England. Die größte Sorge seiner ebenso egozentrischen wie exaltierten Gattin Sonia gilt ihrer bildschönen Tochter Polly, die sich im Gegensatz zu ihren Altersgenossinnen nicht im Geringsten für einen möglichen Heiratskandidaten interessiert. Sämtliche Versuche ihrer Mutter lässt Polly ins Leere laufen und so hängt schon bald der Haussegen gewaltig schief.
Nancy Mitford, die selbst die Tochter eines Barons war, kannte das Milieu aus eigenen Erfahrungen, was sie jedoch nicht davon abhielt, in einem spöttischen und auch zuweilen recht sarkastischen Ton das Auftreten der Aristokratie deutlich zu beschreiben. Ein Beispiel: "Wegen ihrer (Lady Montdores) kräftigen Statur glichen ihre Knickse dem anmutigen Sichneigen des Weizens im Winde allerdings nicht ganz. Sie sackte eher zusammen wie ein Kamel und erhob sich dann wie eine Kuh, mit dem Hinterteil zuerst - eine seltsame Darbietung und, so sollte man meinen, für die Darstellerin sehr beschwerlich, aber deren Miene bestätigte diese Vermutung nicht." Die Geschichte selbst ist weder sehr spannend noch tiefschürfend, sondern schlicht vergnüglich unterhaltend - aber das dafür ausserordentlich. Ich habe mich auf jeden Fall vorzüglich amüsiert ;-)

Bewertung vom 19.05.2014
Der Alpdruck
Fallada, Hans

Der Alpdruck


sehr gut

Deutschland in den Monaten des Zusammenbruchs der Jahre 1945/46: Die Siegermächte nahen, im Osten des Landes kann es nicht mehr lange dauern, bis die russische Armee eintrifft. Viele packen ihr Hab und Gut und fliehen in den Westen, denn wenn der Russe kommt... Doch die Dolls in einem kleinen mecklenburgischen Dorf freuen sich, ganz im Gegensatz zum Rest der Bewohner. Zunächst sieht es gut für das Paar aus: Trotz Verleumdungen wird Dr. Doll vom russischen Kommandanten zum Bürgermeister ernannt. Doch die Arbeit fordert mehr von ihm als er zu leisten fähig ist und so kommt er, gemeinsam mit seiner ebenfalls kranken Frau, ins Krankenhaus. Mehr oder weniger genesen gehen beide nach Berlin, wo Frau Doll noch eine Wohnung besitzt. Doch als sie dort ankommen, wird ihnen nicht geöffnet: Ihre Wohnung ist besetzt, ihr Hab und Gut verstreut. Mitten im zerstörten Berlin stehen sie wie tausend Andere auch vor dem Nichts...
Es ist die Geschichte Hans Falladas, und die Aussage des Vorwortes, das Buch sei autobiographisch inspiriert, halte ich persönlich für stark untertrieben. Zuviele der handelnden Personen sowie der Geschehnisse des Romanes stimmen mit dem realen Leben Falladas überein. Und mir erklärt es den stark Ich-bezogenen Ton, der das ganze Buch durchzieht. Doll/Fallada krankt an den Verbrechen die das deutsche Volk verübte ebenso wie an dem stillen Mitläufertum, das das Alles erst ermöglichte und wozu er sich auch selber zählt. Er verurteilt ohne Ausnahme einschließlich seiner eigenen Person und wird erst angesichts konkreter Armut und Hilfsbedürftigkeit milde und mitfühlend, aber auch dann ohne jede Einschränkung. Kein Gedanke daran, dass auch diese Menschen vielleicht überzeugte Nazis oder Mitläufer waren - hier zählt plötzlich nur der Mensch. Diese Einseitigkeit des Protagonisten, egal in welche Richtung, ist vermutlich der Krankheit Dolls/Falladas zuzuschreiben, der zeit seines Lebens an Depressionen litt, was es mir aber schwermachte, mich mit Doll als Romanhelden anzufreunden. Unter dem Aspekt Biographie betrachtet ist es jedoch ein ungemein ehrliches wie auch schonungsloses Zeugnis einer Zeit, die schlimmer kaum hätte sein können.
Es gibt auch (wenige) humorvolle Stellen, an den durchschimmert, welch 'anderer' großer Erzähler Fallada ebenfalls war. Ich werde mir in jedem Falle seine weiteren Werke früher oder später zu Gemüte führen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.