Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Wedma

Bewertungen

Insgesamt 546 Bewertungen
Bewertung vom 10.03.2016
100 JAHRE LEBEN
Schweighöfer, Kerstin

100 JAHRE LEBEN


sehr gut

Auf 355 Seiten reinen Textes werden zehn Lebensgeschichten der Hundertjährigen präsentiert: sieben Frauen und drei Männer unterschiedlicher Nationalitäten, Bildungsgrade und Berufe. Es gibt z.B. eine Künstlerin aus Ungarn, die ihr Leben in Holland verbracht hat, eine Bäuerin aus Schwarzwald, einen Pater, Franziskaner, aus Schlesien, einen Ingenieur und Lehrer aus der ehem. DDR, ein in Indonesien geborener Holländer, eine Geschäftsfrau aus Wolmerstedt, die nun im Norden Münchens wohnt. Auch Frankreich ist durch einige der Frauen gut präsent: die Schweizerin Agnes verbringt ihren Lebensabend in Cannes, die Pariserin Jeanne, die als Lebensziel eine perfekte Familie haben wollte. Es gibt auch eine Karrierefrau, eine Archäologin aus London.
Durch eine bildhafte Landschaftsbeschreibung, eine Erinnerung aus der Kindheit oder eine Szene, die sich damals so in etwa hätte abspielen können, bekommt man schnell den Zugang zu der jeweiligen Lebensgeschichte.
Alle zehn Hundertjährigen hatten ein bemerkenswertes Leben. Sie erzählen über ihre Kindheit und Jugend, über ihre Familien und Berufswege, über die Gegebenheiten und Herausforderungen, mit denen sie fertigwerden mussten. Diese Schilderungen, z.B. wie sie den zweiten Weltkrieg erlebt haben, lassen die damaligen Zeiten wieder aufleben und über manches staunen, wie z.B. welch große Rolle der Glaube damals bei manchen gespielt hat. Aber auch über die Dinge, die Freude bereitet haben, wurde viel gesprochen. Die Hundertjährigen sagen offen ihre Meinung zu solchen Themen wie Liebe, Freundschaft, Partnerschaft, Familie, Kinderkriegen, Beruf und Berufung, Lebensziele, Lebensfreude, etc. Sie überlegen, was ihr Leben lebenswert gemacht hat und worauf sie hätten verzichten können, oder auch hatten verzichten müssen. Die Ansichten der Hundertjährigen wurden im Text untereinander verglichen und Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede hervorgehoben. Da lässt sich während des Lesens ein roter Faden erkennen.
Es gibt auch Farbfotos in der Mitte des Buches. Sie sind schon eine Bereicherung, da man sich die Senioren, wie sie früher waren, auf diese Weise besser vorstellen kann.
Am Ende jeder Geschichte steht eine 2-3 seitige Zusammenfassung, manche Themen und Ratschläge werden nochmals angesprochen.
Was mir weniger gefiel war die Art der Stoffdarbietung, i.e. die Kommentare in den Geschichte.
Es wurde, wie mir scheint, bewusst aufs Mittelfeld und darunter gespielt. Starker Einsatz von Emotionen und Küchenpsychologie liefern Bestätigung für diese Annahme. Dieses Verallgemeinernde, das sich Annahmen bedient, die nicht unbedingt stimmen, zumindest nicht für alle, hat mein Lesevergnügen deutlich beeinträchtigt, wie diese „Vorträge“ der Autorin zu den Themen Liebe, Familie, Partnerschaft, Kinderkriegen ja oder nein, Kindererziehung, etc. erinnerten mich eher an Sitzungen „beim Kaffeekränzchen unter uns Pastorentöchtern plaudern wir mal über Gott und die Welt“. Es war mir einfach zu sehr auf den antizipierten Geschmack der breiten Masse ausgerichtet, zu sehr Bildzeitungsniveau. Damit habe ich, ehrlich gesagt, nicht gerechnet. Auch etwas mehr politischer Korrektheit hier und dort hätte dem Ganzen nicht geschadet.
Gut fand ich, dass es im Epilog von elf Seiten ein Versuch unternommen wird, die Dinge herauszufiltern, die alle zehn Hundertjährigen als wichtig für ein gelungenes Leben erachtet haben.
Ich schließe mit dem Zitat aus dem Buch: „Ehrlichkeit verlangt Mut, der Scheinheiligkeit reichen Feigheit und Bequemlichkeit.“

Fazit: Das Buch bietet interessante, lesenswerte Lebensgeschichten der Hundertjährigen und ihre Ratschläge zum erfüllten Leben. Die Kommentare dazu hätte man niveauvoller gestalten oder ganz weglassen können.
Das Gesamtergebnis liegt zwischen drei und vier Sternen. Ich bleibe bei vier Sternen mit viel Wohlwollen, da die Lebensgeschichten und die Ratschläge der Senioren gut sind.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.02.2016
Vom Ende der Einsamkeit
Wells, Benedict

Vom Ende der Einsamkeit


ausgezeichnet

Drei Geschwister werden zu Waisen, als ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben kommen. Jules ist der jüngste, er ist elf. Er ist ein introvertierter, einfühlsamer Junge, der heimlich Geschichten schreibt. Jules beobachtet die Menschen um sich und sich selbst sehr genau und erzählt uns diese Geschichte. Schon allein, WIE er es tut, ist Lesegenuss pur: melancholisch, poetisch, philosophisch, mal humorig-ironisch und oft genug sehr weise.
Es folgen die Jahre des Erwachsenwerdens, die Jules, wie auch seinen Geschwistern, ohne Eltern recht schwer fallen. Jeder entwickelt seine eigene Art, mit dem Verlust umzugehen. Jules hat Identitätsprobleme, will jemand anders sein, vor allem jemand, für den seine Eltern da waren.
Jules lernt im Internat Alva kennen, ein hübsches rothaariges Mädchen, das sich in einem Unterricht einfach zu ihm setzt. Ab da ist sie ein fester Bestandteil seines Gefühlslebens. Sie verbringen hin und wieder Zeit mit einander. Alva liest gerne, wie Jules auch.
Sie treffen sich Jahre später, mit etwas über dreißig. Alva ist mit einem knapp siebzigjährigen Schriftsteller verheiratet, der seine besten Zeiten in jeder Hinsicht hinter sich hat. Und ab da wird es erst recht spannend, denn da kommen die überraschenden Wendungen und noch vieles mehr.
Jules philosophiert über Gott und die Welt, aber wie gekonnt! Und auf so eine Art, die man einfach kennenlernen muss. Die ewigen Themen wie Liebe und Tod, Freundschaft, Familie, Partnerschaft, Kinderkriegen, Elternsein, Vater-Sohn Beziehung, den richtigen Platz im Leben finden, und auch ganz aktuelle Themen wie Umgang mit Alzheimer und Krebs, persönliche Freiheit, der adäquate Umgang mit eigener Kreativität, und natürlich das Thema der Einsamkeit sind wunderbar in den Erzählteppich hineingewoben worden. Diesen Gedanken nachzugehen- es gibt eine Menge toller, philosophisch anmutender Sätze, und mit Jules und seinen Geschwistern diese Geschichte mitzuerleben, hat mir nicht nur viel Lesevergnügen bereitet, es war schlicht eine Bereicherung. „Ich meine, wenn man sein ganzes Leben in die falsche Richtung läuft, kann’s trotzdem das Richtige sein?“ S. 190. Bemerkenswert finde ich, was Jules über Talent sagt, wie er es definiert.
Ich war auch dem Wechselbad der Emotionen ausgesetzt. Dem Autor gelingt es, einen im Handumdrehen von Verzweiflung in Euphorie zu versetzen und später wieder langsam zurück. Bewegt bleibt man bis zum Schluss.
Es gibt auch einfach schöne Bilder: des unbeschwerten Familienlebens mit Kindern, des gemeinsamen Reisens, der glücklichen Liebe, des vertrauten Miteinanders, etc. Die helle und die dunkle Seite der Geschichte sind gut ausgewogen und bieten einen vorteilhaften Kontrast zu einander.
Der Roman endet, als die Geschwister etwas über vierzig sind. Sie haben sich mittlerweile weiterentwickelt und verändert. „Vom Ende der Einsamkeit“ ist auch eine Reise zu sich selbst. Jules sagt am Ende: „Was, wenn es Zeit nicht gibt? Wenn alles, was man erlebt, ewig ist und wenn nicht die Zeit an einem vorübergeht, sondern nur man selbst an dem Erlebten?“ S. 327.
Insgesamt verbreitet der Roman eine optimistische, lebensbejahende Stimmung: er verleitet einen dazu, an die ewige Liebe zu glauben, die alle Herausforderungen des Lebens übersteht und am Ende siegt, auch über den Tod hinaus.
„Vom Ende der Einsamkeit“ habe ich sehr gern gelesen. Dies habe ich extra langsam getan, um ja keine gedankliche wie sprachliche Köstlichkeit zu verpassen.
Bei Benedict Wells verbinden sich Talent und Können auf eine gewinnende, wunderbare Weise. Ich hoffe, er wird die Leser noch mit vielen neuen Werken erfreuen.

Fazit: Ein sehr gelungenes literarisches Werk: Figuren, ihre Geschichten, der Erzählstil, alles harmoniert mit einander und scheint dem wahren Leben entsprungen. Mein Highlight des Jahres ist es jetzt schon geworden. Sehr gerne vergebe die 5 besonders hell leuchtende Sterne und eine klare Leseempfehlung. Unbedingt lesen.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.02.2016
Die Frauen von La Principal
Llach, Lluis

Die Frauen von La Principal


ausgezeichnet

„Die Frauen von La Principal“ von Lluís Llach ist es eine spannende, facettenreiche, atmosphärisch dicht erzählte Familiengeschichte aus Katalonien, die z.T. auch zum Krimi wird und eine gute Prise Gesellschaftskritik aufweist.

Die Handlung entfaltet sich auf drei Zeitebenen. Die Haupthandlung fängt am 7 November 1940 auf La Principal an, einem alten Anwesen in einem entlegenen, schwer erreichbaren Dorf in den Bergen hinter Barcelona, und endet am 25 November desselben Jahres. Ein grausiger Mord auf La Principal, der bereits im Sommer 1936 geschah, muss aufgeklärt werden, so die Auffassung des jungen Inspektors Lluís Recader, der mit den Krimis von Agatha Christi aufgewachsen war, und deren Methoden er sich auch hier zu bedienen gedenkt. Also greift er den Fall auf und fährt dorthin, um seine ehe theoretischen Kenntnisse in der Praxis umzusetzen.
In der Mitte der Kapitel wird der Leser oft in die Vergangenheit um 1893 und früher versetzt, um die jungen Jahre der ersten Maria vor Augen zu führen. Um 1940 ist die zweite Maria, 30, die Tochter der Ersten, die Herrin des Hauses. Ihre Liebesgeschichte bildet den Großteil der Handlung. Der dritte Erzählstrang fängt in etwa in der Mitte des Buches an, ist im Präsens verfasst, und spielt im Jahr 2001. Da trifft man die dritte Maria (60) und ihren Vater (92). Vater und Tochter reden miteinander über die alten Zeiten, denn der Vater hat Maria seine Memoiren übereicht und sie dazu ermutigt, diese auch zu lesen. So erfährt die Maria einige Geheimnisse ihrer Familie, die ihr bis dahin verborgen geblieben waren.
Alle Figuren erscheinen wie dem wahren Leben entsprungen. Sie spielen nicht, sie leben einem ihre Geschichten vor. Die Marias stehen klar im Vordergrund, aber besonders umwerfend fand ich die Úrsula, die langjährige Dienerin des Hauses.

Der Schreibstil hat wesentlich zum Lesevergnügen beigetragen: so poetisch, richtig süffig, wie ein guter katalonischer Rotwein, mal klang es auch recht modern. Abwechslung tat gut. Auch dank des bezaubernden Schreibstils fühlte ich mich in diese alten Zeiten auf La Principal versetzt und erlebte die Geschichten der drei Marias und ihrer Lieben: Ich sah diese damalige Welt mit den Augen dieser Figuren, und hatte auch keinerlei Schwierigkeiten, ihre Motive und Taten nachzuvollziehen. Bei einer ungewöhnlichen Liebeserklärung und erst recht beim Abschied von Úrsula zum Schluss war ich zutiefst gerührt.
Die Idee, die Leben der drei Marias im 19, 20, und 21 Jh. in der Gegend um Barcelona aufleben zu lassen, fand ich prima. Nicht viele Geschichten dieser Art habe ich bisher genossen können. Wenn es ein Versuch war, einem Krimi literarischen Touch zu verleihen und/oder den Krimi mit einem Familienroman zu verknüpfen, so halte ich ihn für gelungen. Auch die Anspielungen auf Agatha Christi passten sehr gut.

Fazit: „Die Frauen von La Principal“ ist es eine spannende, atmosphärisch dicht erzählte Familiengeschichte auf drei Zeitebenen, in der Frauen eine tragende Rolle spielen. Die Ermittlungen in einem Mordfall im Herbst 1940 fügen eine besondere Würze hinzu. Alles in allem: tolle, intelligente, poetische Geschichte, die bestens unterhält und zum Nachdenken anregt. Prima Lesestoff für verregnete Sonntage und/oder lange Winterabende.

Gebundene Ausgabe: 311 Seiten (reiner Text), 21 Kapitel, Insel Verlag, 7 März 2016.

Ich bedanke mich ganz herzlich beim Insel Verlag Berlin, dass diese Geschichte der Leserschaft hierzulande zugänglich gemacht wurde, auch dafür, dass ich den für mich neuen Autor Lluís Llach kennenlernen konnte. Gerne würde ich weitere Romane aus seiner Feder lesen. Und last but not least bedanke ich mich fürs Rezensionsexemplar.

Bewertung vom 14.02.2016
Apollonia: Schatten der Vergangenheit (eBook, ePUB)
Rot, Verena

Apollonia: Schatten der Vergangenheit (eBook, ePUB)


sehr gut

Apollonia, oder auch gerne von Freunden Polly genannt, ist eine sympathische Protagonistin, die sich für Menschen und ihre Schicksale interessiert, und hilft, wo sie kann. Eigentlich war Polly zur Erholung von einem schrecklichen Ereignis, das sich in Pollys Familie abgespielt hatte, zu Gillas Pension gereist, aber bald ermittelt sie in einem Mordfall zusammen mit Marc, einem freien Journalisten aus Berlin. Marc kennt sich in Förde aus, hat viele Freunde und Bekannte, da er dort viele seiner Kindertage verbracht hat. Ein älterer Mann wird tot in der Ostsee gefunden und bald folgen auch weitere Tote, ein Opfer kann im letzten Moment doch noch gerettet werden. Eine Spur führt nach Dänemark, die andere nach Kiel. Der Hauptkommissar Pit Ullmann, der sich in Polly verguckt hat, hat alle Hände voll zu tun.
Ich bin gerne mit den Ermittlern durch die Geschichte gegangen. Mir schwebte vor, als ob ich an der Ostsee war und den Familiengeschichten der dort lebenden Menschen gelauscht habe. Autorin Verena Rot ist sehr gut gelungen, dieses Flair zu vermitteln. Auch die Figuren ließ sie geschickt vor meinem inneren Auge lebendig werden. Gilla, die liebe ältere Dame, Betreiberin der Pension, in der Polly abgestiegen ist, kümmert sich rührend um ihre Gäste und weiß zum rechten Zeitpunkt, etwas längst Vergessenes zu erzählen, das zur Klärung des Falls beiträgt. Bei Gilla wäre ich auch gerne zu Gast.
Mit währendem Interesse habe ich die Handlung verfolgen können: Es war immer etwas los, was mich immer weiterlesen ließ, und schon war der erste Fall zu Ende. Die Auflösung, wie die Geschichte an sich, ist logisch aufgebaut, schlüssig, die Motive gut nachvollziehbar. Wer der Mörder ist, blieb bis zur Auflösung im Verborgenen.
„Apollonia: Schatten der Vergangenheit“ ist ein guter Fall mit überlebensgroßen Figuren und Ostsee-Flair, den man als Sonntagslektüre oder auch im öffentlichen Verkehr, oder beim Ausdauersport im Studio prima lesen kann.

Fazit: Ein gelungener Auftakt der Reihe, der Lust auf weitere Geschichten mit Polly und Marc macht. Weitere Folgen „Apollonia: Saat des Todes“ und „Apollonia: Zeit der Abrechnung“ habe ich auf mein Lesegerät geladen und werde zeitnah berichten.
Vier besonders hell leuchtende Sterne und eine Leseempfehlung, insb. für die Fans von Cosy-Krimis.

Bewertung vom 03.02.2016
Der Kaffeedieb
Hillenbrand, Tom

Der Kaffeedieb


sehr gut

21 September 1683. London. Ein Kaffeehaus in dem Obediah Chalon seinen morgendlichen Kaffee genießt Obediah ist ein ungewöhnlicher Held, keineswegs makellos und in jeder Hinsicht moralisch überlegen. Er ist ein Naturphilosoph, ein Virtuoso von etwa 27 Jahren, von dicklicher Statur, da er eher mit dem Kopf als mit den Händen zu arbeiten gewohnt ist. Das Lesen naturphilosophischer Traktate und das Experimentieren ist alles, wofür er sich interessiert. So manches, vor allem die Geschichte seiner Familie, die viele Katholiken in der englischen Provinz zu diesen Zeiten geteilt haben, hat ihn u.a. dazu getrieben, in London auf der Börse zu spekulieren (wie dies damals funktionierte wird auch eingängig dargestellt) und die gefälschten Wertpapiere als Sicherheit zu hinterlegen. Als eine Wette platzt, muss er aus London fliehen und sich in Amsterdam einen sichereren Unterschlupf suchen. Bloß da kommt er vom Regen in die Taufe. Vom mächtigen wie skrupellosen Konsortium VOC wird er auserkoren, Diebstahl von etwas unermesslich Kostbarem zu organisieren und durchzuführen. Die finanziellen Mittel werden gestellt.
Etwa die Hälfte des Buches beschreibt die Vorbereitungen und der Rest ist eine Reise voller Abenteuer in die Türkei, Hafen von Smyrna, von dort aus ins Landesinnere zum Berg, wo der Schatz Tag und Nacht bewacht wird, mit kurzem Zwischenaufenthalt in Neapel zu Karneval, und zurück nach Holland.
Besonders in der zweiten Hälfte wird es spannend. Konflikt auf Schritt und Tritt gibt es im gesamten Verlauf zw. allen Figuren, aber auf der Reise sind sie ergreifender.
Die Figuren sind schon sehr unterschiedlich. Dies betrifft sowohl Obediahs Mannschaft, die recht vielfältig und international ausfällt: eine junge, schöne Italienerin als Schauspielerin und Verwandlungskünstlerin, ein italienischer General reifen Alters, der in der Türkei einige Zeit verbracht hat und sowohl der Sprache als auch der Mentalität und der Kultur mächtig ist, als Pendant zu ihm ein französischer Jüngling. Dazu kommen der französische Meisterdieb des königlichen Geblüts, den man erst aus dem Knast befreien muss, ein dänischer Schiffskapitän und der kleinadelige Engländer Obediah, der Kopf der Unternehmung. Es gibt später auch Wandler, i.e. jemand, der anders ist, als er zu sein scheint. Zum Schluss trifft man auch den französischen König Louis XIV und seine Höflinge, wohnt dem Bäckeraufstand in Paris bei, usw.
Für die Figuren konnte ich mich absolut begeistern. Sie kamen mir so lebendig und zum Greifen nah vor: jede hatte seine Vorgeschichte, eigenen Charakter, eigene Ziele. Sie agierten so authentisch, dass ich sie auch Tage nach dem Ende des Romans vor meinem geistigen Auge herumwandern sah.
Abenteuer, die sich in mehreren Ländern abspielen, bereiten besonders den Fans von historischen Romanen einige vergnügte Lesestunden.
Fundierte Geschichtskenntnisse, sowohl vom Orient als auch vom Okzident, waren erforderlich, um diese beachtliche Menge an Details, die das Leben in Europa und in der Türkei von 1683-1686 vor Augen der Leser lebendig werden lassen. Die Atmosphäre mit den Realien der damaligen Zeit kommt gut zur Geltung, und erst recht die politische Lage mit all den Interessenvertretern und deren Intrigen.
Es gibt auch einige Überraschungen zum Schluss.
Was mich weniger begeistern konnte:
Vieles ist zwar clever eingefädelt: Man sieht, dass der Autor sich um bessere Darbietung Gedanken gemacht hat. Dennoch ist mir manches zu konstruiert vorgekommen.
Die Vorbereitungen in der ersten Hälfte waren mir stellenweise zu breit erzählt.
Obwohl es auch um die Liebe geht, ist es kein Liebesroman, eher ein Abenteuer vor historisch-politischer Kulisse.
Fazit: Ein guter Roman, auf jeden Fall solide Arbeit, eine enorme intellektuelle Leistung, die mir einige erfüllte Lesestunden bereitet hat. Ich vergebe gerne vier Sterne und eine Leseempfehlung für Fans historischer Abenteurerromane.