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Buchdoktor
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Deutschland
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Romane, Krimis, Fantasy und Sachbücher zu sozialen und pädagogischen Tehmen interessieren mich.

Bewertungen

Insgesamt 612 Bewertungen
Bewertung vom 02.01.2017
Mandela und Nelson
Schulz, Hermann

Mandela und Nelson


ausgezeichnet

Wer am Strand von Bagamoyo in Tansania, der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika, unterwegs ist, könnte dort Nelson oder Said treffen. Fischer werkeln an ihren Booten herum, die sie auf den Strand gezogen haben, Said wird im Akkord Fische schuppen und Nelson könnte nach einem Schiff aus Richtung Sansibar Ausschau halten. Nelson kam vor elf Jahren am Tag der Amtseinführung Nelson Mandelas zur Welt und wurde zu Ehren des südafrikanischen Präsidenten getauft. Dass seine Zwillingsschwester Mandela es eiliger als ihr Bruder hatte, auf die Welt zu kommen, ärgert Nelson noch heute. Der Vater der Zwillinge verlor von einem Tag auf den anderen seine Arbeit und gründete kurz entschlossen eine Schlangenfarm für Touristen. Jeden Morgen vor der Schule muss Nelson Futtertiere für die Schlangen fangen. Ratten sind Männersache, findet Vater Calvin. Auch andere Kinder aus Nelsons Klasse arbeiten regelmäßig. Schule, Arbeit und das Fußballtraining müssen deshalb gut geplant sein.

Trainer Nkwabi kündigt seiner Mannschaft ein Länderspiel gegen eine deutsche Jugendmannschaft an. Nelsons Team hatte bisher noch nicht einmal die Chance, gegen eine Mannschaft aus Tansania zu spielen. Und ausgerechnet jetzt sind deutsche Jugendliche angekündigt, die so diszipliniert sein sollen. Nkwabi ernennt Nelson zum Spielführer, entschwindet zu seinen Trommelkursen und ist damit die Sorge um die Organisation des Freundschaftsspiels los. Nelson rotiert. Wissen die Deutschen, dass in der Mannschaft in Bagamoyo drei Mädchen spielen? Ist das überhaupt erlaubt? Wie ist das mit den Schuhen, wenn man sonst immer barfuss spielt? Wie groß ist ein Spielfeld? Wie zieht man gerade Linien und wie sollen sie Netze für die Tore organisieren? Ganz zu schweigen davon, dass die Mannschaft erst noch motiviert werden muss! Sosovele, der im Ort lebt und schon mal für einen Europäischen Verein Fußball gespielt hat, wird um Rat gefragt. Er kommt zu einem vernichtenden Urteil über Nelsons Mannschaft: Ihr habt keine Disziplin und ihr versteht nichts von Psychologie. Wenn Sosovele sich da nur nicht irrt. Nelson zeigt sich als listiges Organisationstalent und holt schon einmal Informationen über die gegnerische Mannschaft ein. Als er sich deren Trainer vorstellt wird deutlich, dass Mister Willi sehr viel von Psychologie versteht. Willi findet Lösungen für Nelsons Probleme, ohne die afrikanische Mannschaft bloßzustellen. Bei der ersten Begegnung zwischen Gästen und Einheimischen kommt es zu urkomischen Szenen, weil jede Seite das Bild, das sie sich von "den anderen" gemacht hatte, schleunigst der Realität anpassen muss.

Nelson gewinnt mit seiner schlitzohrigen Verhandlungsführung sofort die Herzen der Leser. Mandela und ihre beiden Mit-Kickerinnen spielen leider nur ein Nebenrolle im Buch und werden auch bei der Illustration unterschlagen. Wenn der lange Otto und der kräftige Mirambo in der Aufstellung zu erkennen sind, warum nicht auch Hanan und Hanifa?

Hermann Schulz zeigt seinen deutschen Lesern am Beispiel Nelsons und seiner Fußballmannschaft, wie schwer es für afrikanische Kinder sein kann, Schule, Arbeit und Freizeit miteinander zu vereinbaren. Man spürt in der Geschichte, die für Fußballprojekte in Entwicklungsländern wirbt, deutlich den erwachsenen Erzähler, der nicht immer konsequent mit der Stimme eines Elfjährigen erzählt. Ein leicht zu lesendes Buch für Leser ab 10 Jahren.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.01.2017
Felix auf Ballhöhe in Südafrika
Eiles, Matthias;Fellmer, Tim-Thilo

Felix auf Ballhöhe in Südafrika


weniger gut

Deutsche Fußballspieler in Township und SOS-Kinderdorf in Südafrika

Felix spielt Fußball in der E-Jugend eines westfälischen Vereins. Gemeinsam mit einer Jugend-Mannschaft von Arminia Bielefeld erhält er die Gelegenheit zum Projekt "Auf Ballhöhe" nach Südafrika zu reisen. - Zuerst geht es nach Mpumalanga (bekannt durch den Krüger-Nationalpark), in die Paten-Provinz des Landes Nordrhein-Westfalen. Die kurze Fahrt vom Flughafen Johannesburg nach Witbank und Nelspruit in Mpumalanga ist für die meisten Südafrika-Besucher ein überwältigender Eindruck - farbig, extrem, man sieht aus dem Busfenster unzählige Menschen, die ersten Rundhütten, Kinder, die auf dem Kopf Wasserkanister von der Wasserstelle zu ihrem Dorf tragen. Kinder, die gerade aus Deutschland in Südafrika angekommen sind, haben zu diesen Bildern viele Fragen. Felix doziert gestelzt über eine "wunderschöne Landschaft" auf der Fahrt zum "liebevoll eingerichteten", "wunderschön dekorierten Hotel" . Der Begriff Gastfreundschaft fällt nur in Zusammenhang mit dem Komfort der Unterkünfte, er wird nicht durch die Begegnungen mit Südafrikanern gefüllt. - Die Reise führt die deutschen Besucher weiter nach Kapstadt ins Township Khayelitsha und in ein SOS-Kinderdorf. An allen Stationen werden Fußballprojekte mit einem Trainingsparcours organisiert, die Besucher haben Ball- und Trikotspenden für die Kinder mitgebracht. Felix nimmt die extremen sozialen Kontraste in seiner Umgebung nun aufmerksamer wahr. Als er seinen weit über den Platz hinaus geschossenen Ball zurückholt, zeigt Felix Vater, dass er Angst um seinen Sohn hatte, als der "draußen" unterwegs war. Zum Thema Kriminalität und Sicherheit in Südafrika kommt vom Vater während der Reise keine klare Ansage, er redet in Allgemeinplätzen um das brisante Thema herum. Der gut gemeinte Versuch Felix interkulturelles Verständnis zu fördern, wird erfolglos bleiben, solange Felix Vater die Fakten nicht offen ausspricht. - Den positiven ersten Eindruck, den das Buch durch seine überschaubare Textlänge und die farbigen Illustrationen erweckt, kann es beim genauen Hinsehen nicht halten.
+++ Gelungen sind die Illustrationen der Cartoonistin Uschi Heusel, die eindringlich die Atmosphäre in einem Township und einem ehemaligen Homeland Südafrikas vermitteln. Ihre Township-Bilder zeigen weit mehr Südafrika-Atmosphäre als der Text des Buches. Ein Sachteil verzeichnet auf 14 Seiten Landeskunde, Erläuterungen zum Text und weitere Informationsquellen. Bei der Schilderung interkultureller Begegnungen zwischen Sportlern lässt der Autor die Begeisterung der Kinder auf den Leser überspringen.
--- Nicht gelungen ist Tim-Thilo Fellmer, Südafrika als Land krasser sozialer Gegensätze zu schildern, in dem wohlhabende Weiße hinter hohen, mit Stacheldraht bewehrten Mauern leben, bewacht von Sicherheitspersonal und großen Hunden. Bewaffnetes Wachpersonal ist im Straßenbild allgegenwärtig und von den Besuchern kaum zu übersehen. Kinder, die in Südafrika zu Besuch sind, fragen in dieser Situation nach den Gründen von Gewalt und Kriminalität. Die Südafrika-Reise lässt Felix zwar erkennen, wie privilegiert er in Deutschland lebt; ohne logische Verknüpfung zu konkreten Eindrücken oder Gefühlen wird diese Einsicht die Leser jedoch kaum erreichen. --- Tim-Thilo Fellmer trifft selten den Ton eines Zehnjährigen. Felix spricht und denkt nicht mit eigener Stimme, sondern mit dem Wortschatz seines Vaters. "Wir drei entscheiden vorsichtshalber, den Rest unseres Eises anderen Orts fertig zu essen, und räumen ebenfalls das Feld. Wer weiß denn, ob der Affe nicht gleich zurückkommt und nach der Hauptspeise noch Lust verspürt, ein kleines Eis als Nachtisch zu schnabulieren ..." (S. 66) Spricht so ein Viertklässler? Der Text des Buches, das ungeübte Leser erst noch für sich gewinnen soll, wird durch die kaum authentische Sprache der Hauptfigur schwer lesbar und verliert erheblich an Glaubwürdigkeit

Bewertung vom 02.01.2017
Das Einstein-Mädchen
Sington, Philip

Das Einstein-Mädchen


ausgezeichnet

Die geheimnisvolle Unbekannte aus dem Wald von Caput
Im Wald von Caputh in der Nähe von Berlin finden 1932 zwei Jugendliche eine verletzte Frau. Als die Unbekannte aus der Bewusstlosigkeit erwacht, gibt sie an, sich an nichts mehr erinnern zu können. An der Erinnerungslücke meldet zumindest der Ermittler der Polizei Zweifel an; denn die Frau zeigt nur geringe Spuren körperlicher Verletzungen. Wegen ihrer Wahnvorstellungen wird die Unbekannte in der Psychiatrie der Berliner Charité behandelt. Um die Patientin sorgt sich auffällig der junge Psychiater Martin Kirsch. Einziges Indiz, das die Vergangenheit der Unbekannten enthüllen könnte, ist ein Fetzen Papier, auf dem noch die Ankündigung zu einem Vortrag Albert Einsteins zu erkennen ist. Die Frau, die sich selbst Maria nennt, wird deshalb in der Klinik das Einsteinmädchen genannt.

Kirsch ist sich sicher, dass seine neue Patientin keine so einfache oder gar mittellose Frau sein kann, wie sein Kollege Brenner annimmt. Kirsch darf nicht zu erkennen geben, dass er die geheimnisvolle Unbekannte schon vorher getroffen hat, wenn er seine zukünftige Karriere und die geplante Ehe mit seiner Verlobten Alma nicht gefährden will. Bereits mit seiner deutlichen Kritik an den Behandlungsmethoden seines Chefarztes hat Martin Kirsch sich in der Klinik in eine Außenseiterposition gebracht. Sington führt seine Leser nun auf den Spuren des jungen Mediziners ins ehemalige Scheunenviertel, in dem "Maria" gelebt hat, und zugleich in Martins Vergangenheit als Feldarzt im Ersten Weltkrieg. Martins Kriegserlebnisse und seine Auseinandersetzung mit dem Schicksal seines im Krieg vermissten jüngeren Bruders deuten daraufhin, dass der junge Psychiater seinen Patienten näher ist, als er sich selbst eingesteht. Wie Martin, der Mann mit den zwei Gesichtern, mit seiner bürgerlichen Existenz pokert, hat mich sehr viel stärker interessiert und gefesselt als das Schicksal der geheimnisvollen Unbekannten.

Die raffinierte Verschachtelung mehrerer persönlicher Geheimnisse mit Manuskript-Auszügen aus der Feder unterschiedlicher Personen schärft die Aufmerksamkeit für die spannende Geschichte. Mit dem historischen Hintergrund der 30er Jahre und den realen Personen Albert, Milena und Eduard Einstein führt Philip Sington seine Leser kenntnisreich ins Berlin des entstehenden Nationalsozialismus. Mit knappen Hinweisen auf historische Ereignisse (die Bücherverbrennung im Mai 1933 z. B.) wird man angeregt, sich in die einzelnen Personen des Romans hineinzuversetzen und sich zu fragen, wie viel sie damals von den Tagesereignissen erfahren haben. Den Stand des Wissens über psychische Erkrankungen zu Beginn des vorigen Jahrhunderts verdeutlicht der Autor am Beispiel der Schizophrenie und am Schicksal eines Patienten, der durch Kriegereignisse traumatisiert wurde. Zu Kirschs Zeiten hatte sich die Medizin zwar mit der Suche nach Heilungsmöglichkeiten beschäftigt, aber noch kaum nach den Ursachen psychischer Erkrankungen geforscht. Ein Stellenangebot, das Martin Kirsch erhält, weist auf die gerade entstehende Rassenforschung und ihre Suche nach der Vererblichkeit von "Geisteskrankheiten" hin.

Neben der raffiniert komponierten Handlung waren die sorgfältig formulierten eingeschobenen Manuskripte und Briefe für mich der stärkste Anreiz, das Buch zu lesen. Die geschärfte Aufmerksamkeit, mit der man beim Lesen nach feinen Zwischentönen und kleinsten Indizien aus dem Leben des geheimnisvollen Einsteinmädchen sucht, deckt leider auch flüchtig gearbeitete Passagen des Buches auf. Für die Zeit unpassende Ausdrücke (hat man sich damals in wörtlicher Rede gewünscht, eine Auszeit zu nehmen?) und nicht zu Ende gedachte Beschreibungen von Details unterbrechen an einigen Stellen den Lesefluss. Singtons spannende Geschichte aus dem Umfeld der Familie Einstein empfehle ich allen, die Freude an Romanen mit ausgezeichnet recherchierter historischer Kulisse haben.

Bewertung vom 02.01.2017
Die besten Beerdigungen der Welt
Nilsson, Ulf;Eriksson, Eva

Die besten Beerdigungen der Welt


ausgezeichnet

Ein würdiges Begräbnis für jede Hummel, Fliege oder Maus

Achtundzwanzig Gräber für Tiere hat die Firma Beerdigungen AG angelegt, jedes mit einem sorgfältig bemalten Feldstein, einem Grabkreuz und liebevoller Bepflanzung. Da Hummeln und Fliegen selten Vornamen haben, werden die toten Tiere zuerst feierlich getauft, damit alles seinen korrekten Gang gehen kann. Anschießend werden sie von Ester, Putte und dem Icherzähler, der kurze Hose und Fliege trägt, beigesetzt. Alles fing damit an, dass Ester eine tote Hummel fand, während der Kurzhosige gelangweilt auf der Küchenbank lümmelte. "Ich war klein ... und hatte Angst vor dem Leben und auch vor dem Tod. Ich kannte nicht mal jemand, der tot war." Ester hat natürlich keine Angst vor einer toten Hummel, sie schreitet entschlossen zur Tat und greift zum Spaten, während der Kurzhosige ihr mit Zettel und Stift folgt. Kleine Jungen in kurzen Hosen soll man nicht unterschätzen. "Ich" kann ausgezeichnet dichten und sorgt so für eine würdige Beerdigung der toten Hummel.

"Jemand muss nett sein und sich um all die toten Vögel, Schmetterlinge und Mäuse kümmern" beschließt Ester. Esters kleiner Bruder Putte darf mit auf die Suche nach toten Tieren gehen. Putte ist zwar so klein, "dass er nicht zählte", aber fortan für die Gefühle und die Tränen zuständig. Putte macht das sehr geschickt. Wenn er stirbt, werden Mama und Papa traurig sein, wird zu Puttes persönlichem Schlachtruf, während er beklommen die Hände zum Kinn führt. Ester ist der Boss, Ester telefoniert in der Nachbarschaft herum, ob die Dienste der Beerdigungen AG dort benötigt werden und Ester trägt als Respektsperson von nun an sehr professionell einen schwarzen Mantel. Das florierende Beerdigungsunternehmen benötigt einen Werkzeugkoffer mit Hammer, Holzlatten, Blumensamen und einem Vorrat an runden Steinen. Putte sorgt sich währenddessen, ob er auch einmal etwas Schönes mit in den Sarg gelegt bekommen wird. Ester muss zugeben, dass kleine Brüder doch zu etwas gut sind: "Du schreibst echt saugute Gedichte" lobt sie Putte. Bisher hatten die Kinder die Tiere stets tot erlebt, doch einmal werden sie Zeuge, wie eine Amsel verunglückt und vor ihren Augen stirbt. Der Kurzhosige vergisst seine Angst und Ester muss zum ersten Mal in der Geschichte weinen. Und wem das alles viel zu traurig scheint, der kann sich damit trösten, dass die Kinder am nächsten Tag "etwas ganz anderes" machten.

Eva Eriksson und Ulf Nilsson haken mit ihrer Geschichte der Beerdigungen AG an dem Punkt ein, an dem auch viele Eltern zum ersten Mal mit ihren Kindern über den Tod sprechen - wenn sie ein totes Tier finden und gemeinsam mit den Kindern begraben. Wer erinnert sich nicht an ein liebevolles Hamster- oder Vogel-Begräbnis in seiner Kindheit. Das Ritual des Taufens, Begrabens und Gedicht-Schreibens bietet Kindern Sicherheit, Trost und die Gelegenheit über Ängste und Gefühle zu sprechen. Die Autoren behandeln ihr ernstes Thema mit viel Fingerspitzengefühl und Humor. Augenzwinkernd lassen sie uns ganz nebenbei die besondere Geschwister-Beziehung zwischen großer Schwester und kleinem Bruder miterleben. Nur wer "Ich" ist, muss jeder Leser selbst raten.

Bewertung vom 02.01.2017
Paulas Reisen
Maar, Paul

Paulas Reisen


ausgezeichnet

Paula will nicht angepasst werden
Paula springt mit einem elegante Kopfsprung in einen roten See und verliert dabei einen Strumpf. Fische flüchten, winzige Chamäleons retten sich mitsamt ihren Koffer-Trolleys in letzter Minute auf einen Boots-Steg. Doch noch mal von Anfang an. Paula träumt, dass sie mit ihrem Teddy in einen Wald aus Kugeln marschiert. Bienen umschwirren die baumartigen Kugeln und Bienen stecken ihre neugierigen Rüssel aus kleinen Öffnungen heraus. Auf einem Porzellan-Klobecken mit elegantem blauen Rand thront der Kugelkaiser, neben ihm auf einem Kindertöpfchen sein trübsinniger Sohn, der mehr einer Orange ähnelt als einem Prinzen. Paula kommt mit Teddy im Schlepptau auf dem meterlang ausgerollten Klopapier anmarschiert. Doch Paula ist, so wie sie ist, hier nicht erwünscht, sie wird "der Gegend angepasst" und sieht nun aus wie ein hölzerner Polizist. Als Paula erfährt, dass eckige Dinge wie Schokoladentafeln hier verboten sind, schneidet sie ein rundes Loch in den Boden und "fällt und fällt - und landet in der nächsten Welt". In der Welt der Dreiecke wohnt man in spitzgiebeligen Häusern und reist in gefalteten Papierschiffchen. Auch hier soll Paula angepasst werden, doch sie zeichnet schnell ein Rechteck und verschwindet durch dieses Fenster in die nächste Welt. Bevor im Land der roten Töne die Farbenpolizei Paula in ihrem unangepassten karierten Schlafanzug finden kann, springt Paula in den roten Teich. In der nächsten Welt reitet der König kopfüber an der Decke, die Menschen sitzen unterm Tisch und trinken aus Tassen, die auf dem Kopf stehen. Teddy findet die verkehrte Welt so toll, dass er sich gemeinsam mit dem Faultier kopfüber ans Lampenkabel hängt. Paula flüchtet auch aus dieser Welt - und landet wieder in ihrem Kuschelbett, gerade rechtzeitig zum morgendlichen Wecken.

Paul Maar überspitzt in "Paulas Reise" das Anderssein in ganz unterschiedlichen uniformen Welten, in denen Paula ihren Traum hindurch stets Paula bleibt. Kinder lieben den vertrauten Rhythmus aus Paulas Ankommen in einer phantastischen Welt, den Übergang in eine neue verrückte Welt auf der Flucht vor dem Angepasstwerden, Paulas sichere Heimkehr und nicht zuletzt die stetige Wiederholung des "und Paula fällt und fällt". Ein mit Sinn für witzige Details von Eva Muggenthaler gestaltetes Bilderbuch, das nicht nur kleinen Paulas Freude bereitet.

Bewertung vom 02.01.2017
Jedes Kind kann rechnen lernen
Zimmermann, Klaus R.

Jedes Kind kann rechnen lernen


ausgezeichnet

Der Mathematiker Klaus R. Zimmermann interviewt seine neuen Schüler anstatt sie zu testen. Zimmermann möchte z. B. wissen:. "Wie viele Muggelsteine haben wir jetzt zusammen?" "Wie hast du das gerechnet?" "Mit den Fingern?" "Kannst du mir zeigen, wie du das gerechnet hast?" So erfährt er aus ihren Lösungsstrategien, warum sie von einem bestimmten Punkt an dem Mathematik-Unterricht der Grundschule nicht mehr folgen konnten und selbst Nachhilfe zu keiner Besserung ihrer Leistungen führte. Im Gegensatz zu den meisten Ratgeberbüchern zur Förderung von Mathematik-Leistungen sieht Wittmann schon den Begriff Rechenschwäche kritisch, der von einer organisch bedingten Störung (Hirnfunktionsstörung) oder einer Teilleistungsstörung (Wahrnehmungsstörung) ausgeht, wie sie häufig durch kinderpsychiatrische Gutachten dokumentiert wird. Wittmann dagegen erklärt Rechenschwäche entwicklungspsychologisch und sieht den Grund u. a. in methodischen Schwächen des Mathematikunterrichts der Grundschulen. Trotz befriedigender Leistungen hätten Kinder auch in höheren Klassenstufen Probleme in Mathe, wenn sie in der 1. und 2. Klasse grundlegende Zusammenhänge nicht verstanden hätten.

Ist die Rechenschwäche eines Kindes erst erkannt, fügen sich im Rückblick für viele betroffene Eltern einzelne, wenig spektakuläre Beobachtungen zum Bild. Eltern beobachten, dass ihr Kind ungern zur Schule geht und mit psychosomatischen Beschwerden auf die ständigen Misserfolge reagiert. Häufig gibt es Streit bei der Erledigung der Hausaufgaben. Der Schüler kann nicht erkennen, welcher Lösungsweg zum korrekten Ergebnis führt. Erklärungsversuche einiger Eltern, ihr Kind sei faul, es könne sich schlecht konzentrieren, treffen im Fall ernster Mathematikprobleme selten zu. Nachhilfeunterricht wird erfolglos bleiben, wenn Kinder rein mechanisch üben oder den Rechenweg auswendig lernen, ohne ein Verständnis für Zahlen und Mengen zu entwickeln. Umwelt des Kindes an Rechenprozesse geknüpft werden können, wird das Auswendiglernen des Einmaleins sinnloses Pauken bleiben. Einige der von Zimmermann vorgestellten Hilfsmittel, um Kindern ein konkretes Zahlenverständnis zu vermitteln, sind aus der Montessori-Pädagogik bekannt (Abakus, Dienes-Blöcke, Rechenketten, Hundertertafel, Tausenderbuch, Ziffernplättchen).

"Jedes Kind kann rechnen lernen" erklärt, warum Kinder mit Rechenschwäche dem Mathematik-Unterricht in der Grundschule von einem bestimmten Punkt an nicht mehr folgen können. Was genau geschehen muss und wie Eltern ihr Kind unterstützen können, beschreibt der Autor in seinem übersichtlich gegliederten Ratgeber plausibel. Jedes Kapitel des Buches endet mit einer knappen Zusammenfassung der wichtigsten Fakten.

Aus meiner Perspektive als Mutter, die Hausaufgabenhilfe für Grundschüler organisiert hat, kann ich Zimmermanns Erklärungen in allen Punkten bestätigen. Gerade Eltern, die selbst nur schwer nachvollziehen können, warum ihr Kind sich mit "ein paar Rechenaufgaben" so schwer tut, ersparen sich mit Zimmermanns Elternratgeber zeitraubende Umwege, erhebliche Kosten und unnötige Tränen bei den Hausaufgaben. Eltern betroffener Schüler und Laien, die Kindern bei den Hausaufgaben helfen, müssen sich ihr Wissen über den Prozess des Rechnenlernens oft mühsam zusammensuchen. Vermisst habe ich im Buch einen Hinweis, wie Eltern die anstrengende Zeit optimal organisieren können, in der ein sowieso demotiviertes Kind die regulären Hausaufgaben erledigen muss (die es aufgrund seiner Rechenschwäche aktuell nicht bewältigen kann) und zusätzlich Unterricht erhält, um das Mengen- und Zahlenverständnis zu fördern. Um mit seinem Ratgeber möglichst viele betroffene Eltern zu erreichen, sollte Klaus Zimmermann Textabschnitte, die sich nicht auf mathematische Sachverhalte beziehen, verständlicher formulieren. Aus diesem Grund bewerte ich seinen Eltern-Ratgeber mit nur 4 Sternen.

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Bewertung vom 02.01.2017
Erklär mir die Liebe!
Dobrick, Barbara;Schoonbrood, Esther

Erklär mir die Liebe!


ausgezeichnet

Gelungene Verbindung von Fakten, Einfühlung in Eltern und Jugendliche und Gesprächsanregungen
"Erklär mir die Liebe", gemeinsam geschrieben von einer Journalistin und einer Ärztin, die Mutter von Töchtern ist und an Schulen Sexualkunde unterrichtet, richtet sich an Mütter von Töchtern. Die Autorinnen stellen klar, dass sie nicht allein über den weiblichen Körper, sowie seelische und körperliche Veränderungen während der Pubertät informieren wollen. Mit der Verbindung aus Sachinformationen, Einblick in die Gefühlswelt Jugendlicher und konkreten Gesprächsanregungen wollen sie Mütter ermutigen, ihre Töchter durch offene Gesprächen vor Erlebnissen zu bewahren, für die die jungen Frauen sich noch nicht bereit fühlen. Dazu gehören gewalttätige Doktorspiele unter Kindergartenkindern, frauenfeindliche Pöbeleien, Pornografie, unangenehme Erlebnisse beim Chatten und erste sexuelle Erfahrungen unter dem Druck, dazugehören zu wollen. Die genannten Erlebnisse könnten Kinder in der falschen Vorstellung aufwachsen lassen, all dies sei normal und sie müssten sich als Erwachsene selbst einmal so verhalten. - Die Autorinnen räumen mit der falschen Einschätzung auf, dass Kinder durch den Einfluss der Medien heute schon früh umfassend über Sexualität informiert seien und Aufklärungsgespräche damit unnötig. Die sexualisierte Sprache einiger Kinder und ihre kühne Behauptung, es bestehe kein Informationsbedarf, sollte Eltern nicht über Wissenslücken hinwegtäuschen und die Tatsache, dass unter Jugendlichen nur noch selten von Liebe die Rede ist. Schoonbrood/Dobrick teilen Winterhoffs These Warum unsere Kinder Tyrannen werden: Oder: Die Abschaffung der Kindheit, dass Kinder zunehmend nicht ihrem Entwicklungsstand entsprechend erzogen werden und von ihren Eltern keine Grenzen gesetzt bekommen. Wer zu früh wie ein gleichberechtigter Partner behandelt würde, könne nicht mehr lernen, sich vom eigenen Gewissen leiten zu lassen. Im Gegensatz zu Winterhoff, der den Zustand beklagt und Eltern in seinem ersten Buch noch keine Hilfe bietet, nimmt Schoonbrood elterliche Sorgen um das zu frühe Ende einer behüteten Kindheit ernst und hält eine Fülle von Ratschlägen aus ihrer sexualpädagogischen Praxis parat. Die angeführten Beispiele aus dem Sexualkunde-Unterricht in Schulklassen kann jede Lehrkraft bestätigen; die Autorinnen untermauern ihre Einschätzungen mit den Ergebnissen einer Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter 14- bis 17-Jährigen im Jahr 2006. - Ob es um die Verantwortung des männlichen Partners für Verhütung, um Lust und Orgasmus, um ungeplante Schwangerschaften, sexuellen Missbrauch oder den Besuch beim Frauenarzt geht, die offenen Worte der Autorinnen sind realistisch. Sie nehmen Stellung zu sämtlichen Spielarten von Pornografie und Gewalt, mit denen Jugendliche im Internet konfrontiert werden, zu den Auswirkungen verzerrter Darstellungen von Sexualität in der Rap-Musik und zur alltäglichen, sexuell motivierten Anmache auf dem Schulhof. - Wer selbst die Richtung und die Normen im Leben seiner Kinder bestimmen wolle, dürfe sich nicht vor unangenehmen Gesprächen scheuen, aus Angst, damit selbst zum Ende der Kindheit beizutragen. Eltern müssten ihre Kinder darin bestärken, Anzüglichkeiten und Grenzverletzungen deutlich zurückzuweisen, und konsequente Grenzsetzung auch von Erziehern und Lehrern ihrer Kinder einfordern. - "Erklär mir die Liebe" verbindet auf sprachlich hohem Niveau sorgfältig recherchierte Informationen mit liebevoller Einfühlung in die Zeit der Pubertät. Das Buch konfrontiert Eltern und Erzieher mit unbequemen Tatsachen und bietet ihnen zugleich Gesprächsanregungen. Für erwachsene Lesemuffel ist das Buch aufgrund des Textumfangs weniger geeignet, für interessierte Jugendliche (die ja auch einmal Kinder erziehen werden) empfehle ich es ab 14 Jahren.

Bewertung vom 02.01.2017
Die Krokobären
Orinsky, Eva

Die Krokobären


ausgezeichnet

Auch im Märchen trennen sich Eltern
Baba der Bär hat sich in eine Krokodil-Dame verliebt. Sein Schwarm ist grün, hat wunderschöne Augen und lebt im Fluss. Obwohl Krokos Eltern vor Bären warnen und die Bären-Mädchen eifersüchtig auf die grüne Konkurrenz sind, lieben sich Bär und Kroko innig. Kroko wird schwanger und legt im Fluss zwei Kroko-Bären-Eier. Mit Koba und Bako, die aus den Eiern schlüpfen, bildet das junge Paar nun eine Familie. Jeder Partner hat sehr bestimmte Vorstellungen, wie die jungen Krokobären aufgezogen werden sollen; Baba hat kleine Säugetiere im Sinn und Kroko kleine Reptilien. Die Krokobären haben von jedem Elternteil etwas geerbt, sie mögen den Fluss und den Wald. Anders als für die Kinder wird für die Eltern ihre Verschiedenheit zum Problem, sie suchen den Rat der weisen Eule Oka. Oka empfiehlt Kroko, am Fluss zu leben und Baba im Wald, die Kinder sollen zwischen den Eltern pendeln. Bald findet Baba eine neue Freundin und auch Kroko beginnt ein neues Leben. ... Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

"Die Krokobären", enthält ein Tiermärchen des Therapeuten Peter Müller-Egloff, das Eva Orinsky illustriert hat. Selbst kleinen Kinder verdeutlicht Eva Orinsky bildhaft, warum sich die Träume eines Bären und eines Krokodils nicht miteinander vereinbaren lassen. Die Verschiedenheit der beteiligten Tier-Familien verkörpern Koba mit ihrem Krokodilkopf auf einem Bärenkörper und Bako mit seinem Krokodilkörper und Bärenkopf. Kurz nach der Trennung von Bär und Kroko, die sachlich und ohne Schuldzuweisungen gezeigt wird, endet die Geschichte. Unter der Überschrift "Wie sie ihr Kind unterstützen können" gibt die Familientherapeutin Eltern Anregungen, wie sie mit ihren Kindern über die Trennung der Eltern sprechen können. Ein Memory-Spiel mit Spielanleitung kann in der therapeutischen Praxis und auch in Familie oder Kindergarten helfen, über Gefühle in der schmerzlichen Situation zu sprechen. Im Kapitel für Eltern geht die Autorin auf die Zeit nach der Trennung mit Schuldgefühlen, Wut oder Enttäuschung ein. Der kurze Text spricht wichtige Aspekte aus dem Alltag getrennt lebender Eltern an und endet mit der Ermutigung, Beratung oder Therapie in Anspruch zu nehmen. Unter den empfohlenen Internetadressen finden Betroffene weiteres Informationsmaterial zum Bestellen oder Herunterladen.

Die streng geschlossene Form des Tier-Märchens kann besonders Kindern im Märchenalter zwischen 4 und 6 Jahren durch wiederholtes Vorlesen oder Erzählen Trost und Sicherheit vermitteln. Märchen sprechen nicht allein Kinder an, sie werden auch von vielen Erwachsenen als tröstend empfunden. Eva Orinsky erzählt die Geschichte von Baba und Kroko in ihrer Beratungspraxis betroffenen Eltern - zum Weitererzählen.