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⇢ Ich bin: Ex-Buchhändlerin, Leseratte, seit 2012 Buchbloggerin, vielseitig interessiert und chronisch neugierig. Bevorzugt lese ich das Genre Gegenwartsliteratur, bin aber auch in anderen Genres unterwegs. ⇢ 2020 und 2021: Teil der Jury des Buchpreises "Das Debüt" ⇢ 2022: Offizielle Buchpreisbloggerin des Deutschen Buchpreises

Bewertungen

Insgesamt 735 Bewertungen
Bewertung vom 29.07.2014
Der eiserne Wald / Skylark Bd.1
Spooner, Meagan

Der eiserne Wald / Skylark Bd.1


ausgezeichnet

Wenn ich das Buch beschreiben müsste, würde ich sagen, es ist eine originelle, spannende Mischung aus Dystopie und Urban Fantasy. Auf den ersten Blick erscheint die Welt, in der Lark lebt, vielleicht wie ein Paradies, aber schnell entpuppt sich dieses Paradies als schöner Schein. Tiere sind schon lange ausgestorben. Die Welt außerhalb der Mauer ist tödlich und das Heim von "Denen", einer Art Zombies. Die Gesellschaft wird von den "Architekten" regiert, die fast schon eine Art Adelsstatus haben.

In einem gewissen Alter, meist zwischen 11 und 12 Jahren, werden alle Kinder "geerntet" - das heißt, ihnen wird ihre "Ressource" abgeschöpft und dazu benutzt, Maschinen anzutreiben, Licht zu erzeugen und einiges mehr. Die "Ressource" ist eine Art Energie, die nur hinter vorgehaltender Hand als Magie bezeichnet wird. Nach der "Ernte" wird jedem Kind seine Rolle in der Gesellschaft zugeteilt, ungeachtet dessen, was das Kind selber vom Leben will, und wenn es diese Rolle nicht zufriedenstellend erfüllt, wird es "neu ausgerichtet"... Und dennoch freut sich jedes Kind auf die Ernte, denn erst danach gilt es als erwachsen - und kann bei einer verschwenderischen Party frische Lebensmittel essen, die es sonst nie zu sehen bekommt, denn Lebensmittel (und sauberes Wasser) sind streng rationiert, und die Zuteilung hängt vom Status der Familie ab.

Die Autorin lässt viele tolle, originelle Ideen ganz nebenher in die Geschichte einfließen: Die mechanische Sonne, die sich morgens knirschend erhebt und abends mit viel Getöse untergeht. Fleischfressende Bäume. Mechano-Tiere. Energiegeister. Schattenmenschen. Die Welt ist gut durchdacht und wird bildhaft, intelligent und mitreißend beschrieben! Im Laufe des Buches war ich immer wieder freudig überrascht, dass sich die Geschichte viel komplexer und vielschichtiger entwickelte als erwartet - und gelegentlich auch grausamer.

Auch die Charaktere haben mit gut gefallen, allen voran die Protagonistin, Lark. Sie ist ein "Blindgänger", d.h., sie ist zu Beginn des Buches schon 15 und wurde noch nicht geerntet. Sie sehnt sich danach, aber dann wird ihre Ernte zum Albtraum... Gut fand ich, dass sie nicht über Nacht zur selbstbewussten Heldin wird: sie hat furchtbare Angst, sie weiß nicht, was sie tun soll, aber weil sie keine andere Wahl hat, flüchtet sie und findet sich in einer Welt wieder, die für sie furchtbar fremd ist. Sie hat noch die den freien Himmel gesehen und hat richtige Panik davor! Von Gewittern und Ähnlichem ganz zu schweigen. Aber man kann ihr auf ihrem Weg zum Eisernen Wald quasi zusehen, wie sie an ihren Herausforderungen wächst und zu einer viel selbstbestimmteren, mutigeren Person wird.

Einer meiner Lieblingscharaktere ist Nix, ein "Kobold" - eine kleine Maschine, die eigentlich vom Staat zur Überwachung eingesetzt wird. Aber Maschinen sind in diesem Buch nicht immer nur Maschinen, und so entwickelt Nix nach und nach eine Persönlichkeit. Er ist einfach süß!

Dann gibt es noch Oren, über den ich quasi nichts verraten kann, ohne die Überraschung zu verderben. Nur soviel: er ist ein mysteriöser Charakter voller Geheimnisse und Abgründe, und dennoch wurde er mir immer sympathischer. Lark ertappt sich schnell dabei, dass sie für ihn Gefühle entwickelt, aber es gibt vieles, was dem ihm Wege steht! Ob diese Liebe überhaupt eine Chance hat - verrate ich nicht, aber sagen wir mal, in diesem Buch sollte man keine einfache Lösung erwarten!

Fazit:
Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Buch Fans der folgenden Bücher anspricht: "Unsterblich" von Julie Kagawa, "Angelfall" von Susan Ee, "Retra" von Marianne de Pierres, "Göttersturz" von Lars Schütz, "Breathe" von Sarah Crossan, "Der eiserne Wald" von Chris Howard... Eine wirklich originelle, dystopische Fantasy-Geschichte mit einer sympathischen Heldin und voller unerwarteter Wendungen. Daumen hoch!

Bewertung vom 28.07.2014
Wettlauf in der Nacht
Taylor, Thomas

Wettlauf in der Nacht


ausgezeichnet

Thomas Taylor hat früher als Illustrator gearbeitet und unter anderem das Titelbild von "Harry Potter and the Philosopher's Stone" entworfen. Ob er von diesem Buch inspiriert wurde? Denn "Wettlauf in der Nacht" ist sein erster eigener Roman, und ich könnte mir vorstellen, dass er die gleichen (nicht nur jugendlichen) Leser anspricht, die auch die "Harry Potter"-Bücher verschlingen!

Wie J.K. Rowling hat auch Thomas Taylor ein Auge für die liebevollen kleinen Details, die ein Buch zu etwas Besonderem machen. Viele kreative Einfälle haben mich bezaubert, und besonders solche wie "Das Museum der Dinge, die es nie gab" haben mich schmunzeln lassen. Würde dieses Museum nicht auch in die Winkelgasse passen?

Versteht mich nicht falsch: "Wettlauf in der Nacht" kupfert keineswegs bei "Harry Potter" ab! Es vermittelt nur eine ähnliche Atmosphäre, und ein ähnliches Gespür für sympathische (oder auch weniger sympathische) Charaktere, die einzigartig und voller Leben aus den Seiten springen. Hier gibt es kein Hogwarts, dafür das Traumwandler-Projekt: eine geheime Organisation jugendlicher Agenten, deren Aufgabe es ist, durch die Zeit zu reisen und die Geschichte zu studieren - und zu verhindern, dass die Heimsuchung in die Geschichte eingreift. Auch die Heimsuchung bedient sich jugendlicher Zeitreisender, aber ihnen geht es nicht um das Verständnis der Geschichte, sondern um Geld und Macht. Sie erpressen oder bestechen in der Vergangenheit Menschen, und es ist ihnen völlig egal, was sie damit anrichten. Und auch vor Mord schrecken sie nicht zurück...

David ist ein sehr sympathischer Held. Er hat sich nie für etwas Besonderes gehalten, nur für einen Jungen, der besonders lebhafte und spannende Träume hat. Dass in diesen Träumen immer der gleiche Junge auftaucht, nämlich der außergewöhnlich intelligente aber leicht schrullige Eddie, kommt ihm zwar seltsam vor, aber - was soll das schon bedeuten? Es sind ja nur Träume!

Eddie ist mein Lieblingscharakter. Er war immer schon kränklich und wurde deswegen zuhause unterrichtet, und dadurch hat er so gut wie keinen Kontakt zu Gleichaltrigen gehabt. Und das merkt man! Er benimmt sich oft eher wie ein gediegener Forscher mittleren Alters als ein Teenager. Er schleppt immer Schulhefte mit sich herum in die er seine Beobachtungen, Thesen und zu beantwortende Fragen einträgt. Aber es steckt noch weit mehr hinter Eddie... Über das ich hier noch nichts verraten will!

Adam ist... nun, über Adam kann ich wirklich nichts sagen, ohne zuviel von der Handlung zu verraten, aber auch er ist ein interessanter, komplexer Charakter!

Es gibt auch viele andere Charaktere, die mich völlig überzeugt haben - sie sind einfach stimmig und überzeugend!

Das Buch fängt nicht nur spannend an, es bleibt spannend bis zum Schluss. Denn das Traumwandler-Projekt findet sich schnell in einem Krieg wieder, und David, Eddie und Adam sind mittendrin! Es gibt immer wieder unerwartete Wendungen, so dass die Geschichte immer interessant bleibt.

Es gibt keine kitschige Liebesgeschichte - aber durchaus eine erste, kribbelnde Verliebtheit. Ich fand das sehr altersgerecht (das Buch wird für 12 bis 15 Jahre empfohlen) und süß.

Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen. Er ist eher einfach, aber nicht langweilig. Flüssig zu lesen, und dabei einfallsreich, mit viel Gespür für Details und einer Prise Humor. Für mich hatte er genau das richtige Tempo, und die Übersetzung ist wirklich gut gelungen!

Fazit:
Zeitreise, "Geister" und zwei geheime Organisationen, die jugendliche Agenten einsetzen... Die Mischung ist spannend, originell, super zu lesen und voller lebensechter Charaktere. Auch eine Prise Humor fehlt nicht, und so hatte ich das Buch in Nullkommanix durch und habe es durchweg zufrieden zugeschlagen! Hier gibt es zwar keine Magierschule, aber ich könnte mir dennoch vorstellen, dass das Buch die gleiche Leserschaft anspricht wie Harry Potter.

Bewertung vom 27.07.2014
Wächter der Lüge / Rostigan & Tarzi Bd.2
Bowring, Sam

Wächter der Lüge / Rostigan & Tarzi Bd.2


gut

ACHTUNG: es handelt sich hier um den zweiten Band einer Dilogie! Meiner Meinung nach kann man diesen Band nicht lesen, ohne den ersten gelesen zu haben.

Leider muss ich sagen, dass ich mich durch das erste Drittel geradezu durchgequält habe. Der Leser wird direkt wieder mitten in die Geschichte geschmissen, mit all ihren verwickelten Wendungen und ihren zwiespältigen Charakteren. Das könnte ja eigentlich ein spannender Einstieg sein, aber ich war hauptsächlich verwirrt. Wer war das nochmal? Moment, wieso...? Was...? Die vielen Details haben mir den ersten Band nicht wieder in Erinnerung gerufen, sondern mich eher überfordert. Bei der komplexen Handlung und der schieren Masse an Charakteren wäre ich sehr dankbar gewesen für ein knackiges, gradliniges "Was bisher geschah"!

Aber: die vom Autor erdachte Welt ist immer noch dicht, komplex und gut durchdacht. Es dauerte ~120 Seiten, bis ich wirklich wieder in sie eintauchen konnte, aber dann war ich auch aufs Neue begeistert! Der Leser bekommt hier so viel aufregend Neues und Eigenes geboten, ein Feuerwerk der originellen Einfälle - definitiv keine Fantasy-Massenware.

Die Charaktere erschienen mir im ersten Drittel weniger glaubhaft, weniger vielschichtig als im ersten Band. Aber danach erblühten sie nach und nach zu neuem Leben, und mir fiel wieder ein, wie beeindruckt ich von ihnen in "Herr der Tränen" gewesen war. Da ist immer noch dieser reizvolle Kontrast zwischen Gut und Böse - zwischen der wahren, menschlichen Natur der Wächter und ihrem von Regrets Magie korrumpierten Selbst. Kann man einen Menschen wirklich böse nennen, der im Prinzip nichts dafür kann, dass er böse ist? Ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem Wille und Vorsatz nicht mehr zählen, sondern nur noch das Ergebnis? Auch die Entflochtenen spiegeln dieses Motiv wieder: abstoßende, tragische Gestalten - von Regrets Magie ihrer Menschlichkeit beraubt.

Obwohl es ein paar Charaktere gibt, die zarte Bande knüpfen, steht die Romantik nie wirklich im Vordergrund. Dazu passiert einfach zuviel: die Helden sind mit tausend Dingen beschäftigt, die Welt ist grausam und zerrissen... Aber durch diese zarten Bande zeigt sich die menschliche Natur von Helden, die hart darum kämpfen müssen, ihre menschliche Seite nicht zu verlieren.

Je mehr die Charaktere im Laufe des Buches wieder an Dimension gewannen, desto flüssiger und spannender wurde die Geschichte für mich, und desto mehr zog auch das Tempo an! Das Ende hat mich dann keineswegs enttäuscht. Ich fand es passend, und meiner Meinung nach ist dem Autor die perfekte Mischung gelungen: befriedigend, aber glaubwürdig.

Der Schreibstil schwingt sich in meinen Augen nur selten zur gleichen Brillanz empor wie im ersten Buch. Besonders im ersten Drittel war er für mich sperrig und schleppend, und danach fand ich ihn gut lesbar, aber wenig aufregend.

Wenn die verschiedenen Arten von Humor Süßigkeiten wären, dann wäre Sam Bowrings böser, schwarzer Humor Lakritze - die bittere Sorte für Erwachsene. Mir gefällt dieser Humor prinzipiell sehr gut, und er sorgt in spannenden oder grausamen Szenen für etwas Auflockerung. Nur manchmal war er mir etwas zu bemüht!

Leider muss ich auch einen meiner Kritikpunkte zum ersten Band wiederholen: die gelegentlich grundlose (und eklige!) Gewalt. Sie erfüllt meiner Meinung nach oft keinen wahren Zweck außer dem, einen Charakter abgrundtief böse erscheinen zu lassen - und aus eigentlich komplexen Charakteren werden dadurch überzogene, eindimensionale Bösewichte.

Fazit:
Ich würde gerne sagen: wer den ersten Band mochte, wird den zweiten Band lieben - aber das ist leider nur eingeschränkt wahr. Das erste Drittel zog sich für mich wie Kaugummi, aber dann wurde es zunehmend spannend, die Charaktere gewannen deutlich an Leben, und mir fiel wieder ein, dass Sam Bowring vor allem eines ist: originell und auf gute Art und Weise unbequem. Meiner Meinung nach lohnt es sich, bis zum Ende durchzuhalten!

Bewertung vom 24.07.2014
Wunderdinge

Wunderdinge


ausgezeichnet

"Wunderdinge" hat mich durch einen Zufall und eine Verwechslung erreicht - und ich bin froh darüber, denn es ist ein wunderschön gestaltetes Bilderbuch voller poetischer, humorvoller, märchenhafter und einmaliger Illustrationen, das sicher nicht nur für Kinder ein echtes Schmuckstück ist!

Kindern ab 6 Jahren werden über die Bilder klassische Geschichten nähergebracht - zeitlose Geschichten, die ich in meiner Kindheit schon gelesen habe, und die auch in den Generationen davor Kinder verzaubert haben. Eine tolle Auswahl, die zeigt, dass Weltliteratur immer noch spannend und lebendig sein kann!

In den Illustrationen kann man immer wieder neue, mit Liebe gezeichnete Details finden, die den Bildern Leben einhauchen und mehr sind als nur nebensächlicher, hübscher Schmuck - die Bilder sind für das Gesamtwerk genauso wichtig wie die Geschichten, und für Kinder sicher ein ganz großer Anreiz, sich mit ihnen zu beschäftigen.

Fazit:
Ein ganz besonderes Bilderbuch für Kinder und ihre Eltern, in denen klassischen Geschichten durch die wunderbaren Illustrationen neues Leben eingehaucht wird!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.07.2014
Auf dunklen Pfaden / Mette Minde Bd.2
Junker, Merete

Auf dunklen Pfaden / Mette Minde Bd.2


ausgezeichnet

"Auf dunklen Pfaden" gehört zu den Büchern, die ich erstmal ein paar Tage "sacken" lassen muss, bevor ich sie rezensiere. Nicht, weil es mir nicht gefallen hätte, ganz im Gegenteil! Sondern weil es wesentlich mehr Tiefgang bietet, als ich von einem Krimi für gewöhnlich erwarte.

Natürlich fiebert man als Leser der Auflösung entgegen, spinnt seine eigenen Theorien, warum der junge Arvo Pekka sterben musste, lässt sich überraschen von den schockierenden Wendungen... Aber zu der klassischen Krimi-Spannung kommt eine psychologische Spannung, ein düster-bedrückend-tragischer Sog, bei dem die Autorin mit viel Feingefühl die Hoffnungen, Träume, Ängste, den geheimen Groll und Neid ihrer Protagonisten vor den Augen des Lesers entfaltet. Das ist auf ganz eigene Art und Weise spannend, und ich habe das Buch kaum zur Seite legen können. Ich fand diese Mischung und den Stil der Autorin sehr packend und originell.

Eine ganz große Stärke dieses Krimis sind die Charaktere. Da haben wir natürlich den Jungen, der sich umgebracht hat, und dessen Leben auch mehr als genug Grund dafür bot: sein Vater hat seine Mutter brutal ermordet. Ist er nach all den Jahren letztendlich daran zerbrochen? Vor seinem Tod hat er an einem Film über sein Leben gearbeitet, aber der scheint verschwunden zu sein... Erst so nach und nach lernen wir als Leser, in Arvo Pekka nicht nur das Opfer, sondern einen bemerkenswerten Menschen zu sehen. Einer der Menschen, die ihm in seinem kurzen Leben am nächsten standen, war Aron Sturm, der Lehrer seiner Film-Klasse, und der ist ein sehr zwiespältiger Charakter - er sucht beinahe verzweifelt die Freundschaft seiner Schüler, und nachdem er mir deswegen erst suspekt war, habe ich nach und nach ein tiefes Mitgefühl für ihn entwickelt. Dann ist da natürlich die Journalistin Mette Minde, die eigentlich viel lieber Polizistin wäre - und sich sicher auch deswegen mit Leib und Seele in Arvos Fall stürzt, nicht nur aus Mitleid -, und nicht zuletzt gibt es noch die Zwillingsschwestern Idun und Ylva, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ylva ist die Beliebte, die auch zur angesagten Film-Clique und damit zum Umfeld von Arvo gehörte, und Idun ist die Brave, die immer in ihrem Schatten lebt.

Zwillinge und ihre Beziehung zueinander, das ist ohnehin ein Motiv, das sich durch das ganze Buch zieht. Auch die Mutter von Arvo Pekka war ein Zwilling. Mette Mindes kleine Söhne sind Zwillinge. Zwillinge: zwei Menschen, die einander am nächsten stehen sollten, es aber nicht immer tun - manchmal schlägt die Liebe zu dem Menschen, der beinahe ein Teil von dir ist, ins Gegenteil um. Gerade bei Idun und Ylva habe ich mich oft gefragt: wer ist hier der "gute", wer der "böse" Zwilling? Oder ist der Gedanke an sich schon Blödsinn, weil es im Leben nie so einfach ist?

Viele der Charaktere fand ich erst sehr verwirrend - jeder hat seine Geheimnisse, jeder hat mehr als ein Gesicht... Oft tut ein an sich anständiger Charakter etwas Fragwürdiges oder Selbstsüchtiges. Keiner ist 100%ig böse, keiner 100%ig gut. Die Autorin macht es einem nicht immer einfach, ihre Protagonisten zu mögen, aber sie wirkten auf mich immer glaubhaft, und sie waren mir nie egal - und das ist für mich das Wichtigste! Die anfängliche Verwirrung legte sich auch schnell.

Der Schreibstil hat mir wunderbar gefallen: er hat eine ganz eigene Stimme, die auch in spannenden, erschreckenden Szenen eine poetische Note hat, eine klare Ruhe, die dennoch nicht langweilig wirkt.

Fazit:
Der Krimi bietet intelligente Unterhaltung, in der das Zwischenmenschliche immer wieder im Mittelpunkt steht: die Abgründe hinter der Fassade, die Geheimnisse ganz normaler Menschen, die auf Abwege geraten sind. Die Charaktere sind komplex, der Schreibstil flüssig zu lesen und dabei alles andere als durchschnittlicher Einheitsbrei, und die spannende Handlung führt über Umwege zu einem Ende, das mich berührt und nachdenklich zurückgelassen hat.

Bewertung vom 15.07.2014
Crazy Wolf: Bestien auf der Flucht / Horror Factory Bd.22 (eBook, ePUB)
Endres, Christian

Crazy Wolf: Bestien auf der Flucht / Horror Factory Bd.22 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Werwölfe sind natürlich kein brandneues, originelles Thema, und eigentlich sind sie unter den übernatürlichen Kreaturen die, die ich am wenigsten mag... Aber mir gefällt, wie Christian Endres das Thema anpackt und zu seinem ganz eigenen Ding macht. Schonungslos. Brutal. Definitiv nicht jugendfrei. Aber auch emotional und überraschend, und damit doch wieder originell. Werwolf sein, das ist bei ihm wirklich mehr Fluch als Segen, und das spiegelt sich im Schreibstil wieder.

Der ist abgehackt. Kurze Sätze voller Sarkasmus und Kraftausdrücken. Bitterböse. Von den ersten Seiten sollte man sich aber nicht abschrecken lassen: die sind wirklich extrem im Stakkato-Stil, weil Jackson da gerade wieder zu sich kommt und seine Gedanken noch ganz verworren sind. Danach pendelt sich der Schreibstil ein auf kurze, aber meiner Meinung nach nicht ZU kurze Sätze. Das passt. Zu Jacksons Natur als Werwolf, der oft einfach nicht wie ein Mensch denkt, und seiner schwierigen, manchmal traumatischen Vergangenheit, die ihn zum misstrauischen Einzelgänger gemacht hat.

Normal mag ich Schreibstile mit kurzen Sätzen nicht. Hier schon. Sehr sogar. Weil es stimmig ist und verdammt eindringlich.

Jackson ist bei Weitem kein Heiliger. Er hat schreckliche Dinge getan, wenn der Wolf die Kontrolle übernahm, keine Frage. Aber ich konnte es ihm genauso wenig übelnehmen, wie ich es einem Raubtier übelnehmen könnte, dass es Beute jagt und tötet. Er legt es nicht darauf an. Er versucht, den Wolf unter Kontrolle zu halten. Er hat immer noch Albträume vom ersten Mal, als er sich als Jugendlicher verwandelt und ein Blutbad angerichtet hat. Ich hatte den Eindruck, dass er wirklich versucht, ein so guter Mensch zu sein, wie ihm das möglich ist. Und er möchte wirklich, wirklich ein guter Vater sein für Danny, den Sohn von dem er nicht einmal wusste, dass er ihn hat.

Er war mir trotz allem sympathisch. Kein Held, aber auch kein Bösewicht.

Danny, sein Sohn, ist einerseits ein typischer Teenager: launisch, manchmal frech, immer bereit, die Grenzen auszutesten. Andererseits ist der Fluch erst vor Kurzem bei ihm ausgebrochen, und das ist für ihn ein Albtraum, mit dem er noch lange nicht klarkommt. Auch Danny mochte ich, und die holprige, sperrige, oft linkische Beziehung zwischen Vater und Sohn war erstaunlich rührend.

Dann gibt es da noch Dead Crow, den toten Indianer, der Jackson begleitet und ihm Ratschläge gibt (ob er sie will oder nicht), und auf diese drei ungewöhnlichen Charaktere konzentriert sich diese Geschichte, die irgendwo zwischen Horror, Road Movie und schwarzhumoriger Action angesiedelt ist.

Jackson und Danny haben nicht nur mit ihrer eigenen Natur zu kämpfen - sie sind gerade erst einer skrupellosen Organisation entkommen, die mit übernatürlichen Wesen brutale und tödliche Schaukämpfe veranstalten. Je blutiger, je besser, denn desto begeisterter ist das zahlende Publikum. Und Vater und Sohn haben mit ihrer Flucht die Gefahr noch lange nicht hinter sich gelassen... Ich fand das Buch sehr spannend, und das Tempo war für mich durchgehend genau richtig.

Den Humor muss man mögen - ich fand ihn toll. Schnodderig, sarkastisch, schwarz wie starker Kaffee. Irgendwie kann ich mir dieses Buch gut als Film mit Bruce Willis in der Hauptrolle vorstellen. (Obwohl, Mr. Willis ist dafür vielleicht inzwischen doch zu alt...)

Fazit:
Für Horror-Fans, die auch gerne mal was Kurzes für zwischendurch lesen, ist das Buch vielleicht genau das richtige - es kommt einfach drauf an, ob man den Schreibstil mag oder nicht, aber das lässt sich ja mithilfe der Leseprobe feststellen! Den Preis finde ich sehr angemessen für den Umfang. Mich haben der schwarze Humor, der ungewöhnliche Schreibstil und die zwiespältigen Charaktere, mit denen man trotz allem mitfiebert, voll überzeugt. Spannend, actionreich, bitterböse!