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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 23.10.2019
Im Käfig
Hardcastle, Kevin

Im Käfig


ausgezeichnet

Bei einem Kampf gibt es Gewinner und Verlierer. Und kämpfen ist das einzige, was Daniel, nicht auf der Sonnenseite des Lebens aufgewachsen, gelernt hat. Martial Arts im Käfig, und darin ist er gut. Bis ihm sein Gegner einen heftigen Schlag gegen den Kopf versetzt und ihm damit eine Netzhautablösung beschert. Das war es dann mit der Karriere, die den Geldregen versprach. Nix mehr mit Gewinner.

Zwölf Jahre später fährt er mit seinem Truck und einem Schweißgerät durch die kanadische Provinz, klappert die Baustellen ab und nimmt dort jeden Job an, den er bekommen kann. Nicht für sich, sondern für seine Frau Sarah und seine Tochter Madelyn. Die finanzielle Situation der Familie ist katastrophal, kein Kredit mehr von der Bank, sie leben von der Hand in den Mund. Als dann auch noch sein Schweißgerät gestohlen wird, sieht Daniel keine andere Möglichkeit mehr, als bei dem lokalen Verbrechersyndikat anzuheuern. Obwohl er Bedenken hat, macht er, was man ihm aufträgt. Bis er eines Tages eine blutige Schießerei miterleben muss. Aber er hat ja noch eine Option, und da er sich als Sparringspartner in diversen Boxhallen fit gehalten hat, überlegt er, wieder in den Käfig zu steigen. Er setzt alles auf eine Karte, aber ob das so eine gute Idee ist?

Vier Jahre hat Kevin Hardcastle hat an diesem Roman geschrieben, und das Ergebnis kann sich wahrlich sehen lassen. Er beschreibt Daniels Schicksal völlig unaufgeregt, reduziert, in einer klaren Sprache, nie voyeuristisch oder Mitleid für den Protagonisten und dessen Familie einfordernd. Es ist wie es ist, und genau das macht es umso eindringlicher und erzeugt Empathie bei dem Leser, der ziemlich schnell erkennt, dass es für Daniel kein Entkommen geben wird. Hoffen und Bangen, Anstrengungen, Gewalt und ein Meer von Blut, all das führt auf direktem Weg zum finalen Gefecht. Ein Verlierer, zeitlebens eingesperrt in einem Käfig, dem Schicksal ausgeliefert. Und man ahnt es schon, es wird nicht gut ausgehen. Nachdrückliche Leseempfehlung für diesen kanadischen Noir aus dem Polar Verlag!

Bewertung vom 22.10.2019
Schwarzer Leopard, roter Wolf / Dark Star Bd.1
James, Marlon

Schwarzer Leopard, roter Wolf / Dark Star Bd.1


ausgezeichnet

Dass der jamaikanische Man Booker-Preisträger Marlon James keinen Fantasy-Roman schreibt, der die Konventionen des Genres bedient, ist zu erwarten. Zwar gibt es in „Schwarzer Leopard, roter Wolf“ erzähltechnische Elemente, die wir auch von andere Autoren kennen, aber insgesamt betrachtet sprengt schon der Handlungsort und dessen Beschreibung die Grenzen des Üblichen. Es ist ein surreales, längst vergangenes Afrika, in dem es Dämonen, Gestaltwandler, Hexen und Vampire gibt. Ein Afrika, das sich trotz detaillierter Beschreibung dem Zugriff des Lesers entzieht. Ein abstraktes Land der Mythen, das James mit überbordender Fantasie beschreibt und das als Hintergrund für die Geschichte dient, die der „Sucher“ seinem Zuhörer erzählt, den er wahlweise Priester oder Inquisitor nennt.

Ein Junge ist seit längerer Zeit verschwundenen, doch „das Kind ist tot. Weiter gibt es nichts zu wissen.“ Der Protagonist ist Teil eines Söldnertrupps, der ihn wieder nach Hause bringen soll. Eine Reise ins Ungewisse, auf die der Autor den Leser mitnimmt und ihn so manches Mal an den Rand der Verzweiflung bringt, denn sein Erzähler ist äußerst unzuverlässig. Man weiß nie, woran man bei ihm ist, ob man seinen Schilderungen glauben kann. Sagt er die Wahrheit oder stellt er sie bereits im nächsten Abschnitt in Frage?

„Schwarzer Leopard, roter Wolf“ ist der Auftaktband einer Trilogie (Dark Star, Teil 1) und ganz sicher keine leichte Lektüre, auch wenn die Handlung und das Personal teilweise an Superhelden-Comics erinnert. Der Roman fordert Konzentration auf das geschriebene Wort, und deshalb sollte man sich nach Möglichkeit auch die entsprechende Zeit dafür nehmen. Denn die Lektüre lohnt sich, nimmt uns Marlon James doch auf einen wilden Ritt durch den schwarzen Kontinent mit und belohnt seine Leser mit einem farbenprächtigen, sprachmächtigen Roman, der zugleich intensives Kopfkino erzeugt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.10.2019
Der zweite Schlaf
Harris, Robert

Der zweite Schlaf


ausgezeichnet

Großbritannien in der Zukunft, nach der Apokalypse. Eine Zeit, bestimmt durch Unterdrückung. Eine Gesellschaft, die auf ein Level zurück katapultiert wurde, das dunkler als das Mittelalter ist. Keine Industrie, alle Errungenschaften der Moderne sind verloren. Die Menschen hungern, Sterblichkeit ist hoch. Es sind die Vertreter der Kirche, die sämtliche Fäden in der Hand halten, bestimmen, wo’s lang geht. Autoritäre und wissenschaftsfeindliche Kirchenmänner festigen ihre Macht durch Knechten der Menschen und die Unterbindung jeglichen Fortschritts. Das Leben ist hart, ein brutaler Kampf ums Überleben.

Robert Harris‘ Roman „Der zweite Schlaf“ eine Dystopie, deren Handlung angesiedelt ist zwischen dem, was wir in belletristischen Publikationen über die mittelalterliche Historie und fiktionalen Gedankenspielen über die Zukunft gelesen haben. Er spielt mit den Erwartungen des Lesers, verunsichert, stellt in Frage. Ein zweifelnder Priester, ein neugieriger Forscher, ein zupackender Kapitalist, ein übermächtiger Bischof. Sie alle halten unserer Gesellschaft den Spiegel vor.

Nur wer die Vergangenheit kennt, kann daraus für die Gegenwart lernen, kann einen neuen Aufbruch wagen, einen Bogen von der Gegenwart in die Zukunft schlagen. Und genau das macht der Autor, denn es sind die Themen unserer Zeit, die er geschickt und äußerst spannend in diesen Roman packt. Klimawandel, Naturkatastrophen, Atom- und Cyberkriege, Pandemien. Themen, die heute aktueller denn je sind. Und natürlich auch der unbändige Willen der Herrschenden nach Macht und Kontrolle.

Ein faszinierender Roman, der nachdenklich macht und lange nachhallt. Eine höchst ungewöhnliche Dystopie, die aktueller nicht sein könnte. Vor allem dann, wenn man den Blick in Richtung Großbritannien und Brexit wendet.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.09.2019
Brunos Gartenkochbuch
Walker, Martin;Watson, Julia

Brunos Gartenkochbuch


sehr gut

Das Périgord im Südwesten Frankreichs, seit 1999 Heimat des schottischen Historikers und ehemaligen Guardian-Journalisten Martin Walker und dessen Ehefrau Julia Watson. Eine Region, die nicht nur das Herz des historisch Interessierten sondern auch das jeden Gourmets höher schlagen lässt.

Die breite Masse der Krimileser ist mit dieser Gegend spätestens seit Walkers Kriminalromanen mit Bruno, dem sympathischen „Chef de Police“ aus Saint-Denis vertraut. Und wie Bruno scheint auch Martin Walker ein begeisterter Hobbykoch zu sein, das lassen zumindest nicht nur seine Krimis sondern auch „Brunos Kochbuch“ und aktuell „Brunos Gartenkochbuch“ vermuten.

Ausgehend von den vier Jahreszeiten führt uns der Autor anhand seines eigenen Gartens durch das Jahr, gibt Tipps zu Aussaat, Anbau, Ernte sowie zur Verarbeitung der Erzeugnisse zu köstlichen Gerichten. Und wenn der Ertrag dann doch höher als erwartet ausfällt, wird der Überschuss entweder konserviert, verschenkt oder mit den Nachbarn getauscht.

Wer das Périgord kennt, weiß auch, dass dessen Küche bodenständig ist, nicht durch besondere Raffinesse sondern die Qualität der Zutaten glänzt. Und genau das bringen Walker/Watson auch in ihren Rezepten zum Ausdruck, wobei dies aber nicht heißen soll, dass diese simpel und immer preiswert wären – im Gegenteil. Oft sind es die eher „unscheinbaren“ Zutaten, die aus einem einfachen Gericht ein kulinarisches Highlight machen. Man denke nur an diese hässlichen Knollen…schwarze Trüffel, nicht unbedingt die günstigste Zutat der Omelettes. Dazu kommt, dass der Einkauf mancher Zutaten wie z.B. Perlhuhn oder Fasan bei uns doch mit einigem Aufwand verbunden ist, denn nicht jeder hat ein Delikatessengeschäft vor Ort oder ist (wie wir) in der glücklichen Lage, in einer Autostunde das Elsass zu erreichen.

Frühling, Sommer, Herbst und Winter bilden das Gerüst für die Rezepte, deren Zubereitung detailliert und gut nachvollziehbar beschrieben wird, wobei allerdings ein gewissen Maß an Kochpraxis bereits vorhanden sein sollte. Und das eigene Resultat darf dann auch mit den professionellen Fotos, die natürlich nicht fehlen dürfen, verglichen werden.

„Brunos Gartenkochbuch“ ist zwar eine aufwendig gestaltete Rezeptsammlung in ansprechender Aufmachung, die sich an den Klassikern des Périgord orientiert und durch zahlreiche Textbeiträge des Autorenduos ergänzt wird, aber daneben ist es gleichzeitig und vor allem eine Liebeserklärung des Ehepaars Walker/Watson an ihre französische Wahlheimat. Auf alle Fälle ist es das ideales Geschenk, empfohlen für passionierte Gärtner, ambitionierte Hobbyköche, Krimiliebhaber und Frankreich-Fans.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.09.2019
Das Institut
King, Stephen

Das Institut


ausgezeichnet

Stephen King kann es noch. Seit weit über 40 Jahren schreibt er, auch unter verschiedenen Pseudonymen, „Das Institut“ ist sein einundsechzigster (!) Roman, der sich, wenn man mit seinem Werk vertraut ist, stellenweise wie ein „Best of“ liest. Da ist zum einen die Kleinstadt, deren Beschreibung er wie kein anderer beherrscht. Zum anderen sind da die hochbegabten Kinder mit ihren paranormalen Fähigkeiten, die, nachdem man ihre Eltern ermordet hat, entführt und in ein geheimes Institut gebracht und dort gefangen gehalten werden. Dort sind sie schmerzhaften Untersuchungen und Verfahren ausgesetzt, denn ihre Entführer wollen ihre außergewöhnlichen Begabungen für ihre dunklen Ziele verwenden. Ihr Leben ist elend, ähnelt dem von Laborratten, denn wenn sie ihre Schuldigkeit getan, ihren Zweck erfüllt haben, werden sie wie Abfall entsorgt.

Das mag auch auf den ersten Blick Ähnlichkeiten mit der Netflix-Serie „Stranger Things“ aufweisen, doch King ist wesentlich deutlicher, politischer. Wie er kürzlich in einem Interview in Stephen Colberts „Late Show“ sagte, möchte er die Politik eigentlich aus seinen Romanen heraushalten. Aber er erlebe jeden Tag, dass die Vereinigten Staaten unter Trump gerade sehr dunkle Zeiten durchmachen, weshalb es auch für ihn notwendig sei, Stellung zu beziehen und seinen Hut in den Ring zu werfen.

Die Story, das Setting, die Personen, wie immer großartig ausgearbeitet. Das verhaltene Unbehagen, die stetig ansteigende Spannung, die den Leser unweigerlich in diese Geschichte hineinzieht, atemlos weiterlesen lässt, egal, wie spät es ist. Das beherrscht kaum ein anderer Autor in dieser Qualität. Unbedingt lesen!

Bewertung vom 15.09.2019
Der Untergang der Könige / Drachengesänge Bd.1
Lyons, Jenn

Der Untergang der Könige / Drachengesänge Bd.1


sehr gut

Ich lese selten Fantasy-Romane, wenn aber doch, dann muss es schon es schon High Fantasy und möglichst in mehreren Bänden angelegt sein. Letzteres Kriterium erfüllt Jenn Lyons mit ihrem auf fünf Bände angelegten „Chorus of Dragons“, von dem nun der erste Band mit dem Titel „Der Untergang der Könige“ in deutscher Übersetzung vorliegt.

Die Anleihen bei Patrick Rothfuss‘ „Königsmörder-Chronik“ sind offensichtlich. Hier wie dort gibt es einen Erzähler, in Lyons‘ Fall Kihrin, ein sechzehnjähriger Junge, eingesperrt in einen Kerker, der der Wärterin Klaue seine Geschichte erzählt.

Ein Niemand, aufgewachsen in den Slums, sich als Musiker und mit Diebstahl über Wasser haltend, der in eine abenteuerliche Geschichte gerät, die er sich in seinen kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können. Dass ein Habenichts eigentlich der verlorene Sohn eines alten Adelsgeschlechts ist, kommt in diesem Genre ja öfter vor, aber da hat Lyons für ihren Protagonisten noch einiges mehr zu bieten. Er zieht die obsessive Aufmerksamkeit eines Drachen auf sich, wird eines Teil seiner Seele beraubt und in die Sklaverei verkauft an die Schwarze Bruderschaft, die ihn für ihre Ziele einspannen will.

Die Zwiegespräche, zum einen aus der Ich-Perspektive Khirins, zum anderen die in der dritten Person erzählte Geschichte der Wärterin, sorgen für Abwechslung und Tempo, wecken die Neugier. Und es ist alles vorhanden, was man von einem Fantasy-Roman erwartet: jede Menge Action, Gestaltwandler, Mord, Folter, Dämonen, Götter, Drachen, Könige, dunkle Magie. Was mir allerdings gefehlt hat, waren interessante und starke Frauen, bisher leider nur Beiwerk, aber das kann ja noch kommen.

Bewertung vom 10.09.2019
Der Store
Hart, Rob

Der Store


ausgezeichnet

Online-Shopping ist eine bequeme Sache. Nahezu alles, was man benötigt, ist im Angebot, mit einem Klick bestellt und wird meist bereits am nächsten Tag geliefert. Man muss das Haus nicht verlassen, hat keinen Einkaufsstress und oft sogar noch günstigere Preise als im Laden um die Ecke. Dass das auf lange Sicht das Aus für den Einzelhandel und nachfolgend die Verödung der Innenstädte bedeutet, ist den Konsumenten egal. Hauptsache bequem.

Der amerikanische Autor Rob Hart hat dieses Szenario weitergesponnen und bietet in „Der Store“ seinen Lesern einen erschreckenden Blick in die Zukunft. Eine Zukunft, in der ein Handelsgigant namens „Cloud“ das Leben bestimmt, dessen Gründer den richtigen Riecher zur richtigen Zeit hatte und mittlerweile Eigner eines weltweiten Imperiums ist. Wer sich entschließt, für Cloud zu arbeiten, verkauft seine Seele. Ausgewählt von Algorithmen, kaserniert, überwacht, ohne Rücksicht angetrieben. Alles im Sinne der Profitmaximierung. Arbeitsalltag bei Cloud.

Innenansichten liefert Hart aus drei Perspektiven: Gibson Wells, der Besitzer, ist davon überzeugt, dass Cloud die Lösung für alle Probleme der Menschheit ist. Zinnia hat nicht nur spezielle Fähigkeiten sondern auch einen Auftrag. Paxton, ehemaliger Besitzer einer kleinen innovativen Firma, wurde von Cloud in den Ruin getrieben und ist mittlerweile dort als Security-Mitarbeiter angestellt. Alle drei geben uns höchst entlarvend durch ihre verschiedenen Sichtweisen einen Blick auf die Wirklichkeit.

Machen wir uns nichts vor, diese Zukunft hat bereits begonnen und alle Themen, die Hart anschneidet, sind schon längst Realität. Globale Monopolisten, Niedriglöhne, Einschnitte im Gesundheitswesen, Umweltzerstörung – Entwicklungen, die nicht nur die Vereinigten Staaten betreffen.

Unterhaltsam, entlarvend, spannend. Ein Roman, bei dem Ähnlichkeiten mit Sicherheit beabsichtigt sind und der jede Menge Denkanstöße liefert. Nachdrücklich empfohlen!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.09.2019
The Chain - Durchbrichst du die Kette, stirbt dein Kind
McKinty, Adrian

The Chain - Durchbrichst du die Kette, stirbt dein Kind


weniger gut

Ein solcher Thriller findet immer wieder seine Leser: Kind wird entführt. Mutter alleinerziehend und krebskrank. Bedingung für die Freilassung ist zum einen Lösegeld, zum anderen ein neuer „Platzhalter“ für das Entführungsopfer, das freigelassen wird, sobald diese beiden Forderungen erfüllt sind. Eine Vorgehensweise, wie bei dem altbekannten Kettenbrief. Und wer die Kette unterbricht, muss mit den schlimmsten Konsequenzen rechnen…

Oh.mein.Gott. Was war denn das?

250 Seiten, die das Fühlen, die Ohnmacht und das Handeln der Mutter rauf und runter beschreiben. Nicht zu vergessen, wie in Büchern dieses Kalibers üblich, die unvermeidliche Love-Story. Dann noch 130 Seiten für die Täter, ihr Trauma, ihre Motive und schlussendlich den Showdown. Weil…wenn eine Mutter ihr Kind in Gefahr sieht, wird sie zur rachsüchtigen Furie. Ein Klischee folgt dem nächsten, alles schon einmal gelesen. Und da hilft es auch nicht, dass der Autor mehrmals Camus zitiert.

So sieht es also aus, wenn ein von mir hochgeschätzter Autor seine Schreiberseele an den amerikanischen Kommerz verkauft, denn immerhin hat er sich damit auf der Bestseller-Liste der New York Times platziert, was ihm mit den Sean Duffy-Krimis nie gelungen ist. Mit „The Chain“ hat Adrain McKinty einen Thriller geschrieben, der massenkompatibel ist. Verkauft sich offenbar gut, ist ein Thema das den Nerv der weiblichen Leserschaft trifft und schon zigfach in Buchform von diversen Autoren behandelt worden. Die Filmrechte sind wohl auch schon verkauft. Bleibt zu hoffen, dass der Erlös ihm die nötige Sicherheit verschafft, um wieder Romane in der Qualität zu schreiben, die wir von ihm gewohnt sind.

Im Nachwort schreibt McKinty, dass er diesen Stoff schon lange für eine Short Story in der Schublade hatte. Hätte er es nur dabei belassen.

Bewertung vom 09.09.2019
Miroloi
Köhler, Karen

Miroloi


gut

„Miroloi“, der erste Roman von Karen Köhler, hat es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2019 geschafft. Erstaunlich, denn wenn man sich die Besprechungen in den diversen Feuilletons anschaut, bietet er jede Menge Ansatzpunkte für Kritik, was mit Sicherheit nicht nur der Thematik geschuldet ist.

Die Ich-Erzählerin, später Alina benamt, ist eine junge Frau, als Säugling auf einer namenlosen Insel ausgesetzt. Sie wächst als Aussätzige in dieser archaischen Gesellschaft auf, die sich jeglichen zivilisatorischen Errungenschaften verweigert. Der Ältestenrat bestimmt über Recht und Ordnung. Die Regeln des Zusammenlebens speisen sich aus den verschiedensten Religionen, ein Querschnitt aus orthodoxem Christentum, Hinduismus, Judentum und Islam, wenngleich die Beschreibungen der Umgebung die Vermutung nahelegen, dass es sich um eine aus der Zeit gefallene griechische Insel handelt.

Insbesondere Frauen bekommen die Unterdrückung, die Rechtlosigkeit, besonders zu spüren. Aber auch Männer, deren Verhalten von der Norm abweicht, haben Repressalien zu befürchten.

Für Alina öffnet sich eine neue Welt, als ihr quasi Adoptivvater, die spirituelle Instanz des Dorfes, ihr Lesen und Schreiben beibringt, Bildung vermittelt, obwohl dies für Frauen strengstens verboten ist. Aber dessen Tod verändert noch einmal alles. Die Vorschriften werden verschärft, kippen ins Fundamentalistische.

Unmut keimt auf, und auch Alina stellt die Gesetze infrage, rebelliert, zuerst heimlich, dann offen. Muss mit dem Tod rechnen. Es bleibt nur die Flucht, der Aufbruch ins Ungewisse. Hinein ins Wasser, hoffend, das rettende Festland zu erreichen. Ihr eigenes Miroloi singend.

Köhler beschreibt die Realität des weiblichen Lebens in einer feindlichen, patriarchalischen Gesellschaft, die mit gnadenloser Härte an ihren archaischen Riten festhält. Sie erzählt anschaulich und detailreich, die Sprache ist einfach, aber verspielt poetisch. Viele Kunstworte beschreiben Empfindungen, Tätigkeiten und Beobachtungen der Ich-Erzählerin.

Aber es ist diese Naivität, die sich durch den gesamten Roman zieht, die der Komplexität des Themas leider unter dem Strich nicht gerecht wird. So ist „Miroloi“ leider nur ein plakativer, pseudofeministischer Roman. Simpel gestrickt, durchschau- und vorhersehbar. Und das Ende? Inkonsequent und dick aufgetragenes Niveau eines Heftchenromans.

Ob Karen Köhler damit die Finalrunde erreichen wird, darf bezweifelt werden. Es bleibt spannend.

Bewertung vom 07.09.2019
Menschen neben dem Leben
Boschwitz, Ulrich Alexander

Menschen neben dem Leben


ausgezeichnet

Mit dem 2018 in deutscher Fassung erschienenen „Der Reisende“ von Ulrich Alexander Boschwitz hat der Verlag Klett-Cotta einen Autor wiederentdeckt, dessen in den dreißiger Jahren geschriebenen Romane auch heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Nun also erstmals eine deutsche Ausgabe von „Menschen neben dem Leben“, 1937 in schwedischer und 1939 in englischer Sprache verlegt. Und wie bereits der Vorgänger besticht auch dieses Werk durch einen unverstellten Blick auf das Leben nach dem Ersten vor dem Zweiten Weltkrieg. Zeigt, wie es dazu kommen konnte, dass der Nationalsozialismus auf fruchtbaren Boden fiel.

Es sind die einfachen Menschen und deren Kampf ums Überleben, denen Boschwitz‘ Interesse gilt. Das hat nichts von einem „Babylon Berlin“ Glamour, das ist die Betrachtung von einem Leben ganz unten, in dem man das Dach über dem Kopf verloren hat, in dem man sich für das täglich Brot prostituieren muss, in dem die Schrecken des vergangenen Krieges noch immer allgegenwärtig sind. In dem man aber nicht aufgibt, sondern weiter strampelt und sich seinen kleinen Augenblick des täglichen Glücks in der Kneipe um die Ecke mit einem Glas Pfefferminzschnaps und einem Tänzchen verschafft. Für einen kurzen Augenblick die Sorgen des Alltags vergisst und nicht an die Zukunft denkt. Das drohende Unheil noch nicht kommen sieht.

Ein schmaler Roman, aber dennoch ganz dicht dran an den Menschen, voller Sympathie für die Verlierer, plastisch und dicht in den Beschreibungen. Authentisch und voller Atmosphäre. Ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit. Ein kleines Stück großer Literatur.