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Wedma

Bewertungen

Insgesamt 549 Bewertungen
Bewertung vom 03.02.2016
Der Kaffeedieb
Hillenbrand, Tom

Der Kaffeedieb


sehr gut

21 September 1683. London. Ein Kaffeehaus in dem Obediah Chalon seinen morgendlichen Kaffee genießt Obediah ist ein ungewöhnlicher Held, keineswegs makellos und in jeder Hinsicht moralisch überlegen. Er ist ein Naturphilosoph, ein Virtuoso von etwa 27 Jahren, von dicklicher Statur, da er eher mit dem Kopf als mit den Händen zu arbeiten gewohnt ist. Das Lesen naturphilosophischer Traktate und das Experimentieren ist alles, wofür er sich interessiert. So manches, vor allem die Geschichte seiner Familie, die viele Katholiken in der englischen Provinz zu diesen Zeiten geteilt haben, hat ihn u.a. dazu getrieben, in London auf der Börse zu spekulieren (wie dies damals funktionierte wird auch eingängig dargestellt) und die gefälschten Wertpapiere als Sicherheit zu hinterlegen. Als eine Wette platzt, muss er aus London fliehen und sich in Amsterdam einen sichereren Unterschlupf suchen. Bloß da kommt er vom Regen in die Taufe. Vom mächtigen wie skrupellosen Konsortium VOC wird er auserkoren, Diebstahl von etwas unermesslich Kostbarem zu organisieren und durchzuführen. Die finanziellen Mittel werden gestellt.
Etwa die Hälfte des Buches beschreibt die Vorbereitungen und der Rest ist eine Reise voller Abenteuer in die Türkei, Hafen von Smyrna, von dort aus ins Landesinnere zum Berg, wo der Schatz Tag und Nacht bewacht wird, mit kurzem Zwischenaufenthalt in Neapel zu Karneval, und zurück nach Holland.
Besonders in der zweiten Hälfte wird es spannend. Konflikt auf Schritt und Tritt gibt es im gesamten Verlauf zw. allen Figuren, aber auf der Reise sind sie ergreifender.
Die Figuren sind schon sehr unterschiedlich. Dies betrifft sowohl Obediahs Mannschaft, die recht vielfältig und international ausfällt: eine junge, schöne Italienerin als Schauspielerin und Verwandlungskünstlerin, ein italienischer General reifen Alters, der in der Türkei einige Zeit verbracht hat und sowohl der Sprache als auch der Mentalität und der Kultur mächtig ist, als Pendant zu ihm ein französischer Jüngling. Dazu kommen der französische Meisterdieb des königlichen Geblüts, den man erst aus dem Knast befreien muss, ein dänischer Schiffskapitän und der kleinadelige Engländer Obediah, der Kopf der Unternehmung. Es gibt später auch Wandler, i.e. jemand, der anders ist, als er zu sein scheint. Zum Schluss trifft man auch den französischen König Louis XIV und seine Höflinge, wohnt dem Bäckeraufstand in Paris bei, usw.
Für die Figuren konnte ich mich absolut begeistern. Sie kamen mir so lebendig und zum Greifen nah vor: jede hatte seine Vorgeschichte, eigenen Charakter, eigene Ziele. Sie agierten so authentisch, dass ich sie auch Tage nach dem Ende des Romans vor meinem geistigen Auge herumwandern sah.
Abenteuer, die sich in mehreren Ländern abspielen, bereiten besonders den Fans von historischen Romanen einige vergnügte Lesestunden.
Fundierte Geschichtskenntnisse, sowohl vom Orient als auch vom Okzident, waren erforderlich, um diese beachtliche Menge an Details, die das Leben in Europa und in der Türkei von 1683-1686 vor Augen der Leser lebendig werden lassen. Die Atmosphäre mit den Realien der damaligen Zeit kommt gut zur Geltung, und erst recht die politische Lage mit all den Interessenvertretern und deren Intrigen.
Es gibt auch einige Überraschungen zum Schluss.
Was mich weniger begeistern konnte:
Vieles ist zwar clever eingefädelt: Man sieht, dass der Autor sich um bessere Darbietung Gedanken gemacht hat. Dennoch ist mir manches zu konstruiert vorgekommen.
Die Vorbereitungen in der ersten Hälfte waren mir stellenweise zu breit erzählt.
Obwohl es auch um die Liebe geht, ist es kein Liebesroman, eher ein Abenteuer vor historisch-politischer Kulisse.
Fazit: Ein guter Roman, auf jeden Fall solide Arbeit, eine enorme intellektuelle Leistung, die mir einige erfüllte Lesestunden bereitet hat. Ich vergebe gerne vier Sterne und eine Leseempfehlung für Fans historischer Abenteurerromane.

Bewertung vom 12.01.2016
Der Pfau
Bogdan, Isabel

Der Pfau


ausgezeichnet

Lady und Lord McIntosh leben auf ihrem großen alten Anwesen in Schottland mit zwei Bediensteten und etlichen Tieren. Um über die Runden zu kommen, bieten sie Cottages und Teile des Anwesens an Ruhesuchende aus dem ganzen Land an. Der Westflügel wurde nun übers Wochenende an eine Gruppe der Investmentbanker einer Londoner Privatbank vermietet. Die Chefin und ihre vier Untergebenen samt der Köchin und Psychologin, die diese Teambildungsmaßnahme moderieren sollte, haben sich in den kühlen, alten Räumen einquartiert. So nahm das Abenteuer seinen Lauf.
Alle Figuren, insb. die Chefin und ihre vier Banker, aber auch die Köchin und die Psychologin sind wunderbar situativ eingeführt worden. Ich konnte dabei diverse Typen bei den Londonern ausmachen, wie z.B. die ehrgeizige Karrieristin, die alles perfekt haben will; ein armseliger Ar…kriecher; ein vergnügter Mitmacher, der weiß, wer er ist; einer mit eigener Meinung und ein flexibler Mitläufer. Sie unterteilen sich auch nach: glücklich verheiratet, eine Familie mit Kindern; glücklich verheiratet in einer gleichgeschlechtlichen Ehe ohne Kinder; getrennt, allein lebend; nicht mehr so glücklich verheiratet; verwitwet; alleinstehend. All diese Merkmale sind wunderbar mit ins Spiel eingebracht worden. Man sieht am Ende, wer diese Herausforderung mitten in freier Natur mit welchem Erfolg übersteht und warum. Die Figuren verändern sich im Laufe der Geschichte und bringen auch selbst ihre Erkenntnisse aus der Maßnahme zum Ausdruck. Insb. der Veränderungsprozess der Banker ist so plastisch, so gekonnt und fesselnd dargestellt worden, dass ich ab der Mitte das Buch einfach nicht mehr aus der Hand legen konnte.
Es gab Geheimnisse, Verwicklungen und eine Überraschung zum Schluss. Auf einigen Seiten kam ich aus dem Schmunzeln nicht mehr heraus und musste an vielen Stellen zustimmend nicken und „Herrlich!“ rufen, ob bei der Darstellung der Bewältigung des Alltags auf dem alten Anwesen oder bei der Einführung und Entwicklung der Teilnehmer und der Maßnahme an sich, denn die menschlichen Charaktere sind wie aus dem wahren Leben gegriffen worden: sehr gut beobachtet und sehr gelungen präsentiert.
Es gab auch einfach schöne Stellen, z.B. das Baden dreier Teilnehmer im Dunklen unter freiem Himmel, auch die Stellen, die in die Tiefe gingen und mich zu Tränen gerührt haben: so weise, so viel über die menschliche Natur sagend, so treffend und herrlich geschrieben!
Aber nicht nur die Figuren waren spannend und sehr gelungen. Gegenstände und Tiere spielen auch eine große Rolle in dieser Geschichte und treiben sie tatkräftig voran. Die Personifizierung des Staubsaugers Henry und die durchaus passende, leichte Vermenschlichung der Tiere, wie z.B. des Terriers der Chefin der Investmentbanker, des verrückten Pfaus auf dem Anwesen McIntosh, etc. haben eine besondere Facette dem Ganzen verliehen, und für noch mehr Schmunzeln und gelegentliches Auflachen gesorgt.
Schöne, aussagekräftige Sprache, gekonnter Ausdruck, eigener Stil, der die Situationskomik so dynamisch und klar, mithilfe von nur wenigen Worten vor Augen der Leser führt, haben wesentlich zum Lesegenuss beigetragen. Auch deshalb hat es Spaß gemacht, die Geschichte zu lesen und den Figuren und ihrem Abenteuer zu folgen.
Zum Schluss war mir ein wenig zu viel erklärt worden, aber gut. Der Sinn des Ganzen musste jedem zugänglich gemacht werden.

Fazit: eine kluge, lesenswerte, sehr gelungene Geschichte über die menschliche Natur und noch paar andere spannende Dinge. Ich ahbe sie sehr genossen! Eine klare Leseempfehlung und 5 sehr wohl verdiente Sterne!
Ich bedanke mich beim Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln fürs Rezensionsexemplar.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.01.2016
Die Schneelöwin / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.9
Läckberg, Camilla

Die Schneelöwin / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.9


weniger gut

Auf der Suche nach einem Autor/einer Autorin, den/die ich reihenweise lesen könnte, habe ich die Neuerscheinung von C. Läckberg bestellt. Der Anfang schien vielversprechend, gekonnt geschrieben und warf viele Fragen auf: Ein verstümmeltes Mädchen stolpert unters ankommende Auto. Wie kommt es dazu? Wer hat es eingefädelt und warum?
Ich habe mir vorgestellt, dass der Fokus auf dem Krimifall liegen wird. Es kam aber anders.
Schon bald war die anfängliche Neugier weg: Ausufernde Schilderungen des Familienlebens diverser Paare haben sie totgeschlagen. Ich hatte den Eindruck, dass ich in einer der Vorabendserien gelandet war, bei denen Herzschmerz und Beziehungskisten im Vordergrund stehen. E.g. auf Seite 16 geht es um Patrik Hedström und seine Überlegungen, wie anstrengend es doch sei, kleine Kinder zu haben, denn sie quengeln, wollen Aufmerksamkeit, etc. Das Verhalten aller seiner Kinder wird geschildert und untereinander verglichen. Von solchen Stellen gibt es mehr als genug. Der Fall an sich bleibt immer wieder auf der Strecke. Dazu kommen die Schilderungen des Pferdestahls, der Mädchen, die dort regelmäßig verkehren: Wer welches Pferd reiten darf, die Beziehungen zwischen den Mädchen und deren Familien und Familienmitgliedern, usw. wurden ausführlich dargelegt. Einem bleibt kaum etwas erspart, was Familienleben angeht: häusliche Gewalt und Trauer der Mutter des Opfers in all seiner Emotionalität inklusive. Die Szene der Geburt eines Kälbchens (wie in anderen Herzschmerzromanen wahlweise eines Fohlen, Kätzchens, usw.) findet auch ihren Weg in die Geschichte. Ermittlungen bleiben wieder über weite Strecken unter fernen Liefen.
Auch die Schilderung der Liebe auf den ersten Blick zwischen Laila und ihrem zukünftigen Mann in den siebziger Jahren (dorthin kehrt die Geschichte immer mal wieder zurück) kam mehr schon reichlich abgedroschen vor. Dazu kommt billige Effekthascherei hier und dort, z.B. S 49. Erica besucht zwecks der Recherche das verlassene Haus und gruselt sich.
Kaum hat man minimal etwas über den Fall erfahren, schon kommt eine weitere Einlage zum Familienleben, Kleinkindererziehung, Rolle der Väter dabei, etc. Dass Frauen, besonders mit Kleinkindern, als Zielpublikum hier angepeilt werden, kommt überdeutlich zur Geltung.
Es gibt zu viele Erzählperspektiven, die recht oft gewechselt werden. Auch dafür konnte ich mich nicht so recht begeistern.
Die Art der Stoffdarbietung lässt ebenso einiges zu wünschen übrig. Ab S. 169 gibt es klobige Infoeinlagen über Psychopathen in Dialogform mehr schlecht als recht versteckt. Und was man dabei fühlen muss, wenn ein psychopatischer Täter sine Opfer verstümmelt, wird auch, mithilfe von Patriks Gedanken, den Lesern vorgegeben. Paar Seiten weiter kommt man aus dem Infodump immer noch nicht heraus. Die Polizisten stehen dabei recht dumm da, als ob sie nie etwas zum Thema je gehört hätten. Glaubwürdigkeit leidet ganz schön darunter, auch an anderen Stellen. Es wir d auch generell zu viel erklärt. Vom Polizeirevier aus geht es wieder zum Pferdestahl und Beziehungskisten dort, die aufs Neue in epischer Breite ausgewälzt werden.
Auch in Sachen Stil zeigt sich Luft nach oben. Es gibt zu viel von „war“ und all seinen Variationen, wie anderen Wortwiederholungen.

Fazit: Leider konnte ich mich für die Geschichte und die Art, wie sie dargeboten wurde, nicht begeistern. Es ist hpts. daily soap mit viel Herzschmerz und Beziehungskisten in all den Variationen. Nebenbei, wie beiläufig, wird ermittelt. Wer so etwas mag, oder Fan von der Autorin aufgrund von früheren Folgen ist, wird das Buch vermutlich gut finden können.

Bewertung vom 16.12.2015
Commissaire Mazan und der blinde Engel / Commissaire Mazan Bd.2
Bagnol, Jean

Commissaire Mazan und der blinde Engel / Commissaire Mazan Bd.2


ausgezeichnet

Die Rezension bezieht sich auf das Hörbuch, Spieldauer: 9 Stunden und 53 Minuten, ungekürzte Ausgabe, gelesen von Hemma Michel.
„Commissaire Mazan und der blinde Engel“ ist ein spannender Krimi, der drei Handlungsstränge, Themen wie Freundschaft, Liebe, Gaumenfreuden, Tradition, Kunst und Umweltschutz gekonnt verknüpft, mit einigen Überraschungen aufwartet und somit für gute Unterhaltung sorgt.
Mazan ist ein kleines Örtchen mit knapp sechs tausend Einwohnern in Département Vaucluse der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur.
Commissaire Mazan ist ein schwarzer Kater, der bei der Mordermittlerin, einer jungen Frau namens Zadira Matéo, wohnt und nebenbei seine eigenen Ermittlungen anstellt. Es gibt einige anderen Katzen in dem Örtchen, mit denen der Commissaire Mazan befreundet ist und auf deren Hilfe er zählen kann, wenn es darum geht, durchzugreifen und seiner Frauchen zu helfen, den Mörder zu stellen. Diese Katzenperspektive, mit den dazugehörigen Überlegungen über Menschen, Hunde und ihr Verhalten, etc. hat mich schon sehr, wie auch angenehm, überrascht.
Auf der Menschenebene ermittelt Zadira Matéo in einer Mordserie, bei der die neusten Bilder des bekannten blinden Malers Etienne Idka nachgestellt wurden: die Mordopfer sind in exakt gleicher Körperhaltung gefunden worden. Zadira hat auch auf der privaten Front einiges zu meistern. Der Mann, den sie mag, scheint eine Freundin bekommen zu haben, und Zadira lernt, damit umzugehen. Und ihr Assistent, der korpulente Vegetarier Lucien Brell, geht der gesetzlich verbotenen Ausrottung der Singvögel nach, die in der Provence seit Jahrhunderten als Delikatesse gelten.
Es gibt Situationskomik und philosophisch angehauchte Gedanken über das faire und weniger faire Miteinander, über Umweltschutz und dessen Missachtung, wenn es um lang gehegte Traditionen und Essgewohnheiten der Franzosen geht, über die Liebe, Freundschaft, Sex. Etwas über die Kunst und warum sie so viele Menschen anzieht, über den Genuss und seinen Preis, für viele Beteiligten.
Die Figuren haben mir alle zugesagt, ob Menschen oder Tiere. Manche komisch, manche tragisch, manche egoistisch und/oder leichtsinnig, aber alle sehr gut ausgearbeitet und überzeugend dargestellt, die Guten wie die Bösen.
Gute Spannung und überraschende Wendungen sorgen für prima Unterhaltung.
Die Erzählerin Hemma Michel hat eine gute Arbeit geleistet. Einzelne Figuren konnte ich deutlich heraushören. Allerdings kamen mir einige Passagen als zu schnell gelesen vor.
Es war meine erste Begegnung mit Jean Bagnol. Und bestimmt nicht die Letzte. Ich bin sehr auf den Fall 3 der Reihe gespannt.
Fazit: ein gekonnt geschriebener, spannender Krimi aus der Provence. Für „Commissaire Mazan und der blinde Engel“ gibt es 5 wohl verdiente Sterne und eine Empfehlung, nicht nur für Krimi und/oder Katzenfans. Es ist eine schöne, lesenswerte, kluge Geschichte, die sehr gut erzählt wurde.

Bewertung vom 14.12.2015
Madame le Commissaire und die späte Rache / Kommissarin Isabelle Bonnet Bd.2
Martin, Pierre

Madame le Commissaire und die späte Rache / Kommissarin Isabelle Bonnet Bd.2


sehr gut

Die Rezension bezieht sich auf das Hörbuch Spieldauer: 8 Stunden und 31 Minuten, gesprochen von Gabriele Blum.

Isabelle Bonnet, die seit einigen Monaten in Fragolin, einem fiktiven Ort in Südfrankreich bei Brignoles/Draguignan lebt, stolpert über eine männliche Leiche am Plage de Pampelonne. Der Mann ist übel verunstaltet. Sein abgeschnittenes bestes Stück ragt ihm aus dem Mund. Madame de Commissaire ist aber nicht für den Fall zuständig. Sie untersucht ältere Fälle, die unaufgeklärt blieben. Die Fälle darf sie sich selbst aussuchen, da ihr Kommissariat in Fragolin eigens für sie und ihre Ermittlungen erschaffen wurde. So wollte ihr Chef, ein hohes Tier aus dem Ministerium und väterlicher Freund aus Paris. Isabelle sollte sich eigentlich von ihren Verletzungen erholen, die von einer explodierten Bombe während ihres Einsatzes herbeigeführt wurden. Aber nebenbei etwas tun täte ihr gut, so ihr Mentor. Sie soll ihm nun eine kleinen Gefallen tun und auf einen „Sportsfreund“ aufpassen, der im Zeugenschutzprogramm ist und bald einen Gerichtstermin hat. Bis dahin soll er doch in Südfrankreich von seinen möglichen Verfolgern unentdeckt bleiben. Isabelle selbst untersucht den Fall von vor zehn Jahren. Damals wurde ein Mann im Wald gefunden, der mit einer Mistgabel umgebracht wurde. Ob der Fall von damals und der Tote von Plage de Pampelonne in einer Verbindung stehen?
Es gibt ein Wiedersehen mit manchen Figuren aus Teil 1: Der schrullige Assistent Apollinaire ist wieder da. Er trägt immer noch unterschiedliche Socken, ist hochmotiviert und unterstützt Isabelle nach Kräften. Auch der Bürgermeister von Fragolin und Isabelles Freund verwöhnt sie wieder, wie er kann mit selbstgekochtem Essen, gutem Wein und dem Ausflug auf seinem Boot. Es gibt auch paar neue Figuren, die für gute Unterhaltung gesorgt haben.
Isabelles Ermittlungen um den ermordeten Mann von vor zehn Jahren und das Zeugenschutzprogramm ergänzen sich ganz prima und sorgen für Abwechslung. Der „Sportsfreund“ hält Isabelle auf Trab. Hier und dort gibt es Stellen mit trockenem Humor. Die Figuren und ihre Geschichten sind sehr gut ausgearbeitet, die Motive sind schlüssig. Mir fehlte jedoch das entscheidende Tüpfelchen auf dem „i“.
Die Sprecherin Gabriele Blum hat wieder sehr gut gelesen. Ihre Stimme passt wunderbar zu der Geschichte. Ich habe sie gerne gehört und bin auf den nächsten Fall gespannt, der im März 2016 erscheinen soll und den Titel „Madame le Commissaire und der Tod des Polizeichefs“ trägt.

Fazit: Wie Teil 1 „Madame le Commissaire und der verschwundene Engländer“ ist Teil 2 ein gekonnt geschriebener Krimi, der vom südfranzösischen Flair lebt. Allerdings kam er mir doch etwas schwächer in Sachen Plot und Figuren vor. Dennoch als Hörbuch, z.B. um heimisches Werkeln zu versüßen, ist Teil 2 eine gute Unterhaltung. Ich vergebe vier Sterne und eine klare Empfehlung.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.12.2015
Die Königin der Orchard Street  (Restauflage)
Gilman, Susan J.

Die Königin der Orchard Street (Restauflage)


sehr gut

Malka Treynovsky ist 6 als sie und ihre jüdische Familie bestehend Vater, Mutter und zwei ihrer älteren Schwestern aus Russland 1913 fliehen. Die Reise soll nach Südafrika gehen, wo der Bruder der Mutter lebt und sie dort erwartet. Aber in Hamburg entscheiden Malka und ihr Vater unter Ausschluss der restlichen Familie anders: Sie tauschen die Tickets und die Familie nimmt das Schiff nach Amerika. Sie landen in einem Armenviertel auf der Lower East Side. Sie sind bettelarm. Die Mutter jagt Malka und ihre ältere Schwester hinaus auf die Straße, damit sie Geld verdienen: wer nicht arbeitet, isst nicht, lautet die Devise. Die beiden kleinen Mädchen erledigen Hausarbeiten: schrubben Böden, schleppen Einkäufe oder klingeln bei den Nachbaren und bieten schlichte Unterhaltung an: Malka singt die selbst komponierten Lieder, da sie ein großes Mundwerk hat, wie ihre Mutter es ihr mehrmals vorgeworfen hat, und ihre Schwester tanzt dazu. Dabei gibt es einen Penny, wenn Malka singt und noch einen, damit sie aufhört. Eines Tages gerät Malka unter das Pferd des Eisverkäufers Dinello und ist schwer am Bein verletzt. So nimmt ihr Schicksal seinen Lauf. Von der Mutter verstoßen, landet sie in der Familie des italienischen Eismachers, lernt die Kunst der Eiszubereitung und steigt später zur „Eiskönigin von Amerika“ mit eigener TV-Sendung, etlichen Konzessionsnehmern, einem Reichtum, von dem sie als ein armes Auswandererkind hätte nie träumen können.
Es ist eine Ich-Erzählung. Lilian Dinkle, wie die Grand Dame des Eis-Imperiums den größten Teil ihres Lebens heißt, erzählt den Lesern ihr bewegtes wie arbeitsreiches Leben. Sie hält es nicht für nötig, etwas daran oder an ihren Beweggründen zu beschönigen. Ihr schlichter Wunsch zu überleben, das Leben ihrer Lieben abzusichern und ihr stark ausgeprägter Pragmatismus ließen sie in entscheidenden Momenten zu weniger konventionellen Mitteln greifen. Gepaart mit eiserner Disziplin, sicherten sie nicht nur das Überleben, auch ihr Geschäft florierte mit der Zeit. Und oft dann, wenn die Situation geradezu ausweglos schien, bekam Lilian Dunkle eine zündende Idee und machte eine Herausforderung zum Erfolg.
Die Geschichte erstreckt sich über ca. 68 Jahre und liefert u.a. einen ungewöhnlichen Blick auf die amerikanische Geschichte des 20-ten Jahrhunderts: der Erste Weltkrieg mit seinen in die Höhe schießenden Preisen, die Prohibition, der Zweite Weltkrieg und die Deportation der Italiener, die 60-ger und 80-ger, all das aus der Sicht einer Eismacherin, die im Zweiten Weltkrieg so richtig dick ins Geschäft kam und die Herstellung ohne ihren Mann sichern musste.
Dieses Werk stellt eine beachtliche Leistung dar. Aus so einer Perspektive hat noch keiner mir bekannter Autor einen kritischen Blick auf die amerikanische Gesellschaft in der Spanne von 1913 bis in die achtziger Jahre geworfen.
Was meine Begeisterung in Grenzen hielt, war der Schreibstil: so kräuselig, eher umständlich und voller Details. Er forderte volle Aufmerksamkeit und es brauchte einige Seiten, um nach einer Pause sich in die Geschichte wieder einfinden zu können. Danach ging es eine Weile.
Die Protagonistin und ihre Geschichten machen dies schon fast wett, und letztendlich passt diese Erzählweise zu Lilian. Sie ist strak, eigenwillig, durchsetzungsstark, aber auch chaotisch, von Emotionen geleitet, besonders in den jungen Jahren. Sie ist so anders als die meisten Romanheldinnen: kein süßes Liebchen. Zu allen Seiten moralisch wie politisch korrekt ist sie bestimmt nicht. Und gerade das hebt sie aus der übrigen Masse hervor.
Es ist zwar nicht so, dass ich den Roman verschlungen habe, aber es wäre ausgesprochen schade, Lilian und ihre Geschichte nicht kennengelernt zu haben.
Fazit: ein ungewöhnlich guter, lesenswerter Roman mit einer starken wie moralisch inkorrekten Protagonistin. Geschichte des 20 Jh. aus der Perspektive der „Eiskönigin von Amerika“.

Bewertung vom 11.12.2015
Die gehäutete Seele
Christiansen, Rainer

Die gehäutete Seele


sehr gut

Stelle dir vor, du kannst die Sprache der Pflanzen verstehen. Du weißt nicht nur, was ihnen wichtig ist, was ggf. fehlt. Du kannst auch nachempfinden, wenn jemand ihnen wehgetan hat und erst recht weißt du, wie es sich anfühlt, wenn z.B. die Haut von einer Birke entfernt wurde. So geht es Daniel, 17. Aufgrund seiner schaurigen Vorgeschichte beschäftigt er sich lieber mit den Pflanzen als mit den Menschen. Eines Tages lernt er Sarah, Ärztin, 27, kennen, die ihn nach einem Fall vom Fahrrad unweit vom Himmelsmoor erstversorgt. Es ist die Liebe auf den ersten Blick, besser gesagt, von der ersten Berührung an. Eine unsichtbare Verbindung besteht zwischen den beiden von da an und eine ungewöhnliche Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf.

Aber es ist noch nicht alles. Es gibt eine Ermittlung wegen einer Moorleiche, die rein zufällig bei NABU-Arbeiten geborgen wurde. Eine junge, ehrgeizige Kommissarin Garthmann, Kripo Pinneberg, will beweisen, dass Daniel damit zu tun hat. Ihr älterer und erfahrener Kollege Renner hat so seine Zweifel daran. Wie war es wirklich?, fragt man sich. War es Daniel, war er es nicht? Könnte er es überhaupt? Hat der Renner recht oder die Garthmann? Es gibt dann noch mehr Tote, ein Verstümmelter und eine überraschende Wendung zum Schluss.

Es ist eine erfrischend andere Geschichte. Anders als die bekannten Thriller/Krimis, etwa die aus Skandinavien oder aus Nordamerika. Die Handlung ist in Hamburg und Umgebung angesiedelt: in der Isestraße wohnt eine wichtige Figur, von Eppendorf und dem dortigen Klinikum ist hier und dort die Rede, dorthin wird eine führende Figur eingeliefert, in Richtung Quickborn zum Himmelsmoor wird oft zwecks Ermittlungen gefahren, auf Usedom wird Kurzurlaub gemacht, auf A20 nach Hamburg zurückgefahren, am Horner Kreisel in die Sievekingsallee eingebogen, an der Wrangelstraße nach Parkplätzen gesucht, etc. Also für die Liebhaber lokaler Krimis/Thriller ist dieser schon eine gute Adresse.

Das Besondere auch: Die Geschichte spielt sich nicht nur auf physischer Ebene ab, da manche Figuren mehrdimensional veranlagt sind und agieren auch entsprechend. Mit Spannung blättert man Seite um Seite, denn ein Konflikt jagt den Nächsten und man fragt sich stets: wie geht es weiter? Schaurig wird es auch, sowohl am Anfang als auch zum Schluss.

Die Sprache fiel mir durch ihre ungewöhnliche Effizienz/Aussagekraft auf. So eine dicht geschriebene Geschichte ist mir schon länger nicht in die Hände gefallen. Manche andere Autoren wälzen viel weniger an Material auf hunderten von mehr Seiten aus. Nicht so hier. Ich war angenehm überrascht. Auch durch manche sehr gute Beobachtungen, was das menschliche Wesen anbelangt und treffend formulierten Sätze. Man sieht die persönliche Reife des Autors seiner Geschichte an. Themen der Liebe, der Bedeutung der Familie, des Zusammenhalts, der Balance zwischen Arbeit und Privatsphäre, auch das der „zerstörerischen Seite der Sexualität“ sind in der Geschichte gut Präsent.

Die Gestaltung des Buches finde ich sehr gelungen. Die Schrift ist von angenehmer Größe. Das Buch an sich ist handlich, leicht, prima zum Mitnehmen. Das Coverbild passt optimal zum Inhalt: Die Birke und das Moor sind so, als ob sie der Geschichte entsprungen sind.

„Die gehäutete Seele“ habe ich gerne gelesen und hoffe, dass Rainer Christiansen uns bald mit weiteren spannenden Geschichten beglücken wird.

Vielen Dank an den KSB-Media Verlag fürs Rezensionsexemplar.