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Wedma

Bewertungen

Insgesamt 546 Bewertungen
Bewertung vom 12.01.2016
Der Pfau
Bogdan, Isabel

Der Pfau


ausgezeichnet

Lady und Lord McIntosh leben auf ihrem großen alten Anwesen in Schottland mit zwei Bediensteten und etlichen Tieren. Um über die Runden zu kommen, bieten sie Cottages und Teile des Anwesens an Ruhesuchende aus dem ganzen Land an. Der Westflügel wurde nun übers Wochenende an eine Gruppe der Investmentbanker einer Londoner Privatbank vermietet. Die Chefin und ihre vier Untergebenen samt der Köchin und Psychologin, die diese Teambildungsmaßnahme moderieren sollte, haben sich in den kühlen, alten Räumen einquartiert. So nahm das Abenteuer seinen Lauf.
Alle Figuren, insb. die Chefin und ihre vier Banker, aber auch die Köchin und die Psychologin sind wunderbar situativ eingeführt worden. Ich konnte dabei diverse Typen bei den Londonern ausmachen, wie z.B. die ehrgeizige Karrieristin, die alles perfekt haben will; ein armseliger Ar…kriecher; ein vergnügter Mitmacher, der weiß, wer er ist; einer mit eigener Meinung und ein flexibler Mitläufer. Sie unterteilen sich auch nach: glücklich verheiratet, eine Familie mit Kindern; glücklich verheiratet in einer gleichgeschlechtlichen Ehe ohne Kinder; getrennt, allein lebend; nicht mehr so glücklich verheiratet; verwitwet; alleinstehend. All diese Merkmale sind wunderbar mit ins Spiel eingebracht worden. Man sieht am Ende, wer diese Herausforderung mitten in freier Natur mit welchem Erfolg übersteht und warum. Die Figuren verändern sich im Laufe der Geschichte und bringen auch selbst ihre Erkenntnisse aus der Maßnahme zum Ausdruck. Insb. der Veränderungsprozess der Banker ist so plastisch, so gekonnt und fesselnd dargestellt worden, dass ich ab der Mitte das Buch einfach nicht mehr aus der Hand legen konnte.
Es gab Geheimnisse, Verwicklungen und eine Überraschung zum Schluss. Auf einigen Seiten kam ich aus dem Schmunzeln nicht mehr heraus und musste an vielen Stellen zustimmend nicken und „Herrlich!“ rufen, ob bei der Darstellung der Bewältigung des Alltags auf dem alten Anwesen oder bei der Einführung und Entwicklung der Teilnehmer und der Maßnahme an sich, denn die menschlichen Charaktere sind wie aus dem wahren Leben gegriffen worden: sehr gut beobachtet und sehr gelungen präsentiert.
Es gab auch einfach schöne Stellen, z.B. das Baden dreier Teilnehmer im Dunklen unter freiem Himmel, auch die Stellen, die in die Tiefe gingen und mich zu Tränen gerührt haben: so weise, so viel über die menschliche Natur sagend, so treffend und herrlich geschrieben!
Aber nicht nur die Figuren waren spannend und sehr gelungen. Gegenstände und Tiere spielen auch eine große Rolle in dieser Geschichte und treiben sie tatkräftig voran. Die Personifizierung des Staubsaugers Henry und die durchaus passende, leichte Vermenschlichung der Tiere, wie z.B. des Terriers der Chefin der Investmentbanker, des verrückten Pfaus auf dem Anwesen McIntosh, etc. haben eine besondere Facette dem Ganzen verliehen, und für noch mehr Schmunzeln und gelegentliches Auflachen gesorgt.
Schöne, aussagekräftige Sprache, gekonnter Ausdruck, eigener Stil, der die Situationskomik so dynamisch und klar, mithilfe von nur wenigen Worten vor Augen der Leser führt, haben wesentlich zum Lesegenuss beigetragen. Auch deshalb hat es Spaß gemacht, die Geschichte zu lesen und den Figuren und ihrem Abenteuer zu folgen.
Zum Schluss war mir ein wenig zu viel erklärt worden, aber gut. Der Sinn des Ganzen musste jedem zugänglich gemacht werden.

Fazit: eine kluge, lesenswerte, sehr gelungene Geschichte über die menschliche Natur und noch paar andere spannende Dinge. Ich ahbe sie sehr genossen! Eine klare Leseempfehlung und 5 sehr wohl verdiente Sterne!
Ich bedanke mich beim Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln fürs Rezensionsexemplar.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.01.2016
Die Schneelöwin / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.9
Läckberg, Camilla

Die Schneelöwin / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.9


weniger gut

Auf der Suche nach einem Autor/einer Autorin, den/die ich reihenweise lesen könnte, habe ich die Neuerscheinung von C. Läckberg bestellt. Der Anfang schien vielversprechend, gekonnt geschrieben und warf viele Fragen auf: Ein verstümmeltes Mädchen stolpert unters ankommende Auto. Wie kommt es dazu? Wer hat es eingefädelt und warum?
Ich habe mir vorgestellt, dass der Fokus auf dem Krimifall liegen wird. Es kam aber anders.
Schon bald war die anfängliche Neugier weg: Ausufernde Schilderungen des Familienlebens diverser Paare haben sie totgeschlagen. Ich hatte den Eindruck, dass ich in einer der Vorabendserien gelandet war, bei denen Herzschmerz und Beziehungskisten im Vordergrund stehen. E.g. auf Seite 16 geht es um Patrik Hedström und seine Überlegungen, wie anstrengend es doch sei, kleine Kinder zu haben, denn sie quengeln, wollen Aufmerksamkeit, etc. Das Verhalten aller seiner Kinder wird geschildert und untereinander verglichen. Von solchen Stellen gibt es mehr als genug. Der Fall an sich bleibt immer wieder auf der Strecke. Dazu kommen die Schilderungen des Pferdestahls, der Mädchen, die dort regelmäßig verkehren: Wer welches Pferd reiten darf, die Beziehungen zwischen den Mädchen und deren Familien und Familienmitgliedern, usw. wurden ausführlich dargelegt. Einem bleibt kaum etwas erspart, was Familienleben angeht: häusliche Gewalt und Trauer der Mutter des Opfers in all seiner Emotionalität inklusive. Die Szene der Geburt eines Kälbchens (wie in anderen Herzschmerzromanen wahlweise eines Fohlen, Kätzchens, usw.) findet auch ihren Weg in die Geschichte. Ermittlungen bleiben wieder über weite Strecken unter fernen Liefen.
Auch die Schilderung der Liebe auf den ersten Blick zwischen Laila und ihrem zukünftigen Mann in den siebziger Jahren (dorthin kehrt die Geschichte immer mal wieder zurück) kam mehr schon reichlich abgedroschen vor. Dazu kommt billige Effekthascherei hier und dort, z.B. S 49. Erica besucht zwecks der Recherche das verlassene Haus und gruselt sich.
Kaum hat man minimal etwas über den Fall erfahren, schon kommt eine weitere Einlage zum Familienleben, Kleinkindererziehung, Rolle der Väter dabei, etc. Dass Frauen, besonders mit Kleinkindern, als Zielpublikum hier angepeilt werden, kommt überdeutlich zur Geltung.
Es gibt zu viele Erzählperspektiven, die recht oft gewechselt werden. Auch dafür konnte ich mich nicht so recht begeistern.
Die Art der Stoffdarbietung lässt ebenso einiges zu wünschen übrig. Ab S. 169 gibt es klobige Infoeinlagen über Psychopathen in Dialogform mehr schlecht als recht versteckt. Und was man dabei fühlen muss, wenn ein psychopatischer Täter sine Opfer verstümmelt, wird auch, mithilfe von Patriks Gedanken, den Lesern vorgegeben. Paar Seiten weiter kommt man aus dem Infodump immer noch nicht heraus. Die Polizisten stehen dabei recht dumm da, als ob sie nie etwas zum Thema je gehört hätten. Glaubwürdigkeit leidet ganz schön darunter, auch an anderen Stellen. Es wir d auch generell zu viel erklärt. Vom Polizeirevier aus geht es wieder zum Pferdestahl und Beziehungskisten dort, die aufs Neue in epischer Breite ausgewälzt werden.
Auch in Sachen Stil zeigt sich Luft nach oben. Es gibt zu viel von „war“ und all seinen Variationen, wie anderen Wortwiederholungen.

Fazit: Leider konnte ich mich für die Geschichte und die Art, wie sie dargeboten wurde, nicht begeistern. Es ist hpts. daily soap mit viel Herzschmerz und Beziehungskisten in all den Variationen. Nebenbei, wie beiläufig, wird ermittelt. Wer so etwas mag, oder Fan von der Autorin aufgrund von früheren Folgen ist, wird das Buch vermutlich gut finden können.

Bewertung vom 16.12.2015
Commissaire Mazan und der blinde Engel / Commissaire Mazan Bd.2
Bagnol, Jean

Commissaire Mazan und der blinde Engel / Commissaire Mazan Bd.2


ausgezeichnet

Die Rezension bezieht sich auf das Hörbuch, Spieldauer: 9 Stunden und 53 Minuten, ungekürzte Ausgabe, gelesen von Hemma Michel.
„Commissaire Mazan und der blinde Engel“ ist ein spannender Krimi, der drei Handlungsstränge, Themen wie Freundschaft, Liebe, Gaumenfreuden, Tradition, Kunst und Umweltschutz gekonnt verknüpft, mit einigen Überraschungen aufwartet und somit für gute Unterhaltung sorgt.
Mazan ist ein kleines Örtchen mit knapp sechs tausend Einwohnern in Département Vaucluse der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur.
Commissaire Mazan ist ein schwarzer Kater, der bei der Mordermittlerin, einer jungen Frau namens Zadira Matéo, wohnt und nebenbei seine eigenen Ermittlungen anstellt. Es gibt einige anderen Katzen in dem Örtchen, mit denen der Commissaire Mazan befreundet ist und auf deren Hilfe er zählen kann, wenn es darum geht, durchzugreifen und seiner Frauchen zu helfen, den Mörder zu stellen. Diese Katzenperspektive, mit den dazugehörigen Überlegungen über Menschen, Hunde und ihr Verhalten, etc. hat mich schon sehr, wie auch angenehm, überrascht.
Auf der Menschenebene ermittelt Zadira Matéo in einer Mordserie, bei der die neusten Bilder des bekannten blinden Malers Etienne Idka nachgestellt wurden: die Mordopfer sind in exakt gleicher Körperhaltung gefunden worden. Zadira hat auch auf der privaten Front einiges zu meistern. Der Mann, den sie mag, scheint eine Freundin bekommen zu haben, und Zadira lernt, damit umzugehen. Und ihr Assistent, der korpulente Vegetarier Lucien Brell, geht der gesetzlich verbotenen Ausrottung der Singvögel nach, die in der Provence seit Jahrhunderten als Delikatesse gelten.
Es gibt Situationskomik und philosophisch angehauchte Gedanken über das faire und weniger faire Miteinander, über Umweltschutz und dessen Missachtung, wenn es um lang gehegte Traditionen und Essgewohnheiten der Franzosen geht, über die Liebe, Freundschaft, Sex. Etwas über die Kunst und warum sie so viele Menschen anzieht, über den Genuss und seinen Preis, für viele Beteiligten.
Die Figuren haben mir alle zugesagt, ob Menschen oder Tiere. Manche komisch, manche tragisch, manche egoistisch und/oder leichtsinnig, aber alle sehr gut ausgearbeitet und überzeugend dargestellt, die Guten wie die Bösen.
Gute Spannung und überraschende Wendungen sorgen für prima Unterhaltung.
Die Erzählerin Hemma Michel hat eine gute Arbeit geleistet. Einzelne Figuren konnte ich deutlich heraushören. Allerdings kamen mir einige Passagen als zu schnell gelesen vor.
Es war meine erste Begegnung mit Jean Bagnol. Und bestimmt nicht die Letzte. Ich bin sehr auf den Fall 3 der Reihe gespannt.
Fazit: ein gekonnt geschriebener, spannender Krimi aus der Provence. Für „Commissaire Mazan und der blinde Engel“ gibt es 5 wohl verdiente Sterne und eine Empfehlung, nicht nur für Krimi und/oder Katzenfans. Es ist eine schöne, lesenswerte, kluge Geschichte, die sehr gut erzählt wurde.

Bewertung vom 13.12.2015
Die Königin der Orchard Street  (Restauflage)
Gilman, Susan J.

Die Königin der Orchard Street (Restauflage)


sehr gut

Malka Treynovsky ist 6 als sie und ihre jüdische Familie bestehend Vater, Mutter und zwei ihrer älteren Schwestern aus Russland 1913 fliehen. Die Reise soll nach Südafrika gehen, wo der Bruder der Mutter lebt und sie dort erwartet. Aber in Hamburg entscheiden Malka und ihr Vater unter Ausschluss der restlichen Familie anders: Sie tauschen die Tickets und die Familie nimmt das Schiff nach Amerika. Sie landen in einem Armenviertel auf der Lower East Side. Sie sind bettelarm. Die Mutter jagt Malka und ihre ältere Schwester hinaus auf die Straße, damit sie Geld verdienen: wer nicht arbeitet, isst nicht, lautet die Devise. Die beiden kleinen Mädchen erledigen Hausarbeiten: schrubben Böden, schleppen Einkäufe oder klingeln bei den Nachbaren und bieten schlichte Unterhaltung an: Malka singt die selbst komponierten Lieder, da sie ein großes Mundwerk hat, wie ihre Mutter es ihr mehrmals vorgeworfen hat, und ihre Schwester tanzt dazu. Dabei gibt es einen Penny, wenn Malka singt und noch einen, damit sie aufhört. Eines Tages gerät Malka unter das Pferd des Eisverkäufers Dinello und ist schwer am Bein verletzt. So nimmt ihr Schicksal seinen Lauf. Von der Mutter verstoßen, landet sie in der Familie des italienischen Eismachers, lernt die Kunst der Eiszubereitung und steigt später zur „Eiskönigin von Amerika“ mit eigener TV-Sendung, etlichen Konzessionsnehmern, einem Reichtum, von dem sie als ein armes Auswandererkind hätte nie träumen können.
Es ist eine Ich-Erzählung. Lilian Dinkle, wie die Grand Dame des Eis-Imperiums den größten Teil ihres Lebens heißt, erzählt den Lesern ihr bewegtes wie arbeitsreiches Leben. Sie hält es nicht für nötig, etwas daran oder an ihren Beweggründen zu beschönigen. Ihr schlichter Wunsch zu überleben, das Leben ihrer Lieben abzusichern und ihr stark ausgeprägter Pragmatismus ließen sie in entscheidenden Momenten zu weniger konventionellen Mitteln greifen. Gepaart mit eiserner Disziplin, sicherten sie nicht nur das Überleben, auch ihr Geschäft florierte mit der Zeit. Und oft dann, wenn die Situation geradezu ausweglos schien, bekam Lilian Dunkle eine zündende Idee und machte eine Herausforderung zum Erfolg.
Die Geschichte erstreckt sich über ca. 68 Jahre und liefert u.a. einen ungewöhnlichen Blick auf die amerikanische Geschichte des 20-ten Jahrhunderts: der Erste Weltkrieg mit seinen in die Höhe schießenden Preisen, die Prohibition, der Zweite Weltkrieg und die Deportation der Italiener, die 60-ger und 80-ger, all das aus der Sicht einer Eismacherin, die im Zweiten Weltkrieg so richtig dick ins Geschäft kam und die Herstellung ohne ihren Mann sichern musste.
Dieses Werk stellt eine beachtliche Leistung dar. Aus so einer Perspektive hat noch keiner mir bekannter Autor einen kritischen Blick auf die amerikanische Gesellschaft in der Spanne von 1913 bis in die achtziger Jahre geworfen.
Was meine Begeisterung in Grenzen hielt, war der Schreibstil: so kräuselig, eher umständlich und voller Details. Er forderte volle Aufmerksamkeit und es brauchte einige Seiten, um nach einer Pause sich in die Geschichte wieder einfinden zu können. Danach ging es eine Weile.
Die Protagonistin und ihre Geschichten machen dies schon fast wett, und letztendlich passt diese Erzählweise zu Lilian. Sie ist strak, eigenwillig, durchsetzungsstark, aber auch chaotisch, von Emotionen geleitet, besonders in den jungen Jahren. Sie ist so anders als die meisten Romanheldinnen: kein süßes Liebchen. Zu allen Seiten moralisch wie politisch korrekt ist sie bestimmt nicht. Und gerade das hebt sie aus der übrigen Masse hervor.
Es ist zwar nicht so, dass ich den Roman verschlungen habe, aber es wäre ausgesprochen schade, Lilian und ihre Geschichte nicht kennengelernt zu haben.
Fazit: ein ungewöhnlich guter, lesenswerter Roman mit einer starken wie moralisch inkorrekten Protagonistin. Geschichte des 20 Jh. aus der Perspektive der „Eiskönigin von Amerika“.

Bewertung vom 11.12.2015
Die gehäutete Seele
Christiansen, Rainer

Die gehäutete Seele


sehr gut

Stelle dir vor, du kannst die Sprache der Pflanzen verstehen. Du weißt nicht nur, was ihnen wichtig ist, was ggf. fehlt. Du kannst auch nachempfinden, wenn jemand ihnen wehgetan hat und erst recht weißt du, wie es sich anfühlt, wenn z.B. die Haut von einer Birke entfernt wurde. So geht es Daniel, 17. Aufgrund seiner schaurigen Vorgeschichte beschäftigt er sich lieber mit den Pflanzen als mit den Menschen. Eines Tages lernt er Sarah, Ärztin, 27, kennen, die ihn nach einem Fall vom Fahrrad unweit vom Himmelsmoor erstversorgt. Es ist die Liebe auf den ersten Blick, besser gesagt, von der ersten Berührung an. Eine unsichtbare Verbindung besteht zwischen den beiden von da an und eine ungewöhnliche Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf.

Aber es ist noch nicht alles. Es gibt eine Ermittlung wegen einer Moorleiche, die rein zufällig bei NABU-Arbeiten geborgen wurde. Eine junge, ehrgeizige Kommissarin Garthmann, Kripo Pinneberg, will beweisen, dass Daniel damit zu tun hat. Ihr älterer und erfahrener Kollege Renner hat so seine Zweifel daran. Wie war es wirklich?, fragt man sich. War es Daniel, war er es nicht? Könnte er es überhaupt? Hat der Renner recht oder die Garthmann? Es gibt dann noch mehr Tote, ein Verstümmelter und eine überraschende Wendung zum Schluss.

Es ist eine erfrischend andere Geschichte. Anders als die bekannten Thriller/Krimis, etwa die aus Skandinavien oder aus Nordamerika. Die Handlung ist in Hamburg und Umgebung angesiedelt: in der Isestraße wohnt eine wichtige Figur, von Eppendorf und dem dortigen Klinikum ist hier und dort die Rede, dorthin wird eine führende Figur eingeliefert, in Richtung Quickborn zum Himmelsmoor wird oft zwecks Ermittlungen gefahren, auf Usedom wird Kurzurlaub gemacht, auf A20 nach Hamburg zurückgefahren, am Horner Kreisel in die Sievekingsallee eingebogen, an der Wrangelstraße nach Parkplätzen gesucht, etc. Also für die Liebhaber lokaler Krimis/Thriller ist dieser schon eine gute Adresse.

Das Besondere auch: Die Geschichte spielt sich nicht nur auf physischer Ebene ab, da manche Figuren mehrdimensional veranlagt sind und agieren auch entsprechend. Mit Spannung blättert man Seite um Seite, denn ein Konflikt jagt den Nächsten und man fragt sich stets: wie geht es weiter? Schaurig wird es auch, sowohl am Anfang als auch zum Schluss.

Die Sprache fiel mir durch ihre ungewöhnliche Effizienz/Aussagekraft auf. So eine dicht geschriebene Geschichte ist mir schon länger nicht in die Hände gefallen. Manche andere Autoren wälzen viel weniger an Material auf hunderten von mehr Seiten aus. Nicht so hier. Ich war angenehm überrascht. Auch durch manche sehr gute Beobachtungen, was das menschliche Wesen anbelangt und treffend formulierten Sätze. Man sieht die persönliche Reife des Autors seiner Geschichte an. Themen der Liebe, der Bedeutung der Familie, des Zusammenhalts, der Balance zwischen Arbeit und Privatsphäre, auch das der „zerstörerischen Seite der Sexualität“ sind in der Geschichte gut Präsent.

Die Gestaltung des Buches finde ich sehr gelungen. Die Schrift ist von angenehmer Größe. Das Buch an sich ist handlich, leicht, prima zum Mitnehmen. Das Coverbild passt optimal zum Inhalt: Die Birke und das Moor sind so, als ob sie der Geschichte entsprungen sind.

„Die gehäutete Seele“ habe ich gerne gelesen und hoffe, dass Rainer Christiansen uns bald mit weiteren spannenden Geschichten beglücken wird.

Vielen Dank an den KSB-Media Verlag fürs Rezensionsexemplar.

Bewertung vom 10.12.2015
Madame le Commissaire und der verschwundene Engländer / Kommissarin Isabelle Bonnet Bd.1
Martin, Pierre

Madame le Commissaire und der verschwundene Engländer / Kommissarin Isabelle Bonnet Bd.1


ausgezeichnet

Die Rezension bezieht sich auf das Hörbuch Spieldauer: 9 Stunden und 19 Minuten, gesprochen von Gabriele Blum.
Auf der Suche nach einem netten Hörbuch, das mir heimisches Werkeln unterhaltsamer gestalten ließe, war ich bei Madame le Commissaire und dem verschwundenen Engländer angelangt. Der Anfang hörte sich gut an, ich holte das Buch und stellte fest, dass es eine sehr gute Entscheidung war.
Es ist ein gekonnt geschriebener, spannender Krimi, der von seinen Figuren und dem südfranzösischen Flair lebt.
Isabelle Bonnet, Leiterin einer Spezialeinheit in Paris, will sich von ihren Verletzungen nach dem Bombenanschlag auf den Präsidenten erholen und fährt nach Fragolin, Präfektur Toulon, Unterpräfektur Brignoles/Draguignan. Fragolin ist ein kleiner Ort, wo sie zur Welt kam und bis zum Autounfall ihrer Eltern lebte, als sie noch ein kleines Mädchen war. Ihr wird von ihrem Chef in Paris, der auch gleichzeitig ihr Mentor und ein guter Freund ist, ein scheinbar einfacher Fall übergeben, eher um sie leicht auf Trab zu halten, während sie sich physisch wie psychisch erholt. Sie soll kurz nachschauen, was es mit der Frauenleiche auf sich hat, die in einer Villa unweit von Fragolin entdeckt worden war. Eigentlich sollte der Fall nach paar Tagen ad acta gelegt werden, aber er entpuppt sich als etwas, was Isabelle doch länger beschäftigen und ihr auch helfen wird, dem Unfall ihrer Eltern auf den Grund zu gehen: Zwei Handlungsstränge, die für die nötige Spannung und Abwechslung sorgen.
Die Figuren fand ich authentisch, lebendig und so unterschiedlich, dass es schlicht Spaß gemacht hat, sie kennenzulernen. Der Assistent von Isabelle ist vordergründig ein Tölpel, der Gedankenfaden oft verliert, unterschiedliche Socken trägt, die Krawatte schiefsitzend hat und in Toulon in Polizeiarchiv gesteckt wurde. Als er Isabelle bei der Mordermittlung eher aus Spott zugeteilt wird, offenbart er sehr nützliche Eigenschaften, die die Ermittlungen in beiden Fällen, dem um den Engländer und dem um den Unfall von Isabelles Eltern, wesentlich erleichtern und nicht nur das. Auch ihre Freunde aus der Kindheit, die sie zum Essen einladen, der neue Bürgermeister, der sie das Lebengenießen lehrt, der Älteste im Dorf, der stets herumläuft, schimpft und vor die Füße spuckt, dennoch zu den Ermittlungen beiträgt, auch die Verdächtigen im Engländerfall, alle Figuren haben ihre eigene Geschichte und tragen zum hohen Unterhaltungswert bei.
Die Handlung fand ich prima komponiert, die beiden Stränge mit gekonnter Leichtigkeit miteinander verwoben. Wer der Täter war, wusste ich bis zum Schluss nicht, was nicht besonders oft vorkommt.
Und natürlich das südfranzösische Flair: es wird gut gegessen, mit Freunden gegrillt, morgens gibt es Croissant mit Milchkaffe, mittags ein Glas gut gekühlten Rosé. Die Ausflüge ans Meer, an eine schöne Insel vor der Küste, auch einiges an lebensphilosophischen Überlegungen tragen zu guter Unterhaltung bei.
Ein kleiner Wermutstropfen: es war mir stellenweise zu viel erklärt, wiederholt und zusammengefasst. Aber es hielt sich doch in Grenzen.
Die Sprecherin Gabriele Blum hat sehr gut gelesen. Ihre Stimme passt perfekt zu der Geschichte. Sie hat Isabelle und weitere Figuren für mich zum Leben erweckt, auch Männer klangen absolut überzeugend. Ich habe die Geschichte sehr gerne gehört und wollte gar nicht so schnell eine Pause einlegen, sodass es viel zu schnell zu Ende war. Also beschloss ich den Fall zwei „Madame le Commissaire und die späte Rache“ zu holen.
Fazit: ein gut geschriebener Krimi, prima Unterhaltung, als Hörbuch eine klare Empfehlung.

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.12.2015
Tödliche Camargue / Capitaine Roger Blanc ermittelt Bd.2
Rademacher, Cay

Tödliche Camargue / Capitaine Roger Blanc ermittelt Bd.2


sehr gut

Die Rezension bezieht sich auf das Hörbuch, Spieldauer: 10 Stunden und 23 Minuten, gelesen von Oliver Siebeck.

Es ist ein solider, gekonnt aufgebauter Krimi mit spannenden Figuren, einem recht ausgeprägten Bezug zur Kunst und Politik, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart. Gute, intelligente Unterhaltung.

In der sengenden Augusthitze untersuchen Roger Blank, ein aus Paris in die Provence versetzte Capitaine und seine Kollegen den Tod von Albert Cohen. Er war ein Reporter eines Politmagazins, TV-Star, von dem man nicht gleich vermuten würde, dass er durch die Camargue mit dem Rad unterwegs ist. Sein Tod ist schon recht skurril: ein Kampfstier hat ihn aufgeschlitzt. Vordergründig sieht es nach einem Unfall aus. Roger Blank will aber das Ganze nicht dabei bewenden lassen und ermittelt zunächst, als ob es ein Mord gewesen wäre. Es stellt sich heraus, dass Albert Cohen im Haus seines Verlegers wohnte und einen Artikel über Vincent van Gogh für sein Magazin schreiben wollte. Aber wie und warum es zu Cohens Tod kam, ob wegen seiner Recherchen zu van Gogh oder aus einem anderen Grund, das will Captaine Blank genauer unter die Lupe nehmen.
Dieser Fall hört sich fast wie eine Gesellschaftsstudie an: Der Bezug zur Politik ist schon recht präsent, ob heute, egal, dass Provence weiter weg vom Paris liegt, die Strippen werden immer noch dort gezogen, oder vor paar Jahrzehnten, als eine terroristische Gruppierung einige Morde auch im Süden verübt hatte. Die Probleme von Blancs Kollegin, die vor der Hochzeit mit ihrer Lebensgefährtin vom Bürgermeister die Steine in den Weg gelegt bekommt, kommen hier und dort zur Sprache. Die hohen Politiker in Paris und die jungen Leute in der Provence, die Drogen als festen Bestandteil des Lebens erachten, etc. all diese Dinge lassen an eine kritische Analyse der heutigen franz. Gesellschaft denken. Zugleich ist es eine Art Kunststudie, die Geschichte ungemein bereichert: Der Bezug zur Kunst durch die Untersuchungen zu van Gogh erlaubt einige ungewöhnliche Einblicke in sein Leben und die Wahrnehmung seiner Künstlerperson und ihrer Bedeutung heute. Die Morduntersuchung an sich ist der Motor der Handlung und hält alle Stränge zusammen, obschon ich einen guten Tipp gleich zu Anfang hätte, wer der Mörder ist. Aber das ist vor dem reichhaltigen Hintergrund nicht weiter von Bedeutung.
Die Figuren sind spannend, haben alle ihre eigenen Geschichten und auch die Mordmotive. Die Begegnung mit ihnen hat für unterhaltsame Stunden gesorgt. Etwas zum legendären roten Reis aus der Camargue erfährt man auch so ganz nebenbei. Das heimische Werkeln fiel damit wesentlich leichter aus. Ich war so von diesem Krimi begeistert, dass ich gleich den ersten Fall mit Roger Blanc als Hörbuch geholt habe.
Oliver Siebeck hat wunderbar gelesen. Auch Frauenfiguren gelingen ihm sehr gut. Seine Stimme passt zu der Geschichte und ihrem südfranzösischen Flair. Danach geht einem fast so, als ob man in der Provence Urlaub gemacht hätte.

Fazit: Für all diejenigen, die etwas für Kunst, Geschichte und Politik übrig und nichts gegen eine Reise in die Provence, bzw. Camargue, wie ein Glas Rosé einzuwenden haben. Dafür gibt es vier hell leuchtende Sterne und eine Hörempfehlung.

Bewertung vom 01.12.2015
Wintergäste in Trouville / Kommissar Leblanc Bd.2 (MP3-Download)
Simon, Catherine

Wintergäste in Trouville / Kommissar Leblanc Bd.2 (MP3-Download)


sehr gut

Die Rezension bezieht sich auf das Hörbuch, gesprochen von Martin Kautz, Spieldauer: 7 Stunden und 25 Minuten.
Wintergäste in Trouville ist ein guter gemütlicher (cosy) Krimi aus der Normandie. Trouville liegt im Norden an der sandigen Küste Frankreichs, etwa 200 Km von Paris entfernt, sodass viele, die in Paris gearbeitet haben oder dies noch tun, dort ihren (zweiten) Wohnsitz haben, oder wie Kommissar Leblanc dorthin versetzt wurden.
Kommissar Leblanc, ein ca. 50-Jähriger Mann, der gutes Essen und Wein schätzt, und unter ausgeprägter Bindungsangst leidet, ermittelt in einem Mordfall, bei dem eine recht bekannte Journalistin erdrosselt im Keller des renommierten Hotels des Ortes „Hôtel des Roches Noires“ aufgefunden wurde. Der Fall führt Leblanc zu Monsieur Adler, einem über 90 Jahre alten und gut betuchten Mann, der im Hotel wohnt. Seine Geschichte und die seiner Familie werden im Laufe der Ermittlung unter die Lupe genommen. Da tun sich die menschlichen Abgründe auf und die Geschichte mit ihren 1.ten und 2.ten Weltkriegen wird aus der Sicht des alten Herrn kurz aufgerollt. Aber die heiße Spur führt letztendlich in eine Schönheitsklinik, die mit sicheren Erfolgen im Bereich Übergewichtbekämpfen &Co. lockt.
Marie, Leblancs Freundin aus den Pariser Zeiten, auch in Trouville ansässig, entdeckt die Leiche und nun laufen sie sich hin und wieder im Laufe der Ermittlungen über den Weg. Zu weiteren Unstimmigkeiten im privaten Bereich sorgt Leblancs Mutter, die bei ihrer Schwester wohnt und ihr Schwierigkeiten macht, da sie mit seltsamen Pflanzen aus Afrika handelt und bei ihr die Afrikaner ein aus ausgehen. Leblanc verspricht der Tante, zu ihr hinzufahren und mit Mutter zu reden, findet aber immer wieder eine plausible Ausrede.
Es gibt also ganz deutlich zwei Ebenen: die der Ermittlung des Mordes und die Private, die ebenso wichtig ist und entsprechend viel Raum genießt, was dem gemütlichen Krimi guttut.
Die Handlungszeit ist die Adventszeit, paar Tage kurz vor Weihnachten. Die große Schlussszene der Privatebene spielt am Heiligen Abend, ist gesellig und einfach schön.
Die Geschichte lebt eindeutig von den Figuren und ihren Lebensgeschichten. Prima ausgearbeitet und in Szene gesetzt, scheinen die handelnden Personen wie dem Leben entsprungen. Der alte Monsieur Adler und seine Lebensgeschichte ist schon faszinierend. Im Vergleich dazu sind die seiner beiden Söhne, obwohl auch gut im Leben dastehend, eher weniger spektakulär, sie fügen sich aber sehr gut ins Gesamtbild.
Womit ich gar nicht gerechnet habe ist die Gesellschaftskritik. Sie passt aber perfekt ins Geschehen hinein und erklärt die Handlungsmotive einiger wichtiger Figuren.
Die Themen der Familie, des familiären Zusammenhalts kommen deutlich zur Geltung.
Also alles in einem ist es ein gut durchdachter und gut komponierter Krimi, bei dem die gemütliche Seite, wie bei solcher Art Krimis insgesamt, nicht zu kurz kommt.
Der Erzähler Martin Kautz hat wunderbar gelesen. Seine Stimme passt auch wunderbar zu dieser Geschichte und hat ihr noch einen besonderen Charakter verliehen.

Fazit: Das Hörbuch Wintergäste in Trouville fand ich schön, unterhaltsam (so kann man sich das Erledigen der Hausarbeiten versüßen), ungewöhnlich für dieses Genre in die Tiefe gehend, und bin auf weitere Fälle mit Kommissar Leblanc sehr gespannt.