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Benutzername: 
Igelmanu
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Mülheim

Bewertungen

Insgesamt 997 Bewertungen
Bewertung vom 27.01.2018
Sturm über New Orleans / Dave Robicheaux Bd.16
Burke, James Lee

Sturm über New Orleans / Dave Robicheaux Bd.16


sehr gut

August 2005. Der Hurrikan Katrina, eine der verheerendsten Naturkatastrophen in der Geschichte der Vereinigten Staaten, hat die Stadt New Orleans zerstört. Die Stadt ist überflutet, unzählige Menschen sind gestorben. In den Trümmern und verlassenen Häusern treiben Plünderer ihr Unwesen, in den gefluteten Straßen herrscht Gesetzlosigkeit. Schwelender Rassismus bricht allerorten auf, die Polizei ist hoffnungslos überfordert. Grund genug für eine selbst ernannte Bürgerwehr, das Gesetz selber in die Hand zu nehmen. Eines Nachts fallen wieder mal Schüsse und ein siebzehnjähriger Schwarzer ohne Vorstrafen stirbt. In unmittelbarer Nähe zu dem Haus einer weißen Familie, deren Tochter nach der Vergewaltigung durch mehrere Schwarze traumatisiert ist. Ein simpler Fall von Selbstjustiz? Cop Dave Robicheaux schaut genauer hin…

Dieser Krimi ist kein Wohlfühlbuch, er ist hart und brutal. Das beginnt schon bei der Schilderung des Szenarios. Katrina ist zwar viele Jahre her, trotzdem habe ich noch die Fernsehbilder präsent. Die allerdings durch die Wortgewalt der Beschreibungen im Buch noch mal enorm verstärkt werden. Ein pures Albtraum-Szenario, man kann es nicht anders ausdrücken.

Den Leser erfasst Zorn, ganz klar tritt hervor, wie die Opfer – vor allem die ohnehin schon ärmsten unter ihnen – im Stich gelassen werden. Fassungslos liest man von vergeblich auf Hilfe wartenden Menschen. Dass vor diesem Hintergrund Verbrechen und Gewalt blühen, wundert nicht, aber in seinem Ausmaß und der drastischen Darstellung schockiert es schon. Sensible Gemüter sollten besser die Finger von diesem Buch lassen.

Die Protagonisten scheinen alle gegen persönliche Dämonen zu kämpfen. Dave Robicheaux ist ein traumatisierter Vietnam-Veteran und trockener Alkoholiker. Sein Freund Clete war mal sein Kollege, musste aber den Polizeidienst verlassen und arbeitet jetzt als eine Art Privatermittler. Er ist sensibel aber aggressiv, engagiert aber unbeherrscht und nach meiner Einschätzung aktiver Alkoholiker oder auf dem Weg, einer zu werden. Die Guten haben mächtig schlechte Seiten, die Bösen unterscheiden sich im Grad ihrer Grausamkeit, doch auch bei ihnen wird ein Blick hinter die Fassade gewagt, nach den möglichen Ursachen ihres verkorksten Lebenswegs gefragt. Darin steckt gleichzeitig eine Menge Gesellschaftskritik, mindestens bei einem der Bösen war ich am Ende geneigt zu glauben, dass sein Leben unter günstigeren Startbedingungen einen anderen Weg genommen hätte. Ich merkte, wie sich beim Lesen meine Empfindungen wandelten. Beispiel: Vier Plünderer nehmen ausgerechnet das Haus eines Unterweltbosses auseinander. Über die Plünderer erfährt der Leser, dass sie einige wirklich schwere und grausame Verbrechen begangen haben. Da schleicht sich ein fieser kleiner Gedanke in der Art von „Jungs, dieses Mal werdet ihr nicht ungeschoren davonkommen“ ein. Aber wenn es dann so weit ist, kommt fast Mitleid auf. Wie gesagt, der Grad der Grausamkeit macht den Unterschied. Man darf auch nicht darauf hoffen, dass am Ende alles gut ist. Dafür steckt viel zu viel Realismus in der Handlung und die wirkliche Welt ist oftmals keine nette.

Es sind altbekannte Themen, die hier aufgebracht werden, Themen wie Gerechtigkeit, Rache, Vergebung und Schuld. Der Leser kommt nicht umhin, sich unangenehme Fragen zu stellen, die berühmten „was würde ich tun“ Fragen. Recht und Gerechtigkeit sind nun mal nicht immer eins. Und wenn es um die eigenen Kinder geht, übernehmen gerne Urinstinkte die Steuerung menschlichen Handelns.

Ich mag Bücher, die einen als Leser vor solche gedanklichen Herausforderungen stellen. Trotzdem brauchte ich ein wenig, bis ich in der Handlung war, der Einstieg war manchmal verwirrend. Dazu trugen sicher der Umgangston und die vielen benutzten Slangausdrücke bei, deren Übersetzung nicht immer nahelag. Auch für die mehreren Erzählstränge benötigte ich eine kurze Orientierungszeit, nachdem das geschafft war, hat mich das Buch aber wirklich gefesselt.

Bewertung vom 21.01.2018
Spock und ich
Shatner, William;Fisher, David

Spock und ich


sehr gut

»Ich war es … und werde es immer sein … Ihr Freund.«

Wer, so wie ich, viele wichtige Abende seiner Kindheit vor dem Fernseher verbracht hat, auf die magischen Worte »Der Weltraum, unendliche Weiten.« wartend, der weiß ganz genau, wer da wem und in welcher Situation eine solche Freundschaftserklärung macht. Die Szene, in der Mr. Spock stirbt, hat sicher niemanden kalt gelassen. Und wie oft mag William Shatner nach dem Tod seines besten Freundes im Jahr 2015 an sie zurückgedacht haben? Dass er sein Buch mit der Schilderung der Szene beginnt, lässt eine Antwort erahnen…

Spock ist ein Charakter, der über Generationen bekannt ist und den selbst Menschen erkennen, die keine einzige Folge Star Trek gesehen haben. Dieses Buch nähert sich nicht nur dem Menschen hinter der Figur Spock, sondern es legt einen Schwerpunkt auf die gut fünfzig Jahre dauernde Freundschaft zwischen Leonard Nimoy und William Shatner.

Schon nach kurzer Zeit hat man als Leser das Gefühl, dass diese beiden Menschen Freunde werden mussten, dass irgendein Schicksal sie dazu bestimmt hatte. Sie wiesen viele Gemeinsamkeiten auf und wo sie zum Beispiel charakterlich verschieden waren, ergänzten sie sich eben dadurch perfekt.
Die Gemeinsamkeiten begannen schon in frühester Kindheit. Die beiden wurden im Abstand von nur vier Tagen geboren, beide wuchsen in jüdisch-orthodoxen Immigrantenfamilien der unteren Mittelschicht auf, begannen im Alter von acht Jahren mit der Schauspielerei. Und bis Star Trek sie unerwartet zu Stars machte, waren sie viele Jahre lang gezwungen, jede sich bietende Rolle anzunehmen und ständig nebenbei zu jobben, um das Überleben zu sichern.
Und dann kam das Jahr 1965, kam Star Trek. Beim Dreh lernten sich Shatner und Nimoy kennen, aber ihre Beziehung war zu Beginn nicht ohne Konflikte, es war keine Freundschaft „auf den ersten Blick“. Dafür aber eine, die sich entwickelte und umso inniger wurde. Daran lässt Shatner den Leser teilhaben. Das Ergebnis ist eine Art Doppelbiographie, Shatner berichtet bei fast jedem Punkt zusätzlich, wie es jeweils bei ihm war. Dadurch erfährt man auch über ihn als Mensch viel, er erzählt sehr offen und wirkt schonungslos ehrlich.

Und natürlich geht es immer wieder um Spock. Wie entstand die Figur, wie entwickelte sie sich und wie groß war der wechselseitige Einfluss zwischen Spock und Nimoy? Shatner schreibt in diesem Zusammenhang schon mal von „Leonards Spockigkeit“. Ich fand es faszinierend, wie stark Nimoy seine berühmteste Rolle formte, was er alles zu ihrer Entwicklung beitrug. Der Vulkanische Nackengriff und der Vulkanische Gruß waren seine Erfindung, konsequent schützte er seinen Charakter, achtete darauf, dass alles rund um ihn logisch und stimmig war.

Tatsächlich waren Logik und Präzision auch im privaten Leben seine ständigen Begleiter. Aber da war noch mehr, viel mehr. Der Mensch Leonard Nimoy war äußerst vielschichtig und sensibel. Er sang und schrieb Gedichte, war ein leidenschaftlicher Fotograf, gläubiger Jude und Alkoholiker. Er war politisch engagiert und Nächstenliebe war für ihn nicht nur ein schönes Wort.

Star Trek selbst ist natürlich auch ein Thema, das ließe sich gar nicht vermeiden. Shatner erzählt über die Serie und die Filme, über Erlebnisse beim Dreh, über Conventions und darüber, wie es war, plötzlich ein Star zu sein, plötzlich zu erleben, dass nahezu jeder Mensch in einem zunächst Kirk oder Spock sieht. Ein Mittelteil mit Fotos rundet alles perfekt ab.

In seiner Art zu erzählen, bleibt Shatner nicht immer chronologisch, macht den ein oder anderen Sprung. Aber dafür wirkt alles sehr lebendig, ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass er mir gegenüber auf dem Sofa sitzt und plaudert. Er blickt auf ein langes Leben zurück, auf eine lange Freundschaft. Bei der Fülle der Erinnerungen ersetzt manchmal ein Gefühl das konkrete Erlebnis. Das klingt dann etwa so: „Wir sagten etwas, das uns total wichtig war. Ich weiß nur nicht mehr, was es war.“ Das ist echt, das ist lebendig.

Bewertung vom 21.01.2018
Relic - Museum der Angst / Pendergast Bd.1
Preston, Douglas;Child, Lincoln

Relic - Museum der Angst / Pendergast Bd.1


sehr gut

»Hier entlang«, sagte der Wärter. »Die Treppe hinunter. Es ist ziemlich schlimm, Lieutenant. Ich kam gerade - «
»Erzählen Sie mir das später«, sagte D’Agosta. Nach dem Mord an den Kindern war er auf alles vorbereitet. »Sie sagten, er hätte die Uniform eines Wachmanns an. Kannten Sie ihn?«
»Ich weiß es nicht, Sir. Es ist schwer zu sagen.«

Dass der Wärter seinen toten Kollegen nicht erkennt, ist verständlich. Die Leiche ist in einem fürchterlichen Zustand, der Mörder hat wahrhaft grausam gewütet. Zudem war der Wachmann nicht sein erstes Opfer und bei weitem auch nicht das letzte…

New York, im Naturhistorischen Museum. Die Verantwortlichen dort bereiten sich auf die Eröffnung einer großen und bedeutenden Ausstellung vor. Eine Mordserie im Museum ist da so ziemlich das Letzte, was man brauchen kann. Schnelle Aufklärung ist gefragt, weshalb neben Lieutenant D’Agosta auch der FBI-Agent Pendergast anrückt. Doch die Suche nach dem Täter gestaltet sich als ungeheuer schwierig, zumal bald Zweifel auftreten, ob es sich hier überhaupt um einen „normalen“ Täter handeln kann. Gibt es am Ende passend zur anstehenden „Aberglaube“-Ausstellung etwas Ungeheuerliches, das das Museum unsicher macht?

Thriller, bei denen etwas Mysteriöses sein Unwesen treibt, lese ich eher selten. Ohne eine Empfehlung wäre dieser hier vermutlich nie bei mir eingezogen. Ich hätte was verpasst!

Was mir (die ich normalerweise Wert auf Realismus lege) sehr gut gefiel, waren die häufigen wissenschaftlichen bzw. wissenschaftlich anmutenden Ausführungen. Da wird zum Beispiel nicht einfach das Ergebnis einer DNS-Analyse in einem Satz erwähnt, sondern recht präzise besprochen. So etwas erhöht den realistischen Eindruck, kann aber auf einen Leser, der keine Sachtexte mag, langatmig wirken. Ich mochte diesen Mix sehr!
Möglich wird er durch ein ganz spezielles Autorenduo, von dem der eine Teil am Naturhistorischen Museum in New York arbeitete und diverse Sachbücher verfasste und der andere für den Spannungsteil zuständig ist.

Wer Spannung mag, bekommt diese auch. Und reichlich Blut dazu, man sollte als Leser nicht zu empfindlich sein.
Die Handlung ist recht vorhersehbar, wer gut ist und wer böse, ist schnell klar. Nichtsdestotrotz gibt es ein paar sehr interessante Charaktere, besonders Agent Pendergast erscheint mir ungewöhnlich und vielversprechend im Hinblick auf weitere Bände. Sein Charakter lässt noch auf einige Überraschungen hoffen. Dann gibt es die üblichen Warner, auf die niemand hören will und die fiesen Typen, die am liebsten alles vertuschen wollen. Im Groben ist der Ablauf klar, die Umsetzung trotzdem spannend und gelungen. Bei der unvermeidlichen Katastrophe werden alle Register gezogen, durch die sehr deutlichen Schilderungen hatte ich alles genau vor Augen. Und am Ende gab es sogar noch eine kleine Überraschung.

Mittlerweile haben die Autoren 16 Fälle für Pendergast geschrieben, das hier war der erste. Band 2 setze ich dann gleich mal auf meine Liste.

Fazit: Vorhersehbar, aber trotzdem spannend, blutig und mysteriös. Durch den wissenschaftlich anmutenden Anteil wirkte alles sehr realistisch, diesen Mix aus Thrill mit Sachinfos fand ich sehr ansprechend!

Bewertung vom 21.01.2018
Der Elefantenflüsterer
Anthony, Lawrence;Spence, Graham

Der Elefantenflüsterer


ausgezeichnet

»Bitte tu’s nicht, Mädchen.«
Ich spürte, wie mich ihre Augen durchbohrten, obwohl ich in der Finsternis ihr Gesicht kaum ausmachen konnte.
»Sie werden dich töten, wenn du ausbrichst. Das ist jetzt dein Zuhause. Du musst nicht mehr davonlaufen.«

1999, im Tierreservat Thula Thula, im Herzen von Zululand, Südafrika. Anthony Lawrence, geboren und aufgewachsen in Afrika, hat sich ein großes Ziel gesetzt: in seinem Tierreservat, einem früheren Jagdrevier, soll kein Tier mehr erschossen werden. Für dieses Ziel ist er rund um die Uhr im Einsatz, Wilderer machen ihm das Leben schwer. Und dann noch dieser Hilferuf! Für eine Herde verhaltensauffälliger Wildelefanten wird händeringend ein neues Reservat gesucht. Anthony hat keine Ahnung, wie er diese Aufgabe bewältigen soll, aber eins ist ihm klar: wenn er die Herde, bestehend aus erwachsenen Kühen, einigen Halbwüchsigen und einem Baby nicht aufnimmt, werden alle erschossen. Und wenn er es nicht schafft, die Tiere zu beruhigen, ebenfalls. Anthony macht sich an die Arbeit. Noch nicht ahnend, wie die Elefanten sein ganzes Leben beeinflussen werden…

Was für ein großartiges Buch! Und was für einen bewundernswerten Mann durfte ich hier kennenlernen! Wenn er seine Geschichte erzählt, macht er dabei dasselbe, was er auch im Leben getan hat, er stellt die Tiere in den Mittelpunkt. Offen gestanden wunderte ich mich kein bisschen, dass er im Alter von nur 61 Jahren an einem Herzinfarkt verstarb. Ich glaube, um sich selber hat er sich überhaupt nie gekümmert, sich stattdessen fortwährend und bis zur körperlichen und seelischen Erschöpfung für Tiere engagiert.

Was hat er dabei alles geschafft? Er hat einen Zugang zu traumatisierten Elefanten gefunden und ihnen ein Weiterleben in seinem Reservat ermöglicht. Dabei musste er sich intensiv mit dem Thema Kommunikation auseinandersetzen. Wie funktioniert diese unterhalb der Elefanten? Und wie zwischen Mensch und Tier? Sensibel widmet er sich diesen Fragen, seine Ausführungen fand ich hochinteressant. Bemerkenswert ist zudem, dass er sich immer wieder auf sein Bauchgefühl verließ, manches Mal entgegen der Meinung von Experten. Und dass er dabei stets im Auge behielt, dass die Tiere wilde Tiere bleiben sollen.

Viele Menschen hätte alleine diese Aufgabe ausgefüllt, aber Anthony Lawrence tat noch viel mehr. Neben dem stetigen Kampf gegen Wilderer stand er in regelmäßigem Kontakt zu den in seinem Umfeld lebenden Stämmen. Dabei fand er sich manches Mal im Mittelpunkt von Stammeszwistigkeiten wieder, musste sich mutig behaupten und immer wieder einen Weg der Zusammenarbeit finden. Er trug maßgeblich zur Gründung neuer Reservate bei, die sowohl die Tiere schützen als auch helfen, den dort lebenden Menschen durch Öko-Tourismus ein regelmäßiges Einkommen zu verschaffen.

Seine Liebe und Achtung galt ausnahmslos jedem Tier. Fand er eine Giftschlange in seinem Schlafzimmer, trug er sie vorsichtig aus dem Haus. Und als er 2003 einen Bericht über den durch Bombenangriffe zerstörten Zoo in Bagdad sah, flog er kurzentschlossen dorthin, um vor Ort den hungernden und verletzten Tieren zu helfen. Er gründete eine Umweltschutzorganisation „The Earth Organization“ und erhielt für sein Engagement diverse Auszeichnungen.
Es heißt, als er 2012 starb, kamen Elefanten zu seinem Haus und trauerten um ihn wie um ein Herdenmitglied.

Fazit: Fesselndes Porträt eines hochinteressanten Mannes, für Tier- und Naturfreunde ein Muss. Sehr schön geschrieben und mit insgesamt acht Seiten beeindruckender und teils persönlicher Farbfotos als Sahnehäubchen.

»In unseren lauten, hektischen Städten sind viele Dinge verloren gegangen, die unsere Vorfahren noch intuitiv wussten: dass die Wildnis lebendig ist, dass ihr Flüstern für alle Lebewesen hörbar ist – und dass alle darauf antworten können.«

Bewertung vom 21.01.2018
Zorn - Lodernder Hass / Hauptkommissar Claudius Zorn Bd.7
Ludwig, Stephan

Zorn - Lodernder Hass / Hauptkommissar Claudius Zorn Bd.7


ausgezeichnet

»Es klingt nicht nur logisch … es ist logisch. Und bevor du fragst: Ja, ich bin von allein draufgekommen, obwohl ich Innendienst habe.«

Nach einer schweren Verletzung muss Hauptkommissar Claudius Zorn Innendienst schieben. Ein Zustand, mit dem er gewohnt übellaunig umgeht. Für seinen Kollegen und Chef Schröder ist hingegen alles beim alten, er arbeitet für zwei. Ein rätselhafter Todesfall beschäftigt ihn, die Tote war Mitglied in einer Therapiegruppe, in der es kurz danach zu weiteren Auffälligkeiten kommt. Zorn und Schröder wittern eine ernsthafte Bedrohung, zumal sich herausstellt, dass ein kürzlich auf frischer Tat ertappter jugendlicher Pyromane ebenfalls zu der Gruppe gehört. Und während Zorn weiter Innendienst schiebt, macht sich Schröder auf zu einem Undercover-Einsatz…

Der Start ins Buch war wieder großartig! Enorm spannend, ein Pageturner von der ersten Seite an. Ich war nur einen winzigen Schritt vom Nägelkauen entfernt und musste dann entsetzt feststellen, dass es vermutlich noch 400 Seiten dauern wird, bis ich erfahre, wie die dargestellte Situation ausgehen wird. Aber als Leser will man es ja nicht anders ;-)

Im Rahmen der besagten Therapiegruppe trifft man in diesem Band auf reichlich interessante Charaktere. Jeder scheint ein anderes psychisches Problem zu haben, allein das ist schon spannend. Aber natürlich wird es noch weitere Todesfälle geben, Verdächtigungen und falsche Fährten und hochbrisante Situationen für die Protagonisten.

Stephan Ludwig weiß eben, was seine Leser wünschen. Hohe Spannung, extrem gestörte psychopathische Täter, ein geschicktes Verwirrspiel und (nicht zu vergessen) Zorn und Schröder mit ihren unnachahmlichen Dialogen. Ich mochte das Buch jedenfalls nicht aus der Hand legen, flog durch die Handlung, wollte unbedingt wissen, wie es jetzt weitergeht. Was aber nicht nur an dem Fall lag. Die beiden Kommissare sind hochinteressante Charaktere, wer schon frühere Bände der Reihe kennt, wird feststellen, was sie für eine Entwicklung durchlaufen. Vorkenntnisse sind aber ansonsten nicht notwendig, man könnte auch mit diesem siebten Band der Reihe beginnen und trotzdem alles verstehen.

Fazit: Wieder ein großartiger Fall für Zorn und Schröder. Bei mir ist nur eine Frage offen: Wann erscheint Band 8?

Bewertung vom 21.01.2018
Old School
Niven, John

Old School


ausgezeichnet

»Es ist völliger Wahnsinn, oder?«, fragte Julie.
»Ja. Eindeutig Wahnsinn.«
»Wir sollten besser die Notbremse ziehen, bevor es zu spät ist.«
»Himmel, nein.«
»Wie bitte?«
»Es scheint mir immer noch besser zu sein als die Alternative.«
»Die Alternative?«
»Dir wieder so einen beschissenen Job zu suchen, wie du ihn gerade erst losgeworden bist. Krieg ich eine Knarre?«

Die Person, die da so energisch nach einer Waffe verlangt, ist stolze 87 Jahre alt, ihre Mitstreiterinnen wirken dagegen mit ihren 60 Jahren wie junge Hüpfer. Trotzdem stehen sie alle vor dem Problem, dass sich ihr Lebensabend nicht im Geringsten so darstellt, wie sie ihn sich erhofft hatten. Susan beispielsweise wurde gerade mit der Erkenntnis konfrontiert, dass ihr Ehemann seit vielen Jahren ein Doppelleben führte, das ihm nun den Tod und ihr einen unerwarteten Schuldenberg brachte. Julies Existenz ging schon vor Jahren den Bach hinunter, sie lebt in einer Sozialwohnung und putzt in einem Pflegeheim. Wo Ethel in einem Rollstuhl sitzt und sich nichts mehr wünscht, als noch mal etwas Aufregendes zu erleben.
Geld muss her, aber woher nehmen? Als die Bank Susan auch noch ihr Haus nimmt, reift in den Freundinnen ein Plan. Ein äußerst ungewöhnlicher Plan. Aber was hat man schließlich schon zu verlieren?

Meine Güte, was habe ich gelacht! Dieses Buch ist einfach genial, zynisch und herrlich unkorrekt! Alte Damen sind ja normalerweise nicht die klassischen Ganoven, aber diese hier ziehen alle Register und agieren einfach großartig. Dass sie eigentlich im Unrecht sind, vergisst man sehr schnell, denn sie sind so sympathisch und ihre Beweggründe so überaus nachvollziehbar. Im Gegenteil fiebert man mit ihnen mit und freut sich, wenn der sie verfolgende Polizist, alle Klischees bedienend, immer wieder den Kürzeren zieht. Das Ganze wird zu einem rasanten Roadmovie mit einem furiosen Showdown und einem Ende, das mich breit grinsend und hochzufrieden das Buch zuklappen ließ.

Zwangsläufig kann man nicht umhin, darüber nachzudenken, wie viele Menschen doch im Rentenalter von Armut betroffen sind. Ihre Anzahl steigt stetig, nicht wenige müssen weiterhin arbeiten gehen, um überhaupt ihren Unterhalt bestreiten zu können. Das alles ist nicht gerecht, es ist sogar unglaublich ungerecht. Natürlich ist der Lösungsansatz von Susan, Julie und Ethel keiner, den man auf die Masse übertragen sollte. Aber es macht großen Spaß, sich das einmal vorzustellen!
Kleine Warnung am Rande: Das Buch strotzt vor dem, was man als „derbe Sprache“ bezeichnen kann. Wer unangenehm berührt wird, wenn alte Damen fluchen und sexuell kein Blatt vor den Mund nehmen, der ist hier falsch. Und wer den Fehler begeht, über eine Räuberin im Rollstuhl zu lachen, wird das bös bereuen…

Fazit: Herrlich unkorrekt - was habe ich gelacht!

Bewertung vom 21.01.2018
Britt-Marie war hier
Backman, Fredrik

Britt-Marie war hier


ausgezeichnet

»Das Arbeitsamt öffnet um 9 Uhr. Britt-Marie wartet, bis es 9.02 Uhr ist, dann geht sie hinein, weil sie wirklich nicht den Eindruck erwecken will, sie sei kleinkariert.«

Eigentlich sollte Britt-Marie gar nicht beim Arbeitsamt sein. Eigentlich sollte sie in ihrem Zuhause sein, sollte putzen, bügeln und aufräumen, so wie an jedem normalen Tag. Sie ist 63 Jahre alt und wartet schon ihr ganzes Leben lang darauf, dass es endlich anfängt. Bis es soweit ist, verschafft sie ihrem Mann ein perfekt gepflegtes und sauberes Heim und übersieht dabei geflissentlich bestimmte Dinge, bis sie sie eines Tages nicht mehr übersehen kann.
Als Resultat findet sie sich in einem runtergekommenen Kaff namens Borg wieder, inmitten von Kindern und Jugendlichen, deren Lebensinhalt nur aus Fußball zu bestehen scheint. Britt-Marie hasst Fußball, aber sie macht sich an die Arbeit…

Von Fredrik Backman habe ich bereits „Ein Mann namens Ove“ gelesen. Wie Ove ist auch Britt-Marie ein recht spezieller Charakter, der in seinen Eigenarten zugleich ungewöhnlich als auch vertraut wirkt, über den man einerseits lachen kann, der aber auch sehr nachdenklich macht.
Wie sie alles wieder und wieder putzt, sämtliche Tagesaktivitäten penibel durchplant und in Listen einträgt, die dann sklavisch befolgt werden müssen, ist schon skurril und sorgt beim Lesen für Erheiterung. Doch merkt man im Verlauf des Buchs immer deutlicher, weshalb sie all das tut, wie sie zu einem solchen Menschen werden konnte und dass sie im Grunde und von ihren Bedürfnissen und Wünschen her nicht anders ist, als jeder andere auch.

Betroffen erkennt man, dass Britt-Marie eine Frau ist, die tief in sich nicht glauben kann, dass irgendetwas, das sie tut, von Bedeutung ist. Und die sich doch zugleich nichts mehr als das wünscht.
Das Ergebnis ist eine unterhaltsame Geschichte, witzig und mit treffenden Worten geschrieben, die sich um die Suche nach einem Sinn im Leben dreht, um den Wunsch nach Anerkennung, um Träume, Hoffnungen und den Mut zu einem Neuanfang. Dabei spart der Autor nicht mit Gesellschaftskritik, in vielen Vorfällen und Ansichten erkennt man Vertrautes wieder – womöglich sogar bei sich selbst? Und wer die Protagonistin anfangs vielleicht für unsozial, unselbständig und unflexibel gehalten hat, wird die ein oder andere Überraschung erleben. Speziell das Ende fand ich überaus gelungen!

Fazit: Wieder eine tolle Geschichte von Fredrik Backman, unterhaltsam und nachdenklich machend zugleich! Ich weiß jetzt, dass ich auch noch seine weiteren Bücher lesen muss!

»Wir wollen, dass jemand weiß, dass wir hier sind. Dass es nicht egal ist.«

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.01.2018
Wer hustet da im Weihnachtsbaum?
Ludwig, Sabine

Wer hustet da im Weihnachtsbaum?


sehr gut

»Blöd war nur, dass es so doll nach Gänsebraten roch, den mag nämlich keiner von uns. Mama ist er zu fett, Papa zu trocken, Luzie isst nichts, dem man ansieht, dass es mal ein Tier war, und ich finde die matschige Füllung einfach nur eklig.«

Weshalb isst eine Familie alle Jahre wieder eine Gans, obwohl keiner sie mag? Ganz einfach, wegen Tante Traudel. Die ist schon ziemlich alt und findet es schön, wenn es zu Weihnachten so ist „wie früher“. Und Hannes Mutter möchte, dass die Tante sich so richtig rundum wohlfühlt, hofft sie doch, eines Tages deren Biedermeierkommode zu bekommen.
Die Tante bringt darüber hinaus stets Geschenke, die niemand mag, wegen ihr brennen echte Kerzen am Baum und man kann ohne Übertreibung sagen, dass Hannes Mama schon gestresst ist, wenn sie nur an den Tantenbesuch denkt. Für Hannes ist das ziemlich dumm, denn gerade jetzt hat er heimlich einen Wellensittich namens Bubi zur Pflege und würde ihn so gerne behalten! Ein Haustier hat er sich schon immer gewünscht, im Gegensatz zu seiner Mutter, die strikt dagegen ist. Wie ihr also jetzt die Sache mit Bubi erklären?

Eine sehr lustige Geschichte ist das! Hannes ist ein lieber Kerl, man mag ihn sofort und hofft mit ihm, einen Weg zu finden, Bubi behalten zu dürfen. Natürlich gibt es jede Menge Probleme bei der Heimlichtuerei, außerdem einen Nachbarn, der Hannes fast auf die Schliche kommt und eine kleine Schwester, die ständig kurz davor ist, sich zu verplappern.

Alle Familienmitglieder haben ihre Eigenarten, sind aber durchweg sympathisch, so dass jeder seine Identifikationsfigur finden kann. Es wird witzig, manchmal chaotisch und manchmal spannend, in der Summe ergibt das eine gelungene Geschichte, die am Ende sogar noch einen lehrreichen Kern hat.

Das Buch eignet sich zum Vor- und Selberlesen, zudem finden sich darin viele schöne, farbenfrohe und witzige Illustrationen, die ich gerne betrachtet habe und über die ich manches Mal schmunzeln konnte.

Fazit: Sehr unterhaltsame Familienweihnachtsgeschichte. Macht einfach Spaß!

Bewertung vom 21.01.2018
Das Weihnachtsgeheimnis
Gaarder, Jostein

Das Weihnachtsgeheimnis


sehr gut

»Plötzlich bemerkte er, dass der Engel ihm zulächelte und einen Arm hob, als ob er Joachim zuwinken wollte. Irgendwie schien der Engel auf dem Bild seit gestern deutlicher geworden zu sein.«

30. November. Joachim und sein Vater suchen vergeblich nach einem Adventskalender, in allen Geschäften der Stadt sind sie ausverkauft. Letztlich entdecken sie in einem winzig kleinen Buchladen doch noch ein Exemplar, das sie sofort in seinen Bann zieht. Der Kalender sieht sehr alt aus und ganz und gar besonders. Wie besonders, zeigt sich am nächsten Morgen. Als Joachim das erste Türchen öffnet, fällt ein kleiner, beschriebener Zettel heraus. Fasziniert liest er von einem Glockenlamm, das aus dem Kaufhaus wegläuft und von einem Mädchen namens Elisabet, das ihm folgt. Der Beginn einer spannenden und magischen Reise, deren Ziel 2.000 Jahre in der Vergangenheit liegt…

Ein magischer Adventskalender! Ich war beim Lesen glatt ein wenig neidisch auf Joachim, denn so etwas hätte mir auch gefallen! Und genau wie er fragte ich mich gespannt, wie es wohl hinter dem nächsten Türchen weitergehen würde. Joachim war übrigens artig und hat täglich nur ein Türchen geöffnet, ich hätte das Buch auch als Adventskalender lesen können (24 Kapitel), habe aber auf ganzer Linie versagt ;-) Es ist wirklich spannend!
Elisabet und dem Lamm schließen sich nach und nach immer mehr Reisebegleiter an, Engel, Schafe, Hirten, Weise und andere. Die Reise führt quer durch Europa und durch die Zeit und als wenn das noch nicht aufregend genug wäre, gibt es scheinbar noch ein weiteres Geheimnis um die kleine Elisabet.

Die Reise ist aber nicht nur spannend und geheimnisvoll, sondern auch unterhaltsam und lehrreich. Für Letzteres sorgen viele Beschreibungen der jeweiligen Örtlichkeiten und Berichte oder Erklärungen der Engel und Weisen. Kindlich-wissbegierig saugt Elisabet alles auf und macht sich ihre eigenen Gedanken. Manchmal wird das sehr philosophisch, bleibt aber immer kindgerecht.
»Und Gottes Reich steht allen offen, auch denen, die ohne Fahrkarte reisen.«

Für den unterhaltsamen Aspekt ist vor allem ein kleiner Engel zuständig, der schnell zu meinem absoluten Lieblingscharakter wurde. Er muss noch so einiges lernen in Sachen engelmäßiges Betragen, ist manchmal liebenswert kindlich und an anderer Stelle (ganz Engel halt) trotzdem weise.

Dieses Adventskalenderbuch rund um die christliche Weihnachtsgeschichte ist eins für die ganze Familie, geeignet zum Vor- und Selberlesen. Ein besonderes Erlebnis könnte es sein, das Buch gemeinsam im Familienkreis zu lesen, durchaus auch alle Jahre wieder. Ferner gibt es schöne und farbenfrohe Bilder zu bestaunen, das Buch zeigt viele davon.

Was mich persönlich nur am Ende ein wenig wurmte, war, dass nicht alle Geheimnisse vollständig aufgeklärt wurden. Es gibt durchaus Antworten, aber eben nicht auf alles. Gut, ich weiß, das ist manchmal so, manches muss man einfach hinnehmen. Aber ich hätte mir trotzdem ein paar Erklärungen mehr gewünscht. Sie hätten auch ruhig magisch sein können ;-)

Fazit: Dieses Adventskalenderbuch ist etwas Besonderes. Zauberhaft, kindgerecht und für die ganze Familie.

»Es ist so gemein, dass ich heulen könnte«, quengelte Umuriel. »Dauernd sagen wir ›Friede sei mit euch‹ und ›Friede auf Erden‹. Aber die Menschen hören nicht auf, gegeneinander zu kämpfen.«