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Juti
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Insgesamt 632 Bewertungen
Bewertung vom 11.05.2018
Entlang den Gräben
Kermani, Navid

Entlang den Gräben


sehr gut

Mit Gerd Ruge durch Osteuropa

Ach, ist ja gar nicht Gerd Ruge (der im Sommer 90 wird), ist Navid Kermani.
Aber irgendwie hatte ich das Gefühl mit Gerd Ruge zu verreisen. Immer wieder tauchen neue, interessante Gesprächspartner auf und zu jeder neuen Stadt oder mindestens zu jedem Land wird mit der historischen Entwicklung eingeführt. Außerdem zitiert der Autor gerne aus seiner Reiseliteratur, also von Schriftstellern des jeweiligen Landes. Ja, ich habe in diesem Buch viel Neues erfahren, ich habe aber auch für die etwa 430 Seiten relativ lang gebraucht.

Es ist schon ein Kreuz mit Navid Kermani. Von seinem Buch „Ungläubiges Staunen“ war ich begeistert, daraufhin wollte ich seinen Roman „Dein Name“ lesen. Es war so langatmig, dass ich ihn nicht zu Ende geschafft habe. Kermani sollte sich auf Sachbücher beschränken.

Dieses Buch gehört zu seinen Besseren, auch wenn es kleinere, im Grunde genommen unverständliche Mängel hat. So verstehe ich nicht, wieso im Inhaltsverzeichnis am Buchanfang die Namen der Orte des jeweiligen Tages stehen, während sie bei den Kapitelüberschriften fehlen.
Auch finde ich schade, dass der Eindruck einer großen Reise vermittelt wird, währen der Autor, wir wir im Dank und auch versteckt im Text mehrfach gereist ist. Leicht hätte es doch unterschiedliche Kapitel geben können. Offensichtlich wollte der Autor unbedingt ein zeitloses Reisetagebuch schreiben. 4 Sterne.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.05.2018
Töchter
Fricke, Lucy

Töchter


ausgezeichnet

Satire mit politischem Hintergrund

Also diese Frau Fricke schreibt im Epilog so schön über die Gentifizierung in Berlin, dass man sich wünschte, es ginge so weiter. Die Geschichte biegt aber ab, zu zwei Frauen, die den Vater von Martha in die Schweiz nach Chur (nicht Zürich, Herr Scheck) zum Sterben bringen wollen.

Natürlich geht auch das schief, aber wieviel darf man verraten?
Also, wir landen schließlich auf einer fiktiven griechischen Insel, wo in netten Randbemerkungen auch das Thema Griechenland und EU besprochen wird, wo sich schließlich alle wiedersehen und die absurde Geschichte ihr Ende nimmt, das aber plausibel klingt. Nur das Auto steht zu Schrott gefahren weiter in Italien.

Ich habe das Buch gerne gelesen, weil es doch mehrere überraschende Wendungen hat und weil immer wieder kurzer, knackiger Humor auftaucht. 5 Sterne.

Bewertung vom 01.05.2018
Träumer - Als die Dichter die Macht übernahmen
Weidermann, Volker

Träumer - Als die Dichter die Macht übernahmen


gut

Ein Literaturkritiker schreibt über eine Revolution der Dichter

Wer kennt heute noch Kurt Eisner und Ernst Toller? Eisner rief nach dem Ersten Weltkrieg den Freistaat Baiern aus (bewusst mit i, da etwas neues beginnt, nachdem die Wittelsbacher das Land verlassen haben). Er stand der Regierung vor, obwohl seine Partei, die USPD nur 2,5% bei den späteren Wahlen bekommen hatte. Als er sich endlich zum Rücktritt entschlossen hatte, wurde er von einem Anhänger der Thule-Gesellschaft, aus der später die Nazis entstanden, erschossen.
Toller übernahm, ja man könnte sagen die Macht ist ihm zugeflogen und er gründete die Münchner Räterepublik, die aber auch nur 4 Monate hielt, eben die Zeit der Träumer. Träumen konnten aber nicht alle, die Versorgung mit Lebensmittel wurden allmählich knapp. Als Freikorps aus Preußen und Bamberg die Stadt befreiten, wurden sie triumphal empfangen.

Ein spannendes, mir vorher unbekanntes Thema, das der Autor immer wieder mit Zitaten von Schriftstellern jener Zeit vertieft. Ich stimme auch meinem Vorgänger zu:
Thomas Mann kommt nicht gut weg.

Abzüge in der Note muss ich dennoch vornehmen: Wiedemann ist offenbar nicht klar, dass er ein Sachbuch geschrieben hat. Für ein Sachbuch hätte ich mir ein Inhaltsverzeichnis gewünscht, also kein Buch, bei dem das 1.Kapitel auf Seite 133 endet. Weiter fehlt ein Personenregister, was bei der Vielzahl der genannten Dichter unerlässlich ist. Außerdem habe ich zwei oder drei Sätze auch nach mehrmaligem Lesen nicht verstanden (sollte ich das Buch nochmal lesen, streiche ich sie an).

Ein Buch, das die politischen Ereignisse schildert und dann in einem neuen Kapitel die Reaktionen der Dichter anfügt, hätte ich gerne gelesen. So kann ich leider nur 3 Sterne vergeben.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.04.2018
Die grüne Lüge
Hartmann, Kathrin

Die grüne Lüge


ausgezeichnet

Glaube keinem Label mehr!

Wussten wir nicht schon, dass unsere Kleidung in Bangladesch produziert wird und umweltschädlich ist? Ja, aber dafür gibt es doch Organisationen, die sich für nachhaltige Produktion und Arbeitnehmerrechte einsetzen. Denkste! Die Autorin weist nach, dass die politische Einflussnahme sich im Wesentlichen auf freiwillige Selbstkontrolle der Industrie beschränkt, die so gut wie gar nichts bewirkt.

Was für Kleidung gilt, zeigt sich ebenso beim Erdöl, wo BP Bilder einer Ölpest nur dank umstrittener Chemie verhindern konnte, die aber noch viel schlimmere Folgen hatte.
Von der Industrie als nachhaltig bezeichnetes Palmöl zerstört die Regenwälder auf Borneo und Sumatra, während die Wälder Brasiliens dem Sojaanbau für die Rindfleischproduktion weichem müssen.

Das Buch fängt mühsam an mit einer Maschine für Smoothies, was dann auf den teuren Kapselkaffeeautomaten der Firma Nestlé übertragen wird, der zudem noch überaus viel Müll produziert.
Es kritisiert auch, dass moderne Grünwähler vor allem an technische Veränderungen beim Umweltschutz glauben und Verhaltensänderungen weniger erwägen. So fliegen gerade Wähler der Grünen besonders viel.

Erst im letzten Kapitel wird Hoffnung auf Besserung gemacht, in dem beschrieben wird, dass die Klage eines peruanischen Bauern gegen RWE vor einem deutschen Gericht zugelassen wurde, weil er unter den Folgen des von RWE mit zu verantwortenden Klimawandel leidet.

Das Buch ist aus den Filmarbeiten zu „The green Lie“ entstanden, ein Film den ich gern sehen würde, der aber hier momentan nicht in den Kinos läuft.
5 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.04.2018
Tyll
Kehlmann, Daniel

Tyll


gut

Licht und Schatten im Mittelalterschinken des berühmten Autors

Die Kritiker sind sich nicht einig über dieses Buch, das durchaus souveräne Stellen hat, etwa die Beschreibung der Henkersmahlzeit für Tylls Vater. Ebenso gefällt mir die Geschichte des Winterkönigs, wobei Heidelberger Lokalkolorit mitspielt, und auch die Gespräche seiner Frau Liz bei den Friedensverhandlungen in Osnabrück.
Der Westfälische Friede ist ein Durchbruch zur modernen Diplomatie: „Man muss immer erst aushandeln, worüber man eigentlich verhandeln wird, bevor man verhandelt.“ (S.455)
Ich befürworte ebenfalls das umstrittene erste Kapitel (Diskussion im Schweizer Literaturclub) mit dem schönen ersten Satz: „Der Krieg war bisher nicht zu uns gekommen.“ Es gibt Einblicke in die Denkweise dieser Zeit.

Mir missfällt aber die ausführliche und langweilige Darstellung des Prozesses gegen Tylls Vater, drei Beschreibungen von magischen Quadraten sind zwei zu viel. Auch wenn Tyll ein Schalk war, die Drachengeschichten mussten nun wirklich nicht sein. Wenn das Kapitel „Im Schacht“ uns den Krieg näher bringen sollte, so hätte ich mir lieber eine Schlachtbeschreibung, etwa vom Tode Gustav Adolfs, gewünscht.

Kehlmann beleuchtet verschiedene Schlaglichter des Dreißigjährigen Krieges, die durch Tyll Ulenspiegel verbunden werden. Das kann man wohl so machen. Dennoch habe ich gerne den Wikipedia-Artikel zum „Winterkönig“ gelesen, um zu wissen, was wirklich passiert ist. Auch habe ich bei Hermann Bote nachgelesen, was wirklich von Tyll stammt.

Lobend und als Kritik meiner Überschrift sei erwähnt, dass das Buch mit 473 Seiten kein echter „Schinken“ ist. Licht und Schatten ist übrigens auch ein Buchkapitel, in dem steht was unsterblich macht (nämlich bei Kirchner veröffentlicht zu werden. Heute liest ihn keiner mehr. Ist die Person real oder erfunden?) Ich kann gut verstehen, dass auch Tyll nicht sterben will. Kehlmann schreibt schön und gut lesbar, 2,5 Tage habe ich nur für dieses Buch benötigt. 3 Sterne.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.04.2018
Die imaginierte Weiblichkeit
Bovenschen, Silvia

Die imaginierte Weiblichkeit


gut

Das Buch untersucht die Literatur von Autorinnen, die wie die mir vorher unbekannte Anna Maria Schürmann Einfluss auf die Bildung Europas genommen haben, während im 18. Jahrhundert das Frauenbild sich änderte und Frauen als empfindsamer angesehen wurde, was sich dann auch in deren Werken zeigte.

Ein netter, gut zu lesender Überblick, 3 Sterne.

Bewertung vom 09.04.2018
Diktatoren als Türsteher Europas
Jakob, Christian;Schlindwein, Simone

Diktatoren als Türsteher Europas


ausgezeichnet

neue Gedanken zur Flüchtlingspolitik

„Von geschützten Grenzen und der Öffnung der Märkte träumt die EU. Von geschützten Märkten und offenen Grenzen träumt Afrika.“ so beginnt der allerletzte Abschnitt des Buches.
In der Tat macht die EU alles, damit weniger Flüchtlinge in die EU kommen. Angefangen nach der Jahrtausendwende mit Spanien, das still und leise bilateral mit afrikanischen Staaten verhandelte, um den Zustrom auf die Kanarischen Inseln zu verhindern. Gaddafi wurde als Türsteher von Italien unterstützt.

Heute, da es in Libyen keine Regierung gibt, die Kontrolle über das Land hat, werden Türsteher schon in der Sahara gesucht. Im Sudan wird mit einem Diktator verhandelt, der Menschenrechte nicht kennt. Niger mit der Sahara-Stadt Agadez, wo sich viele Flüchtlingsrouten treffen, bekommt biometrische Pässe und modernste Grenzschutzanlagen, obwohl die Kultur des Landes Migration als Wirtschaftsfaktor vorsieht. In vielen afrikanischen Ländern überweisen Arbeiter aus dem Ausland mehr Geld als das Land durch Entwicklungshilfe bekommt.

Ein Sachbuch muss danach beurteilt werden, ob es neue Informationen enthält. Klares Ja.
Ferner fehlt mir auch nichts. Merkels neue Afrika-Politik, der Deal mit der Türkei, die Arbeit von Frontex und den NGOs im Mittelmeer, Abschiebungen in Länder, die nicht die Heimatländer der Flüchtlinge sind, die Rolle Israels, die den Weg über den Sinai versperren und letztlich, wie oben erwähnt, der europäische Wunsch nach Freihandel, anstatt für Arbeitsplätze in Afrika zu sorgen.
Und wie wäre es mit einem legalen Weg nach Europa? Das Sterben im Mittelmeer muss aufhören.
5 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.04.2018
Das Fahrrad
Lessing, Hans-Erhard

Das Fahrrad


sehr gut

Wissenserweiterung dank nicht gekannter Zusammenhänge

Physiker und Technikhistoriker nennt sich der Autor. Den Schwerpunkt möchte ich auf Historiker liegen, denn dieses Buch geht überwiegend chronologisch vor.

Karl Drais hat 1817 das Laufrad erfunden, als Pferde wegen einer durch einen Vulkanausbruchs in Indonesien im Jahr vorher entstandenen Hungersnot notgeschlachtet werden mussten und in Holland (und anderswo) Schlittschuhlaufen sehr beliebt war.
Aber Karl Drais war als Badischer Demokrat von 1848 lange unbeliebt und wurde zu unrecht nicht als Erfinder des Fahrrads angesehen. (Eigentlich wäre eine Biographie über ihn sehr interessant.)
Das Buch hat in der Tat seinen Schwerpunkt im 19. Jahrhundert. Mir gefiel weniger, dass unendlich viele Firmennamen genannt wurden, während die Entwicklung der Fahrradkette quasi nur im Nebensatz erwähnt wird.

Aber allein schon Stellungnahmen der Religion zum Fahrrad, die Veränderung der Frauenmode und die Entwicklung von Coca-Cola machen das Buch lesenswert. 4 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.04.2018
Die kommenden Jahre (eBook, ePUB)
Gstrein, Norbert

Die kommenden Jahre (eBook, ePUB)


sehr gut

politisch brisante Geschichte über Klimawandel und Flüchtlinge

Ich-Erzähler Richard ist Glaziologe und auf einem Kongress in New York. Von seinem Freund Tim wird er eingeladen nach St.John`s in Neufundland zu kommen. Dies ist auch das Ziel vieler Amerikaner, wenn im kommenden Wahlkampf der falsche Präsident wird (gemeint ist Trump, wird aber nicht genannt). Viele, die angekündigt haben, auszuwandern, bleiben am Ende doch in den USA

Er wohnt aber in Hamburg, wo er mit seiner Frau Natascha entschieden hat, ihr Ferienhaus am See an eine undurchsichtige, syrische Flüchtlingsfamilie zu vermieten, was zu Spannungen führt. Auf dem See treffen sich Jugendliche, die die Syrer bedrohen. Auch die Söhne der Familie werden entführt. Aber Natascha nutzt als Schriftstellerin die Geschichte der Flüchtlinge, während Richard nach Kanada auswandern will. Obwohl er zwei Tickets gekauft hat, fliegt er am Ende allein.

Und wir hören drei Fassungen, wie die Geschichte enden könnte. Es ist nicht zu viel verraten, wenn ich schreibe, dass er in keinem Fall in St. John´s ankommt.

Gut gefallen hat mir die Erzählung von den Flüchtlingen, bei der mitunter auch Spannung aufkommt, die Erzählung in Kanada ist nur während seines Fahrradunfalls spannend, ansonsten bleiben die Arbeitskollegen blass. Daher 4 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.