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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 777 Bewertungen
Bewertung vom 04.08.2016
Pestalozzi, Hans A.

Nach uns die Zukunft


sehr gut

Widersprüche in unserer Gesellschaft

Das Buch beinhaltet eine Sammlung zeitkritischer Vorträge von einem Mann, der das Staunen nicht verlernt hat. Er legt den Finger auf die Wunde, wenn er feststellt, dass moralische Prinzipien nur im privaten Umgang existieren und nicht im Wirtschaftsleben („Gelten für Ihren persönlichen Bereich und für ihre Familie die gleichen Verbrauchsmaßstäbe, die Sie auf Ihre potenziellen Kunden anwenden?“).

Autor Pestalozzi ist ein Querdenker. Er setzt sich schonungslos mit den Themen „Wirtschaft und Gesellschaft“, „Fortschrittsglauben“, „Wachstum“, „Demokratie und Rechtsstaat“, „Energie und Umweltschutz“ und „Technikgläubigkeit“ auseinander. Seine kritischen Erläuterungen haben ihm den Ruf eines Subversiven eingebracht. Er selbst sieht sich als positiver Subversiver. Seine Beispiele beziehen sich auf die Schweiz, sind aber problemlos auf andere Gesellschaften übertragbar.

Das Thema Erziehung zieht sich durch das gesamte Buch. Pestalozzi fragt sich und die Leser, wie man die Widersprüche unserer konsumorientierten Wachstumsgesellschaft, die er prägnant aufzeigt, seinen Kindern erklären soll. Er verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Pflichterfüllung und Verantwortung („Wie soll der Schüler lernen, dass Pflichten nur erfüllt werden dürfen, wenn die Folgen der Pflichterfüllung für ihn persönlich verantwortbar sind?“).

Das Buch ist über 30 Jahre alt. Pestalozzis Beispiele sind aktuell und auf die Gegenwart übertragbar. Geändert haben sich die Verhältnisse seitdem nicht, jedoch findet man heute in der Systemischen Evolutionstheorie von Peter Mersch plausible Antworten. In der Marktwirtschaft treffen zwei unterschiedliche Klassen von Evolutionsakteuren aufeinander, nämlich Menschen und Unternehmen, wobei Erstere für Letztere primär Ressourcen darstellen. Dieser Denkansatz liefert bislang die beste Erklärung für die Widersprüche zwischen dem Verhalten im privaten Umfeld und in der Wirtschaft.

Bewertung vom 04.08.2016
Kundera, Milan

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins


sehr gut

Liebesgeschichten in Zeiten des Kalten Krieges

„Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, 1984 in Frankreich erschienen, führte dazu, dass der tschechische Autor Milan Kundera weltweit bekannt wurde. Bereits der Titel mit seinem Widerspruch in dem Begriff „unerträgliche Leichtigkeit“ deutet daraufhin, dass es sich um einen philosophischen Roman handelt. Aber das ist nur eine Facette dieses Werkes. Auf der Handlungsebene geht es um Liebesbeziehungen vor dem Hintergrund des Kalten Krieges. Damit ist es gleichzeitig ein politischer bzw. gesellschaftskritischer Roman.

Die Verhältnisse sind geprägt von Liebe und Untreue, von Freiheit und Abhängigkeit, von Dominanz und Unterordnung und von Leichtigkeit und Schwere. Das erste Paar besteht aus dem Chirurgen Tomas und der Kellnerin Teresa und das zweite Paar aus der Malerin Sabina und dem Dozenten Franz. Aber auch Tomas und Sabine kennen sich näher. Das Beziehungsgeflecht ist vielfältig und die Wünsche und Vorstellungen unterschiedlich. Es ist ein anspruchsvoller Roman, in den man sich vertiefen und verlieren kann.

Kundera wechselt häufiger die Erzählebenen, mal befindet er sich dozierend auf einer Metaebene und mal mitten in der Geschichte. Der Aufbau ist nicht chronologisch, Retrospektiven sind eingeflochten, Träume spielen eine große Rolle, aber auch ein kleiner Hund namens Karenin. Der Kalte Krieg beeinflusst das Leben und drückt auf die Atmosphäre im Prag der 1960er und 1970er Jahre. Das Ende ist tragisch, trotzdem ist der Roman erfrischend anders und damit lesens- und empfehlenswert.

Bewertung vom 04.08.2016
Lütz, Manfred

Irre! - Wir behandeln die Falschen


gut

Eine moderne Seelenkunde

Dem Titel nach zu urteilen handelt es sich um eine humorvolle Seelenkunde. Den Teil A und die beiden letzten Kapitel des Buches würde ich als humorvoll-weise einstufen. Hier thematisiert Psychiater und Psychotherapeut Manfred Lütz, wie „normal“ denn die sogenannten Normalos sind. Der Autor hat Erfahrungen als Kabarettist, wie hier deutlich wird.

Im Hauptteil dazwischen beschreibt Autor Lütz auf populärwissenschaftliche Art und Weise das Wesentliche von Psychiatrie und Psychotherapie. Es werden Krankheitsbilder erläutert und Fälle beschrieben. Dieser Teil ist lesenswert, entspricht aber nicht den Erwartungen der Leser, wenn sie sich am Titel bzw. Untertitel orientieren.

Lütz beleuchtet die positiven Seiten der Krankheiten („... so erinnern demenzkranke Patienten, die die Vergangenheit vergessen haben und die nicht in die Zukunft planen, uns alle daran, dass das Leben ausschließlich in der Gegenwart stattfindet“) und klärt die Leser über spektakuläre Phänomene auf („Nahtoderlebnisse sind aus wissenschaftlicher Sicht am plausibelsten zu beschreiben als Effekte geringer Hirndurchblutung, nicht mehr und nicht weniger“).

Bei der Behandlung geht es primär um Zweckmäßigkeit und nicht um Wahrheit („Frühere Auseinandersetzungen zwischen therapeutischen Schulen darüber, ob nun die biologische, die psychoanalytische, die verhaltenstherapeutische oder irgendeine andere Sicht wahr sei und alle anderen daher falsch, sind inzwischen glücklicherweise überwunden“).

Autor Lütz präsentiert eine Sicht auf psychische Krankheiten sowie auf seinen Berufsstand, die – im Gegensatz zu von älteren Büchern und Filmen geprägten Vorstellungen - offen und modern wirkt. Die Psychiatrie und auch die betroffenen Menschen werden in ein besseres Licht gerückt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.08.2016
Muhr, Magnus

Das geheime Leben der Fliegen


gut

Herr der Fliegen

Stubenfliegen begleiten uns Tag für Tag, Grund genug, diesen Parasiten ein wenig Zeit zu widmen. Das Buch besteht aus einem zweiseitigen satirischen Vorwort und ca. 60 Bildern, in denen Fliegen die Hauptrollen spielen. Fliegen auf der Rolltreppe, Fliegen beim Musizieren, Fliegen beim Hockey und Fliegen bei sonstigen eher menschlichen Aktivitäten. Das Leben zwischen Geburt und Klebestreifen kann sehr abwechslungsreich sein. Die Perspektive ist amüsant und die Idee originell. Die Leser werden kurzweilig unterhalten und nicht mit Tiefsinn belastet. Die Struktur ist übertragbar auf Ameisen, Kartoffelkäfer und Breitmaulfrösche. Der Preis ist zu hoch. Ein Werk zum Verschenken, wenn man eine ungewöhnliche Idee sucht.

Bewertung vom 04.08.2016
Ries, Wiebrecht

Nietzsche zur Einführung


weniger gut

Eine schwierige Einführung

Nietzsche zählt zu den großen Denkern des 19. Jahrhunderts. „Was die Sichtweise auf Nietzsches Bild und Werk angeht, so herrscht heute nahezu die gleiche Zerrissenheit und Uneinigkeit der Urteile und Ansichten wie zu Beginn unseres Jahrhunderts“, so Autor Wiebrecht Ries im Vorwort.

Das Buch gliedert sich in eine Einleitung zu Nietzsches Denken, Kurzbeschreibungen seiner Werke, seine Vernunft- und Moralkritik, den europäischen Nihilismus sowie eine Zusammenfassung, Literaturhinweise und eine Zeittafel. Seinem Hauptwerk „Also sprach Zarathustra“ widmet der Autor 15 Seiten.

Begriffe, die mit Nietzsche in Verbindung gebracht werden wie „Nihilismus“, „Gott ist tot“, „Ewige Wiederkunft des Gleichen“, „Umwertung aller Werte“ und „Übermensch“ werden anhand der Werke erläutert und in Beziehung zueinander gesetzt. Grundüberlegungen Nietzsches werden deutlich. Für den Einstieg kann ich das Buch nicht empfehlen.

Laut Vorwort handelt es sich um eine Einführung in Nietzsches Denken, die auch für den Laien noch lesbar ist. Diesem Anspruch wird der Autor nicht gerecht. Dafür enthält das Buch zu viele Fremdwörter und verschachtelte Sätze. Es handelt sich nicht um ein populärwissenschaftliches Buch, in dem Zusammenhänge in verständlicher Form für ein breites Publikum aufbereitet werden, sondern eher um eine Einführung für Fachleute.

Bewertung vom 04.08.2016
Koestler, Arthur

Der Mensch, Irrläufer der Evolution


weniger gut

Ein Kulturpessimist rechnet ab

Das Buch erschien 1978, also 5 Jahre vor Koestlers Tod. Es enthält nach eigenen Angaben eine Zusammenfassung seiner Arbeiten über die Wissenschaft vom Leben.

Arthur Koestler, Kulturphilosoph und vielseitiger Schriftsteller, war der Meinung, dass der Mensch im Wesentlichen „ein krankes biologisches Produkt“ sei. (11) Wenn man den Zustand der Menschheit sieht, im Hinblick auf Eigenschaften wie Gier, Hass und Verblendung und daraus resultierenden Verbrechen wie Krieg, Vergewaltigung und Ausbeutung, möchte man das fast glauben.

Koestlers Ausführungen stehen unter dem Einfluss von Hiroshima. Er beschreibt im Prolog das Pathologische unserer Natur („Töten von Artgenossen“ etc.) und geht dort bereits ausführlich auf die Ursachen ein. Die Menschheit hält er für psychisch krank. Er möchte, dass Mittel eingesetzt werden, die es dem rationalen Verstand ermöglichen, sich über die archaischen Teile des Gehirns (Instinkte, Emotionen, biologische Triebe) hinweg zu setzen, mit dem Ziel, den krassen Fehler der Evolution zu korrigieren und den Übergang vom Wahnsinnigen zum Menschen einzuleiten. (31)

Nach dieser Einführung stellt sich die Frage, ob man das Buch überhaupt weiter lesen sollte. Eine Vernunftherrschaft, bei der die Emotionen durch Medikamente überlagert oder gar ausgeschaltet werden ist Koestlers Ziel?

Koestler fordert ein neues Verständnis der Wissenschaft, mit welchem er sich in den Folgeseiten auch beschäftigt. Er stellt im ersten Teil die Holarchie vor, eine ganzheitliche Theorie, die besagt, dass die Strukturen der Welt über hierarchisch angeordnete Holons erklärt werden können.

Die Holarchie bildet keinen Ersatz für den Reduktionismus, kann aber als Ergänzung verstanden werden. Die Grundüberlegungen sind nicht wirklich neu, denn auch bislang waren hierarchisch angeordnete Entwicklungsstufen bekannt.

Der Fehler in Koestlers Denken besteht darin, der Evolution, also einem Entwicklungs- und Anpassungsrozess, bei dem das Überleben der Arten Priorität hat, Fehler zu unterstellen. Die Menschheit der Gegenwart existiert, weil die Entwicklung so verlaufen ist, wie sie verlaufen ist.

Koestler unterscheidet bei den Holons eine selbstbehauptende Tendenz (der Ganzheit) und eine integrative Tendenz (der Teilheit). (72) Mit diesem Ansatz lässt sich gesellschaftliches Verhalten erklären. Die Tragödie des Menschen besteht darin, dass die integrativen Tendenzen übermächtig geworden sind. Kriege werden nicht geführt, weil der Mensch zu aggressiv ist, sondern weil er seine Verantwortung abgibt, um einer größeren Sache (Nation, Religion, Diktator etc.) blind zu dienen. Die Experimente von Milgram lassen genau diese Schlussfolgerung zu.

Die Verantwortung wird an eine komplexere Einheit abgegeben. Diese Eigenschaften der Natur sind systemimmanent. Es handelt sich dabei nicht um einen fatalen Defekt (108), sondern um den Preis für den Aufbau komplexer Strukturen.

In weiteren Teilen des Buches kritisiert Koestler die synthetische Evolutionstheorie mit Argumentationsketten, die auch aus anderen wissenschaftskritischen Büchern bekannt sind, ohne eine naturalistische Alternative aufzuzeigen.

„Irrläufer“ ist eine menschliche Wertung, die Stammtischniveau hat, naturwissenschaftlich aber nicht greifbar ist. Entsprechendes gilt auch für die „Krone der Schöpfung“.

Das Buch kann ich nicht empfehlen. Wer das Buch liest, sollte Hintergrundwissen zu den behandelten Themen haben, um die Spreu vom Weizen trennen und Koestlers Thesen in eine Gesamtschau einordnen zu können.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.08.2016
Hörhan, Gerald B.

Gegengift


weniger gut

Ein provokativer Aufruf an die Jugend

Mit diesem Buch fordert Gerald Hörhan die Jugend heraus. Er provoziert („Ihr seid Arschkriecher.“), desillusioniert („Ihr seid den Politikern scheißegal.“) und will sie wachrütteln („Wenn ihr die Initiative übernehmt, wird die Welt euch früher oder später folgen.“). Er fordert, sie sollen etwas für ihre Bildung tun, sich nicht unterordnen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Diese Forderungen entsprechen seiner eigenen Philosophie als Unternehmer im Outfit eines Punk, der auf einer Elite-Uni studiert hat.

Autor Hörhan hat Karriere im Investmentbanking gemacht und ist finanziell unabhängig. Ihm wurde ermöglicht in Harvard zu studieren. Damit waren seine Startbedingungen bei weitem erfolgversprechender, als die von 99 % der heutigen Jugendlichen, deren Verhalten er kritisiert. Er propagiert, dass man durch „Learning by Doing“, zwar nicht über Nacht, aber sehr wohl im Laufe der Zeit, wohlhabend werden kann.

Den Beweis, dass es auch ohne den Abschluss einer Elite-Uni geht, ist er persönlich schuldig geblieben. Auch geht aus dem Buch nicht hervor, ob er auch in Harvard oder bei McKinsey & Co als Punk aufgetreten ist. Er kritisiert das Bildungssystem („Eure Schulen haben euch die ökonomischen und politischen Zusammenhänge nicht erklärt.“) und stellt Unternehmer heraus, die Nachwuchs einstellen, der Querdenken kann („Ich brauche Leute, die bewiesen haben, dass sie mit diesem Apparat in natürlichem Konflikt stehen.“). Im Hinblick auf die heutigen Auswahlverfahren sind wir davon weit entfernt.

In 4 Lektionen bietet Hörhan das aus seiner Sicht notwendige Rüstzeug an, um die Erfolgsleiter emporsteigen zu können. Seine Weisheiten sind auf Kernaussagen reduziert und verständlich. Er kritisiert Angestelltenjobs und favorisiert die Selbstständigkeit. Es gibt in Deutschland zweifelsohne zu wenige Unternehmer. „Start ups“ erhalten Tipps von ihm. In den folgenden 3 Lektionen beschreibt er Geldanlagen. Verständlich, dass ein Investmentbanker keine Sparbücher und Bausparverträge empfiehlt.

Hörhan hat seinen individuellen Stil gefunden. Er versteht es, sich medial zu vermarkten und Botschaften zu transportieren, die wahrgenommen werden. Er spricht Mängel an, die zweifelsohne existieren. In der Einfachheit der Darstellung liegt oft viel Wahrheit. Inhaltlich transportiert er Informationen, die auch bei Autoren wie Max Otte oder Dirk Müller zu finden sind, dort aber tiefgehender analysiert werden. Deshalb würde ich letztgenannte Autoren auch bevorzugen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.08.2016
Simpfendörfer, Tove

Münsterland-Kälber


sehr gut

Kriminalfall zwischen Kiepenkerl und Windmühle

Krimis, die im Münsterland spielen, sind auf dem Büchermarkt eher die Ausnahme. Wer seinen Handlungsrahmen auf dem platten Land im Umfeld von Viehzüchtern, Veterinären und Schlachthöfen sucht, muss sich eine besondere Geschichte ausdenken.

Tove Simpfendörfer hat mehrere Jahre im Münsterland gelebt und dort als Pressereferent gearbeitet. Er kennt die Eigenarten dieser Region. Durch seine Pressearbeit hat er das Milieu der Viehzüchter kennen gelernt.

In den 1990er Jahren fanden Veterinäre bei ihren Kontrollen unerlaubte Konzentrationen des Wachstumshormons Clenbuterol in Kälbern vor. Dies brachte die Kälberzucht in Verruf und sorgte für Schlagzeilen in der Presse. Vor diesem Hintergrund spielt der Krimi „Münsterland-Kälber“.

Der bekannte Viehhändler Hans Schulze Feldhoff wird ermordet. Die Borkholter Polizei steht vor einem Rätsel. Wer könnte einen Grund haben, diesen angesehenen und erfolgreichen Viehhändler umzubringen?

Der evangelische Pastor Paul Elfering nimmt Kontakt zu Schulze Feldhoffs Angehörigen auf und recherchiert auf eigene Faust. Er gerät in den Sog der Ereignisse und ist in „Pater Brown–Manier“ der Polizei meist um eine Nasenlänge voraus. Im Zuge seiner Erkundigungen gerät er selbst in Lebensgefahr. Seine eigensinnige Frau Carola ist ihm nicht immer eine Hilfe.

Wer Simpfendörfers erstes Buch „Der Teufel geht auf die Jagd“ kennt, ist gespannt, ob er auch diesem Buch einen vom Mainstream abweichenden Stempel aufdrücken kann.

Originell finde ich die Entwicklung der Charaktere. Wegen der dabei auftretenden Diskrepanzen fällt eine Einteilung der Protagonisten in „gut“ und „böse“ schwer. Irgendwie hat jeder Dreck am Stecken.

Der Autor versteht es, oberflächliche Charakterzüge seiner Protagonisten wie die Schalen einer Zwiebel Schicht für Schicht abzulösen und den nicht immer lupenreinen Kern frei zu legen.

In „Münsterland-Kälber“ dominieren die Dialoge, wodurch die Erzählung lebendig wirkt. Der Plot ist komplexer, als es am Anfang den Anschein hat. Hintergrund und verwendete Namen sind typisch westfälisch. Die Stadt „Borkholt“ mit den fünf Türmen ist im Münsterland bekannt.

Bewertung vom 03.08.2016
Klein, Stefan

Die Glücksformel


ausgezeichnet

Eine aufschlussreiche Analyse des Glücks

Bereits im Vorwort bringt Stefan Klein das Thema auf den Punkt: „So, wie wir mit der Fähigkeit zu sprechen auf die Welt kommen, sind wir auch für die guten Gefühle programmiert.“ Er vergleicht diese Entdeckung hinsichtlich seiner Bedeutung für die Menschen mit Freuds Theorie vom Unbewussten.

Bis vor 40 Jahren glaubten Wissenschaftler, dass der Mensch als unbeschriebenes Blatt auf die Welt kommt und Emotionen durch Nachahmung erlernt. Seit den Forschungen von Paul Ekman in Papua-Neuguinea wissen wir, dass Kultur kaum Einfluss auf Emotionen hat. Elementare Emotionen und die Art, wie unser Körper sie ausdrückt, sind angeboren.

Autor Klein bezieht sich in seinen Ausführungen u.a. auf den bekannten Neurologen Antonio Damasio und dessen Untersuchungen zur Intuition. Dieses Bauchgefühl gibt es und es hat seine Berechtigung. Wir entscheiden uns oftmals aufgrund eines Gefühls richtig, ohne das näher begründen zu können. Manchmal weiß der Körper mehr als der Verstand.

Emotionen entstanden im Zuge der Evolution, damit Lebewesen vergleichsweise einfache Fragen schnell lösen können. Vernunft allein lenkt uns nicht in sinnvolle Bahnen. Klein unterscheidet Emotionen von Gefühlen. Eine Emotion ist eine automatische Antwort des Körpers auf eine bestimmte Situation und ein Gefühl erleben wir, wenn wir diese Emotion bewusst wahrnehmen.

Mit dem Mittel des Vergnügens verführt die Natur uns zu tun, was uns am meisten nützt. Erlebnis und Erwartung des Glücks dienen dazu, unser Handeln zu steuern. Dabei ist Glück nicht das Gegenteil von Unglück. Beides kann nebeneinander existieren. Diese Ambivalenz kann durch den Aufbau des Gehirns erklärt werden. Unterschiedliche Bereiche im Hirn sind für Glück bzw. Unglück zuständig.

Im zweiten Teil des Buches beschäftigt sich Klein mit der Entwicklungsgeschichte der Emotionen. Emotionen sind auch im Tierreich bekannt. Ob bzw. wie Tiere fühlen, ist dagegen unbekannt. Erstaunlich ist, wie Emotionen verändert werden können. Klein berichtet über Versuche mit dem Neurotransmitter Dopamin („Glückshormon“) und anderen biochemischen Botenstoffen. Die Wirkungsweise von Dopamin wurde in dem Film „Zeit des Erwachens“ einem breiten Publikum vorgestellt.

Das Gehirn wird von Spaß angetrieben. Damit ist auch der Nährboden für Suchterscheinungen gegeben, wie Klein anhand verschiedener Versuche deutlich macht. Sucht bedient sich der gleichen Mechanismen, die im Alltag für Lernen und Vorfreude zuständig sind; Sucht ist ein Unfall auf der Suche nach Glück. Abhängigkeit ist Begehren, welches aus dem Ruder läuft.

Der Mensch ist in der Lage, seine angeborenen Triebe, Lüste und Ängste in geordnete Bahnen zu lenken. Hiervon handelt der dritte Teil des Buches. Glück gibt es nur in der Gegenwart in Verbindung mit Erfahrungen. Dabei genügt es nicht, glücklich zu sein, sondern man muss sein Glück auch erkennen. In Momenten hoher Aufmerksamkeit steht die Zeit still und man gerät in einen Zustand, der als „Fließen“ bezeichnet wird.

Neu ist auch die Erkenntnis, dass mystische Erfahrungen den Naturwissenschaften zugänglich sind. Solche Erfahrungen können künstlich durch elektromagnetische Reizung der Schläfenlappen hervorgerufen werden. Meditierende schaffen das auch ohne künstliche Eingriffe dank jahrelangen Trainings.

Stefan Kleins Schreibstil ist ansprechend, seine Ausführungen haben ein naturwissenschaftliches Fundament und sind verständlich. Erfreulich, dass er auf esoterische Spekulationen verzichtet. Im Epilog fasst er wichtige Prinzipien zusammen, die er in den vorderen Kapiteln ausführlich behandelt hat. Das Buch macht deutlich, dass man Glück lernen kann.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.