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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 04.09.2007
Stiller
Frisch, Max

Stiller


sehr gut

Ein Roman wie dieser paßt nicht in eine Zeit, in der jeder ins Internet drängt, um sein Innerstes nach Außen zu kehren. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein Mann, der behauptet er sei nicht er und dem mühsam nachgewiesen werden soll, daß er es trotzdem ist. Natürlich gehört Stiller in die Zeit der Nachkriegsliteratur, in der nach dem großen Wahn, die Frage nach dem Ich neugestellt wurde. Doch wer hätte gedacht, daß die Theamtik in Frischs Roman vor dem Hintergrund der modernen Selbstentblößung noch einmal so aktuell werden würde. Ich das sind die anderen. Ich bin Ich. Auf die Frage scheint es keine Antwort zu geben. Frischs erfrischende Beschäftung mit seinem Stiller erscheint da schon romantisch. Ein nicht ganz leicht zu lesender Roman, doch es lohnt sich, nach den grellen Blitzen der modernen Kommunikation, sich Zeit für Stiller zu nehmen. Die Zeit hat man.
Polar aus Aachen

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.09.2007
Rufmord
Francis, Dick

Rufmord


sehr gut

Wie macht man Karriere? Man wartete auf den Zufall, wird protegiert, schafft es bis an die Spitze und muß darauf aufpassen, daß man nicht wieder runter fällt. Jockeys warten ihr Leben lang auf das richtige Pferd, das passende Rennen und wie in jeder Branche, bei der es viel Geld zu verdienen gibt, wird das ein oder andere manipuliert, damit die Quote stimmt. Dick Francis ist zu bewundern. Mit welch stoischer Gelassenheit er seine Romane stets rund um eine Pferdebox ansiedelt, ist bemerkenswert. Er benötigt nicht mal den klassischen Detektiven, Inspektor, Privatschnüffler. Er läßt hier einen Jockey erzählen, sich in Lebensgefahr bringen und einen Skandal aufdecken. Das Zusammenspiel zwischen Presse und Akteuren wird offen gelegt. Wie mache ich das Gesicht hinter einem Namen bekannt, wie ihn berühmt, wie ihn gefügig. Wie groß die Verlockungen sind, wie schwer das eigene Ego zu besiegen, zeigt sich in der Person Robert Finns, der von einem in den Selbstmord getrieben Jockey den Sattel übernimmt. Er ist sich keiner Schuld bewußt und folgt im Verlauf der Geschichte, doch einer Art schlechten Gewissens, das ihn dazu anhält, die Dinge nicht auf sich beruhen zu lassen. Scharf in der Analyse eines Milieus, das fast so verrufen wie die Boxbranche ist, hofft Francis darauf, daß es auch dort Jockeys wie Finn gibt, die sich gegen den Rufmord zur Wehr setzen, egal welches Spiel auch getrieben wird. Obwohl kein Krimi im klassischen Sinn, ein spannender Roman über den Preis, den man fürs Siegen womöglich zu zahlen hat.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 03.09.2007
Dr. Sex
Boyle, T. C.

Dr. Sex


schlecht

Es fällt einem schwer von T.C. Boyle gelangweilt zu sein. Zu facettenreich sind seine Figuren, zu ausgefeilt seine Plots, und er weiß, mit Spannung umzugehen. So las man selbst Riven Rock einen knapp 550 Seiten langen Roman über einen von seiner Familie eingeschlossen Mann gern, weil Schauplatz und Nebenfiguren einen zu fesseln verstanden. Also fragt man sich, was stimmt mit Dr. Sex nicht? Die Geschichte Alfred Kinseys, dessen Report die amerikanische Gesellschaft aufrüttelte, in dem er eine Unmenge sexueller Biographien auswertete, lag Boyle offensichtlich so am Herzen, daß er sich detailversesessen der Geschichte annahm und sie etwas zu heroisch und selbstverliebt ausstattete. Nach einiger Zeit interessiert einen dieser Kensey nicht mehr, egal mit wem er es auch treibt, wie revolutionär seine Leistung auch gewesen sein mag. Boyles große Stärke Nebenfiguren, die um die Hauptfigur gruppiert sind, so auszustatten, daß ein Leser unbedingt herausfinden will, was aus ihnen wird, verfängt diesmal nicht. Sein John Milk bleibt blaß. Was nicht nur an dessen Namen liegt. Mit der Hälfte der Geschichte ist alles gesagt, egal welche überraschende Wendung Boyle auch einbaut. Wir verfolgen die Handlung, ohne daß sie uns packt. Etwas, was Boyle sonst immer schafft. Und das hat nichts damit zu tun, daß Sex einen vielleicht nicht interessiert.
Polar aus Aachen

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.09.2007
Ravel
Jean Echenoz

Ravel


gut

Auch wenn Ravel mit seinen knapp hundert Seiten als Roman verkauft wird, ändert es nichts an der Tatsache, daß es sich eigentlich um eine Erzählung handelt. Jean Echenoz, der einem mit seinem mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Roman: Ich gehe jetzt in guter Erinnerung ist, beschreibt hier die letzten Jahre Ravels und beschränkt sein erzählerisches Können allzu sehr auf die Aneinanderreihung der biografischer Notizen, so daß man sich wünscht, man würde eine richtige Biografie Ravels in Händen halten. Bis auf das Bild eines introvertierten Dandys, dessen Geist mit zunehmendem Alter verwirrter wird, bleibt dieses Buch blaß. Wenn auch Echenoz sprachliches Können wie in: "... es ist und bleibt so, man kann nicht einschlafen, während man den Schlaf beobachtet", immer wieder aufblitzt.
Polar aus Aachen

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.09.2007
L. A. Confidential
Ellroy, James

L. A. Confidential


ausgezeichnet

So waren die Zeiten in Los Angeles. Und in dreißig, vierzig Jahren werden wieder irgendwelche Autoren behaupten: So waren die Zeiten in Los Angeles nach der Jahrtausendwende. Ellroys Ton verzichtet dabei auf das Allgemeingültige, er unterwirft sich der Hektik, des nur kurzen Innehaltens, des Weiters nach kurzer Verschnaufpause. Seine Menschen wirken allesamt gehetzt und sei es von sich selbst. Ellroy berichtet von drei Männern, die das Schicksal zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammenführt und die die Geschichte jeder auf seine Art vorantreiben. Vom Bonvivant über den Ehrgeizling zum von allen Krimiautoren geliebten klassischen Verlierer, der sich auch noch verlieben muß. Die perfekte Mischung dieser unterschiedlichen Lebensläufe gepaart mit einem Massaker im Night Owl macht die Qualität dieses Romans aus. Es wird nicht gradlinig erzählt, doch zielen alle Stränge auf die Lösung ab. James Ellroy versteht nicht nur was von den Fünfziger Jahren, in den er aufgewachsen ist, er spielt mit dem Suspense seiner Geschichte, als würde er seinen Männern einen Ball zuwerfen - sie dribbeln eine Zeitlang und verlieren ihn dann wieder an den Gegner. Bei soviel Wahrheit ist man am Ende froh, wenn das Verbrechen aufgeklärt ist. Trotzdem verläßt man den Roman mit einem Unbehagen: Er ist leider zu Ende.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 03.09.2007
Middlesex
Eugenides, Jeffrey

Middlesex


ausgezeichnet

Die Wiege der Familie Stepahnides liegt in Griechenland und wahrscheinlich hätten seine Vorfahren ihr Land nie in Richtung Amerika verlassen, wenn sie nicht vertrieben worden wären. Middlesex ist das Familienepos einer Einwandererfamilie, die es nach Detroit verschlägt und in dem viele Geschichten um ein Geheimnis ineinander gebündelt werden, so daß ein bunter Strauß multikulturellen Lebens überreicht wird. Es ist allerdings auch die Geschichte eines Hermaphroditen, als Mädchen geboren, wird Calliope zu einem Jungen. Eugenides erzählt wunderbar versponnen von Irrwegen und Schleichwegen, von Sehnsüchten wie Enttäuschungen, es gelingt ihm das Leben wie ein Abenteuer zu beschreiben, das es zu meistern gilt, selbst wenn Zyklopen wie in der Odyssee darin vorkommen, die auf einem Augen blind sind. Bei Eugenides wird ein Tabubruch zur Triebfeder mehrerer Generationen und er verurteilt nicht, bedeckt Schwächen mit Humor und federt sie ab. Ein moderner Schmöker, der die Umwälzungen in den Jahren genau beschreibt, in der Eugenides die Familie begleitet.
Polar aus Aachen

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.09.2007
Mörder
Djian, Philippe

Mörder


schlecht

3. September 2007
Zu Wandlungen einer Ehe von Sándor Màrai -----------------------------
Wenden
****
Policier nennt man in Frankreich, was bei uns im Fachdeutsch Kriminalroman heißt. Auch Philippe Djian fühlte sich berufen, sich an diesem Genre zu versuchen, und scheiterte kläglich. Seine Geschichte vom Chemieunfall überzeugt nicht. Sie besitzt weder Spannung noch interessante Figuren. Zum Glück kehrte Djian nach mehreren Versuchen auf dem Gebiet zu seinen Ursprüngen zurück. An Mörder zeigt sich, daß ein Schriftsteller nicht einfach sein Umfeld verlassen darf, ohne Gefahr zu laufen, seine erzählerische Kraft zu verlieren.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 02.09.2007
Der Report der Magd
Atwood, Margaret

Der Report der Magd


sehr gut

2195. So könnte die Zukunft aussehen. Totalitär, angesichts sich wandelnder gesellschaftlicher Bedingungen, frauenfeindlich allemal, wenn der Nachwuchs ausbleibt, die Zukunft allein auf der Hoffnung beruht, daß genug Nachschub bereitsteht, um sie zu tragen. Margret Atwood hat mit Der Report der Magd eine kühle Vision beschrieben. Daß sie uns trotzdem zu packen vermag, beruht in der Kunst der Autorin die Verhältnisse so bedrückend zu schildern, daß selbst eine aufkeimende Liebe ständig Gefahr läuft, entdeckt und unterbunden zu werden. Die Geschichte erinnert an Orwells Vision vom Großen Bruder, der über uns alle wacht. Doch ihre Vision trägt ein menschliches Antlitz, was die Vorstellung noch grauenhafter macht, da das Alltägliche in ihr verharmlost erscheint. Die Dinge sind wie sie sind und nur ein paar Verrückte versuchen sie zu ändern, aber mit denen wird man schon fertig werden. Wenn man angesichts fehlender Aussichten auf Veränderung, sein einziges Heil im Privaten sucht, das auch noch so kontrolliert, wird, daß man seinen Körper zur Zucht bereitstellen muß, ist man seiner selbst vollkommen beraubt. Faszinierend beschrieben, wie die Frauen der Machthaber auf die Welt der Mägde reagieren. Fast Dickenssche Verhältnis, in denen das Großbürgertum sich der Waisen erbarmt. Desfred, die mißbrauchte Magd eines Kommandanten flüchtet am Ende ins Unbekannte, vertraut sich Fremden an. Lieber sterben, als so zu leben.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.09.2007
Das Durchdrehen der Schraube
James, Henry

Das Durchdrehen der Schraube


ausgezeichnet

Seite für Seite folgt der Roman seinem Titel, dreht an der Schraube, um festen Halt zu finden, und zerstört gleichzeitig alles, was den Menschen in der Geschichte als gegeben bekannt ist. Wer eine Kostprobe von Henry James sprachlichem Vermögen gernießen möchte, seiner Kunst die Außenwelt um seine Helden so festzuzurren, daß sie kaum Atem bekommen, sollte sich diesem Roman anvertrauen. Ausnahmsweise ist es nicht die Liebe, die in all ihren Schattierungen James Romanwelt beflügelt. Im Mittelpunkt stehen die Kinder und die Erzieherin. Erschreckend subtil berichtet James von Realitätsverlust, überläßt den Leser fremden wie eigenen Ängsten und nährt den Zweifel. Was ist schon heil in dieser untergegangen Welt des 19. Jahrhunderts? Was erst in unserem Jahrhundert, wo wir daran arbeiten, unsere Realität mit Hilfe der Medien aufzulösen. Irgendwann wird auch unsere Schraube wie die im Roman überdreht sein.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.