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Juti
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Insgesamt 632 Bewertungen
Bewertung vom 27.03.2018
Das intensive Leben
Garcia, Tristan

Das intensive Leben


weniger gut

Eher philosophischer Aufsatz über die Intensität

Mag ja sein, dass unser Leben seit der Moderne, deren Beginn der Autor mit dem Einsatz der Elektrizität definiert, intensiver geworden ist. Richtig ist auch das Dilemma, dass Intensität eine Steigerung bedarf, damit sie nicht zur Gewohnheit wird.
Aber ist Intensität wirklich erstrebenswert? Auf S.204 beantwortet er denn auch die Frage wie wie leben sollten mit: „So das wir nicht das Gefühl verlieren ein lebendiger Organismus zu sein.“

Und genau das ist das Problem: Das Buch schafft es nicht zu erklären, warum es wichtig ist es zu lesen. Glücksratgeber machen im Idealfall glücklicher. Vielleicht bin ich als Konsumgegner auch nicht der richtiger Leser. Ich hatte mehr Soziologisches erwartet.

Das Buch beginnt durch den „Kuss von Leipzig“ mit einem Ausflug in die Physik. Als die Elektrizität messbar wurde, verlor sie ihren Mythos. Ebenso erklärt das nächste Kapitel, dass die Kraft von Newton nur durch Kraft selbst beschrieben werden kann. Dann geht es um die Wandlung vom Libertin im 18. über den Romantiker im 19.Jh bis hin zum jugendlichen Rocker unsere Zeit um Menschen, die andere Werte teilen, wie ebenso die an Bedeutung verlierende Religion.

Alles nur mäßig interessant, daher nur 2 Sterne.

Bewertung vom 25.03.2018
Patria
Aramburu, Fernando

Patria


ausgezeichnet

Packender Roman über das Leid der ETA

Mit der RAF habe ich mich schon beschäftigt, mit der ETA bisher noch nicht. Es gibt aber einen Unterschied: Die ETA hat Unterstützung aus dem ganzen baskischen Dorf. Der Unternehmer Txato beschreibt auf S.65, die er hat: „zahlen, verschwinden oder sein Leben riskieren.“ Da es ein Roman ist wird er natürlich umgebracht.

Spannung geht aber nicht verloren, denn in diesem Roman erleben wir Leser zwei Familien, eine Opfer- und eine Täterfamilie, die vor der Ermordung Txatos befreundet waren. Zur „Opferfamilie“ gehört Txatos Frau Bittori, die dem Mörder gerne vergeben möchte und schon ins Dorf zurückkehrt, als die ETA noch existierte. Sie haben zwei Kinder Xabier, ein Arzt, und Nerea, Juristin, die versucht eine Familie zu gründen. Beeindruckend ist wie sehr jeder auf unterschiedliche Weise unter dem Tod des Vaters leidet, obwohl die Kinder beim Anschlag schon selbständig waren.

Täterfamilie ist mein Wort und eigentlich ist es ein unfaires Wort, denn Täter ist nur der älteste Sohn Joxe Mari und lange bleibt spannend, ob er Txato ermordet hat. Wir erfahren viel über das Leben als Terrorist, vom Verstecken und von der Angst vor der Polizei und wie er letztlich gefasst wird und alle froh sind, dass er wenigstens noch lebt. Seine Mutter Miren unterstützt Mittel und Politik der ETA. Sein Vater Joxian dagegen kann im Grunde „keiner Fliege was zu Leide tun“ und sitzt zwischen allen Stühlen.
In dieser Familie gibt es zwei weitere Kinder: Arantxa, die nach einem Schlaganfall im Rollstuhl wieder bei den Eltern lebt, obwohl sie selbst Kinder hat, und die sich immer für Versöhnung einsetzt. Außerdem gibt es noch den Sohn Gorka, eine Leseratte mit guten baskischen Sprachkenntnissen. Er verliebt sich später in einem Mann und so wird „Ehe für alle“ zum Thema.

Wirklich beeindruckend ist das der Autor kein Thema ausgelassen hat, auch nicht die Folterung der ETA-Gefangenen durch die spanische Polizei, die selbst Xabier pflichtschuldig anerkennen muss.
Alle Protagonisten wirken in ihrem Handeln plausibel (nicht so wie bei Maja Lunde), einzig die massive Behinderung Arantxa fühlt sich etwas konstruiert an. Es gibt auch weitere Nebendarsteller, etwa ein Dorfpfarrer als ETA-Sympatisant. Aber sie kommen nur vor, wenn sie in Kontakt mit einem Mitglied der beiden Familien kommunizieren. Die Komposition dieser nicht chronologisch erzählten Geschichte ist wirklich weltklasse.

Nach dem Roman bin ich froh, dass Terror in Deutschland kein Dorf mehr spaltet und dass auch die Basken jetzt in Frieden leben können. Auch das fehlt nicht im Roman und gut ist auch, dass am Ende nicht alles Friede ist, denn die Toten kann keiner aufwecken.
Kurz vor Ostern vergebe ich sehr gerne 5 Sterne.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.03.2018
Was man von hier aus sehen kann
Leky, Mariana

Was man von hier aus sehen kann


ausgezeichnet

fängt an wie ein Krimi, wird dann immer witziger und philosophischer

Es ist schon seltsam. Wahrscheinlich bin ich der einzige, der die Obstdiebin von Handke und dieses Buch teilweise nebeneinander, aber zumindest hintereinander gelesen hat. Und obwohl Autor, Thema und Genre vollkommen unterschiedlich sind, so gab es Überlagerungen, die ich nicht erwartet habe.
Beide Bücher behandeln das Nachbild, das entsteht, wenn man die Augen schließt und die Erinnerungen an eine vergangene Situation oder Person hochkommen. Ebenso kommt eine Reise nach Sibirien in beiden Büchern vor. Das wars aber auch an Gemeinsamkeiten.

Leky schreibt den Roman in drei Teilen mit Kapitelüberschriften. Der erste Teil liest sich wie ein Krimi, da man immer damit rechnen muss, dass ein Protagonist stirbt. Das führt natürlich zu einer Komik, etwa wenn der Briefträger angehalten wird, dass er die vermeintlichen Abschiedsbriefe rausrücken soll. Und schon tragisch ist das, was passiert, hier aber nicht verraten wird.
Ab dem zweiten Teil wird dann das Dorfleben aus der Sicht der älter werdenden Ich-Erzählerin geschildert. Dabei lebt die Handlung von schrägen Personen, die jeweils auf ihre Weise komisch sind. Was mir besonders gefällt, ist der Sprachwitz, der das ganze Buch durchzieht. So findet sich auf S.272: „Danke, dass du mir am Ende so viele Anfänge bringst.“ und weiter „auch der Optiker hatte Fieber, aber eines, das sich nicht messen ließ.“ Aus dem Krimi wird mehr und mehr eine Liebesgeschichte. Nicht eine – mehrere.
Vollkommen verdiente 5 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.03.2018
Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere
Handke, Peter

Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere


sehr gut

Modernes meditatives Buch, das durch außergewöhliche Naturbeschreibungen besticht

Es ist das erste Buch, dass ich von Peter Handke gelesen habe. Und ich kann verstehen, dass dieser Autor seine Leserschaft spaltet. Mich hat er überwiegend begeistert.
Bei Handke ist der Inhalt schnell erzählt. Zunächst reist der Ich-Erzähler aus der Niemandsbucht, gemeint ist Paris, in die Picardie, dann wechselt die Perspektive und wir begleiten die Obstdiebin auf eine Wanderung von den Paris Vorstädten in die Picardie, wo sie zu guter Letzt einen Familien­feier besucht.
Doch viel wichtiger als die Handlung ist die Beschreibung der Natur dessen, was dem jeweiligen Hauptdarsteller so alles begegnet und was er denkt. Ich habe dieses Buch als eine Sammlung lauter Kurzgeschichten, mitunter einfach kurz und wunderbar. So als die Obstdiebin einer Freiluftmesse begegnet. Wie die Überalterung der Teilnehmer beschrieben wird, das habe ich so nie zuvor gelesen.
Thomas Gottschalk konnte im Literarischen Quartett aufzählen, wieviel Obst die Obstdiebin tatsächlich geklaut hat. Alle Achtung!
Ein Wermutstropfen muss dennoch loswerden. Ich habe das Ende, insbesondere den Sinn der Rede des Vaters nicht verstanden. Will er die Heilige Ehe retten? Ich weiß es einfach nicht.
Auch ist mir nicht klar geworden, warum die Erzählperspektive auf S.137 vom Ich-Erzähler zur Obstdiebin wechselt. Ist vielleicht der Ich-Erzähler der Vater der Obstdiebin?
Dennoch 4 Sterne. Mindestens.

Bewertung vom 10.03.2018
Zündkerzen
Grünbein, Durs

Zündkerzen


weniger gut

Nach wie vor fällt es mir schwer Lyrik zu bewerten.
Bilder sollen entstehen. Das gelingt Grünbein nur selten, überzeugend ist kein Gedicht.
Immerhin gibt es mitunter nette Reisebeschreibungen. Und manchmal etwas kritisches. Alles in allem aber hat mir Jan Wagner besser gefallen, daher nur 2 Sterne.

Bewertung vom 03.03.2018
Ilias
Homer

Ilias


gut

Ein Buch ganz vorne auf dem Stephen-Hawkins Index, dem Index für gekaufte Bücher, die nicht gelesen wurden. Ich habe mich immerhin bemüht.

Das Nachwort hat mir gut gefallen, ebenso die Bilder. Aber das Epos der Ilias konnte mich nicht wirklich packen. Laut lesen, um das Versmaß zu spüren, ist auf Dauer zu anstrengend. Es fehlt die Handlung und die Spannung, da das Ende ja bekannt ist. 3 Sterne.

1 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.02.2018
Leere Herzen
Zeh, Juli

Leere Herzen


sehr gut

Selbstmörderorganisation unter einer AFD-Regierung

Eigentlich bin ich kein Sciene-Fiktion Fan. Aber zeitnahe Szenarien lese ich dann doch, wenn mich auch wundert wie kurz das Grundeinkommen, das zum Heckenschneiden verwendet wird, benutzt wird, während andere trotz Grundeinkommen nicht genug Geld haben.

Hauptthema ist aber die Gründung der „Brücke“, einer Organisation die Selbstmördern hilft und wenn der 12-stufige Hilfsplan nicht wirkt weiter vermittelt, damit ihr Selbstmord einen guten Zweck erfüllt. Die Idee, die heutzutage der IS ausführt, der aber an Bedeutung verliert, zeigt wie gnadenlos der Neoliberalismus sein kann, wenn niemand schwachen, einsamen Menschen hilft.
Die Religion, deren Aufgabe es sein sollte, den Menschen einen Sinn im Leben zu geben, wird gegen Ende kurz von den Eltern der Hauptdarstellerin und Leiterin der Brücke Britta thematisiert, die keine Religion brauchen, aber als einzigen Sinn das nette Zusammensein sehen.
In dieser neue Welt, in der es offensichtlich an Menschenrechten fehlt, die UN vor dem Zusammenbruch steht und die AFD als BBB die Regierung übernommen hat, fehlt es an demokratischen Prinzipien. Was Zeh kritisiert, ist die Belanglosigkeit mit der der normale Bürger die Machtübernahme der BBB hinnimmt.

Gegen Ende wird es richtig spannend. Die Brücke wird von den „Empty Hearts“ bedroht, die weniger moralische Grundsätze haben.
Das wirkliche Ende bedarf einer Interpretation. Brittas Putzfimmel steht für die Ordnungsliebe der AFD, die z.B. hier in Heidelberg forderte, man solle den Bahnhofvorplatz von Müll und Obdachlosen säubern. (Wie ist das mit den Menschenrechten vereinbar?) Meiner Meinung nach hat Britta gefallen an der Macht über Menschen gefunden und verteidigt deswegen die bestehende Regierung. Ob die als klug und schön beschriebene Julietta, die eigentlich ihr Leben für den Tierschutz opfern wollte, wirklich denkt mit ihrem Tod etwas für die Demokratie zu tun, bleibt schleierhaft.
Mehr kann ich nicht sagen ohne zu viel zu verraten.

Wenn Juli Zeh so alt ist wie Peter Handke, dann wird man schreiben, dass „Unterleuten“ ein Hauptwerk von ihr war. „Leere Herzen“ ist nur ein Nebenwerk. Die Flucht des Brückenteams ist etwas merkwürdig, in ein Haus, meinetwegen halbfertig, aber warum Trinken aus Bächen 2025 möglich sein soll, erschließt sich mir nicht. 4 Sterne

Bewertung vom 21.02.2018
Das geheime Netzwerk der Natur
Wohlleben, Peter

Das geheime Netzwerk der Natur


ausgezeichnet

Populäre Ökologie eines Eifel-Försters

Nun ist es schon eine Weile her, dass ich „Das geheime Leben ber Bäume“ gelesen habe und es war mir eine große Freude Wohllebens neues Buch zu lesen (Ich bekenne, das Buch „Das Seelenleben der Tiere“ nicht zu kennen).

Anfangs wunderte ich mich, wieso der Eifel-Förster Beispiele aus Amerika bringt, doch scheint Wohlleben auch ein Vielreisender zu sein. Im Laufe des Buches kommt er zu seinem Lieblingsthema zurück, dem Wald. Und das wir in Mitteleuropa von Natur aus nun einmal einen nicht so artenreichen Buchenwald hätten, weshalb Steppentiere wie der Auerhahn hier nicht unbedingt schützen müsste.

Vor wenigen Wochen war bei Scobel auf 3sat eine Sendung über Symbiosen. Wohlleben fehlte. Ich möchte ihn mal in einer Diskussion mit anderen Fachleuten erleben. Wohl möglich ist manch einer neidisch auf seinen Erfolg. Seine These die mittelalterliche kleine Eiszeit auf die Entstehung des Regenwaldes am Amazonas zurückzuführen halte ich für ein wenig abenteuerlich. Widerlegen kann ich sie nicht. Dazu fehlen mir die Mittel.

Dennoch hebt sich der Autor wohltuend von dem Professorengeschwafel anderer Sachbücher ab und der Mut zu nicht allgemein anerkannten Thesen muss belohnt werden. 5 Sterne.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.02.2018
Die Anatomie der Ungleichheit
Molander, Per

Die Anatomie der Ungleichheit


gut

Der Autor weist darauf hin, dass Ungleichheit mehr oder weniger von selbst entsteht, da eine absolute Gleichheit nicht vorausgesetzt werden kann. Er zeigt mit einem geschichtlichen Rückblick, dass seit der landwirtschaftlichen Revolution auch ungleiches Erbe unterschiedliche Voraussetzungen schafft. Politisch widerlegt er die Ideen des Liberalismus, der glaubt, der Markt würde alles regeln, und des Konservatismus, der die Ungleichheit sogar religiös begründen will. Er setzt auf die Sozialdemokraten, wobei gleiche Bildung die wichtigste Voraussetzung zur Bekämpfung der Ungleichheit ist.

Ich habe das Buch gelesen, weil der Autor Mathematiker ist. Es gibt einige Kurven, ansonsten mehr Geschichte als Mathematik und wirklich Neues habe ich nicht erfahren. 3 Sterne.

Bewertung vom 13.02.2018
Das totale Museum
Welzbacher, Christian

Das totale Museum


sehr gut

Ein Büchlein, das neuere Entwicklungen der Museologie (hieß früher Museumskunde) benennt.

Es fängt an mit einem Museum im bosnischen Jablanica, dass für den Gründungsmythos Jugoslawien stand und mit dem Zerfall des Staates seine Bedeutung verloren hat. Museen sind immer auch der Politik unterworfen. So spiegelt sich der Neoliberalismus gerade bei Kunstmuseen in vielen privaten Sammlungen, die teilweise in Gebäuden der öffentlichen Hand stehen.
Noch interessanter fand ich die Frage gegen Ende des Buches, ob der LKW mit dem der Anschlag auf den Breitscheidplatz in Berlin verübt wurde ins Museum gehört. Ist das der Fall, dann haben wir das totale Museum.

Ganz nett und informativ in 2 Stunden zu lesen. 4 Sterne