Bewertungen

Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 02.09.2007
Jahrestage
Johnson, Uwe

Jahrestage


ausgezeichnet

Als die Jahrestage in vier Bänden nacheinander erschienen, war man sich der Kraftanstrengung dieses Autors kaum bewußt, man war vielmehr fasziniert davon, wie er die Erinnerungen der Gesine Cressphal mühelos mit dem Weltgeschehen der späten Sechziger Jahre verküpfte und sich dabei des Kunstgriffs der New York Times bediente. Was nun wie ein monumentales Werk dasteht, war ein in sich äußerst fragiles Unternehmen, daß den Autor an sich band. Selten wurde ein Teil der deutschen Geschichte so kunstvoll von leichter Hand erzählt. Die Jahrestage stehen in der Tradition der großen Erzähler wie Zola oder auch einem Tolstoi. Ein zerrisenes Panorama. Uwe Johnson hat seiner Heimat damit einen literarischen Ort erschrieben, zu dem seine Leser immer wieder zurückfinden, und in Gesine Cressphal und ihrer Tochter Marie, zwei Menschen geschaffen, die für vieles stehen, was Deutschland am Ende des 20. Jahrhunderts nach den Verbrechen der Nazis ausmacht und uns über die Zeiten an unsere Geschichte bindet. Wie Politik in unser aller Leben seinen Platz einnimmt, es mitbestimmt, selbst wenn wir von Politik nichts wissen wollen, davon erzählen die Jahrestage und werfen einen Blick auf die bleierne Zeit danach.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 02.09.2007
Washington Square
James, Henry

Washington Square


ausgezeichnet

Das Thema bewegt jeden Vater: Die Tochter verfällt einem Mann, der einem nicht standesgemäß erscheint. Ein Umstand, der im 19. Jahrhundert gravierender erschien, als es heute sein mag. Doch wenn's ums Geld geht, nimmt auch heutzutage mancher Familienvorstand den möglichen Schwiegersohn unter die Lupe, und es soll auch heute noch vorkommen, daß der ein oder andere dabei durchs Netz fällt. Ein hoch aktuelles Thema also, dem Henry James sich zugewandt hat. Vor allem, wenn die Tochter störrisch ist und partout nicht von dem Freier lassen will. Wie viele Mädchen sind da schon von Zuhause fortgerannt. In ihr Glück, ihr Unglück, in die Verbannung. All diese Varianten werden auch heute noch durchgespielt. Henry James Psychologie vollbrachte es, seine Leser bereits in seinem Jahrhundert hinter die Masken schauen zu lassen. Ein Kabinettstück mitten im wohlsituierten Bürgertum des 19. Jahrhunderts. Unverwechselbar im Ton und Blick, unter dem Henry James Romanwelt seine Pracht ausbreitet.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.09.2007
Daisy Miller
James, Henry

Daisy Miller


sehr gut

Eine Frau, die weiß, was sie will, attraktiv ist, ihre Reize einzusetzen versteht, wirbelt die Männerwelt natürlich durcheinander. In seiner Erzählung Daisy Miller konzentriert Henry James noch einmal alle Themen, die seine großen Romane ausmachen. Eine vom Untergang bedrohte mondäne Welt, in der Ranküne regiert und ein weibliches Wesen sich seiner Haut erwehren muß. In Daisy Miller kommt dazu noch ein frecher, selbstbewußter Ton, der die Protagonisten sehr modern wirken läßt, obwohl sie an den Fesseln, die ihr im Verlauf angelegt werden, nichts ändern wird. Liebe und Tod ihr ein eigenes Schicksal auferlegen, von dem sie solange überzeugt war, es beherrschen zu können.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 02.09.2007
Porträt einer jungen Dame
James, Henry

Porträt einer jungen Dame


ausgezeichnet

Auch vom Schicksal begünstigte Menschen geraten mit unter durch Selbstverschulden in eine Lage, von der sie sich nie hätten träumen lassen, jemals in eine solche Abhängigkeit zu geraten. Eigentlich besitzt Isabel Archer alles, was ein Mensch zu seinem Glück braucht. Zwar ist sie seit dem Tod ihres Vaters verwaist und Familie bedeutet für sie, sich in befreundete Familien einzugliedern, aber sie besitzt Geist, Geld und die scheinbare Freiheit, überallhin Reisen zu können. Mit der Bekanntschaft Gilbert Osmonds dringt die Faszination des Abseitigen in ihr Leben, fühlt sie sich von etwas angezogen, was sie nicht zu beherrschen vermag, so daß sie ihn heiratet, ihre Unabhängigkeit ausgerechnet an jenen Mann verliert, den Henry James von Anfang als die falsche Wahl zeichnet. Die feine Psychologie eines Henry James läßt uns die Entscheidungen Archers mit Spannung verfolgen. Kein Mensch ist vor dem Lug und Betrug sicher, den er sich selber auferlegt. Wenn er unbedingt an etwas glauben will, etwas zu lieben vorgibt, muß er die Folgen tragen. Ein großer Roman über das Streben nach Unabhängigkeit, das Behaupten einer Frau in einer männlich dominierten Umgebung, über das Sterben und Lieben. Der Roman des 19. Jahrhunderts findet mit Portät einer jungen Dame zu einem seiner Meisterwerke.
Polar aus Aachen

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.09.2007
Was gut und böse ist
James, P. D.

Was gut und böse ist


sehr gut

Wer den schnellen Suspense sucht, ist bei P.D. James schlecht aufgehoben. Sie entwickelt ihre Fälle aus dem Umfeld, nimmt Anlauf, um ein Opfer ins Licht zu rücken. In Weiterentwicklung der Agatha-Christie-Romane stehen bei ihr im Mittelpunkt eine Handvoll Verdächtiger, aus deren Kreis der Mörder sich entpuppen wird. Dabei zeichnet P.D. James nicht nur deren biografischen Hintergrund auf, sie schärft beim Leser auch den Blick für deren Fehltritte, Lügen und Schuld. In Was gut und Böse ist rückt sie das Justizsystem ihres Landes in den Mittelpunkt, legt dessen Besonderheiten an den Tag und verschränkt die Geschichte mit einem Familiendrama, in dem eine viel zu junge Tochter heiratet und ermordet wird. P.D. James legt die Gefühlswelt ihrer Protagonisten bloß. In ihnen entscheidet sich, was gut und böse ist, sie fällen das Beil nach dem Gesetz oder in Eigenregie. Was an Geheimnissen, Intrigen in diesem Roman aufgedeckt wird, ist lesenswert, spannend. Eher ein kriminalistischer Schmöker als ein Thriller.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 02.09.2007
Engel
Johnson, Denis

Engel


ausgezeichnet

Da bringt man endlich den Mut auf, den untreuen Ehemann zu verlassen, und verliert sein Herz an ein noch größeres Desaster. Schonungslos nimmt sich Denis Johnson der Gestrandeten in seinem Roman an, zeigt die Gewalt, der man sich und andere aussetzt. Doch dem Autor gelingt es, einen Kreis um Jamie und Bill zu ziehen, er will sie vor dem Absturz bewahren, sie nicht ihrer Würde berauben, obwohl sie gefallenen Engeln gleichen. Leidenschaft erscheint hier nicht als Hort des Unglücks. Sie ist die Triebfeder, die einen zwar vom Weg abbringt, aber auch spüren läßt, daß man noch am Leben ist. Hat Jamie dies mit ihrer Trennung von ihrem Ehemann nicht bezweckt? Sieht Bill nicht deswegen in ihr eine Weggenossin. Hätten sie die Sicherheit vorgezogen, wären sie nie von Zuhause fort gekommen. Johnson zeigt uns eine Welt, die roh ist, ohne Trost erscheint und trotzdem schweben zwei Engel hindurch, denen die Welt scheinbar nichts anhaben kann. Faszinierend in seiner Rücksichtslosigkeit sich selbst gegenüber. Wenn du etwas ersehnst, darfst du nicht jammern.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 31.08.2007
Betty Blue
Djian, Philippe

Betty Blue


sehr gut

Verfilmt, gefeiert, in einer Sprache geschrieben, die dem Autor in Frankreich oft vorgeworfen worden ist, entwirft Djian in Betty Blue eine flirrende, verschwitzte, alles vom Leben einfordernde Welt, in der die Freiheit nicht nur auf dem Papier besteht, sie sich anfühlt, als wäre jeder imstande, sie sich zu nehmen. Für einen Moment. Einen Tag. Eine Nacht. Für ein Leben mit Betty. Die Männer bleiben da ein bißchen außen vor, sie dürfen sich mitreißen lassen. Djian schafft in Betty ein faszinierendes Bild jener jungen Frauen, die sich nicht aufhalten, nicht einschränken lassen wollen. Ihr Optimismus wird im Verlauf der Geschichte auf eine harte Probe gestellt, doch bleibt er unterschwellig auch dann noch bestehen. Man muß nur dran glauben. Selbst in Momenten, wo man an diesem Glauben verzweifelt. Der Erfolg des Romans beruht sicher in der Aufmunterung: macht's einfach, wenn's schiefgeht, was soll's! Geht nicht alles im Leben schief? Und am Ende müssen wir halt dafür bezahlen.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.08.2007
Das Teufelsspiel / Lincoln Rhyme Bd.6
Deaver, Jeffery

Das Teufelsspiel / Lincoln Rhyme Bd.6


schlecht

Wer Sherlock Homes mag, mag dieses Buch. Es versammeln sich darin eine Menge intelligenter Ermittler, die in kürzester Zeit die vertracktesten Probleme lösen, auch wenn es sich in Jeffery Deavers Geschichte auf mehrere Köpfe und dem einzigartigen Lincoln Rhyme verteilt. Obwohl die Handlung Haken schlägt, einen manchmal in die Irre führt und dann den anfänglichen Faden wieder aufnimmt, ist es ärgerlich, wie simpel das Muster hinter allem hervor scheint. Erst überlegt der Autor, wie er es handhaben will, daß eine bestimmte Spur gelegt und entdeckt wird, dann webt er sie in die Geschichte ein. Das ist an vielen Stellen zu fadenscheinig. Die endlose Aufzählung von Spuren und Ermittlungsmethoden, die Zusammenfassungen der Ergebnisse hemmt die Spannung, bringt sie oft zum Erliegen. Dabei ist der Plot über den 14 Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten und der Sicherung der Bürgerrechte, deren Auswirkungen 140 Jahre zurückreichen, viel versprechend. Doch wenn alle Forensik verblaßt, ist der Plot um eine betrogene Familie und ein Grundstück in Manhattan vergeben, und man würde sich wünschen, jemand nehme sich seiner an.
Polar aus Aachen

1 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.08.2007
Manhattan Transfer
DosPassos, John

Manhattan Transfer


ausgezeichnet

Kann man die moderne Welt überhaupt noch durch etwas anderes als ein Raster betrachten? Wie in einem Kaleidoskop fügt John Dos Passos in seinem Roman die Schicksale seiner Helden zusammen, spart nicht mit sozialer Kritik an den Verhältnissen, prangert das Kapital an, rückt die Armut ins Scheinwerferlicht und zeichnet hier wie dort das Verlorensein in allen Farben nach. Als sei dies nicht genug, bedient er sich einer für die damalige Zeit revolutionären Sprache, die der Hektik der Stadt, der Zerrissenheit seiner Menschen, deren innere Uhr einem neuen, schnelleren Takt zu gehorchen hat, ihren eigenen Ausdruck verleiht und reiht Geschichte um Geschichte einer Stadt in einzelnen Episoden zu einem großen impressionistischen Gemälde. Wir schauen kurz nach rechts, nach links, spüren, daß alles ineinander verwebt ist und doch liegen die Fäden am Boden, werden aufgehoben und führen ins Nichts, verlieren sich irgendwo zwischen die Häuserblocks. Und die Hoffnung? Irgendein berühmter Mann hat einmal behaupt, die sterbe zuletzt. Grandios.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.08.2007
Der Augenblick der Wahrheit
Davidsen, Leif

Der Augenblick der Wahrheit


ausgezeichnet

Das Leben eines Paparazzo ist nicht einfach. Er kennt keine Skrupel, ein Foto schießen, egal welches, bringt ihm Geld ein. Er versteht sich aufs Auflauern. Er kann warten. Allzu viel Moral zu zeigen, ist da eher hinderlich. Was Peter Lime an persönlicher Verstrickung weit von sich weg hält, um seine Arbeit im Verborgenen überhaupt machen zu können, bricht plötzlich über ihn herein, nachdem er das Foto von einem spanischen Politikers geschossen hat, das diesen womöglich um sein Amt bringt. Leif Davidsen schafft es einen Thriller zu schreiben, ohne allzu reißerisch sich des Genres zu bedienen. Ein Fotograf verliert nach einem Brandanschlag seine Familie, die Vergangenheit, die selbst er besitzt, verwandelt sein Leben in eine Hölle. Der, der jegliche Schuldgefühle von sich gewiesen hat, steht plötzlich im Mittelpunkt von Schuld, die er auf sich geladen hat. Spannend, fesselnd in der Auseinandersetzung mit den politischen Verhältnissen. Ein Gefühl von Ohnmacht bei Peter Lime begleitet uns durch den Roman. Am Ende will man mehr von Leif Davidsen lesen.
Polar aus Aachen