Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Igelmanu
Wohnort: 
Mülheim

Bewertungen

Insgesamt 997 Bewertungen
Bewertung vom 10.11.2017
Herr Mozart feiert Weihnachten
Baronsky, Eva

Herr Mozart feiert Weihnachten


ausgezeichnet

»Die Stadt lärmte vor sich hin wie jeden Tag, von einer Festtagsruhe war nichts zu spüren. Mit einem Mal fühlte er Sehnsucht aufsteigen nach jener Feierlichkeit, die sich in seiner Erinnerung untrennbar mit dem Heiligen Abend verband: kein Lärmen, kein Eilen, sondern Ruhe über der Stadt; die Mette am Abend und ein Festessen mit viel Punsch, mit Freunden geteilt.«

Eine Weihnachtsgeschichte mit dem Zeitreisenden Wolfgang Amadé Mozart! Nachdem ich schon „Herr Mozart wacht auf“ großartig fand, gab es für mich kein Überlegen, als ich dieses Buch entdeckte. Und es hat sich gelohnt! Vom ersten Moment an war ich wieder voll in der Handlung, umfing mich die ganz eigene Stimmung und Atmosphäre der Geschichte.

Zum Einstieg: Am 5. Dezember 1791 verstarb Mozart in Wien. Mehr als 200 Jahre später erwacht er wieder an gleicher Stelle. In seiner Erinnerung lag er gerade noch auf dem Sterbebett – und nun lebt er wieder, gesund und munter, aber in einer Welt, die mit seiner bekannten kaum noch etwas gemein hat.
Als er am Heiligen Abend Geige spielend vor dem Stephansdom steht und an dem Gedanken verzweifeln könnte, dass um ihn herum niemand mehr in der Lage ist, seiner Musik zu lauschen, weil die Welt so laut geworden ist, trifft er ein kleines Mädchen namens Karoline. Sie hält ihn für den Weihnachtsmann und nimmt ihn mit nach Hause. Der Beginn eines sehr ungewöhnlichen Abends…

Das Weihnachtsfest und was es bedeutet steht im Mittelpunkt der Handlung. Mozart beobachtet das, was aus dem stillen Fest seiner Erinnerung geworden ist mit einer Mischung aus Faszination, Neugierde und Erschrecken. Mit offenem Blick nimmt er wahr, was nicht stimmt, sowohl in der Gesellschaft als auch in Karolines Familie, in der eine Krisensituation auf die nächste folgt. Der Zeitreisende erkennt, worin die Probleme liegen – aber wird er das den anderen vermitteln können? Eine Möglichkeit, sich auszudrücken, hat er – und das ist die Musik!

Die Geschichte ist kurz, umfasst gerade einmal 140 Seiten. Da es aber nur um die Ereignisse an diesem Heiligen Abend geht, ist der Umfang ausreichend. Alles ist rund, nichts fehlt. Die Charaktere in der Familie treten deutlich hervor, die kleine Karoline ist der größte Sympathieträger. Neben Mozart natürlich ;-) Ihn muss man einfach mögen und seinen Gedanken und Empfindungen zu folgen ist gleichermaßen amüsant wie erhellend. Am Ende hat man eine zauberhafte Wohlfühl-Weihnachtsgeschichte gelesen, die deutlich macht, worauf es (nicht nur) an diesem Tag ankommt.

Fazit: Wer schöne Weihnachtsgeschichten mag, wird diese hier lieben. Ich habe das Wiederlesen mit Herrn Mozart sehr genossen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.11.2017
Das verborgene Leben der Meisen
Tjernshaugen, Andreas

Das verborgene Leben der Meisen


ausgezeichnet

Meisen begegnen einem jeden Tag, ihr Anblick ist so alltäglich, dass er meist gar nicht besonders auffällt. Dabei würde es sich sehr lohnen, mal genauer hinzusehen. Andreas Tjernshaugen erklärt, weshalb…
Er ist kein Biologe oder Zoologe, aber schon von Berufs wegen vielseitig interessiert (er arbeitet als Redakteur bei der Internetenzyklopädie „Das große norwegische Lexikon“). Sein Interesse an der heimischen Tierwelt erwachte bereits in der Kindheit, durch den inspirierenden Vortrag eines Biologen wurde er auf Meisen aufmerksam und erkannte, wie viel Faszinierendes es bei ihnen zu entdecken gibt. Im heimischen Garten hängte er einen Nistkasten mit Kamera auf und ging auf Beobachtungsposten.

Seine Ergebnisse stellt er auf sehr unterhaltsame Art dar, im Buch vereint sich ein informatives Sachbuch mit einem persönlichen Erfahrungsbericht. Der Leser begleitet Tjernshaugen und seine gefiederten Gartenbewohner durch ein ganzes Jahr, angefangen bei den ersten Vorbereitungen für die neue Brutsaison, Partnersuche und Nestbau, über die Aufzucht der Jungen, ihr Flüggewerden bis zum nächsten Überwintern. Dazwischen unternimmt der Autor auch Besuche in Waldgebieten, spricht mit Forschern und Biologen. Seine Erkenntnisse teilt er mit dem Leser, deutlich merkt man, wie auch er über die Wunder der Natur staunt. Sein Stil ist sehr leicht verständlich, gut und angenehm zu lesen. Der Tonfall ist locker und bringt immer wieder Formulierungen, die einen schmunzeln lassen.

Ich habe so manches Interessante erfahren. Meisen sind beispielsweise höchst erfolgreich im Überleben. Während viele Vogelarten (wie überhaupt viele Tierarten) bedroht sind oder gar aussterben, zeigt sich ihr Bestand stabil und unbeeindruckt von sich ändernden Lebensräumen. Flexibel passen sich die Meisen an und präsentieren sich als furchtlos und vielseitig. Dass sie darüber hinaus fast alles fressen, hilft da natürlich sehr! Und so ist ihr Verbreitungsgebiet gewaltig, die Kohlmeise zum Beispiel lebt fast überall in Europa, von der Finnmark in Nordnorwegen bis zum Mittelmeerraum. Sogar in Teilen Nordafrikas und Asiens trifft man sie an.
Auch die Berichte über die Vielfalt der Persönlichkeiten bei den Vögeln fand ich fesselnd. Der Blick in ihre Nistkästen offenbarte menschlich anmutende Familiendramen. Da gibt es Eifersucht, Untreue und Scheidungen. Aber eben auch die enorme Fürsorge für den Nachwuchs, die mit dem gemütlichen Einrichten des Heims beginnt und in der aufopfernden Versorgung der Jungtiere gipfelt.

An manchen Stellen kamen mir noch Fragen beim Lesen, hätte ich mir die Erklärungen umfangreicher gewünscht. Andererseits spricht das Buch vermutlich dadurch, dass es nicht zu sehr in die Tiefe geht, ein breiteres Lesepublikum an. Und das ist gut und wichtig, denn die heimische Tierwelt hat unsere Aufmerksamkeit verdient. Sicher gibt es viele Europäer, die mehr über Löwen und Pinguine wissen, als über die Vögel im Baum vor ihrem Haus. Man ist so an ihre Gegenwart gewöhnt, dass man gar nicht erkennt, was sie alles Erstaunliches leisten. Eins ist gewiss: Nach dem Lesen dieses Buchs schaut man sie mit anderen Augen an.

Wer noch mehr tun mag, findet im Anhang Tipps zur Vogelfütterung und zum Bau eines Nistkastens. Und da der Autor nicht nur ein Vogelfreund, sondern auch Familienmensch ist, weist die Bauanleitung darauf hin, was man beim Werken mit Kindern beachten sollte. Das hat mir gefallen!

Besonders hervorheben möchte ich noch die herrlichen Fotos und Illustrationen im Buch. Ich habe immer wieder zu einigen Bildern zurückgeblättert, so gut gefielen sie mir. Zudem waren sie nicht nur schön anzusehen, sondern auch informativ. Ich kann jetzt nicht nur die einzelnen Meisenarten unterscheiden, sondern auch auf einen Blick ein Kohlmeisenmännchen von einem Weibchen. Auch den besonderen Einband möchte ich erwähnen, der wunderbar in der Hand liegt und das Lesevergnügen noch unterstreicht.

Bewertung vom 03.11.2017
Von der Liebe und anderen Dämonen
García Márquez, Gabriel

Von der Liebe und anderen Dämonen


ausgezeichnet

»Fürchten Sie nicht, sich zu verdammen?«
»Ich glaube, ich bin es schon, aber nicht vom Heiligen Geist. … Ich habe schon immer geglaubt, daß der mehr auf die Liebe als auf den Glauben gibt.«

Cartagena im ausgehenden 18. Jahrhundert. Sierva María de Todos los Angeles ist die einzige Tochter des Marqués de Casalduero. Von ihren nur um sich selbst kreisenden Eltern vernachlässigt, wächst sie unter den schwarzen Sklaven des Hauses auf, lernt ihre Sprache und Bräuche. Als sie mit 12 Jahren von einem tollwütigen Hund gebissen wird, besinnt sich der Vater erstmalig auf seine Tochter und beschließt, sie zu retten. Obwohl sie keine Anzeichen der Krankheit zeigt, wird sie einer Reihe von Ärzten und Heilern ausgesetzt. Als es ihr nach den Behandlungen richtig schlecht geht, kann es dafür nur eine Ursache geben: Besessenheit! Sierva wird in ein Kloster gebracht, in dem ihr die Dämonen ausgetrieben werden sollen. Mitten in all dem Wahnsinn zweifelt einzig ein Pater, dass in dem zarten Mädchen mit den wunderschönen Haaren tatsächlich der Teufel steckt. Und er zweifelt nicht nur, sondern verliebt sich auch noch.

Gerade einmal 224 Seiten umfasst dieses Buch und präsentiert dem Leser doch eine richtig große Geschichte. Dem Autor gelingt das Kunststück, mit wenigen, aber auf den Punkt gewählten Worten, seine Charaktere und die Schauplätze so bildhaft und präzise zu beschreiben, dass man sie von der ersten Seite an vor Augen hat.
Er spart nicht mit Kritik. Das Bild der adligen Gesellschaft, das er zeigt, zeugt von Dekadenz und Selbstsucht. Siervas Eltern baden sich in selbstgeschaffenen Problemen, jeder bemitleidet sich selbst am meisten und ist blind für die Sorgen der Mitmenschen. Die Existenz der Sklaven ist eine Selbstverständlichkeit und niemand kommt auf die Idee, die praktizierten Unmenschlichkeiten zu erkennen oder gar in Frage zu stellen. Und über allem schwebt der angeblich streng gelebte Katholizismus und die Inquisition. Grausam. Tragisch.
Ich gestehe, dass mich die Geschichte sehr berührt hat. Und wütend gemacht hat sie mich - auch jetzt noch wühlt in mir der Zorn auf so manchen Charakter! Ein kurzes Buch und doch so intensiv geschrieben, dass es nachwirkt und die Gedanken immer wieder zur Handlung zurückkehren lässt.

Fazit: Eine tragische Geschichte mit wunderschönen Worten erzählt. Sehr lesenswert!

Bewertung vom 03.11.2017
Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr / Zamonien Bd.7
Moers, Walter

Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr / Zamonien Bd.7


sehr gut

»Die Krankheit von Prinzessin Dylia war die seltenste von ganz Zamonien. Sie war noch seltener als das fiebrige Flattern, die chronische Krätze, der hysterische Husten, die paranormale Parodontose, der tonlose Tinnitus und das zantalfigorische Zittern.«

Zu den Begleiterscheinungen der seltenen Krankheit, unter der die Prinzessin leidet, gehört chronische Schlaflosigkeit. Dylia hat Wege gefunden, sich mit dem ständigen Schlafentzug zu arrangieren, auf den nächtlichen Wanderungen durch ihr Schloss erfindet sie die aberwitzigsten Wortkreationen und stellt sich immer neuen Denksportherausforderungen. In einer dieser Nächte bekommt sie Besuch von dem alptraumfarbenen Nachtmahr Havarius Opal, der ihr ankündigt, sie in den Wahnsinn treiben zu wollen. Zuvor soll es auf eine Reise quer durch Dylias Gehirn gehen. Ein Abenteuer, auf das die Prinzessin sich nur zu gerne einlässt…

Endlich wieder nach Zamonien! Endlich hat Walter Moers wieder ein Werk des zamonischen Großschriftstellers Hildegunst von Mythenmetz übersetzt! Keine Frage, dieses Buch musste bei mir einziehen!
Der erste Eindruck, schon gleich zu Beginn, irritiert. Weshalb sind die Illustrationen nicht wie erwartet von Walter Moers selbst sondern von einer jungen Frau namens Lydia Rode? Kurz bin ich enttäuscht, ich hatte mich schließlich auf Bilder im bekannten Stil gefreut. Schon einige Seiten weiter bin ich aber versöhnt, denn die Aquarelle von Lydia Rode passen perfekt zum Text, sind nicht nur farbenfroh, sondern auch ausdrucksstark und spiegeln den enormen Einfallsreichtum, um den es im Text geht, wieder. Und als ich am Ende erfahre, wie es überhaupt dazu kam, dass der Autor nicht selber zum Stift griff, bin ich sehr berührt. Jeder Leser sollte unbedingt das Nachwort lesen!
Der Text hingegen ist von der ersten Zeile an genau so, wie ich ihn erwartet habe. Überschäumende Kreativität, Wortwitz und eine Phantasie, die ihresgleichen sucht, zeichnen ihn aus – ich musste beim Lesen immer wieder laut lachen. Schlafopern, unschädliche, aber hübsch ausschauende Naturkatastrophen, quergestreifte Regenbögen oder Nachtmahrpaläontologie – der Autor schöpft wieder aus dem Vollen. Freude am Spiel mit Worten und die Bereitschaft, sich wie ein Kind auf eine Reise durch Phantasiewelten einzulassen sind allerdings Voraussetzung, damit man das Buch so wie ich genießen kann.
Weshalb der Punktabzug? Nur deshalb, weil ich dieses Buch mit den anderen Zamonienromanen vergleiche, die mir meist noch besser gefielen.

Fazit: Phantastisch, kreativ, witzig. Wieder mal ein toller Ausflug nach Zamonien und ein Muss für Fans.

»Bevor mir langweilig wird, würde ich mir neunundneunzig neue Namen für Langeweile ausdenken.«

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.10.2017
Gebrandmarkt
Kendi, Ibram X.

Gebrandmarkt


sehr gut

»Die göttliche Vorsehung schicke Afrikaner in die Sklaverei ins christliche Amerika, damit sie von ihren Herren Kenntnis von der ruhmreichen Heilsbotschaft Christi erhielten. Sie sind Menschen, keine Tiere. … Allerdings ist ihre Dummheit entmutigend. Afrikaner zu belehren scheint keine geringere Aufgabe zu sein, als sie zu waschen.«

Afroamerikaner blicken auf eine lange Leidensgeschichte zurück. Noch heute ist ihr Leben von Benachteiligungen und Diskriminierung geprägt. Die statistische Wahrscheinlichkeit, von der Polizei getötet zu werden, liegt für einen jungen schwarzen Amerikaner einundzwanzigmal höher als für einen jungen Weißen und die durchschnittliche Finanzkraft weißer Haushalte übersteigt die schwarzer Haushalte um das Dreizehnfache.

Ibram X. Kendi, Professor für Geschichte und Internationale Beziehungen an der American University in Washington, D.C. erzählt die Geschichte Schwarzer in Amerika von den Anfängen bis zur Gegenwart. Überaus präzise und detailliert ist sein Bericht, vermittelt den Eindruck von Vollständigkeit und ist reich an Zitaten.

»Diese Regierung wurde nicht von Negern und nicht für Neger geschaffen, sondern von weißen Männer für weiße Männer. Das Gesetz gründe auf der falschen Vorstellung von rassischer Gleichstellung. Die Ungleichheit der weißen und der schwarzen Rasse sei ein Brandmal von Geburt an.« (Jefferson Davis, 1860)

Für seinen Bericht hat er eine sehr reizvolle Art der Umsetzung gefunden, denn er reiht im Grunde fünf Biographien von Persönlichkeiten aneinander, die zu ihrer jeweiligen Zeit die ethnischen Vorstellungen und Ideen beeinflusst oder vertreten haben. Konkret haben wir es mit Cotton Mather, Thomas Jefferson, William Lloyd Garrison, W. E. B. Du Bois und Angela Davies zu tun. Ich gestehe, dass mir manche der Namen zuvor nicht viel gesagt haben, umso interessanter war zu lesen, wie wichtig ihre Lebensläufe und Gedanken für alle maßgeblichen Debatten zum Thema Rassismus waren und sind.
Als Basis stellt Kendi drei unterschiedliche Standpunkte vor, die seit Jahrhunderten diskutiert werden, schon dabei habe ich viel Neues erfahren, zum Beispiel, dass den Anti-Rassisten zwei Hauptströmungen rassistischer Ideen gegenüberstehen. Dann die vielen Theorien, die aufgestellt wurden um zu ergründen, weshalb es eigentlich Menschen mit heller und solche mit dunkler Haut gibt. Klimatheorie, Fluchtheorie und die Überlegung, ob eine schwarze Seele weiß werden kann – ich habe gestaunt, womit sich selbst Gelehrte befasst haben.
Was versteht man unter ethnischer Ungleichheit oder schrittweiser Gleichstellung? Und wie war das mit der Kolonisation? Interessant fand ich auch die Zusammenhänge von Sexismus und Rassismus, denn auch die Gleichheit der Geschlechter wird thematisiert.

Immer wieder gab es Abschnitte, bei denen ich beim Lesen richtig wütend wurde. Manchmal wusste ich nicht, was mich mehr empört, die Grausamkeit der beschriebenen Handlung oder die Argumentation, mit der sie „gerechtfertigt“ wurde.

Vielen berühmten Namen begegnet der Leser, denn natürlich haben Martin Luther King, Malcolm X und Barack Obama ihren Platz im Buch, das neben der Geschichte des Rassismus auch viel über die Geschichte der Vereinigten Staaten erzählt. Bei den Sachinhalten fehlt, so mein Eindruck, nichts.
Persönlich hätte ich es schön gefunden, wenn es noch ein paar Bilder, vor allem aus dem historischen Teil, gegeben hätte. Auch hat mir der Stil nicht immer zugesagt, er war mir manchmal schlicht zu trocken. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass der Autor an einigen Stellen eine Benachteiligung hineininterpretiert, die so eigentlich nicht gemeint war. Ich halte mich wirklich für sensibel, was diese Thematik angeht und fand doch bei einigen Gelegenheiten den von Kendi geäußerten Rassismus-Vorwurf für übertrieben.

Fazit: Ein präziser und detaillierter Bericht über die Geschichte des Rassismus. Sehr wichtig und lesenswert!

Bewertung vom 08.10.2017
Auferstehung / Hauptkommissar Jan Fabel Bd.7
Russell, Craig

Auferstehung / Hauptkommissar Jan Fabel Bd.7


ausgezeichnet

»Fabel blickte hinauf … Er stellte sich den Erstickungstod des Opfers vor, bei dem die Qual in Euphorie umschlug, und fragte sich, ob der Mann auch in diesen letzten Sekunden die Illusion erlebt hatte, über seinem Körper zu schweben und auf ihn hinunterzublicken.«

Jan Fabel, Leiter der Mordkommission in Hamburg, gilt als Experte für Serienmorde, bei seiner meist erfolgreichen Arbeit achtet er stets auf sein Bauchgefühl, lässt sich von Intentionen leiten.
Vor zwei Jahren wurde er im Dienst angeschossen und wäre beinahe gestorben. Eine Nahtoderfahrung, die er dabei machte, veränderte ihn, ließ ihn die Prioritäten seines Lebens neu ordnen und so einiges, was ihm während seiner Arbeit begegnet, aus einem speziellen Blickwinkel betrachten.
Nun wird er erneut mit seinem ersten Fall als Mordermittler konfrontiert. Vor 15 Jahren verschwand eine junge Frau namens Monika Krone spurlos, sämtliche Nachforschungen blieben ohne Ergebnis. Als auf einer Baustelle eine vergrabene Leiche gefunden wird, ahnt Jan sofort, um wen es sich handelt. Während er versucht, diesen Cold Case erneut aufzugreifen, geschieht ein aktueller Mord, der sich zu einer Serie steigern wird.
Eine Zufälligkeit der Ereignisse? Oder gehören der alte und die neuen Morde zusammen? Im Fokus der Ermittlungen steht ein gefährlicher Gewaltverbrecher, der gerade aus dem Gefängnis ausgebrochen ist und den Jan schon vor 15 Jahren im Verdacht hatte, für Monikas Tod verantwortlich zu sein. Viel Arbeit für Jan und sein Team…

Dieses Buch aus der Reihe des Ermittlers Jan Fabel ist bereits das siebte aus der Reihe, für mich war es das erste. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich irgendeinen Nachteil hatte, weil ich die Vorgänger nicht kannte, konnte der Handlung mühelos folgen.
Und die hatte es wirklich in sich! Mehrere gleichzeitig verlaufende Handlungsstränge machten mich von Anfang an neugierig, wie alles zusammengehören würde. Besonders gefiel mir dabei, dass in einem Fall erst kurz vor Ende klar wurde, wie der überhaupt dazu gehört. Bis dahin rätselt man, versucht selber, einen Zusammenhang herzustellen – so etwas mag ich.
Ohnehin finde ich es gut, wenn sich die Handlung langsam aufbaut. Wenn man lange mitraten muss, auf falsche Fährten gelockt wird. Das ist hier wirklich gelungen!
Auch das Szenario, in das die Mordserie platziert wird, finde ich spannend, denn es ist ungewöhnlich und man muss bei der Suche nach dem Täter einige verwirrende Gedankenspiele durchgehen.
Jan gefällt mir als Ermittler, er ist ein interessanter Charakter und die immer wieder thematisierte Nahtoderfahrung macht einen zusätzlichen Reiz aus. Anfänglich hatte ich befürchtet, dass Jan irgendwelche übernatürlichen Wahrnehmungskräfte hätte, das ist aber nicht der Fall, sondern er kombiniert schlicht Erfahrung mit Bauchgefühl. Daher blicke ich am Ende auf einen spannenden, intelligenten und manchmal verwirrenden Fall zurück, der mich angenehm überraschte und gut unterhielt. Gerne werde ich ein weiteres Buch aus dieser Reihe lesen!

Fazit: Intelligent, raffiniert und manchmal verwirrend. So mag ich einen Thriller!

Bewertung vom 03.10.2017
Das Geheimnis der Winterschläfer
Warnecke, Lisa

Das Geheimnis der Winterschläfer


ausgezeichnet

»Schon lange fasziniert der Winterschlaf die Wissenschaft – doch noch immer geben uns viele Vorgänge Rätsel auf: Wie schaffen Tiere es nur, sechs Monate des Jahres kalt und fast bewegungslos zu verbringen, ohne Schäden davonzutragen? Welche Vorgänge laufen dabei im Körper ab und welche Tiere nutzen weltweit Winterschlaf? Geht es dabei wirklich nur um die Einsparung von Energie?«

Ein Buch über Winterschläfer! Es wäre ein Wunder gewesen, wenn ich da hätte widerstehen können! Und mir wäre auch wirklich viel entgangen!

Lisa Warnecke ist promovierte Biologin und Trägerin des Forschungspreises der Deutschen Wildtier Stiftung. Auch für dieses Buch hat sie umfangreiche Untersuchungen betrieben, der Leser kann sich auf eine Reise durch vier Kontinente freuen und dabei bekannte und weniger bekannte Winterschläfer kennenlernen. Wir treffen auf Igel in Hamburg, Fledermäuse in Kanada, Beuteltiere in Australien und Lemuren auf Madagaskar.
Moment! Madagaskar? Winterschlaf?
Das wird interessant!

Das Buch startet mit ordentlichen Grundlagen. Was genau versteht man eigentlich unter Winterschlaf? Da wird zunächst einmal mit einigen Irrtümern aufgeräumt. Wer weiß zum Beispiel, dass Tiere im Winterschlaf überhaupt nicht schlafen? Dass es sich bei dem sogenannten Winterschlaf um einen faszinierenden Energiesparmodus, genannt Torpor, handelt? Dass die Dauer des Torpors artspezifisch ist, manchmal nur einen Tag dauert? Und dass die Tiere, die ihn beherrschen, besonders erfolgreich im Überlebenskampf sind?

Winterschlafforschung gibt es seit über 150 Jahren, erste Untersuchungen wurden 1938 publiziert. Trotzdem sind noch nicht alle Fragen beantwortet, was auch daran liegt, dass die Freilandforschung besonders kompliziert ist. Eine Herausforderung, die die Autorin angenommen hat!
Sehr lebendig schreibt sie über ihre Arbeit, erklärt ausführlich die Methoden und die besonderen Umstände des jeweiligen Lebensraumes. Sie staunt über die Wunder der Natur, erfreut sich daran. Da wird zwischendurch auch schon mal ein Wal vor der australischen Küste bewundert.
Im Mittelpunkt steht aber letztlich immer ihr Forschungsprojekt. Welche Anpassungsleistungen muss beispielsweise ein Igel an das Leben in der Großstadt aufbringen? Wie kann ihm der Winterschlaf dabei helfen? Und wie kann der Mensch in der Stadt wiederum den Igel unterstützen?
Und was muss man sich unter Winterschlaf in den Tropen vorstellen?

Das Thema ist wirklich hochinteressant und viel umfangreicher, als ich zunächst vermutet hatte. Schwer beeindruckt las ich, wie die Tiere ihre Körpertemperatur selbst regulieren. Ein Igel kann sich bis auf 4° runterkühlen, einzelne Tiere schaffen sogar Temperaturen unter 0°! Unglaublich! Ich staune immer wieder, welche großartigen Leistungen die Natur vollbringt.

Die Winterschlafforschung wird auch nicht nur von Tierfreunden beobachtet. Nicht wenige träumen davon, den Zustand des Winterschlafs für Menschen anwendbar zu machen, beispielsweise für medizinische Zwecke oder in der Raumfahrt. Die großen Weltraumorganisationen zeigen seit Jahrzehnten hohes Interesse an der Torporforschung.

Das Buch ist unterteilt in zwei große Abschnitte: Einschlummern und Aufwachen. Wie in jedem Buch, das sich ernsthaft mit der Tierwelt befasst, gibt es wunderschöne Abschnitte und herrliche Fotos, aber ebenfalls traurige Passagen. Die Einflüsse der Umwelt machen das Überleben schwer, ganz zu schweigen von menschlichem Einfluss, Krankheiten und der Zerstörung von Lebensräumen. Daher ist es umso wichtiger, möglichst viel über die Tiere (hier die faszinierenden Winterschläfer) zu erfahren.
»Wir können nur schützen, was wir kennen.«

Fazit: Ein hochinteressantes Thema und ein Muss für jeden Tierfreund.

Bewertung vom 03.10.2017
Das Universum in deiner Hand
Galfard, Christophe

Das Universum in deiner Hand


sehr gut

»Was du von deinem Strand auf der tropischen Insel aus als die Milchstraße identifiziert hast, das war nur eine dünne Scheibe deiner Galaxie, ein Band mit Hunderten Millionen Sternen, die zu weit entfernt waren, um einzeln erkennbar zu sein, deren Lichter zusammen jedoch das diffuse Band bildeten. Und während du jetzt in das weit entfernte Unbekannte spähst, bereit, deinen Geist dorthin stürmen zu lassen, wo du das größte Geheimnis vermutest, wird dir plötzlich klar, dass all diese Lichtkleckse genauso verschwommen sind wie die Milchstraße.
Auch sie müssen Galaxien sein!«

Wer tatsächlich schon mal das große Glück hatte, den Sternenhimmel über einem tropischen Strand bewundern zu können, der kennt dieses Staunen über die schier unglaubliche Menge leuchtender Himmelskörper. In der Großstadt braucht man meist Wolkenlücken und eine Menge Phantasie, wenn man einen Blick auf das Universum werfen möchte.
Christophe Galfard, französischer Astrophysiker und Doktorand von Stephen Hawking, hilft dabei. Er nimmt den Leser mit auf eine unglaubliche Reise bis hinter die Grenze des sichtbaren Universums.

Das Besondere an dem Buch ist sicher sein für ein Wissenschaftsbuch ungewöhnlicher Stil, sehr lebendig, wie ein Roman geschrieben und doch voller Fakten auf dem neuesten Stand der Wissenschaft.
Zunächst einmal werden Grundlagen vermittelt, über unsere kosmische Familie, Sonne, Mond, unser Planetensystem. Über die Schwerkraft und die Lichtgeschwindigkeit und die Einsteinsche Gleichung. Und dann geht die Reise erst richtig los! Zeitreisen, der Urknall, dunkle Energie, schwarze Löcher, ein Ausflug in die Quantenwelt – nichts fehlt.

Alles sehr theoretisch? Stimmt. Im Verlauf des Buchs wurde es für mich auch manchmal ein wenig zu theoretisch. Da half der angenehm leichte Stil sehr, der auch gerne mit Witz arbeitet. Beispiel?
»Aufgrund von Schätzungen der im Zentrum unseres Sterns noch vorhandenen Menge an Wasserstoff können die Wissenschaftler überschlagen, wann es zur Explosion kommen wird. Ihre Prognose: Die Sonne wird in ungefähr fünf Milliarden Jahren zerbersten – an einem Donnerstag oder bis zu drei Tage früher oder später.«

Der Autor verspricht in seinem Vorwort, dass das Buch niemanden überfordern wird. Da tut man sich schwer, zuzugeben, dass man an einigen Abschnitten ganz schön geknackt hat. Ich gebe es trotzdem zu. Der Stil ist leicht, Fachwörter und Formeln werden so gut es geht vermieden und trotzdem wird dadurch die Grundthematik nicht einfacher. Im Vergleich zu anderen Büchern über Astrophysik ist es sicher ein Spaziergang, aber dass ich einfach durch das Buch gerauscht wäre, kann ich nicht behaupten. Es gibt so viele Theorien – und bei manchen wollte sich mein Verstand schlicht weigern, zu folgen. Zum Glück hat der Autor auch für diesen Fall ein paar ermutigende Worte…
» Die Natur nimmt nicht übel. Sie ist dafür da, von uns entdeckt zu werden – fertig.«

Fazit: Eine unglaubliche Reise. Manchmal unbegreiflich und sehr theoretisch, aber immer auch faszinierend.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.