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Raumzeitreisender
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Ahaus
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 743 Bewertungen
Bewertung vom 25.07.2016
Sag es treffender
Textor, A. M.

Sag es treffender


sehr gut

Ein hilfreiches Handbuch für den Schreibtisch

Für jemanden, der nuancenreich schreiben möchte, ist dieses Standardwerk unverzichtbar. Es enthält Verweise auf sinnverwandte Ausdrücke für den privaten und beruflichen Gebrauch. Das Buch besteht im Wesentlichem aus zwei Teilen und zwar dem Verzeichnis der Synonyme (1981 Stichwörter) und dem Register (57000 Begriffe) für den Einstieg in die Suche.

Die erste Auflage stammt aus dem Jahr 1955; meine vorliegende Ausgabe ist von April 2010. Um dem Zeitgeist angepasst zu schreiben, ist es nach einigen Jahren zweckmäßig, auf eine Neufassung des Werkes zurückzugreifen.

Gibt es Unterschiede zu früheren Publikationen von „Sag es treffender“? Im Vergleich zur Ausgabe von Dezember 1982 fällt auf, dass die Zahl der Begriffe von 20000 angewachsen ist auf 57000, dass die Zahl der Stichwörter gestiegen ist von 1603 auf 1981 und dass die Einführung im Gegensatz zu früher kurz und prägnant ist. Außerdem ist in der alten Veröffentlichung zu jedem Begriff nur ein Verweis auf ein Stichwort enthalten; heute gibt es zu zahlreichen Begriffen mehrere Verweise. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass viele Wörter mehrdeutig sind. So gibt es zu „grenzenlos“ einen Verweis auf „unendlich“ und einen auf „weit“ mit jeweils zugehörigen eigenen Synonymen.

Ein Hinweis für Leser, die mit Nachschlagewerken dieser Art keine Erfahrungen haben: Das Buch ist kein Ersatz für Sprachgefühl. Den passenden Begriff muss der Schreiber selbst herausfinden. Erfahrungsgemäß kommen aus der Liste nur jeweils wenige Synonyme infrage, um das auszudrücken, was man ausdrücken möchte.

Das Buch ist preiswert und sehr zu empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.07.2016
Der Doppelgänger
Saramago, José

Der Doppelgänger


ausgezeichnet

Der Geschichtslehrer Afonso lebt seit der Scheidung von seiner Frau allein. Schulalltag und Privatleben haben ihn desillusioniert. Er neigt zu Depressionen. Seine angespannte psychische Situation bleibt dem aufmerksamen Umfeld nicht verborgen. Ein Kollege aus dem Lehrerkollegium macht ihn auf einen Film aufmerksam, den er sich zur Ablenkung anschauen soll. In diesem Film entdeckt Afonso einen Nebendarsteller, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht. Fassungslos schaut er sich die Szene erneut an. Das Drama beginnt.

Nach einigen Tagen intensiver Recherche gelingt es ihm, seinen Doppelgänger zu ermitteln. Die perfekte äußerliche Übereinstimmung überrascht beide. Wer ist das Original und wer die Kopie? Nach einem längeren Gespräch, das nicht frei ist von Provokationen, vereinbaren sie, sich nicht wieder zu treffen. Aber die Büchse der Pandora ist geöffnet. Nach dem Motto „Es kann nur einen geben“ spitzt sich die Situation zu. Das Ende des Romans ist nicht vorhersehbar.

Dem wissenschaftlich interessierten Leser bleibt Saramago die Antwort schuldig, wie denn die Verdoppelung zustande gekommen ist. Er beschreibt ausschließlich deren Auswirkungen. Die biologischen Ursachen bleiben im Dunkeln. Der Doppelgänger dient als Mittel zum Zweck. Im Fokus stehen Afonsos Identitätsprobleme. Saramago thematisiert seine psychische Zerrissenheit. Hierzu passen auch Nebensächlichkeiten, wie Afonsos Unzufriedenheit mit seinem ersten Vornamen, die Untersuchung der Videos, seine Erlebnisse in der Videothek und der Vorschlag, die Geschichte rückwärts zu lehren.

Saramago verwendet keine Anführungszeichen für die wörtliche Rede, sondern trennt Dialoge mit Beistrichen. Die jeweils folgende wörtliche Rede beginnt wieder mit Großbuchstaben. Eine weitere persönliche Note verleiht Saramago dem Roman durch immer wieder eingeschobene Zwiesprachen mit dem „gesunden Menschenverstand“ - auch dies ein Indiz für Afonsos innere Spaltung. „Der Doppelgänger“ ist ein Leseerlebnis der besonderen Art.

Bewertung vom 24.07.2016
Der Blick von nirgendwo
Nagel, Thomas

Der Blick von nirgendwo


sehr gut

Subjektivität in einer objektiv beschreibbaren Welt

Wie passt das Subjektive in eine objektiv beschreibbare Welt, deren Bestandteil es letztendlich sein muss? Mit dieser (nicht nur) philosophischen Frage beschäftigt sich Thomas Nagel in „Der Blick von nirgendwo“. Das Verhältnis von Innenansicht und Außenansicht betrifft u.a. die Metaphysik des Geistes, die Erkenntnistheorie, das Freiheitsproblem und die Ethik. Ohne Einbeziehung der Subjektivität ist eine Wirklichkeitsauffassung unvollständig. Damit ist das Problem umrissen.

Autor Nagel ist davon überzeugt, dass wir nicht über die notwendigen Mittel verfügen, um uns selbst zu verstehen. (22) Wer wollte ihm da widersprechen. Wie sollte auch der Mensch als Teil dieser Welt, sich und diese verstehen können?

Der physikalischen Objektivität sind Grenzen gesetzt, wie der Autor mit dem K.O.-Kriterium „Selbstbezug“ deutlich macht. „... ganz zu schweigen von der psychischen Tätigkeit der Konstruktion einer objektiven Auffassung der materiellen Wirklichkeit, die nicht ihrerseits einer physikalischen Analyse zugänglich zu sein scheint.“ (30)

Noch problematischer ist die psychische Objektivität. „Wir sollten“, so der Autor, „... auch uns selbst aus der Außenperspektive denken können – und zwar in einer psychologischen und nicht in einer materialistischen Begrifflichkeit.“ (34) Das halte ich nicht für möglich. Das Bewusstsein ist – aus dem Blickwinkel des eigenen Erlebens – subjektiv und kann ohne materiellen Bezug nicht objektiv gedeutet werden. Es sind primär die physischen Prozesse im Gehirn, die naturwissenschaftlich untersucht werden können und nicht die damit in Beziehung stehenden psychischen Erlebnisse.

Objektivität ist nicht das (alleinige) Kriterium für Realität, wie der Autor deutlich macht. Und daraus folgt, dass die objektive Wirklichkeit nicht die gesamte Wirklichkeit ist. Er schlägt die Doppelaspekt-Theorie vor als Lösung für das psychophysische Problem, bei der es nicht um Substanzen, sondern um Eigenschaften geht.

Mit dem Begriff des objektiven Selbst nähert Nagel sich auch dem „Blick von nirgendwo“ an, indem die Welt als ganzes betrachtet wird, ohne individuelle subjektive Perspektive. (108) Das ist natürlich eine Idealisierung, da es eine Betrachtung der Welt ohne konkrete Perspektive nicht gibt.

Der Autor erläutert verschiedene Theorien der Erkenntnis, wohl wissend, dass auch eine objektive Auffassung über uns und die Welt nicht das beinhalten kann, was diese Auffassung bildet. (120) Immer wieder zeigt der Selbstbezug die Grenzen der Erkenntnisfähigkeit auf. Nagel äußert sich skeptisch zur evolutionären Erkenntnistheorie, bietet aber keine Alternative an. (142)

Handlungen, betrachtet unter objektiven Gesichtspunkten, führen zum Eindruck der kausalen Festlegung. So stellt sich die Frage, ob wir überhaupt verantwortlich sind, für das, was wir tun. Objektivität bedroht die Annahmen über menschliche Freiheit. Nagel diskutiert zwei Aspekte der Willensfreiheit, das Problem der Autonomie und das Problem der Verantwortlichkeit. Beide Probleme erscheinen je nach Perspektive (Innenperspektive, Außenperspektive) unterschiedlich und lassen Zweifel am freien Willen aufkommen. Die Experimente von Libet zur Willensfreiheit fließen nicht in Nagels Überlegungen ein.

In der Ethik geht es um die objektive Angemessenheit von Handlungen anhand intersubjektiv ausgehandelter Spielregeln. Nagel widmet sich diesem Thema ausführlich, wenngleich nach seiner eigenen Einschätzung seine Diskussion allgemein und unvollständig ist.

Das Buch ist umfassend, anspruchsvoll und tief gehend. Für den schnellen Überblick gibt es leichtere Lektüre. Allerdings ist mein Eindruck, dass manche Probleme einfacher und strukturierter hätten dargestellt werden können. Dennoch handelt es sich um ein lesenswertes Buch, in dem Thomas Nagel ausführlich auf die Problematik „Objektivität – Subjektivität“ eingeht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.07.2016
Einsteins Universum
Calder, Nigel

Einsteins Universum


sehr gut

„Ich glaube, dass jeder wahre Theoretiker eine Art gezähmter Metaphysiker ist ...“ [1]

Die englische Originalausgabe des Buches ist 1979 zu Einsteins 100. Geburtstag erschienen. Es ist in 21 überschaubare Kapitel, versehen mit Skizzen und Bildern, untergliedert und verständlich aufbereitet, soweit das bei Einsteins Theorien möglich ist. Die Leser werden nach dem Studium dieser Lektüre nicht die Relativitätstheorien umfassend verstanden haben. Das geht ohne intensive Beschäftigung mit der zugehörigen Mathematik (einen kleinen Einstieg erhält der Leser z.B. in [2]) nicht. Aber ein mehr als oberflächlicher Eindruck von Einsteins Theorien und seinen Folgen ist sehr wohl möglich. Es handelt sich um ein populärwissenschaftliches Buch. Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt bei der Allgemeinen Relativitätstheorie.

Die reale Welt stimmt (laut Einstein) nicht mit der Ordnung unserer Denkstrukturen überein. Der Mensch ist evolutionsbedingt für den Mesokosmos geschaffen. Im Mikrokosmos (Quantenphysik) und auch im Makrokosmos (Relativitätstheorien) versagt unser Vorstellungsvermögen. Gekrümmte Räume, gedehnte Zeit und Schwarze Löcher können wir physikalisch beschreiben, aber uns nicht wirklich vorstellen. Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass Einsteins Modell die Realität treffender beschreibt als Newton es konnte.

Nigel Calder ist in den Medien bekannt als Wissenschaftsjournalist und Produzent zahlreicher Dokumentationen für die BBC. Themen für ein breites Publikum aufzubereiten gehört zu seinem Beruf. „Einsteins Universum“ ist vom Schwierigkeitsgrad vergleichbar mit „E=mc²“ [3], aber umfangreicher. Auf der anderen Seite ist Calder nicht so nah am Thema dran wie Banesh Hoffmann in [4], der in den 1930er Jahren Assistent bei Einstein in Princeton war. [4] ist nicht frei von Formeln, aber es geht dabei nicht um die schwierige Mathematik der Allgemeinen Relativitätstheorie.

Calder hat den Kapiteln jeweils Leitsätze vorangestellt, die in den Kapiteln erläutert werden. Insofern ist es auch möglich, gezielt in einzelne Kapitel einzusteigen. Er berichtet über einige Versuche, die dazu dienten, Einsteins Theorien zu überprüfen. Er wagt sich auch in die Grenzbereiche, in denen Einsteins Aussagen heute als überholt gelten. Calders Satz „... es besteht nicht die geringste Aussicht, die physikalische Welt dadurch zu verändern, dass man sie beobachtet“ (19) irritiert, widerspricht er doch der Quantenphysik.

„Einsteins Universum“ ist keine Biografie wie z.B. [5]. Biografische Elemente fließen nur ein, soweit es für das Verständnis der Materie erforderlich ist. Die letzten Kapitel widmet Calder den Auswirkungen der Allgemeinen Relativitätstheorie auf die Kosmologie. Zur Sprache kommt auch Einsteins „kosmologische Konstante“, die der Gravitation entgegen wirken sollte und die er später widerrufen hat.

Einsteins Nachfolger sind noch nicht in Sicht, wenngleich Handlungsbedarf besteht, wie Brian Greene es in seinem Buch über Superstrings [6] treffend zum Ausdruck bringt "So, wie sie gegenwärtig formuliert sind, können Allgemeine Relativitätstheorie und Quantenmechanik nicht beide richtig sein. Die beiden Theorien ... wollen partout nicht zueinander passen."

[1] „Einstein sagt“, Herausgeberin: Alice Calaprice, S. 151
[2] „Spezielle Relativitätstheorie für Studienanfänger“ von Jürgen Freund
[3] „E=mc²“ von Thomas Bührke
[4] „Einsteins Ideen“ von Banesh Hoffmann
[5] „Einstein“ von Johannes Wickert
[6] „Das elegante Universum“ von Brian Greene, S. 17

Bewertung vom 24.07.2016
Der Informationscrash
Otte, Max

Der Informationscrash


sehr gut

Deutschland, wir haben ein Problem!

Max Otte prophezeite in seinem 2006 erschienenen Buch „Der Crash kommt“ den Kollaps der Finanzmärkte. Die Entwicklung gab ihm recht. 2008 ging die Investmentbank Lehman Brothers in die Insolvenz. Die Folgen sind bekannt. Damit erwies sich Otte als Einäugiger unter lauter Blinden.

In „Der Informationscrash“ geht es um die Ursachen der Krise. Die sieht Autor Otte im Wesentlichen in der gezielten Desinformation der Bürger durch Banken, Konzerne, Politik und Medien. Dass die Bürger durch die genannten Institutionen für dumm verkauft werden, beschreibt Otte eindrucksvoll. Aber liegen die Ursachen primär in der fehlenden Aufklärung?

An Informationen mangelt es im Internet nicht. Auch wenn wir uns, wie Otte schreibt, von dem Hirngespinst verabschieden müssen, dass das Internet automatisch ein demokratisches Medium sei. Das Problem ist, es existiert keine einfache Lösung. Es gibt zweifelsohne viele unkritische Bürger, aber auch an kritischen Bürgern mangelt es nicht. Die Frage ist, wie soll der Einzelne Einfluss nehmen auf eine internationale Entwicklung?

Wir schlittern sehenden Auges auf die nächste Krise zu. Für diese Einsicht braucht man kein Prophet zu sein. Die Banken agieren wie zuvor. Wie groß soll der nächste Rettungsschirm ausfallen? Hinzu kommt die hohe Verschuldung der öffentlichen Haushalte.

Ottes Buch ist sehr informativ. Er beklagt den Manager-Kapitalismus, bricht eine Lanze für einen starken Staat, favorisiert Familienunternehmen gegenüber Aktiengesellschaften und spricht sich, wie schon Management-Vordenker Reinhard Sprenger, dafür aus, Vertrauen aufzubauen.

Das Buch behandelt im Kern die Zustände, die zur Krise geführt haben. Otte gewichtet das Informationsdefizit recht hoch. Wie sehen die Lösungen aus? Otte hofft, dass er zu einem späteren Zeitpunkt sowohl die akademische Theorie als auch den umfassenden Praxisleitfaden zur Desinformationswirtschaft liefern kann. Man darf gespannt sein.

Veränderungen erfolgen entweder in kleinen Schritten (evolutionär) oder radikal (revolutionär). Kleine Veränderungen reichen nicht aus und große Veränderungen finden keine Mehrheit. - Deutschland, wir haben ein Problem!

Bewertung vom 24.07.2016
Hat der Weltraum eine Tür?
Janßen, Ulrich; Werner, Klaus

Hat der Weltraum eine Tür?


sehr gut

Geheimnisse des Universums

Warum ist der Weltraum so unvorstellbar groß? Gibt es in den Weiten des Universums Aliens? Das sind Fragen, wie sie nicht nur von Kindern gestellt werden. Erwachsene begeistern sich gleichermaßen für die Geheimnisse des Universums.

Antworten finden neugierige Menschen in naturwissenschaftlichen Fachbüchern, die jedoch für ein Fachpublikum geschrieben wurden und den nach einfachen Erklärungen suchenden Laien überfordern. Dieser bedient sich populärwissenschaftlicher Bücher, deren Autoren es sich zum Ziel gesetzt haben, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Alltagssprache zu übersetzen.

„Hat der Weltraum eine Tür?“ ist ein solches Buch. Es ist im Nachgang zu einer Kinder-Uni-Vorlesung entstanden, angeregt durch Fragen eines elfjährigen Mädchens. Es wird von der Vision getragen, sowohl fachlich korrekte als auch kindgerechte Antworten auf die großen Fragen der Menschheit zu liefern.

Auf acht Kapitel verteilt erläutern die Autoren den Aufbau des Universums, die rätselhafte dunkle Materie, die Geheimnisse von Zeit und Raum und Entstehungstheorien für das Universum. Auch erwachsene Leser kommen auf ihre Kosten, da das Buch dem neusten Stand der Wissenschaft entspricht. Die Leser lernen das Antriebsprinzip von Raketen kennen und erfahren, welche körperlichen Veränderungen die Schwerelosigkeit mit sich bringt. Für Fachleute und Laien ist es gleichermaßen unfassbar, dass sich der Weltraum mit einer Geschwindigkeit ausdehnt, die jenseits der Lichtgeschwindigkeit liegt und es sich um eine Expansion ohne Wiederkehr handelt.

Erfreulich, dass zu guter Letzt die Erde wieder in den Mittelpunkt des Universums gerückt wird. Da der Weltraum keine Grenze und keinen Rand hat, hinter dem das Außen beginnt, hat er auch keinen Mittelpunkt. Der Mittelpunkt des Universums kann sich also auf der Erde mitten im Wohnzimmer des Lesers befinden.

Die Aufmachung des Buches ist ansprechend, zahlreiche Illustrationen tragen ihren Teil dazu bei. Auf den letzten zehn Seiten befinden sich Erläuterungen zu Fachbegriffen. Gibt es an dem Buch etwas zu kritisieren? Die Naturwissenschaften sind ein offenes Erkenntnissystem. Neue Beobachtungen erfordern neue Erklärungen. Insofern verkünden sie keine absoluten Wahrheiten, sondern beschreiben intersubjektive Wirklichkeit. Der erkenntnistheoretische Rahmen der Naturwissenschaften hätte in einem eigenen Kapitel für ein kindgerechtes Verständnis aufbereitet werden können. Auch glaube ich nicht, dass das Buch für achtjährige Kinder geeignet ist, wie vom Verlag auf ihrer Webseite angegeben.

Bewertung vom 24.07.2016
Die Google-Falle
Reischl, Gerald

Die Google-Falle


sehr gut

Eine unkontrollierte Weltmacht im Internet

Gerald Reischl beschreibt nicht den grandiosen Aufstieg einer Garagenfirma zum Weltkonzern, sondern setzt sich, wie der Buchtitel erwarten lässt, kritisch mit dem Unternehmen auseinander. Er möchte zur Bewusstseinsbildung beitragen und aufzeigen, in welchem Zwiespalt Internet-Nutzer leben und worauf sie achten sollten, wenn sie das Internet nutzen. Wird er diesem Anspruch gerecht?

Im ersten Kapitel ist von Kritik noch nicht viel zu spüren. Autor Reischl beschreibt eine paradiesische Unternehmenskultur, wie sie in Europa unbekannt ist. Bei der im kalifornischen Mountain View ansässigen Firmenzentrale handelt es sich um einen farbenfrohen, lustigen und liberalen Tummelplatz der Kreativität, in dem nicht nur die Verpflegung kostenlos ist. Einzig der Hinweis auf „viele Zahnbürsten in den Regalen“ macht deutlich, dass ein hohes Maß an Engagement erwartet wird.

Die Informationspolitik untersucht Reischl im zweiten Kapitel. Es kommt vor, dass Interviews kurzfristig abgesagt werden, nicht alle Informationen über die Firma publiziert werden und Statistiken und Grafiken vor Veröffentlichung auf Linie gebracht werden. Dies mag im Widerspruch zur Regenbogenwelt der Firmenzentrale stehen, aber sicher nicht im Widerspruch zur Politik großer Konzerne. Welche Firma lässt sich schon in die Karten schauen?

Der Marktanteil von Google beträgt in Westeuropa etwa 90%. Wie ist diese Dominanz begründet? Die Unternehmenskultur kann daran nur einen kleinen Anteil haben. Einen größeren Anteil des Erfolges darf Larry Page für sich verbuchen, dessen Methode PageRank die Rangordnung der Suchergebnisse steuert. Durch diesen Algorithmus werden unter anderem Datenquerverbindungen ausgewertet zwecks Auflistung der Suchergebnisse in der Reihenfolge ihrer Bedeutung.

Google lebt, wie die gesamte Werbebranche, von Kundeninformationen. Sämtliche Suchergebnisse werden gespeichert und werbewirksam verarbeitet. Das Google-Glossar im hinteren Teil des Buches veranschaulicht die vielen Dienste, die der Konzern mittlerweile eingeführt oder aufgekauft hat. Bezogen auf das Internet ist Google heute eine Weltmacht. Und hier setzt die Kritik an.

Google agiert international als Werbekonzern auf der Basis von Daten, die die Anwender dem Konzern im Zuge der Nutzung zahlreicher Gratisdienste bereitstellen. Gespeichert und ausgewertet werden nicht nur Suchbegriffe, sondern auch Informationen über die Nutzer selbst. Google verfügt heute über mehr Informationen als andere Internetfirmen und ist in der Lage die Daten miteinander zu verknüpfen. Hier lauert die reale Gefahr, gläsern zu werden.

Ich halte das Buch nicht für spektakulär, aber für wichtig. Autor Reischl sensibilisiert die Öffentlichkeit für ein in den vergangenen Jahren vernachlässigtes Thema, nämlich den Datenschutz. Der allzu sorglose Umgang mit persönlichen Daten birgt Gefahren, wie schon manch ein Bewerber erfahren musste. Es ist schon erstaunlich, wie sich das Bewusstsein der Bevölkerung hinsichtlich des Datenschutzes in den vergangenen 30 Jahren gewandelt hat.

In einem Interview erläutert Gerald Reischl, dass sein Buch für ganz normale Internet-Nutzer gedacht ist und nicht für IT-Experten. Dem stimme ich zu. Im Hinblick auf die Aufmachung des Buches hatte ich auch nichts anderes erwartet. IT-Fachleute werden nicht viel Neues erfahren. Internet-Nutzer, die sich noch nie viele Gedanken darüber gemacht haben, was bei der Nutzung des Internets im Hintergrund passiert, werden durch das Buch leicht verständlich informiert.

Bewertung vom 24.07.2016
Der lange Marsch durch die Zeit
Asimov, Isaac

Der lange Marsch durch die Zeit


ausgezeichnet

Ein Überblick über die kulturelle Entwicklung

Isaac Asimov war nicht nur ein bekannter Science-Fiction-Schriftsteller, sondern seiner Feder entstammen auch zahlreiche Sachbücher. „Der Lange Marsch durch die Zeit“ ist eins davon. Auch wenn das Buch mittlerweile in die Jahre gekommen ist, gilt das nicht für seinen Inhalt. Bei einer Reise durch 10.000 Jahre Geschichte, kommt es auf die letzten 30 Jahre wirklich nicht an.

Wer sich an langweilige Geschichtsbücher aus der Schulzeit erinnert, wird bei diesem Werk überrascht sein. Asimov schildert auf 300 Seiten in leicht verständlicher Sprache die Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Nach einem Kapitel über die Vorzeit beginnt die Reise 8000 Jahre v. Chr. und endet wenige Jahre vor dem Jahr 2000. In einem abschließenden Kapitel gibt Asimov Prognosen über die Zukunft ab.

Der Autor beschreibt den Aufbau und auch den Untergang von Kulturen, das Wirken von Eroberern und Herrschern, sowie wichtige Erfindungen und Entdeckungen. Das Buch ist nur noch gebraucht bzw. im Antiquariat erhältlich. Dieser Überblick in konzentrierter Form ist sein Geld wert.

Bewertung vom 23.07.2016
Die Kartenmacher
Murdin, Paul

Die Kartenmacher


sehr gut

Der Wettstreit um die Vermessung der Welt

Unsere Landvermesser vergangener Jahrhunderte waren echte Pioniere und Abenteurer. In unruhigen Zeiten wie z.B. der französischen Revolution war es lebensgefährlich, mit seltsamen Gerätschaften durchs Land zu reisen und auf einsamen Bergen weit sichtbare Leuchtfeuer zu errichten. Das es sich dabei lediglich um harmlose Triangulationen handelte, mit dem Ziel, das Land zu vermessen, konnte von dem Volk auf der Straße nicht nachvollzogen werden. Wer nicht mit Mathematik und Astronomie vertraut war, und das waren die wenigsten, konnte einfach nicht verstehen, um was es da ging.

Es gab im 17. Jahrhundert noch keine zuverlässigen Kartenwerke, mangels zuverlässiger Uhren existierten bei der Navigation der Schiffe große Probleme und auch fehlten einheitliche Normen für Maße und Gewichte.

Autor Paul Murdin, selbst Astronom, beschreibt die Geschichte der Vermessung vom 17. Jahrhundert bis hin zur Neuzeit. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Entwicklung in Frankreich. Vermessungen benötigen eine Basis und so wurde ein Meridian (Großkreis) durch Paris definiert und astronomisch vermessen. Ziel war es, genaue Karten zu zeichnen und die wahre Gestaltung der Erde zu erforschen. Notwendige Vermessungsarbeiten führten die Akteure bis in die entlegensten Winkel der Erde.

Murdin beschreibt die Lebensgeschichten zahlreicher Wissenschaftlicher, die an diesem Großprojekt beteiligt waren. Dabei wird, am Beispiel von Pierre-François-Andre Méchain, eins deutlich: Messfehler sind das schlimmste, was einem Landvermesser passieren kann.

Der Autor erzählt keine unmittelbar zusammenhängende Geschichte, sondern er beschreibt die historische Entwicklung anhand zahlreicher Biographien. Die Grundlagen der Vermessungen hätten m.E. verständlicher erläutert und auch mittels Skizzen visualisiert werden können. Auch wundert es mich, dass in einem Buch, in dem viele große Namen genannt werden, der geniale Mathematiker, Geometer und Astronom Carl Friedrich Gauß nur ganz am Rande erwähnt wird.

Es gibt nur wenige Bücher über die Vermessung der Welt. Die Biographie von Hubert Mania über Gauß hat mir wegen der zusammenhängenden Darstellung und Konzentration auf eine Person besser gefallen. Dennoch bleibt positiv festzuhalten: Der Geist der damaligen Zeit kommt rüber, die Motivation der Wissenschaftler ist erkennbar und die Geschichte wird lebendig erzählt.