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Bellis-Perennis
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Wien

Bewertungen

Insgesamt 924 Bewertungen
Bewertung vom 02.04.2023
Das Himmelreich der Lügner
Federmann, Reinhard

Das Himmelreich der Lügner


ausgezeichnet

Dieses Buch ist ein Meisterwerk der österreichischen Nachkriegsliteratur. Geschrieben 1959, erzählt Autor Reinhard Federmann die Geschichte der dramatischen Wochen im Februar 1934, als sich Schutzbund und Heimwehr mit Waffen gegenüberstehen. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt: Wenn sich zwei streiten, freut sich ein Dritter. Dieser lachende Dritte heißt Adolf Hitler. Soweit der historische Hintergrund, vor dem dieser historische Roman spielt.

Bruno Schindler und vier seiner Freunde, alles Sozialdemokraten, wollen 1934 die Welt und die Republik Österreich vor dem drohenden Untergang retten. Alle Bemühungen sind vergebens. Während Bruno Schindler die Flucht in die Sowjetunion gelingt, bleiben die anderen in Wien zurück. 1956 kehrt Schindler aus dem Exil, in dem auch nicht alles so rosig war, zurück und sucht nach seinen ehemaligen Gefährten. Er trifft seinen alten Genossen Beranek, der mit einem früheren Feind und nunmehrigen Politiker an einem Tisch sitzt.

„Zwei Männer, die irgendwann einmal, in ferner Vergangenheit aufeinander geschossen hätten“

Beranek hat sich, wie so viele andere auch, den neuen Gegebenheiten angepasst. So hat sich ein ehemaliger Mitstreiter den Nazis angeschlossen und ist nun ein tüchtiger Geschäftsmann, der von Beranek den berüchtigten „Persilschein“ erhalten.

„Natürlich habe ich ihm eine Art Leumundszeugnis ausgestellt. Was hättest du gemacht?“

Schindler wendet sich ab, denn er kann nicht vergessen oder verzeihen, dass sein jüdischer Freund in einem der Vernichtungslager ermordet worden ist.

So bleibt Heimkehrer Schindler in seiner Stadt fremd, heimat- und hoffnungslos zurück.


Meine Meinung:

Dieser Roman ist wie der Autor Reinhard Federmann (1923-1976) beinahe in Vergessenheit geraten. 1959 ist nicht die Zeit, in der man sich mit der NS-Zeit beschäftigen will. Es soll aufwärtsgehen. Die Bösen waren immer die anderen. Das Unrechtsbewusstsein ist nicht vorhanden. Man versteckt sich hinter der falschen Wahrheit, das „erste Opfer der NS-Diktatur gewesen zu sein“.

Der hier angesprochene Austrofaschismus ist ein noch nicht restlos aufgearbeiteter Teil von Österreichs Geschichte. Autor Reinhard Federmann schreibt mehrere zeitkritische Romane, die sich (natürlich) schlecht verkaufen. Es ist dem Picus-Verlag zu verdanken, dass Federmanns Werke neu aufgelegt werden.

Der Schreibstil ist stellenweise nüchtern, immer hochpolitisch und ob der Ereignisse oftmals erschütternd.

In seinem Nachwort schreibt Günther Stocker: „Federmann stellt sich quer zum Geschichtsverständnis der Zweiten Republik, das die Zeit der austrofaschistischen Diktatur zugunsten des großkoalitionären Friedens ausblendet.“

Dem ist, wenn man die Geschichte Österreichs kennt, wenig hinzuzufügen.

Fazit:

Diesem historischen Roman, der Dank der Neuauflage dem Vergessen entrissen worden ist, gebe ich gerne 5 Sterne.

Bewertung vom 02.04.2023
Im Bann des Bösen (eBook, ePUB)
Przyrembel, Alexandra

Im Bann des Bösen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Autorin Alexandra Przyrembel nähert sich mit ihrem sorgfältig recherchierten Buch einer berühmt, berüchtigten Frau an: Ilse Koch. Sie gilt im Nachkriegsdeutschland als Inbegriff des Bösen, der Bestie von Buchenwald.

Die Autorin beleuchtet Ilse Koch von mehreren Perspektiven. Wie kommt es, dass ein junges, in einer bürgerlichen Familie aufgewachsenes Mädchen, eine solche „Karriere“ hinlegt?

Schon 1932 tritt Ilse Köhler (1906-1967) der NSDAP bei und heiratet vier Jahre später Karl Otto Koch, den späteren Kommandanten des KZ Buchenwald. Sie lebt mit ihrer Familie auf dem Gelände des KZ. Ilse Koch ist eine der wenigen Frauen, die wegen NS-Verbrechen vor Gericht gestellt und auch verurteilt worden sind. Die Revision des Urteils von 1947, in dem ihre lebenslange Haftstrafe auf vier Jahre reduziert worden ist, sorgt für Empörung. 1949 wurde Ilse Koch abermals verhaftet und diesmal unter anderem wegen Anstiftung zum Mord im Jänner 1951 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. 1967 beging sie in der Haft Suizid.

Meine Meinung:

Autorin Alexandra Przyrembel hat in akribischer Kleinarbeit die Prozessakten sowie unzählige Zeitungsberichte als Quellen zu diesem Buch herangezogen. Sie rekonstruiert die Biografie jener Frau, die als „Hexe oder Bestie von Buchenwald“ traurige Berühmtheit erlangt hat. Interessant sind einige Vorwürfe, wie zum Beispiel, dass sie tätowierte Menschen gezielt töten, hat lassen, um aus deren Haut Lampenschirme anfertigen zu lassen, nicht eindeutig belegbar sind.
Allein die Vorstellung, dass ein solcher existiert haben könnte, hat Ilse Kochs Ruf als Monster gefestigt.

In ihrem Buch geht die Historikerin unter anderem auch der Frage nach der Rolle der Frauen in der Nazi-Diktatur nach. Frauen spielten ja in der Politik keine Rolle. Lediglich als Wählerinnen, Lieferantinnen von Söhnen und kriegswichtigen Produkten sind sie geduldet.

Eine, in ihrer Boshaftigkeit herausragenden Person, wie Ilse Koch entspricht so gar nicht dem NS-Frauenbild. Koch dient in der Nachkriegszeit als eine Art negative Identifikationsfigur. Je mehr Brutalität, je mehr Gewalt oder Schuld Ilse Koch zugeschrieben werden konnte, desto mehr konnten sie andere von den Gräueltaten der Nazis distanzieren.

Das Buch ist oder vielmehr muss, ob zahlreicher Gräuel sachlich verfasst werden. Methodisch nähert sich die Autorin an Ilse Koch an und entwirft mit dieser klugen Studie ein kompaktes Bild des personalisierten Bösen.

Einige Fotos zeigen die scheinbare Idylle der Familie Koch und ergänzen den Blick auf eine berühmt-berüchtigte Person.

Fazit:

Diesem stellenweise verstörenden Buch gebe ich gerne 5 Sterne.

Bewertung vom 02.04.2023
Garten der Engel (eBook, ePUB)
Hewson, David

Garten der Engel (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Der fünfzehnjährige Nico besucht seinen schwer kranken Großvater Paolo Uccello im Krankenhaus und erhält von ihm die Aufzeichnungen seines langen Lebens. Nicht die ganze Geschichte auf einmal, sondern peu à peu. Dieses Manuskript ändert Nicos Leben und die Sicht auf seinen geliebten Nonno.

Die Geschichte beginnt im Herbst des Jahres 1943: Venedig ist, obwohl Hitler und Mussolini Verbündete sind, von deutschen Truppen besetzt. Das Leben läuft auf Sparflamme und der junge Paolo Uccello kämpft nach dem Tod seiner Eltern um den Erhalt des Familienunternehmens, einer traditionsreichen Seidenweberei. Als der Pfarrer, den ein wenig weltfremd wirkenden Paolo, bittet, in seinem in die Jahre gekommenen Palazzo das jüdische Geschwisterpaar Mika und Giovanni zu verstecken, nimmt er die Geschwister nur widerwillig auf. Beide gehören dem italienischen Widerstand an und sind auf der Flucht vor den Nazischergen. Während Mika versucht, weiterhin Anschläge auf die Deutschen zu verüben, findet der verletzte Giovanni Gefallen an der Weberei. Bald aber droht die Deportation der gesamten jüdischen Gemeinde Venedigs und Paolo muss eine Entscheidung treffen.

Wird er den Mut aufbringen, das Richtige zu tun? Könnten wir es?

Meine Meinung:

Autor David Heswon erzählt einfühlsam und mitreißend von einem Venedig, das, obwohl die beiden Diktatoren „befreundet“ sind, unter der Schreckensherrschaft der Nazis leidet. Die Venezianer sind ohnehin ein Menschenschlag, der gerne nur in sich zusammenhält. Man spricht nicht italienisch sondern venezianisch und schätzt Fremde, auch wenn sie nur aus Padua oder Mailand kommen, nicht besonders. Allerdings, die seit Hunderten Jahren ansässige jüdische Gemeinde mag man auch nicht, lässt sie aber in Ruhe. Als dann die Deutschen gnadenlos Jagd auf Juden machen, beteiligt sich so mancher Veneziano.

Der Leser erhält einen Einblick in die Welt des besetzten Venedigs, in den Mikrokosmos der Weberei sowie in die Gedankenwelt der Widerstandskämpfer. Die Bedrohung durch die Schwarzen Brigaden (also der SS) ist deutlich spürbar und steigert sich bis zu einem furiosen Finale.

Gut ist die tiefe Verbundenheit der Venezianer in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart mit der Serenissima herausgearbeitet.

Den Charakteren nimmt man ihre Stärke(n) und Schwäche(n) sehr gut ab. Der Leser schwankt zwischen Hoffen und Bangen. Mehrmals stehen die Protagonisten vor Wahl dieses oder jenes zu tun. Jede Entscheidung hat ihre Konsequenzen.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem vielschichtigen Roman mit seinem überraschenden, aber stimmigen Ende 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 02.04.2023
Nur ein paar Nächte
Neidhardt, Fabian

Nur ein paar Nächte


sehr gut

Das Buch beginnt gleich turbulent mit zwei Sequenzen, die weitreichende Auswirkungen haben: Zum einen entdeckt eine junge Frau, dass sie ungewollt schwanger ist, und zum anderen erfährt Ben, dass sein Vater fremdgegangen ist. Noch bevor er diese Nachricht seiner Mutter verarbeitet hat, steht nicht nur der Vater mit seinem Gepäck vor der Tür, um „ein paar Nächte“ hier zu wohnen sondern auch die Polizei, die Bens Tochter Mia nach Hause bringt.

Nach und nach enthüllt sich den Lesern die gesamte Familiensituation. Von Althippies, die eine offene Beziehung gelobt haben, einer jungen Frau, die niemals ein Kind wollte, einem jungen Mann, der nach einer Kinderkrankheit als zeugungsunfähig gilt, aber dann doch ein Kind zeugt und ja von genau jenem Kind, Mia, ist zu lesen.

Dieser Roman ist die Geschichte von unerfüllten Sehnsüchten und erfüllten Ängsten, von Höhen und Tiefen in Beziehungen, die sich nicht nur auf der (Ehe)Paar- sondern auf Eltern/Kind-Ebene abspielen.

„Das Leben ist niemals eindeutig, die Wahrheit liegt nie in der Mitte und jede Entscheidung schlägt ein Loch in die Wand, durch das sowohl Regen als auch Sonne kommen.“ S. 109


Heimlicher Star dieser Geschichte ist Mia, die zwölfjährige Tochter Bens, die mit Trisomie 21 geboren wurde und von ihrem Vater allein aufgezogen wird.

Der Schreibstil ist flüssig und das Buch lässt sich gut lesen. Die Charaktere haben so alle ihre Ecken und Kanten, bzw. Stärken und Schwächen und wirken daher wie aus dem wahren Leben gegriffen.

Fazit:

Eine interessante Beziehungs- und Familiengeschichte, in der wenig miteinander und über Gefühle gesprochen wird. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.

Bewertung vom 02.04.2023
Du wirst noch an mich denken
Weldon, Fay

Du wirst noch an mich denken


ausgezeichnet

Dass das Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern oft nicht ganz einfach ist, ist hinlänglich bekannt. Doch das zwischen der Autorin und ihrer Mutter hat eine besondere Dimension. Dorothee Röhrigs Mutter Barbara ist die Tochter von Christine Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi. Hans von Dohnanyi und sein Schulfreund Klaus Bonhoeffer sind Mitglieder der Widerstandsgruppe gegen Adolf Hitler. Bärbel ist achtzehn, als ihr Vater hingerichtet und die Mutter im Gefängnis ist. Beides hinterlässt tiefe Spuren in der Seele der jungen Frau, die sie als Kriegstraumata an ihre Tochter Dorothee weitergibt.

„Du wirst noch an mich denken“ - diesen Glaubenssatz hat die Autorin hunderte Male von ihrer Mutter gehört und manchmal wenig damit anzufangen gewusst.

Dorothee Röhrig nähert sich in diesem Buch nicht nur ihrer Familiengeschichte, sondern auch ihrer Mutter an, die sie eher kühl, zurückhaltend und distanziert erlebt hat. Über die Ereignisse im Jahr 1945 hat sie nie gesprochen.

Anhand von Fotos und wenigen schriftlichen Aufzeichnungen versucht die Autorin den Platz ihrer Mutter sowohl in der Familie generell und in ihrem eigenen Herzen neu zu positionieren. Es fällt ihr schwer, nur anhand von Dokumenten die gesamte Persönlichkeit von Bärbel zu erfassen. Fragen können, nach Bärbels Tod nicht mehr gestellt und beantwortet werden.

Als Tochter hat man ein bestimmtes Bild seiner Mutter vor Augen, das von Liebe und noch vielmehr von Kränkungen gezeichnet ist. Behutsam, aber mit einer emotionalen Ehrlichkeit erzählt die Autorin in diesem Buch über das widersprüchliche Verhältnis zu ihrer Mutter, einer Mutter, die vertraut und fremd zugleich war.

Fazit:

Diesem interessanten Buch einer Mutter-Tochter-Beziehung gebe ich sehr gerne 5 Sterne.

Bewertung vom 02.04.2023
Wiener Anwaltsterben
Badegruber, Reinhardt

Wiener Anwaltsterben


sehr gut

Autor Reinhardt Badegruber hat wieder einen etwas schrägen Krimi geschrieben. Es ist, nach „Canalettos Geheimnis“ der zweite mit dem Gruppeninspektor Frank Karl.

Frank Karl ist ein etwas desillusionierter Beamter bei der Wiener Polizei, der gerne während der Dienstzeit ein (oder mehrere) Bierchen zwitschert, was auch seinem Vorgesetzten nicht verborgen bleibt.

Ein solches genehmigt er sich gerade, als er nach einem mysteriösen Einsatz voll Blut aber ohne Leiche eine Pause braucht, und dabei erstens von seinem Chef gemaßregelt und zweitens Ohrenzeuge eines mutmaßlichen Verkehrsunfalls wird, bei dem ein Mann vor einen Kleinlaster gestoßen worden ist. Der Tote ist Rechtsanwalt Dr. Paul Kammereder, ein Strafverteidiger, der lt. Werbung jeden Unterweltler verteidigt (hat). Eine Abrechnung unter Ganoven?

Doch statt sich diesem Mord widmen zu können, muss sich Frank, der ein ausgesprochen Faible für Literatur hat, mit dem schlüpfrigen Lesestoff einer sechsten Klasse eines Gymnasiums beschäftigen.

Dabei stolpert er (sprichwörtlich) über seine eigenen Füße in das Bett eben jener Deutschprofessorin, die ihre Schülerinnen und Schüler zum Lesen sexistischer Weltliteratur angehalten hat.

Meine Meinung:

Schon das Cover deutet an, dass es hier nicht nur um Schüsse, sondern auch Sex geht - Sex & Crime also.

Die Protagonisten sind schrullig bis derb und keine richtigen Sympathieträger.

Die Neigung des Gruppeninspektors ständig Weltliteratur zu zitieren, hat mir ganz gut gefallen, seine Art mit Menschen und besonders mit Frauen umzugehen, weniger.

Etwas irritierend ist der Beginn des Krimis. Frank Karl und das Tatortteam wird zu einer Luxuswohnung gerufen, die scheinbar Ort eines Verbrechens war, denn es bietet sich zwar ein Bild des Grauens, weil das Abbild einer an die Wand geklatschten Frau und jede Menge Blut zu sehen ist. Doch die Leiche fehlt. Karl wird an die Schüttbilder des Künstlers Hermann Nitsch erinnert,

Hier wird anfangs viel Aufhebens gemacht, eine minimalistische Lösung angeboten und nie wieder darüber gesprochen.

Doch das ist nicht die einzige Irritation. Es gibt zwar, wie in einem Krimi üblich, einige Leichen, jedoch wenig Ermittlungsarbeit, denn Frank Karl beschäftigt sich viel lieber mit anderem: Mit Sex, Drugs (in dem Fall Alkohol) und statt Rock’n’roll eben Literatur. Die sexistischen und derben Sprüche sind selbst für mich als Wienerin stellenweise zu viel. Ja, es gibt sie vereinzelt, die Leute die so die solche und ähnliche Sprüche klopfen. Aber, unseren Bundespräsidenten zu zitieren: „Wir sind nicht so“.

Für Leser, die mit dem Wienerischen nicht so vertraut sind, bringen zahlreiche Fußnoten Erklärung und Übersetzung.

Reinhardt Badegruber ist gebürtiger Oberösterreicher, in Kärnten aufgewachsen und hat in Wien studiert - also ein österreichischer Kosmopolit. Er ist selbst Journalist und liebt den Wiener Dialekt. Daher ist seine Sprache rau und voll von Wiener Ausdrücken, die für viele Leser gewöhnungsbedürftig sind.

Fazit:

Wer gerne schräge Krimis mit Wiener Lokalkolorit lesen will, ist hier goldrichtig. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.

Bewertung vom 02.04.2023
Blautöne
Bomann, Anne Cathrine

Blautöne


sehr gut

Dieser Roman beschäftigt sich mit der Frage, ob man gegen alles Unangenehme ein Medikament schlucken muss. Hier im Konkreten gegen die Trauer.

Als Elisabeth ihren kleinen Sohn verliert, verliert sie sich selbst in ihrer Trauer. Quasi als Therapie entwickelt sie ein Medikament, das jedoch schwere Nebenwirkungen hat: Es lindert nicht nur die Trauer, sondern lässt auch alle anderen Gefühle verkümmern. Ob es für diese Pillen dennoch eine Zulassung geben wird?

Meine Meinung:

Wer hier einen gefühlvollen Roman erwartet, wird ein wenig enttäuscht werden, denn es geht stellenweise ziemlich technisch zu. Nämlich dann, wenn der Zulassungsprozess eines neuen Medikamentes geschildert wird. Das hat mir als Technikerin recht gut gefallen.

Die Antitrauer-Pille ist eine Droge wie Alkohol oder bereits bekannte Psychopharmaka, die Menschen in Abhängigkeit stürzt und nebenbei alle anderen Gefühle unterdrückt.

Trauer ist ein Prozess, der in der heutigen Welt gerne unterdrückt bzw. weggewischt wird. Unsere Vorfahren haben mit ihren Ritualen wie Volltrauer, die dann in Halbtrauer übergegangen ist und durch diverse Bekleidungsvorschriften (vor allem für Frauen), langsames Abschiednehmen von einem geliebten Menschen ermöglicht.

Der Schreibstil ist ausgereift und die Charaktere gut herausgearbeitet.

Fazit:

"Blautöne“ ist ein gesellschaftskritischer Unterhaltungsroman von beängstigender Aktualität, dem ich gerne 4 Sterne gebe.

Bewertung vom 26.03.2023
Femina (eBook, ePUB)
Ramirez, Janina

Femina (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

„Frauen fallen durch ihre Seltenheit auf - die Präsenz des Nichtvorhandenseins“

Wann immer vom Mittelalter die Rede ist, fällt Einem höfisches Gepränge, scheppernde Ritter, zugige Burgen, da oder dort ein Burgfräulein, das gerettet werden muss und geknechtete Bauern, die Frondienste für ihre Herrscher leisten mussten sowie gotische Kathedralen ein. Frauen kommen wenig vor, denn die Geschichte wird fast ausschließlich von Mönchen geschrieben, und das sind ja bekanntlich Männer.

Janina Ramirez geht in diesem Buch der Frage nach, wo denn die Frauen des Mittelalters ihren Platz gefunden haben und warum sie kaum bekannt sind. Dabei fördert sie erstaunliches zutage.

Nach einer doch etwas längeren Einleitung macht sie uns mit zahlreichen Frauen, wie der wohl bekanntesten, nämlich Hildegard von Bingen, der polnischen Herrscherin Jadwiga (die eigentlich „König“ von Polen war) oder den Kriegerinnen, die Seite an Seite mit den Nordmännern kämpften. Mit Æthelflæd stellt uns die Autorin eine mächtige Frau vor, die mehrere Jahre umsichtig das Königreich Mercia beherrschte.

Janina Ramirez, Kunsthistorikerin, Litertaur- und Sprachwissenschaftlerin, zeichnet ein etwas anderes Bild des Mittelalters, das rund 1.000 Jahre mit dem Ende des Römischen Reiches (476 n.Chr.) bzw. mit dem Ende der Völkerwanderung beginnt und sich bis zur Entdeckung Amerikas erstreckt. Tausend Jahre, in denen zahlreiche Kriege und Krankheiten Europa überziehen, tausend Jahre, in denen großartige Kirchen erbaut werden, um dem Christentum zu seiner Herrschaft und Glanz zu verleihen.

Die Autorin nimmt uns zu Ausgrabungen mit, in deren Aufarbeitung so manche Überraschung wartet. So entpuppt sich das Grab eines Kriegers als Grab einer Kriegerin, wie die forensischen Archäologen mithilfe von DNA-Analysen feststellen.

Janina Ramirez teilt ihre Frauengestalten in neun Kategorien:

1. Die Macherinnen
2. Entscheidungsträgerinnen
3. Kriegerinnen und Anführerinnen
4. Künstlerinnen und Mäzeninnen
5. Universalgelehrte und Wissenschaftlerinnen
6. Spioninnen und Gesetzlose
7. Könige und Diplomatinnen
8. Unternehmerinnen und Influencerinnen
9. Ausnahmegestalten und Außenseiterinnen

Häufig ist es der Zufall, der schriftliche Aufzeichnungen über die Frauen des Mittelalters zutage fördern. Sei es, dass eine Abschrift eines Prozesses, in dem eine Frau angeklagt worden ist, oder sei es, dass Vorschriften über Verhaltensweisen für Frauen entdeckt werden.

Gemeinsam haben diese schriftlichen Beweise, dass sie von Männern geschrieben wurden und das, häufig Jahre nach dem Ereignis. Und, man weiß ja, dass „Geschichte von Siegern geschrieben wird“, in diesen Fällen von Männern, die Verdienst von Frauen gerne negieren und unter den sprichwörtlichen Teppich kehren.

Dieses Buch ist eine Hommage an die Frauen des Mittelalters, die vergessen und manchmal sogar bewusst aus der Geschichte entfernt wurden.

Das Cover hat mich ein wenig an die weibliche Vulva erinnert. Allerdings wird im Kapitel zu Hildegard von Bingen erklärt, dass dies eine Illustration einer ihrer Schriften ist, die sie „kosmische Weltenei“ genannt hat. Passt aber trotzdem zur geballten Weiblichkeit.

Fazit:

Dieses penibel recherchierte und fesselnd erzählte Sachbuch Buch ist eine Hommage an die Frauen des Mittelalters, die vergessen und manchmal sogar bewusst aus der Geschichte entfernt wurden. Diesem anderen Blick auf die Frauen des Mittelalters gebe ich gerne 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 26.03.2023
Sturm über Triest
Neuwirth, Günter

Sturm über Triest


ausgezeichnet

In seinem dritten historischen Roman, der in der schönen Hafenstadt Triest spielt, bekommt es Bruno Zabini diesmal mit verschiedenen Geheimdiensten, einer undurchsichtiger als der andere zu tun. Der Deutschen, die Russen, Franzosen und die Engländer sowie ein Japaner jagen die Baupläne für die neuartigen Geschütztürme der Kriegsschiffe, die die Donaumonarchie in "Stabilimento Tecnico Triestino", also den Triestiner Werften, bauen lässt.

Zunächst sieht es ja so aus als ob Gustav Lainer, Schiffsbauingenieur und Sportfreund von Bruno, einem Unfall zum Opfer gefallen ist. Bald machen allerdings Gerüchte um einen Selbstmord die Runde, doch als Bruno endlich Kenntnis vom Tod Gustavs erhält, ist er sich ziemlich sicher, dass hier nachgeholfen worden ist.

In diesen undurchsichtigen Ränkespielen der Geheimdienste spielt auch die verführerische Gräfin Jekaterina Olenina eine nicht unbedeutende Rolle. Obwohl Bruno Zabini mit seinen beiden Liebschaften ohnehin schon jede Menge Zores hat, kommt er der schönen Spionin recht nahe.

Wird es Bruno gelingen, den Mord an Lainer und den anderen Toten, die als Kollateralschaden zurückbleiben, aufzuklären?

Meine Meinung:

In diesem dritten historischen Krimi ziehen von mehreren Seiten Stürme auf: Zum einen, das Wettrüsten mehrerer Staaten, um Englands Vorherrschaft auf den Weltmeeren zu brechen, und zum anderen in Brunos Privatleben, das, wie wir aus den Vorgängern "Dampfer ab Triest" und "Caffe in Triest" wissen, nicht ganz konfliktfrei ist. Doch über allem weht der Scirocco und die Bora, jener Fallwind, der regelmäßig für Kopfschmerzen und Zerstörung an der Adria führt, droht.

Die Bora ist auch schuld, dass Bruno Zabini nicht mit seinem Rennrad durch Triest flitzen kann. Der radelnde Polizist ist in ganz Triest und Umgebung eine bekannte Erscheinung.

Nach seiner Suspendierung wegen seines komplizierten Privatlebens darf Bruno wieder arbeiten und beginnt, seine Erfahrung mit modernen Ermittlungsmethoden, die nun endlich akzeptiert worden sind, an junge engagierte Kollegen weiterzugeben. So hat Bruno die Daktyloskopie und die Tatortfotografie, sehr zum Unmut seines italienischen Kollegen Emilio Pittoni eingeführt. Pittoni ist ein überzeugter Nationalist, der Bruno. als Vertreter der k. u. k. Monarchie so gar nicht leiden kann und ihm, wo immer es möglich ist, ans Bein pinkelt.

Ich mag Günter Neuwirths Krimis, seien es die historischen rund um Triest oder die zeitgenössischen, die in Wien spielen. Der Schreibstil ist ausgereift und lassen das Kopfkino anlaufen. Die Charaktere sind fein herausgearbeitet. Für die Bruno-Zabini-Krimis hat der Autor zahlreiche Recherchen angestellt, sodass sich der Leser in der Hafenstadt Triest zwischen den Molen und den typischen Kaffeehäusern sehr gut zurechtfindet.

Ob es eine weitere Fortsetzung geben wird? Wünschen würde ich es mir (und allen, die Bruno Zabini lieb gewonnen haben).

Wer gerne historische Krimis aus der k.u.k.-Zeit liest, wird hier fündig. Ich empfehle, die Reihe mit Band 1 "Dampfer ab Triest" zu beginnen, andernfalls brächte man sich um viele spannende Lesestunden.

Fazit:

Diesem penibel recherchierten und fesselnd erzählten historischen Krimi aus einer längst vergangenen Zeit gebe ich gerne 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 23.03.2023
Mäda & Mäda
Greiner, Margret

Mäda & Mäda


ausgezeichnet

Autorin Margret Greiner ist für ihre packenden Romanbiografien rund um Frauen des Fin de Siècle bekannt. Nach Emilie Flöge (2014), Charlotte Salomon (2017) oder Margaret Stonborough-Wittgenstein (2018) widmet sie sich nun zwei weiteren unkonventionellen Frauen: Eugenia Primavesi(1874-1962) und deren Tochter Gertrude Primavesi (1903–2000), die jeweils Mäda gerufen wurden.

Was die beiden Mädas so besonders macht? Ihre Namen sind untrennbar mit Gustav Klimt (1862-1918) und den Wiener Werkstätten verbunden. Gustav Klimt malte die beiden in den Jahren 1912 und 1913 auf Auftrag von Otto Primavesi. Mit den Wiener Werkstätten hatte Otto Primavesi weniger Glück, denn sein Einsatz dafür hat ihn de facto ruiniert.

Anhand von zahlreichen, im Anhang angegebenen Quellen, zeichnet Margret Greiner die Leben der beiden Frauen nach. Einige Fotos aus den Archiven lassen uns in die Welt der Familie Primavesi eintauchen.

Sowohl Mutter als auch Tochter sind Symbole für ein unkonventionelles Frauenleben. Allerdings jedes auf seine eigene Art. So legt Mutter Mäda ihr gesamtes Vermögen und ihre Beziehungen in den Erhalt der Wiener Werkstätten und versucht eine politische Karriere, die mit dem Ständestaat endet, so geht Tochter Mäda einen anderen Weg: Sie emigriert mit Umwegen nach Kanada und gründet dort ein Kinderheim, das nach modernsten Erkenntnissen lange Jahre auch von ihr selbst geführt wird.

Ach ja, die beiden Bilder - sie spielen natürlich in diesem Buch auch eine Rolle. Das Bild der Tochter wird, nach der Zusammenbruch von Ottos Firmenimperium, 1928 wie viele andere Vermögenswerte verkauft. Die „Kleine Primavesi“ gelangt in den Besitz von Jenny Steiner aus der Familie Pulitzer. Steiner kann nach dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland noch rechtzeitig das Land verlassen. Ihr Vermögen und die zahlreichen Kunstschätze wurden von den Nazis beschlagnahmt und in den 1950er restituiert. Die „Große Primavesi“ bleibt jahrelang verschollen. Erst 1987 taucht es bei einer Versteigerung auf. Es war bis dahin im Besitz von Tochter Mäda.

Meine Meinung:

Ich schätze Margret Greiners Vorliebe für unangepasste Frauen aus dem Fin de Siècle. In wohlgesetzten Worten schreibt sie ihre penibel recherchierten Romanbiografien. Dort wo Quellen, weil z.B. Briefe oder Tagebücher fehlen, wenig hergeben, werden die Lücken elegant gefüllt. Zusätzlich erfährt die interessierte Leserschaft zahlreiche Details aus der Geschichte dieser Zeit. Dieser „Geschichtsunterricht“ findet so subtil und unterschwellig statt, dass sich die Leser dessen gar nicht bewusst werden.

Was bleibt von den Primavesis?

Zahlreiche Kunstwerke bedeutender Künstler wie Gustav Klimt oder Bildhauer Anton Hanak, die heute in verschiedenen Museen der Welt hängen oder wie Hanaks Skulpturen stehen. Die Villa Primavesi in Wien sowie jene in Olomouc (Olmütz) sind erhalten geblieben und aufwändig renoviert worden.

Das Cover zeigt Ausschnitte aus den beiden Gemälden von Gustav Klimt: Das farbenfrohe der Mutter und das in Blautönen gehaltene der Tochter. Eine gut gelungene Idee, die beiden wie eine Spielkarte darzustellen. Das Buch ist gediegener Ausstattung als Hardcover im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen.

Fazit:

Diesem Buch, das sich mit zwei faszinierenden Frauen beschäftigt, gebe ich leichten Herzens 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

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