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Benutzername: 
hasirasi2
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Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1115 Bewertungen
Bewertung vom 24.06.2020
Tödliche Algarve / Anabela Silva ermittelt Bd.3
Conrad, Carolina

Tödliche Algarve / Anabela Silva ermittelt Bd.3


ausgezeichnet

Kein Wort von Mord

… ist die Anweisung des Staatsanwaltes an Chef-Inspektor João Almeida, als auf dem Pilgerweg Via Algarviana in kurzer Zeit 3 Wanderer verschwinden und bald darauf eine verweste, von Wildschweinen angefressene, Leiche gefunden wird. War es ein Unfall oder Mord? Da einer der Vermissten ein Deutscher ist, kann João seine Freundin, die Übersetzerin Anabela anfordern. Dass die beiden ein Paar sind, weiß bisher nur sein Kollege – Privates und Berufliches wird streng getrennt. Auch, dass eine der anderen Vermissten Almeidas Halbschwester ist, soll nach Möglichkeit niemand erfahren ...

„Tödliche Algarve“ ist bereits der dritte Teil der Reihe um die deutsche Journalistin Anabela Silva und Chef-Inspektor João Almeida. Als Anabelas Vater an Alzheimer erkrankte, ist sie nach Portugal zurückgekehrt, um ihre Mutter bei der Pflege und Betreuung des Vaters zu unterstützen. Da sie zeitlich unabhängig sein will, arbeitet sie nicht mehr als Journalistin, sondern als freie Übersetzerin. Mir gefällt, wie Carolina Conrad den Familienzusammenhalt der Silvas zeigt und dabei weder die Erkrankung noch die Belastung für die Angehörigen beschönigt oder überdramatisiert. Es ist toll, wie liebevoll sie trotz allem mit ihrem dementen Vater umgehen, das zieht sich als roter Faden durch die Reihe.
Mit João ist sie seit dem ersten Fall zusammen und wenn es nach ihrer Mutter geht, könnten die Hochzeitglocken bald läuten, aber Anabela hält sich ihr gegenüber sehr bedeckt – sie und João scheinen mit der bisherigen Situation sehr zufrieden zu sein.

Ich bin schon nach wenigen Seiten wieder an der Algarve und in Anabelas Leben angekommen. Man merkt dem Buch an, dass die Autorin in der Gegend lebt. Sie beschreibt die örtlichen Gegebenheiten sehr anschaulich und macht Lust auf eine Pilgertour auf der relativ unbekannten Via Algarviana.
Der Fall der entwickelt sich nur langsam, bleibt dafür aber bis zum Ende sehr spannend. Fieberhaft suchen die Ermittler nach Gemeinsamkeiten oder Berührungspunkten der Vermissten, um hinter die Beweggründe des Täters zu kommen, immer mit dem Staatsanwalt und der Presse im Nacken.
Joâo bittet Anabela, sich wegen der verschwundenen Wanderer umzuhören, was ihrer natürlichen Neugier entgegenkommt. Sie ist sehr geschickt, wenn es um die Beschaffung von Informationen geht, da merkt man, dass sie Journalistin war. Und obwohl die bei den Verhören nur übersetzen soll, stellt sie oft die richtigen Fragen. Sie scheint den Polizisten bald einen Schritt voraus zu sein und gerät selbst in Gefahr.

Mich hat „Tödliche Algarve“ wieder sehr gut unterhalten – spannend und mit viel portugiesischem Flair ist er der perfekte (Urlaubs-) Krimi.

Bewertung vom 21.06.2020
Schwarzer August / Leander Lost Bd.4 (2 MP3-CDs)
Ribeiro, Gil

Schwarzer August / Leander Lost Bd.4 (2 MP3-CDs)


ausgezeichnet

Angekommen

„Wir sind nicht nur verantwortlich für das was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“ Moliére.

Leander und Soraia genießen den Sonntag in der Villa Elias, als ein Anruf kommt. Eine kleine Bankfiliale im Hinterland der Algarve wurde mittels Autobombe gesprengt, der Attentäter hatte es auf Schließfächer abgesehen. Aber warum hat er die 40.000 Dollar aus einem der Fächer nicht mitgenommen? Wurde er bei der Tat gestört? Leanders Kollege Miguel Duarte vermutet sofort einen islamistischen Hintergrund des Anschlages.
Am nächsten Tag geht ausgerechnet bei dem Journalisten, der die Polizei über die Explosion informiert hatte, ein ungewöhnlich verschlüsseltes Bekennerschreiben ein. Leander (Asperger-Autist) versteht den Inhalt sofort, aber der Attentäter stellt (noch) keine Forderung. Wenige Tage später sprengt er 3 japanische Thunfischtrawler im Hafen von Olhão und macht klar, dass er auf den Tier- und Umweltschutz hinweisen will. Ist der Täter wirklich ein Idealist, wie Leander vermutet? Wieviel Zeit haben er und seine Kollegen, eh der Bombenleger Personenschäden in Kauf nimmt oder sogar forciert?

„Schwarzer August“ ist bereits der vierte Band der Krimireihe um den deutschen Kommissar Leander Lost, der im Rahmen eines Austauschprogramms nach Portugal gekommen und wegen Land und Leuten geblieben ist. Inzwischen ist er mit Soraia, der Schwester seiner Kollegin Graciana, zusammen und scheint damit endlich auch in seinem Leben angekommen zu sein. Der Autor Gil Ribeiro vermittelt die Unterschiede zwischen „normalen“ Menschen und Autisten sehr anschaulich und zeigt, was es für Leander bedeutet, sich auf andere Menschen einzulassen, seine Gewohnheiten zu ändern und die Komfortzone zu verlassen. Dabei sorgt Leander nicht nur einmal für Erheiterung. Allerdings ist er durch sein fotografisches Gedächtnis, seinen analytischen Verstand und die Fähigkeit, die Lügen seines Gegenübers zu erkennen, inzwischen auch ein unverzichtbarer Bestandteil des Teams. Besonders interessant fand ich seine Überlegung, dass er durch seine Krankheit weniger wert wäre als seine Kollegen und seine Begründung dieser These.

Die Ermittlungen gestalten sich schwierig und damit für den Hörer sehr spannend. Carlos hat früh einen Verdacht, aber die Person passt nicht ganz in das Raster, das Leander und seine Kollegen entwickelt haben. Sie geben bei den Ermittlungen alles, liefern sich rasante Verfolgungsjagden und Schusswechsel und agieren immer als Team, auch wenn sich Miguel in einer Situation (wieder mal) als Einzelkämpfer und Held darstellt. Gil Ribeiro erzählt sehr anschaulich, man merkt, dass er sonst Drehbücher schreibt.
Auch dieser Teil der Reihe lebt neben dem interessanten Fall vom Zwischenmenschlichen der Protagonisten (Leander und Graciana sind nicht das Einzige Liebespaar) und dem Lebensgefühl und Flair der Algarve.

Andreas Pietschmann hat das Hörbuch toll eingelesen. Er bringt Leanders sperrige Persönlichkeit durch seine Art ihn zu sprechen sehr gut rüber.

„Schwarzer August“ war wieder ein tolles Hörerlebnis und ich hoffe, dass die Reihe auch nächstes Jahr weitergeht.

Bewertung vom 18.06.2020
Für einen Sommer
Isaac, Catherine

Für einen Sommer


gut

Spannende Grundidee, aber zu verzettelte und überfrachtete Handlung

Als die Biologin Allie im Schrank ihrer Grandma Peggy einen Pullover sucht, weil sie ihr zum Geburtstag einen ähnlichen schenken will, findet sie einen Brief aus dem Jahr 1983. Wenn stimmt, was darinsteht, ist ihr ganzes Leben auf einer Lüge aufgebaut. Sie stellt Peggy zur Rede, aber die verbietet ihr kategorisch, irgendjemanden aus der Familie darauf anzusprechen, schon gar nicht ihren Vater, der sie nach dem frühen Tod der Mutter allein aufgezogen hat. „Ich werde Dir nie verzeihen, wenn Du es doch tust.“ (S. 42) Doch Allie will wissen, was damals passiert. Ein Hinweis im Brief führt nach Italien an den Gardasee. Sie weiht nur ihren besten Freund Ed in ihre Pläne ein, der sie kurzerhand begleitet, weil es in seiner Bilderbuchehe kriselt.

Allie ist eine sehr zielstrebige und zielorientierte Frau. Sie arbeitet in der medizinischen Forschung an einem Heilmittel gegen Mukoviszidose und will immer alles genau wissen. Sie liebt Fakten, hat sich dabei aber ihre Menschlichkeit bewahrt und geht sehr liebevoll mit ihren Patienten um. Ed kennt sie seit frühester Schulzeit, beide waren Außenseiter, inzwischen ist er ein extrem erfolgreicher Geschäftsmann. Allie hatte sich gefreut, als er mit Julia endlich im Leben angekommen schien und versteht nicht, dass die Ehe jetzt kriselt. Sie ist ein analytischer Typ und hat es nicht so mit Gefühlen, darum will sie auch lange nicht wissen, warum er überlegt seine Frau zu verlassen.

Durch Rückblicke und Allies Erkundungen während der Reise kommt man dem Geheimnis immer mehr auf die Spur. Ich dachte schon früh, es entschlüsselt zu haben und wurde am Ende aber dann doch überrascht.

Wie in ihrem ersten Roman „Was in unseren Sternen steht“ thematisiert Catherine Isaacs auch hier wieder eine dramatische Krankheit und die Folgen für Betroffene und Angehörige. Doch leider konnte sie mich diesmal nicht fesseln. Die Handlung braucht viel zu lange, bis sie endlich Fahrt aufnimmt, erst ab der zweiten Hälfte wurde es endlich interessant. Dann gibt es einen Nebenstrang (am Ende sogar zwei), die ich extrem spannend fand. Mir hätte es besser gefallen, wenn sie sich auf einen davon konzentriert hätte.

Mein Fazit: Die Grundidee des Romans ist spannend, aber die Autorin hat sich in den vielen Handlungssträngen zu sehr verzettelt und das Buch damit überfrachtet. Leider fand ich auch die Nebenhandlung deutlich spannender als Allies Geschichte

Bewertung vom 14.06.2020
Wie sagt man ich liebe dich
Winter, Claudia

Wie sagt man ich liebe dich


ausgezeichnet

Mitten ins Herz

Eduardo ist wegen Weihnachtseinkäufen in Paris, als ihm plötzlich eine junge Frau im senfgelben Mantel auffällt – sie portraitiert Touristen und sieht genauso aus wie seine große Liebe, die er vor 50 Jahren hier kennengelernt und verloren hat. Wieder zu Hause in Lissabon angekommen, setzt er seinen Enkel António auf sie an: „Ich möchte, dass du jemanden für mich suchst. Eine Frau.“ (S. 23)

Die junge Frau heißt Maelys, stammt aus der Bretagne und studiert Kunst. Als sich ihre Tante Valérie den Arm bricht und nicht mehr arbeiten gehen kann, vernachlässigt Maelys ihr Studium, um Geld für die Miete und anfallenden Rechnungen zu verdienen. Antónios Einladung nach Lissabon und der damit verbundene Auftrag, ein Portrait von seinem Großvater zu malen, kommen ihr sehr entgegen, denn er bezahlt außerordentlich gut und sie mag ihn. Maelys stellt nur eine Bedingung: ihre Tante Valérie wird sie begleiten. Dass ausgerechnet dieser Wunsch alte Wunden aufbricht und lang gehütete Geheimnisse ans Licht holt, hätte niemand geahnt. „Man kann nie sicher sein, wer wann plötzlich im Leben auftaucht und es durcheinanderbringt …“ (S. 187)

„Wie sagt man ich liebe Dich“ von Claudia Winter hat mich von der ersten Zeile an bezaubert. 1966 bricht Valérie in der Bretagne mit den Konventionen, als sie ihren Eltern erklärt, dass sie nach Paris gehen wird. „Ich möchte nicht heiraten. Nicht heute, nicht morgen und auch nicht übermorgen. … Ich will ein bisschen mehr vom Leben. Mehr als das hier.“ (S. 61) Sie nimmt nur einem kleinen Koffer und wenige Kleidungsstücke mit in ihre ungewisse Zukunft, darunter ein senfgelber Mantel. Valerie hat Glück, findet eine Arbeit als Zimmermädchen in einem Hotel und schnell neue Freunde. Doch: „Das Glück ist ein Fisch, den man nur mit einem Netz aus Blut und Schweiß fängt.“ (S. 186)
50 Jahre später wagt auch ihre Nichte Maelys den Schritt nach Paris. Sie ist ein ganz besonderer Mensch und eine gute Beobachterin. Da sie nichts hören kann, kommt sie mit viel weniger Worten aus als hörende Menschen doch was sie sagt, trifft ihr Gegenüber oft mitten ins Herz.
So unterschiedlich Valérie und Maelys auch sind, haben sie doch etwas gemeinsam. Sie verfallen dem Charme portugiesischer Männer und Lissabons.

Claudia Winter lässt neben Paris vor allem Lissabon vor dem Auge des Lesers lebendig werden – ich kann den Fado förmlich hören, den Rhythmus der Stadt im Blut spüren und die Vanilletörtchen auf der Zunge schmecken. Zudem erzählt sie zwei sehr unterschiedliche Liebesgeschichten – eine leidenschaftliche und eine ganz zarte. Sie schreibt dabei wunderbar poetisch und berührt mich mit einer der bezauberndsten Liebeserklärung, die ich je gehört bzw. gelesen habe: „Ich verspreche dir nicht, dass Du den Rest deines Lebens glücklich sein wirst … Aber ich könnte deine Hand halten, wenn du traurig bist.“ (S. 195)

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.06.2020
Das Gegenteil von Hasen
Freytag, Anne

Das Gegenteil von Hasen


ausgezeichnet

Mit dem Rücken zur Wand

„Jeder von uns ist in der Geschichte eines anderen der Böse.“ (S. 403)
Julia, Marlene und Leonard sind befreundet und die beliebten Schüler ihrer Schule, wobei Julia immer ein bisschen im Schatten der anderen beiden steht. Das Trio hat jahrelang andere gemobbt und obwohl ihr „Hauptopfer“ heute da darübersteht, hat es die seelischen und körperlichen Verletzungen natürlich nicht vergessen.
Vor ihren Mitschülern, Freunden und der Familie ist Julia stets nett, höflich und ausgeglichen. Ihre Mutter ist stolz auf sie und dankbar, weil sie bei der Erziehung und Versorgung ihrer jüngeren Geschwister hilft. Doch alles, was Julia stört oder sie sich nicht zu sagen traut, vertraut sie ihrem Wordpress-Blog an. Sie hat Angst, sonst an den ungesagten Worten zu ersticken. „Jeder Eintrag ein Schwall aus erbrochenen Worten.“ (S. 35) Der Blog ist nicht öffentlich, nur für sie bestimmt, und auf ihrem Laptop gespeichert. Doch eines Tages ist der Laptop weg und ihre Posts werden nach und nach veröffentlicht. „Sie denkt an die vielen Wahrheiten, die oft nur in dem Moment gestimmt haben. … Worte als Ventile, die nun zu Waffen werden.“ (S. 160) Jeder Tag in der Schule wird zum Spießrutenlaufen. „Normalerweise wird Julia gesehen, heute wird sie angestarrt.“ (S. 139)
Plötzlich kennen alle ihr innersten Gedanken und Gefühle und hassen sie dafür – denn sie hält ihnen einen Spiegel vor. „Mich durch ihre Augen zu sehen, war, als würde meine Realität zum ersten Mal vollkommen scharf. Als wäre ich davor immer ein bisschen kurzsichtig durchs Leben gegangen.“ (S. 121) Was sie geschrieben hat, ist oft die Wahrheit und verletzt die Betreffenden.

Anne Freytags neuestes Jugendbuch „Das Gegenteil von Hasen“ hat mich 30 Jahre zurück in meine Schulzeit katapultiert, denn auch ich wurde gemobbt. Ich fand es interessant, die Beweggründe der Mobber zu lesen – lieber andere niedermachen und damit von sich ablenken, als selbst in die Schusslinie geraten. Und genau wie die Rektorin habe auch ich überlegt, ob ich mich so an meinen Peinigern gerächt hätte, wenn sich mir die Chance geboten hätte.

Die verschiedenen Betroffenen erzählen ihre Geschichte, Erlebnisse, Gedanken und Gefühle abwechselnd selbst, unterbrochen von den veröffentlichten Posts und dem Protokoll der Schulleitung. Dadurch ist der Erzählstil zum Teil sehr rau und hart, aber auch ehrlich, aufwühlend, erschütternd und extrem emotional. Die Hauptthemen sind Freundschaft, Vertrauen, Liebe, Sexualität und natürlich Geheimnisse.

Das Buch entwickelt schnell eine unglaubliche Dynamik, zieht den Leser in einen Sog, spielt mit Erwartungen und Gefühlen. Wann kommt der nächste Post und wen trifft es? Kommt auch Julias größtes Geheimnis ans Licht? Wo zieht der Verursacher die (moralische) Grenze? Die Suche nach ihm liest sich so spannend wie ein Krimi. Ich war mir mehrfach sicher, sie oder ihn enttarnt zu haben, und lag dann doch wieder falsch.

Und obwohl ich die Situation aus eigenem Erleben kenne, haben mir nicht nur die Schüler leidgetan, über die Julia geschrieben hat und deren Geheimnisse jetzt plötzlich keine mehr sind, sondern auch sie selbst. Sie ist eine normale Jugendliche, mit den üblichen Problemen und Sorgen, die ihren Platz im Leben noch finden muss und beliebt sein will. Und ihre Post waren ja auch nur für sie bestimmt – sie wollte niemanden absichtlich verletzen, das will nur derjenige, der sie jetzt veröffentlicht

Ich finde es gut, dass die Autorin auch auf die Auslöser fürs Mobbing eingeht – z.B. Religion, Aussehen oder sozialer Hintergrund. Damit macht sie klar, dass es jeden von uns erwischen kann. Denn wer mobben will, findet einen Grund.

Meiner Meinung nach sollte das Buch an allen Schulen als Pflichtlektüre gelesen werden.

Bewertung vom 09.06.2020
Die verlorene Frau
Gunnis, Emily

Die verlorene Frau


ausgezeichnet

Ein Wettlauf gegen die Zeit

1960: Die 13jährige Rebecca ruft mitten in der Nacht die Polizei an – ihre Eltern liegen beide tot im Wohnzimmer, sie selber ist blutverschmiert. Rebecca erzählt dem zuständigen Polizisten mehrfach, dass sie vor dem Schuss ein Klopfen an der Haustür und eine dritte Stimme gehört hat, aber es finden sich keine weiteren Hinweise auf diese Person. Da ihr Vater gewalttätig war und ihre Mutter die Polizei schon oft erfolglos um Hilfe gebeten hatte, geht man von einem eskalierten Streit aus.

2014: Jessie liegt zwei Tage in den Wehen, bis sie ihre Tochter Elizabeth endlich entbinden kann. Als Folge davon ist Jessie sehr geschwächt und leidet an einer Psychose. Ihre Tochter hat eine Infektion und braucht dringend Medikamente. Trotzdem verschwinden Mutter und Kind am nächsten Tag unbemerkt aus dem Krankenhaus. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Wenn Elizabeth nicht in spätestens 12 Stunden die nächste Infusion bekommt, wird sie nicht überleben.

Die Journalistin Iris wird auf den Fall angesetzt. Was ihr Chef nicht weiß – sie ist Jessies Halbschwester und beide sind Rebeccas Töchter. Iris merkt sofort, dass sich Rebeccas Geschichte zu widerholen scheint. Auch die hatte nach Jessis Geburt eine Wochenbettdepression. Alles scheint mit dem Mord an ihren Eltern vor über 50 Jahren zusammenzuhängen und nur wenn Rebecca endlich alles erzählt, was damals passiert ist, können sie Jessie hoffentlich rechtzeitig finden.

Wie schon in „Das Haus der Verlassenen“ hat Autorin Emily Gunnis auch hier wieder ein dunkles Stück englischer Geschichte geschickt mit einer fiktiven Handlung verbunden. Es um traumatisierte Kriegsheimkehrer, Gewalt in der Familie und darum, wie wenig Rechte Frauen noch in den 60er Jahren hatten, und um Wochenbettdepressionen und die verschiedenen Behandlungsmethoden damals und heute.

Mit viel Tempo und Spannung zieht sie alle Beteiligten und auch den Leser in einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Was ist damals wirklich passiert und warum? Was ist in der Zwischenzeit geschehen und wie hängen die verschiedenen Personen und Erlebnisse zusammen und vor allem – können Jessie und Elizabeth gerettet werden?
Die Geschichte wird über mehrere Zeitstränge und aus der Sicht der verschiedenen Beteiligten erzählt, zusätzlich gibt es alte Tagebuchauszüge. Damit konnte ich mich jederzeit in die Protagonisten und Situationen einfühlen und mitleiden oder mitfiebern. Und obwohl ich mir schon beim Lesen einige Zusammenhänge zusammenreimen konnte, hat Emily Gunnis auch für Überraschungsmomente gesorgt.

Kurzum: Eine sehr spannende, tragische und trotzdem hoffnungsvolle Geschichte über Familie, Freundschaft und Vertrauen, Wahrheit und Lüge, Schuld und dunkle Geheimnisse. 5 Sterne und meine Leseempfehlung.

Bewertung vom 07.06.2020
Die Henkerstochter und der Fluch der Pest / Die Henkerstochter-Saga Bd.8
Pötzsch, Oliver

Die Henkerstochter und der Fluch der Pest / Die Henkerstochter-Saga Bd.8


ausgezeichnet

Wenn sich Geschichte wiederholt

„Der … schwarze Reiter kommt in die Stadt … Er holt die Sünder, einen nach dem anderen … gib acht auf seine Pfeife!“ (S. 105) sind die letzten Worte, welche der Kaufbeurener Henker Conrad Näher Jakob Kuisl zuflüstert, bevor er zusammenbricht und kurz darauf an der Pest stirbt. Dabei feiern die Kuisls gerade ein großes Wiedersehen, Magdalena und Barbara sind mit ihren Familien aus München nach Schongau gekommen, weil Magdalenas zweiter Sohn Paul – ihr Sorgenkind – beim Großvater in die Lehre gehen soll. Nur sein großer Bruder Peter fehlt noch. Der musste den zukünftigen Kurfürst Max Emanuel trotz der Pestepidemie nach Wien begleiten, soll aber jeden Tag in Kaufbeuren eintreffen. Als Peter auch Tage später immer nicht angekommen ist, machen sich Jakob Kuisl, Magdalena und Simon auf die Suche nach ihm. Dabei stolpern über weitere ungewöhnliche Pestopfer – irgendetwas stimmt da nicht. Es sind immer nur einzelne Personen, die Krankheit verläuft untypisch. Nutzt eventuell ein perfider Mörder die Pestwelle, um unauffällig zu töten?

Der achte Band der Saga um die Henkersfamilie Kuisl von Oliver Pötzsch ist aktueller denn je. Während wir heute gegen Corona kämpfen, ängstigen sich seine Protagonisten vor der Pest. Die letzte Welle ist gerade mal 50 Jahre her und es gibt Überlebende, die sich mit Grauen daran erinnern. Genau wie heute gibt es abgeriegelte Städte, Menschen werden isoliert, Feste abgesagt. Und es gibt Ungläubige, welche die Situation ignorieren, negieren oder schamlos ausnutzen. Die Menschen suchen ihr Heil im Glauben und obskuren Heilmethoden, nur wenige schwören auf Sauberkeit und Hygiene. Dazu gehören die Kuisls, allen voran Magdalenas Mann Simon. Er ist Arzt und wird vom Kaufbeurener Stadtrat damit beauftragt, eine Ausweitung der Pest zu vermeiden – man will das in wenigen Tagen stattfindende Tänzelfest auf keinen Fall absagen, auch nicht nach weiteren Todesfällen ...

Was als gemeinsame Suche von Magdalena, Simon und Kuisl nach der Ursache der Pesterkrankungen beginnt, wird schon bald zu einem Wettlauf gegeneinander und gegen die Zeit. Sie scheinen es mit einem mächtigen Gegner zu tun zu haben und geraten selbst in Lebensgefahr.
Innerhalb des Familienverbandes gibt es viele Spannungen. Magdalena fühlt sich seit langem von Simon vernachlässigt, der anscheinend nur noch für seine Arbeit lebt, ihr Sohn Paul macht ihnen große Sorgen. Er neigt seit frühester Kindheit zu Brutalität und will – wie Magdalenas Bruder Georg – die Henkerstradition der Familie fortführen. Georg ist seit Jahren Kuisls Geselle und wartet darauf, dass der Vater ihm endlich wie versprochen das Amt als Henker übergibt.

Oliver Pötzsch schreibt unglaublich spannend und mitreißend. Er lockt mit diversen Spuren, Verdächtigen und Verschwörungstheorien. Außerdem spickt er die Handlung mit vielen historischen und medizinischen Details. Besonders gefallen haben mir die immer wieder versteckt oder offen auftauchenden Hinweise zum Rattenfänger von Hameln und die Überlegungen, inwieweit man damals schon die Pest als biologische Waffe genutzt hat.

5 Sterne und meine Leseempfehlung nicht nur für Histo-Fans.

Bewertung vom 04.06.2020
Bäuerinnen, Brot und Sehnsucht
Ruckser, Elisabeth

Bäuerinnen, Brot und Sehnsucht


ausgezeichnet

Brote wie von früher

Ich backe schon seit mehreren Jahren Brot, meist auf der Basis von Sauerteig, aber auch mit Hefe. Mein Sauerteig heißt übrigens Herrmann - wie der Kuchen früher - und ich habe festgestellt, dass er mit dem Alter immer besser wird.

Die Autorin stellt 9 Bäckerinnen (eigentlich sogar 12, denn zu einem Hof gehören 3 Frauen) und ihre wirklich vielfältigen Rezepte vor. Die Frauen haben sich alle auf etwas spezialisiert, backen z.B. noch nach uralten Familienrezepten und in alten Öfen, verwenden nur eigenes Getreide oder wilde Kräuter. Ich fand es sehr spannend und interessant, diese Geschichten zu lesen.

Nach einer Einführung zu Mehlsorten, Anstellgut, Gewürzen, Vor- und Zubereitung und das richtige Backen – bei der auch ich „alter Hase“ noch Neues lernen konnte – werden die Bäuerinnen kurz vorgestellt, bevor zu jeder ein eigenes Kapitel mit den jeweiligen Rezepten kommt.

Inzwischen habe ich schon einige Rezepte probiert, habe mich endlich auch mal an Brote mit Quell- und Kochstücken getraut und bin begeistert, wie einfach die eigentlich sind und wie gut sie funktionieren. Besonders gut geschmeckt haben uns das Karotte-Walnuss-Brot und Margits Bauernbrot. Außerdem habe ich zum ersten Mal Roggenbrötchen gebacken, die aussahen und geschmeckt haben wie von unserem Lieblingsbäcker.

Die Rezepte haben verschieden Schwierigkeitsstufen und sind sehr verständlich mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen beschrieben, so dass sie auch ein Anfänger nachbacken kann.

Uns hat das Buch überzeugt. Es bietet das passende Backwerk für jeden Geschmack und jede Gelegenheit und ich werde es weiter regelmäßig nutzen.

Bewertung vom 03.06.2020
Ein Mordsgeschenk für Agathe
Reet, Hanna

Ein Mordsgeschenk für Agathe


ausgezeichnet

Agathe kann`s nicht lassen

Was schenkt man eine 90jährigen am besten zum Geburtstag? Das hat sich auch Familie Christiansen gefragt und für die begeisterten Krimileserin und Kreuzworträtsellöserin kurzerhand selbst ein Krimiwochenende auf einer Ostseeinsel organisiert. Vielleicht hätten sie das aber doch lieber einem Profi überlassen sollen, denn ihr Plan verselbständigt sich bald, die (viel zu vielen) Eingeweihten verstricken sich in Widersprüche und die Situation eskaliert. „Fehler sind was für Anfänger, Könner produzieren Katastrophen.“ (S. 148)

Mit viel Humor erzählt Hanna Reed, wie der geplante „harmonische Familienurlaub“ langsam jeder Kontrolle entgleitet. Nicht nur, dass Agathe anders reagiert und handelt, als ihre Familie es erwartet hätte, den schönen Plan damit ad absurdum führt und ihnen das Leben schwer macht, nach und nach kommen auch noch diverse langgehütete Geheimnisse ans Licht. Außerdem wird ordentlich gezankt und sich sogar geprügelt – wie es bei solchen Feiern eben gern mal passiert.

Die Autorin schreibt sehr unterhaltsam und kurzweilig und die Dynamik innerhalb der Gruppe funktioniert toll. Die Gegenstücke ihrer Protagonisten meint man zum Teil aus der eigenen Familie zu kennen. Da gibt es z.B. den ewigen Single, der dazu verdonnert wird, sich um die immer noch sehr rüstige Agathe zu kümmern, und die vorlauten, mit allen Wassern gewaschenen Urenkel, welche die Situation ihrer kopflosen Eltern schamlos ausnutzen. Mein Highlight aber war der Bombenentschärfer, den nur die eigene Mutter zur Explosion bringt.

Mit 186 Seiten ist das Büchlein perfekt für einen gemütlichen und spannenden Tag am Strand oder um sich einen Sonntag lang auf eine Ostseeinsel zu träumen.

Bewertung vom 01.06.2020
Schatten und Licht / Fräulein Gold Bd.1
Stern, Anne

Schatten und Licht / Fräulein Gold Bd.1


ausgezeichnet

Starker Auftakt

Berlin 1922: Hulda Gold ist schon 26, unverheiratet und Hebamme im Bülowbogen im Stadtteil Schöneberg. Eine ihrer Schwangeren sorgt sich, weil ihre Nachbarin Rita (eine Säuferin und Hure) tot im Landwehrkanal gefunden wurde für die Polizei schon feststeht, dass es Selbstmord war. Hulda wiegelt ab, aber als sie den zuständigen Kriminalkommissar Karl North kennenlernt und hat sie auch das Gefühl, dass der in dem Fall gar nicht ermitteln will. Als sie erfährt, dass Rita Streit mit ihrem Zuhälter und ihm mit seiner Vergangenheit gedroht hatte, begibt sie sich selber in die Berliner Unterwelt und damit in Gefahr …

„Fräulein Gold: Schatten und Licht“ ist der Auftakt der Trilogie um die Hebamme Hulda Gold und den Kriminalkommissar Karl North und hat mich von Beginn an gefesselt. Es ist eine Symbiose der Hebammensaga von Linda Winterberg und der Gereon-Rath-Reihe von Volker Kutscher. Man erfährt viel über die Arbeitsweise der Hebammen, bekommt man einen guten Einblick in die Polizeiarbeit, die politischen Entwicklungen und das Erstarken der Nationalsozialisten.
Autorin Anne Stern lässt das Berlin der 20er Jahre lebendig werden. Sie zeigt einerseits die Wunden, die der Krieg in die Stadt und ihre Bevölkerung gerissen hat, den täglichen Kampf ums Überleben, Frauen, die arbeiten gehen oder sich prostituieren müssen, hungernde Waisenkinder und andererseits das wilde Nachtleben mit Jazz, Alkohol, Koks und schnellen Sex mit Fremden – die vielen Varianten, wenigstens kurz den Krieg, Alltag, Hunger und die Sehnsüchte zu vergessen. Die Zeit ist schnelllebig und gefährlich. „Berlin war ein einziger Reigen aus Vergnügungen, Champagner und Zügellosigkeit, aus irrlichterndem Glitzern, Drogen, körperlicher Liebe, so viel man wollte. Doch am Ende bezahlte man immer dafür.“ (S. 317)

Anne Sterns Protagonisten haben Ecken und Kanten, eine Vergangenheit.
Rita hat in einem Irrenhaus vor den Toren Berlins gearbeitet. Lange war sie überzeugt, dass die Ärzte den Patienten mit den zum Teil sehr ungewöhnlichen Behandlungsmethoden helfen wollen, aber der Krieg und der Umgang mit den Versehrten und Kriegszitterern hat ihr die Augen geöffnet.
Hilda ist mutig, dabei manchmal etwas leichtsinnig, hilfsbereit, durchsetzungsfähig und lässt sich nichts verbieten. Sie liebt ihre Arbeit und ist trotzdem oft unzufrieden, weil gern mehr für ihre Patientinnen tun würde, aber nicht darf. „Ich kann schlecht wegsehen, bin mit meinen Gefühlen immer gleich dabei. Vielleicht hoffe ich, dass ich mich dadurch selbst erlösen kann.“ (S. 197) Sie hat eine gescheiterte Beziehung hinter sich, kann den Mann aber immer noch nicht loslassen. Außerdem quälen sie nächtliche Albträume – ihre Mutter war psychisch krank und sie hat Angst, wie sie zu werden.
Karl ist ein Einzelgänger und hat Angst, dass jemand von seiner Herkunft erfährt, darum lässt er erst niemanden an sich heran. Er wird die Dämonen seiner grausamen Kindheit im Waisenhaus nicht los. Die Frage, warum seine Mutter ihn weggeben hat, ihn nicht lieben konnte, beschäftigt ihn sehr, er fühlt sich in seinem Leben fremd. „Er würde sich, egal wie hoch er die Karriereleiter noch emporsteigen würde, doch immer wie der kleine Waisenjunge fühlen, während sein Assistent schon jetzt so selbstverständlich auftrat, als gehöre ihm die ganze Welt.“ (S. 171) In Ritas Wohnung entdeckt er etwas, was ihn erschrickt und vielleicht seiner Herkunft näherbringen könnte – aber will er es wirklich wissen?

Hulda und Karl geraten bei der Aufklärung des Falls immer wieder aneinander. Sie hält ihn für unfähig und bequem, er sie für vorlaut, zickig und streitsüchtig. Und obwohl sie ihre Nachforschungen getrennt anstellen, kommen sie letztendlich zum gleichen Ergebnis. Zudem finden sie sich, geben das aber natürlich nicht zu.

Anne Stern schreibt sehr spannend, farbenprächtig, mitreißend – einfach grandios. Ich bin begeistert und will unbedingt wissen, wie es mit Hulda und Karl weitergeht, welche Fälle sie in Zukunft auf

3 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.